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Through Space and Time

God's Fallen Angel / Satoru X Yashiro
von

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Der Sündenfall

Gott im Himmel hat nicht nur Adam und Eva das Leben geschenkt, sondern auch allen Engeln, die mit ihm Paradies leben. Viele behaupten, dass Eltern alle ihre Kinder gleich lieben, doch das stimmt nicht. Auch Gott hat unter seinen Engeln Lieblinge.
 

Und wie in allen Familien gibt es auch in Gottes Engelsfamilie schwarze Schafe. Engel, die einen eigenen Willen fernab von den Geboten des Vaters entwickeln. Luzifer ist wohl der bekannteste von ihnen. Gott verstieß ihn aus dem Paradies - es sollte allen anderen Engeln eine Lehre und eine Warnung sein. Nichtsdestotrotz gab es aber erneut einen schwarzen Engel, der eine Sünde begehen sollte.
 

Es geschah kurz nachdem Gott Adam und Eva auf die Erde verbannt hatte, da entpuppte sich einer der Engel immer mehr zu einem Alleingänger und Außenseiter. Er verließ Gottes Pfad und verliebte sich in einen anderen Engel. Aber es war nicht irgendein Engel - es war Gottes Liebling, der Engel mit dem reinsten Herzen und den weißesten Flügeln.
 

Doch der schwarze Engel verführte Gottes Liebling so sehr, dass auch dieser reine, weiße Engel sich in ihn verliebte und langsam aber sicher vom Weg des Herren abkam. Schließlich kam es dazu, dass Gott die beiden - genau wie Adam und Eva - aus dem Paradies verstieß. Gefangen in einem menschlichen Körper, beraubte er sie ihrer Unsterblichkeit, sodass sie bis an ihr Lebensende ein menschliches Dasein fristen mussten. So sollten sie auf ewig gestraft werden und nie wieder Eintritt in sein Reich erhalten.
 

Doch Gott hatte den beiden noch mehr Strafen auferlegt. Damit die Liebe der beiden immer eine Sünde bleiben sollte, ließ er sie immer in versetzen Zeitabstände wieder geboren werden. Der schwarze Engel würde dann immer schon ein Erwachsener Mensch sein, während der andere noch ein unschuldiges Kind war. So würden die beiden nie zueinander finden können. Das sündhafte Schicksal würde sich bis in die Ewigkeit wiederholen, wenn sie weiter einander begehren würden.
 

Und Gott legte dem schwarzen Engel noch eine weitere Strafe auf: als Einziger der beiden sollte er sich auch in seinen unzähligen Wiedergeburten als Mensch immer und immer wieder an seine früheren Sünden erinnern können. Nie sollte er dem Bewusstsein seiner Schade entkommen können. Dem Anderen schenkte er die Glückseligkeit des Vergessens und des Neubeginns.
 

Der schwarze Engel jedoch war in jedem seiner wieder geborenen Leben rastlos, wartete darauf, dass sein Liebster das Licht der Welt erblicken und auf den Moment der Begegnung, nur um dann zu realisieren, dass sie nie zusammen kommen könnten. Und immer, wenn das Kind zum Erwachsenen herangereift sein würde, hätte er das beste Alter schon überschritten. Ihre Wege würden sich nie kreuzen.
 

Doch nichts desto trotz liebte Gott immer noch beide seiner Kinder und machte beiden ein besonderes Geschenk - die Gabe des Rerun.

Sonntag

Eines der unzähligen Wiedergeburten des schwarzen Engel war, die des Gaku Yashiro im Japan des 20. Jahrhundert. Er lebte in einer kleinen Stadt der Insel Hokkaido, die so weit im Norden Japans lag, dass die kälteste Jahreszeit dort früh begann und spät aufhörte. Ähnlich seiner auferlegten Strafe dauerte der Winter dort eine Ewigkeit, denn es hörte nie auf zu schneien. Da er aber in seinem letzten Leben ein in Sibirien lebender Russe war, störte ihn diese Tatsache wenig. Genau wie seine Engelsgestalt hatte er ebenholzschwarze Haare und wahlnussbraune Augen, war schlank, groß gewachsen und punktete bei Menschen egal welchen Geschlechts und Alters mit seinem charmanten Auftreten.
 

Er wartete und wartete darauf, dass er seinem Liebsten begegnen würde. Seine ganzen Zwanziger verbrachte er mit Warten. Rastlos ging er durch die verschneiten Straßen und ließ seinen scharfen Blick über die Köpfe der Kinder suchend gleiten, wissend, dass er seinen Geliebten an einem Merkmal erkennen würde - der seidene Spinnfaden über seinem Haupt, das Zeichen dafür, dass er mit Gott verbunden war. Auch er war mit einem roten Spinnfaden mit Gott verbunden, den nur er sehen konnte, wenn er sich im Spiegel musterte. Einerseits war es ein sicheres Mittel für ihn die Wiedergeburt seines Geliebten mit hundertprozentiger Treffsicherheit auszumachen. Andererseits wusste er, dass, solange der Faden weiterhin in den Himmel führte, Gott unweigerlich ihr Schicksal beeinflussen würde.
 

Um die Wahrscheinlichkeit der Begegnung zu erhöhen, entschloß er sich dazu Lehrer zu werden. Besonders zu den Kleinen hatte er einen guten Draht. Die Kinder liebten und vertrauten ihm und fühlten sich sicher in seiner Nähe. Schließlich sollte er an der Mikoto Grundschule eine 5. Klasse mit zehn- und elfjährigen Jungen und Mädchen übernehmen. Er würde ihr neuer Klassenlehrer werden und überflog im Lehrerzimmer schon einmal die Namensliste. Natürlich würde er in seinen Fächern noch andere Klassen unterrichten, allerdings lag sein Schwerpunkt auf der Betreuung der Klasse 5-4.
 

Es war Frühling, der offizielle Beginn des neuen Schuljahres in Japan. Auch, wenn viele in südlicheren Teilen den Schulbeginn mit blühenden rosa Kirschblüten und einer angenehmen Frühlingsbrise in Verbindung bringen, war es auf Hokkaido noch grau und kalt. Das höchste der Gefühle waren etwas mehr Sonnenschein und nass glänzende Straßen vom tauenden Schnee, wenn das Wetter es gut mit ihnen meinte. Doch heute war es - wie schon in den ganzen vergangenen letzten Wochen - bewölkt und trist. Die Schüler und Schülerinnen wurden zusammen mit den Eltern in der Empfangshalle durch ein paar warme Worte des Schulleiters begrüßt und nach der kurzen Ansprache in den Klassenraum geschickt. Auch, wenn die 5. Klassen nicht neu an der Grundschule, sondern mittlerweile zu den Alteingesessenen gehörten, würden die nächsten zwei Jahre sie auf die Aufnahmeprüfungen der Mittelschulen vorbereiten.
 

Eigentlich wollte er der erste im Klassenraum sein und auf die Ankunft der Kinder warten, doch die Tatsache, dass der Schulleiter mit seiner Rede früher fertig war als erwartet und er mit einem Kopierproblem zu kämpfen hatte führten dazu, dass alles so gar nicht nach Plan liefen. Anscheinend gab es im Leben eines erfahrenen Lehrers von 33 Jahren doch noch Momente, in denen er sich so hilflos und überfordert fühlte wie ein Kind. Er war der Klassenlehrer und würde trotzdem zu seinem ersten Schultag zu spät kommen. Aus dieser Erfahrung heraus nahm er sich allerdings für die Zukunft vor das Zuspätkommen seiner Schülerinnen und Schüler immer milde zu bewerten - schließlich gab es Tage, da schien das Schicksal trotz jeglicher sorgfältiger Vorbereitung einfach gegen einen zu sein.
 

Ein kurzes Gespräch mit einem älteren Kollegen, der ihm mit seiner ersten Klasse alles Gute wünschte, hielt ihn noch weitere Minuten vor dem Klassenzimmer auf dem Gang auf und sorgte dafür, dass er nun viel zu spät kam. Durch die Tür hörte er bereits die quirligen Mädchen- und Jungenstimmen, die wild durcheinander redeten.
 

Als er in das Klassenzimmer kam verstummten die Stimmen mit einem Mal und alle Blicke richteten sich auf ihn. Die rund vierzig Schüler und Schülerinnen saßen alle bereits brav und diszipliniert auf ihren Plätzen. Seine Aufregung und Vorfreude ließ er sich nicht anmerken und betrat ruhig und gelassen den Raum, während er mit pochendem Herzen seinen Blick durch den Raum schweifen ließ.

„Liebe Schülerinnen und Schüler der 5-4, ich begrüße euch zum neuen Schuljahr.“, begann er nun auch seine Ansprache, nachdem er sich auf den erhöhten Lehrerpodest zwischen Tafel und Pult gestellt und mit der weißen Kreide seinen Namen an die schwarze Tafel geschrieben hatte. Zunächst entschuldigte er sich verlegen für sein Zuspätkommen, was er auch als Erwachsener gegenüber Kinder ein Zeichen des Respekts erachtete, und ging Namen der anwesenden Kinder durch. Er sprach jeden Namen laut aus und für gewöhnlich meldeten sich auch die Anwesenden mit ausgestreckter Hand und einem lauten hörbaren „Hier!“ oder „Anwesend!“.
 

Nur Zwei fehlten - ein Junge, Satoru Fujinuma, und ein Mädchen, Kayo Hinazuki - und fragte die Klasse, ob sie irgendetwas wüssten.
 

„Satoru mal wieder. Der kommt häufig zu spät.“
 

„Ja, aber zumindest am ersten Schultag hätte er pünktlich kommen können.“
 

„Der hat gestern bestimmt wieder zu viel Wonder Guy angesehen.“
 

Ein Junge, Kenya Kobayashi, schien ein guter Freund Satorus zu sein und erklärte, dass es manchmal eine dumme Angewohnheit von ihm wäre und man sich bei ihm keine Sorgen machen müsse. Kayo hingegen schien keiner so richtig zu kennen oder mit ihr befreundet zu sein. Zwar berichteten einige aus der Klasse, dass auch sie häufig zu spät kommen würde, keiner wüsste aber mehr über sie und ihre Familienverhältnisse. Das ließ ihn aufhorchen. Das Mädchen - sobald er sie kennenlernen würde - würde er auf jeden Fall weiter beobachten und der Sache nachgehen.
 

Nachdem der Punkt Anwesenheit auf seiner Liste nun erledigt war, gab er an die Kinder der ersten Reihe einige Kopien und Informationsschreiben aus, die weiter nach hinten gereicht wurden. Das stand nämlich als nächstes an. Während die Blätter ausgeteilt wurde, hatte er angeordnet kurz die hinteren Fenster zum Lüften zu öffnen. Keine fünf Minuten später hatte es draußen wieder angefangen zu schneien und windiger zu werden. Der Wind wirbelte nun auch die Vorhänge hin und her und trieb die Schneeflocken sogar bis in den Klassenraum hinein. Als gerade ein Schüler aufstand um das Fenster wieder zu schließen, fiel plötzlich die Tür laut auf. Auch im Flur vor dem Klassenzimmer stand das Fenster offen und so gab es einen gewaltigen Durchzug. Doch gerade in diesem Moment stolperte ein von weißen Flocken umwirbelter kleiner Junge mit schwarzblauen Haaren und blauen Augen wie ein Schneesturm in den Raum hinein.
 

Yashiros riss die Augen weit auf und sein Herz setzte mit einem Mal aus. Er - er war es! Über seinem Kopf sah er unverkennbar einen eisblauen Faden, der zur Decke führte. Seine Aufregung stieg als er diesen unwirklichen Moment begriff, dass sie sich endlich begegnet waren. Dieser Junge war die Reinkarnation seines Geliebten! Nach dem ersten Aussetzer fing sein Herz wieder an schnell und aufgeregt gegen seinen Brustkorb zu schlagen. So lange hatte er gewartet und die Hoffnung, als er alle Namen und Gesichter in der Klasse durchgegangen war, schon fast aufgegeben. Doch der Junge, nach dem er so lange gesucht hatte, ging tatsächlich in seine Klasse!
 

„Sa-Satoru?“, vergewisserte sich Yashiro von seinem Pult aus, dass hier auch keine Verwechslung vorlag. Während das Fenster schnell geschlossen wurde, waren alle Augen auf den Neuankömmling gerichtet.
 

„Ja, Sensei?“, stammelte der Junge dem die ganze Aufmerksamkeit extrem unangenehm war.
 

„Du…bist zu spät.“, es war weniger eine Feststellung als viel mehr eine Erinnerung für den Jungen, welche Konsequenz aus seiner Handlung folgte - nämlich eine Entschuldigung.
 

Den Wink mit dem Zaunpfahl begriff Satoru von einer Sekunde auf die andere und entschuldigte sich ordnungsgemäß: „Ah…ja, natürlich! Tut mir wirklich Leid, Sensei.“
 

„Guten Morgen, entschuldigen Sie die Verspätung“, plötzlich stand auch der nächste Zuspätkommer in der Tür. Es war ein kleines zierliches Mädchen mit hellbraunen kurzen Haaren, einem auffälligen roten Mantel und einem dazu passenden roten Schulranzen. Das musste dann ja wohl Kayo Hinazuki sein. So waren nun alle vierzig Schülerinnen und Schüler der Klasse 5-4 am ersten Schultag versammelt.
 

Während sich beide an ihre Plätze setzten, wollte Yashiro sich die Gelegenheit nicht entgehen lassen sich Satoru unauffällig zu nähern. Er hob einige der herunter gefallenen Kopien vom Boden auf und brachte sie ihm, die Blicke aller Schülerinnen und Schüler auf ihn gerichtet. Verlegen blickte der Junge von seinem Sitz aus nach oben. Sein dunkelbraunhaariger, junger, attraktiver Lehrer, der im Stehen schon groß war, wirkte aus dieser Perspektive noch viel größer, fast wie ein Riese. Auch Yashiro musterte den Knaben und musste das Verlangen unterdrückten diese zerzausten blauschimmernden Haare zu berühren, die er an seinem früheren Ebenbild schon so anziehend fand. Trotzdem musste er jetzt den Grundstein für ihr weiteres Verhältnis legen.
 

Er rollte die Kopien zu einer Röhre zusammen und schlug Satoru damit leicht auf den Kopf. Satoru zuckte dabei unweigerlich zusammen - nicht vor Schmerz, sondern vor Schreck. Er hätte gedacht, dass es mehr wehtun würde, doch es war eine ganz leichte, sanfte Berührung gewesen. Als er seine Augen wieder öffnete und verunsichert nach oben blickte, sah er, wie sein Lehrer ihn anlächelte und ihm mit einem Auge zublinzelte: „Lass das aber nicht zur Gewohnheit werden, in Ordnung?“ Das war sein erster Kontakt mit seinem neuen Klassenlehrer, Yashiro-Sensei. Ein Mann, in dessen Gegenwart er irgendwie Herzklopfen bekam und nervös wurde, sich aber gleichzeitig auch geborgen fühlte. Seine Gefühle ergründend blickte er ihm nach. Ihm den Rücken zugewandt gab er sein Sensei natürlich auch Kayo einen Satz Kopien und ging dann wieder zum Pult.
 

Auch für Yashiro war es ein besonderer Moment gewesen. Jedes Leben, jede Wiedergeburt war anders, sowohl für ihn als auch für seinen Geliebten. Wenngleich ihre Wesenszüge sich eigentlich nie veränderten, unterschieden sich die Lebensumstände allerdings von Mal zu Mal. Es war wie die Biologie eines Menschen - die DNA blieb gleich, die Erziehung aber anders.

Satoru konnte sich zwar an ihre Vergangenheit nicht erinnern, dennoch wollte Yashiro nicht gleich auf Eroberungsjagd gehen. Ja, er wollte nichts überstürzen, sich Zeit nehmen und diesen Jungen näher kennen lernen. Einerseits war er neugierig, weil es schließlich um seinen Geliebten ging, andererseits wollte er auch mehr über Gott erfahren. Wieso hatte er ausgerechnet den Körper dieses Jungen ausgesucht und wieso hatte er seine neue Identität die Wege eines Lehrer beschreiten lassen? Wieso sollten sie sich in den vier Wänden dieser Schule wieder begegnen? Was hielt Gott dieses Mal für sie bereit? All diesen Fragen wollte er nachgehen. Vielleicht schaffte er es dieses Mal so ihr Schicksal zu ändern.
 

Je mehr April und Mai voran schritten und auch langsam aber stetig der kalte Winter dem aufkommenden Frühling weichen musste, wurden auch die Tage länger und warmer. Viele Bäume, Büsche und Blumenbeete standen in voller Blüte. Das Wetter war herrlich, nicht zu warm aber auch nicht mehr kalt. Es war Mittagspause und Satoru war draußen und spielte mit seinen Freunden Hiromi, Kazu, Kenya und Osamu Fußball, während die Mädchen Misato, Kayo und Aya unter einem Kirschbaum ihre Bentos auspackten. Yashiro beobachtete die Gruppe vom Fenster des Lehrerzimmers aus mit einem amüsierten Lächeln.
 

Nachdem sich die Jungs etwas ausgepowert hatten, saßen sie sich auch zu den Mädchen. Die Jungs gesellten sich zu ihren Freundinnen, während die Sitzordnung bei den anderen nicht festgeschrieben waren. Aya hatte ein Bento für Kazu vorbereitet und bei Satoru war es so, dass seine Mutter eines für Kayo zusammengestellt hatte. Yashiro beschloß ebenfalls der Gruppe Gesellschaft zu leisten und verließ das Lehrerzimmer.
 

„Sensei! Hallo!“, begrüßte ihn die Schüler und Schülerinnen schreiend und mit winkenden Armen ganz aufgeregt, während sie ihn auf sie zukommen sahen.

„Na, genießt ihr die Pause und das schöne Wetter? Eure Bentos sehen ja fantastisch aus!“, stellt er fest und packte ein Milchbrötchen aus. Obwohl er einen Anzug trug, saß er sich zu den Kindern ins Gras unter den Kirschbaum. Die Kinder allerdings blickten abwechselnd in ihre reichlich gefüllten Boxen und dem einsamen Milchbrötchen hin und her.
 

„Sie haben ja nur ein Brötchen, Sensei.“, es war Satoru, der sich als Erster traute die Gedanken aller laut zu äußern.
 

„Ja, als Lehrer hat man nicht so viel Zeit zum Essen.“, antwortete Yashiro verlegen und biss von seinem Brötchen ab. Die Hälfte war schon weg. Mit einem weiteren Bissen wäre sein gesamtes Mittagessen für den Tag dahin gewesen.
 

„Aber Sie müssen mehr essen, sonst kippen Sie noch um. Hier Sie können einen Onigiri von mir haben.“ Satoru sagte das fast väterlich. Fest entschlossen nahm er eines der Onigiri aus seiner Box und drückte es seinem Lehrer in die Hand mit einem Blick als duldete er keine Widerrede.
 

„Und von mir ein Fleischbällchen.“
 

„Und von mir ein Stück Apfel.“
 

„Ich habe noch ein frittieren Krabbenschwanz übrig.“
 

„Und von mir können Sie ein Stück gerolltes Omelette haben.“
 

Wie aus heiterem Himmel wurde er mit Essen zugeschüttet. Teilweise wedelten die Jungen und Mädchen ihm damit sogar vor der Nase herum und warteten darauf, dass er seinen Mund öffnete. Aus dem Augenwinkel heraus beobachtete er die neidischen Blicke der anderen Kolleginnen und Kollegen aus dem Lehrerzimmer und entschied sich wieder mit einem „Also, ich muss dann mal weiter arbeiten!“ sich wieder zu Seinesgleichen zu gesellen.
 

Danach begann der Nachmittagsunterricht für die Schülerinnen und Schüler der Mikoto Grundschule. Yashiro allerdings hatte keinen Fachunterricht, erledigte einigen Papierkram an seinem Arbeitsplatz und wartete auf die letzte Stunde - die Homeroom Stunde - nach der er die Klasse entlassen würde. Dabei schleiften seine Gedanken aber immer öfter in Richtung des schwarzhaarigen Jungen ab.
 

Anfangs war er eher schüchtern und introvertiert gewesen und scheute den Kontakt zu Klassenkameraden und -kameradinnen, mit denen er nicht befreundet war. Besonders mit Kayo wechselte er kein Wort - wahrscheinlich auch weil sie ein Mädchen war. Er hatte oft das Gefühl, dass er über nicht besonders gute Kommunikationsfähigkeiten verfügte und deshalb mit Leuten, die er nicht kannte, weniger ins Gespräch kam.
 

Dann gab es einen Moment da hatte sich sein Charakter um gefühlt hundertachtzig Grad geändert. Plötzlich war Satoru darum bemüht - und hatte seinen Klassenlehrer aus Sorge auch öfters im Lehrerzimmer in einem Einzelgespräch konsultiert - sich mit Kayo anzufreunden. Da er im Grunde genommen ein freundlicher und entschlossener Knabe war, gelang ihm das auch. Nach und nach scharrten sich so immer mehr von den Kindern um ihn herum. Mittlerweile waren alle seinem Freundeskreis beigetreten. Irgendwie unglaublich. Ob das die Folgen einen Rerun waren?
 

Er wusste, dass sein Geliebter von Gott die gleiche Gabe erhalten hatte. Auch er konnte sich mit Hilfe eines Runs in eine andere Zeit springen. Allerdings wäre es das erste Mal gewesen. Davor hatte nur er sich in die Zukunft oder Vergangenheit begeben. Sein Geliebter jedoch hatte diese Fähigkeit noch nie genutzt. Den anderen Kindern war es vielleicht nicht aufgefallen, der Braunhaarige war aber hellhörig geworden. Seiner scharfen Auffassungsgabe war es nicht entgangen, dass sich der kleine Satoru manchmal so gar nicht wie ein Kind verhielt. Ja, manchmal hörte er sich wie ein kleiner Erwachsener an.
 

Das Verhalten des kleinen Satoru wurde immer merkwürdiger und so bestellte er ihn nach dem Unterricht zu sich ins Lehrerzimmer. Außer ihm war keiner mehr da. Draußen dämmerte es und die untergehende Frühlingssonne ließ den sternenklaren Himmel in dunklen rot und orange Tönen ein letztes Mal erstrahlen, bevor sie der lilablassblauen Nacht immer mehr wich.
 

„Sie wollten mich sprechen, Sensei?“, begrüßte die Jungenstimme ihn verlegen und trat vor ihn. Es wäre nichts Schlimmes, also müsse sich Satoru keine Sorgen machen. Jedoch…

„Du hast in letzter Zeit viele Freunde gefunden, nicht wahr Saturo?“, gratulierte ihm sein Klassenlehrer.

„Na ja.“, kratzte sich der Junge mit einer Hand verlegen am Kopf, „Stimmt schon.“ Seine eisblauen Augen wichen nervös dem scharfen Blick des Älteren aus.
 

In wenigen Wochen hatte sich sein Freundeskreis verdoppelt. Doch es war viel mehr die Beobachtung, dass der Junge von einem Tag wie auf den anderen wie ausgewechselt war.

„Wie hast du das denn angestellt? Hast du einen Zauberspruch oder sowas angewendet?“, fragte Yashiro nach und stellte sich dabei etwas naiv aber auch interessiert.
 

Wieder fing Satorus Herz schneller an zu klopfen ohne, dass er es wollte. Er konnte seinem gut aussehenden, charmanten Klassenlehrer einfach nicht in die Augen sehen ohne die Fassung zu verlieren. Oh man, wieso drehte sein Körper nur so ab? Einerseits wollte er in seiner Nähe sein, andererseits bekam er bei ihren Einzelgesprächen immer so Muffensausen, dass er nach kurzer Zeit nervös die Flucht ergriff, obwohl er gerne länger geblieben wäre.
 

„Nein, gezaubert hab ich nicht.“, Gott wie sollte er diese Frage nur beantworten?
 

Doch sein Klassenlehrer schien nicht locker zu lassen. „Wie hast du es dann geschafft? Du wirkst plötzlich viel mutiger als vorher. Sonst warst du doch so schüchtern.“
 

„Also, den Mut hab ich mir von meinem Lieblingssuperhelden, Wonder Guy, abgeschaut. Außerdem wollte ich meine Kindheit eben in vollen Zügen genießen und mit meinen Freunden so viel Spaß wie möglich haben.“ - Treffer! Das waren unmöglich die Worte eines Kindes, dachte sich Yashiro. Solche sentimentalen Sätze hörte man meistens nur von unzufriedenen Erwachsenen, die meinten, das Leben ziehe an ihnen vorbei.
 

Yashiro stützte seine Ellbogen auf seine Knie, legte sein Kinn in seine Hände und beugte sich zu dem Kleineren runter damit er auf dessen Augenhöhe war, während er ihm aufmerksam zuhörte. Es war das erste Mal, dass sie so ein langes Gespräch miteinander führten und plötzlich bemerkte Yashiro in sich ein Verlangen nach mehr aufkommen. Er wollte ihm noch viel länger zuhören. Woher kam dieses Gefühl? In seinem Körper vereinte er mittlerweile so viele Identitäten, dass er deren Gefühle nicht mehr zuordnen konnte. Waren es die Gefühle eines Lehrers, der mehr über seinen Schüler in Erfahrung bringen wollte? Waren es die Gefühle seiner wahren Identität - die, des schwarzen Engels - der mehr über Satoru Fujinuma - die Wiedergeburt seines Geliebten - erfahren wollte? Oder konnte er doch nicht anders als letztendlich immer noch in den Worten des Jungen die versteckten Gefühle seines Geliebten herausfiltern zu wollen?

Egal was es war, er wollte, dass die Zeit stehen blieb und das Gespräch nie endete.
 

„Sensei, haben Sie eigentlich auch manchmal das Gefühl als würden Sie neben sich stehen. Als wären Sie eigentlich jemand anderer? Als wären die Worte in ihrem Mund nicht Ihre eigenen?“ Ja, wer sprach da gerade zu ihm? War es der kleine Satoru, ein erwachsener Satoru, oder womöglich sein in Satorus Unterbewusstsein schlummernder Geliebter?

„Mir passiert es nämlich total oft, dass ich Dinge laut ausspreche, die ich gar nicht sagen wollte.“, lachte Satotru nun verlegen.
 

„Ja, das Gefühl kenne ich.“, Satoru war froh von dem Älteren verstanden worden zu sein. Es fiel ihm häufig schwer seine Gedanken und Gefühle in Worte zu fassen, deshalb war er erleichtert von dem Älteren ohne große Mühe verstanden worden zu sein ohne sich großartig erklären zu müssen. Yashiro konnte ihn nur zu gut verstehen, immerhin spielte er schon die ganze Zeit jemanden, der er nicht war.
 

„Ich habe letztens einen Anime gesehen, in dem der Hauptcharakter versucht hat die Vergangenheit zu ändern. Da habe ich mir überlegt, dass jeder Mensch schon mit seinem Handeln in der Gegenwart die Zukunft beeinflusst. Kayo sah immer so traurig aus, deshalb wollte ich nicht, dass sie weiterhin so alleine ist. Die Zukunft verändern zu können, hat mir Mut gemacht.“, erzählte Satoru immer und immer weiter. Ihm war nicht klar, dass alles nur inszeniert und er geradewegs in die Falle seines Lehrers getappt war. Yashiro war längst bewusst, dass der Hauptcharakter des Anime Satoru selbst war. Der Geist des erwachsenen Satoru aus der Zukunft war in die Vergangenheit gereist und befand sich jetzt im Körper des kleinen Jungen. Wieso? Mit welcher Absicht? Satoru konnte sich nicht an ihre Vergangenheit erinnern, es war also unmöglich, dass er seinetwegen gekommen war. Er hatte erwähnt, dass Kayos Schicksal ihm wichtig war. War etwas in der Zukunft mit ihr passiert?
 

„Sensei, wenn Sie durch die Zeit reisen könnten, würden Sie es dann tun?“ Aufgeregt schreckte der Braunhaarige hoch. Nachdem Satoru in eine Art Monolog verfallen war, hatte er nicht erwartet, dass das Wort irgendwann wieder an ihn fallen würde.
 

„Ja, absolut.“, antwortete der Ältere nun etwas ernster und stellte daraufhin gleich die Gegenfrage, „Wie sieht es mit dir aus, Satoru? Wenn du die Möglichkeit hättest einen geliebten Menschen in einer anderen Zeit wiederzusehen, würdest du diese nutzen?“ Das Gespräch hatte sich tatsächlich in eine komische Richtung entwickelt.
 

Der kleine Junge musste nicht lange überlegen und antwortete: „Ja, ich denke schon. Das würde doch jeder machen.“ Zeitreisen gehörten dem Science Fiction Genre an, hatten aber auch philosophische Aspekte, immerhin konnte man den Lauf der Geschichte ändern. Wenn Gott ihnen diese Gabe gegeben hatte, dann war es durchaus von ihm gewollt, dass sie auch Gebrauch davon machten. Die Frage nach Schuld und Verantwortung war also hinfällig. Sein Handeln war also nachvollziehbar, er brauchte sich keine Vorwürfe zu machen, denn absolut jeder würde diese Gabe nutzen. Satoru, der davon vor ein paar Wochen Gebrauch gemacht zu haben schien, war der lebende Beweis dafür.
 

