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Der Wächter

von

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Verleumdungskampagne

Jake

Mit einem fröhlichen Unterton verkündete die KI: “Ich habe mir erlaubt, das Hologitter für die Besucher umzubauen.”

“Was?” Jake sah fassungslos zu Isaak hinüber. “Sind wir schon zurück?”

Sein Freund nickte nachdenklich.

“Das ging aber schnell. Ich habe gar nichts mitbekommen”, plapperte Jake drauf los. Dann verschränkte er die Arme vor der Brust. Er wusste nicht so recht, was er davon halte sollte. Die KI übernahm eigenständig eine Aufgabe, die er zuvor seinem Halbbruder anvertraut hatte. Das war doch nicht richtig, oder?

Durch die Verbindung zum Rudel nahm er die Aufregung der anderen war. Natürlich mussten sie mitbekommen haben, was die KI angestellt hatte. Jake spürte aber auch Kamdens Erleichterung. Offenbar war sein Bruder froh, den Auftrag abgeben zu können.

Jake seufzte und schüttelte den Kopf. Die KI zu benutzen war wie ein Cheat. Für dieses eine Mal würde er seinen Halbbruder damit durchkommen lassen. Dann musste Jake ihm eben eine andere Aufgabe zuteilen.

Während er über diese Angelegenheit nachdachte, meldete sich die KI abermals zu Wort: “Die Magierin Morgan le Fay wurde erfolgreich ins zoologische Forschungsinstitut transferiert. Sie befindet sich im Areal 142. Die Barrieren aller Gefangenen wurden verstärkt.”

Gefangene, davon hatten sie mittlerweile drei. Einen Werwolf, der immer noch als Werbiest in seinem Zwinger randalierte, einen Schatten, der alles Leben verwesen lassen konnte und eine durchgedrehte Magiern, die Schuld an der ganzen Misere war. Insgeheim fragte sich Jake, was sein Liebster mit diesen dreien vor hatte?

Ohne Umschweife redete die KI weiter: “Die Nahrungsmittelversorgung des zoologischen Forschungsinstitutes ist leider nicht auf so viele Besucher ausgelegt. Daher habe ich den Drohnen im Agrarsektor des botanischen Forschungsinstitutes befohlen, die Erzeugnisse zu sammeln, anstelle sie zu Dünger zu verarbeiten. Mit dieser Maßnahme können wir alle Besucher für 34 Stunden 37 Minuten und 18 Sekunden ernähren, ohne eine Beeinträchtigung unserer Forschungen.”

“Das sollte reichen.” Isaak seufzte frustriert. “Es gibt noch so viel zu tun.”

Jake dachte an die geretteten Menschen. Sie alle kannten nun die übernatürliche Welt. Wussten von den Vampiren, Gestaltwandlern und seinem Freund, dem Wächter. Isaak könnte ihnen zwar das Gedächtnis löschen, doch würde er es auch schaffen alle Spuren zu beseitigen?

Das Haus der Cullens, ganz La Push und teilweise Forks waren zerstört. Sein Liebster hatte zwar die Atomraketen abgefangen, doch auch darum mussten sie sich kümmern. Wenn sie Pech hätten, könnte sich die Strahlung über den ganzen Planeten ausbreiten. Das mussten sie verhindern, aber wie?

Und das waren nicht die einzigen Probleme. Irgendwo in Kanada gab es ein gewaltiges Loch im Boden, verursacht von Morgana mit ihrer Schattenkugel. Wie sollten sie das nur den Behörden erklären?

Nach allem was geschehen war, schien es unmöglich das alles zu verheimlichen. Morgana hatte es geschafft die übernatürliche Welt mit einem Schlag global zu enthüllen. Nie und nimmer konnten sie das aufhalten. Verdammt noch eins. Die Lage sah nicht gerade rosig aus.

“Werter Wächter Isaak, bitte sehen sie sich das hier an.”

