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Mord-Semester

Magister Magicae 3
von

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Zweifel

Nikolai sah gründlich nach, ob er auch wirklich alleine war, dann zog er das Handy aus der Jacke und wählte eine Nummer. Seit Tagen die erste Chance, die sich ihm dafür bot. Er war sonst nie alleine.

„Hey, Kleiner. Weißt du, wie spät das hier in Russland ist?“, meldete sich eine unwillige, weibliche Stimme am Telefon.

„Das ist mir völlig Schnuppe!“, zischte Nikolai hysterisch.

„Wie gefällt dir Spanien?“

„Nadeschda, es gab Tote! Sergej hat einen der Koboldjungen erschossen! Ich konnte es nicht verhindern!“

„Tja ...“, meinte Nadeschda nachdenklich. „Das kommt leider vor. Glaub mir, das wird dir noch öfter passieren.“

„Nadeschda, ich will das nicht mehr. Ich kann das nicht! Ich steig wieder aus!“

Die Frau am anderen Ende lachte herzlich auf. „Das geht nicht, Kleiner. Die Motus verlässt man nicht lebend. Also denk lieber gar nicht dran.“

„Hier gibt es Tote!“, beharrte Nikolai fertig mit den Nerven.

„Warst du wirklich so blauäugig und hast das nicht kommen sehen?“

Der Gestaltwandler merkte auf, als er ein Geräusch im Haus hörte. „Verdammt, da kommt jemand. Ich muss auflegen. Aber da reden wir nochmal drüber!“

„Ja-ja. Bis später“, erwiderte Nadeschda belustigt.

Nikolai ließ hektisch das Telefon wieder verschwinden und warf sich auf seinen Stuhl am Esstisch, wo eines seiner Lehrbücher offen herum lag. Gerade noch rechtzeitig bevor die Tür aufging.

„Kolja, du hockst seit Tagen hier im Haus und brütest über deinem dämlichen Buch. Kennst du das nicht langsam auswändig?“

„Lass mich in Ruhe“, maulte Nikolai missmutig. Sie hatten sich seit 3 Tagen in der Villa von Ramon Djego einquartiert und warteten auf die Aufstellung des Waffentransportes, den sie mit zurück nach Russland nehmen sollten. Was aus den gefangenen Koboldkindern geworden war, seit sie die hier abgeliefert hatten, konnte er nicht sagen. Und wahrscheinlich wollte er das auch gar nicht wissen. Im Gegensatz zu Sergej und Fiodor hatte Nikolai aber kein Interesse daran, die Stadt unsicher zu machen. Er war froh, ein Lehrbuch mitgenommen zu haben, um während seiner Abwesenheit wenigstens IRGENDWAS für die Uni machen zu können, und wünschte sich abgesehen davon nichts sehnlicher, als endlich hier weg zu können.

„Ist es immer noch wegen diesem Kobold?“, wollte Sergej wissen.

„Ja. Es war keine Rede davon, daß wir jemanden umbringen.“

„Ist wohl deine erste Leiche, was? Man gewöhnt sich daran.“

Gewöhnen!? Er wollte sich nicht an sowas gewöhnen! Nikolai holte Luft, um etwas zu erwidern, biss sich aber gerade noch rechtzeitig auf die Zunge, denn die Antwort hätte dem Motus-Killer nicht gefallen.

„Ich sag´s nur ungern, aber der Junge wusste, daß wir bewaffnet sind. Selber Schuld, wenn er wegrennt.“

„Wird der Boss denn nicht wissen wollen, wo er hin ist?“, gab der Student miesepetrig zurück und sah aus dem Buch hoch. „Kriegst du keinen Ärger, wenn dir deine Ware abhanden kommt?“

„Nein. Wenn 5 von 6 lebend ankommen, ist das eine zufriedenstellende Quote. Verluste sind einkalkuliert.“

Nikolai nickte mit einem zynischen Aha-Gesichtsausdruck. „Ich seh schon, ich muss noch viel über die Motus lernen.“

„Mach dir nichts draus. Ich hatte mit meiner ersten Leiche auch Probleme. Ist wohl normal. Aber die Bezahlung lässt einen vieles vergessen.“

Nikolai vertiefte sich demonstrativ wieder in sein Buch. Nicht, daß er mit seinen wirbelnden Gedanken und Gewissensbissen irgendwas von dem Lehrstoff hätte aufnehmen können. Dafür war er viel zu aufgewühlt. Aber es war zumindest eine gute Ablenkung von der Tatsache, daß er hier bis auf weiteres festsaß.

