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Von Peking bis Barcelona

von

Vorwort zu diesem Kapitel:
PoV: Yurio, Yuuri Komplett anzeigen

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Prolog: Von Schweinen, Katzen und Hunden

St. Petersburg, 30. Oktober 2016
 

Dieses elende Schwein. Was bildet der sich ein?! Küsse als Lob, das ist die mieseste Nummer, die mir je untergekommen ist! Und dass Viktor das mitmacht, hat der gar keine Selbstachtung mehr vor sich?! Wieso interessiert er sich mehr für diesen Loser als für mich?!

Tok, tok.

„Was ist?!“, rufe ich genervt, Pocha fährt erschrocken von meinem Schoß auf und stellt den Schwanz auf Hab-Achtung.

Lilia öffnet meine Zimmertür, der Lichtstrahl vom Flur blendet mich widerlich. Garantiert will sie nen Verhör starten, warum ich ohne was zu sagen direkt in mein Zimmer bin. Damit soll sie mir gefälligst gestohlen bleiben.

Ich lasse mich zurück ins Bett fallen. Sofort stiehlt sich Pocha beleidigt davon, um Lilia um die Beine zu schleichen. Verräter.

„Viktor Nikiforov ist kein gutes Vorbild für dich.“

Ich haue mir das Kissen über die Ohren. Das kann sie dem heiligen Geist erzählen! Ich hab sowas von keinen Bock, irgendwem zuzuhören und 'ne Moralpredigt brauch ich erst recht nicht! Was für 'ne Ahnung hat sie schon? Ich habe meine eigenen Vorstellungen! Wenn ich gewinnen will, brauche ich Viktor und ich werde ihn zurückholen, egal wie!

„Weißt du, wer früher in diesem Bett geschlafen hat?“, fragt sie mich im gleichen Tonfall.

„Nein, wen interessiert's auch?!“, motze ich, aber die dämliche Matratze schluckt meine Stimme.

„Nikiforov. Das hier war sein Zimmer.“

„HA?!“

Pfeilschnell sitze ich aufrecht im Bett. Lilia schaltet das Licht an und ich petze die Augen schmerzhaft zusammen. Mann, Alte, ich bin blind...! Sie hätte mich warnen sollen! Dann höre ich ihre Schritte, als sie näher kommt und spüre ihr Gewicht auf dem Bett, als sie sich setzt. Das eine Auge öffne ich nur so weit wie nötig.

„Yakov hat ihn hierher gebracht, als er zehn war“, beginnt sie, ohne eine Miene zu verziehen oder mich anzusehen. „Er hat hier fünf Jahre lang gewohnt, in diesem Zimmer, bis er diese Töle angeschleppt hat. Danach war endgültig Schluss, aber Mutter Theresa aus der Schneiderei war ja sofort zur Stelle.“

Was zur Hölle, Lilia redet zum ersten Mal von Viktor?! Und mit Mutter Theresa meint sie Frau Praslova? Die Schneidertante für unsere Kostüme?

„Nikiforov war nichts als ein verzogener Bengel als er hier ankam“, spricht sie mit derselben versteinerten Miene weiter. „Der Vater nie zuhause gewesen, um ein Machtwort zu sprechen und die Mutter zu alt, das Kind richtig zu erziehen. Wenn ich daran nur denke. Er war eine einzige Plage.“

Ey, sie soll mich bloß nicht verarschen, mit dem was sie da erzählt!

„Du brauchst ihn nicht, Yuri Plisetsky“, wiederholt sie und sieht mich direkt an.

„Warum redest du erst jetzt davon?!“, blaffe ich sie an.

„Yakov,“ antwortet sie und sieht wieder weg, „An Yakov hing er wie eine Klette und Yakov hat sich einlullen lassen. Statt dafür zu sorgen, dass die Mutter die Verantwortung für das Kind trägt, hat er es für Gott gegeben hingenommen, sich selbst kümmern zu müssen. Nikiforov hatte nichts, was eine Sonderbehandlung gerechtfertigt hätte. Er war bockig, schwerer zu hüten als ein Sack Flöhe und ein hoffnungsloser Fall, was Benehmen und Anstand anbelangte.“

„Und wie ist er dann so erfolgreich geworden?“ Viktor liegt die Welt zu Füßen, wenn er nur mit den Finger schnippt!

