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Transformation

von

Vorwort zu diesem Kapitel:
Heute gibt's tatsächlich eine kleine Überraschung. Und das ist der Charakter, aus dessen Sicht ich diesmal geschrieben habe. Hehe. ;)

Mir hat es riesigen Spaß gemacht, dieses Kapitel zu schreiben, und ich würde sagen, jetzt geht die Geschichte erst richtig los. Bzw. in die zweite Runde. xD

Also, in dem Sinne: Viel Spaß beim Lesen. ^^ Komplett anzeigen

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Kapitel 8

Sanji

 

Ich schlug die Augen auf und starrte an eine mir vollkommen unbekannte, mit Lochplatten verkleidete Decke. Ein dumpfer Schmerz pulsierte in meinem Hinterkopf und der Geruch, der mir beißend in die Nase kroch, erinnerte an das Desinfektionsmittel aus Arztpraxen.

Panik stieg in meiner Brust auf, denn eines war sicher: Ich befand mich nicht in meinem Bett und schon gar nicht in meiner Wohnung. War ich nicht außerdem auf dem Weg in die Arbeit gewesen? Wie spät war es?

Hektisch strampelte ich mich von der dünnen Entschuldigung einer Bettdecke frei, verhedderte mich dabei jedoch nur noch mehr darin und krachte schließlich auf blanken Laminatboden. Obwohl ich gerade erst aufgewacht war, hatte die Müdigkeit einem heftigen Herzklopfen schneller Platz gemacht, als ich „Hierro“ rufen konnte, und ich krabbelte stolpernd auf die Füße.

Stocksteif stand ich da, spürte kalten Schweiß auf meiner Stirn und wagte kaum zu schlucken. In meiner einem Filmriss gleichenden Verwirrung begriff ich eines verdammt gut: Das hier war kein Zimmer in einem Krankenhaus. Vielmehr glich es mit vier kahlen Wänden, offener Toilette und schwerer Stahltür einer Gefängniszelle. Einer von diesen ganz schlimmen, die man in den amerikanischen Krimis immer zu Gesicht bekam.

Es hatte keinen Zweck, das war mir tief in meinem Innersten bewusst, dennoch war ich mit zwei Schritten bei der Tür und rüttelte am Knauf.

Nichts. Abgeschlossen. Selbstverständlich.

„Scheißdreck, elender!“ Ich holte zum Tritt aus. „Ich muss scheißverdammt nochmal in meine Scheißarbeit, ihr dreckigen…!“

Der Rest ging in einem hässlichen Schmerzensschrei unter, als ich unliebsam damit konfrontiert wurde, dass ich barfuß war und die Stahltür hielt, was sie versprach.

Ich knickte seitlich ein, sackte zu Boden und befühlte instinktiv meine brennenden Fußknochen. Gebrochen schien nichts zu sein, doch das war nur ein schwacher Trost. Besonders angesichts der Tatsache, dass ich mit bloßem Hintern auf dem kalten Boden saß und demnach nicht mehr trug als einen dieser dämlichen Patientenkittel.

Kaum hatte ich diese Realisation sacken lassen, durchfuhr mich auch schon neuerliche Panik und ich riss mir den spärlichen Stoff vom Leib, als hinge mein Leben davon ab. Fieberhaft untersuchte ich jeden Zentimeter Haut nach Nähten oder Einstichstellen. Von illegalem Organhandel hatte man immerhin gehört und gegenwärtig erschien mir das als einzig vernünftige Erklärung sowohl für meinen Zustand als auch für meinen Verbleib.

Außer einem Zugang am linken Handgelenk und einer saftigen Beule am Hinterkopf konnte ich keine weiteren Schäden an meinem Körper verzeichnen, machte mir aber dennoch keine Illusionen: Was nicht war, konnte immer noch werden. Würde es werden. Denn ein Entrinnen gab es nicht.

„Zur Hölle nochmal!“ Meine Angst wurde zu Wut und ich schnellte in die Höhe. „Das könnt ihr nicht mit mir machen! Lasst mich raus, ihr Scheißkerle! Ich hab Freunde! Die werden auf jeden Fall nach mir suchen, da könnt ihr Gift drauf nehmen!“

Wie ein Wilder hämmerte ich abwechselnd mit den Fäusten auf die Tür ein und rüttelte am Knauf, während ich mich immer weiter in Rage schrie. Dann warf ich mich mehrere Male mit vollem Körpereinsatz gegen das nicht nachgeben wollende Metall. Solange ich nur etwas zu tun hatte, blieb auch das in mir lauernde Gefühl von Machtlosigkeit stumm.

