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Der Weihnachtskaktus

Ein Happy End mit Augenzwinkern
von
Koautor:  SuperCraig

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Part 2 (Felix) - der Geist der Vergangenen Weihnacht

Der Tag unseres Auftrittes ist klar und frostig und der Himmel bedeckt von hell bis dunkelgrauen Schneewolken und ganz ehrlich? Ich hoffe das es schneit wenn wir auf der Bühne stehen. Einfach so, fürs Feeling, auch wenn wir keine typischen Weihnachtslieder spielen werden.

Im Moment gibt es allerdings keine einzige Schneeflocke weit und breit auch wenn es dafür längst kalt genug ist. Keine Ahnung was mir eher absterben wird, meine Nase oder meine Füße in den coolen aber leider für diese Temperaturen viel zu gut belüfteten Chucks. Mit Winterstiefeln aufzutreten ist keine Option. Keine jedenfalls die ich ernsthaft in Erwägung ziehe.

Meine Coolnis ist mir wichtig.

Ich will sie der gesamten Menschheit unter die Nase reiben. Oder, für den Anfang, wenigstens den Besuchern des Weihnachtsmarktes die "Cooking Thunder" und ich heute am späten Nachmittag unterhalten werden.
 

Nino strahlt mir ins Gesicht wie tausend Weihnachtssterne und ich kann nicht anders als zurück zu strahlen obwohl meine Zehen und Ohrenspitzen inzwischen wehtun vor Kälte und ich nicht weiß wie ich die nächsten Stunden Aufenthalt unter freiem Himmel überleben soll.

Die Antwort auf diese Frage ist dann plötzlich ganz einfach: ich überlebe die Zeit bis zu unserem Auftritt von der ich dachte sie würde eine unerträglich eisige Unendlichkeit dauern mit zwei Tassen Glühwein, einer Tasse heißen Kakaos, einer Tüte gebrannter Sonnenblumenkerne und damit jede Bude mindestens dreimal im Vorbeigehen und zweimal genauer in Augenschein genommen zu haben.

Da das Gedränge zum Nachmittag hin immer dichter wird müssen Nino und ich nah beieinander bleiben um nicht aus Versehen getrennt zu werden und irgendwann hakt er sich plötzlich und ohne Vorwarnung oder nachträglicher Erklärung bei mir unter und da wir beide nur die Art von Jacken tragen die zwar geil aussehen aber den winterlichen Temperaturen überhaupt nichts entgegen zu setzen haben (also viel zu dünn sind) kann ich die Wärme und die Präsenz seines Oberarmes und seines Unterarmes direkt an meinem spüren und in meinem Bauch und in meiner Brust breitet sich ein aufgeregtes Kribbeln aus das sich genauso anfühlt wie das welches ich beim Gedanken daran empfinde dass wir in weniger als einer halben Stunde vor einem Haufen unbekannter Menschen die unser erstes (und hoffentlich nicht allzu anspruchsvolles) Publikum sein werden.

Eine Mischung aus Adrenalin und Vorfreude.

In meinen Jackentaschen balle ich meine Hände zu Fäusten.

Es gibt Dinge die man wissen sollte. Oder besser gesagt, zwei Dinge:

Nino ist schwul. Ich ich bin auch schwul.

Und wir sind beide noch nicht geoutet. Weder vor unserer Familie noch…voreinander. Es ist mehr so wie ein offenes Geheimnis was wir uns gegenseitig aber nicht verraten weil wir die Konsequenzen von so einer Offenbarung nicht einschätzen können und ich für meinen Teil fürchte sie auch ein bisschen.

Ja, vielleicht nicht nur ein bisschen. Ich fürchte um unsere Freundschaft wenn Nino zwar auch schwul aber gleichzeitig nicht an mir interessiert ist. Denn genau das wär dann mein zweites Geständnis.

Hey mein schwuler bester Freund seit Kindergartenzeiten, ich bin genauso schwul wie du und seit ich das vor mir selbst zugegeben kann bin ich wahnsinnig verknallt in dich.

Geht’s dir genauso?

Wollte ich die Antwort auf diese Frage wissen?

Nein! Und Ja! Ja natürlich wollte ich die Antwort wissen! Aber bitte nur dann wenn sie positiv ausfiel. Mehr als dieser eine bescheidene Wunsch würde auch nicht auf meinem Wunschzettel stehen, ich verspreche es.
 

Mit dem Rest der Band treffen wir uns auf dem Parkplatz direkt neben dem Weihnachtsmarkt. Der ist irre voll aber der große schwarze Bus von VW nicht zu übersehen da er etwas rechtswidrig über den Bordstein gefahren ist und jetzt dort parkt wo normalerweise Blumenkübel hingehören würden um genau das zu verhindern. Aber Olivers und Karis Eltern werden sowieso nicht zum Auftritt bleiben also ist die Chance auf einen Strafzettel eher gering weil sie sofort wieder abfahren werden sobald sie die Instrumente und ihre Kinder ausgeladen haben.