Ohne eine Erklärung ließ die KI rund ein dutzend Monitore erscheinen. Sie alle zeigten Nachrichtensender aus verschiedenen Ländern.

Jake erbleichte. Wie er es befürchtet hatte, ließ sich der Kampf nicht mehr verheimlichen. Auf CNN redete der Sprecher gerade über Videos von Augenzeugen, die eindeutig atomare Explosionen aufgenommen hatten. Auch wenn die Menschen gerne mal alles unliebsame übersahen, etwas so gewaltiges hatten sie dann doch mitbekommen.

So wild wie die russische Sprecherin gestikulierte, ahnte Jake schlimmes. Bestimmt hatten nun alle Atommächte einen Finger auf dem Knopf und warteten auf eine Erklärung von Seiten des amerikanischen Präsidenten. Ein wenig tat ihm dieser leid, der arme Mann hatte keine Ahnung in was er da verwickelt worden war. Im weißen Haus herrschte bestimmt genau in diesem Augenblick heilloses Chaos.

Und das Schlimmste stand noch bevor. Bei einer genauen Untersuchung wäre es nur eine Frage der Zeit bis die ganze Welt erfuhr, dass einige ihrer Schauergeschichten durchaus real waren.

Vor seinem inneren Auge sah Jake bereits die panischen Massen. Plünderungen, Vandalismus, bewaffnete Milizen. Menschen, die andere Menschen bezichtigten Monster zu sein. Unschuldige, die exekutiert wurden. Das würde das Ende der Moderne bedeuten und die Menschheit in ein neues Mittelalter stürzen. Eine Hexenjagd im globalen Maßstab wäre die Folge dessen.

“Meinen Berechnungen nach besteht eine sehr hohe Wahrscheinlichkeit, dass die Menschen auf Sie oder unserer Technologie aufmerksam werden, Wächter Isaak. Dies gilt es unter allen Umständen zu vermeiden.”

Ein weiteres Display öffnete sich vor allen anderen.

“Ich habe einen Plan ausgearbeitet. Um diesen auszuführen, benötige ich Ihre Freigabe, Wächter Isaak.”

Sein Freund überflog die kryptischen Buchstaben. Dabei weiteten sich seine Augen.

“Was steht denn da?”, fragte Jake miesepetrig. Erst nannte die dämliche KI ihn ebenfalls Wächter und schmierte ihm Honig ums Maul, nur um ihn jetzt außen vor zu lassen. Sie musste wissen, dass er diese Zeichen nicht lesen konnte. Also hatte sie das mit Absicht getan. Das war ein dicker Minuspunkt in ihrer bisher schon angespannten Beziehung zueinander.

“Keine Zeit es dir zu erklären”, sagte Isaak schnell und schloss die Augen.

Das durfte doch wohl nicht wahr sein! In einem für Jakes Verstand unbegreiflichen Tempo dachte sein Freund nach. Er musste sich sogar davon abschotten. Es war einfach zu viel auf einmal. Aber was heckten die beiden aus?

Gerade als er erbost auf den Boden stampfen wollte, ein verzweifelter Versuch die Aufmerksamkeit seines Liebsten zu gewinnen, verebbte der Gedankenstrom.

Jake sah genau, wie Isaak den Kopf hob. Dann nickte er. “Tu es. KI, hiermit genehmige ich deinen Plan.”

“Verstanden. Speicherkapazität wird freigegeben. Unwichtige Hintergrundprozesse werden angehalten. Die gesamte Rechenleistung wird auf Projekt Verschleierung fokussiert.”

“Was genau hat die KI vor?” Jakes Stimme war angespannt. Er traute dem Braten nicht.

Bevor sein Freund antworten konnte, verschwanden alle Monitore. An ihrer statt erschien ein durchsichtiger Globus, von etwa einem Meter im Durchmesser. Leuchtende weiße Linien verbanden die Städte, die wiederum durch mehr oder minder große leuchtende Punkte angezeigt wurden, wie ein Spinnennetz. Was sollte das sein?