„Ach, mir ist da noch etwas aufgefallen, Satoru.“
 

„Was denn, Sensei?“
 

„In letzter Zeit wirkst du ziemlich erwachsen.“
 

Geschockt riss der schwarzhaarige Junge die eisblauen Augen weit auf. Das hatte er ja mal gar nicht kommen sehen. War er am Ende deshalb in der Gegenwart seines Lehrers so nervös gewesen, weil er ihn durchschaut hatte? War er hinter sein Geheimnis gekommen? Wusste er es schon die ganze Zeit oder hatte er es doch nur so dahin gesagt? Doch sein durchbohrender Blick und seine dunkle, bedrohliche Stimme waren so einschüchternd. Was sollte er ihm drauf nur antworten?
 

„Liebe Schülerinnen und Schüler, die Schule schließt jetzt. Bitte verlasst das Gebäude und passt auf dem Heimweg gut auf euch auf.“ - ertönte die Frauenstimme aus dem Lautsprecher und rettete ihn.
 

„Oh, schon so spät. Ich muss dann mal los, Sensei.“, meinte Satoru als er auf die Uhr sah. Schon halb fünf. Draußen war es schon dunkel. Er zog hastig seine Winterjacke, da die Abende und der Morgen noch sehr frisch waren, und seinen Schulranzen an und verabschiedete sich von seinem Klassenlehrer.
 

„Ja, da hast du Recht.“, der Klassenlehrer stand ebenfalls auf um seinen Schüler noch zur Tür zu begleiten. Mittlerweile hatte er sich wieder gefasst, doch kurze Zeit zuvor hatte er noch zähneknirschend die Finger so fest zur Faust geballt, sodass die Nägel sich schon in die Haut seiner Handfläche gebohrt hatten. Als er den Lautsprecher gehört hatte, konnte er seine Verbitterung und Frustration kaum verbergen. Es hätte nur noch ein bisschen gefehlt und er wäre tatsächlich dahinter gekommen, ob Satoru den Rerun genutzt hatte. Im Nachhinein war er allerdings selbst erstaunt darüber, wie sehr er sich in die Situation reingesteigert hatte. Wie ein Jäger, der seine Beute in die Enge getrieben hatte, konnte er nichts anderes mehr sehen.
 

„Schade, ich hätte gerne mehr mit dir geredet.“ Nun war er tatsächlich etwas traurig darüber, dass ihr Gespräch beendet war, denn tief in seinem Inneren wusste er, dass es das letzte Gespräch war, das er mit diesem Jungen geführt hatte. Er wäre gerne länger in dieser Zeit mit diesen Kindern geblieben.
 

„Mir hat’s auch Spaß gemacht, Sensei. Also dann bis morgen!“, drehte sich Satoru zu ihm lächelnd und winkend um als er schon an der Treppe stand.
 

„Ja, bis morgen.“, winkte auch Yashiro ihm hinterher, obwohl es kein Morgen geben würde. Denn er würde sofort einen Zeitsprung in die Zukunft machen, um diesen erwachsenen Satoru persönlich kennenzulernen. Am Ende des Ganges sah er ein Fenster, das noch offen stand. Ohne zurück zu blicken, sprintete er mit großen, schnellen auf das Fenster zu, um dann im Nichts zu verschwinden.

Montag

Winter - 2006. Es war einer der schlimmsten Winter der Geschichte. Bei Minusgraden, die bis in den zweistelligen Bereich nachts gingen und tagsüber im einstelligen Minusbereich blieben, schneite es seit Ende Oktober vergangenen Jahres unaufhörlich. Mittlerweile war es Mitte Februar und absolut kein Frühling weit und breit, geschweige denn von wärmeren Temperaturen.
 

Und gerade an diesem Tag spielte das Wetter irgendwie verrückt. Eigentlich war für heute ein kalter aber sonniger Tag angesagt, doch plötzlich zog sich der Himmel zu. Die Wolken verdunkelten sich und ein Gewitter braute sich zusammen. Gewitter im Sommer war man ja gewöhnt - aber im Winter?
 

Ein junger, schwarzhaariger Mann, der an einem kleinen Fluss entlang ging, nahm die Vorwarnung zunächst nicht ernst. Sicher würden sich die Wolken gleich wieder verziehen - dachte er. Die Wolkendecke wurde aber immer düsterer und düsterer und hatte sich fast pechschwarz gefärbt, Nachdem es wie aus heiterem Himmel tatsächlich anfing zu donnern und zu hageln, musste der junge Mann das Wetterphänomen nun doch ernst nehmen und rannte hastig unter eine nahestehende Brücke um sich dort umzustellen.
 

Sehr komisch. Der Wetterbericht heute morgen hatte nichts von einem Gewitter vorher gesagt. Hatte er sich etwa vertan? Nun fing auch noch ein regelrechter Schneesturm an. Da half wohl nichts anderes außer Warten, dass das Unwetter nach ließ. Plötzlich gab es einen lauten Donner und der pechschwarze Himmel wurde mit einem Mal von einem Blitz, der ein paar Meter vor ihm einschlug, hell erleuchtet. Obwohl der Blitz ihn nicht getroffen hatte, erschauderte durch die immense Lautstrecke sein ganzer Körper.
 

Der schwarzhaarige, schlanke Mann hatte solche Angst, dass er wie ein Kind die Hocke fuhr, sein Gesicht in den Knien vergrub und sich mit den Händen schützend die Ohren bedeckte. Als er nach wenigen Sekunden den Blick wieder erhob, was Gewitter vorbei und der Himmel hatte sich gelichtet. Erleichtert erhob er sich aus seiner Schutzpose und beobachtete die sich auflösenden Wolken. Zurück blieb ein klarer Himmel.
 

Sein Blick, der vorher wie in Trance mit dem blauen Horizont verhaftet war, fiel plötzlich auf einen vorbei fliegenden roten Schmetterling. Das wird ja immer lustiger. Schmetterlinge im Winter, bei diesen Temperaturen? Doch dann beobachtete er den Schmetterling genauer und erkannte ihn sofort wieder. Diese Art von Schmetterlingen sah er normalerweise auch, wenn ihn die Vergangenheit im Sinne eines Reruns einholen würde, aber für gewöhnlich waren die Schmetterlinge immer blau. Allerdings hatte ihn das von der heutigen Wettervorhersage abweichende Gewitter dahingehend eines besseren belehrt, dass der heutige Tag wohl etwas anders als sonst sein würde. Würde das heißen, dass gleich ein Rerun erfolgen würde?
 

Als aber nach einigen Sekunden nichts zu geschah und er sich immer noch an der gleichen Stelle befand, entschloss er sich wieder seinen Weg aufzunehmen, nachdem sich das Gewitter nun in Luft aufgelöst hatte. Er drehte sich um und erblickte im gleißenden Sonnenlicht ihm eine nur allzu bekannte Gestalt. Ein großer, attraktiver Mann mit dunkelbraunen Haaren und rotbraunen Augen stand ihm direkt gegenüber. Er trug einen dunkelgrauen Anzug, eine bordeauxfarbene Krawatte und darüber einen beigen klassischen Trenchcoat.
 

„Es ist lange her, Satoru.“, begrüßte ihn nun der Ältere.
 

Satoru fiel es wie Schuppen von den Augen. „Yashiro…Sensei?“ Eiskalt über den Rücken und sein Körper wollte sich nicht mehr bewegen. Was hatte das zu bedeuten?
 

„Na, freust du dich mich wiederzusehen?“, zwinkerte ihm sein ehemaliger Klassenlehrer auf die gewohnte Art zu.
 

Satoru schluckte schwer und versuchte wieder Leben in seine erstarrten Gliedmaßen zu bekommen. Vor ihm stand tatsächlich sein ehemaliger Klassenlehrer, Yashiro-Sensei, aus der Grundschule und wusste nicht, wie er mit der Begegnung umgehen sollte.
 

Vor kurzem hatte er sich zufällig die alte Aufsatzsammlung seiner Klasse angesehen und dadurch einen Rerun ausgelöst. Ihm war wieder eingefallen, dass drei Mädchen auf mysteriöse Weise verschwunden waren. Um das zu verhindern war er in die Vergangenheit gereist, hatte sich mit den Mädchen angefreundet und so ihr Schicksal geändert. Dass sein Lehrer aus der Vergangenheit nun in die Zukunft gereist war, war ihm irgendwie nicht geheuer.
 

Und es gab noch eine Sache die ihn störte. Bei seinem Rerun in das Jahr 1988 wurde sein Bewusstsein in den Körper gesteckt als er noch ein elfjähriger Junge war. Yashiro allerdings schien in die Zukunft gekommen zu sein ohne eine körperliche Veränderung durchgemacht zu haben. Der 33-jährige schien weder älter noch jünger zu sein als er ihn in Erinnerung hatte.
 

„Was wollen Sie hier?“, fragte ihn der Schwarzhaarige vorsichtig. Auch Yashiro ergriff die Gelegenheit seinen Gegenüber zu mustern. Aus dem kleinen Satoru war ein großer, schlanker Mann geworden. Sein schwarzen Haare waren immer noch so zerzaust und auch sein Kleidungsstil schien sich nicht geändert zu haben, denn er trug eine dunkelgraue Hose, eine dicke beige Daunenjacke und einen grünen Schal. Das einzig Neue an ihm war eine viereckige Brille, die sein hageres Gesicht zierte. Und unverkennbar war natürlich der blaue Faden über seinem Kopf.
 

„Also als erstes…“, ging Yashiro nun nach einer gefühlten Ewigkeit, in der sie sich nur angestarrt hatten, auf seine Frage ein und kratzte sich verlegen am Hinterkopf, „…hätte ich gerne eine Bleibe für die Nacht.“
 

Was sollte das denn heißen? Eine „Bleibe“. Und überhaupt, was war das für eine Anspielung? Wollte er etwa bei ihm übernachten?

„Suchen Sie sich doch ein Hotel.“ Satoru drehte sich um und ging wieder seiner Wege ohne Yashiro auch nur eines Blickes zu würdigen. Er traute dem Ganzen nicht. Ähnlich eines Reruns hatte er wirklich ein ungutes Gefühl bei der Sache. Das alles war ihm nicht geheuer. Zuerst tauchte sein ehemaliger Klassenlehrer wie aus heiterem Himmel vor ihm auf und hatte dann ganz offensichtlich in den vergangenen 18 Jahren kein einziges graues Haar davon getragen. Hier konnte es absolut nicht mit rechten Dingen zugehen und so eine unheilbringende Begegnung würde er sich ganz sicher nicht ins Haus holen.
 

„Ach Satoru, jetzt sei doch nicht so kalt und abweisend.“, winselte der Ältere und trottete seinem ehemaligen Schüler hinterher. So leicht würde er sich nicht abwimmeln lassen.
 

„Tut mir Leid, Sensei, aber ich hatte einen harten Tag und kann mich absolut nicht um Sie kümmern.“
 

„Oh, wirklich. Erzähl doch mal, hattest du Stress auf der Arbeit? Kann ich dir irgendwie helfen? Komm schon, deinem alten Lehrer kannst du es doch anvertrauen…“
 

„Danke, ich bin erwachsen und kläre meine Probleme alleine. Und hören Sie bitte auf mich zu verfolgen.“
 

„Ich gehe doch nur zufällig in die gleiche Richtung. Hast du keine Lust mir zu erzählen, was du die ganzen Jahre über getrieben hast…“
 

So ging das die ganze Zeit über. Satoru versuchte seinen Verfolger abzuhängen, ging mal schneller, mal langsamer, stoppte, fauchte den Älteren an wie eine aufgescheuchte Katze an und schaffte es einfach nicht ihn loszuwerden egal wie viele Umwege und er auch ging. Irgendwie kam er sich vor wie Rotkäppchen, das vom Wolf verfolgt wurde. Schließlich war er schon das fünfte Mal an seinem Wohnhaus vorbei gelaufen und musste einsehen, dass es nichts brachte.
 

Unentschlossen stand er an der Treppe und sah abwechselnd zwischen dem Treppenaufgang und dem Braunhaarigen hin und her, der ihn mit einem Hundeblick erwartungsvoll ansah. Die gleiche Taktik verwendeten streunende Hunde auch. Das musste wohl für viele Menschen der Moment sein, in dem sie unverhofft Haustierbesitzer wurden.
 

„Also, wenn Sie wollen, können Sie kurz reinkommen.“ meinte der Schwarzhaarige augenrollend und fragte sich, ob er mit diesem Satz seinen Lehrer oder sich selbst belügen wollte.

„Danke für die Einladung, Satoru, das ist wirklich sehr nett von dir. Aber von dir hätte ich auch nichts anderes erwartet.“ bedankte sich Yashiro höflich aber gekünstelt. Erstens war es keine Einladung, sondern eine Nötigung, zweitens konnte er den Mann schlecht draußen in der Kälte stehen lassen und drittens war er gar nicht so nett. Trotzdem freute er sich über den schmeichelnden Kommentar mehr als er eigentlich zugeben wollte.
 

„Ah, das sieht doch sehr gemütlich aus hier…“, kommentierte Yashiro während er seinen Trenchcoat auszog und die Wohnung ins Visier nahm - ganz genau wie ein kleiner, mit dem Schwanz aufgeregt wedelnder Streuner, der wild durch alle Räume sauste und sein neues Zuhause begutachtete. Dabei war seine Wohnung weder nett noch gemütlich. Er hatte einen Wohn-Küchen-Essbereich, ein weiteres Zimmer, das als sein Schlafzimmer fungierte und ein winziges Bad. Seufzend musste er sich eingestehen, dass er wohl die längste Zeit hier alleine gewohnt hatte und er seinen Gast so schnell nicht wieder loswerden würde. Realistisch betrachtet sollte er wohl demnächst auch seinem Vermieter Bescheid geben.
 

Nachdem Yashiro alles inspiziert hatte, waren als nächstes seine Küchenschränke und sein Kühlschrank dran. Erschrocken musste er feststellen als sein Blick in die gähnende Leere des Kühlschranks fiel, „Aber Satoru, sag mal, du hast ja gar kein Essen im Kühlschrank.“ Bei seiner Arbeit hatte er absolut keine Zeit zu kochen, deshalb ernährte er sich hauptsächlich von Fertiggerichten und Essen aus dem Kombini. Sein ehemaliger Klassenlehrer stellte aber protestierend fest, dass man so nicht leben könne.
 

Kurze Zeit später fanden sich beide in einem Drogeriegeschäft wieder.

Was zum Teufel mache ich hier?, fragte sich der Schwarzhaarige und sah desorientiert in seinen Einkaufskorb. Ein Pyjama, eine Zahnbürste und Wechselunterwäsche - richtig, sein ungebetener Gast der mit nichts kam, brauchte ja auch Sachen zum Übernachten.
 

Nachdem sie das erledigt hatten, gingen sie in einen nahegelegenen Supermarkt. Der Einkaufswagen, den Satoru vor sich her schub, war so voll wie noch nie in seinem Singelleben. Und es nahm kein Ende, denn er hatte das Gefühl, dass Yashiro tonnenweise Lebensmittel, Gewürze und Zutaten in den Wagen schaufelte. Wozu? Für wen? Wer sollte das alles essen. Yashiro begründete es damit, dass er ja auch absolut nichts zu Hause hatte. Selbst für die basalsten Gerichte würden sie also an den Grundzutaten nicht umher kommen.
 

„Lehn dich ruhig zurück, Satoru, ich koche uns etwas Leckeres.“, zwinkerte der Ältere ihm zu als sie wieder zu Hause angekommen waren.
 

„Aber Sie sind doch der Gast…“
 

„Das ist schon in Ordnung. So kann ich meinen Teil zu deiner Gastfreundschaft beitragen.“
 

Das ließ Satoru sich natürlich nicht zwei Mal sagen, schaltete den Fernseher an und setzte sich an den kleinen Tisch neben der Küchenzeile. Irgendwie surreal. Der Tag hatte wie jeder andere begonnen und nun hatte er das Gefühl in einer anderen Welt zu leben. Aus seinen Augenwinkeln beobachte er den attraktiven Braunhaarigen, der etwas größer war als er selbst, wie er sich geschickt in seiner Küche bewegte.
 

Es war lange her, dass jemand für ihn gekocht hatte. Das letzte Mal war es seine Mutter, die ihn besucht hatte. Langsam breitete sich ein wohliger Geruch im Zimmer aus. Die angebratenen Zwiebeln rochen schon mal verdammt lecker.

„Kann ich den gebratenen Reis etwas schärfer machen?“, fragte Yashiro ihn mit einer Dose Kimchi in der Hand.
 

Satoru willigte ein, sodass sich Yashiro wieder den nächsten Schritten zuwenden konnte. Natürlich spürte er, dass der Blick seines ehemaligen Schülers die ganze Zeit auf ihm ruhte, auch, wenn Satoru es zu vermeiden versuchte. Mit aufgeregt pochendem Herzen musterte er Yashiro von Kopf bis Fuß. Seine Beine waren lang und schlank, das Becken und der Lendenbereich ebenfalls schmal. Die Ärmel seines Hemdes hatte er hoch gekrempelt, sodass er Satorus Blick auf seine nackten Unterarme und die Handknöchel fielen. Sah er eigentlich schon immer so sexy aus?
 

Der Schwarzhaarige wurde in die Realität zurück gerissen als plötzlich ein Teller mit gebratenem Kimchireis vor ihm stand. Nach dem obligatorischen „Itadakimasu“ hauten beiden gleich rein, ohne das Essen kalt werden zu lassen. Es schmeckte genauso wie es gerochen hatte - einfach fantastisch! Selbstgekochtes Essen war wirklich das Beste!
 

„Schmeckt es dir?“, fragte ihn sein Gegenüber und beobachtete ihn lächelnd beim Essen.
 

„Ja, total gut!“, antwortete Satoru verlegen und schob sich wieder einen gehäuften Löffel in den Mund. Unweigerlich musste er sich eingestehen, dass es schön war, mal wieder in Gesellschaft zu essen. Er kochte so gut wie nie, weil es sich für eine Person sowieso nicht lohnen würde, ernährte sich immer nur von Fertiggerichten und dann aß er auch immer vor dem Fernseher.
 

Ihm fiel jetzt erst auf wie einsam er davor eigentlich war. Jeden Morgen alleine aufstehen, alleine essen und, wenn er nach Hause kam, war auch keiner da, der ihn begrüßte. Er war es schon so gewohnt, dass ihm die Eintönigkeit seines Lebensstils gar nicht bewusst war. Mit jemandem zusammen zu essen war viel schöner und es schmeckte auch viel besser.
 

Während der Fernseher lief, wollte Satoru die Gelegenheit jedoch nutzen, den Älteren ein paar Fragen zu stellen. Wieso sah er in Gottes Namen immer noch so jung - und vor allem so gut - aus? Wenn seine Rechnung stimmte, dann müsste er jetzt fünfzig Jahre alt sein! Ein Fünfzigjähriger konnte doch unmöglich wie ein Dreißigjähriger aussehen!
 

„Sagen Sie, wie haben Sie es eigentlich geschafft so jung zu bleiben in all den Jahren?“
 

„Mindestens sieben Stunden Schlaf, eine ausgewogene Ernährung und, dass ich aufgehört habe zu rauchen, hat wohl auch seinen Teil dazu beigetragen. Und seit wann trägst du eigentlich eine Brille?“
 

„Anders als Sie schlage ich mir die Nacht um die Ohren. Die Arbeit als professioneller Mangazeichner hat so seine Spuren hinterlassen.“
 

„Du bist Mangazeichner? Das ist ja toll“
 

„Naja, geht so. Aber erzählen Sie doch mal, Sensei, wie sind Sie eigentlich hierher gekommen? Der Weg war doch sicher weit.“
 

„Ich kenne da gewisse Abkürzungen.“
 

„Sind Sie mit dem Zug gekommen?“
 

„Naja, genauso wie du auch.“
 

Satoru lief es eiskalt über den Rücken. Seine Stimme war so ruhig und doch verriet sein hinterhältiges Lächeln und der zweideutige Unterton, dass da was nicht stimmte. Was sollte das denn bedeuten? Abkürzung? Genauso wie er auch? Meinte er damit vielleicht den Rerun? War er am Ende nicht der Einzige, der solche Zeitsprünge vollbringen konnte? Verdammt, wieso sprach der Kerl nur so in Rätseln?
 

Er wollte Yashiro darauf ansprechen, doch der fing just in diesem Moment so an zu Lachen, dass er fast vom Stuhl fiel und Satoru sich allen Ernstes fragte, ob er da nicht doch zu viel rein interpretiert hatte. Trotzdem fühlte er sich total verunsichert. Letztendlich konnte er bei seinem Rerun das Schicksal zwar ändern und Kayo, Aya und Hiromi retten - sicher lebten sie jetzt immer noch in der Kleinstadt auf Hokkaido - jedoch hatte er nie erfahren, wer der Entführer und Mörder war. Plötzlich war der Rerun einfach so zu Ende gewesen und er befand sich wie aus heiterem Himmel wieder in Chiba. War es am Ende sein eigener Lehrer gewesen, der ihn jetzt in der Zukunft heimsuchte? Doch so wie der sich fast am Boden vor Lachen kullerte - so einer konnte bestimmt kein Mörder sein.
 

„Danke fürs Essen. Sorry, ich gehe duschen und danach gleich ins Bett. Muss morgen früh raus.“ Augenrollend stand Satoru auf, legte seinen Teller in die Spüle und verschwand in dem kleinen Badezimmer, wo er das heiße Wasser über seinen Rücken laufen ließ und nachdachte.
 

Yashiro räumte währenddessen höchst amüsiert auf. Gewieft wie er war, hatte er es tatsächlich geschafft sich in die Wohnung des Schwarzhaarigen zu schleichen. Glücklicherweise war er dem Jüngeren ein Stück voraus und konnte ein kleines Katz-und-Maus-Spiel mit ihm spielen. Allerdings wollte er ihn nicht allzu lange zappeln lassen. In den nächsten Tagen würde er das Geheimnis aufdecken wollen, schließlich verfügte Satoru über die gleiche Fähigkeit wie er.
 

Während das warme Wasser auf seinen Körper herunter prasselte, versuchte sich Satoru zu beruhigen. Wieso war aus heiterem Himmel dieser Typ aufgetaucht? Und wieso übernachtete der jetzt bei ihm auch noch? So würde er doch kein Auge zu bekommen. Nur daran zu denken, dass dieser Adonis von Mann die ganze Nacht neben ihm liegen würde, raubte ihm fast den Verstand. Er war attraktiv, charmant und wortgewandt aber auch irgendwie mysteriös. Als er noch sein Schüler war, hatte er ihm ab und an durch die zerzausten Haare gewuschelt und gesagt „Wo hast du nur deinen Kopf, Satoru.“ als er mal wieder zum x-ten Mal seine Hausaufgaben vergessen hatte. Es hatte in ihm das Verlangen ausgelöst, noch mehr von ihm berührt werden zu wollen.
 

Schon als Kind fühlte er sich so zu ihm hingezogen. Seine rehbraunen Augen versprühten so viel Wärme und Verständnis, wenn man darin eintauchte. Manchmal jedoch war ihm als sehe er darin einen blutroten Schimmer. Damals schon hatte er das Gefühl, dass sein Lehrer zwei Persönlichkeiten haben musste - eine äußere, die er jedem zeigte und eine innere, die er verborgen hielt. Auch, wenn er nett war, war er irgendwie zu nett. Die Kinder - er war dabei keine Ausnahme - und alle mochten ihn. Als Erwachsener jedoch wusste er, dass die Sache einen Hacken haben musste. Kein Mensch war so perfekt. Die Nettigkeit und sein Charme, alles war nur Schein - eine Fassade. Sicher hatte auch er seine Geheimnisse und dunklen Seiten. Yashiro - was verbarg er wohl hinter ihm.
 

Es würde sicher nicht leicht sein dahinter zu kommen, Yashiro würde sicher nicht mit offenen Karten spielen. Am meisten irritierten ihn seine zweideutigen Bemerkungen, die es ihm eiskalt über den Rücken laufen ließen. Als hätte er seinen eigenen Mörder zu sich ins Haus eingeladen. Und doch konnte er nicht anders. Wie ein kleiner Junge war er ihm absolut verfallen und würde alles für ihn tun. Selbst, wenn er noch eine Weile bei ihm bleiben wollte, würde er ihm das gestatten. Um noch etwas länger in seiner Nähe sein und seine Anwesenheit genießen zu können, würde er die schellenden Alarmglocken in ihm ignorieren.
 

„Das Bad ist jetzt frei, Sensei.“, sagte er nachdem er sich geduscht hatte und mit einem kleinen Handtuch noch seine feuchten Haare etwas abrieb. Bettfertig trug er schon seinen Pyjama und trat in das Schlafzimmer, wo Yashiro gerade dabei war zwei Futons nebeneinander auszubreiten.

„Sie schlafen auch hier?!“, schrie der Frischgeduschte entsetzt als sich diese Szene vor ihm darbot und musste das aufkommende Nasenbluten in ihm unterdrücken.
 

„Du hast doch nur ein Schlafzimmer und da ich noch einen Futon im Schrank gefunden habe, dachte ich…“, erklärte der Braunhaarige unschuldig. Tatsächlich erschien es ihm als das natürlichste der Welt, dass sie nebeneinander schlafen würden - immerhin waren sie zwei erwachsene Männer, was sollte schon passieren.
 

„Ach egal…“, gab sich Satoru geschlagen und legte sich in einen der Futons. Es hatte sowieso alles absolut keinen Sinn, der Mann machte eh was er wollte.
 

Es war ein langer Tag und er war einfach nur verwirrt. Und je mehr er daran dachte, dass sein ehemaliger Adonis-Lehrer neben ihm schlief, würde es eine noch längere, schlaflose Nacht werden.

Dienstag

Als Satoru am nächsten Morgen aufwachte war er alleine im Zimmer. Der Futon neben ihm war sorgfältig zusammengelegt und an die Zimmerwand geschoben worden. Der Schwarzhaarige selbst war ganz verschwitzt. Die ganze Nacht über hatte er erotische Träume gehabt und gefühlte, wie Yashiros Hände über seinen erregten Körper glitten und ihn fast zum Abspritzen brachten.
 

„Guten Morgen…“
 

Vorsichtig steckte er sein Gesicht aus der Türspalte heraus um zu sehen, ob die Luft rein war, denn er hatte einen monstermäßigen Ständer in seiner Unterhose, war vom Schweiß klitschnass und musste sich bei einer Morgendusche erst einmal frisch machen - und vor allem „runter“kommen. Dabei hatte er Glück, denn der Braunhaarige war gerade dabei Frühstück zu machen und hatte ihm den Rücken zugedreht.
 

„Ich würde gerne duschen gehen, wenn es Recht ist…“ Ob da keine Gegenfragen kommen würden? Immerhin hatte er erst gestern Abend geduscht.
 

„Ja, tu dir keinen Zwang an. Ich brauche sowieso noch etwas mit dem Frühstück.“
 

Puh, noch einmal Glück gehabt. Das war das Startsignal, das es ihm ermöglichte blitzschnell aus der Türspalte zu verschwinden und ins Badezimmer zu huschen, während Yashiro immer noch dabei war das gerollte Omelette in der Pfanne zu braten. Von draußen hörte dieser nur, wie das aus dem Duschkopf spritzende Wasser anging und Satoru kurz darauf einen unterdrückten Schrei in Form eines „AH, kalt!!!“ losließ, was ihn teuflisch schmunzeln ließ.
 

Natürlich war er darüber im Bilde, dass er seinem ehemaligen Schüler eine schlaflose Nacht bereitet hatte. Schon am frühen Morgen lag er wach im Futon neben seinem Geliebten und hatte ihn amüsiert beobachtet, wie er leicht aufstöhnte und sich unter der Decke hin und her wand. Ob er ihn in seinem Traum wohl zum Kommen gebracht hatte? Jedenfalls würde er noch früh genug dafür sorgen, dass Satoru in den Geschmack seiner weitreichenden Techniken kommen würde.
 

Während Yashiro schon fast fertig war und neben frisch gekochtem Reis, Misosuppe, gerolltem Omelette, einem kleinem Salat auch ein Stück gebratener Lachs hinzu gekommen war, setzte sich nun auch Satoru frisch angezogen an den kleinen Tisch. Wie gestern Abend schon schmeckte auch heute morgen das traditionell japanische Frühstück fantastisch. Wenn die Qualität der leckeren Gerichte weiterhin konstant blieb, würde er durchaus in Erwägung ziehen, den Braunhaarigen zukünftig in seiner Wohnung als Gast zu dulden. Als Gegenleistung wollte er natürlich drei Mal am Tag so gut verköstigt werden.
 

