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Die Kinder des Windes

Der König von Kalaß
von

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Ursprung

Siva ist eine unruhige Frau, die nicht gern lang faul herumliegt. Noch vor wenigen Monaten hätte sie um diese Zeit schon in ihrer ersten Einheit Privatunterricht gesessen. Sie vermisst das Lernen, was sie nie von sich geglaubt hätte. Kaum von den warmen Sonnenstrahlen zum Fenster gelockt, sieht sie wie ihre fleißige neue Freundin Rinao allein mit den Aufräumarbeiten ihrer Willkommensfeier begonnen hat. Voller Entsetzen wirft sich die Prinzessin ihr Kleid über und eilt ihrer Freundin zu Hilfe. Ramon ist das indes reichlich egal. Anstatt ihr zu folgen, dreht er sich im Bett einfach noch einmal herum.
 

Die beiden Mädchen unterhalten sich heiter, während sie die Teller und Krüge in die Gemeinschaftsküche tragen und die Bänke und Tische säubern und wegschaffen, über das Leben in der Siedlung, bis Riano sich traut zu fragen, warum Siva die Freundschaft zu ihren Verlobten Ferick zurückgewiesen habe.

„Junge Kerle langweilen mich, Rinao. Sie sind wie Klone voneinander, alle gleich, auch wenn es da mal diese eine Ausnahme gab.“

erklärt sich die Prinzessin.

„Aber Ferick ist total lieb und er mag dich.“

versucht ihn die Einheimische in Schutz zu nehmen, was Siva selbstherrlich die Schultern heben lässt.

„Sie alle mögen mich Riano, deshalb sind sie ja so langweilig.“

„Nun gib ihm schon eine Chance!“

schallt eine tiefe, belustigte Stimme aus dem Rathaus heraus, in dessen Mitte es sich Ramon inzwischen bequem gemacht hat und seine Liebste durch die offene Schiebetür beim Arbeiten beobachtet. Dieser Satz reicht, damit Siva vor Wut platzen könnte. Er scheint sich seiner Sache ja restlos sicher zu sein, denkt sie. Kurz bevor sie kontern kann, nutzt Rinao die positive Grundhaltung des Letzen Königs, den sie zutiefst verehrt.

„Er kreiert Kleidung für Männer und Frauen, die in der Siedlung niemand tragen möchte. Für viele seiner Kleider fehlt auch mir das Selbstbewusstsein, aber dir, Siva, würden sie hervorragend stehen und auch dem Letzten König… Fericks Entwürfe haben Ähnlichkeit mit dem ungewöhnlichen Kleid, das du gerade trägst. Verstehst du jetzt sein Interesse an dir? Er macht dir eins auf Probe, wenn du möchtest. Ich müsste nur deine Maße nehmen.“

Gerade noch von negativen Gefühlen übermannt, haben Sivas Augen inzwischen begonnen zu funkeln. Ein, zwei schöne neue Kleider könnte sie gut gebrauchen und auch etwas zweckmäßiges zum Fischen und Jagen wäre nicht schlecht.

„Da habe ich wohl zu früh geurteilt. Ich habe die Sache scheinbar ganz falsch verstanden. Ihr beide habt recht, ich sollte Ferick eine Chance geben. Nimm doch auch gleich noch die Maße von Ramon. Er kann neue Kleidung ebenfalls gut gebrauchen.“

Ramon steht inzwischen mit verschränkten Armen an den Türrahmen gelehnt, um dem Gespräch besser folgen zu können, das für ihn anmutet wie ein hervorragendes Theaterstück. Selten hat er sich so gut unterhalten gefühlt. Er erkennt sein Leben nicht wieder, denn mit Siva an seiner Seite hat er so viel mehr Spaß als früher. Beschämt sieht die blutjunge Rinao zu ihm. Als Zustimmung zu Sivas Vorschlag hebt er seinen Kopf etwas und lächelt dem verunsicherten Ialana Mädchen erwartungsvoll und verführerisch zu.

„Ich soll seine Maße nehmen? Aber dann… dann…“

stammelt sie, während ihre Wangen sich immer weiter mit Farbe füllen. Dieses Mal kommt dem lüsternen König nichts in die Quere und er liest genüsslich ihre Gedanken. Er wundert sich nun wahrlich nicht mehr darüber warum das Mädchen in seiner Gegenwart errötet. Sein selbstzufriedenes Lächeln lässt Siva so langsam stutzig werden. Auf Ursachensuche beschließt sie ebenfalls widerwillig einen kurzen Blick in Rinaos Gedanken zu werfen und zuckt geschockt zusammen.

„Lasst das sein, Ramon!“

ruft sie ihm verärgert zu, woraufhin er schulterzuckend entgegnet:

„Ich habe damit rein gar nichts zu tun, Prinzessin.“

und schelmisch grinsend ins Haus zurück geht. Nachdem sie ihn letzte Nacht abgewiesen hat, amüsiert ihn diese Situation nur noch mehr. Körperliches Interesse an dem schwachen Schneidermädchen hat er keines, aber es macht ihm Spaß Siva zu ärgern.