„Du kommst nicht mit in die Stadt?“, rückversicherte sich Sergej nochmal.

„Nein.“

„Gut, dann nicht. Ramon ist unten im Erdgeschoss, wenn du was brauchst.“
 

Zwei Stunden später schlenderte Nikolai rastlos durch das große Haus, weil er partu nicht mehr stillsitzen konnte. Er massierte sich den toten Punkt über der Nasenwurzel, um gegen seine Deprimiertheit anzukämpfen. Eher zufällig traf er dabei auf den spanischen Cluster-Chef, der ihm mit einigen Papieren entgegen kam.

„Eh, du siehst schlecht aus, Amigo“, konnte Ramon Djego sich nicht verkneifen.

Nikolai stöhnte leidend. „Gibt es hier irgendwo Vodka?“

„Du trinkst Vodka?“

„Normalerweise nicht ...“, seufzte der Student matt.

„Ich hätte Metaxa zu bieten“, kicherte sein Gegenüber in seinem wohlklingenden, spanischen Akzent.

„Gerne. Der tut´s auch. Hauptsache, es haut ordentlich rein.“

Er winkte Nikolai, ihm zu folgen, und ging voraus. „Ich kann dir beim Trinken leider nicht beistehen. Als Feuerspeier darf ich keinen hochprozentigen Alkohol trinken, sonst würde ich direkt in Flammen aufgehen. Alles ab 45% brennt ganz gut. Mir selber macht das ja nichts aus, aber für meine Umgebung ist das nicht schön. Und ich will auch nicht meine ganze Villa niederbrennen.“

„Du bist ein Feuerspeier?“

„Ich bin eine Feuerschlange, ein Drachen. In meiner Brust brennt immer Feuer, das ich bei Bedarf auch spucken kann.“

„Aha ...“, machte Nikolai und suchte schnell nach neuen Gesprächsthemen. „Du sprichst aber gut Russisch.“

„Ja, muss man auch, wenn man mit der Motus arbeitet. Die Zentrale sitzt nunmal in Moskau. Russisch ist quasi die Amtssprache der Motus. Egal in welche Zweigstelle der Welt du kommst, die werden alle Russisch mit dir reden.“

„Praktisch!“, urteilte Nikolai. „Gut zu wissen. Wieviele Zweigstellen gibt es denn?“

Ramon Djego, inzwischen mit seinem Gast in der Küche angekommen, griff nach einer Schnapsflasche und warf Nikolai dann einen abwägenden Blick zu. „Ich sag dir was, Junge“, wich er schließlich aus. „Du bist noch neu bei uns in der Motus. Wenn du eins schnell lernen solltest, dann, nicht zuviele Fragen zu stellen und auch nicht zuviele davon zu beantworten.“

Der Gestaltwandler strich sich die Haare hinter ein Ohr und nickte überrascht. „Danke, ich will es beherzigen.“

„Hier, trink, Muchacho. Das hilft.“ Der Spanier schnappte nach einem Glas und goss ein.
 

Nach nicht ganz 14 Tagen war Nikolai zwar wesentlich eher wieder zu Hause als befürchtet, aber eindeutig zu spät, um keine Probleme zu kriegen. Seine Aktivitäten bei der Motus kosteten ihn noch den Uni-Abschluss. Nach einer erfolglosen und frustrierenden Odyssee stand er jetzt im Dekanat und diskutierte wild entschlossen mit der Sekretärin.

„Ich will den Dekan sprechen, hab ich gesagt!“, beharrte er.

„Und ich habe gesagt, daß Sie keinen Termin haben“, gab sie zu bedenken.