„Ich habe heute den ganzen Tag über mehrer Meetings. Es wird also spät werden.“ Irgendwie lag in seiner Stimme ein überheblicher Ton, was er gar nicht beabsichtigt hatte. Im Gegenteil, diese Meetings waren ihm echt zu wider. Sie führten zu nichts und wieder nichts und raubten ihm eigentlich nur seine kostbare Zeit, die er dazu nutzen könnte, um an seinem Storyboard zu arbeiten.
 

„Alles gut, mach dir keinen Stress. Aber iss zwischendurch etwas, hast du verstanden?“ Yashiro machte sich etwas Sorgen, nachdem er gestern die gähnende Leere in seiner Küche vorgefunden hat. Mehrer Meetings über den ganzen Tag verteilt - das hörte sich stressig an, ob da wohl auch Pausen eingeplant waren? Satoru war erschreckend dünn, da wollte er ein Auge auf seine Ernährung haben.
 

„Wenn du das nächste Mal solche Meetings hast, sag Bescheid, dann kann ich dir ein Ben…“, plötzlich fiel die Tür zu, „…to machen.“, beendete Yashiro seinen Satz halbherzig. Satoru war so schnell mit dem Frühstück fertig, hatte sich die vorbereitete Tasche um die Schulter gehängt und war ohne ein weiteres Wort gegangen. Der musste ja wirklich ziemlich beschäftigt sein.
 

Aber zumindest hatte er aufgegessen - stellte der Braunhaarige zufrieden fest, als er die Teller und Schälchen abräumte. Da Satorus Küche zu klein war um eine Geschirrspülmaschine unterzubringen, musste er wohl alles per Hand spülen. Als er das erledigt hatte würde er sich dran machen, die Wohnung aufzuräumen und währenddessen die Waschmaschine laufen zu lassen. Den Swiffer schwingend fand er sogar richtig Spaß in seiner Rolle als Hausmann.
 

Es hinterließ in ihm auf jeden Fall ein angenehmes und befriedigendes Gefühl nach getaner Arbeit die Wohnung so blitzblank aufgefrischt zu sehen. Der Boden war gewischt, das Geschirr abgespült und wieder in die Schränke eingeräumt, die Wäsche gewaschen und zum Trocknen auf dem kleinen Balkon aufgehängt. In seiner kleinen Mittagspause - dazu bereitete er sich ein belegtes Sandwich zu - nutzte er die Zeit um sich die Mangaskizzen an den Wänden genauer anzusehen.
 

Mit dem belegten Sandwich in der einen Hand und einer Tasse Kaffee in der anderen wanderte er von einer Wandseite zur anderen - fast so wie bei einem Rundgang in einer Galerie. Es schien eine Superheldengeschichte zu sein. Und erfolgreich war der Titel anscheinend auch - zumindest hangen an der Wand auch richtige Animeausschnitte und ein Kinoposter. Dass es der junge Mann so weit gebracht hatte, war ihm gar nicht in den Sinn gekommen, als er gestern seinen Beruf so nebenbei erwähnt hatte und nicht weiter darauf eingehen wollte. Er wechselte so schnell das Thema, dass er eigentlich angenommen hatte, Satoru wäre es unangenehm darüber zu sprechen. Normalerweise war das der Fall, wenn sich - egal in welchem Beruf - der Erfolg in Grenzen hielt. Heute Abend wollte er der Sache aber nachgehen.
 

Nach seiner kleiner Mittagspause stand nicht mehr viel auf seinem Programm. Eigentlich musste er nur etwas einkaufen gehen. Dazu musste er allerdings zunächst einmal wissen, was er überhaupt kochen wollte und so schrieb er erst einmal eine Koch- und danach eine Einkaufsliste. Wenig später also erkundete er die Gegend etwas, schlenderte durch die Läden und Supermärkte und ging mit den Einkäufen dann wieder nach Hause.
 

Dort angekommen sortierte er einige Dinge in den Kühlschrank, während er länger haltbare Dosen und den Reis in den Schrank räumte. Frisches Obst kam in einer Schale direkt auf den Tisch. Nun war es schon nach sechs Uhr und der Braunhaarige wartete - fast wie ein Hündchen - voller Vorfreude auf sein „Herrchen“. Mit dem Kochen fing er noch nicht an, da Satoru ja schon angedeutet hatte, dass es später werden könnte. Er wollte also unter keinen Umständen, dass das Essen schon kalt war, wenn er nach Hause käme.
 

Während der Fernseher im Hintergrund lief und der Stundenzeiger der Wanduhr von sechs auf sieben, acht, neun und schließlich zehn Uhr fiel, begann er sich doch langsam Sorgen zu machen. Draußen hatte es auch wieder angefangen heftig zu schneien. Dicke Schneeflocken fielen wie Federn vom Himmel als würde Frau Holle ihr Daunenbett gerade besonders stark ausschütteln. Ein Blick in den Eingangsbereich bestätigte ihm auch, dass der Jüngere keinen Regenschirm mitgenommen hatte.
 

Da es eh nichts brachte, sich Löcher in den Bauch zu sorgen, schnappte er sich seinen Mantel, zwei Schirme - einen für sich und einen für Satoru später - und machte sich auf den Weg zur Bahnstation. Die Wohnung war eher am Stadtrand gelegen und um zu seiner Verlagsfirma zu fahren, müsste er sicher mit der Bahn ins Zentrum fahren.
 

Für Satoru war es ein anstrengender Tag gewesen. Er hasste es wie die Pest wenn die Leute vom Verlag ihn einbestellten. Mit der Bahn ins Zentrum fahren, von der Haltestelle zum Verlagsgebäude durch die vollen Straßen und dann mit der Bahn wieder zurück fahren - das waren definitiv zu viele Menschen für ihn, die ihn an einem Tag umgaben.
 

Früher als Kind war er nicht so. Diese komische Menschenphobie hatte er erst seit der High School entwickelt. Einen wirklichen Grund oder Auslöser gab es nicht. Doch wenn er nachmittags von der Schule nach Hause kam, sperrte er sich in seinem Zimmer ein und schlief meistens vor Erschöpfung auf seinem Bett ein. Dann merkte er, dass es die vielen Menschen und die Interaktion mit ihnen waren, die ihn so anstrengten.
 

Auf der Zeichenschule suchte er sich gezielt Kurse aus, deren wöchentliche Teilnahme optional und nur zum Ablegen der Prüfung an die Schule kommen musste. So lebte er immer mehr zurück gezogen in seiner kleinen Wohnung. Sein Talent im Zeichnen spielte ihm dabei in die Hände. Ein Beruf den man von zu Hause ausüben konnte, war genau das richtige für einen unsozialen Menschen wie ihn. Dabei war es nicht so, dass er eine Abneigung gegen seine eigene Spezies hatte, sondern vielmehr die Tatsache der körperlichen und geistigen Erschöpfung, die für ihn daraus resultierten. Und diese vielen Menschenmassen, egal ob in der Bahn oder auch bei den Meetings, waren einfach zu viel für ihn.
 

Total geschlaucht war er nun endlich an seiner Bahnstation angekommen. Mittlerweile war es halb elf - ganz schön spät, aber wenigstens waren in der Bahn nicht mehr so viele Leute gewesen. Müde schlürfte er mit schweren Beinen durch den neu liegen gebliebenen Schnee. Mit seiner fünfprozentigen Aufmerksamkeitsspanne hatte er aus dem Fenster der Bahn gerade noch so mitbekommen wie stark es wieder angefangen hatte zu schneien. Es war kalt und windig, doch auch das bekam er fast gar nicht mehr mit. Seine Akkus waren fast aufgebraucht, während er sich nur noch auf den Bewegungsablauf „Laufen“ konzentrieren konnte.
 

Als er einmal vom Boden aufblickte, war ihm, als hätte er verschwommen am Ende der Straße seinen ehemaligen Klassenlehrer gesehen. Seine Augen waren aber so müde, dass das Bild nicht schärfer wurde und er es schließlich auch als reine Einbildung ignorierte. Er wollte jetzt einfach nur noch nach Hause. Dort würde sicher schon der groß gewachsene Braunhaarige auf ihn warten. Nur das wünschte er sich jetzt.
 

Plötzlich hatte er nicht aufgepasst und stolperte tatsächlich über seine eigenen Füße. Er war schon darauf gefasst, dass er gleich mit dem harten, kalten Boden Bekanntschaft machen würde, doch stattdessen wurde er sanft aufgefangen.

„Nanu, Satoru, alles in Ordnung? Schläfst du schon im Gehen ein?“, hörte er Yashiros verwunderte Stimme, der ihn mit seinem Körper gestützt hatte.
 

Erschöpft lag er an der Schulter des Älteren angelehnt um sich für einen Moment zu erholen. Wünsche schienen ja doch noch in Erfüllung zu gehen.

„Entschuldigung Sensei, es geht gleich wieder. War nur ein echt anstrengender Tag.“, erklärte der Jüngere und genoß es Yashiros wohlige Wärme zu spüren und seinen angenehmen Geruch einzuatmen. Tatsächlich konnte er gar nicht glauben, wie sich schon nach ein paar Sekunden seine entleerten Akkus wieder füllten und er sich schon wesentlich besser fühlte.
 

Verwundert war der Braunhaarige schon etwas über Satorus Reaktion. Gestern und heute morgen war er noch so mürrisch und jetzt schien er verschmust wie ein kleines Kätzchen zu sein. War irgendetwas passiert? Er sah schon ziemlich fertig aus. Sollte ihm das Sorgen bereiten? Vielleicht wurde er von irgendjemand auf der Arbeit gemobbt. Unter normalen Umständen würde er den jungen Mann so schnell wie möglich nach Hause bringen, allerdings war das heute nicht der richtige Ort für so viele Gespräche. Ein Ortswechsel würde den beiden - und vor allem Satoru - gut tun.
 

„Lass uns doch zur Feier des Tages noch etwas trinken gehen.“ - hörte er die Stimme seines Lehrers und konnte aufgrund seines benommenen Zustandes die Bedeutung den Worten nicht zuordnen. Vielleicht war das der Grund weshalb er sich wenig später plötzlich in einer - Gott sei Dank menschenleeren - Bar wiederfand. Außer ihnen beiden war niemand da.
 

Es war eine Hotelbar. Eigentlich wunderte er sich, dass das Hotel überhaupt geöffnet war. Gäste schienen nämlich gerade keine darin zu übernachten, umso überraschender also, dass die Bar geöffnet hatte. Satoru bestellte sich ein Chu-Hai Lemon, da es das einzige war, das er als Nicht-Alkoholkonsument, vertrug. Alkoholische Getränke schmeckten ihm, egal was es war, überhaupt nicht. Deshalb war er dazu gezwungen, auch wenn er mit seinem Redakteur zum Abschluss eines Projekts einen trinken ging, etwas auszusuchen, wo man den Alkohol möglichst nicht rausschmeckte. Dabei war er auf die verschiedenen Chu-Hai Sorten gestoßen und seitdem dabei geblieben.
 

Nach seinem zweiten Glas fühlte er sich bereits fiel leichter, redefreudiger und bereit seinem ehemaligen Klassenlehrer sein Herz auszuschütten: „In der Anfangsphase lief das Geschäft noch ziemlich schleppend. Meine Redakteure wechselten häufig und waren mit meinen Entwürfen nie zufrieden. Langsam aber sicher verzweifelte ich, ob ich als Profi überhaupt gut genug wäre. Dann brachte ich einen Entwurf zu Blatt, der meinem damaligen Redakteur tatsächlich gefiel. Die Serie wurde in einem beliebten Magazin veröffentlicht und war gleich ein voller Erfolg. Es folgte auch eine Adaption als Anime.“
 

„Das ist doch toll, oder nicht?“ Yashiro hörte aufmerksam zu, während er genüsslich an seinem Glas nippte. Doch so positiv, wie sich die Geschichte anhörte, würde sie sicher nicht bleiben. Sonst wäre Satoru sicher nicht so fertig gewesen. Und er sollte Recht behalten, denn -
 

„Naja. Je größer die Beliebtheit des Manga und des Anime wurden, desto mehr wollten mein Redakteur und der Verlag, dass ich mein Gesicht zeigte, Radiointerviews gab oder Signierstunden auf Messen abhielt. Ich habe alles immer abgelehnt, weil ich eher schüchtern bin und bei solchen Gelegenheiten immer vor lauter Nervosität kein Wort rausbringe. Außerdem mag ich Menschenansammlungen einfach nicht und die Vorstellung, dass mich Leute auf der Straße erkennen und nach Autogrammen fragen könnten, bereitet mir ebenfalls Bauchschmerzen.“
 

„Das hört sich wirklich nicht gut an. Früher warst du doch so ein offener Junge, hattest viele Freunde. Erstaunlich, dass du dich so verändert hast.“ Nun war der Braunhaarige doch etwas besorgt. Anfangs hätte er nie gedacht, das der Jüngere solche Probleme hatte. Tatsächlich klang es aber so als hätte er noch nie mit jemandem darüber geredet. Hatte er überhaupt Freunde, denen er so etwas erzählen konnte? Anscheinend nicht, sonst würde er sicher nicht gerade ihm seine Seele offenbaren.
 

„Ich bin ja auch nicht glücklich damit. Bei den ganzen Meetings heute ging es auch darum, dass ich mir doch endlich einen Ruck geben sollte. Aber ich mag es nicht, wenn andere mich dazu zwingen. Manchmal möchte ich den Vertrag mit dem Magazin auflösen und bei einem kleineren Indie-Label anfangen. Sensei, können Sie mir nicht einen Rat geben, was ich tun soll?“
 

Schlag auf Schlag hatte sich die Stimmung verändert. Eigentlich war Yashiro davon ausgegangen, dass Satoru einfach mal eine Schulter zum Ausjammern brauchte. Dass es hier tatsächlich um Lösungsansätze gehen sollte, war ihm nicht bewusst. Als der Schwarzhaarige ihm mit seinem Gesicht dann auch noch immer näher kam und ihn mit einer protestierenden, auf den Tresen klopfenden Geste und einem „Ich bitte Sie, Sensei!“ anbellte, war nun er derjenige, der sich unter Druck gesetzt fühlte und sich regelrecht an seinem Whiskey verschluckte. Für den Nichttrinker Satoru war es mittlerweile das dritte Glas, während er immer noch an seinem ersten nippte. Das war wohl etwas zu viel des Guten, denn der Schwarzhaarige war bis über die Ohren hochrot angelaufen und sah ihn mit glasigem Blick durch die Brille fordernd an.
 

„Nun Satoru…“, fing der Ältere räuspernd an und versuchte sich zu fassen. Er packte den Jüngeren an den Schultern und drückte ihn zunächst etwas von sich weg, sonst würde ihm der Whiskey wahrscheinlich auch noch zu Kopf steigen und die Pferde mit ihm durchgehen. Dass sich ihr Verhältnis so schnell weiterentwickelte, begrüßte er zwar, allerdings wollte er das neu gewonnene Vertrauen auch nicht gleich verspielen. Außerdem verbat ihm seine Berufung als Lehrer einen ernst gemeinten Hilferuf auszuschlagen, vor allem auch deshalb, weil Satoru ja wirklich einmal sein Schüler war.
 

„Vielleicht fängst du am besten erst einmal an das Sensei wegzulassen. Du kannst mich ruhig beim Vornamen nennen.“ Nun war es Yashiro selbst, der etwas rot anlief. Oh man, was war das denn bitte für ein Lösungsansatz. Das hatte ja nicht einmal etwas mit dem ursprünglichen Thema zu tun. Satoru musste sich fragen, ob er überhaupt zugehört hatte. Doch glücklicherweise schien dieser das vorherige Gespräch auch schon vergessen zu haben.
 

Denn der wurde jetzt noch röter als zuvor und rief entsetzt: „Was? Das geht nicht! Ich kann das nicht!“ Die gleiche Antwort - und zwar genau in der gleichen Art und Weise - bekamen Satorus Redakteure wahrscheinlich schon seit Jahren zu hören, wenn sie ihn zu einer Signierstunde überreden wollten. Wenigstens ein Gutes hatte es auf jeden Fall: Nämlich, dass er den Jüngeren etwas aus seiner depressiven Gedankenschleife heraus gelockt hatte.
 

„Na los, versuch es mal. Nenn mich Gaku, G-A-K-U!“
 

„Ga….ku….“ ……………………. „Sensei!“
 

„Nein, nur Gaku reicht vollkommen.“
 

„Aber das kann ich nicht.“ Und so ging es die ganze Zeit.
 

Oje, das dauert wohl noch etwas…, dachte Yashiro insgeheim.
 

Letzten Endes hatte sich die angespannte Atmosphäre gelöst, während sie noch etwas darüber lachten, was Satoru mit der Menge an Alkohol im Blut nicht schwer fiel. Dafür war der Heimweg umso schwerer. Zwar lag das Hotel praktisch um die Ecke, doch obwohl Satoru dünn wie ein Besenstiel war, wog er eine gefühlte Tonne. Waren das die allseits bekannten „schweren“ Knochen, von denen man manchmal sprach?
 

Satorus Akkus waren zwar wieder gefüllt, nun war es aber so als würde das Betriebssystem immer wieder abstürzen - zumindest führte es dazu, dass der hagere junge Mann nicht mehr aufrecht gehen konnte. Einen Taxifahrer wollte er nicht rufen, weil es sich wirklich um lächerliche fünfhundert Meter handelte. Das würde er schon schaffe - dachte er anfangs. Jetzt da er Satorus Arm über seine Schulter geschwungen hatte und ihn so versuchte stützend bis zur ihrer Wohnung zu bringen, war er sich nicht mehr so sicher.
 

Nach einer geschlagenen Ewigkeit waren sie nun endlich bei dem Wohnhaus angekommen, sodass er es „nur noch“ die Treppe hoch schaffen müsste. Würde er dieses Training mehrmals in der Woche absolvieren, könnte er sich auf jeden Fall das Fitness Studio sparen. Oben angekommen, war Yashiro froh seinem Bauchgefühl gefolgt zu sein, denn er hatte nämlich schon vorsorglich die beiden Futons ausgebreitet.
 

Fix und fertig legte er den Schwarzhaarigen in seinen Futon, entkleidete ihn etwas und legte seine Brille zur Seite. Keine Sekunde später schien Satoru auch wie ein Stein zu schlafen, während er sich schnaufend an der Wand anlehnte um wieder zu Kräften zu kommen. Seine Augen hatten sich mittlerweile an die Dunkelheit gewöhnt und so hatte er Zeit die erwachsene Version des kleinen Satoru genauer zu betrachten, die er streng genommen erst seit gestern kannte.
 

Er war wirklich ziemlich dünn und wirkte zerbrechlich, wahrscheinlich war das stressbedingt und Satorus Erzählungen nach zu schließen, schien er ein ziemlich pessimistischer Mensch zu sein, der sich über alles zu viele Gedanken machte. Keine Spur von dem fröhlichen kleinen Jungen aus der Vergangenheit, der ihm von seinem Lieblingssuperhelden Wonder Guy erzählt hatte. Was war nur passiert?
 

Um sich seinen Geliebten näher ansehen zu können, rutschte er von der Wand etwas weg und saß nun genau neben dem Schlafenden auf dem Boden. Seine Haut war rein und eben, fast wie bei einer Frau und seine Haare zwar zerzaust aber fein wie Seide. Wie von selbst bewegte sich seine Hand, um das Gesicht des Schlafenden zu berühren und schreckte kurz davor zurück.
 

Was mach ich denn? So einer bin ich doch nicht, dachte sich Yashiro mürrisch aber auch beschämt über sich selbst und stand aus seinem Schneidersitz auf. Fast hätte er Satorus Hilflosigkeit ausgenutzt. Um Schlimmeres zu verhindern - nicht, dass er sich selbst nicht traute, aber sicher war sicher - wollte er das Zimmer verlassen und erst einmal duschen gehen.
 

Doch dann ließen ihn ein leises Aufstöhnen und unverständliche Wörter, die Satoru im Schlaf vor sich hin brabbelte, inne halten. War es ein schlechter Traum, der ihn jetzt schon heimsuchte? Allerdings war ihm als hätte er seinen Namen gehört. Er blieb stehen und versuchte so mucksmäuschenstill wie möglich zu sein. Und dann, tatsächlich…

„Gaku-san…“ hörte er seinen Geliebten in die Stille des Raumes winseln.
 

Träumte er etwas von ihm? Sie waren sich erst gestern wieder begegnet und er spielte schon in seinen Träumen eine Rolle? Aber was noch viel bedeutsamer war: er nannte ihn tatsächlich bei seinem Vornamen, obwohl er sich vorhin noch so dagegen gesträubt hatte. Diese Erkenntnis ließ sein Herz vor Glück an die Decke springen. Nie hätte er es für möglich gehalten, dass ein kleines Wort aus dem Mund des Jüngeren ihn so glücklich machen würde.
 

Jetzt war es auch um ihn geschehen. Der Stimme seines Geliebten folgend, drehte er sich um und beugte sich über dessen wunderschönes Antlitz. So viele Jahre hatte er auf ihre Begegnung gewartet und nun konnte er sich einfach nicht mehr beherrschen. Sein Herz schmerzte unter dem endlosen Verlangen, das er für den jungen Mann hegte, zu sehr, als dass er sich jetzt noch zurückhalten könnte. Er wollte ihm nah sein, noch viel näher als zuvor und er wollte ihn berühren. Ja, er war selbstsüchtig und ungeduldig. Wer konnte es ihm schon verübeln? Es gab nicht Viele, die behaupten konnten mehrere Jahrzehnte, geschweige denn Jahrhunderte, auf ihre Liebsten gewartet zu haben.
 

Jetzt hatte er nur einen Wunsch: Dass sein Geliebter nicht aufwachen würde, denn er war gerade dabei ihm einen Kuss aufzuhauchen. Wie ein Windhauch so leicht und und sanft berührte er die Lippen des Jüngeren und traute sich nicht den Druck zu verstärken. Umso erschrockener war er als er bemerkte, dass Satoru die Arme um seinen Hals schlang und ihn zu sich herunter zog um den Kuss zu verstärken. Für einen Moment dachte er, er wäre aufgewacht, doch dann legte er den Gedanken wieder beiseite. Wenn das der Fall war, würde es nur bedeuten, dass er sich nach diesem Kuss genauso gesehnt hatte wie er.
 

Satoru, ich liebe dich, dachte Yashiro innerlich und genoß den Kuss in vollen Zügen. Doch plötzlich merkte er, wie der unter ihm Liegende von ihm ab ließ und dessen Arme schwer zu Boden fielen. Er war wohl doch im Halbschlaf gewesen, stellte der Ältere fest. Oder es war Gottes Werk gewesen, der sich mit ihm einen Scherz erlaubt hatte. Zumindest kam er sich vor wie als hätte man einem hungrigen Hündchen mit dem Würstchen vor der Nase herum gewedelt.
 

Trotzdem war er so glücklich, wie schon lange nicht mehr, denn es war das erste Mal seit vielen, vielen Wiedergeburten, dass er seinem Geliebten so nahe gekommen war.

Mittwoch

„Guten Morgen…“ Wieder einmal war Satoru an diesem Morgen alleine aufgewacht. Wieder einmal war er schweißgebadet gewesen und hatte einen Ständer in der Hose. Heute kamen aber auch noch immense Kopfschmerzen dazu. Außerdem hatte er einen Filmriss und konnte sich an nichts mehr erinnern was gestern Abend nach der Bar passiert und wie er überhaupt nach Hause gekommen war.
 

„Guten Morgen, Satoru. Du kannst gerne duschen gehen. Ich brauche sowieso noch etwas mit dem Frühstück.“ Hatte Yashiro gestern diesen Satz nicht auch ganz genau so gesagt? Stand er gestern nicht ganz genau so an der Küchenzeile und bereitete das gerollte Omelette vor? Wüsste er es nicht besser, hätte er schwören können, dass er sich in einer Rerun-Schleife befand, doch dafür waren die Kopfschmerzen und der Filmriss zu realistisch.
 

Der Schwarzhaarige schlich sich also abermals mit seiner Wechselkleidung bedeckt ins Badezimmer und ließ das eiskalte Wasser schmerzhaft über sich fließen. Sollte Yashiro weiterhin bei ihm Wohnen fragte er sich ernsthaft, ob das nicht zu einer neuen Morgenroutine werden würde. Andererseits musste er zugeben, dass er die letzten zwei Tage früher als sonst aus dem Bett gekommen war. Und um ehrlich zu sein, hatte er sich auch gefreut, dass da jemand in der Küche stand und ein Frühstück zubereitete.
 

Fertig geduscht und angezogen setzte er sich an den Frühstückstisch und besah sich das heutige Festmahl: gebratene Würstchen, ein Spiegelei, knuspriger Toast, Marmelade und dazu ein Glas Orangensaft und eine Tasse Kaffee. Wie sollte er das nur alles aufessen?

„Ich hoffe, du hast heute etwas mehr Zeit für das Frühstück.“, sagte Yashiro, der den überraschten Blick des Jüngeren erhascht hatte und sich zu ihm an den Tisch setzte.
 

„Sensei, also,…“, begann Satoru verlegen, „…danke, dass du…Sie…also, danke für das Frühstück. Ich weiß das wirklich sehr zu schätzen. Und auch für gestern Abend, dass ich mich aussprechen konnte.“ So, jetzt war es endlich raus. Eigentlich wollte er sich gestern Abend schon bedanken, hatte aber nicht die richtigen Worte gefunden. Außerdem war er nach dem langen Tag und dem vielen Alkohol wirklich zu erschöpft gewesen.
 

Doch je mehr er darüber nachdachte, desto mehr realisierte er, dass sich Einiges verändert hatte, seitdem sein ehemaliger Klassenlehrer bei ihm aufgetaucht war. Seit er in diese Stadt gekommen war, hatte er weder Freundschaften geschlossen, noch sonst irgendwelche sozialen Kontakte geknüpft. Auch den Leuten bei der Arbeit wich er häufig aus und verbrachte nicht mehr Zeit mit ihnen als nötig. Einerseits war er einsam gewesen, andererseits war er auch sehr wählerisch was sein soziales Umfeld anbelangt. Yashiro war der Erste den er seit vielen vielen Jahren so nahe an sich heran kommen hat lassen - und sein Vertrauen war bisher noch nicht enttäuscht worden. Das Problem zwischen dem „du“ und dem „Sie“ bestand aber nach wie vor.
 

Auch, wenn Yashiro sich geschmeichelt fühlte, störte ihn das „Sensei“ und das „Sie“ ihn ganz gewaltig und er zuckte unwillkürlich zusammen. Dabei waren Sie gestern Nacht schon viel weiter gewesen. Aber natürlich konnte er es Satoru nicht verübeln, wenn er alles vergessen hatte. Immerhin war er nicht mal bei vollem Bewusstsein gewesen. Deshalb wollte er dem Jüngeren etwas auf die Sprünge helfen und dabei die Atmosphäre etwas auflockern.
 

„Übrigens Satoru, du hast mich gestern beim Vornamen genannt. Wir können also gerne dabei bleiben.“, erklärte er und zwinkerte seinem Gegenüber charmant zu.
 

„Was?! Wann?!“
 

„Ich Halbschlaf.“
 

„Und was ist dann noch passiert?“
 

„Och nichts…“
 

„Sie…Du lügst doch!“
 

„Überhaupt nicht.“
 

Satoru war absolut sprachlos. Hatte er das tatsächlich oder nahm der Ältere ihn da gerade auf den Arm? Wahrheit oder Lüge? Seiner Erinnerungslücke wegen konnte er den Wahrheitsgehalt dieser Behauptung also überhaupt nicht einschätzen. Trotzdem war es ihm unangenehm den Älteren beim Vornamen zu nennen. Beim Vornamen nannten sich nur Kinder, Paare oder Ehepartner. Sie gehörten doch zu keiner dieser Personengruppen und dennoch bestand Yashiro so sehr darauf.
 

Andererseits verstand er auch, dass er bei dem „Sensei“ auch nicht mehr bleiben konnte. Gestern in der Bar wurden sie schon seltsam angestarrt und wenn sie zusammen in den Supermarkt gingen war es nicht anders. Wäre es wirklich in Ordnung ihn beim Vornamen zu nennen? Gaku-san. Das klang irgendwie total vertraut, als würden sie sich schon eine Ewigkeit kennen und sich nahe stehen, obwohl sie sich erst vorgestern getroffen hatten.
 

Plötzlich wurde er aus seinen sich im Kreis drehenden Gedanken durch das schellende Telefon heraus gerissen. Wer konnte das nur zu dieser frühen Uhrzeit sein? Er warf einen kurzen Blick auf die Anzeige, auf der „Mutter“ stand und fuhr kurz zusammen. Unter keinen Umständen wollte er diesen Anruf beantworten, wer weiß, was diese Frau wieder im Schilde führte.
 

„Willst du nicht rangehen?“, fragte Yashiro erstaunt, da Satoru das Telefon weiter klingeln ließ.
 

„Es ist nur meine Mutter. Ich werde sie später zurück rufen.“, erklärte Satoru, doch da war der Lehrer schon aufgesprungen und mit einem „Ach, deine Mutter. Dann lass mich doch rangehen. Ich habe sie lange nicht mehr gesprochen.“ zum Telefon gegangen.
 