Die verstimmte Prinzessin, wendet sich wieder ihrer neuen Freundin zu.

„Du stehst auf ihn, nicht wahr Rinao? Vor ein paar Wochen hätte ich ihm noch ein Schleifchen ungebunden und ihn dir mit Freuden zum Geschenk gemacht, doch jetzt liegen die Dinge anders. Ich werde ihn dir nicht überlassen und ich sehe auch keinen Grund ihn mit dir zu teilen.“

„Das sollst du auch nicht. Ich schwärme einfach für ihn. Ich traue mich ja nicht einmal ihn anzusprechen, wie sollte ich da… Außerdem bin doch selbst einem anderen versprochen.“

verteidigt sich Rinao, was Siva nur bedingt gelten lässt.

„Das war ich auch. Ich löste meine Verlobung vom Yokener Kronprinzen, um bei Ramon bleiben zu können. Und bevor du fragst, ja ich mochte den jungen Prinzen. Er war die Ausnahme, von der ich vorhin sprach.“

Rinao malt sich eine herzzerreißende Geschichte voller Leidenschaft aus und damit liegt sie gar nicht so falsch. Sie traut sich allerdings nicht weiter nachzufragen und schlägt stattdessen vor zum Gemeinschaftsfrühstück zu gehen, was Siva mit knurrendem Magen annimmt. Ramon wird ihnen schon von selbst folgen, wenn er möchte, was er kurze Zeit später auch tut.
 

Trotz oder vielleicht auch gerade aufgrund der gestrigen Anklage durch Madlene und ihrer Söhne, wird Siva freundlich zum Frühstück empfangen. Anscheinend hat die ehemalige Königin tatsächlich nicht den besten Ruf, so wie Ramon es in der Geschichte gestern Nacht andeutete. Als er erscheint, wird er von manchen höflich, von anderen scheu begrüßt, jedoch von niemandem ignoriert. Das verbucht das sonst eher skeptisch betrachtete Pärchen schon als großen Fortschritt.

Den restlichen Tag führen die beiden Gespräche mit den Bewohnern, die sich aber meist erst einmal nur um den Status quo der Insel drehen. Schon jetzt kristallisiert sich heraus, dass Atanes Führung eher lascher Natur ist, genau wie Ramon es vermutete. Sie selbst hat keine Ideen und Neues durchzusetzen gestaltet sich schwierig, ohne eine Anweisung von oben, gerade weil die Menschen unter Ramons Autokratie aufgewachsen sind.

Am Abend unterhalten sich die beiden hochgeborenen neuen Inselbewohner miteinander über ihre Erkenntnisse auf ihrem Gästezimmer, in dem sie wohl noch eine Weile wohnen müssen. Es beginnt bereits zu dämmern und Siva liegt entspannt, in einem neuen, etwas zu engen Unterkleid, das sie leihweise von Rinao erhalten hat, quer auf dem Doppelbett, während sich Ramon leger, mit aufgeknöpftem Hemd und übereinandergeschlagenen Beinen, neben sie an ihre Seite gesetzt hat. Er erinnert sich, dass er das früher nicht durfte, als er sie in den Geheimtunneln unter der Tarbasser Festung gefangen hielt. Er vermutet, dass er ihr schon damals den Kopf verdreht hatte, sie sich aber, zugegeben äußerst standhaft, gegen ihn wehrte.

Er ist zu ihr gedreht und bewundert wieder einmal ihren gut gebauten Körper.

„Auf längere Sicht betrachtet, was glaubt Ihr werden wir für diese Menschen seien, Prinzessin?“ fragt er sie aus.

„Na auf jeden Fall nicht das Jäger- oder der Fischerpärchen, das steht fest.“ kichert sie und erklärt ernsten Tons ihre Vision:

„Ihr seid ihr König und das wird sich niemals ändern. Viele von ihnen akzeptieren das bereits und diejenigen die es nicht tun, werde ich schon noch zu überzeugen wissen. Sie fürchten Euch, doch das ist nur ein Zeichen ihres Respekts. Hier hat sonst niemand das Zeug zum Anführer, auch Atane nicht. Es ist das hätten sie nur auf Euch gewartet.“

„Gut, das sehe ich ebenso. Ich danke Euch für Euer Vertrauen in mich.“ entgegnet er erleichtert. Er streichelt ihr sanft über ihren zarten Oberschenkel, wobei er ihr Unterkleid immer weiter nach oben schiebt.

Als sie ihre Hand auf seine legt, um ihn daran zu hindern, schnalzt er ungeduldig mit der Zunge. Er versucht weiterhin verständnisvoll zu bleiben, doch so langsam könnte sie mal etwas rücksichtsvoller zu ihm sein. Sie weiß schließlich ganz genau, dass sie sein Lebenselixier ist.