Irgendwann aber verließen mich meine Kräfte, ich sackte an der völlig unbehelligten Tür hinab und wickelte mich zitternd in den Kittel. Mein Blick war nach innen gekehrt und die Stimmen in mir laut und wirr.

Wie ist das passiert? Wie bin ich hierher gekommen? Was ist mit dem Hund... und Violet?

Jetzt, da der erste Schock überwunden und meine zornige Energie versiegt war, begann sich Stück für Stück das Erlebte noch einmal vor mir abzuspielen. Ein Film – ganz klar und deutlich – der harmlos begann, an Spannung aufbaute und ein ebenso jähes wie auch brutales Ende fand.

Ich war niedergeschlagen worden. Hinterrücks und am helllichten Tage, als wäre alles säuberlich bis ins letzte Detail geplant gewesen. Am Ende hatte es sogar nie einen Hund gegeben und sowohl der in die Gasse gequetschte Lieferwagen als auch Violet selber gehörten zu dem mutmaßlichen Ring von Organhändlern.

Reingelegt und ausgenutzt! Nicht einmal mehr Frauen in Not kann man trauen! Wohin soll das bitte führen?

Zerknirscht musste ich mir eingestehen, dass meine Arbeitskollegen nun endlich Recht behalten hatten: Meine Hilfsbereitschaft Frauen gegenüber – die in meinen Augen ausschließlich schätzens- und schützenswerte Wesen waren – hatte mich geradewegs hinein ins Verderben geführt. Ich fühlte mich wie der letzte Depp, naiv und verraten.

Apropos Arbeit: Die suchen doch hoffentlich wirklich nach mir. Und wenn die nicht, dann Ruffy. Oder wenigstens Reiju.

Fast entkam mir ein ersticktes Schluchzen, als meine Gedanken zu meiner Schwester wanderten. Ich war nicht mehr für sie da. Dabei hatte ich ihr doch einen Kinobesuch und selbstgekochtes Abendessen versprochen. Was war ich für ein Bruder, dass ich ihr immer wieder neue Gründe gab, sich Sorgen um mich machen zu müssen? Warum nur war ich Violet über den Weg gelaufen? Warum ausgerechnet ich?

„Fuck“, entwich es mir leise. Tränen tropften von meinen Wangen auf den Boden und ich spürte mit einem Zittern eine neuerliche Welle der Gefühle in mir aufsteigen. Ich musste hier raus. Koste es, was es wolle – ich musste hier raus!

„FUUUCK!“

Mit dem Schrei eines in die Enge getriebenen Tieres sprang ich auf, dann attackierte ich von Neuem die Tür. Jede einzelne Faser und jeder einzelne Muskel meines Körpers brannte und meine Stimmbänder waren dem Zerbersten nahe. Ich war ein freier Mensch! Niemand hatte das verdammte Recht, mich einfach einzusperren!

So tobte ich noch eine ganze Weile, bis ich schließlich schwitzend und keuchend nachgeben musste. Bis auf einige wenige Kratzer und winzige Dellen konnte ich der Tür nichts anhaben und wahrscheinlich war es sowieso klüger, meine Kräfte aufzusparen für den Fall, dass jemand hereinkam. Kampflos würde ich meine Organe ganz bestimmt nicht hergeben und wenn ich den Überraschungsmoment für mich nutzte, war vielleicht sogar an eine Flucht zu denken. Kühlen Kopf bewahren und im richtigen Moment handeln sollte hier die Schlüssel zum Erfolg sein.

Unnötig verausgabt trollte ich mich zu der Liege hinüber, auf der ich erwacht war. Dort kauerte ich mich zusammen und wartete. Ich konnte nicht einschätzen, wie viel Zeit seit meiner Entführung vergangen war, doch wagte ich anzunehmen, dass es sich um kaum mehr als drei, allenfalls fünf Stunden handelte. Demzufolge wäre später Abend. Arbeiteten Organhändler um diese Zeit oder machten sie um Punkt sechs Schluss, fuhren heim zu Frau und Kindern und warteten voller Genugtuung darauf, dass ihre Schandtaten in den Achtuhrnachrichten thematisiert wurden?

Eine gefühlte Ewigkeit verbrachte ich in angespannter Haltung, bereit, beim kleinsten Geräusch Position direkt neben der Tür zu beziehen. Doch es geschah einfach nichts. Gar nichts. Es schien, als wäre ich vollkommen alleine in dieser aus vier weißen Wänden bestehenden Welt.

Dass ich irgendwann einnickte und zur Seite rutschte, bemerkte ich nicht.