“Infiltriere: World Wide Web.”

Der Knotenpunkt, der Seattle darstellte, änderte die Farbe von weiß zu grün. Alle mit ihm verbundenen Linien wurden ebenfalls, ausgehend von Seattle, grün. Einen Augenblick später erreichten die grünen Linien andere Knotenpunkte, änderten auch deren Farbe. Binnen kürzester Zeit erstrahlte der Globus überzogen von einem grünen Netz.

“Infiltration abgeschlossen. Ich habe nun die vollständige Kontrolle. Initiierte: Globale Säuberung.”

“Was macht ihr da?”, rief Jake und ruderte wild mit den Armen. “Ihr könnt doch nicht einfach das Internet löschen. Das geht doch nicht.”

“Verräterische Datensätze gefunden. Löschung läuft.”

“Hey”, schrie er Isaak an. “Du musst das stoppen!”

Sein Freund drehte sich zu ihm. Mit einem milden Grinsen im Gesicht erklärte Isaak: “Beruhige dich. Die KI löscht nicht das Internet, sondern lediglich alles, was auf die übernatürliche Welt hindeutet. Sprich, die KI sorgt dafür, dass alle Beweise vernichtet werden.”

“Und das soll mich jetzt beruhigen?”, fragte Jake zweifelnd, ließ aber die Arme sinken. Er konnte nur hoffen, dass sein Liebster wusste, was er da entfesselt hatte. Dunkel erinnerte er sich an einen Film, bei dem eine KI das Internet übernommen hatte. Soweit er wusste ging das nicht gut aus für die Menschen.

“Phase eins abgeschlossen. Leite Phase zwei ein. Veränderte Datensätze werden hochgeladen.”

“Entschuldige, das ist mein Stichwort. Pass bitte kurz auf meinen Körper auf.” Bevor Jake Zeit zum Reagieren hatte, wurde der Blick seines Freundes leer. Was ihn aber noch mehr verunsicherte, war, dass Isaak ihre Verbindung unterdrückte. Was auch immer sein Liebster da vorhatte, Jake konnte nichts anderes tun als abzuwarten.

Aus den Augenwinkeln sah Jake, wie rund um den Globus kleine Monitore erschienen. Erstaunt stellte Jake fest, dass es wieder die Nachrichten waren. Was zum Teufel trieben die beiden da?

Bei CNN leuchtete plötzlich ein roter Einschieber auf: Eilmeldung. “Wie unsere Redaktion soeben erfahren hat, gab es einen globalen Hack auf das World Wide Web. Aus bisher unbestätigten Quellen, soll es sich dabei um einen Angriff einer bis dato unbekannten Hackergruppe namens ZERO handeln. Über das Ziel dieser Aktion können wir Ihnen bisher noch nichts …”

Der Nachrichtensprecher stoppte mitten im Satz. Er griff sich an sein Ohr und nickte vage einer Person hinter der Kamera zu.

Jake verstand nicht, was da los war. So etwas hatte er noch nie gesehen. Ein Blick zu den anderen Nachrichten genügte, um ihm zu offenbaren, dass alle Sprecher und Sprecherinnen verstummt waren.

Bei den Franzosen schob sich ein leger gekleideter Mann ins Bild und gab der Frau vor der Kamera einen Stapel neuer Zettel, bevor er sich eilig aus dem Bild bewegte. Im russischen Fernsehen kam ein kleiner Greifarm zum Einsatz, der die neuen Nachrichten übergab. Sie alle erhielten auf die eine oder andere Weise neue Informationen.

Jake hielt den Atem an, wie wahrscheinlich die ganze Welt auch. Einen Moment herrschte absolute Stille. Dann brach ein Stimmengewirr aus als alle auf einmal ihrem jeweiligen Publikum die Neuigkeiten mitteilen wollten.