„Du solltest dich von ihm fernhalten.“

„Ich hab's beim ersten Mal schon gehört“, schnaube ich. Was labert sie, Viktor ist doch eh nicht hier. Ist jetzt keine große Kunst, das hinzubekommen!

„Nikiforov fehlt der Stolz, der Respekt und die Achtung vor sich selbst. Für seine Ziele ist er sich für nichts zu schade; nicht für einen streunenden Köter und auch nicht für ein stupides Schwein. Für seine Bewunderer wirkt er wie ein Unschuldslamm, aber in ihm steckt ein Teufel.“

Lilia sieht zu mir und streicht mir einige meiner Haare aus meinem Gesicht, während ich versuche, den Scheiß in einen Zusammenhang zu bringen, den sie mir gerade erzählt hat. Viktors Gedanken reichen manchmal nur vom Sofa bis zum Chinesen um die Ecke und sie will mir gerade weiß machen, dass in dem Katsudon-Gelaber ein Teufel steckt? Am Arsch!

Wenn überhaupt, gibt’s hier nur einen Teufel und zwar den in dem ollen Spruch, den jeder gedrückt bekommt, der in der Halle neu anfängt: „Stehle niemals die Hörner des Teufels.

So 'ne lahme Erziehungskacke halt, die nix anderes heißen soll, dass man sich um seinen eigenen Shit kümmern soll. Aber selbst an das kann er sich nicht erinnern. Ey, wenn Viktors Kopf nicht angewachsen wär, würd er den noch zuhause vergessen. Er vergisst alles Mögliche: Namen, Gesichter, wenn jemand Geburtstag hat, wenn er was versprochen hat... Das ist zum Kotzen! Was soll der Scheiß also? Viktor muss man alles an den Arsch tragen, von selbst kommt nie was. Aber für dieses fette Schwein fliegt er um den halben Globus und lässt mich hier sitzen! Das kann er sich abschminken, dass ich das einfach so hinnehmen werde! Viktor wird nach Russland zurückkommen, und sein Versprechen halten!

Der neue Sieger werde ich, Yuri Plisetsky!
 


 

Hasetsu, 01. November 2016
 

Viktor und ich befinden uns auf dem Rückweg von der Eishalle in unser Onsen. Ich schiebe das Fahrrad neben mir her, damit wir uns an der Hand halten können und Makkachin trottet einige Schritte voraus. Seit wir die Halle verlassen haben, umgibt uns eine merkwürdige Stille; zum Einen aus Erleichterung, zum Anderen aus Nervosität.

Sobald wir zuhause sind, wollen wir meiner Familie mitteilen, dass uns inzwischen mehr verbindet als nur ein professionelles und freundschaftliches Verhältnis. Yuko hat es von uns gerade als Erste erfahren und sie war völlig aus dem Häuschen. Ihr zufolge rechneten bereits alle damit, sodass ich es mir nicht vorstellen kann, dass meine Familie es gleich verurteilen würde, aber eine gewisse Unsicherheit bleibt. Nur Vater sollten wir vielleicht noch nichts sagen. Ich erinnere mich noch sehr gut an die Mutmaßungen seiner Kumpels bezüglich des Zusammenhangs zwischen meiner Rede bei der Pressekonferenz und Viktors Erbrechen und eine ausgeschmücktere Version muss beim besten Willen nicht sein.

Da ab morgen in Hasetsu aufgrund des Hasetsu kunchi matsuri ohnehin viel los sein wird, dürfte Vater aber auch gar nicht zu Hause sein. Ein heißes Bad am Abend nach dem Fest wirkt bei den aktuell kühlen Temperaturen auf viele Besucher sicher sehr verlockend, sodass er wahrscheinlich noch keinen Feierabend gemacht hat.