„Nein, auf gar keinen Fall!“, schrie der Schwarzhaarige panisch und schnellte mit einem „Ja, hallo?“ zum Hörer, während er Yashiro mit Händen und Füßen von sich fern hielt. Dieser versuchte ihm nämlich mit einem geflüsterten „Lass mich doch auch mal…“ ihm den Hörer abzunehmen. So entbrannte zwischen ihnen ein kleiner Kampf um das Telefon, während Satoru versuchte so normal wie möglich zu klingen.
 

„Hallo Satoru, na wie geht’s dir? Stör ich gerade?“
 

„Nein, Mutter, alles in Ordnung.“ Diese Hexe, sie ahnte bestimmt schon wieder etwas.
 

„Hör mal, ich mache mir etwas Sorgen, dass du nicht ordentlich isst und dachte mir, ich könnte dich ja besuchen kommen.“
 

„Das wäre aktuell sehr ungünstig, Mutter.“, versuchte er sie loszuwerden, doch gerade jetzt war es im Hintergrund so laut, dass sie Verdacht schöpfte.


„Ist jemand bei dir?“
 

„Nein, wie kommst du denn darauf? Das ist nur der Fernseher. Warte einen Moment, ich mache ihn schnell leiser.“ Vor ihr konnte man aber auch nichts verbergen. Und wenn er nicht wollte, dass sein Geheimnis jeden Moment aufflog, dann musste er Yashiro zum Schweigen bringen. Er zerrte den Braunhaarigen zum Frühstückstisch zurück, platzierte ihn auf seinem Stuhl und gab ihm mit einem sehr bösen und eindringlichen Blick zu verstehen, dass er still zu sein hatte.
 

Seine Mutter durfte auf gar keinen Fall nach Chiba kommen und - schlimmer noch - diese Wohnung betreten! Dass sie auch noch erfuhr, dass er hier mit seinem ehemaligen Klassenlehrer zusammen lebte - wie peinlich wäre das denn? Das war jetzt das Letzte, das er brauchen konnte. Außerdem würden dann noch mehr unangenehme Fragen aufkommen. Das würde in einer Katastrophe enden.
 

Doch obwohl seine Mutter für gewöhnlich einen äußerst guten Riecher hatte, schien er sie zunächst abwimmeln zu können. Er erklärte, dass er gerade bis über den Kopf in Arbeit stünde, der nächste Abgabetermin immer näher rückte und er gerade absolut keine Zeit für einen Gast hätte. Die Arbeit ging nun mal vor und diesen Grund sah sie auch durchaus ein.
 

„…Naja, wie auch immer, anscheinend wäre es ein schlechter Zeitpunkt vorbei zu kommen. Dann schaue ich ein anderes Mal vorbei.“ Geschafft! Er hatte sie tatsächlich überzeugt! Sie würde vorerst nicht kommen und sein Geheimnis würde weiterhin ein solches bleiben. Da fiel ihm wirklich ein Stein vom Herzen.
 

Er wollte gerade auflegen, da sagte seine Mutter noch zum Schluss: „Ach und noch etwas, Satoru…Benutz bitte ein Kondom, okay?“ Tuuut. Tuuut. Tuuut. Satoru starrte ungläubig das Telefon an. Oh. Mein. Gott. Was zum Teufel sollte das denn? Wusste sie es oder wusste sie es nicht? Sie wusste es definitiv. Auch, wenn sie unmöglich wissen konnte, dass genau Yashiro bei ihm war - dann wäre sich wirklich eine Art Hellseherin - hatte sie ihn doch durchschaut. Diese Hexe, sie sollte wirklich für den Geheimdienst arbeiten.
 

Aber Kondom?! Hallo?! Was für Unterstellungen machte sie ihm da eigentlich?! Und überhaupt, wieso musste sie das auch laut aussprechen! Das ging ja mal gar nicht. Es war schon schlimm genug, dass sie diese Vorstellung in ihrem Kopf entwickelt hatte, aber dass sie ihn auch noch darauf ansprach und ihm einen Ratschlag gab - das war wirklich die Höhe. Wer wollte denn schon von seiner Mutter darauf angesprochen werden - niemand! Er konnte es nur immer und immer wieder denken: diese Hexe!
 

Nachdem er einige Mal tief ein- und ausgeatmet und sich beruhigt hatte, ging er wieder zurück an den Esstisch wo der Braunhaarige mit Dackelblick und imaginär wedelnden Hundeschwanz brav auf ihn gewartet hatte - zumindest machte sein Blick nun den Anschein, dass er dafür nun auch gelobt werden wollte.
 

„Und, geht es deiner Mutter gut? Was hat sie erzählt?“, fragte er naiv und sah ihn neugierig an. Natürlich - wie konnte es auch anders sein - hörte er ihre Stimme gedanklich wieder - „Kondom“. Als sich ihre Blicke dann noch trafen, musste er unweigerlich erröten und hustete nervös um sich erst einmal zu beruhigen. Vor ein paar Minuten war er noch ein unschuldiger Mensch ohne Hintergedanken gewesen, bis ihm diese Hexe diese Flausen in den Kopf gesetzt hatte.
 

„Ja, es geht ihr gut…“, antwortete er in einem Hustenanfall, wollte das Gespräch logischerweise aber auch nicht vertiefen und war Yashiro dankbar, dass er seine Körpersprache richtig deutete und nicht weiter nachfragte, auch wenn er über seinem Kopf ganz viele Fragezeichen standen und er vor Neugierde platzte.
 

Still wurde es zwischen ihnen, während sie weiter ihr Frühstück zu sich nahmen und dabei kein Wort miteinander wechselten. So still, dass das Knuspern des Toastes, das Klirren des Metallbestecks auf den Porzellantellern unangenehm widerhallte. Satoru musste einfach ein anderes Gesprächsthema anschneiden, sonst würde er das nicht lange aushalten. Doch anscheinend hatte Yashiro die gleiche Idee gehabt und so begannen beide synchron mit einem „Hör mal…“ um dann wieder mitten im Satz aufzuhören.
 

„Du zuerst.“, gab Yashiro seinem Gastgeber den Vortritt.
 

„Nein, du zuerst.“, erwiderte nun auch Satoru was dem ganzen eine gewisse Situationskomik gab.
 

Der Ältere musste feststellen, dass sie wohl beide etwas nervös waren, auch, wenn es Satoru, der gerade zwei Mücken-Probleme zu Elefanten gemacht hatte, nicht aufgefallen war. Tatsächlich hatte sich der Jüngere so sehr reingesteigert, dass ihm Yashiros eigene Nervosität vollkommen entgangen war, denn auch er hielt schon die ganze Zeit hinter dem Busch und machte er sich, seit er so urplötzlich vor Satoru aus dem Nichts aufgetaucht war, darüber Gedanken.
 

Doch letztendlich musste auch er sich seinen Problemen stellen: „Ich würde dir gerne heute Abend ein paar Dinge erzählen. Also…“ Natürlich war das Frühstück, der Beginn des Tages, kein geeigneter Zeitpunkt, also verlegte er das Gespräch auf den Abend. Außerdem empfand er es als das beste, wenn Satoru sich schon einmal gedanklich darauf einstellen konnte. Der Sensible war mit nicht gerade ein Meister darin mit spontanen Aktionen umzugehen.
 

„Klar, kein Problem.“, antwortete sein Gegenüber überraschend sorglos und erklärte seinen heutigen Zeitplan, „Ich muss heute nur noch ein paar Seiten fertig zeichnen und treffe mich dann mit meinem Redakteur zur Übergabe am Nachmittag in einem Café. Das geht ganz schnell. Danach komme ich gleich wieder.“ Irgendwie schien Satoru seltsam vergnügt zu sein. Lag es an Yashiros Präsenz? Freute er sich einfach nach Hause zu kommen nach einem langen Arbeitstag?
 

Nachdem er mit dem Frühstück fertig war, schwang der Schwarzhaarige sich seine regenfeste Tasche über die Schulter und verließ das Haus. Viele Mangaka hatten ihren Arbeitsbereich zwar zu Hause, er allerdings hatte sich ein kleines Einzimmerbüro mit einem Schreibtisch gemietet, das er fast täglich aufsuchte, wenn er an seinem Manga oder anderen Projekten arbeitete, denn auch unsoziale Menschen hatten den Drang danach Arbeit und Leben getrennt zu halten. Da sein „Büro“ auch in fußläufiger Nähe war, musste er auch keine öffentlichen Verkehrsmittel benutzen und der Spaziergang an der frischen Luft tat einem wie ihm, der sonst keiner Sportart nachging, auch ganz gut.
 

Doch kaum hatte er die Wohnung verlassen und die Tür hinter sich geschlossen überkam ihn ein seltsames Gefühl. Traurigkeit, Melancholie, Sehnsucht und das Gefühl etwas sehr Wichtiges vergessen zu haben. War es ein Traum, an den er sich nicht erinnern konnte? Nein, denn dann würde es ihm ja nicht schon seit dem Tag so gehen, an dem sich Yashiro bei ihm eingenistet hatte. Wenn er genauer darüber nach dachte wurde dieses Gefühl, diese Stimme in ihm lauter, wenn er in seiner Anwesenheit war.
 

Wenn sein ehemaliger Lehrer ihn mit seinen brauen Rehaugen sanft ansah und ihn mit diesen Lippen anlächelte, dann war es als würde er sagen „Ich hab dich vermisst“ und „Erinnerst du dich denn nicht?“ Ja, an was sollte er sich erinnern? Was hatte er vergessen? Es war nicht nur eine Erinnerungslücke in seinem Kopf. Nein, sein ganzer Körper, jede Faser in ihm versuchte sich so sehnlich an dieses verlorene Stück zu erinnern. Was war es nur? Egal, wie sehr er es versuchte, es gelang ihm nicht.
 

Seit dem Rerun waren viele seiner Erinnerungen durcheinander geraten und die Zeiten hatten eine Verzerrung erlebt. Die Welt der Vergangenheit, die der Zukunft und die Welt seiner jetzigen Gegenwart hatten sich vermischt. Kein Wunder, immerhin hatte er den Lauf der Geschichte geändert. Ehrlich gesagt hatte er seit seinem Zeitsprung vergessen, wieso er überhaupt in die Vergangenheit gereist war. Was war der eigentliche Grund gewesen? Sicher, er wollte Kayos, Ayas und Hiromis Schicksal ändern, doch es gab noch etwas anderes? Hatte er nicht noch irgendetwas, irgendjemanden dort gesucht? Wieso hatte er es vergessen?
 

Auch Yashiro schien etwas Wichtiges auf dem Herzen zu liegen. Worüber er nur mit ihm sprechen wollte? Vielleicht würde der heutige Abend Klarheit bringen. Vielleicht hatte er die Antwort auf seine Frage und beide Stücke würden perfekt zueinander passen - wie zwei Puzzleteile. Er konnte es kaum erwarten, wieder nach Hause zu gehen.
 

Währenddessen hatte der Braunhaarige zu Hause ganz andere Sorgen. Heute Abend würde er ihm also die Wahrheit sagen. Es war auch schon längst überfällig, denn er musste Satoru so schnell wie möglich auf ihrer beider Fähigkeiten aufmerksam machen. Wer weiß, wie viel Zeit ihm noch vergönnt war. Es war das erste Mal, dass er so lange in der gleichen Zeit wie sein Geliebter verharren konnte. In seinen vorherigen Leben war es nie länger als ein Tag gewesen. Dann hatte ihn der Rerun wieder in seine ursprüngliche Zeit zurück katapultiert und das Fenster war für immer geschlossen. Deshalb durfte er keine Zeit verlieren - bevor es zu spät war.
 

Der Tag ging schneller vorbei als angenommen. Satoru brachte die Übergabe in Lichtgeschwindigkeit hinter sich und eilte nach Hause, wo er von einem wohligen Duft erwartet wurde. Da es draußen immer noch bitter kalt war, bereitet Yashiro heute Abend ein Oden - einen Eintopf mit viel Gemüse - zu. Als letztes Topping gab er dann noch ein hartgekochtes Ei, Winterrettich, Tofu und kleine Hackfleischbällchen aus Hühnchen in die beiden halb vollen Schüsseln. Der angenehme Geruch der Dashibrühe aus Konbu und Bonito-Flocken erfüllte die ganze Wohnung und hüllte sie in eine angenehme Wärme.
 

„Willkommen zurück, Satoru. Zieh dich schon mal um, ich bin gleich fertig.“, begrüßte ihn der Ältere, während er noch am Herd stand und alle Hände voll zu tun hatte. Der Jüngere widerstand der Versuchung zur Küchenzeile zu gehen und ihm über die Schulter zu schauen und warf sich zunächst einmal in seinen gemütlichen, warmen Hausanzug. Auch, wenn der Winter sie noch fest im Griff hatte, war er darüber nicht ganz unglücklich, denn auch diese Jahreszeit hatte ihre Vorteile. Man konnte kuschelige Pullis und Jogginghosen tragen, sich unter dem Kotatsu aufwärmen und den ganzen Tag in den eigenen vier Wänden verbringen, weil es zu kalt war rauszugehen. Er liebte diese Jahreszeit und mit Yashiro war es irgendwie noch schöner.
 

Am Esstisch stellte ihm der Braunhaarige eine der zwei großen Schüssels voll mit heißem Eintopf direkt vor die Nase. Solche aufwändigen Gerichte hatte er nicht mehr gegessen seit er von zu Hause ausgezogen war, denn so etwas gab es nicht einmal im Konbini. Nun wurde er doppelt aufgewärmt - von außen und von innen. Er spürte förmlich wie die Wärme ihn durchdrang, fast so als würde er von dem Älteren umarmt werden.
 

Nun war jedoch der Moment der Wahrheit gekommen und während Yashiro beide Teller wieder abräumte, positionierte sich Satoru aufrecht auf seinem Stuhl und war für alles bereit: „Du wolltest doch mit mir reden.“

„Ja, in der Tat.“, antwortete Yashiro, der sich ebenfalls wieder dazu gesetzt hatte und nicht wusste, wo er anfangen sollte.
 

Er hielt ein paar Sekunden inne, doch je länger er wartete desto unsicherer wurde er. Sollte er das Thema wirklich ansprechen? Würde es nicht alles, was er bisher aufgebaut hatte, zerstören? Satoru bemerkte seine Unsicherheit und legte seine Hand Mut zusprechend auf seine und fragte: „Ist es etwas Schlimmes?“
 

„Nein, ist es eigentlich nicht, aber…“, Yashiro atmete noch einmal tief ein, „…du musst mir versprechen, dass du mich unter allen Umständen zuerst zu Ende erzählen lässt, bevor du Fragen stellst, in Ordnung?“

„Verstanden.“, willigte der Jüngere in den Deal ein. Nun konnte er, Gaku Yashiro, damit beginnen sein Geheimnis Stück für Stück zu offenbaren.
 

„Satoru, ich weiß, dass du die Gabe hast mit dem Rerun in die Vergangenheit zu reisen.“
 

Geschockt riss der Angesprochene weit die Augen auf. Wieder lief ihm so ein eiskalter Schauer über den Rücken. Was? Wieso? Woher? Natürlich schossen ihm jetzt tausend Fragen durch den Kopf. Woher wusste Yashiro davon? Was hatte das alles zu bedeuten? Doch er würde sein Versprechen halten und sich die Geschichte zu Ende anhören.
 

„Die Wahrheit ist, dass ich die gleiche Gabe habe wie du. Auch ich beherrsche ihn - den Rerun. Auch ich kann durch die Zeit reisen, genau wie du. Allerdings gibt es zwischen dir und mir ein paar Unterschiede: Bei dir ist es so, dass nur dein Geist, nicht aber dein Körper, in den Zeitsprung vollbringen kann. Ich hingegen kann im Besitz meines ganzen Körpers in die Zukunft oder in die Vergangenheit reisen ohne meine Erscheinung zu ändern.“
 

Dann kam es ihm also doch nicht anormal vor, dass sich der Ältere physisch nicht verändert hatte. Irgendwie war er jetzt sogar erleichtert. Das würde bedeuten, dass er nur ein paar Jahre älter war als er selbst und nicht - wie er ursprünglich gerechnet hatte - schon über fünfzig.
 

„Tut mir Leid, dass ich dich angelogen habe. Du hattest natürlich recht - obwohl fast zwanzig Jahre vergangen sind und du dich zu einem Erwachsenen entwickelt hast, habe ich mich kein Stückchen verändert. Das liegt daran, dass ich genau der selbe Gaku Yashiro wie aus deiner Kindheit bin. Genau wie du vor einiger Zeit, habe auch ich einen Zeitsprung durchgeführt. Und weißt du woher ich das wusste?“
 

Das Herz schlug ihm bis zum Hals. Dieses teuflische Grinsen. Irgendwie hatte er das Gefühl, dass er die Antwort nicht wissen wollte, aber da das eine rhetorische Frage war, würde er die Antwort bekommen, ob er sie wollte oder nicht.
 

„Als ich vor zwei Tagen an der Brücke erschienen bin, war es nicht das erste Mal, dass wir uns trafen. Nein, das erste Mal trafen wir uns nämlich als du wie tanzenden Kirschblüten ins Klassenzimmer gestürmt bist. Nach und nach habe ich an deinen Äußerungen festgestellt, dass diese nicht aus dem Mund eines Kindes stammen können. Nun ja und dann musste ich nur noch eins und eins zusammen zählen.“
 

Satoru musste schwer schlucken. Er erinnerte sich daran. An den Tag in der Vergangenheit als er zu spät war und in das Klassenzimmer reinplatzte. Und daran, dass sein Lehrer oft seine Nähe suchte. Umgekehrt war es genauso. Die vielen Gespräche im Lehrerzimmer und auch das letzte, bei dem er diese komischen Andeutungen machte. Er hatte es also gewusst. Schon die ganze Zeit.
 

„Erlaube mir nur eine Frage:“, hackte der Braunhaarige nach, der seine Reaktion schon die ganze Zeit mit Argusaugen beobachtete, „Wieso bist du in die Vergangenheit gereist? Auch, wenn ich die gleiche Fähigkeit habe wie du, macht mich das noch lange nicht zum Hellseher. Aber vielleicht bist du ja einer?“
 

War er ein Hellseher? Konnte er in die Zukunft sehen? Ja und nein. Als jemand der die Zukunft kannte, war er in die Vergangenheit gereist um sie zu ändern. Nicht um seinetwillen, sondern für andere Menschen, die ihm wichtig waren. Zu einem Hellseher machte ihn das aber nicht. Eher zu einem Menschen, der sich von seiner eigenen Schuld befreien wollte.
 

„Kayo Hinazuki, Hiromi Sugita, Aya Nakanishi - die drei waren in meiner Grundschulzeit verschwunden und nach einiger Zeit tot aufgefunden wurden. Erst Jahre später kam ich darauf, dass ich als kleiner Junge hätte etwas für sie tun können. Ich wollte sie retten und das Verbrechen aufklären. Mit allen Dreien habe ich mich so gut befreundet, dass der Mörder keine Chance hatte, auch, wenn ich seine Identität letztendlich nicht feststellen konnte. Alle Drei leben heute noch auf Hokkaido. Dass ich den Mörder letztendlich nicht ausfindig machen konnte, ist mir aber egal. Wichtig ist nur, dass sie leben.“
 

„Das ist doch toll. Du bist ein wahrer Held!“, lobte ihn der Ältere für seine Tat. Dass es noch jemanden gab, der Reruns beherrschte überraschte ihn. Einerseits dachte er immer, er wäre der Einzige mit dieser Fähigkeit. Dachte, er wäre eine Art Auserwählter. Im Nachhinein waren ihm diese Gedanken peinlich. Andererseits war er auch erleichtert darüber. Endlich gab es jemanden mit dem er sein Geheimnis teilen konnte und der ihn nicht für verrückt erklärte. Yashiro war auch der Erste, der ihn einen „Held“ nannte. Er selbst sah sich nicht so, aber, dass es jemand gab, der ihm diesen Titel verlieh, freute und beschämte ihn zugleich.
 

„Naja, nicht wirklich.“, erklärte Satoru und sah bedrückt auf sein Glas, denn es war nur die halbe Wahrheit, die er hier offenbart hatte. Es gab noch einen Grund, den er nicht wusste. Das verlorene Puzzlestück schien auch Yashiro für ihn nicht bereit zu halten. Und immer noch fühlte er dieses Loch in seinem Herzen.
 

„Ich habe auch eine Frage:“, nun drehte er den Spieß um, „Woher hast du…habe ich…woher haben wir diese Fähigkeit?“ Vielleicht würde er doch noch Antworten erhalten, die ihm der Auflösung seiner Frage näher brachten, denn er stellte sich hier als der heilige Samariter dar, allerdings hatte er das Gefühl, dass er nicht ganz uneigennützig in die Vergangenheit gereist war.
 

„Tja, mein Lieber, diese Gabe hast du von Ihm erhalten. Er mochte dich schon immer am liebsten, deshalb hast du die Fähigkeit bekommen alle zu retten.“ Yashiro hatte sich zurück gelehnt und seinen Gegenüber amüsiert angesehen. Nun war er wieder in seinem Element und Satoru ein Stück voraus, „Lass uns aber für heute erst einmal Schluss machen. Ich glaube, du solltest eine Nacht drüber schlafen und die Informationen verdauen.“
 

Hin- und hergerissen willigte der Schwarzhaarige ein. Wer war „Er“? Von wem sprach Yashiro da? Einerseits wollte er noch mehr in Erfahrung bringen, andererseits hatte der Ältere wahrscheinlich Recht. Trotzdem beschäftigte ihn das ganze Gespräch noch sehr, während er unter der Dusche das warme Wasser über seinen Körper laufen ließ. Wo war er da bloß hineingeraten?
 

Seit Yashiro zu ihm gestoßen war, hatte er das Gefühl sich ihm anvertrauen und sich bei ihm Fallenlassen zu können. Diese Gefühl war nun verschwunden. Stattdessen machte sich Einsamkeit und Traurigkeit in ihm breit und es war, als hätte sich der Braunhaarige von ihm etwas entfernt. Irgendwie war er auch sauer. Was war das für ein Spiel, das er mit ihm spielte? Wahrscheinlich war die Sache mit dem Rerun nur die Spitze des Eisbergs gewesen und es gab noch viel mehr Dinge, die er nicht wusste. All die Informationen, die Yashiro in der Hand hielt und nur nach seinem Gutdünken preisgab und die Willkür, der er ausgesetzt war, ließen in ihm das Gefühl der Unsicherheit aufkommen. Als wäre er in ein Katz-und-Maus-Spiel verwickelt.
 

Als er in das Schlafzimmer kam, lag Yashiro schon wartend im Futon neben seinem. Mürrisch machte er das Licht aus, legte sich ebenfalls in seinen Futon mit dem Rücken zu seinem Nebenmann und versuchte so schnell wie möglich einzuschlafen.
 

„Schläfst du schon?“
 

„Lass mich, ich bin schlecht gelaunt.“, gab Satoru patzig zu. Kein Wunder. Yashiro hatte eine solche Reaktion erwartet. Allerdings hatte er auch damit gerechnet, dass der Schwarzhaarige ihn rausschmeißen würde - das schlimmste Szenario, das er sich ausgemalt hatte. Sein Geliebter schien überaus launisch zu sein. Glücklicherweise hatte er in den letzten Tagen gelernt mit diesen Launen umzugehen. Und er hatte auch gelernt, dass bei Satoru nichts so heiß gegessen, wie es serviert wurde. Am nächsten Morgen würde er sich beruhigt haben. Und wenn er seine Gefühle richtig deutete, dann war es auch weniger Wut und Hass, sondern vielmehr Trauer, die aus ihm heraus sprach.
 

Doch egal wie lange er Yashiro zu ignorieren versuchte, konnte Satoru einfach nicht einschlafen. Und nun hatte er auch noch seine schlechte Laune an ihm ausgelassen, für die der Ältere gar nichts konnte. Super - jetzt fühlte er sich nicht nur wie ein ausgenutztes Opfer, sondern hatte auch noch ein schlechtes Gewissen. Die perfekte Kombination um in einen erholsamen Schlaf und wohlige Träume überzugehen. Und eigentlich, wollte er das ja alles gar nicht. Ja, eigentlich wollte er sich vertragen.
 

„Du, Gaku-san…“, nuschelte er schüchtern in seinem Bettdecke, „Hast du noch mehr Geheimnisse vor mir?“ Diese Geheimniskrämerei nervte ihn. Er wollte das alles nicht. Er fühlte sich diesem Mann doch so hingezogen, dass es einfach nur wehtat, so hintergangen zu werden. Nach und nach wurde das naive Bild, das er von seinem ehemaligen Klassenlehrer hatte, dem er immer vertrauen und alles sagen konnte, zerstört.

Während Satoru immer noch mehr oder weniger hartnäckig versuchte die beleidigte Leberwurst zu spielen - was ihm aber nicht gelang - eroberte er mal wieder Yashiros Herz mit seiner miserablen Schauspielkunst. Er fand ihn so süß, dass er nicht anders konnte als näher an ihn heranzurücken und ihn von hinten mit einem Arm seitlich zu umarmen.

„Ja, es gibt da noch Einiges. Aber mach dir keine Sorgen, Satoru, ich werde dir alles Schritt für Schritt erklären. Vertrau mir.“
 

„Okay.“, erklärte der Umarmte überglücklich und kuschelte sich in seinen Futon. Ja, jetzt war alles wieder in Ordnung und so konnte er beruhigt einschlafen, denn es war wie der Himmel auf Erden von dem Älteren umarmt zu werden. So warm und liebevoll. Als hätte ein sanfter Engel seine schützenden Flügel um ihn geschlungen.
 

Stattdessen war es nun der Braunhaarige, der sich schlecht fühlte. Dabei war es keine Lüge. Er würde sein Versprechen halten und ihm nach und nach alles erzählen. Allerdings hatte er beschlossen, dass es Dinge gab, die er weiterhin für sich behalten würde. Heute hatte er ihm von ihrer beider Rerun-Gabe erzählt und dass diese sich voneinander unterschieden. Einen Unterschied hatte er ihm bereits genannt, doch es gab noch einen weiteren Unterschied. Einen, den er Satoru bei seiner Offenbarung verschwiegen hatte. Denn genauso wie Gott einige Engel mehr liebte als andere, stattete er sie auch unterschiedlich aus. Sein und Satorus Rerun Fähigkeit unterschieden sich fundamental voneinander - in einem einzigen Punkt.

Donnerstag

Als Yashiro am nächsten Morgen aufwachte, war es immer noch etwas dunkel, jedoch zeichnete sich der nahende Sonnenaufgang aber durch den heller werdenden Himmel ab. Lautlos entglitt er dem Futon neben seinem Geliebten und verließ das Zimmer. Weiter kam er jedoch nicht, sondern brach gleich an dem kleinen Esstisch zusammen. Sein Schädel brummte wie verrückt, als wären es die schlimmsten Kopfschmerzen seines Lebens.
 

Während sein Herz schneller und stärker in seinem Brustkorb pumpte, zitterten seine Muskeln innerlich unter dem Schwächeanfall. Waren das die Auswirkungen des Rerun? Es war das erste Mal, dass er solche Symptome hatte, deshalb konnte er es nicht hundertprozentig darauf hin zurück führen. Da es aber schon der dritte Tag in Satorus Zeit war, konnte es nur damit zusammenhängen.
 

Nachdem Yashiro die Wucht der ersten Schmerzwelle mit dem Kopf auf dem kühlen Tisch liegend abgewartet hatte, ging er ins Bad und schwang sich zunächst kaltes Wasser ins Gesicht und danach gleich eine Schmerztablette hinterher. Hoffentlich half das Zeug etwas. Er wollte unter gar keinen Umständen, dass Satoru etwas bemerkte. Bis nach dem Frühstück müsste er also durchhalten. Einige Minuten saß er auf dem Toilettendeckel während er die Wirkung der Tablette abwartete. Tatsächlich schien es ihm nach einer viertel Stunde soweit besser zu gehen, dass er sich an der Zubereitung des Frühstücks machen konnte.
 

Als Satoru eine Stunde später aufwachte, war alles vollkommen normal - wie die letzten Tage auch. Yashiro stand kochend in der Küche und er schlich sich an der Wand vorbei ins Badezimmer. Ein Morgen wie immer, doch plötzlich hörte er ein lautes Scheppern, das aus der Küche zu kommen schien und ihn so erschrak, dass er mit dem im Waschbecken hängenden Kopf gegen den sich darüber befindenden Spiegelschrank stieß.
 

Erschrocken öffnete er die Tür einige Zentimeter, um nach dem rechten zu sehen. Dabei sah er Yashiro auf dem Boden knien und einige Scherben aufheben.

„Entschuldige,“ lächelte er verlegen, „Mir ist der Teller aus der Hand gefallen.“ Eigentlich untypisch für den sonst so selbstsicheren Älteren, der immer alles im Griff zu haben schien. Trotzdem dachte sich Satoru nichts dabei, schloss die Tür und widmete sich weiter seiner morgendlichen Badroutine, die er noch nicht beendet hatte.
 