 

Mein nächstes Erwachen war weitaus schlimmer als das erste, falls das überhaupt möglich war. Im einen Moment hatte ich noch zwischen weicher Watte aus dem Traumland geschwebt, im nächsten wurde ich auch schon von vier groben Händen in die Höhe gezerrt. Es war kalt und mein Kopf rutschte mir blutleer auf die Brust. Links, rechts, oben und unten – das alles besaß für mich keine Bedeutung und es war mir unmöglich, einen klaren Gedanken zu fassen. Ich wusste nur eines: Dieses Gefühl von vollkommener Hilflosigkeit gefiel mir nicht.

Schwankend bugsierte man mich aus dem Raum ins Helle. Meine Muskeln gehorchten mir kaum, ebenso wie meine Kampf-oder-Flucht-Reaktion unter knochentiefer Lethargie begraben schien. Mir blieb nichts anderes übrig, als widerstandslos mitzugehen.

Drogen. Sie haben dir irgendetwas gespritzt. Oder es war die Luft in der Zelle.

So musste es sein, da mir der Gedanke daran höchstens den Hauch eines ängstlichen Herzflatterns entlockte. Ich lief geradewegs in meinen Tod und konnte dabei keinen Finger krumm machen.

„Ich…“ Die Worte purzelten aus meinem Mund wie Schneeflocken vom Himmel. „Willnich… Meine… Lunge…“

„Hach, ist der gesprächig! Das hatten wir schon lange nicht mehr“, ertönte es links von mir. Die Stimme klang amüsiert und genau genommen nach einem dieser niedlichen Jungs, die mich mit hochrotem Gesicht nach einem Date fragten. „Nicht wahr, Lao?“

„Das bedeutet, dass die Wirkung nachlässt.“ Die andere Stimme war nicht mehr als ein Knarzen. „Halt ihn gut fest.“

Wurde ich wirklich gerade von einem Opa und einem Rotzlöffel abgeführt? Wie erbärmlich war ich, dass ich mich nicht einfach losreißen und die beiden mit wenigen gezielten Tritten überwältigen konnte?

„...bärm...lich...“, entwich es mir, während ich versuchte, meine Muskeln unter Kontrolle zu bringen. Ich zuckte und stolperte, doch mehr wurde aus meinem Widerstand nicht.

„Tihi, lass das, Hübscher“, kicherte der Junge und ich spürte, wie ich von beiden Seiten härter und kontrollierter gepackt wurde. „Du hast die ganze Nacht Beruhigungsmittel eingeatmet. Ohne uns kommst du keine zwei Schritte weit.“

Also doch Drogen. Gab es wirklich keine Chance, das Unumgängliche zu umgehen?

Die verschwommenen Konturen einer Türschwelle blitzen durch mein Sichtfeld, dann war da eine zweite Liege – schmäler und funktionaler als die erste – auf die man mich nun zu zerren versuchte.

„Du bist schwerer als du aussiehst, Hübscher“, ächzte der Junge und das war der Moment, in dem mich ein Geistesblitz durchzuckte. Ich konnte mich kaum rühren, aber mich fallen lassen wie ein nasser Sack, das ging sehr wohl.

„Hey, spinnst du?“

Ich war auf dem Boden gelandet und sehr zufrieden mit mir. Wenn schon eine Flucht undenkbar war, dann wollte ich den beiden Scheißkerlen ihre Arbeit wenigstens so unangenehm wie möglich machen.

Schon im nächsten Moment durchzuckte mich ein heftiger Schmerz, als sich ein spitzer Schuh in meinen ungeschützten Rücken bohrte.

„Du widerliche…!“

Ein zweiter Tritt folgte.

„…kleine…!“

Und ein dritter.

„…Laborratte!“

Tränen traten in meine Augen und für eine erschreckend lange Sekunde musste ich um den nächsten Atemzug kämpfen.

„Glaubst du wirklich, das würde irgendetwas ändern?“

Ich wappnete mich für den nächsten Tritt, doch der blieb aus. Stattdessen ertönte ein Scheppern, etwas rollte gläsern über den Fußboden und mein Peiniger sah sich gezwungen, mit hörbarem Gefuchtel dem Chaos Einhalt zu gebieten.

„Dellinger, hör auf mit dem Unfug.“ Der Alte blieb völlig ruhig, während er das sagte. „Bring das wieder in Ordnung und lass das Testsubjekt ganz. Er ist Ehrengast, falls du das vergessen hast.“

Testsubjekt? Ehrengast? Was haben die hier bitte vor?

War es schlimmer als auf dem Operationstisch ausgeweidet zu werden? Würde ich es überleben?

„Hach, ist eh schon alles wieder an seinem Platz“, motzte der Junge. „Los. Versuchen wir es nochmal.“

Erneut griffen Hände nach mir und zerrten mich in die Höhe. Leider jedoch half mir diesmal auch meine Nasser-Sack-Taktik nicht und ich fand mich in Kürze unter einer stählernen Decke mit großer, viel zu ärztlich wirkenden Lampe wieder. Seltsame Schläuche und Gerätschaften ragten ebenfalls in mein Sichtfeld und trotz Beruhigungsmittel in meinen Blutbahnen kroch kalter Schweiß auf meine Stirn.