„Nein, hab ich nicht. Ist mir aber egal. Es ist wichtig.“

Sie blätterte im Kalender. „Ich gebe Ihnen einen Termin in drei Wochen.“

„Nein, tun Sie nicht! Das ist zu spät. Ich will ihn jetzt sprechen.“

„Er ist nicht verfügbar.“

„Dann machen Sie ihn verfügbar!“, verlangte Nikolai fast wütend. „Sagen Sie ihm, wer draußen steht. Er wird mich empfangen.“

„Ich ...“

Die Tür des Büros ging auf und der Leiter der Universität kam verwundert heraus, von dem Theater in seinem Vorzimmer angelockt. „Oh, Nikolai, du bist es!?“

„Hallo, Herr Dekan! Ich muss Sie sprechen.“

„Wenn es nicht länger als 15 Minuten dauert, dann gern. Ich muss dann zu einem Termin. Aber komm doch rein.“

Nikolai nickte der Sekretärin nochmal triumphierend zu, dann folgte er dem älteren Herrn im Anzug ins Büro.

„Bitte, setz dich. Wie kann ich dir denn helfen?“

„Mir will keiner die mündliche Theorie-Prüfung abnehmen, damit ich meinen Magister Magicae abschließen kann“, brachte der Student es direkt auf den Punkt.

„Naja ... da bist du auch etwas spät dran. Die Frist für die Anmeldung ist Ende letzter Woche gewesen.“

„Das weiß ich. Darum kümmere ich mich als nächstes“, betonte Nikolai säuerlich. „Nur brauch ich erstmal irgendjemanden, der mich überhaupt prüft. Ich habe alle Professoren abgeklappert, bin aber leider nur auf taube Ohren gestoßen. Die haben mir auch alle gesagt, daß ich zu spät dran bin. Ich hatte gehofft, Sie könnten jemanden dazu bewegen, mich doch noch anzunehmen.“

„Aber mein lieber Junge ...“, lachte der Dekan erheitert.

Nikolai teilte diesen Humor nicht im Mindesten. Er blieb gänzlich ernst. „Sie wissen, was ich in meiner Freizeit treibe! Sie haben mich persönlich bei der Geheimpolizei eingeführt! Ich bin dank Ihnen letzte Nacht erst aus Spanien zurückgekommen, wo ich 2 verfluchte Wochen lang mit Mördern und Schmugglern festsaß! Und ich hatte dank Ihnen schon mit einer Leiche und der Vertuschung eines Mordes zu tun! Meine Nerven sind am Ende! Und das letzte, was ich jetzt noch brauchen kann, ist, mein Studium nicht abschließen zu können! Also helfen Sie mir verdammt nochmal!“

Der Dekan blies überrumpelt die Wangen auf. Auch seine Belustigung war sichtlich wieder verflogen. Dann griff er sich kommentarlos eine Packung Zigaretten, schüttelte sich eine Kippe heraus und zündete diese an. Nachdem er einen tiefen Zug davon genommen hatte, seufzte er leise. „Hast du das deiner Kontaktperson schon gemeldet?“

„Ja. Sie sagte, das wäre Tagesgeschäft und ich müsse mich daran gewöhnen. Da wieder auszusteigen, ist ausgeschlossen.“

Der Dekan nickte verstehend und überdachte das. Ein hartes Los. Der Junge brauchte wohl wirklich jede Unterstützung, die er kriegen konnte.

„Ich verlange nicht, daß sie mir den Abschluss schenken und mich durchwinken! Ich will den Magister Magicae so rechtmäßig erlangen wieder jeder andere auch! Ich will einfach nur diese verdammte Prüfung machen dürfen!“

„Welchen Professor wünschst du dir denn für deine mündliche Prüfung?“

„Ich glaube, Professor Baschenow würde mit meinem Schwerpunkt konform gehen.“

„Mit dem kann ich reden. Er wird dich prüfen, wenn ich es ihm sage. Wird dich auch bestehen lassen, wenn ich will. Aber das ändert nichts daran, daß du die Fristen nicht eingehalten hast.“

„Mit dem Prüfungsamt rede ich selber“, legte Nikolai kühl fest. „An Geld mangelt´s mir ja inzwischen nicht mehr.“

„Du willst die bestechen?“

„Ist doch sowieso an der Tagesordnung, oder sehe ich das falsch?“

„An der Tagesordnung ist es hier in Russland, sich für seine Diplom-Arbeit einen Ghost-Writer zu suchen.“

„Kommt also auf´s gleiche raus. Nur eine Frage des Preises.“

Der Dekan nickte hinnehmend. „Na schön, wie du möchtest. Du bekommst den Professor.“

„Gut. Dann werde ich jetzt Ihre Zeit nicht mehr verschwenden.“ Nikolai stand mit kaltem Blick auf und ging. Weder dankte er, noch verabschiedete er sich. Die Tür ließ er offen. Respekt war ihm gleichgültig. Er verachtete den Dekan. Er hasste diesen Mann, der ihn in so eine Lebenslage gebracht hatte. Der war keine Autoritätsperson mehr. Nur noch unumgängliches Mittel zum Zweck, um den Magister Magicae ablegen zu können.
 