Wie üblich breitete sich an seinem Platz des Frühstückstisches ein Festmahl aus, wohingegen ihm die gähnende Leere auf Yashiros Seite auffiel.

„Bist du seit heute Morgen auf Diät, oder was soll das?“, fragte er und deutete mit seinem Finger auf den einsamen Kamillentee und erntete als Antwort wieder einmal ein geheimnisvolles nichts-verratendes Lächeln.
 

Mittlerweile lebten Satoru und Yashiro nun jedoch schon drei Tage zusammen und, wenn es eines gab, das Satoru in diesen drei Tagen über den Braunhaarigen gelernt hatten, dann, dass er nichts aus ihm rausbekommen würde. Nur, dass er jünger war, bedeutete noch lange nicht, dass er dümmer oder naiver war. Er war kein kleiner Junge - auch, wenn Yashiro ihn oft so behandelte - und spürte, dass etwas in der Luft lag.
 

Außerdem hatte er seit gestern Abend schmerzlich gelernt zu akzeptieren, dass der Ältere selbst entschied, wann er welches Geheimnis von sich preis gab. Er allein entschied das. Schon seit dem zerbrochenen Teller hatte er gemerkt, dass etwas nicht stimmte. Doch er würde nichts aus ihm heraus bekommen. Kein Sterbenswörtchen. Nicht mehr als dieses Lächeln. Vielleicht meinte er es auch gar nicht böse oder er interpretierte nur zu viel in die Situation hinein.
 

Ungehalten frühstückte er zu Ende, brachte das benutzte Geschirr zur Spüle und machte sich für die Arbeit fertig. Eigentlich hätte er nichts Wichtiges zu erledigen, ein Ortswechsel würde ihm sicher gut tun. Manchmal brauchte er diese räumliche als auch zeitliche Distanz. Wenn er abends zurück kommen würde, wäre er bestimmt anders drauf - und Yashiro auch.


Wie gewohnt zog er Schuhe und Jacke an und schwang sich seine Tasche über die Schulter.

„Bin heute Abend so gegen sechs zurück.“, meinte er kühl und schloss die Tür hinter sich.

Gott sei Dank - er war endlich weg und hatte von allem nichts mitbekommen. Geschwächt stützte er sich einen Moment an der Wand ab, um wieder etwas zu Kräften zu kommen. Gar nicht so leicht diese höllischen Kopfschmerzen zu ignorieren. Die Maskerade war ihm aber gelungen und Satoru hatte von allem nichts gemerkt.


Unter Schmerzen schlürfte er wieder zum Frühstückstisch und vergrub seinen pochenden Kopf in seinen Armen. So verweilte er ein paar Minuten und glücklicherweise ließ das Pochen etwas nach. Als es ihm besser ging, wollte er sich aufmachen das Geschirr zu spülen, doch das war auch leichter gesagt als getan. Sobald er aufstand und sein Kreislauf wieder in Schwung kam, schoss das Blut in seinen Kopf. Ein Gefühl als würde sein Kopf platzen. Noch dazu bekam er diesen komischen Schüttelfrost und konnte sich kaum mehr auf den Beinen halten.
 

Als seine Knie nachgaben und er umzukippen drohte, versuchte er sich noch mit den Händen an der Spüle festzuhalten. Dabei erwischte er mehrere gestapelte Teller und Gläser, die entweder auf den Boden oder in die Spüle fielen, einige zerbrachen.

„Scheiße!“, fluchte Yashiro mehr über die schlechte Konstitution seines Körpers als das zerbrochene Geschirr. Mittlerweile war er sich sicher, dass das Gottes Werk sein musste. Solche Kopfschmerzen waren nicht normal und wahrscheinlich ein Zeichen, dass ihn das gleiche Schicksal wieder ereilen würden.
 

Nein, er würde sich sicher jetzt noch nicht ergeben. Nicht kampflos. Nicht, wo er schon so weit gekommen war. Gott, das konnte doch nicht sein Ernst sein. Das würde er nicht akzeptieren. Aber diese Kopfschmerzen trieben ihn einfach in den Wahnsinn. Sie waren so schlimm, dass er kraftlos an der Spüle herunter glitt und in den in dem Geschirrscherbenhaufen landete.

„Sorry, hab meinen Geldbeutel vergessen.“ - unvermittelt ging plötzlich die Tür auf und Satoru trat herein.
 

Seine Augen weiteten sich vor dem Bild, das sich ihm bot. Vor ihm auf dem Boden lag ein zusammengebrochener Yashiro in einem Meer aus Scherben.

„Gaku-san!!!“, rief er panisch und eilte zu dem am Boden Liegenden, „Um Himmels Willen, was ist denn passiert?!“ Vorsichtig packte er ihn an den Schultern und legte dessen Kopf auf seinen Schoß. Als er seine Hand auf die Stirn legte, bemerkte er das hohe Fieber und brachte Yashiro schnell zu ihren Futons.
 

„Mensch, wieso hast du nicht vorher gesagt, dass es dir so schlecht geht?!“
 

„Ach, mach dir keine Sorgen, das ist bestimmt nur eine leichte Erkältung.“

„Machst du Witze, deine Stirn glüht! Für heute ist Bettruhe angesagt! Um das Essen werde ich mich kümmern.“
 

„Tut mir Leid, wegen der Umstände.“
 

„Das sind doch keine Umstände. Werd du mir lieber schnell wieder gesund!“
 

„Wie schon gesagt: ist sicher nur ’ne Erkältung…“
 

Wieder versuchte Yashiro sich ein Lächeln auf die Lippen zu zwingen, obwohl es ihm miserabel ging. Aber was sollte er dem Jüngeren auch sonst sagen? Wie sollte er es ihm erklären? Vielleicht hatte er auch Glück und Gott würde ihn noch eine Weile verschonen. Jetzt galt es jedoch Satorus Rat zu befolgen, sich zu schonen und etwas zu schlafen.
 

Währenddessen versuchte der Blauhaarige das zu Bruch gegangene Geschirr so leise wie möglich aufzusammeln und die Splitter aufzukehren. War das ein Schreck gewesen Yashiro so auf dem Boden liegen zu sehen! Seine Hände zitterten immer noch ein bisschen und sein Körper stand unter Hochspannung. Gut, dass er zurückgekommen war. Was wäre bloß gewesen, wenn er seinen Geldbeutel nicht zu Hause vergessen hätte?
 

Besorgt kreisten seine Gedanken darum, was jetzt zu tun wäre und wie er dem Älteren helfen könnte. Er fühlte sich irgendwie hilflos und wollte dieses Gefühl durch Tatendrang loswerden. Dennoch gab es nicht viel, das er tun könnte. Einem Kranken half meistens nur Geduld, Schlaf und Bettruhe. Auch Medikamente wirkte nicht immer die gewünschten Wunder. Für ihn als Betroffenen hieß es nur abwarten und Tee trinken.
 

Apropos Tee - sicher half ihm ein leichtes aber gesundes Mittagessen um wieder zu Kräften zu kommen, nachdem er zum Frühstück nur einen Kamillentee getrunken hatte. Um sich also nicht ganz nutzlos zu fühlen, ging er schnell zum nächsten Kombini und kaufte ein paar Zutaten ein und fing dann an zu kochen.
 

Sicher ging es ihm nicht so leicht von der Hand wie Yashiro, aber eine Misosuppe mit verschiedenen Gemüsessorten und etwas Hühnchenreis würde auch er irgendwie hinbekommen. Nach ein paar Stunden hatte er das Mahl fertig kreiert, servierte alles in zwei kleine Schüsseln und brachte diese mit einem Tablett zum Schlafzimmer.
 

Vorsichtig klopfte er zunächst am Türrahmen um sich anzukündigen und schob dann die Papiertür zur Seite, doch das Bett war leer. Komisch, vielleicht war er kurz auf die Toilette gegangen ohne, dass er es bemerkt hatte. Er stellte das Tablett also wieder auf dem Küchentisch ab, schloss die Tür und wartete etwas. Es tat sich nichts. Komischerweise kamen auch keine Geräusche aus der Toilette oder dem Bad.
 

Unglaubwürdig, ob seine Vermutung tatsächlich richtig war, klopfte er an der Toiletten- und Badezimmertür. Nachdem er keine Antwort bekam, öffnete er diese einen Spalt um dann festzustellen, dass sich niemand darin befand. Das konnte doch nicht sein! So groß war seine Wohnung nicht, dass man einfach verschwinden konnte! Seine Schuhe standen auch noch im Flur, also konnte er die Wohnung nicht verlassen haben. Dann musste er doch im Schlafzimmer sein!
 

Etwas panisch eilte er wieder an den Ursprungsort seiner Suche und schwang die Tür schnell beiseite. Plötzlich lag Yashiro dort genauso wie Satoru ihn ursprünglich in den Futon gelegt und zugedeckt hatte. Er hatte sich keinen Zentimeter bewegt. Da war doch etwas faul an der Sache. So langsam bekam es der Jüngere mit der Angst zu tun. Seine Wohnung hatte weder einen doppelten Boden, noch sonst irgendwelche Wandschränke in die Yashiro hätte verschwinden können. Wieso lag er vor zehn Minuten nicht da wie jetzt gerade auch? War es überhaupt der wirkliche Yashiro? Oder halluzinierte er jetzt auch schon?
 

Leise kniete er sich hin und besah sich den vor ihm Liegenden. Er schien tief und fest zu schlafen. Sicher ging es ihm hundeelend. Und doch sah er so friedlich und schön beim Schlafen aus. Seine flache Brust hob und senkte sich gleichmäßig. Die Haare dunkelbraun wie Ebenholz, seine Haut rein und weiß wie Porzellan - fast wie bei Dornröschen oder war es Schneewittchen? Er schlief so tief und fest, dass er ihn irgendwie nicht wecken wollte. Gleichzeitig allerdings hatte er das große Bedürfnis danach ihn zu berühren. Zu spüren, dass es ihm gut ging.
 

Yashiros schneeweiße Hand lag etwas außerhalb der Futondecke auf dem Boden. Satoru wollte seine Hand die Hand des Kranken legen. Doch plötzlich spürte er nicht die Körperwärme seiner Haut, sondern nur die Kälte des Tatamibodens darunter. Was hatte das zu bedeuten? Seine Hand war durch ihn hindurchgefahren, als wäre sie nicht da. Und tatsächlich - bei genauerem Hinsehen bemerkte er, dass Yashiro nicht nur blass sondern durchsichtig wirkte. Als würde er verschwinden.
 

„Gaku-san…“, zuerst flüsterte er leise, doch da der Kranke nicht aufwachte, wurde er panisch und schrie schließlich seinen Namen, „Gaku-san! Gaku-san!“ Plötzlich manifestierte er sich wieder mehr und wachte tatsächlich auf.

„Satoru, du bist ja noch da…Ich dachte du wärst zurück auf die Arbeit gegangen.“, flüsterte der Ältere mit schwacher Stimme.
 

„Ich kann dich doch in diesem Zustand nicht hier alleine lassen!“, nun war Satoru richtig ungehalten.
 

„Du musst dir meinetwegen keine Sorgen machen. Schließlich bin ich ein erwachsener Mann und kann auf mich selbst aufpassen.“, witzelte Yashiro, irgendwie war Satoru ja schon süß.
 

Doch Satoru wurde nur noch wütender: „Verarsch mich nicht!“
 

Das allein hatte gereicht um Yashiro zum Schweigen zu bringen und ihm Gehör zu verschaffen: „Es geht nicht nur darum, dass ich mir Sorgen mache! Ich will einfach nicht, dass dir etwas passiert. Nicht ohne, dass ich da bin!
 

Nun schien es auch Yashiro langsam zu dämmern und er sah ihn ungläubig an. Er war doch nicht etwa -
 

„Mann, du hättest dich vorhin fast in Luft aufgelöst!“, schrie ihn der Jüngere nun an.
 

Der Braunhaarige, der sich vorhin etwas aufgesetzt hatte, ließ sich nun wieder erschöpft in den Futon fallen. Er war also für ein paar Sekunden tatsächlich weg gewesen. Ohne, dass er etwas gemerkt hatte. Klar, dass Satoru so panisch reagierte. Wahrscheinlich hätte er ähnlich reagiert, wenn vor seinen Augen jemand verschwunden wäre.
 

Nun wurde er von einem verärgerten Satoru an den Schultern gepackt und aufgefordert: „Gaku-san, du musst mir endlich die Wahrheit sagen! Das ist doch nicht normal, dass du vor meinen Augen…einfach so…“
 

„Weißt du…“, begann Yashiro leise. Wo sollte er nur anfangen? „Er möchte nicht, dass wir zusammen sind. Nach all der Zeit ist er immer noch wütend und ruft mich zu sich.“
 

„Wer?!“, rief Satoru, „Wer zum Teufel ist ‚ER‘?!“
 

„Gott.“
 

Gott? Plötzlich versagte dem Dunkelblauhaarigen die Stimme. Der innere Sturm der bis gerade eben noch in ihm tobte war zu einer regelrechten Windstille geworden. In ihm herrschte nun vollkommene Leere. Eine Information, mit der er absolut nichts anzufangen wusste. Gott? Einige Sekunden sagte keiner der beiden etwas. Doch schließlich war es der Braunhaarige, der seine Stimme als erstes erhob und zu einem längeren Monolog ansetzte.
 

„Weißt du Satoru, im Himmel haben alle Engel weiße bis dunkelbraune Flügel. Es gibt die verschiedensten Muster und Abstufungen. Ich jedoch war der einzige mit pechschwarzen Flügeln. Sie machten mich zum Außenseiter - ja, so etwas gibt es auch unter Engeln. Je mehr mich die anderen ausschlossen, desto spezieller wurde mein Charakter. Ich wurde zu einem echten Unruhestifter, machte die ganze Zeit Probleme und errang Aufsehen. Insgeheim wollte ich, dass mich die anderen bemerkten, wollte ihre Aufmerksamkeit, Gottes Aufmerksamkeit. Und je mehr ich diese Rolle annahm, desto mehr wurde ich ausgegrenzt. Es war wie eine selbsterfüllende Prophezeiung.
 

Du warst der Einzige, der sich mit mir abgab. Wieso weiß bis heute nicht. Vielleicht tat ich dir Leid und du hattest Mitleid mit mir, vielleicht fandest du mich aber auch interessant. Jedenfalls hast du meine Einsamkeit irgendwie aufgefangen und ich hab mich wohl bei dir gefühlt. Eigentlich dachte ich immer, dass du voll der Streber wärst, aber irgendwie fand ich dich dann doch ganz cool. Jedenfalls wurde aus unserer Freundschaft irgendwann…mehr.“
 

Obwohl der Blauhaarige die ganze Zeit ruhig dagesessen und aufmerksam zugehört hatte, schreckte er plötzlich auf: „Moment, wie meinst du das? ‚Mehr‘?“ Unweigerlich kamen ihm wieder die Kondom-Worte seiner Mutter in den Sinn und das Blut stieg ihm immer mehr ins Gesicht. Eigentlich hätte er sich die Frage auch sparen können immerhin gab es nach Freundschaft nur noch ein nächstes Stadium, gerade wenn man in diesem Kontext davon sprach.
 

Yashiro hatte sicher schon bessere Tage gesehen und er konnte immer noch nicht sagen, dass er sich schon lebendiger fühlte, trotzdem musste er bei Satorus schamvollen Gesichtsausdruck unweigerlich schmunzeln und setzte sogar noch einen oben drauf: „Ich meine es genauso, wie ich es sage. Du weißt ganz genau worauf ich hinaus möchte, denn auch du spürst es. Dass zwischen uns etwas ist.“
 

Spätestens jetzt läuteten bei dem Brillenträger die Alarmglocken und Panik brach in ihm aus. „ Du solltest jetzt schlafen, Gaku-san. Mein Gott, du sprichst wie im Delirium. Kein Wunder, du hast ja überhaupt keine Ahnung mehr was du sagst! Also dann, ich gehe jetzt mal einkaufen und besorge bei der Gelegenheit noch etwas aus der Apotheke.“
 

Dabei ließ er Yashiro gar keine Zeit mehr zu antworten, verschwand aus dem Zimmer und hatte noch schneller das Haus verlassen. Seine unter den Haaren hervorstehenden rot angelaufenen Ohren und die roten Wangen glühten in der Winterkälte und hinterließen kleine Nebelwölkchen. Wie ein Flugzeug das seinen Kondensstreifenschwanz hinter sich herzieht. Hier an der frischen Luft musste er sich erst einmal abreagieren. Runter kommen.
 

Irgendwie ging das zwischen ihnen beiden alles viel zu schnell. Vor ein paar Tagen hätte er nicht einmal im Traum daran gedacht, seinem ehemaligen Grundschullehrer über den Weg zu laufen und jetzt - Andererseits war die Zeit, die sie zusammen verbringen konnten, begrenzt. Jede Minute, jede Sekunde mit ihm zusammen war kostbar. Und deshalb wollte er nicht, dass es zu Ende ging.
 

Aufgrund dieser Erkenntnis sollte er eigentlich so schnell wie möglich umkehren. Doch bei dem Gedanken an den im Pyjama gekleideten kränklichen Braunhaarigen schoss ihm so viel Blut in den Kopf, dass er Angst hatte Nasenbluten zu bekommen. Yashiros flache, männliche Brust. Das Pyjamahemd etwas aufgeknöpft. Sein verschmitztes Lächeln. Schon bei dem Gedanken daran wurde er ganz kirre.
 

Deshalb taten ihm der Spaziergang zum Supermarkt und zur Apotheke wahrscheinlich ganz gut. So hatte er auch Gelegenheit über Yashiros Erzählung nachzudenken. Denn das konnte er sich nicht im Geringsten vorstellen. Er sollte mal ein Engel gewesen sein? Und Yashiro auch? Im Himmel? Bei Gott? Wirklich schwer vorstellbar, vor allem nachdem er nicht einmal christlich war. Zumindest würde es erklären, wieso er immer diese mysteriösen blauen Schmetterlinge sah. Doch er hatte noch so viele Fragen. Die Rerun-Fähigkeiten hatten sie also von Gott erhalten. Aber zu welchem Zweck? Und wenn dem so war - wenn sie beide wirklich diese Vergangenheit teilten - wieso konnte sich dann nur der Braunhaarige erinnern?
 

Satoru war durch die ganzen Fragen und Gedanken, die ihm durch den Kopf gingen, so abgelenkt, dass ihm die Menschenmengen bei Einkaufen und in den Straßen gar nichts ausmachten. Im Gegenteil bemerkte er sie dieses Mal gar nicht. Tatsächlich wurde er von vielen sogar komisch beäugt, da er seine zwar seine Winterjacke anhatte, aber seine Schuhe vergessen hatte und stattdessen immer noch seine Hausschuhe trug.
 

Als er wieder nach Hause kam, öffnete er die Schiebetür zum Schlafzimmer einen Spalt und erblickte den friedlich schlafenden Braunhaarigen seelenruhig im Futon liegen. Um ihn nicht zu stören versuchte er beim Einräumen der Einkäufe so leise wie möglich zu sein. Am Abend würde er dem Älteren ein heißes Erkältungsbad einlassen. Auch, wenn Yashiro eigentlich keine Erkältung hatte, konnte das auf keinen Fall schaden.
 

Um die Zeit zu überbrücken, bis Yashiro von selbst wieder aufwachen würde, setzte er sich mit ein paar weißen Blättern und einem Stift an den Küchentisch und versuchte an seinem Storyboard weiter zu zeichnen. Doch irgendwie gingen die Skizzen nur schwer von der Hand. Er konnte sich gar nicht wirklich konzentrieren und verbrachte die meiste Zeit mehr damit auf die weißen Blätter zu starren als etwas zu Papier zu bringen. Weiß, weißer am weißesten. Schneeweiß, blütenweiß. Weißer als weiß.
 

Schließlich gab er es auf und bemerkte bei der Gelegenheit auch, dass es schon relativ spät geworden war. Da der Schlafende immer noch keine Mucks von sich gab, beschloss er ihn für das Bad nicht zu wecken und ihn schlafen zu lassen. Er selbst hüpfte schnell unter die heiße Dusche und dann ins kalte Schlafzimmer in den warmen, weichen Futon. Na wunderbar, da hatte er sich nun bettfertig gemacht und konnte doch nicht einschlafen. Wenn er jetzt aber wieder aufstand, würde er sicher Yashiro neben ihm wecken. Was sollte er nur tun?
 

„Tut mir Leid, dass ich dir so viele Sorgen bereite.“, kam es aus der Stille hervor.
 

Überrascht fuhr Satoru in seinem Futon hoch und blickte neben sich. Yashiros Augen blitzten durch den ins Zimmer fallende Mondlicht wie Katzenaugen auf. Er schien wach zu sein. Wieso? Seit wann? Und plötzlich spürte er die Wärme seiner Handfläche die auf seinem Handrücken lag und sie etwas drückte, was in ihm unweigerlich Herzklopfen auslöste. Verträumt blickte er in das hell erleuchtete Gesicht dieses wunderschönen Mannes und lauschte seiner tiefen Stimme.
 

„Du hast sicher gemerkt, dass wir beide anders sind als andere Menschen. Dafür spricht nicht nur die Rerun-Fähigkeit, die wir von ihm bekommen haben. Es gibt noch viele andere Dinge, die uns unterscheiden. Zum Beispiel sind unsere Seelen unsterblich. Allerdings sind die irdischen Hüllen, die wir hier auf der Erde als Gefäß für unsere Seelen benutzen, den gewöhnlichen Gesetzen der Menschheit unterworfen, denn menschliche Körper altern und verfallen.“
 

Nichts sagend hörte der Blauhaarige aufmerksam zu. Der Ältere hatte sich bereits etwas aufgerichtet und kam ihm nun näher. Yashiros Hand umschloss die des Jüngeren etwas fester, wodurch Satoru noch mehr Herzklopfen bekam. Einerseits wollte er seinem Blick ausweichen, doch sein Antlitz war so hypnotisierend schön, dass er sich nicht abwenden konnte. Mit seiner anderen Hand fuhr der Braunhaarige noch oben und streichelte sanft Satorus Wange.
 

Sie waren sich nun ganz nahe und das gleißende Mondlicht drang nur noch einen kleinen Spalt breit an ihren Gesichtskonturen vorbei und warf ihre Schatten an die dahinterliegende Wand. Keiner von beiden sagte etwas. Sie genoßen einfach die Stille, während sie sich einfach nur tief in die Augen blickten und mit der Nase zärtlich das Gesicht des anderen umfuhren und so die Distanz zwischen ihnen immer geringer werden ließen.
 

Wie elektrisiert hatte Satoru das Gefühl dass jede Faser seines Körpers auf Yashiros Streicheleinheit reagiert und sich ihm entgegen beugte. Das alles zwischen ihnen ging viel zu schnell und doch konnte es ihm nicht schnell genug gehen. Wollte das sein grenzenloses Verlangen nach diesem Mann gestillt wurde. Deshalb genoss er es sichtlich von diesem Adonis berührt zu werden. Insgeheim hoffte er jedoch, dass er noch ganz andere Sachen mit ihm anstellen würde.


So wie der Jüngere sich seiner Zärtlichkeit hingab, waren ihm Satorus Gedankengänge mehr als klar. Dazu brauchte er nicht einmal seine übermenschlichen Fähigkeiten. Doch er wollte nichts überstürzen, auch wenn er sich wie ein hungriges Tier über seine Beute herfallen wollte, musste er sich beherrschen. Mit seinen Fingern fuhr er über seine Lippen und herunter an sein Kinn, das er leicht anhob und schließlich überwand Yashiro den letzten Zentimeter und küsste ihn.
 

Einerseits kam es Satoru wie eine nie enden wollende Ewigkeit vor, andererseits schienen sie sich schon nach wenigen Sekunden zu lösen, um im nächsten Augenblick ihre Lippen wieder miteinander zu verschließen. Er wollte mehr, doch der Ältere ließ ihn nicht gewähren, sondern gab ihm irgendwann einen letzten Kuss auf die Stirn und fuhr Satoru mit seiner Hand über den Hinterkopf und massierte seinen Nacken. Satoru ruhte seinen Kopf auf dem Schlüsselbein des Älteren aus, sog mit sich aufgeregt hebender und senkender Brust den Duft seines Geliebten ein und versuchte sein Verlangen wieder unter Kontrolle zu bekommen, während er Yashiros Stimme lauschte.
 

„Weißt du Satoru, wenn das geschieht, wenn unsere Hüllen sterben, werden unsere Seelen in einem anderen neuen Körper wieder geboren. Wir beide haben schon unzählige Wiedergeburten hinter uns. Aber in jeder Wiedergeburt ist mein Leben auf nur einen, einen einzigen Moment ausgerichtet - dich wieder zu treffen. Nur dafür lebe ich. Nur um dich zu finden. Und doch ist der Moment immer bittersüß, denn du bist der Einzige von uns beiden, der sich nicht erinnern kann. Du hast alles vergessen. Die schönen Momente, unsere Glück, unsere Liebe.“

Freitag

Schweißgebadet wachte Satoru am nächsten Morgen auf und saß wie nach einem schlimmen Traum mit einem Ruck plötzlich kerzengerade in seinem Bett. Panisch schnaufte er und rang nach Luft während er sich an seine nasskalte Brust fasste, sein Pyjamaoberteil klitschnass. Das Zimmer war hell, es musste also schon Morgen sein.
 

„Gaku-san!“, sein zweiter Gedanke ging natürlich sofort an den Älteren. Doch als er zur Seite blickte, lag neben ihm im leeren Futon nur noch dessen Pyjamahose und Hemd. Er war doch nicht etwa - verschwunden? Nein, das durfte nicht sein. Hatte er sich etwa in Luft aufgelöst? War er komplett durchsichtig geworden und irrte nun wie ein Geist, wie eine verwirrte Seele in der Welt umher ohne, dass er ihn sehen konnte?
 

Nun wurde Satoru noch panischer, schnellste aus seinem Futon hoch, knallte die Schiebetür zur Seite und schrie „Gaku-san!“ nur um im nächsten Augenblick zu bemerken, dass er nicht hätte so zu schreien brauchen, denn dieser stand - wie jeden Morgen - in der Küche und bereitete das Frühstück zu und lächelte ihn mit einem „Guten Morgen, Satoru!“ gutgelaunt an.
 

„Entschuldige, ich bin selbst vor kurzem erst wach geworden, sonst hätte ich dich natürlich früher geweckt.“, erklärte Yashiro während er versuchte das Rührei in Windgeschwindigkeit zuzubereiten. Ein Blick auf die Uhr verriet Satoru, dass es schon halb elf war. So spät war er noch nie aufgestanden. Doch das wichtigste für ihn war zur Eines: dass der Braunhaarige noch bei ihm war.
 

Mit wackligen Knien taumelte er näher an die Küche heran und sackte dann vor dem Kochenden zusammen. Yashiro hielt die Arme nach ihm aus und konnte seinen Sturz etwas abfedern.

„Alles in Ordnung?“, fragte er und irritierte Satoru mit seiner Frage etwas. Er tat so als wäre nie etwas passiert. Als wüsste er gar nicht, wovon er sprach. Als wüsste er gar nicht, was gerade in ihm vorging.
 

„Ja, alles gut. Ich stell mich mal kurz unter die Dusche.“, erwiderte der Jüngere enttäuscht und wandte sich kalt ab. Während das Wasser unter der Dusche über ihn prasselte, hing Satoru seinen Gedanken nach und konnte selbst nicht so richtig verstehen, was gerade in ihm vorging. Immerhin sollte er sich freuen, dass es seinem Geliebten wieder besser ging. Das war er auch. Allerdings hatte das alles einen bitteren Nachgeschmack. Wie alle Erfahrungen, die er bisher mit dem Braunhaarigen geteilt hatte.
 

Und immer wieder kam er sich benachteiligt und zurückgelassen vor. Wie ein Kind. Er hatte das Gefühl als würde Yashiro mit einer tollen Actionheldenfigur vor seiner Nase herumwedeln um ihm im Nachhinein zu sagen, dass er sie doch nicht haben könnte. „Alles in Ordnung?“ - natürlich war nichts in Ordnung. Immerhin hätte er fast eine wichtige Person in seinem Leben verloren.
 

Fertig geduscht, saß er zusammen mit Yashiro am Frühstückstisch und brachte keinen Bissen herunter.

„Tut mir Leid, ich hätte dich wecken sollen.“, meinte der Braunhaarige entschuldigend und sah das als Grund für Satorus schlechte Laune an, die er hätte unmöglich übersehen können.

„Ich nehme mir heute frei.“, zischte Satoru so wahrnehmbar schlecht gelaunt und machte Yashiro sprachlos, „Macht eh keinen Sinn jetzt noch etwas anzufangen.“
 

Oje, da war jemand wohl sehr mit dem falschen Fuß aufgestanden. Der Ältere empfand es als klüger wortlos sein Frühstück aufzuessen, statt etwas daraufhin zu erwidern. Der Unterton in Satorus Stimme, seine kalte Art und die Tatsache, dass er nichts über das Essen sagte waren alles Anzeichen dafür, dass man ihn jetzt nicht ansprechen sollte.
 