Ich konnte nichts tun. Während meine Arme und Beine in eiserne Schellen gelegt wurden, durchdrang mich einzig der widerliche Gedanke, dass ich schutzlos einem Schicksal ausgeliefert war, das andere für mich gewählt hatten. Es gab keinen Ausweg und ich war allein. Ich war zu jenem armseligen Darsteller auserkoren worden, dem die erste Szene im Krimi gebührte und diese nicht überlebte.

Plötzlich drangen Stimmen von draußen am Gang an meine Ohren. Drei oder vier, wenn ich mich nicht täuschte, und mindestens zwei davon waren mir alles andere als fremd.

Flamingo! Aber… warum? Und… warum er?

Der grünhaarige Idiot, den Ruffy manchmal zu uns in die Bar schleppte – was tat er hier? Unmöglich konnte er mit all dem hier zu tun haben. Unser Umgangston glich zwar einem Desaster, doch für einen Entführer hätte ich ihn nie im Leben gehalten.

Aber Moment! Ist der Kerl nicht Polizist? Ruffy hat das ein- oder zweimal erwähnt.

In nur einem Sekundenbruchteil fügte sich das Puzzle schlagartig zu einem Bild zusammen. Don Quichotte de Flamingo war Geschäftspartner meines Vaters. Mein Vater hasste mich. Man brauchte nicht die hellste Leuchte im Lampengeschäft zu sein, um diese Gleichung zu lösen. Deswegen war auch der Mooskopf hier: Die Polizei war dem hageren Aasgeier bereits auf die Schliche gekommen und suchte nach mir!

„…ich… bin hier…!“

Zu kläglich. Viel zu kläglich.

Noch ehe ich ordentlich begonnen hatte, um Hilfe zu rufen, wurde mir auch schon ein monströses Plastikteil in den Mund gerammt. Ich verschluckte mich und schmeckte Blut. Meine einzige Möglichkeit, auf mich aufmerksam zu machen, war dahin und während ich in ersticktes Husten ausbrach, schloss sich eine Tür. Jetzt würde mich niemand mehr hören.

„Husch, husch, ihr zwei“, schnitt sich eine durchdringende Stimme tief in mein Trommelfell. „Aus dem Weg und haltet euch bereit. Wir wissen nicht, zu welchem Ergebnis dieses Experiment führen wird.“

Ein irres Lachen folgte und das erste Mal, seit man mich aus dem Schlaf gerissen hatte, kehrte Kraft in meine Gliedmaßen zurück. Ich würde ganz gewiss keine Experimente an mir durchführen lassen! Zumal ich jetzt wusste, dass Flamingo die Hände im Spiel hatte, und das nur eines bedeuten konnte: Ich musste als Arzneimitteltester herhalten!

Wild riss ich an meinen Fesseln und versuchte durch den unangenehm meine Mundwinkel einreißenden Plastiktrichter wenigstens ein vernünftiges Wort zu artikulieren. Doch die Lage war ebenso erniedrigend wie aussichtslos und ich erntete ausschließlich weiteres Gelächter.

„Nicht doch, mein Versuchskaninchen.“ Ein bleiches, von wirrem Haar umrahmtes Gesicht tauchte über mir auf und jagte mir mit stechend gelben Augen eine Welle von Angst durchs Mark. „Du bist zu Wundervollem auserkoren. Den Polizisten haben wir weisgemacht, dass unser Superserum Blutkrankheiten heilt, aber die Wahrheit ist um so vieles Aufregender!“

Ich spürte Hitze in meinen linken Arm schießen und mit ihr kehrte die bleierne Schwere in meinen Körper zurück. Diese Beruhigungsmittel waren das reinste Teufelszeug: Sie nahmen mir die Angst nicht, aber unterdrückten ihre Auswirkungen. So dass ich voller Panik, die sich rein in meinem Kopf abspielte, dem durchgeknallten Wissenschaftler dabei zusehen musste, wie er einen langen Schlauch durch den Trichter direkt in meinen Hals schob.

Bitte! Bitte, lasst diese Polizisten mich finden! Mir egal, ob es der Salatkopf ist. Er soll einfach nur hier auftauchen, verdammt!

Ein Würgereiz blieb ebenso aus wie erhöhter Puls und ich schloss die Augen. Es zu spüren, war schon schlimm genug. Da wollte ich nicht auch noch mit ansehen, was weiter mit mir geschah.