Mit meiner Annahme behalte ich auch Recht, denn als wir zuhause ankommen, sind nur meine Mutter und meine Schwester anwesend. Vater ist noch einmal zu unserem Großhändler unterwegs, um ganz sicher genügend Getränke und Spirituosen im Lager zu haben, denn neben potenziellen Badegästen rechnen wir auch mit einer Vielzahl an schaulustigen Besuchern, die einen Blick auf Viktor oder mich erhaschen wollen. Und wer weiß, ob Yukos Drillinge nicht auch noch eine Idee in petto haben, die uns einschließt. Auch unter diesem Aspekt betrachtet ist es sicher nicht die schlechteste Idee, die Gelegenheit heute Abend zu nutzen und meine Familie einzuweihen.

Direkt nach unserer Ankunft sitzen wir also zu viert um den kleinen Tisch in unserem Wohnzimmer versammelt und ich muss einige Male ansetzen, die Neuigkeiten auszuformulieren, weil mir schon wieder vor Aufregung alle Worte dazu entfallen sind. Als es irgendwie dann deutlich genug ist, gehen die Reaktionen meiner Mutter und Mari in zwei völlig unterschiedliche Richtungen. Ich hegte die Hoffnung, dass beide ähnlich positiv reagieren würden wie Yuko, aber es ist nur Mutter, die zu strahlen beginnt.

Sie seufzt erleichtert, legt die Hände auf die Knie und verbeugt sich vor Viktor, um ihm zu danken, dass er sich meiner angenommen hat. Mari hingegen bleibt ohne Regung im Gesicht sitzen und betrachtet mich, als hätte ich ihr gerade eröffnet, eine verlorene Socke wiedergefunden zu haben. Ich wüsste zwar nicht, wie ich reagieren würde, wenn mir Mari einen Freund vorstellen würde, aber ein bisschen mehr Freude könnte schon drin sein, finde ich. Von ihrer Anteilslosigkeit irritiert regt sich auch etwas Unverständnis und Ärgernis in mir.

Yuuri, wie schön,“ freut sich Mutter mit leuchtenden Augen, nachdem sie sich wieder aufgerichtet hat, „du und Vicchan. Wir haben so gehofft, dass ich ihr euch findet! Es war kaum mehr zu übersehen, wie verliebt ihr wart. Du hast Vicchan seit deiner Pressekonferenz kaum noch aus den Augen gelassen, als wäre er dein größter Schatz.

Ja, kann sein...“, murmele ich überaus peinlich berührt. Wie kam ich nur auf die Idee, das hätte niemand bemerkt? Sie hat recht, in der Zeit nach der Pressekonferenz habe ich Viktor tatsächlich so gut wie nicht mehr aus den Augen gelassen; aus lauter Argwohn, dass Vater ihm noch einmal etwas „Lustiges“ zu essen gibt und Viktor sich erneut den Magen daran verdirbt. Wenn wir abends zusammen die Gameshow, die Viktor so gut gefällt, gesehen haben, hat er oft an mir gelehnt und seinen Kopf auf meine Schulter gehabt und jeder, der uns dabei gestört hat, wurde nicht selten von mir mit einem vernichtenden Blick gestraft. Und das ist nur ein Beispiel.

Da wir uns in der Anwesenheit von jemand anderem aber nie geküsst haben, war ich irgendwie der Auffassung, es wäre nicht deutlich genug, aber da lag ich wohl gründlich falsch. Rückblickend kann ich aber durchaus nachvollziehen, dass einige hier dachten, dass Viktor und ich schon viel länger eine richtige Beziehung führen als nur „ein bisschen zusammen“ zu sein...

Ist doch alles nur Zufall“, kommentiert Mari tonlos. Sie stützt den Kopf gelangweilt auf ihre Hand. „Wäre dieses Video nicht hochgeladen worden, wäre das doch nie passiert. Dann wäre er gar nicht hier. Also warum so ein Aufstand?

Das Video ist aber hochgeladen worden und er ist hier“, entgegne ich angefressen. Wenn sie ein Problem mit Viktor hat, dann soll sie es sagen. Dass ihr die Abreise von Yurio nicht geschmeckt hat, weiß ich, aber so waren nun mal die Regeln. Die Sache mit dem Yukata hat sie mir auch noch einige Tage nach dem Tanabata krumm genommen und insbesondere seit der Pressekonferenz redet sie kaum noch ein Wort mit uns.