Das tat er auch und schließlich war der Jüngere derjenige, der das Gespräch wieder begann: „Wie wird es enden? Was ist dein - nein - was ist unser Schicksal?“ Eigentlich hatte er sich vorgenommen nicht darüber zu reden. Er war felsenfest überzeugt, dass er - genau wie der Ältere auch - so tun wollte, als wäre nichts gewesen. Als hätten sie die gestrigen Gespräche gar nicht geführt. Doch seine Gedanken drehten sich im Kreis und die Fragen, Sorgen und Unbehagen ließen ihn nicht locker und so musste er das Thema einfach wieder anschneiden.
 

Seine Augen suchten die Wahrheit und sein Blick war standhaft. Es war ihm absolut ernst und er würde sich sicher nicht wieder mit einer Cliffhanger-Geschichte abwimmeln lassen. Auch Yashiro spürte die Ernsthaftigkeit und verstand nun woher der Wind wehte. Die Tatsache, dass er mehr - im Prinzip alles - von ihrer Vergangenheit wusste und damit auch in gewisser Weise ihre Zukunft kannte, war etwas unfair - das sah er ein und gab schließlich nach.
 

„Naja, normalerweise kann mein Körper nicht ewig in der Zeit verharren. Der Rerun holt mich dann in die eigentliche Zeit zurück. Es kostet mich sehr viel Kraft in der jeweiligen Zeit zu bleiben, auf Dauer hält mein Körper dem nicht stand. Dementsprechend wird es zur Folge haben, dass ich in deiner - in der jetzigen Zeit - notgedrungen verschwinden werde.“
 

Plötzlich platze Satoru der Kragen und er haute mit geballten Fäusten voller Wut auf den Tisch: „Das ist doch nicht dein Ernst!“, schrie er und hielt dann wieder inne. Das war bei ihm meistens so, dass er nicht richtig wütend sein konnte oder diese Wut immer nur wenige Sekunden anhielt. Denn eigentlich war er nicht wütend, sondern traurig und seine Trauer gewann immer mehr die Oberhand.
 

Sein vernebelter Verstand suchte nach den richtigen Worten, doch er fand sie nicht. Sollte er seinen Gefühlen Luft machen oder nicht? Er musste vorsichtig sein, denn sonst bereute er die Hälfte wieder nur. Allerdings hatte Yashiro nun ausgesprochen wovor er sich immer gefürchtet hatte. Er würde tatsächlich verschwinden. Irgendwann. Würde unsichtbar werden und sich in Luft auflösen - so wie er es gestern gesehen hatte.
 

Trauer und Wut vermischten sich immer mehr mit ihm und langsam bildete sich ein Kloß in seinem Hals, während ihm Tränen in die Augen schoßen. Er konnte seine Gefühle nicht mehr aufhalten und letztendlich wurde seine Stimme immer lauter: „Du nistest dich bei mir ein, wirst ein Teil meines Alltags und jetzt erzählst du mir, dass du… Du bist echt das Letzte!“, brach es aus ihm heraus.
 

Er schnellte vom Tisch hoch und rannte aus der Wohnung, ohne den Braunhaarigen noch eines Blickes zu würdigen. Mit so einer heftigen Reaktion hatte Yashiro nicht gerechnet. Einerseits machte sich das schlechte Gewissen in ihm breit, andererseits gab es Dinge, die auch er nicht ändern konnte. Rerun hin oder her, doch den Lauf ihres Schicksals in eine vollkommen andere Richtung zu drehen, stand nun einmal nicht in seiner Macht.
 

Damit hatte er sich abgefunden, doch der Jüngere, der das alles zum ersten Mal hörte, eben nicht. Wortlos räumte er den Tisch ab und dachte nach. Wahrscheinlich wäre es besser, Satoru etwas Zeit zum Runterkommen zu geben. Er war sicher total durch den Wind. Wenn er von sich aus wiederkam, würde er mit einem warmen Mittagessen bereits auf ihn warten und sie würden sich beide entschuldigen.
 

So stellte es sich der Ältere vor, doch der Blauhaarige ließ sich nicht mehr blicken und blieb den ganzen Mittag und Nachmittag der Wohnung fern. Wo trieb er sich bloß herum? War ihm nicht kalt? Ein Blick in die Garderobe verriet ihm, dass, obwohl er die Wohnung wie im Sturm verlassen hatte, anscheinend Schuhe und Mantel hatte mitgehen lassen.
 

Doch wenn Satoru nicht zu ihm kommen wollte, müsste er wohl oder übel zu ihm gehen. Auch wenn er ihn nicht sehen wollte. Zumal er schon mehrere Stunden draußen in der Kälte war. Am Ende trug er wegen ihm noch eine Erkältung davon. Außerdem war es schon Nachmittag und so langsam wurde es dunkel.
 

Der blauhaarige war zunächst gedankenverloren durch das Viertel und die nähere Umgebung spaziert. Auch ihm tat seine Reaktion Leid. Er hatte total überreagiert. Mittlerweile hatte er sich wieder beruhigt. Natürlich war ihm klar, dass Yashiro genauso viel dafür konnte wie er. Auch er war nur ein Spielball Gottes. Machte es jedoch unter diesen Umständen überhaupt noch Sinn mehr in dieses Verhältnis zu investieren? Vernünftig betrachtet natürlich nicht. Am Ende würde er einsam und verletzt zurück bleiben.
 

Gab es nicht doch irgendeinen Ausweg? Tief in seinem Inneren wollte er noch nicht aufgeben. Er wollte bei dem Braunhaarigen sein und wollte nach Hause gehen, zurück in die Wohnung, traute sich aber nach dem Streit nicht so richtig. Die ganze Sache war ihm mega peinlich. Außerdem war er nicht besonders gut darin sich zu entschuldigen. Das musste er nach seiner Aktion auf jeden Fall. Was sollte er nur sagen?
 

Nachdenklich saß Satoru traurig und niedergeschlagen auf einer Schaukel auf dem Spielplatz direkt vor seinem Wohnhaus und hatte gar nicht bemerkt, dass die Sonne mittlerweile untergegangen war. Wie aus dem Nichts spürte er jedoch hinter sich eine gewisse Wärme und wurde von hinten in einen warmen Mantel gehüllt.
 

„War dir nicht kalt die ganze Zeit über?“, überglücklich Yashiros Stimme zu hören machte sein Herz Freudensprünge. Der Ältere war tatsächlich losgegangen um ihn zu suchen, weil er nicht nach Hause gekommen war.

Auch Satoru wollte sich nun versöhnen, kuschelte sich in Yashiros Mantel um sein verlegenes Gesicht zu verbergen und murmelte: „Ich will nicht, dass du gehst…“
 

„Lass uns erst mal wieder rein gehen, sonst erfrierst du mir hier noch.“, meinte der Braunhaarige lächelnd, während er seine Arme noch fester um den zierlichen Körper schlang.
 

Während der Ältere das schon vorbereitete Essen von Mittag wieder aufwärmte und gleichzeitig eine frische Suppe zubereitete, wärmte sich der Jüngere schweigend unter dem Kotatsu auf. Nach dem Streit genierte er sich doch zu sehr als, dass er sich wieder normal verhalten konnte, was aber nicht hieß, dass er sich nicht auch vertragen wollte. Ihre Zeit war begrenzt. Das war ihm jetzt klar geworden. Also zählte jede Minute, jede Sekunde, die sie miteinander verbrachten. Und trotzdem schaffte er es nicht über seinen Schatten zu springen. Er war so ein Schisser!
 

Doch der Ältere hatte Verständnis für Satorus Reaktion und verlangte weder eine Entschuldigung noch drängte er ihn sich wieder normal zu verhalten. Nachdem er das aufgewärmte Essen angerichtet und den Blauhaarigen gerufen hatte, sah er wie dieser einem Hündchen mit eingezogenen Schwanz gleich an den Tisch schlürfte. Jetzt bekam Satoru sogar noch ein schlechtes Gewissen, dass das Essen nur wegen ihm kalt geworden war und er Gaku hatte warten lassen. Brav aß er alles auf und bedankte sich für das Mahl, während der anderem ihm dabei zusah.
 

„Hat es dir denn geschmeckt? Du hast die ganze Zeit kein Wort gesagt.“, fragte Gaku mit sanfter Stimme und wischte Satoru lächeln ein Reiskorn von der Wange.
 

„Ja, natürlich. Tut mir Leid, dass ich dich habe warten lassen, obwohl du das Essen zu Mittag frisch zubereitet-“, noch bevor Satoru seinen Satz kleinlaut beenden konnte musste er laut niesen und dem Braunhaarigen dabei ins Gesicht nieste.
 

Nun war Satoru wirklich untröstlich. Nicht nur das er ein großes Drama veranstaltet, Zeit vergeudet, das Mittagessen verpasst, dem Älteren den ganzen Tag Sorgen bereitet hatte - nein, jetzt brachte er es tatsächlich noch fertig diesem ins Gesicht zu niesen und ihn höchstwahrscheinlich mit einer Erkältung anzustecken, die er sich in der Kälte eingefangen hatte. Noch schlimmer konnte der Abend wirklich nicht werden. Seine Laune war im Keller.
 

Überraschenderweise prustete sein ehemaliger Lehrer laut los, womit Satoru nicht gerechnet hatte. Doch er war erleichtert darüber, da es die Atmosphäre zwischen etwas entspannt hatte.
 

„Ich lasse mal das Bad ein.“, meinte Gaku immer noch lachend.
 

„Ich kann duschen.“, antwortete Satoru, der sich immer noch genierte.
 

„Nix da, du musst dich ordentlich aufwärmen, sonst holst du dir noch den Tod.“
 

Geschähe mir Recht, wollte er gerade äußern, entschied allerdings es für sich zu behalten. Sein Verhalten war absolut unmöglich. Was war den ganzen Tag bloß mit ihm los? In ihm herrschte das absolute Gefühlschaos und er je mehr er sich seinen Launen hingab desto mehr versank er in einer tiefen, aber absolut unbegründeten Depression. Er sollte einfach den Mund halten und tun, was ihm gesagt wurde, sonst würde er alles nur noch schlimmer machen.
 

Doch Satoru war so in Gedanken versunken, dass er gar nicht bemerkte, wie Gaku mit einem „Ich geh schon mal vor“ das Bad betrat und ehe er es realisiert hatte, hörte er mit dem „Platsch“ und unverkennbaren Beweis, dass dieser nicht nur das Bad betreten, sondern bereits in die Wanne eingetaucht war.
 

„Wenn du nicht bald kommst, wird das Wasser kalt.“ - hörte er Gakus Stimme aus dem Bad.
 

Halt bloß den Mund und tu, was er dir sagt, schallte sich der Blauhaarige selbst, nahm all seinen Mut zusammen und betrat das Badezimmer. Beschämt drehte er sich zur Tür, während er sich die Kleider abstreifte. Mit klopfendem Herzen und hochrotem Kopf spürte er förmlich, wie die Augen des Älteren ihn anstarrten, während er ein Kleidungsstück nach dem anderen Fallen ließ und langsam aber sicher Körper Stück für Stück entblösste.
 

Es dauerte einen Moment bis er sich ein Herz fasste, sich umdrehte und auf den Waschhocker vor den beschlagenen Spiegel setzte. Dabei versuchte er so gut es ging, jeglichen Blickkontakt zu vermeiden, doch so ganz gelang ihm das nicht. Aus dem Augenwinkel sah er, wie Gaku ihn etwas schelmisch lächelnd beobachtete. Dieser notgeile Bock!
 

Doch er versuchte die Fassung zu behalten und die Blicke zu ignorieren. Schnell ließ er das Wasser aus dem Duschkopf über Kopf, Haare und Körper laufen und massierte mit ein paar schnellen Handgriffen das Shampoo in seine Haare, um es nach ein paar Sekunden schon wieder auszuwaschen. Er wollte sich gerade dran machen, seinen Körper zu waschen als er ein lautes „Wusch“ hinter sich hörte.
 

„Komm, ich wasch dir den Rücken, Satoru-kun“, er konnte sich gar nicht so schnell umdrehen, wie er plötzlich hinter sich die Stimme des Älteren, der sich ebenfalls auf einem Badhocker hinter ihn gesetzt hatte, dicht an seinem Körper.
 

„Nein, danke!“, antwortete Satoru bestimmt, traute sich aber weder umzudrehen noch nach hinten zu schauen. Sein Herz schlug ihm vor Aufregung bis zum Hals. Auch, wenn Gaku den Abstand zu ihm wahrte, war er dicht hinter ihm. Er spürte ganz deutlich, dass nur ein paar Zentimeter ihre nackten Körper sie trennten.
 

„Süß wie höflich du auch noch bist. Na komm schon, ich beiße dich nicht.“
 

Aus dem Augenwinkel sah er, wie Gakus schlanker und dennoch muskulöser Arm den Bodylotionspender mehrmals auf und ab bewegte. Nervös musste er sich immer wieder an seine eigenen Worte erinnern: Mund halten und machen lassen. Um sich zu beruhigen kniff er fest die Augen zu und ließ Gaku machen. Kurz zuckte er zusammen, als er dessen große, starken Hände an seinem Rücken spürte und fühlte, wie die langen Finger das Shampoo gleichmäßig auf der Haut verteilten.
 

Immer wieder glitten seine Hand an seinem Rücken hoch und runter. Auch an auf seinen steifen Schultern, seinem Nacken und den Oberarmen wurde der Schaum verteilt. Der Dunkelblauhaarige hatte erwartet, dass er ihn auch an anderen Stellen berühren würde. Doch so weit kam es nicht. Sollte der Ältere etwa doch anständiger sein, als er ihn einschätzte?
 

Der Braunhaarige war überrascht. Auch, wenn er wusste, dass Satoru nicht gerade beleibt war, hatte er nie erahnt, wie dünn er unter den weiten Klamotten, die er zu tragen pflegte, wirklich war. Liebevoll und sanft fuhren seine Hände über die Rippenknochen und die Hügel der Wirbelsäule, die deutlich zu sehen waren. Er machte sich zwar über Satorus Lebens- und Essgewohnheit etwas Sorgen, entschied sich aber dafür dessen dürren Körper nicht zu beurteilen und warf seine Gedanken kommentarlos beiseite.
 

Stattdessen amüsierte es ihn etwas, dass der Jüngere unter seiner Massage verkrampfte, obwohl er sanfter nicht hätte sein können.
 

„Alles okay?“, fragte er deshalb schmunzelnd nach.
 

„Nja, es kitzelt etwas.“
 

„Achso. Entschuldige.“
 

Gaku hörte sofort auf, nahm den Brausekopf, duschte den jungen Mann vor ihm ab und stieg danach wieder in die Wanne.
 

Abermals hörte Satoru eine auffordernde Stimme neben sich: „Los, steig mit in die Wanne.“
 

„Ganz sicher nicht. Ich bin fertig.“, kam es aus ihm heraus geschossen und genauso schnell stand er auch vom Hocker auf und griff nach einem Handtuch, obwohl er sich im gleichen Moment auch auf die Zunge hätte beißen können.
 

„Ach komm, Satoru.“, lud der Ältere ihn wieder ein, „Du bist von draußen bestimmt ganz unterkühlt.“ Satoru hielt inne. Eigentlich hatte er ja Recht. Wieder schluckte er seine anfängliche Scham herunter, kniff die Augen zusammen um Gaku nicht nackt zu sehen und stieg in die Wanne.
 

Das heiße Wasser umhüllte seinen nackten Körper und ließ ihn sogleich entspannen. Er muss tatsächlich unterkühlt gewesen sein, was ihm jetzt bewusst wurde. Die Wanne war für zwei Personen, noch dazu für zwei ausgewachsene große Männer, eigentlich zu klein. Satoru hatte die Beine dicht an sich herangezogen und machte sich so klein wie möglich. Er saß mit dem Rücken genau zwischen Gakus Beinen und achtete streng darauf nicht an dessen nackten Körper zu gelangen.
 

Obwohl Gaku nur ein paar Jahre älter war, kam es Satoru vor als wäre er ihm geistig meilenweit überlegen. Teilweise war er verlegen und fühlte sich in seiner Gegenwart wie ein kleiner unbeholfener Junge. Immer noch schlug ihm das Herz bis zum Hals und er hatte ehrlich gesagt auch Mühe eine Errektion zu unterdrücken. Natürlich fand er den Älteren über alle Maßen attraktiv. Er war wie Michelangelos Adam - ein Mann im besten Alter in einem perfekten und makellosen Körper. Wenn das heiße Badewasser sein Blut nicht zum Kochen brachte, dann würde es spätestens der nackte Körper dieses Mannes tun.
 

Wortlos saßen sie einfach nur da und wechselten kein Wort miteinander. Schließlich spürte Satoru wie der Hintere ihm mit den Finger einzelne Buchstaben auf den Rücken malte: D-A-R-F I-C-H D-I-C-H U-M-A-R-M-E-N- ?
 

„Tu was du nicht lassen kannst.“, antwortete der Vordere etwas kühl und spürte schon im nächsten Moment wie sich die zwei muskulösen Arme um ihn schlangen und sich der Gakus nackter Oberkörper an seinen Rücken legte, was ihm jetzt plötzlich vor lauter Aufregung und Herzklopfen ein unkontrolliertes leises Stöhnen entlockte. Sein ganzer Körper stand unter Strom und er konnte eine Errektion nun nicht mehr unterdrücken, sodass er seinen steifen Penis nervös zwischen seine zusammen gepressten Oberschenkel klemmte und hoffte, dass Gaku nichts davon mitbekommen würde.
 

Jetzt spürte er, wie der Ältere auch seinen Kopf an seinen Hals legte und ihn zur Beruhigung sanft an sich kuschelte. Hatte er seine Nervosität, seine Gefühle etwa bemerkt?
 

„Es ist okay.“, flüsterte er in die Stille hinein und ging auf das Verlangen ein, den Satoru auf der Schaukel geäußert hatte, „Auch ich will nicht von dir gehen, weißt du. Nicht jetzt.“ Diese Worte holten den Blauhaarigen wieder in die Realität zurück und führte ihm abermals die schreckliche Tatsache vor Augen, dass der Braunhaarige jeden Moment verschwinden könnte. Diese Glücksgefühle, die wie das Wasser der Badewanne, in seinem Herzen überquollen, vermischt mit dem Beigeschmack, dass diese Beziehung keine Zukunft haben würde. Das nannte man dann wohl bittersüß. Glück, Liebe, Wut, Trauer, Hoffnungslosigkeit, all diese Gefühle überwältigten ihn einfach.
 

„Du bist schon ein Mistkerl“, fasste nun auch Satoru ein Herz und machte seinen Gefühlen Luft, „Kein Wunder, dass Gott dich aus dem Paradies gejagt hat und dich nicht mehr zurückkommen lässt. Es ist auf jeden Fall eine Sünde, die nie wieder gut zu machen ist. Dass du mich so verführst, obwohl du genau weißt, was geschehen wird.“
 

Stillschweigend ohne zu kommentieren hörte sich der Braunhaarige alles in Ruhe an. Satoru hatte Recht. Negativ betrachtet war er selbstsüchtig und egoistisch. So sah ihn der blauhaarige Jüngere sicherlich. Er allerdings lebte jeden Tag als würde es der Letzte sein - Carpe Diem. Wie ein unheilbar Kranker, dessen Lebenszeit begrenzt war. Er hatte einfach nichts zu verlieren. Er konnte nur inständig beten und hoffen, dass ihm Satoru seinen Egoismus verzeihen würde.
 

„Ich habe den Rerun nie eigennützig genutzt.“, erklärte der Vordere weiter, „Ich wollte die Chance des Rerun nutzen um die Zukunft zu ändern. Du weißt allerdings, dass sich deine Zukunft nicht ändern lässt. Immer dann, wenn dein Ziel zum Greifen nah scheint, macht dir Gott einen Strich durch die Rechnung. Dabei vergisst du aber, dass ich zurück bleibe. Findest du das nicht unfair?“
 

Nun hatte sich Satoru tatsächlich umgedreht und sah ihn vorwurfsvoll an. Und auch, wenn er dem Älteren alle möglichen Beleidigungen an den Kopf werfen wollte, so war er doch tief in seinem Herz nicht böse, sondern einfach nur traurig und verzweifelt. Es war genau diese Verzweiflung, die er in seinem Blick nicht verbergen konnte und die aufkommenden Tränen, die sich in seinen Augen stauten nicht unterdrücken.
 

Gaku sah ihn mitleidig an, strich ihm sanft über die Wange und legte seine Stirn auf die des Jüngeren: „Du machst dir zu viele Gedanken. Vergiss Gott. Er ist nicht da.“ Wieder eine Lüge, die er dem Blauhaarigen zur Beruhigung auftischte. Dabei wusste er nicht so richtig, wen er diese Lüge eigentlich glauben machen wollte: Satoru oder doch eher sich selbst.
 

„Nur wir beide sind da. Du und ich.“, damit schloss er die Augen und versiegelte ihre Lippen mit einem zärtlichen Kuss. Darauf hatte er sich so sehr gesehnt. Darauf hatte er gewartet und gehofft. Sie befanden sich immer noch in der gleichen Welt und doch wartete er darauf, dass diese Lüge Wirklichkeit wurde in diesem Kuss, dem er sich willenlos hingab und seine Sinne benebelte. Schon nach wenigen Sekunden waren seine Gegenwehr und Scham komplett erschlafft. Nun konnte Gaku mit ihm machen, was er wollte - worauf er sogar hoffte.
 

„Nackt. In der Badewanne.“, holte Gaku mit diesen Worte Satoru wieder in die Realität zurück und triggerte dabei wieder dessen Schambewusstsein. Mit einem Mal kam der Jüngere wieder zu Sinnen und begriff in welcher Lage er sich gerade befand. Dass er und sein Gegenüber nackt waren und sie sich zusammen in einer Badewanne befanden. Sofort schnellte er aus dem Wasser, griff sich ein Handtuch und bedeckte damit seine Errektion und verließ mit einem „Du bist echt das Letzte!“ kreischend das Bad ohne sich noch einmal umzudrehen.
 

Mit diesem egoistischen Perversling würde er sich sicher nie wieder auf ein gemeinsames Bad einlassen. Der verstand es aber auch jegliche Stimmung zu zerstören. Musste er denn alles laut aussprechen? Absolut keinen Sinn für Romantik dieser Mann! Wurde fallen gelassen wie eine heiße Kartoffel. Mitten im schönsten Moment. Wie konnte er nur? Nun war er…absolut…unbefriedigt. Aber noch einmal würde er das nicht mit sich machen lassen. Dieser Mann konnte ihm gestohlen bleiben.
 

Grummelnd zog er sich seinen Pyjama an, verschwand im Futon und machte das Licht aus. In der Stille hörte er wie der Ältere im Zimmer nebenan noch herumwerkelte, das Wasser abließ und die Badewanne abduschte, bevor er ebenfalls das Zimmer betrat. Da das Licht aus war, ging Gaku sicher davon aus, dass er schon schlafen würde und würde rücksichtsvoll und leise in den Futon gleiten ohne ihn zu stören. Zumindest war das seine Annahme. Doch dem war nicht so.
 

„Satoru.“, sprach ihn Gaku leise an, während er in den Futon neben ihn glitt, doch darauf gab der Jüngere keine Antwort.
 

Es vergingen ein paar Sekunden, in denen sich Satoru nicht rührte.
 

„Ich weiß, dass du nicht schläfst.“
 

Abermals versuchte er sich schlafend zu stellen und die Worte zu ignorieren.
 

„Na komm schon. Sei doch nicht beleidigt wegen vorhin. Keine Sorge, ich gebe dir schon, was du willst.“ Nun hatte er jedoch angefangen an seinem Arm zu rütteln, was ihn tierisch nervte.
 

Selbst, wenn er nicht wirklich geschlafen hatte, konnte er nicht anders als mit einem „Lass mich!“ hoch zu fahren und den Älteren wie eine Katze anzufauchen. Satorus Gegenwehr wurde allerdings in einem leidenschaftlichen Kuss erstickt, gegen den er sich zwar noch mit Händen und Füßen wehrte. Doch Gaku packte ihn an den Handgelenken, drückte ihn an den Handgelenken auf den Futon und setzte sich dann mit seinem ganzen Körpergewicht auf Satorus Lenden, sodass dieser nun nicht mehr weg konnte.
 

Satoru konnte nicht anders als da zu liegen, denn egal wie sehr er sehr er sich bewegte, Gaku war einfach zu schwer. Er, der nie Sport trieb, war von dieser kleinen Rangelei schon ganz außer Atem und rang nach Luft. Oder war es etwa die Leidenschaft und das wieder aufkochende Verlangen in ihm, das ihm die Luftzufuhr abschnitten? So oder so konnte er nur tatenlos zuschauen, wie dieser Adonis von Mann auf ihm lag und mit geschickten Handgriffen schnell sein Pyjamaoberteil aufknöpfte. Dabei spürte er wie Satorus Penis unter ihm immer härter aufpochte, was er mit einem schelmischen Lächeln beantwortete.
 

Danach ging er dazu über Satorus Pyjamaoberteil mit einer Hand aufzuknöpfen, während er mit der anderen dessen Handgelenke wie eine Fessel fest umklammert hielt. Keine Minute später beugte er sich wieder über ihn und versiegelte ihre Lippen in einem feurigen Kuss, während er - die Hände nun wieder frei - den filigranen Oberkörper des Jüngeren zärtlich mit Streicheleinheiten übersäte.
 

Abermals war Satorus Gegenwehr verstrichen. Dieser Mann brachte ihn nicht nur körperlich, sondern auch mental absolut um den Verstand.
 

„Weißt du, warum Gott die Nacht erschaffen hat?“, unterbrach Gaku den Kuss, nachdem er Satoru wieder hörig gemacht hatte.
 

Zitternd vor Erregung lag der Jüngere nun unter ihm, betrachtete Gaku einem griechisch-römischen Gott gleich schmachtend an und wartete, dass der Ältere zum nächsten Schritt übergehen würde. Doch Gaku nutzte die Pause, um auch selbst wieder zu Sinnen zu kommen und nicht wie ein Teufel über die heilige Jungfrau herzufallen. Auch, wenn ihre Zeit begrenzt war, wollte er sich hierbei gedulden.
 

„Warum?“, fragte Satoru nun in die Stille hinein.
 

Ja, er wollte sanft zu seinem geliebten Engel sein. Lächelnd strich er dem unter ihm Liegenden eine Haarsträhne aus dem Gesicht und beantwortete dessen Frage: „Damit sich Menschen lieben können, ohne, dass er sie sieht. Die Nacht gehört den Menschen. Nur uns beiden.“
 

„Was hast du jetzt vor?“, winselte der Jüngere unter ihm ängstlich.
 

„Das weißt du doch genau. Ich gebe dir, wonach du dich schon seit unserer ersten Nacht in deinem Traum sehnst. Lass uns diese Nacht zu unserer Nacht machen.“, grinste dieser und strich Satoru dabei sanft über sein pochendes Glied.
 

„Tu das nicht.“, erwiderte der Blauhaarige jedoch ängstlich, „Ich bin dir so schon verfallen. Das war ich schon als kleiner Junge. Bitte nicht, sonst verliebe ich mich noch mehr in dich. Sonst verfalle ich dem Wahnsinn, wenn du wieder aus meinem Leben verschwindest.“
 

Ohne darauf zu reagieren, zog Gaku Satorus Pyjamahose aus und dieser ließ ihn gewähren. Seine Gefühle hatten über die Vernunft gesiegt, denn Gaku hatte ihn mit seinen Worten ganz und gar eingenommen. Er wünschte sich jetzt nur noch eines: Dass dieser Mann bloß nicht aufhörte.
 

„Vertrau mir, Satoru, ich finde einen Weg Gott zu überlisten.“, damit zog er auch dessen Unterhose aus, verschwand unter der Bettdecke und die Stille der Nacht wurde nun nur noch von Satorus leisem Stöhnen erfüllt.

Samstag

Mit höllischen Schmerzen wachte der blauhaarige junge Mann an diesem Tag auf. Seine Ohren verrieten ihm, dass Gaku in der Küche war und das Frühstück vorbereitete. Also kein Grund zur Sorge. Erleichtert atmete er auf und blieb noch ein paar Minuten im Futon liegen. Obwohl ihm die letzte Nacht eher wie ein Traum erschienen, war sein grausam schmerzender Körper die grausame Realität. Der Ältere war nunmal kein Fliegengewicht und unter dessen Körper zu liegen, hatte einen Muskelkater und einen verspannten Rücken vom Feinsten nach sich gezogen. Zumal er selbst null komma null null Prozent Muskeln besaß, die das ganze hätte kompensieren können.
 