„Du wirst die Krönung meiner Forschungen werden“, säuselte der Wissenschaftler, während er irgendwo im Raum herumkramte. „Ein Soldat mit übermenschlicher Kraft, gehorsam und willenlos, ganz wie es unser Auftraggeber verlangt.“

Ich hörte nicht mehr hin. Mein Schicksal war längst besiegelt und anstatt mir von den grausamen Einzelheiten weiterhin Angst einjagen zu lassen, klammerte ich mich lieber an den letzten hoffnungsvollen Gedanken, den ich hatte: Zorro Lorenor war irgendwo dort draußen und suchte nach mir. Im Normalfall hätte ich lautstark behauptet, er wäre der letzte, in dessen Hände ich mein Leben legen würde. Jetzt, da der Ernstfall eingetreten war, sah die Sache allerdings anders aus.

Der Schlauch in meinem Hals bewegte sich leicht und ich hörte, wie an seinem oberen Ende etwas befestigt wurde. Ein Behälter höchstwahrscheinlich, gefüllt mit irgendeiner ominösen Flüssigkeit.

Durchdringend graubraun und deswegen keineswegs weniger anziehend rief ich mir den Blick ins Gedächtnis, mit dem Lorenor mir bei unserem ersten Aufeinandertreffen begegnet war. Er hatte mir sofort den Kopf verdreht mit seiner perfekt trainierten Statur, den drei Ohrringen und der unnahbar wortkargen Art, die meinen Jagdinstinkt herausforderte. Umso schwerer Männer zu haben waren, desto dringender wollte ich sie und dieser eine bildete dabei keine Ausnahme.

Der Wissenschaftler hatte begonnen, den klischeehaften Monolog eines Bösewichts zu halten, doch ich tat mein Bestes, wegzuhören. Dass mein Dasein nach der bevorstehenden Prozedur ein ausschließlich klägliches sein würde, hatte ich bereits begriffen. Mehr Informationen brauchte ich nicht.

Zu meinem Leidwesen hatte sich Lorenor als dickköpfiger Stoffel herausgestellt, der lautstarke Auseinandersetzungen einem Flirt vorzog. Oder das war seine Art, mit mir zu flirten. Verstanden hatte ich es nicht ganz. Ging aber wie der verknallte Idiot, der ich war, ein jedes Mal wieder darauf ein und fand sogar bald schon Gefallen daran. Alles war mir recht und erlaubt, sobald es mit dem Grünkohl zu tun hatte.

Ein Ruck ging durch die gesamte Apparatur, an der ich hing. Darauf folgte ein Unheil verkündendes Rauschen.

Lorenor reagierte empfindlich, wenn ich ihn für seine Haarfarbe aufzog, die stark an Moos erinnerte. Oder Seetang. Beides hatte seine Reize.

Kalt und ekelerregend ergoss sich die Flüssigkeit in meinen Hals. Ich brauchte nicht einmal zu schlucken, so weit hatte man mir den Schlauch eingeführt.

„Marimo“ nannte ich den sturen Kerl. Wie die kleinen, niedlichen Algenbälle, die ich für das Bar-Aquarium besorgt hatte. Natürlich interpretierte er das fälschlicherweise als Schimpfwort, doch genau deswegen blieb ich bei dem Namen. Mit nichts sonst konnte ich ihn gleichzeitig in Rage bringen und meiner insgeheimen Zuneigung Ausdruck verleihen.

Wie Feuer fraß sich die Flüssigkeit in meine Eingeweide und trieb mir dabei Tränen in die Augen. Sowohl vor Schmerz als auch im Angesicht der Erkenntnis, dass ich mir zu lange Zeit gelassen hatte mit sinnlosen Spielereien. Der Marimo – mein Marimo – würde mich nicht rechtzeitig finden, ich würde ihn nie wieder sehen und er würde auch niemals erfahren, was ich wirklich für ihn empfand.

Das Brennen wurde heftiger und stieg zuerst hinauf in den Rachen und schließlich in die Nase. Dort verweilte es und entfaltete sich zu einem Alptraum, mit dem ich nicht gerechnet hatte: Ein Gestank nicht von dieser Welt, der das Atmen unerträglich machte und sich in jeder noch so kleinen Pore festsetzte. Plötzlich waren da keine angenehmen Gedanken mehr übrig, mit denen ich mich ablenken konnte. Nur noch meine Stoßgebete, dass es endlich aufhören möge, und ein ebenso kleiner wie auch unverdienter Dank an das Betäubungsmittel dafür, dass es meinen Würgereiz lahmgelegt hatte.

„Bah, das stinkt ja!“, beschwerte sich der vorlaute Junge von vorhin aus irgendeiner Ecke heraus und es klang ganz danach, als hielte er sich einen Ärmel vor Mund und Nase. „Ist da irgendwo was ausgelaufen?“

„Peeronsaft“, kommentierte der Alte beiläufig.