Verzweifelt versuchte Jake sich auf die Stimme des Mannes von CNN zu konzentrieren.

“Der Pressesprecher des weißen Hauses tritt soeben vor die Kamera. Mit CNN sind Sie immer live vor Ort.”

Mit einem Mal zeigten alle Monitore einen Mann mittleren Alters. Er stand hinter einem Rednerpult. Links im Hintergrund sah Jake die amerikanische Flagge, sowie direkt hinter dem Mann das bekannte Emblem des weißen Hauses. Vorne am Rednerpult stand in großen weißen Lettern: “The White House, Washington DC”.

Der Mann räusperte sich und hob den Blick. Mit strenger Stimme verkündete er: “Die Hackergruppe ZERO wurde von Seiten der amerikanischen Regierung als eine terroristische Gruppierung eingestuft.

Mittels Falschmeldungen hatten die Hacker versucht eine globale Massenpanik auszulösen. Alle Informationen, die in den letzten Stunden im World Wide Web kursieren, sind das Werk von ZERO.

Einer internationalen Gruppe von Spezialisten ist es gelungen die Hacker aufzuhalten. Ihre schädliche Propaganda wurde gelöscht und die ursprünglichen Daten aus den Backup Servern wiederhergestellt.”

Der Pressesprecher legte eine kurze Pause ein.

Kam es nur Jake so vor, oder wirkten die Augen dieses Mannes etwas glasig? Er warf Isaak einen Seitenblick zu. Nein, das tat er nicht wirklich oder? Sein Liebster ließ doch nicht etwa den Pressesprecher des weißen Hauses, wie eine Marionette, ferngesteuert reden. Deshalb hatte Isaak sich abgeschottet. Er wendete Magie an und benötigte seine volle Konzentration.

“Heute, um 15:38 Ortszeit, wurde vor der Westküste des Bundesstaates Washington ein Meteorit mit Kollisionskurs zur Erde abgeschossen. Die Mission war ein voller Erfolg. Kein US-Bürger wurde dabei verletzt.

Lediglich ein winziger Restteil des Meteoriten ist in der Nähe des Kluane National Parks in Kanada eingeschlagen. Es handelt sich hierbei um eine unbewohnte Region. Nach bisherigen Erkenntnissen wurde niemand verletzt.

Die Bedrohung für die Bürger der Westküste wurde erfolgreich eliminiert. Es besteht kein Grund zur Sorge.”

Ein Schauder lief Jake über den Rücken. Gab es etwas, was sein Freund nicht konnte? Isaak hatte soeben die Geschichte im globalen Maßstab neu geschrieben. Aber eines musste Jake ihm lassen. Diese Erklärung war echt nicht von schlechten Eltern. Die meisten Menschen würden dieses Ammenmärchen wohl schlucken.

Ein Mann, weiter vorne im Bild, erhob sich und fragte: “Wurden Atomraketen bei diesem militärischen Einsatz abgeschossen?”

Der Pressesprecher schüttelte vehement den Kopf. “Genau das ist eine der vielen Falschmeldungen von ZERO. Die Explosionen auf den Videos der Anwohner zeigen lediglich das Verdampfen des Eismantels des Meteoriten. Ich widerhole: Es wurden keine Atomraketen eingesetzt.

Die Regierung würde niemals den Einsatz solcher Waffen im amerikanischen Luftraum zulassen. Das war alles. Gott sei mit Ihnen.”

Ohne auf die Meute von Reportern zu achten, wandte sich der Pressesprecher ab und verließ das Podium.

Genau in diesem Augenblick blinzelte Isaak. Ein deutliches Zeichen, dass dieser seinen Körper wieder unter Kontrolle hatte. Denn immerhin bewegte sein Marionetten-Freund keinen Muskel, solange Jake es ihm nicht befahl.

Mit einem diebischen Grinsen im Gesicht fragte Isaak: “Na, was sagst du?”