Nachdem er sich endlich überwunden hatte aufzustehen, machte er einen paar Dehnübungen für den Rücken und schob, ging dann in seinem Pyjama in den Wohn-Essbereich. Ein wohliger Geruch strömte in seine Nase, während er sich zu dem Braunhaarigen an den Herd stellte, der gerade mit dem Wenden von Pfannkuchen beschäftigt war. Das hielt ihn jedoch nicht davon ab, den jüngeren an sich zu ziehen und ihm einen leidenschaftlichen Guten-Morgen-Kuss zu geben.
 

„Hast du gut geschlafen?“
 

„Ja, ich denke schon.“
 

Die beiden unterhielten sich, während sie gemütlich und in Ruhe ihr Frühstück einnahmen und besprachen den heutigen Tagesablauf. Obwohl sich die Tatsache, dass sein Mitbewohner jederzeit von seiner Seite verschwinden konnte, nicht geändert hatte, bedrückte ihn das weniger als gestern. Beide schafften es sich ungezwungen zu unterhalten, ohne von diesen Hintergedanken geplagt zu werden. Außerdem war Wochenende, also konnte es der Mangazeichner etwas ruhiger angehen lassen, da ihm seine Verleger und Redakteure nicht im Nacken saßen. Andererseits hatte er gestern nicht viel geschafft, was er heute definitiv aufholen musste. Der Vormittag sollte dafür aber absolut ausreichend sein.
 

Das war dem Älteren jedoch mehr als Recht, denn obwohl er sich nichts anmerken ließ, wurde sein Körper immer schwächer. Er spürte, dass seine Rerun-Kräfte, die ihn in dieser Zeit hielten, schwanden.

Bitte, nur noch etwas länger, flehte er in sich verzweifelt und versuchte sich zusammen zu reißen. Nach dem gestrigen Vorfall wollte er seinen Geliebten jedoch nicht noch mehr beunruhigen. Dafür war ihre gemeinsame Zeit zu schade. In der Hoffnung, dass ihm ein starker Kaffee die nötige Energie schenken würde zumindest den Tag zu überstehen, trank er seine Tasse aus.
 

Nach dem Frühstück machte Satoru sich gleich an die Arbeit und versuchte dabei so gut es ging den attraktiven Mann auszublenden, was ihm erstaunlich gut gelang. Da er heute besonders motiviert war und er förmlich auf einer Welle der Inspiration ritt, schaffte er es in Windeseile mehrere Seiten zu zeichnen. Er war so ins Zeichnen vertieft und ging in einen kompletten Flow-Modus über. Zuweilen hatte er auch ganz vergessen, dass sich noch eine Person in seinem Haushalt befand.
 

„Zeit fürs Mittagessen.“, holte ihn eine verführerische Stimme an seinem Ohr wieder zurück in die Realität, während sich zwei Arme von oben an seiner Brust herunter schlangen und ihn von hinten umarmten, „Oder hast du etwa keinen Hunger?“ Erschrocken fuhr er hoch. So in der Arbeit versunken, hatte er gar nicht gemerkt, wie schnell die Zeit vergangen war.
 

Da er seinen Rückstand mehr als aufgeholt hatte, packte er seine Sachen ruhigen Gewissens beiseite und widmete sich dem Mittagessen. Drei Mal am Tag so wunderbar bekocht zu werden, war der pure Luxus und da er als Mangazeichner, der stetig im Stress war und nie Zeit fürs Kochen hatte, wusste er das umso mehr zu schätzen. Und obwohl man ihm es an seinem dürren Körper nicht ansah, ging in seinen Magen extrem viel rein, sodass er sogar einen Nachschlag verlangte.
 

„Du Satoru, wir müssten heute etwas einkaufen gehen.“
 

So viel Kochen führte aber auch dazu, dass sich der Kühlschrank schnell leerte und man immer wieder für Nachschub sorgen musste. Auch der Nachmittag wäre somit verplant. Beide zogen sich an und machten sich deshalb auf, um alles zu besorgen. Und wie es dabei so war, bekam man nicht alles in einem Supermarkt, sodass sie mehrere Läden abklappern mussten. Bei der Strecke, die sie zurück legten, musste der Braunhaarige ganz schön schnaufen.
 

Jetzt merkte auch Satoru, dass der Ältere neben ihm ziemlich langsam ging. So langsam, dass es sogar einer unsportlichen Person wie ihm, wie das reinste Schneckentempo vorkam. Als Gaku plötzlich auch anfing hin und her zu taumeln, blieb er kurz stehen, während der Braunhaarige apathisch weiterging.
 

„Alles okay?“, fragte er besorgt und eilte voran um seinen Geliebten, der fast umgekippt wäre, zu stützen.
 

„Ja, schon gut.“, lächelte dieser außer Atem.
 

„Bist du sicher? Ich kann den Rest auch alleine erledigen. Du kannst dich in dem nächsten Cafe etwas ausruhen.“
 

„Nein, danke. Aber wie wäre es, wenn wir beide uns in dem nächsten Cafe etwas aufwärmen.“, schlug der Ältere vor, da es heute besonders kalt war. Satoru stimmte dem zu und so fanden sie sich in einem gemütlichen Cafe an der nächsten Ecke bei einer heißen Schokolade wider.
 

Satoru hatte ein schlechtes Gewissen. Er hatte gar nicht gemerkt, wie schlecht es dem Älteren eigentlich ging. Wieso war es ihm nicht früher aufgefallen? Die gestrige Nacht hatte ihn in Sicherheit gewogen. Noch dazu war der Braunhaarige ein unglaublich guter Schauspieler, was ihn aber eher kränkte.
 

„Wieso zeigst du mir nicht, wie du dich wirklich fühlst?“, fragte Satoru traurig.
 

„Das kann ich nicht.“, bekam er sogleich die Antwort, was ihm einen Stich ins Herz versetzte. Vertraute er ihm denn etwa nicht?
 

„Wieso nicht? Ich weiß, dass ich vielleicht nichts ausrichten kann, aber wenn es dir schlecht geht, möchte ich für dich da sein.“, erwiderte Satoru protesthaft. Seine Stimmung war gerade dabei wieder zu kippen und er wieder der gestrigen Melancholie zu verfallen. Wieso wurde er in Allem immer außenvor gelassen? Waren sie nicht beide an der Sache beteiligt?
 

„Der Rerun…“, begann Gaku verständnisvoll lächeln, „Ich habe mich der Kraft des Rerun bedient um letztendlich in Selbstmitleid zu verfallen, sondern um mit dir zusammen zu sein. Das habe ich dir doch versprochen.“ Damit spielte Gaku wohl an ihre gemeinsame Zeit als Engel im Paradies an. Die Zeit, an die er sich nicht erinnern konnte. Satoru hörte sich alles an, wurde aber dann doch etwas niedergeschlagen.
 

„Ist der Rerun dann ein Fluch oder ein Segen?“, fragte der Blauhaarige in sich gekehrt.
 

„Wohl beides.“, beantwortete der Braunhaarige die Frage lächelnd.
 

„Stört es dich eigentlich nicht, dass ich mich nicht erinnern kann?“ - ihn störte es nämlich gewaltig. Er wüsste gerne, wie ihr Leben ihm Paradies ausgesehen hatte. Wie er als Engel war. Wie Gaku war. Wie Gott war. Und was sie dort für ein Leben geführt hatten. Wieso hatte Gott nur ihm die Erinnerungen genommen und nicht ihnen beiden? Gaku hatte zwar erzählt, dass Gott ihn mehr als alle Engel geliebt hätte, wieso aber wurde dann nur er mit dieser Strafe belegt?
 

„Ehrlich gesagt“, fing der Ältere an und Satoru wurde abermals hellhörig, „bin ich schon etwas traurig darüber. Aber du kannst ja nichts dafür.“ Satorus Herz schlug wie wild als er diese Worte aus Gakus Mund hörte. Es war das erste Mal, dass auch er etwas Schwäche ihm gegenüber offenbarte. Es waren die ehrlichsten Worte, die er bis jetzt von ihm gehört hatte. Und auch, wenn er darüber eine gewisse Schuld empfand, war er in diesem Moment unglaublich glücklich.
 

„Und trotzdem - das Einzige, was für mich zählt, ist unsere Liebe.“, meinte Gaku und legte seine Hand auf die des Blauhaarigen. Genau. Was zählte, war, dass er im hier und jetzt glücklich war. Egal, wie dreckig es ihm ging. Egal, wie schwach er war. Ihre Zeit als Engel gehörte der Vergangenheit an und es gab keinen Weg wieder dorthin zurück. Deswegen machte es keine Sinn länger darüber einen Gedanken zu verschwenden. Sie würden nie wieder zu Engel werden, denn sie waren Menschen.
 

Als sie ihre Tassen ausgetrunken und gezahlt hatten, setzten sie ihre Einkaufsreise fort. Satoru achtete dabei sehr darauf, dass er dicht neben Gaku ging um ihm im Notfall aufzufangen und sich seinem Gehtempo anzupassen. Einerseits erkannte der Ältere den guten Gedanken dahinter, andererseits war das alles doch etwas zu viel des Guten, da er sich bei der heißen Schokolade wieder etwas erholt hatte und sich im vollen Besitz seiner Kräfte befand.
 

„Wenn du noch langsamer läufst, kommen wir erst morgen nach Hause.“
 

„Ich nehme doch nur Rücksicht auf dich.“
 

„Die Rücksicht kannst du dir sparen. Du tust so als würde ich jeden Moment tot umkippen.“ Der Rerun hatte ihn zwar etwas ausgelaugt, was aber nicht hieß, dass sein Leben am seidenen Faden hing. Beleidigt blieb Satoru stehen und grummelte ein paar Schimpfwörter vor sich hin. Doch genau in diesem Moment war ihm, als ob er ein Flimmern wahrgenommen hätte.
 

„Gaku-san?“, rief er den Braunhaarigen unsicher. Wieso reagierte er nicht?
 

Sein Herz machte einen Aussetzer. Mit geschärften Sinnen hielt er inne und hoffte, dass er sich da gerade verguckt hatte. Aber dem war nicht so. Tatsächlich wurde Gaku, der ein paar Meter vor ihm lief immer durchsichtiger, als würde er genau jetzt verschwinden. Wie konnte das sein? Der Ältere hatte doch gesagt, dass es ihm gut ging!
 

„Gaku-san!“, noch einmal rief er ihn, bekam aber keine Antwort. Stattdessen wurde er immer durchsichtiger. Er schien schon fast verschwunden zu sein, da ließ Satoru panisch die Einkaufe fallen und rannte auf ihn zu.
 

„Gaku-san!!!“, noch in letzter Sekunde hatte er es geschafft ihn von hinten zu umarmen, sodass Gakus Körper wieder Form und Gestalt annahm. Auch dem Braunhaarigen, der vorhin noch so selbstsicher getan hatte, war gerade das Herz in die Hose gerutscht. Verdammt! Dass war knapp! Verärgert biss er die Zähne zusammen. Was sollte das? Es waren überhaupt nicht die typischen Anzeichen gewesen. Normalerweise spürte er förmlich wie jegliche Kraft seinen Körper verließ, bevor er sich komplett auflöste. Gerade war es nicht so. Er hatte überhaupt nichts gemerkt. Gar nichts.
 

Als er wieder bei Sinnen war, merkte er, dass die ganzen Einkaufe auf dem Boden verstreut lagen, sodass er diese schleunigst wieder aufsammelte und in die Stofftaschen tat.

„Entschuldige, Satoru. Und danke. Damit habe ich echt nicht gerechnet.“, gab er kleinlaut zu und bemerkte erst jetzt, dass sich Satoru keinen Zentimeter bewegt hatte und wie apathisch ins Leere starrte.
 

Nun war es der Braunhaarige der besorgt den Jüngeren an den Schultern schüttelte und immer wieder seinen Namen rief. Keine Reaktion. Was sollte das? Was geschah hier? Satoru stand einfach nur dran und fing an unglaublich zu zittern. Sein Gesicht verdunkelte sich und seine Augen füllten sich mit Tränen. Als ob er vor sich nicht Gaku, sondern jemand anderen sehen würde, streckte er seine Hand aus und flüsterte mit gequälter Stimme „Mein Liebster…“ während ihm Tränen die Wangen herunter liefen.
 

Geschockt und hilflos nahm Gaku ihn in seine Arme und hielt seinen Geliebten einfach nur fest. Konnte es tatsächlich sein, dass er sich erinnerte? Dass er sich an ihre Zeit als Engel erinnerte? In all ihren Wiedergeburten war es kein einziges Mal passiert. Es wäre das erste Mal, wenn Satoru sich hier und jetzt erinnern sollte.
 

Und genau so war es auch: Satoru sah es vor sich, als würde er alles jetzt noch einmal durchleben. Nachdem Gott von ihrem Verhältnis erfahren hatte, wurden sie beide in getrennte Gefängniszellen gesteckt. Auch, wenn ihnen kein Urteil offenbart wurde, war ihnen klar, was mit ihnen passieren würde. Alle kannten die Geschichte um Adam und Eva, die aus dem Paradies verbannt wurden. Das gleiche Schicksal würde wahrscheinlich auch sie ereilen.
 

„Tut mir Leid, dass ich dich in diese Sache mit hinein gezogen habe.“, entschuldigte sich der Schwarzgeflügelte. Er hatte tiefe Schuldgefühle, denn schließlich wäre das alles ohne seine Initiation nie geschehen. So hätte er zumindest seinem Geliebten diese Strafe ersparen können. In dieser Hinsicht zeigte er eine gewisse Reue.
 

Außerdem war das noch etwas anderen. Er mit seinen pechschwarzen Flügeln war immer der Außenseiter gewesen, doch egal wie weit er es mit seinen Provokationen getrieben hatte, hatte Gott immer Gnade walten lassen. Dabei war ihm bewusst, dass er sich früher oder später ins Aus katapultieren würde. Dass es aber damit zu tun haben würde, sich in einen anderen Engel zu verlieben, damit hätte er nicht gerechnet.
 

„Wieso entschuldigst du dich?“, hörte er eine Stimme einerseits fragend andererseits vorwurfsvoll hinter ihm. Auch dem Engel mit den weißen Flügeln war absolut bewusst gewesen, auf welches Terrain er sich begeben würde, als er seinem Verlangen nachgab. Als Lieblingsengel Gottes war er zwar vorbildlich in seinen Taten, jedoch keinesfalls dumm oder naiv. Er wusste genau, dass er Gottes Gesetz brach. Vorbildlich hieß eben nicht perfekt oder unfehlbar zu sein.
 

Und schließlich gab es noch eine Frage, die ihm auf der Zunge brannte: „Bereust du es etwa?“
 

Doch damit traf er einen wunden Nerv bei dem Schwarzgeflügelten, der sich abrupt umdrehte und ein bestimmtes „Niemals!“ hervor rief. Auch wenn er unter den anderen Engel als Unruhestifter bekannt war, so wollte er mit seiner Tat niemals den Ärger und die negative Aufmerksamkeit der anderen auf sich ziehen. Nein, diesmal war es anders gewesen und genau das bereitete ihm Sorgen. Denn aufgrund seines Verhalten in der Vergangenheit, dachten die anderen wahrscheinlich, dass er den Engel aus lauter Jucks und Tollerei verführt hätte. Doch dem war nicht so. Seine Gefühle hätten nie reiner und aufrichtiger sein können. Und er betete, dass Gott das auch so verstanden hatte.
 

Überglücklich rannen dem Weißgeflügelten Tränen über die Wangen, der das mit einem „Ich auch nicht“ erwiderte. Genau das. Nur das wollte er hören. Ihm war egal, was die anderen über ihn dachten, was Gott dachte. Als sie vor das Gottesgericht gestellt wurden, hatten sie beide die Gelegenheit gehabt ihre Tat zu rechtfertigen. Darüber war er nicht nur froh, sondern auch dankbar, denn so hatte er die Chance Gott von der Echtheit seiner Gefühle zu überzeugen. Doch über das Gesetz ließ sich nicht verhandeln, so rein ihre Beweggründe auch sein mochten.
 

„Ich liebe dich! Ich werde es nie vergessen, auch wenn wir als Menschen wieder geboren werden, Yael.“, weinte der Weißgeflügelte und sah seinen Geliebten mit Tränen in den Augen, aber auch glücklich lächelnd an.

Auch der Schwarzgeflügelte sah seinem Geliebten tief in die Augen und antwortete: „Ja, ich werde unsere Liebe auch nicht vergessen, Ariel. Das verspreche ich!“
 

Am folgenden Morgen wurde ihnen das Urteil verkündet, das sie bereits erwartet hatten: Verbannung aus dem Paradies, Aberkennung der Unsterblichkeit und unendliche Wiedergeburt in einem menschlichen, sterblichen Körper. Und dann wurde ein kleine aber wichtige Nebensächlichkeit erwähnt. Ariel sollte als Einziger seine Erinnerungen verlieren. Die sofortige Vollstreckung lag im Sinne der Wahrung der göttlichen Ordnung.
 

Panisch sahen sich beide an und wollten zueinander eilen, wurden aber durch zwei Erzengel daran gehindert.
 

„Nein, Gott, das ist ungerecht! Wieso belegst du ihn mit dieser Strafe, obwohl ich der Hauptsünder bin!“, schrie er und wurde von dem Erzengel zu Boden gedrückt.
 

„Das siehst du falsch.“, erklärte ihm dieser von oben herab und ließ Yael hellhörig werden, „Denn während Ariel mit den Freuden des Vergessens gesegnet sein wird, wirst du an den Qualen der Erinnerung leiden.“
 

So war das also? Es sollte eine Strafe sein. Eine unendliche Strafe, der er nicht entrinnen konnte. Und doch konnte er es nicht glauben. Was war dann mit ihrem Schwur? Sie hatten sich doch versprochen als Menschen wiederzufinden. Wie sollte das gehen, wenn Ariel alles vergessen würde?
 

Yael lag Gott zu Füßen, bettelte und flehte ihn an, doch dieser verlor kein Wort darüber und ließ sich nicht umstimmen. Während er festgehalten wurde, musste er zusehen, wie dem Ariel die Erinnerungen genommen wurden. Sein Geliebter sah ihn nur noch mit leeren Augen gefühllos an. Nun war seine Gegenwehr erschlossen und ließ seinen Körper schlaff hängen, sodass der Erzengel von ihm abließ. Es machte sowieso keinen Sinn mehr.
 

Ungläubig lag er da und spürte nicht einmal, dass sein eigener Körper in Flammen stand. Sein Herz schmerzte schlimmer als es die Brandwunden je tun könnten. Stück für Stück wurde er von ihnen aufgefressen. Während der Schwarzgeflügelte in Flammen aufging und von ihnen wie von einem Monster verschlungen wurde, sah der Weißgeflügelte reglos zu. Und auch, wenn dieser nicht wusste warum und er bei der Verbrennung dieses Engels nichts fühlte, liefen ihm trotzdem Tränen die Wangen herunter.
 

Plötzlich blinzelte Satoru und sein Geist kehrte er wieder in seinen Körper zurück. Ungläubig was mit ihm geschehen war, sah er den Braunhaarigen an, als wären sie sich heute zum ersten Mal begegnet.

Unsicher sah er nun an sich selbst herunter und sagte: „Ich bin…nein, ich war…Ariel.“
 

Der Braunhaarige war so geschockt, dass es ihm die Sprache verschlagen hatte. Er wusste nicht, ob er in diesem Augenblick lachen oder weinen sollte. Ein Wunder war geschehen. Er hatte sich tatsächlich erinnert. Das, was in ihren unzähligen Wiedergeburten noch nie vorgekommen war. Das, was Gott mit seiner Strafe unter allen Umständen verhindern wollte.
 

Nun wandte der Blauhaarige seinen Blick wieder zu dem Älteren und blickte ihm tief in die Augen. Zuerst lächelte er, wurde im nächsten Moment aber wieder etwas schüchtern, streckte seine Hand nach der Wange des Braunhaarigen aus und meinte: „Und du, Gaku, du bist Yael.“
 

Nun war es der Braunhaarige, der mit einem Lächeln und Tränen in den Augen mit einem erleichterten „Ja…“ antwortete. Er zog den Kleineren wieder zu sich in die Arme und verharrte mit ihm so für die nächsten fünf Minuten. Erst dann ließen sie voneinander ab und gingen nach Hause, während Satoru ihm alles erzählte.
 

Natürlich war es mit der Erzählung an seine Erinnerung nicht zu Ende. Als sie zu Hause angekommen waren, die Einkäufe eingeräumt und ein Bad genommen hatten, löcherte Satoru den Älteren mit weiteren Fragen, denn, obwohl er sich an ihre Vergangenheit als Engel im Paradies erinnern konnte, hieß nicht, dass er sich auch an seine sämtlichen Wiedergeburten erinnerte. Außerdem ging es ihm noch nicht auf, wieso Gaku so viel Energie einsetzen musste, um in einer Zeit zu verharren. Als er den Rerun in das Jahr 1988 eingesetzt hatte, war es für ihn ein leichtes dort zu bleiben so lange er wollte. Im Gegensatz zu Gaku schien er sehr viel mehr Kontrolle über den Rerun zu besitzen.
 

Und dann gab es noch eine äußerst unangenehme Sache: Gaku hätte sich fast wieder aufgelöst. Auch das war Satoru bei seinen Reruns nie passiert. Während das den Braunhaarigen nicht weiter kümmerte, war es für den Blauhaarigen immer wieder ein Ereignis, bei dem er mit einem Schrecken davon gekommen war. Eines schien jedoch zu helfen. Der Ältere manifestierte sich immer, wenn er dessen Namen rief oder nach ihm griff. Gab es nicht eine andere Möglichkeit ihn in dieser Zeit zu behalten? Bestünde vielleicht ein Weg, wie Satoru Energie an Gaku übertragen könnte?
 

Darüber grübelten sie beide angestrengt nach, während sie nach dem warmen Bad in ihre Futons geschlüpft waren. Satoru, der im Schneidersitz saß, war dabei etwas ernsthafter bei der Sache als Gaku, der schon unter der Bettdecke lag. Jetzt wo der Jüngere sich an alles erinnerte, hatte er ein unheimliches Redebedürfnis. Außerdem hatte er durch den Gewinn seiner Erinnerungen auch an Selbstsicherheit. Schließlich war er jetzt wieder im Besitz seiner zweiten verlorenen gewesenen Hälfte.
 

„Wie lange dauert es bis sich deine Kraft wieder aufgeladen hat?“, fragte Satoru ihn, was unweigerlich zu einem Stich in Gakus Herzen führte. Der Blauhaarige schloss von seinen Kräften und Rerun-Erfahrungen auf die des Braunhaarigen. Seinen Vermutungen nach müsste Gaku nur wieder im Besitz seiner vollen Kräfte sein, um wieder einen Rerun durchführen zu können.
 

Der Ältere wich den fragenden Blicken des Jüngeren aus und antwortete monoton: „Keine Ahnung. So pauschal kann ich das nicht sagen.“ Ihre Rerun-Fähigkeiten unterschieden sich in einigen Punkten. Einige hatte er Satoru offen gelegt, andere nicht. Da Satoru den Rerun mehrmals eingesetzt hatte, ging er davon aus, dass auch Gaku das konnte. Genau das war der Denkfehler, doch darauf wollte er nicht eingehen. Es reichte ihm auch so schon, dass der Jüngere in dem Unwissen wann und wie sie sich wieder treffen könnten sich den Kopf zerbrach.
 

„Wie viel Kraft besitzt du noch?“, fragte der Blauhaarige ihn besorgt, aber ernst.
 

„Auch das ist schwer zu sagen.“, meinte dieser und versuchte die Lage realistisch einzuschätzen, „Schätzungsweise fünfzig Prozent abwärts. Der Wert schwankt ziemlich und ist nie konstant. Manchmal fühle ich mich relativ fit, manchmal bin ich am Ende meiner Kräfte. Aber nach dem heutigen Tag hat auch diese Einschätzung wenig auszusagen.“
 

„Dann könnte es jederzeit passieren, dass du…“
 

„Es kann morgen geschehen, aber auch übermorgen. Kann sein, dass es mitten in der Nacht geschieht.“
 

Da kam Satoru die Idee. Wenn er Gakus Verschwinden aufhalten könnte, indem er seinen Körper festhielt, dann wäre doch die Lösung, dass er den Älteren im Schlaf fest umschlungen hielt und nicht mehr losließ. Er kuschelte sich unter den Futon und klammerte sich fest an ihn.
 

„Satoru, so kann ich nicht schlafen.“, kamen aber sogleich Proteste. Es war nicht nur unbequem, sondern ganz und gar unmöglich so ein Auge zu zubekommen.

„Ich will auch nicht schlafen. Denn wenn ich dich loslasse, wirst du nächsten Morgen verschwunden sein.“ Satoru war einerseits wütend, andererseits verzweifelt. Er würde seinen Geliebten unter allen Umständen beschützen und koste es ihn den Schlaf.
 

„Du hast gesagt, dass ich Gottes Liebling gewesen wäre. Wenn ich ihn von ganzem Herzen bitte, wird er mir dann meinen Wunsch erfüllen?“

Ungläubig sah Gaku den Jüngeren an, der sich wieder aufgerichtet und über ihn beugte. Seit er seine Erinnerungen wieder erlangt hatte, war er nun noch energischer und verbissener geworden. Seine Augen sahen ihn verzweifelt an und suchten in ihm die Bestätigung, die er ihm leider nicht geben konnte.
 

„Ich glaube nicht, dafür hasst er mich viel zu sehr.“, antwortete Gaku realistisch. Er war zwar kein Pessimist, aber auch kein Optimist, dafür hatte er viel zu viele Wiedergeburten hinter sich und, wenn es eines war, was sie ihn gelehrt hatten, dann die Tatsache, dass man nichts gegen diesen auferlegten Fluch tun konnte.
 

Die Dunkelheit, die ihr Zimmer durchflutet hat, bedeckte nun auch sein Herz. Es war als hätten sie die Rollen getauscht. Nun war es Satoru derjenige, der vor Tatendrang nur so trotze und er der, der ihn wieder auf den Boden der Tatsachen zurück holen musste. Er hatte schon viel darüber nachgedacht und nichts unversucht gelassen. Schließlich musste er es einsehen - Gott war allmächtig.
 

„Dann wende ich mich auch gegen ihn.“, meinte der Blauhaarige übermütig, was den Braunhaarigen nun neue Hoffnung gab. Wie das Licht des Vollmondes, das durch die durchsichtigen Vorhänge hineinschien, erhellten Satorus Worte sein Herz. Woher nahm er plötzlich diesen Mut? Sich gegen Gott stellen, sowas Albernes!
 

Nun war es Gaku, der den Jüngeren wieder zu sich nach unten in die Arme zog und ihn nicht mehr loslassen wollte: „Du dummer Junge. Wenn du das sagst, will ich dich für immer bei mir behalten. Außerdem…wenn du das tust…wird sich die Geschichte wiederholen…Und genau in diesem Moment wird Gott uns entzweien.“
 

Abermals drückte sich der Satoru von dem Älteren weg, beugte sich über ihn und erklärte: „Nein, ich glaube das nicht. Gott hat mir, uns, nicht umsonst diese Fähigkeit gegeben. Ich glaube es ist eine Chance. Eine Chance, dass wir unser Glück doch noch irgendwann finden. In…unendlicher Gnade.“
 

Gaku sah Satoru entgeistert an. Eine Chance? Auf diese Idee wäre er selbst nie gekommen. Sollte es tatsächlich möglich sein, dass Gott auch ihn liebte? Ihn - den Sünder? Konnte es sein, dass auch er glücklich sein durfte? Auch, wenn ihre Zeit begrenzt war, machte es ihnen die Reruns und Wiedergeburten dennoch möglich sich irgendwann wiederzusehen.
 

Der Blauhaarige war in mentaler Höchstform und seine Gedanken ratterten auf Hochtouren, während er scharf nachdachte: „Ich konnte es schon einmal.“ Für einen Moment hatte er auch in Erwägung gezogen einen Rerun in das Jahr 1988 zu machen. Doch da nur sein Geist in die Vergangenheit reisen kann, würde das bedeuten, dass er dann wieder ein kleiner Junge sein würde.

Schießlich schien er einen Geistesblitz zu haben: „Ich hab eine Idee! Was ist, wenn wir beide einen Rerun durchführen? In die Zeit als wir beide noch Engel waren. Was ist dann? Dann können wir den Lauf der Geschichte sicher ändern!“
 

Nun setzte auch der Ältere auf, küsste den Jüngeren leidenschaftlich und streichelte ihm beruhigend über die Wange: „Satoru, weißt du was? Genau das liebe ich so an dir. Ich weiß nicht, wann ich verschwinden werde. Eigentlich dachte ich schon vor zwei Tagen, dass es passieren würde. Aber es geschah nichts. Gott allein hält es in der Hand, das habe ich heute realisiert. Aber egal, wann es geschehen wird. Ich habe jeden Tag, jede Minute mit dir habe ich genoßen. Das war es mir wert.“
 

„Nein!“, Satoru drückte Gaku an den Handgelenken auf den Futon. Wieder diese Worte als würde er Lebwohl sagen.