„Peeronsaft?“, wiederholte der Wissenschaftler und die Panik in seiner Stimme gefiel mir nicht. Das darauf folgende, hektische Umherhuschen und Zerren an dem Schlauchgebilde gefiel mir noch viel weniger. Und am allerwenigsten gefiel mir sein Jammern, mit dem er in kaum wahrnehmbarer Frequenz jeden Handgriff begleitete. „Schande! Wie konnte nur…? Wo ist es? Wo…? Warum liegt das da? Ist das wirklich…? Schande, oh allergrößte Schande! Ich bin tot! Der Chef wird mich umbringen! Eigenhändig erwürgen!“

„Widerlich. Ich gehe jetzt. Das hält ja keiner aus.“

„Duuuuuu!“ Dem Geräusch nach zu urteilen hatte sich der Wissenschaftler geradewegs auf den Jungen gestürzt. „Hast DU Superserum und Peeronsaft vertauscht?“

„Hach, kann sein, dass mir da vorhin etwas durcheinandergeraten ist. Ja, wahrscheinlich.“ Noch nie war ein Augenrollen hörbarer gewesen als soeben. „Na und? Ist halt jetzt zu spät.“

Na und sagt er einfach! Macht, dass ihr verschwindet! Beide! Ihr seid mir vielleicht Mitarbeiter! Der eine zu blind zum Autofahren, der andere zu dumm zum Lesen! Und wer darf das alles wieder dem Chef beichten? Natürlich! Ich!“

Ich verstand nicht allzu viel von dem, worüber er sich aufregte. Bis auf eines: Das Experiment, welches man an mir durchzuführen beabsichtigt hatte, war gescheitert. Beziehungsweise hatte man mir das falsche Mittel verabreicht.

Bevor ich ausreichend abwägen konnte, ob meine Aussichten sich nun verbessert oder eher verschlechtert hatten, wurde mir der Schlauch samt Plastiktrichter aus dem Mund gerissen.

„Scheiße! Aua!“ Heiser krächzend wagte ich es endlich, die Augen wieder zu öffnen, und stierte voller Abscheu hinauf in das nervöse Gesicht des Wissenschaftlers. „Mistkerl! Glaub ja nicht, ich wüsste nicht, dass du für Flamingo arbeitest!“

Zu meiner eigenen Überraschung fiel mir trotz gereizter Stimmbänder das Sprechen leichter als vor wenigen Minuten noch. Auch hatte der unsägliche Gestank etwas nachgelassen.

„Zu spät. Alles umsonst.“ Der Typ beachtete mich nicht, sondern legte der Reihe nach eine Hand auf meine Stirn, auf meinen Bauch und schließlich ein Ohr gegen meine Brust. „Nein, nein, nein, nein, nein! Alles viel zu spät! Das ist nicht gut! Ich muss es aufhalten! Rückgängig machen!“

Er stob davon, beide Hände im Haar vergraben und so hysterisch, dass ich es selber wieder mit der Angst zu tun bekam.

„Hey, du Saftsack! Hörst du mir überhaupt zu?“

„Es hat noch nie einer aufgehalten! Geschweige denn rückgängig gemacht! Wie bringe ich das dem Chef bloß bei?“

„Dein Scheißchef ist mir egal! Sag mir, ob ich sterben muss!“

Von neuer Kraft beseelt bäumte ich mich in meinen Fesseln auf. Ich zerrte und riss daran wie ein wildes Tier, um meiner panischen Wut Ausdruck zu verleihen, doch ein plötzlicher Krampf in meiner Magengegend ließ mich keuchend innehalten. Es war kein Schmerz und durchfuhr mich dennoch wie ein solcher. Mit Sicherheit hätte ich mich augenblicklich übergeben, wenn die Wirkung des Betäubungsmittels nicht gewesen wäre. Schlangen schienen sich durch meine Eingeweide zu winden und ich hatte nicht einmal eine Hand frei, um sie mir prüfend gegen den Bauch pressen zu können.

„Sterben?“, hakte der Wissenschaftler nach und hörte endlich mit seinem Gewinsel auf. Eine lange, eiskalte Stille folgte, dann war er auf einmal mit breitem Grinsen wieder direkt über mir. Ich zuckte zusammen, zwang mich aber, ihn anzusehen. „Oh, glaub mir, mein Versuchskaninchen: Du wirst dir noch wünschen, tot zu sein.“

Schallendes Gelächter folgte, die Schlangen in meinem Bauch begannen sich zu verknoten und ich begriff, dass dies hier erst der Anfang von den Höllenqualen war, die ich durchleiden würde.