Jake schüttelte den Kopf. Das konnte sein Liebster doch nicht ernst meinen.

“Nette Show”, brummte er als Antwort und verdrehte die Augen. “Die Medien hast du für den Augenblick ruhig gestellt. Aber was ist mit Forks und La Push? Ernsthaft mal, das Loch von Morgana in Kanada sieht nicht aus, wie ein Meteoriteneinschlag. Und was ist mit dem atomaren Fallout.”

Sein Liebster grinste ihn an. “Um all das wird sich bereits gekümmert.” Isaak nickte zum Zentralkristall hin.

“Seien Sie versichert, Wächter Jacob, dass ich alle nötigen Maßnahmen bereits ergriffen habe. Mittels multipler Barrieren habe ich sämtliche Strahlung aus dem Luftraum der gesamten Region beseitigt.

Was den obligatorischen Einschlagskrater in Kanada anbelangt, so habe ich einige Drohnen entsendet, die die Umgebung entsprechend präparieren.

Der überwiegende Teil meiner Drohnen ist mit er Rekonstruktion von Forks und seiner Umgebung beschäftigt.”

“Hey”, beschwerte sich Jake lautstark. “Warum wird Forks vorgezogen. La Push wurde zuerst angegriffen. Also sollte es auch als erstes wieder aufgebaut werden.”

“Um der Wahrheit die Ehre zu geben, war das erste Ziel das Haus der Cullens”, meinte Isaak bemüht beiläufig.

“Die Blutsauger zählen nicht”, brauchste Jake auf.

“Das Haus der Cullens wurde bereits wiederhergestellt”, verkündete die KI.

“Bitte was?”, stammelte Jake aus der Fassung geraten.

Nachdenklich antwortete die KI: “Soweit ich informiert bin, ist für La Push eine weitreichende Modernisierung geplant. Daher habe ich mir erlaubt Forks vorzuziehen.”

“Ähm”, brabbelte Jake unbeholfen. Damit hatte er jetzt nicht gerechnet. “Wie hast du das gemacht?”

Schnell schüttelte Jake den Kopf und sagte: “Weißt du was, behalts für dich. Mit dem ganzen Technikgelaber kann ich eh nichts anfangen.”

Er hob den Blick und fixierte Isaak misstrauisch. “Ich dachte eher, dass du das erledigst. Mit deiner Magie. Eine Zeitverschiebung oder so etwas.”

Sein Freund öffnete den Mund, doch war es die KI die Antwortete: “Warnung: Einsatz von Zeitmagie ist strengstens untersagt. Dies stellt einen schwerwiegenden Verstoß gegen den Kodex der Wächter dar. Ich muss auf schärfste protestieren.”

“Beruhige dich”, sagte Isaak mit sanfter Stimme. “Jake hat nur gefragt. Ich hatte niemals vor, Zeitmagie einzusetzen.”

Ein empörtes Schnauben drang an Jakes Ohren. Im gegensatz zu seinem Liebsten, war er sich nicht so sicher, ob es eine gute Idee war, der KI ein solches Verhalten durchgehen zu lassen.

Isaak schmunzelte erheitert und zog Jake in Richtung Ausgang. Dabei erklärte er: “Du musst wissen, es gab mal einen Wächter der mit Zeitmagie experimentierte.”

Ohne Gegenwehr ließ sich Jake führen. Bloß weg von diesem mörderischen Kristallraum. “Lass mich raten. Er ist in die Vergangenheit gesprungen und wurde zu seinem eigenen Vater?”

“Bitte was?” Isaak blieb stehen und sah ihn entsetzt an.

Nach dem dummen Spruch musste sich Jake einer misstrauischen Musterung seitens seines Freundes stellen. Er hätte besser die Klappe gehalten. “Vergiss es. Was ist aus dem Wächter geworden?”