An diesem Abend warf sich Nikolai in voller Montur auf sein neues Bett in seiner neuen Wohnung und starrte die Zimmerdecke an. Bei Anatolij war er schon eine ganze Weile ausgezogen. Zum Glück. Der hätte die Polizei gerufen, wenn Nikolai 14 Tage lang nicht nach Hause gekommen wäre. So bekam er nicht mehr mit, ob Nikolai in der Stadt war, oder in Polen oder Spanien oder weiß der Geier. Wieder ging ihm das erschossene Koboldkind durch den Kopf. Er fühlte sich so elend und schuldig, als hätte er den Jungen eigenhändig abgeknallt. Nun, er hatte die Leiche nachhaltig verschwinden lassen und alle Beweise vernichtet, das war wohl auch keinen Deut besser. Wo in Gottes Namen war er da nur reingeraten? Warum hatte er das nicht kommen sehen? Er wusste warum. Weil dieser Gontscharow vom Geheimdienst ihn einfach überrannt hatte. Binnen einer Viertelstunde hatte er Nikolai eine Zusage abgenötigt. Das war keine Entscheidung gewesen, die er da im Konferenzraum No. 3 gefällt hatte. Das war Erpressung gewesen. Das war Nötigung gewesen! Das war Täuschung! Das war ... Mord! Ganz genau, Mord war das! Ein Selbstmordkommando! Etliche Nummern zu groß für einen unerfahrenen, studentischen Grünschnabel, der nichts vom Leben wusste und nichtmal eine Ausbildung dafür hatte. Er war überhaupt nicht vorbereitet gewesen, auf das, was ihn in der Motus erwartete.

Sein Handy klingelte und Nikolai sah unwillig auf den Bildschirm. Eigentlich wollte er jetzt in seinem Elend nicht gestört werden. Aber als er sah, wer ihn anrief, ging er doch ran. Dieser Anruf kam ihm gerade recht. „Nadeschda! Gerade hab ich überlegt, ob ich dich anrufen und in der Luft zerfetzen soll.“

„Bist du immer noch nicht über den Jungen in Spanien hinweg?“, wollte sie wissen, von der 'netten' Begrüßung gar nicht begeistert.

„Wie sollte ich!? Verdammt, er wurde vor meinen Augen erschossen!“

Nadeschdas Augenrollen war förmlich durch das Telefon zu hören. „Du bist doch nicht immer noch auf dem Trichter, aussteigen zu wollen, oder? Kolja, lass es, wenn dir dein Leben lieb ist.“

„Was soll ich denn sonst tun? Habt ihr vielleicht gute Psychologen, die mir helfen könnten, drüber weg zu kommen und einfach weiterzumachen?“

„Es hilft ungemein, wenn du dir vor Augen hältst, warum die Motus diese Kobolde jagt. Die brennen Scheunen ab, plündern Speicher und überfallen Warenlieferungen. Das sind garstige Viecher. Ich will damit nicht sagen, daß sie´s verdient hätten, so zu enden, aber ... doch, genau das will ich eigentlich damit sagen.“

„Das waren Kinder, Nadeschda!“, warf Nikolai ihr entrüstet vor.

„Sicher waren sie das.“ Einen Moment herrschte Schweigen zwischen den beiden. Dann ergriff sie als Erste wieder das Wort. „Halte dich daran fest, was du erreichen willst, Kolja. Du willst in der Motus aufsteigen und an die Führungs-Ebene rankommen. Es ist dein Ziel, möglichst viele Beweise gegen sie zu sammeln und ihnen ein Ende zu machen. Wenn man ein Omelett will, muss man ein paar Eier zerschlagen.“

„Schon gut ...“, seufzte der Gestaltwandler resignierend.

„Also bist du noch dabei?“

„Ja. ... Sieht ja nicht so aus, als hätte ich eine Wahl.“

„Gut. Ich schick dir gleich eine e-mail mit dem nächsten Einsatz.“



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