„Warum ich?“, blaffte ich, was allerdings dank unterdrückter Übelkeit nach einem Schluckauf klang. „Was wollt ihr ausgerechnet von mir? Hat mein Dreckskerl von Vater euch damit beauftragt?“

„Irrelevant. Vollkommen irrelevant. Wir geben die Namen unserer Auftraggeber nicht preis. Wichtig ist nur, dass ich dich in einen Zustand bringe, in dem das Superserum vielleicht doch noch wirkt. Mir kam gerade eine Idee. Das wird mich retten.“

Er machte sich an meinem linken Handgelenk zu schaffen und mir war klar, was das bedeutete.

„Arschloch!“, fauchte ich ihn an, während schon die nächste unbekannte Substanz ihren Weg in meine Blutbahnen fand. „Hoffentlich verreck ich! Dann hast du erst ein Problem!“

Es dauerte keine zehn Sekunden und ich verlor das Bewusstsein.

 

Als ich aufwachte, wunderte ich mich nicht einmal mehr, dass ich in einem fremden Bett lag. Die Decke über mir war hoch, die Luft erfüllt vom leisen Piepsen medizinischer Geräte und für einen Moment durchströmte mich Hoffnung.

„Marimo?“

Hatte er mich doch noch gefunden? War das hier endlich ein richtiges Krankenhaus?

Ich versuchte mich aufzurichten, doch kaum spannte ich die Bauchmuskeln an, schoss mir ein gänzlich unbekannter Schmerz durch die Eingeweide. Gleichzeitig quoll fauliger Geschmack in meinen Mund und ich wälzte mich ohne einen weiteren Gedanken zur Seite. Dann übergab ich mich auf den grauen Laminatboden.

Qualvoll würgte ich schleimige Fäden hervor – einer zäher als der andere – und es fühlte sich an, als werde jeden Moment mein Magen selber folgen. Glücklicherweise blieb mir diese Unannehmlichkeit jedoch erspart und stattdessen tat sich in mir die Frage auf, weshalb mein Körper so drängend darauf bestand, etwas loswerden zu wollen, das nicht mehr existierte. Allem Anschein nach hatte man mir ja den Magen ausgepumpt, sonst hätte es längst ein Wiedersehen mit meinem Abendessen gegeben.

Wieder und wieder krampfte ich mich zusammen, presste unter röchelndem Husten rosarot durchsetzte Verdauungssäfte hervor und krallte mich währenddessen in die Bettlaken. Bis nach einer gefühlten Ewigkeit die Wellen schwächer wurden.

Ein letztes Mal würgte ich, brachte dabei aber nicht mehr als einen Speichelfaden zum Vorschein, und blieb schließlich mit brennendem Hals an Ort und Stelle liegen. Mir fehlte die Kraft, um mich umdrehen oder gar aufsetzen zu können. Außerdem war da immer noch der Schmerz, der an meinen Innenwänden nagte. Fühlte sich so vollständige Leere an? Oder waren es die Schlangen, die sich in meine Gedärme verbissen und sie wie hungrige Anakondas zerquetschten?

Wie lange ich in absoluter Regungslosigkeit dort auf dem Bett lag, wusste ich nicht. Ich wusste nur, dass es keine Menschenseele zu interessieren schien. Niemand kam, um nach dem Rechten zu sehen, niemand tauchte schimpfend und fluchend auf, um mein Erbrochenes wegzuwischen, und niemand platzte freudestrahlend herein, weil ich endlich wach und nicht mehr verschwunden war.

Nur die Schmerzen – die waren allgegenwärtig und zwangen mich bald schon dazu, ein winselndes Stöhnen nach dem anderen von mir zu geben. Ich schlang meine Arme um den Oberkörper und schloss die Augen. Vielleicht konnte ich es einer in den Wehen liegenden Frau gleichtun und mit der richtigen Atemtechnik meinen Zustand erträglicher machen.

Plötzlich öffnete sich eine Tür und jemand näherte sich auf hochhackigen Schuhen dem Bett. Stöhnend hob ich den Kopf, um meinen Besuch identifizieren zu können.

Reiju? Bitte lass es Reiju sein.

Das Bild vor meinen Augen verschwamm mehrere Male, bevor es an Schärfe gewann und mich tatsächlich mit einer bekannten Person konfrontierte. Nur war es nicht Reiju. Und auch keine meiner Bekannten aus Jeff’s Bar.