“Das weiß ich nicht. Keiner weiß das.” Isaak schüttelte den Kopf. “Seine Chronik ist verschlossen. Bisher konnte noch kein Wächter sie öffnen. Wir wissen nur das, was die KI damals aufgeschnappt hatte. Er vollzog ein Experiment und war dann spurlos verschwunden. Da ein neuer Wächter erwählt wurde, gehen wir davon aus, dass er tot ist.

Seltsamerweise hört man ein Kratzen, wenn man sich seiner Chronik nähert. So als ob sie sich noch immer selbst schreiben würde. Ein bisher ungelöstes Mysterium.”

Jake bekam eine Gänsehaut. Ein Wächter verrückter als der andere. Er nahm sich fest vor ein Auge auf seinen Liebsten zu haben. Nicht dass dieser auf dumme Ideen kam.

Langsam erwiderte Jake: “Er steckt wohl in einer Zeitschleife.”

“Das wäre möglich”, bestätigte Isaak nachdenklich. Dann zuckte er mit den Schultern. “Wie dem auch sei, seit seinem Verschwinden wurde die Zeitmagie verboten.”

Nun war es an Jake die Stirn zu runzeln. “Nach einem Fehlschlag gleich alles verbieten. Ihr Wächter seid echt ein schräger Haufen.”

“Er war nicht der einzige Wächter der sich mit Zeitmagie beschäftigte, wohl aber der Letzte der durch solche Experimente spurlos verschwand.”

Es gab also noch andere. Momentmal, sie alle waren verschwunden? Jake fragte besser nicht nach. Gespräche über Zeitsprünge führten nur zu einem Knoten im Kopf. Da ließ er besser die Finger davon.

*

Nun da das Licht an war, sah der Korridor nicht mehr so gespenstisch aus. Wie im Foyer, bestand der Boden auch hier aus weißem Marmor und die Wände aus dunklen Holzvertäfelungen.

Isaak führte ihn zu einer nahen Eichenholztür. “Das ist die Bibliothek der Wächter.”

Hinter der Tür befand sich eine kleine halbrunde Empore, diesmal sogar mit einem steinernen Geländer. Auf dem weißen Marmorboden standen mehrere Stehpulte und einladende Sessel zum Lesen.

Sein Liebster, der einen Schritt in den Raum hineingegangen war, vollzog eine einladende Geste. “Sieh dich ruhig um, wenn du willst.”

Das ließ Jake sich nicht zweimal sagen. Soweit er wusste, hatten sie gerade ein wenig Zeit. Die KI kümmerte sich ja um alles Wichtige.

Mit wenigen Schritten hatte Jake das Geländer erreicht. Bei dem sich ihm nun bietende Anblick, riss er ungläubig die Augen auf. Er sah auf unzählige vollgestopfte Bücherregale hinab. Wenn er sich weit nach vorne lehnte, konnte er rund einhundert Meter unter sich gerade noch so den Marmorboden erkennen.

Nur ein schmaler Gang befand sich zwischen den Regalen. Selbst die Wände rechts und links waren mit Büchern ausstaffiert. Jedoch war es ihm unmöglich, das Ende des Raumes zu sehen. Schier bis in die Unendlichkeit reihten sich die fein säuberlich angeordneten Regale.

“Beeindruckend”, war alles, was Jake zu sagen hatte.

Sein Freund trat neben ihn und lehnte lässig mit dem Rücken am Geländer. “Danke.”

Um wieder einen klaren Gedanken fassen zu können, schüttelte Jake den Kopf. “Aber wie findet man sich hier zurecht? Und wie kommt man an die Bücher ran?” Seines Erachtens nach gab es keinen Weg nach unten.

Geduldig erklärte Isaak: “Ursprünglich haben wir Wächter einen Aufrufezauber verwendet. Seit wir aber die KI erschaffen haben, regelt die das. Du musst der KI nur sagen, was du lesen willst und sie lässt das Buch zu dir kommen. Versuche es doch mal.”