Zwei E-Gitarren (meine und Ninos) und einen E-Bass (Olivers).

Karis Schlagzeug steht bereits seit dem Vormittag auf der Bühne. Um die Technik müssen wir uns glücklicherweise nicht kümmern, das machen die Veranstalter. Die stellen auch die Mikros und die Verstärker; ist wahrscheinlich praktischer so weil außer uns noch zwei weitere Bands und eine Tanzgruppe auftreten werden.

Aber wir, wir sind die ersten.

Nino macht sich von mir los um unsere beiden Bandkollegen und seine Gitarre zu begrüßen und auch ich schließe Kari und Oliver nacheinander in die Arme und nehme von ihrem Vater im Anschluss einen der Koffer entgegen. Ist zwar der seines Sohnes aber was ich zur Bühne schleppe ist eigentlich egal, Hauptsache wir bringen alles heil nach oben.

„Ich bin so aufgeregt ich bin so aufgeregt! Oh Gott ich glaube ich muss noch mal auf die Toilette! Gibt’s hier eine Toilette?“ ruft Kari aufgeregt während sie wie verrückt auf und ab hüpft und hin und her rennt und in einer Hand ihre Drumsticks und in der anderen ihr Handy hält. Sie sieht unglaublich niedlich aus in ihrer dicken schwarzen geblümten Winterjacke mit dem neonpinken Fellkragen und den hohen schwarzen Stiefeln aus denen glitzerbestrumpfte Beine ragen die erst sehr weit oben unter einem grünkarierten dicken Flanellrock verschwinden.

Über ihren leicht gelockten dunkelbraunen Haaren trägt sie weiße plüschige Ohrenschützer.

„Da hinten sind die öffentlichen.“ gibt ihr Zwillingsbruder unbeeindruckt zur Antwort.

Oliver ist all das was Kari zu wenig ist: ruhig, besonnen, überhaupt kein bisschen ausgeflippt und unser Fels in der Brandung wenn wir anderen anfangen vollkommen abzudrehen. Ich mag ihn, aber ehrlich wirklich nicht so auf…die Art. Eher so als wäre er ebenfalls mein Bruder. Mein braungelockter hochgewachsener heute in einen modisch eng geschnittenen dunkelgrauen Mantel gekleideter einen olivgrünen (haha) Strickschalt tragender Bruder mit den unglaublich größten dunkelbraunen Augen die ich je gesehen habe.

Das er noch Single ist ist für mich eines der größten ungelösten Mysterien überhaupt.
 

Immer wieder huscht mein Blick zu Nino hinüber; während wir uns mit unseren Gitarrenkoffern im Arm einen Weg durch die dichtgedrängten Leiber der Weihnachtsmarktbesucher bis zur Bühne bahnen; während wir unsere Instrumente stimmen, jeder an seinem Platz; beim Soundcheck; während wir unsere Setlist auf den Boden direkt vor unsere Füße kleben die eigentlich gar nicht nötig ist weil wir eh nur drei Songs spielen und man schon echt ein Goldfisch sein müsste wenn man sich deren Reihenfolge nicht merken kann aber so fühlt es sich einfach viel professioneller an und auch dann noch als die Stehplätze vorne und die Bierbänke weiter hinten sich mit mäßig bis ehrlich neugierig erwartungsvollem Publikum füllen und schließlich gibt Kari uns mit ihren Drumsticks das Zeichen das Zeichen das alles bedeutet und…
 

Wir verspielen uns nicht so oft wie befürchtet aber öfter als mir lieb gewesen wäre aber als Band sind wir eben genauso herrlich unperfekt wie als Menschen und das rede ich mir die ganze Zeit über ein; solange bis wir die Bühne wieder verlassen und unsere Gitarren ablegen und uns gegenseitig jubelnd und kichernd und bis zum Rand voll mit Adrenalin in die Arme fallen.

Sogar Oliver.

Er riecht schwach nach Zigarettenrauch und Pfefferminz.

Ein heimlicher Raucher.

„Ich habe noch etwas für euch.“ unterbricht er unseren fast schon beschwippst zu nennenden Freudentaumel und winkt uns in eine Ecke der Bühne in der irgendein bestimmt ganz wichtiges Gerümpel und ein einsamer Holzstuhl der aussieht wie die auf denen man in der Schule sitzt stehen.

„Weihnachtsgeschenke? Alter es ist erst der 16. falls du das verpennt hast.“ zieht Nino ihn auf aber ich höre das er sich ebenfalls freut weil Oliver an so etwas banal schönes gedacht hat. Ausgerechnet Oliver.

„Ich habe es nicht verpennt und es ist auch kein richtiges Weihnachtsgeschenk.“

Er schiebt den Stuhl beiseite und beugt sich über einen der nicht angeschlossenen Ersatzverstärker.