Dann herzlichen Glückwunsch“, sagt sie genervt, steht auf und verlässt den Raum, um zu rauchen. Für einen Augenblick starre ich ihr mit unverständlichem Blick nach. Dann tippt Viktor mich an.

„Was hat sie?“

„Ich hab keine Ahnung...“, antworte ich.

Yuuri, deine Schwester meint es nicht so. Sie wird sich freuen können, wenn die Zeit da ist.“ Mutter lächelt etwas betrübt und greift mit ihrer Hand nach meiner und mit ihrer anderen nach der von Viktor. „Es hat nichts mit dir oder mit Vicchan zu tun. Sie ist enttäuscht.

Enttäuscht?

Deine Schwester hat es nicht einfach“, erklärt sie mir mit gesenktem Blick und streichelt über unsere Hände. „Du weißt, dass Mari nicht dem Bild entspricht, das japanische Männer sich von einer Frau erhoffen. Wir waren schon bei Partneragenturen, Heiratsvermittlern und immer noch hat sich kein Mann gefunden, der mit unserer Mari zusammen sein möchte. Und dein Vicchan ist so ein Sonnenschein. Sie ist traurig, dass sie alleine ist.

Die Antwort trifft mich jetzt mehr, als ich erwartet habe und sofort füllen sich meine Gedanken mit Schuldgefühlen. Es stimmt schon; während ich noch in Amerika gewesen bin, haben meine Eltern viel unternommen, um einen Mann für meine Schwester zu finden. Für Frauen im Westen ist es nichts Ungewöhnliches, mit 30 noch nicht verheiratet zu sein, aber bei Japanerinnen wird es gesellschaftlich immer noch belächelt. Ich weiß auch, dass meine Eltern darauf hoffen, dass Mari einmal mit ihrem Ehemann den Familienbetrieb übernehmen und weiterführen wird...

Es ist Vaters Ruf nach Mutter der mich schließlich aus meinen Gedanken reißt und sie eilt sofort nach vorne, um ihm beim Auslanden des Transporters zu helfen.

„Hab ich was falsch gemacht? Mein Name ist gefallen“, wendet sich Viktor an mich.

Ich winke ab. „Nein, hast du nicht. Bist du müde?“

„Hmm“, sagt er, schließt die Augen und legt den Kopf schief. Das heißt ganz eindeutig Ja. Er muss ziemlich müde sein von seinem spontanen Schneeflockentanz auf dem Eis. Die Augenlider sind schon seit einer Weile recht schwer und ein Blick auf die Uhr verrät mir, dass es gerade mal 22:14 Uhr ist. Ich seufze, als er nach meinem Arm greift. Daran würde ich mich in Zukunft wohl gewöhnen müssen. Früh schlafen gehen. Den ganzen Sommer über ist Viktor meist schon zwischen 22 und 24 Uhr schlafen gegangen, während ich oft noch bis spät in die Nacht an meinem Laptop gesessen habe. Er ist auch immer früher aufgestanden und ich habe nicht selten vor 10 Uhr überhaupt erst die Vorhänge zurück gezogen. Aber jetzt werde ich wohl die Schlafenszeiten des Single-Daseins beenden müssen und mich dem neuen Hauptgewinn in meinem Leben anpassen.


Nachwort zu diesem Kapitel:
Next: 1 - November 2016

Anmerungen:
Hasetsu kunchi matsuri = Entspricht dem Karatsu kunchi matsuri, dass immer am 2. November stattfindet. Zu dem Fest kommen etwa zwei Millionen Besucher, in dessen Fokus das Tragen von Masken steht. Komplett anzeigen

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Kommentare zu diesem Kapitel (1)

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Von:  --lina--
2018-08-16T10:33:27+00:00 16.08.2018 12:33
Hauptgewinn! Ohja so kann man das nennen!
Und es schmeckt mir gar nicht, dass Mari so angefressen ist. Also es ist schon verständlich, aber man könnte sich auch mal am Schlüpper reißen.
Na ich bin gespannt wie's weiter geht ><
Antwort von:  Flokati
16.08.2018 16:21
Danke dir :)
Ja, Yuuri wird sich umstellen müssen. Bei Brot zum Beispiel xD


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