“Ok.” Jake warf einen Blick über die unzähligen Regale. Nach was für einem Buch sollte er fragen? Sehr belesen war er ja nicht. Da fiel ihm etwas ein. Sein Liebster hatte doch mal erwähnt, ein Buch in seinem Kopf geschrieben zu haben. Ob das auch hier war?

“KI, gib mir bitte das Buch über die Quileute.”

Ein dumpfes Klonk erklang. “Dieses Werk steht aktuell lediglich digital zur Verfügung. Wenn Sie wünschen, kann ich es materialisieren, sollten Sie eine gebundene Ausgabe bevorzugen”, gab die KI Auskunft.

“Nein, das muss nicht sein”, murmelte Jake. Im selben Augenblick öffnete sich ein Display direkt vor ihm, darauf wurde das gewünschte Buch angezeigt. Das Cover zeigte unverkennbar einen Ureinwohner der Quileute mit bronzefarbener Haut, bekleidet nur mit einem Fell um die Hüfte. Schemenhaft war eine Art Geisterwesen rechts neben ihm abgebildet. Auf seiner andern Seite stand ein überdimensionierter Wolf.

“Das passt ja wie die Faust aufs Auge”, gab Jake seine Meinunge zu dem Cover kund.

“Danke, ich hatte gehofft, es würde dir gefallen.”

Langsam und bedächtig las Jake die Überschrift laut vor: “Die Legende der Quileute, von Wächter Isaak, 2006.”

Jake wandte sich seinem Freund zu. “Ich hatte jetzt so etwas wie: Anthropologische Untersuchung oder eine neue Unterart der Menschen erwartet.”

Auf dem Gesicht seines Liebsten breitete sich ein schuldbewusstes Lächeln aus. “Der ursprüngliche Titel ging in diese Richtung. Nach deiner Prägung auf mich, und den damit einhergehenden Problemen, hielt ich es es jedoch für angebracht den Titel zu überdenken.”

Stirnrunzelnd betrachtete Jake Isaak. “Sagtest du nicht, du hast das hochgeladen, bevor wir zusammenkamen?”

“Das stimmt”, drukste sein Freund ein wenig herum. “Damals war noch nicht abzusehen wie sich das ganze entwickeln würde. Jedoch bestand schon die Möglichkeit, dass du dieses Werk irgendwann mal zu Gesicht bekommen könntest.”

“Wächter”, schnaubte Jake und verdrehte die Augen. Er musste sich wohl damit abfinden, dass sein Freund gänzlich anders dachte als normale Menschen. Immer einen Fuß in der Zukunft und eine Hand am Schwert, um jegliche Gefahren für das Leben im Keim zu ersticken.



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Kommentare zu diesem Kapitel (1)

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Von:  Tomasu
2022-03-07T07:31:42+00:00 07.03.2022 08:31
Moin moin , auf neue ^^

ich schließe mich meinem letzte Kommi an: Was stimmt mit dieser KI nicht?

Ich kann nich mal wirklich den Finger drauf legen was mich am meisten stört. vielleicht alles um die KI herum, so das sie für mich "entrückt" wirkt.

Freu mich das Jake merkt das mehr in ihm ist als ein 16 jähriger Gestaltwandler. Manchmal braucht es nur einen Stubser um von jetzt auf gleich einen neuen Lebenssinn zu erreichen. ^^

grüße aus dem Norden
TK
Antwort von:  Drachenlords
13.03.2022 13:20
Schuhu, Teil 2:

ja die KI. Die wird noch ein wenig für Aufregung sorgen, so wie es auch Isaak gerne mal macht. Aber keine Angst die KI wird nicht mehr durchdrehen, bzw sich nicht gegen Isaak und Jake wenden.
...
Jedenfalls in dieser Story!
Vielleicht wird sie in der Fortsetzung wieder ihre Finger im Spiel haben. ^^
Mal sehen wo die Reise hingeht

MFG
Drachenlords


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