"Nur eine kleine Aufmerksamkeit.“

Ja, das klingt schon eher nach Oliver.

Nacheinander fördert er drei kleine mit winter-weihnachtlichem Glitzerstaub bestreute Blumentöpfe zu Tage; einen dunkelblauen, einen grünen, und einen pflaumenfarbenen. Und in jedem von ihnen steckt eine seltsame grüne nach einer Mischung aus Busch und Kaktus aussehende Pflanze mit gelben und roten und weißen und pinken Blüten.

„Was ist das? Schenkst du uns Blumen?“ Nino tritt vor und nimmt einen der Töpfe in die Hand um das ungewöhnliche Gewächs darin genauer zu betrachten. An seinen Fingern klebt Glitzerstaub.

„Das sind Weihnachtskakteen. Sie blühen nur im Winter, das ist etwas ganz außergewöhnliches.“ erklärt Oliver mit einer Nachsicht die eher zu einem Elternteil in den Vierzigern passt als zu dem Bassisten einer doch ganz passablen Rockband und jetzt wandert sein Blick zu mir. Er lächelt.

„Nimm dir auch einen.“

Mit der Hand die nicht den Hals meiner Gitarre hält greife ich nach dem pflaumenfarbenen Topf und ich gebe es zu, die Geste ist wirklich niedlich, vor allem für jemanden wie Oliver. Auch wenn ich Pflanzen und Blumen eigentlich nicht mag weil ich mit denen noch schlechter kann als mit Haustieren; die melden sich wenigstens wenn sie Hunger haben oder Wasser brauchen.

Ich gebe dem Weihnachtskaktus nicht allzu große Chancen meine Pflege zu überleben. Oder besser gesagt, den Mangel daran.

„Ich will den!“ ruft Kari und streckt Nino die Hand in einer auffordernden Geste entgegen. Natürlich, der Kaktus den er hält hat die meisten pinken Blüten.

„Dann nimm den, mir ist es egal welchen ich bekomme. Hier. Und danke Oliver, das ist echt nett von dir. Also für den Kaktus.“

Während Kari liebevoll die pinkfarbenen erstaunlich zart aussehenden Blüten mit einer Fingerspitze streichelt und Nino sich den Glitzer an seiner Jacke abwischt (keine gute Idee) trete ich auf Oliver zu und umarme ihn zum zweiten Mal an diesem Abend.

„Danke, echt. Dass du an sowas gedacht hast.“

Ganz kurz spüre ich seine Hände auf meinem Rücken und an der Bewegung seiner Wange an meiner dass er lächelt, dann zupft Nino mich am Ärmel und deutet, nachdem ich Oliver losgelassen habe, mit einem Kopfnicken in die Richtung in die irgendwo der Parkplatz liegen muss. Ich sehe auf was er uns aufmerksam machen will.

Karis und Olivers Eltern sind hier um uns mit unserem Equipment zu helfen; sie drängen sich durch die Weihnachtsmarktbesucher und winken uns zu.

„Na dann mal los!“ Nino klatscht in die Hände aber er macht keine Anstalten irgendetwas in die Hand zu nehmen außer den Kaktus den er eh schon hält und irgendwas in seinen Augen die mich mustern, diesen krass grünen Augen, bringt mich dazu mich ebenfalls nur an dem unerwarteten Vorweihnachtsgeschenk und meiner Gitarre festzuhalten und obwohl meine Finger inzwischen zu Eiszapfen erstarrt sind kann ich nichts anderen tun als Nino anzusehen.

Da ist es wieder, das Kribbeln.

Das Vorfreudekribbeln.

Oliver packt seinen Bass ein und trägt ihn in Richtung seiner Eltern, in der anderen Hand hat er Karis Drumsticks weil sie offenbar beide Hände benötigt um ihren Weihnachtskaktus unbeschadet durch die Menschenmenge zu bekommen und als ich meinen Blick von ihren wippenden Ohrenschützern und dem knallig pinken Kapuzensaum löse steht Nino plötzlich so dicht vor mir dass ich seinen glühwein- und kakaogeschwängerten Atem riechen und auf meiner halb abgefrorenen Nasenspitze spüren kann und dann…bekomme ich noch ein Vorweihnachtsgeschenk, eines das ich mir mehr als alles andere gewünscht habe und das das einzige auf meinem Wunschzettel gewesen ist und das meinen Herzschlag in die Höhe treibt und meine Knie weich werden lässt und mir mehr Adrenalin durch die Adern pumpt als jeder Auftritt es je schaffen könnte.

„Na endlich.“ sagt Nino als sich unsere Lippen voneinander lösen.

„Na endlich.“ wiederhole ich, und wir strahlen beide wie Kinder denen ihr allergrößter Weihnachtswunsch erfüllt worden ist.



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