„Violet!“

Die Erkenntnis traf mich wie ein Schlag ins Gesicht und ich sackte von einem neuerlichen Hustenanfall gebeutelt zurück in die Kissen. Das Krankenhaus aus meinen hoffnungsvollen Wunschvorstellungen war kein solches. Ein entsetzter Rundumblick bestätigte das zusätzlich, da zwei der mich umgebenden Wände vollständig aus Sicherheitsglas bestanden und ich dahinter ein Labor erkennen konnte. Jenes Labor, in dem man mir die Substanz namens „Peeronsaft“ eingeflößt hatte. Daran bestand kein Zweifel, da der übergeschnappte Wissenschaftler mit den ungekämmten Haaren dort umherwieselte und mit Reagenzgläsern hantierte.

Flehenden Blickes wandte ich mich nach Violet um. Sie stand in einen Arztkittel gekleidet dort vor den Maschinen, an die ich mit mehreren Kabeln angeschlossen war, und machte sich Notizen auf einem Klemmbrett.

„Violet, bitte!“

Sie konnte unmöglich das Herz aus Eis haben, das sie mir vorspielte. Eine Frau wie sie machte nicht einfach gemeinsame Sache mit Entführern und Forschern ohne jegliche Moral. Nein, sie hatte einen Grund, wurde womöglich selber erpresst. Das spürte ich!

„Alle Werte im Normalbereich. Erbrochenes ist klar und von kleinen Mengen Blut durchsetzt. Keinerlei Anzeichen dafür, dass Magen- und Darmspülung eine Verzögerung der Transformation auslösen konnten.“

„Transformation?“ Es fühlte sich an, als täte mein Herz einen Satz ins Leere. War ich wirklich ich? War das alles überhaupt noch real? „Scheiße, Violet! Sie müssen mich hier rausholen!“

Der blinde Teil von mir, der das Böse in einer hübschen Frau nicht sehen wollte, betrachtete sie als meine letzte Rettung. Naiv und dumm, das wusste ich. Doch meine Gefühle hatten hier meinen Kopf vollkommen im Griff.

„Ein herkömmliches Krankenhaus wäre nicht in der Lage, Sie ausreichend zu betreuen“, erhielt ich eine Antwort, die ich nicht hören wollte. „Sie können sich in diesem Raum frei bewegen, insofern es Ihre Kräfte zulassen. Aber versuchen Sie bitte nicht zu fliehen und schonen Sie sich. Ihr Körper wird viel Energie brauchen und die können wir Ihnen in den nächsten vierundzwanzig Stunden nur per Glukoseinfusion bereitstellen. Einen schönen Tag noch, Sanji.“

Die Art, wie sie mich einen Augenblick zu lange ansah, bevor sie sich abwandte und den Raum verließ, gab mir erneut Hoffnung. Es tat ihr leid. Diesen kleinen Funken der Reue hatte ich mir nicht eingebildet. Vielleicht konnte ich doch auf Hilfe von ihrer Seite hoffen. Vielleicht wartete sie nur auf den rechten Moment.

Heftiger als zuvor kehrten die Schmerzen zurück und bohrten ihre Klauen in meine Innereien. Ich stöhnte auf, krümmte mich zur bemitleidenswerten Kugel zusammen und begann schweißgebadet die Sekunden zu zählen.

Eine Transformation also. Aber in was? Und… war ich der erste Testkandidat oder war das reines Routineverfahren für Don Quichotte Pharma?

So oder so hatte ich mich gegenwärtig mit meinem Schicksal abzufinden. Der dämliche Algenschädel hatte es bisher nicht fertig gebracht, mich zu retten, und allmählich zweifelte ich immer mehr daran, dass er überhaupt noch nach mir suchte. Wahrscheinlich war ich für ihn doch nur das Flittchen aus der Kneipe, wie er mich gerne betitelte, und für dieses strengte er sich gewiss nicht an.



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Kommentare zu diesem Kapitel (2)

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Von:  TK-Rabe
2021-07-06T20:18:43+00:00 06.07.2021 22:18
Schade, dass es nicht weiter geht Q_Q *watte werf*
Antwort von:  SimonStardust
13.07.2021 15:02
Sorryyyy! Ich bin grad sooo aus One Piece draußen. :,D
Wenn ich wieder mal drin bin, schreib ich sicher weiter. ^^
Antwort von:  TK-Rabe
13.07.2021 20:10
Definiere Draußen ° ° kannst mir ne PN schicken.
*dir Sanji in den Schädel stopft*
Antwort von:  SimonStardust
13.07.2021 20:22
Naja... grad sind andere Dinge interessanter. Eigene Charaktere zum Beispiel. xD
Antwort von:  TK-Rabe
14.07.2021 09:37
Asoooooo. Dann hau rein *___*
Von:  TK-Rabe
2020-11-22T15:45:22+00:00 22.11.2020 16:45
Ö___Ö.......
Schreib weiter!
*Watte werf*
Antwort von:  SimonStardust
27.08.2022 10:55
Hab ich~ 😏


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