Diese Worte, die ihn zurück ließen und ihn so verletzten: „Du Mistkerl! Und wie ich mich fühle das kümmert dich überhaupt nicht, oder wie?!“
 

Mit Tränen in den Augen drückte er seinem Geliebten einen stürmischen Kuss auf die Lippen, mit dem Gaku nicht gerechnet hatte. Er war so dürr und knochig, dass der Braunhaarige ihm gar nicht zugetraut hätte so kräftig zu sein. Als er sich nach einer gefühlten Ewigkeit wieder von ihm löste, sah Satoru dem unter ihm Liegenden fest in die Augen und meinte: „Ich liebe dich, Gaku-san! Ich lasse dich nicht so einfach gehen!“
 

„Satoru, du darfst dich nicht gegen Gott stellen. Nicht du, den er so sehr liebt. Es ist genug, wenn er mich verstoßen hat. Du dummer Junge. Du darfst dich nicht von ihm entfernen.“, meinte der Braunhaarige ernsthaft, setzte sich ebenfalls zu ihm auf und strich ihm verträumt über die zarte Wange. Dass der Jüngere bereit war so weit für ihn zu gehen, hätte er nicht für möglich gehalten. Es machte ihn so glücklich, dass sein Herz vor Glück überquoll. Trotzdem musste er den Jungen zur Räson bringen und seinen Blick auf das Wesentliche richten: das Hier und Jetzt.
 

„Und jetzt lass uns das Ganze vergessen und uns einfach die Nacht genießen.“, hauchte er ihm in einem Kuss auf die Lippen und nachdem sie sich beide ihres Pyjamas entledigt hatten, verkrochen sie sich beide in die angenehme Wärme unter der Decke ihres Futons. Ihre beiden nackten Körper schmiegten sich aneinander, während sie sich mit Küssen und Streicheleinheiten übersäten.
 

Einige Stunden später lag Gaku immer noch hellwach da und sah nachdenklich seinen Geliebten an, der friedlich und unschuldig in seinen Armen schlief, während er dachte: Satoru, zwischen deinem und meinem Rerun gibt es noch einen Unterschied: Im Gegensatz zu dir, kann ich den Rerun nur ein einziges Mal durchführen. Das heißt, wenn ich verschwinden sollte, wird es ein Abschied, ein Lebewohl, für immer sein. Denn dann wird sich das Fenster für mich für immer schließen - bis zu meiner nächsten Wiedergeburt.

Sonntag

Gott, als du unseren Körpern Leben eingehaucht hast, gabst du uns - genau wie Adam und Eva - auch ein Herz. Dir muss doch bewusst gewesen sein, was geschehen würde. Du weißt doch alles. Wenn du wusstest, dass ich solche Gefühle entwickeln würde, wieso hast du mir überhaupt ein Herz gegeben?
 

Gott, du bist mein Vater. Auch, wenn ich kein vorbildlicher Engel war, habe ich dich immer geliebt. Aber gleichzeitig liebe ich auch jemand anderen. Und wenn ich ihn so in meinen Armen schlafen sehe, möchte ich alles für ihn tun. Ist das denn eine Sünde?
 

Gott, ich wollte mich nicht von dir abwenden. Aber meine Liebe zu ihm ist stärker. Es tut mir Leid. Damals im Paradies musst du sehr traurig darüber gewesen sein uns beide zu verlieren. Aber möchte nicht jeder Vater, dass seine Kinder glücklich sind? Bitte Gott, erhöre mich: Ich wünsche mir nichts sehnlicher als glücklich zu sein. Mit ihm an meiner Seite.
 

Daran dachte der Braunhaarige während er seinen Geliebten in seinen Armen beim Schlafen beobachtete. Durch die Vorhänge konnte er erkennen, dass es draußen langsam anfangen würde zu dämmern. Schätzungsweise war es also ungefähr halb sieben. Für einen Sonntag noch recht früh um jetzt schon wach zu sein.
 

Gaku hatte in der letzten Nacht kaum geschlafen. Einerseits war er so glücklich, dass er vor Aufregung nicht schlafen konnte, andererseits fühlte er sich beim Anblick von Satorus schlafenden Gesicht so sicher und geborgen, dass er seinen Blick nicht von ihm abwenden konnte. Er liebte ihn einfach über alles und wollte ihn für immer beschützen. Trotzdem war ihm bewusst, dass er bald verschwinden würde. Noch ein Grund mehr jede Sekunde zu nutzen.
 

Plötzlich machte der Jüngere einen leisen Seufzer, atmete tief ein und auf und blinzelte schließlich, überrascht den Älteren immer noch neben sich im Futon zu sehen. Normalerweise war er immer alleine aufgewacht und hatte den Älteren immer schon fertig angezogen in der Küche wiedergefunden.
 

„Nanu, ist es schon Morgen?“, flüsterte der Blauhaarige verschlafen.
 

Gaku war so entzückt von diesem Anblick, dass er seinem Geliebten zärtlich auf die Stirn küsste und antwortete: „Ja, aber es ist noch ziemlich früh. Du kannst noch etwas die Augen zumachen.“
 

Gesagt, getan. Wie ein kleines Kätzchen hatte sich Satoru noch näher an Gakus Brust gekuschelt und atmete dessen wohligen Duft ein, während er wieder einschlief. Und obwohl der Braunhaarige bis gerade eben noch hellwach war, übermannte ihn jetzt doch die Müdigkeit. Dabei wollte er doch keine Zeit verschwenden und dennoch konnte er nicht dagegen ankommen. Vielleicht brachte es etwas, wenn er seine Augen nur ein wenig ausruhte? Nur für ein paar Sekunden?
 

Als der Braunhaarige wieder die Augen öffnete, war es im Zimmer bereits hell. Mist. War er tatsächlich eingeschlafen? Für wie lange wohl? Ein Blick auf die Wanduhr verriet ihm, dass es schon zehn Uhr war. Nun war der neben ihm Liegende ebenfalls durch seine Bewegung wach geworden und streckte sich verschlafen, um sich dann wieder unter der Bettdecke zu verkriechen.
 

„Müssen wir schon aufstehen?“, grummelte dieser.
 

„Nicht unbedingt. Es ist Sonntag.“, beantwortete der Ältere die Frage und gesellte sich ebenfalls zu seinem Geliebten unter die Decke.
 

„Guten Morgen erst Mal.“, begrüßte ihn der Blauhaarige nun mit einem schüchternen Lächeln.
 

Auch der Braunhaarige erwiderte den Gruß mit einem zärtlichen Kuss und einem Lächeln auf den Lippen: „Guten Morgen“.
 

Verträumt sahen sich die beiden in die Augen und Gaku strich Satoru mit seinen großen Händen über Wange und Gesicht, während Satoru seine Streicheleinheiten genüsslich in Empfang nahm. Wäre er eine Katze würde er jetzt ganz sicher anfangen zu schnurren. Er dachte, dass ein Morgen mit dem selbstgekochten Frühstück des Braunhaarigen schon sein größtes Glück wäre, wurde aber gerade eines besseren belehrt. Gakus Hände waren zwar groß, aber unglaublich warm und weich, sodass er gerne jeden Morgen so aufgeweckt werden wollte.
 

„Weißt du was?“, fragte Gaku rhetorisch um brachte den Jüngeren dazu zu ihm hochzublicken, „Wenn wir beide alle Zeit der Welt hätten, dann wäre das das größte Glück für mich: so neben dir aufzuwachen. Jeden Tag.“ Unweigerlich fing das Herz des Jüngeren schneller an zu schlagen. Ja, sie beide waren so unglaublich glücklich.
 

Auch Satoru lächelte und antwortet: „Meines auch. Das könnte glatt meine neue Morgen-Routine werden.“ Wie schön, dass sie beide das gleiche dachten. Diese Gedanken kamen sicher, weil sie beide das gleiche füreinander empfanden. Seitdem er sich an seine Vergangenheit als Engel erinnert hatte, spürte er Ariels Seele, die sich zu Yael hingezogen fühlten, noch mehr. So hielten sich beide noch eine Weile unter der Decke in den Armen und genossen es vollkommen in dem Duft und der Wärme des anderen eingehüllt zu sein.
 

„Und weißt du, was ich noch gerne zu meiner Morgen-Routine machen würde?“, plötzlich durchbrach der Ältere grinsend, fuhr mit seinen Lippen hinunter an Satorus dünnen Hals, während seine Hand weiter nach unten Satorus morgendliche Erregung suchte und fand. Überrascht zuckte der Blauhaarige kurz zusammen, entbrannte aber im nächsten Moment schon in einem verführerischen Kuss mit seinem geliebten.
 

Eigentlich wollte er nicht schon am frühen Morgen dazu kommen, doch Gakus Kuss war so überwältigend, dass er sich nicht dagegen wehren konnte und schließlich mehr wollte. Da es unter der Decke ziemlich heiß wurde, entledigten sie sich schnell ihrer Pyjamas und pressten ihre verschwitzten und nach mehr verlangenden Körper aneinander. Schon nach wenigen Sekunden hielten sie es nicht mehr aus, sodass Gaku sich von seinem Geliebten löste und nach unten kroch, wo er die harte Errektion des Blauhaarigen verwöhnte und sie schließlich wieder in einem leidenschaftlichen Liebesspiel aus heißem Schweiß und sanften Stöhnen entbrannten.
 

Danach waren beide so fertig, dass sie eigentlich prompt wieder nebeneinander hätten einschlafen können, sich aber dazu überwanden aufzustehen und fertig zu machen. So standen sie beide in ihren Boxershorts am Waschbecken nebeneinander und putzten sich die Zähne, während Gaku seinen Geliebten an der Hüfte umarmte und ihm neckisch durch die Haare wuschelte.
 

Da es nun schon elf Uhr war, beschlossen sie zur Abwechslung in ein Cafe brunchen zu gehen. Es war das gleiche Cafe, in dem sie letztens schon waren und sie bestellten sich beide ein großes, üppiges Frühstück, an dem sie lange gemütlich aßen. Während sie aßen redeten sie über das Eine und das Andere, verlangten einen Nachschlag und ließen sich bis in den Nachmittag hinein Zeit. Dabei gingen sie so vertraut miteinander um, dass sie beide auch die Aufmerksamkeit der anderen Besucher auf sich zogen.
 

Das machte den Blauhaarigen etwas verlegen und er rutschte etwas von dem Braunhaarigen weg.
 

„Was ist los?“, fragte Gaku verdutzt.
 

„Naja“, antwortete Satoru, „Die Leute gucken schon. Wir sollten etwas Abstand zueinander halten.“
 

Zwar waren sie hier nicht gerade auf dem Land, aber auch nicht in Tokyo. Zwei so vertraut miteinander umgehende Männer sah man hier nicht alle Tage. So war es immer, in dieser Stadt. Satoru versuchte immer bloß nicht aufzufallen. Auch Gaku verstand das, immerhin war der Jüngere nicht gerade ein extrovertierter Typ. Doch Satoru sah dabei so traurig aus, dass er nicht anders konnte als ihn zu sich zu ziehen und ihn zärtlich zu küssen.
 

Überrascht drückte Satoru sich weg und meinte panisch: „Spinnst du, was soll denn das?!“ Als er sich umdrehte, waren - wie konnte es auch anders sein - auf sie gerichtet. Die Menschen starrten sie an, als wären sie gerade mit dem Auto an einem Unfall vorbei gefahren. Blöder Gaku, blöder Yael!
 

Doch auch der Braunhaarige drehte sich um und meinte provokant: „So, möchte noch jemand einen Kuss?“
 

Plötzlich waren die Menschen so beschämt und wandten sich mit ihren neugierigen Blicken peinlich berührt ab. Satoru konnte nicht sagen, ob ihnen die Kussszene unangenehm war oder sie sich an der eigenen Nase ertappt fühlten. Schließlich gehörte es sich auch nicht andere so anzustarren.
 

Schnell bezahlten sie, verließen Händchen haltend das Cafe und gingen noch eine Weile durch die Gegend spazieren. Obwohl es der Jüngere genoß, war ihm das ganze auch unheimlich peinlich, sodass er etwas hinter Gaku her lief.
 

„Weißt du, dass du dich gerade total wie der frühere Yael benommen hast?“, grummelte Satoru vor sich hin, „Immer machst du solche Sachen. Nur um andere zu provozieren. Das ist total unnötig.“ Er erinnerte sich immer mehr daran, wie Yael die anderen Engel immer unnötig provoziert hatte mit irgendwelchen doofen Sprüchen. Er hatte gar kein Taktgefühl, was man sagen und machen durfte und was nicht. Oder vielleicht besaß er es, wollte sich aber nicht daran halten. Das hatte oft zu Streitigkeiten geführt, wo er immer dazwischen gegangen war.
 

„Aber genau damit“, erwiderte der Braunhaarige stolz lächelnd und zog den hinter sich laufenden Satoru mit einem Ruck an der Hand zu sich nach vorne in seine Arme, „hab ich dein Herz gewonnen.“ Mit seinem Zeigefinger hob er Satorus Kinn etwas an und hauchte ihm einen zärtlichen Kuss auf die Lippen. Auch das war wahr, denn tief in seinem Inneren hatte sich Ariel genau zu diesem provokanten Verhalten angezogen gefühlt. Dieser Engel, der sich einfach nahm, was er wollte und dem es egal war, was die anderen dachten. Dem es auch egal was, was Gott von ihm hielt.
 

Als die beiden sich wieder voneinander lösten, bemerkten sie, dass die Sonne bereits am Untergehen war. Verträumt sah der Blauhaarige seinem Geliebten in die Augen. Plötzlich erhellte sich sein Blick und ein freudestrahlendes Lächeln bildete sich auf seinen Lippen, denn er hatte gar nicht gemerkt, dass sie durch einen Kirschblütentunnel hindurch liefen. An beiden Straßenseiten waren Kirschbäume gepflanzt. Die Blüten waren zwar noch Knospen, sahen aber aus als würden sie sich morgen oder übermorgen öffnen. Der Frühling war also schon gekommen.
 

Gefesselt von dem Anblick lief Satoru mit klopfendem Herzen, den Kopf nach oben gerichtet weiter und meinte freudestrahlend: „Hey Gaku-san, lass uns morgen noch mal hierher kommen. Morgen sind sie sicher schon aufgeblüht.“
 

„Ja“, antwortete der Braunhaarige und sah den Jüngeren mit etwas Abstand ebenfalls lächelnd zu. Es war das erste Mal, dass er ihn so unbekümmert und ausgelassen erlebte.
 

Doch gerade als er zu ihm gehen wollte, spürte er wieder diesen Schmerz in seiner Brust und wie sich sein Herz plötzlich zusammenschnürte und ihm jegliche Luftzufuhr abkapselte. Ein Blick auf seine Hand verriet ihm, dass er sich begann aufzulösen. Er war schon fast ganz unsichtbar geworden. Auch Satoru sah, dass sein Geliebter zusammen gebrochen war und wusste, was das bedeutete: Er musste so schnell wie möglich zu Gaku und ihn berühren. Ihn umarmen, an der Hand oder am Ärmel zu fassen kriegen. Egal was.
 

Kurz bevor er den Braunhaarigen jedoch zu fassen bekam, wurde er von einer unsichtbaren Barriere weggeschleudert. Als er sich wieder aufgerichtet hatte und einen neuen Anlauf startete, hatte sich ein Wind gebildet, der ihn von Gaku fernzuhalten versuchte.
 

„Gaku-san, versuch deine Hand nach mir auszustrecken!“, rief der Blauhaarige, der verzweifelt versuchte gegen den Wind anzukommen. Doch obwohl der Ältere seine Stimme hörte, konnte er der Aufforderung nicht folgen, denn auch um seinen Körper und um seine Hände haben sich unsichtbare Fesseln gelegt, die ihn an jeglicher Gegenwehr hinderten. War das Gott? Rief er ihn etwa zu sich? Jetzt, wo sie beide so glücklich miteinander waren?
 

Nein, dachte Gaku innerlich und musste lächeln, Gott, du hast dich selbst verraten. Wenn du mich hättest bestrafen wollen, dann hättest du das immer tun können. Aber du hast mir eine ganze Woche mit Satoru gegeben. Das war mehr als ich jemals hoffen konnte. Ich habe es jetzt verstanden: auch, wenn du uns verstoßen hast, endet deine Liebe und deine Gnade für uns nicht. Ich danke dir, Vater.
 

Als er das realisiert hatte, war seine Gegenwehr vollkommen verstrichen. Sein letzter Blick viel auf den blauhaarigen jungen Mann, der mit all seiner Kraft versuchte an ihn heran zu kommen.
 

„Gaku-saaaaaaaaa!!!“, hörte er den Jüngeren immer wieder rufen. Ja, es war wirklich schade und dennoch konnte er Gott nicht böse sein. Und er bat den Vater innständig, dass auch sein Geliebter nicht lange leiden müsse und seine Traurigkeit bald verfliegen würde.
 

Er sah ihn noch ein letztes Mal und antwortete: „Bis zur nächsten Wiedergeburt.“
 

„So lange kann ich doch nicht warten!“, rief Satoru protestierend, doch der Ältere war schon verschwunden und mit ihm auch der Wind, der ihn zurück gehalten hatte. So landete der Blauhaarige auf dem knallharten Boden und konnte nicht anders als in seiner Verzweiflung immer wieder mit der Faust gegen den Asphalt zu hämmern. Das konnte doch nicht sein Ernst sein! Bis zur nächsten Wiedergeburt?! Das würde eine gefühlte Ewigkeit dauern!
 

„Verdammt!!!“, schrie Satoru und die Leere hinein. Die Sonne war mittlerweile schon fast untergegangen. Es waren nur noch wenige Minuten bis sie den Horizont erreichen und sich dann der Tag und die Nacht abwechseln würden. Es war in diesem Moment als ihm der Gedanke von Gestern wieder einfiel. Ein Rerun. Mit weit aufgerissenen Augen und mit pochendem Herzen stand er auf und dachte nach. Gaku war erst vor ein paar Sekunden verschwunden, das heißt, er müsste sich noch in der Raum-Zeit-Schleife befinden. So wie es bei ihm immer gewesen war. Der Übergang von einer Zeit in die nächste verlief nie ohne diesen kurzen Zwischenstop.
 

Bitte, Gott, Vater, wenn du uns wirklich liebst, dann lass mich jetzt einen Rerun machen. Lass mich ihn wiedersehen, dachte er und hob hoffnungsvoll den Blick. Genau jetzt in diesem Augenblick flog plötzlich ein blauer Schmetterling vorbei. Es war das Zeichen für den Rerun. Ja, genau jetzt. Und tatsächlich, im nächsten Moment spürte er wie sein Geist seinen Körper verließ und er sich in der bekannten Raum-Zeit-Schleife befand.
 

Die Raum-Zeit-Schleife war anders als sonst. Es befanden sich nicht nur Satorus Erinnerungen darin, sondern nun auch die von Gaku. Und nicht nur die von ihrem menschlichen Leben, sondern auch die aus ihrem Leben als Engel. Er sah in alle Richtungen und fand Gaku zunächst nicht. Doch der ganze Raum war erfüllt von Gakus roten und seinem eigenen blauen Faden. Er brauchte also nur das Ende des roten Faden zu suchen und tatsächlich, als er sich umdrehte flog der Braunhaarige genau hinter ihm.
 

Auch der Gaku sah überrascht und ungläubig nun den Blauhaarigen vor sich. Wie konnte das sein, dass er ihm bis hierher gefolgt war? Bisher hatte er immer gedacht, dass sie beide nicht gleichzeitig den Rerun durchführen könnten, wurde hier aber anscheinend eines besseren belehrt. Hatte Gott auch das mit einberechnet? Gab es tatsächlich Hoffnung für sie beide?
 

„Ich bin gekommen, um dich zu holen, Yael!“, meinte Satoru und streckte seinem Geliebten die Hand aus.
 

Zunächst traute sich der Braunhaarige nicht. Er fürchtete sich zu sehr davor, dass er im nächsten Moment verschwinden würde. Schließlich war seine Kraft gänzlich aufgebraucht. Es könnte ihn nichts mehr in der jetzigen Zeit halten. Und dennoch wollte er Satorus Worte vertrauen. Er wollte Gott vertrauen. Darauf vertrauen, dass Gott ihnen diese Kraft einst schenkte, damit sie irgendwann miteinander glücklich werden könnten. Nicht als Engel, sondern als Menschen.
 

So griff auch Gaku nach Satorus Hand und Just in diesem Moment riss sein roter Faden an dem Ende, das mit dem Himmel verbunden war und beide lagen in Satorus Zeit genau an der gleichen Stelle auf dem Boden, wo sie sich vorher auch befunden hatten. Beide standen auf und Gaku sah aufgeregt auf seine Hände. Sie waren vollkommen normal und auch sein Körper fühlte sich frisch und aufgetankt an.
 

Noch bevor er sich darüber freuen konnte, spürte er schon, wie der kleinere Satoru sich an seine Brust warf und ihn umarmte und meinte: „Ich hab dich einmal verloren. Das wird mir kein zweites Mal passieren.“ Auch Gaku schlang seine Arme um den dünnen Körper und zog seinen Geliebten noch näher an sich.
 

„Außerdem…“, ergänzte Satoru,“…wolltest du doch noch die Kirschblüten mit mir morgen anschauen.“
 

Gaku sah nach oben und bemerkte neben dem Blütenmeer, dass nicht nur sein roter Faden sondern auch Satorus blauer Faden vom Himmel abgerissen war. Doch nicht nur das. Sie waren beide gerissen und - hatten sich miteinander verknotet. Sein roter Faden war nun mit Satorus blauem Faden verbunden. Die endlose Schleife der Wiedergeburten war nun endgültig unterbrochen. Nun konnten sie beide glücklich als Menschen zusammen leben.
 

Als Gaku das bewusst wurde, zog er Satoru noch näher an sich heran und antwortete: „Ja, lass uns morgen die Kirschblüten anschauen kommen. Übermorgen und nächstes Jahr auch.“
 

Durch Raum und Zeit hinweg habe ich nach dir gesucht. In jedem neuen Leben, mit jeder Wiedergeburt habe ich auf dich gewartet. Auch, wenn unsere Körper sterblich waren und die Zeit nicht überdauerten und wir weit von einander entfernt wieder geboren werden würden - meine Liebe zu dir würde beides, Zeit und Raum, überwinden um dich wiederzusehen.



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Kommentare zu dieser Fanfic (11)

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Bitte keine Beleidigungen oder Flames! Falls Ihr Kritik habt, formuliert sie bitte konstruktiv.
Von:  Amy-Lee
2023-08-14T17:08:42+00:00 14.08.2023 19:08
Hi, es war schön.

Ich freue mich, dass es am Ende der FF ein Happy End für beide gab und sie jetzt endlich zusammen sein können,
ohne das Gott sich da einmischt.

Das was Gaku gedacht hat, war gut, wenn Gott gewollt hätte das die Engel nicht lieben, hätte Er ihnen kein Herz geben,
aber das tat Er so musste Er doch damit rechnen finde ich, genauso betrifft es auch uns und deshalb ist Er ganz allein schuld daran das viele Menschen nicht mehr an Ihm glauben.

Bis zur nächsten FF (falls eine in Planung ist).
Bye


Antwort von:  Sweet_Sakura0307
14.08.2023 21:33
Hallöchen,

danke, dass du so lange dabei warst. Mal schauen, was die nächste FF wird. Vielleicht schreibe ich hierzu auch ein Extra-Kapitel oder so ;)

Liebe Grüße
Sweety
Antwort von:  Amy-Lee
14.08.2023 22:36
Hi.

Na dann freue ich mich darauf.
Von:  Amy-Lee
2023-08-06T20:45:31+00:00 06.08.2023 22:45
Hi, noch mal.

So, jetzt hat auch Satoru seine Erinnerungen von seinem Leben als Engel wieder,
dass ist gut und ich hoffe das ändert alles.

Wenn Gott Ariel wirklich Liebt, dann müsste Ihn doch sehr daran gelegen sein das Er Glücklich ist oder?
Im Moment sieht das für mich nicht so aus, aber gut, Gott hat eine komische art zu zeigen wen Er liebt und
ganz ehrlich ich zweifle an seinen Gefühlen, für mich ist Er ein Heuchler.

Bis zum nächsten mal.
Bye
Antwort von:  Sweet_Sakura0307
14.08.2023 15:47
Hi, auch nochmal! XD
Wie schön, dass dir der Verlauf der Geschichte gefällt.
Wünsch dir weiterhin viel Spaß beim letzten Kapitel (das ich vorhin hochgeladen habe)!
LG
Von:  Amy-Lee
2023-08-06T20:11:34+00:00 06.08.2023 22:11
Hi, etwas spät aber besse als nie.

Zuerst einmal schön das es weiter geht.

Ich kann Ihn verstehen, Er ist sauer das Gaku immer so freundlich zu Ihm ist und
Er sich so immer mehr in diesen verliebt, obwohl ihre gemeinsame Zeit begrenzt ist.

Ich hoffe das es den beiden allen voran Gaku gelingt Gott zu überlisten,
damit sie endlich für immer zusammen sein können.

Bis demnächst.
Bye

Antwort von:  Sweet_Sakura0307
14.08.2023 15:45
Hi, danke für deinen Kommi!
Sorry, dass du etwas länger warten musstest, aber danke, dass du nach der langen Zeit immer noch weiter liest :3
Von:  Amy-Lee
2021-11-14T02:07:08+00:00 14.11.2021 03:07
Hi, es war wieder toll.

Das sich Satoru nicht auch an alles Erinnert hat seinen sinn, Gott will nur den älteren bestrafen,
da dieser meint, Gaku hätte den jüngeren verführt.

Ich hoffe das der ober Wolken Pupser irgendwann einsieht das sie zusammen gehören und
sich nicht mehr einmischt.

bis demnächst.
Bye

Antwort von:  Sweet_Sakura0307
18.11.2021 14:53
Vielen Dank für den lieben Kommentar, ich werde mal sehen, was ich für die beiden tun kann ^-^
Von:  Amy-Lee
2021-02-25T23:39:55+00:00 26.02.2021 00:39
Hi, es war toll.

ich hoffe das Gott ein einsehen hat und die 2 endlich zusammen bleiben und Glücklich werden können,
denn irgendwann muss doch mal Schluss sein, denn sie Lieben sich wirklich und der da oben,
hat nicht das recht Ihnen Steine in den Weg zu legen, auch wenn sie seine Engel sind,
haben sie doch auch ein Recht zu lieben.

Bin gespannt wie es weiter geht.
Bye
Antwort von:  Sweet_Sakura0307
01.03.2021 20:37
Liebe Amy-Lee,
danke für dein Kommi :)
Übrigens, ich werde den Titel der FF ändern in "Through Space and Time" nur damit du Bescheid weißt und nicht verwirrt bist ;)
Bis bald
Sweety
Von:  Amy-Lee
2021-02-20T18:01:23+00:00 20.02.2021 19:01
Hi, es war toll.

Die Tatsache das Yashiro als 33 Jähriger ins Jahr 2006 gekommen ist, ist sehr interessant, so ist der Altersunterschied zwischen den beiden nicht all zu groß, würde ich sagen und ich bin schon sehr gespannt, wie es mit den beiden die jetzt zusammen wohnen auch wenn Satoru das nicht so gerne hat weiter geht.

Freue mich auf das nächste mal, lass dir zeit.
Bye
Antwort von:  Sweet_Sakura0307
22.02.2021 08:54
Hi,

ja ich wollte nicht, dass der Altersunterschied zwischen den beiden zu groß ist, deshalb hab ich mir den Kopf darüber zerbrochen, wie das gehen könnte XD

Danke fürs Lesen und ich hoffe du bist beim nächsten Kapitel wieder dabei ;)

Sweety
Von:  Amy-Lee
2021-02-13T18:20:06+00:00 13.02.2021 19:20
Hi, es war toll.

So, jetzt sind die zwei sich begegnet, dennoch trennen sich ihre Wege auch schon wieder,
ich hoffe Er findet seinen kleinen Liebling und Gott hat langsam mal genug,
ihrem Glück Steine in den Weg zu legen.

Bin gespannt wie es weiter geht, mit den beiden.
Bye
Antwort von:  Sweet_Sakura0307
14.02.2021 17:47
Danke für den Kommi, ich bemühe mich bald weiter zu schreiben ^-^
Antwort von:  Amy-Lee
14.02.2021 18:00
Lass dir Zeit.
Von:  Amy-Lee
2021-02-07T22:44:09+00:00 07.02.2021 23:44
Hi, als Fan von Yashiro x Satoru Paaring finde ich die Story toll.

Sehr interessant, mal sehen wie es mit den beiden weiter geht und ob sie es nicht doch schaffen,
zusammen zu sein.

Bis demnächst.
Bye
Antwort von:  Sweet_Sakura0307
08.02.2021 12:13
Hallo, das freut mich, dass sich noch einige für das Pairing interessieren *_*
Ich werde mich bemühen so schnell wie möglich das nächste Kapitel hochzuladen ^-^
Viele Grüße
Sweety
Antwort von:  Amy-Lee
08.02.2021 17:22
Ich freue mich darauf.


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