„Wir sollten den Beischlaf auf kürzere Intervalle verstetigen, Siva.“

Auf seine Worte hin setzt sie sich auf und zieht die Beine an sich heran. Sie sucht nach den richtigen Worten, um ihm beizubringen wo das Problem liegt. Dabei fällt es ihr selbst schwer den Ursachen auf den Grund zu gehen. Es dauert einen Moment, doch schließlich nimmt sie Stellung:

„Oh, ich hasse es über solche Dinge zu sprechen, aber sei’s drum. Ramon, immer wenn dieses Thema aufkommt, verkrampfte ich mich innerlich. Keine Ahnung…ich glaube ich habe Angst nur benutzt zu werden, was weiß ich. Wenn Ihr mir Euer Blut gebt, verliere ich die Kontrolle, bin nicht mehr Herrin meiner Sinne und Ihr könnt mit mir machen was Ihr wollt. Das Schlimme an der Sache ist: Ihr tut es dann auch noch. Macht das nicht noch mal! Ich will unser Zusammensein bewusst erleben, selbst entscheiden wann Schluss ist, versteht Ihr das?“

„Das hättet Ihr mir doch auch schon eher sagen können, Prinzessin.“ reagiert er entkräftend. Er dachte schon sie will ihm jetzt vorwerfen er begehre nur ihr Blut und nichts weiter, doch so eine dumme weibische Schlussfolgerung wird er von einer Frau dieser Klasse nicht erhalten. Ihr geht es wohl eher um den Machtverlust während der Rauschphase. Dann ist er ihr nämlich überlegen, weil er den Nebel des Rausches sehr viel besser verkraftet als sie.

Sie ist froh darüber, dass es jetzt doch so leicht war ihm davon zu erzählen und auch, dass er es ohne weiteres akzeptierte. Ihr Körper entspannt sich wieder. Mit ihrer Hand fährt sie von der Seite unter sein offenes Hemd, um seine überraschend zarte Haut zu streicheln. Ohne etwas zu sagen, setzt sie sich kurze Zeit darauf neben ihn auf ihre angewinkelten Beine und befreit ihn vollständig von seinem Hemd. Sanft berührt sie seinen gut gebauten Oberkörper. In der Mitte unterhalb seiner Brustmuskeln fühlt sich seine Haut härter, fast schon verschorft an. Da sind sie schon wieder, die ersten Anzeichen seiner Sterblichkeit. Eine ganze Weile befassen sich ihre Finger mit dieser Stelle, während Ramon seiner Liebsten die meiste Zeit in die schönen blauen Augen schaut. Sie erwidert seinen Blick schließlich und haucht:

„Ich finde eine Heilung für Euer Leiden, Ramon.“

„Ihr seid bereits die Heilung all meiner Leiden, liebste Siva.“

flüstert er mit einer tiefen Stimmlage zur Antwort.

Überwältigt von warmen Gefühlen küsst sie ihn, ohne sich Gedanken machen zu müssen gleich in die Tiefe gerissen zu werden. Sie zieht ihr enges Unterkleid aus, setzt sich fordernd auf seinen Schoß und er legt straff seinen Arm um sie. Für Siva fühlt es sich wie das erste Mal zwischen den beiden an, denn der Rausch und die Wollust des letzten Males überstrahlten jede andere Gefühlsregung. So gibt sie sich ihm gern hin, doch er wäre nicht der Letze König, wenn ihm das schon reichen würde. Er nutzt seinen Ring mit der versteckten scharfen Klinge, um ihr einen kleinen Schnitt an ihrer Brust zu setzen, die fast auf seiner Augenhöhe ist. Er ist so geschickt, dass sie das Anritzen in ihrer ureigenen Erregung nicht einmal bemerkt. Lüstern beugt er sich ein wenig nach unten, um das nötige Blut aus dem sauberen Schnitt der Wunde zu trinken. Was er da im Begriff ist zu tun, wird ihr erst während dessen klar. Sein starker Griff verhindert ein Zurückweichen ihrerseits. Wieder nimmt er nur wenig Rücksicht auf die Unerfahrenheit der jungen Frau, denn er genießt es sie hin und wieder zu überflügeln.

Satt und befriedigt entlässt er sie aus seinem Griff, mit einem zufriedenem Lächeln auf den Lippen, die er mit dem Handrücken säubert. Er sieht ihr in ihr verunsichertes, gerötetes Gesicht und fragt sanft, als ob ihn kein Wässerchen trüben könnte:

„Geht es Euch gut, Liebste?“

„Es war trotzdem wie ein Rausch.“ antwortet sie erregt, ohne den geringsten Vorwurf.

„Das nehme ich mal als Kompliment auf.“

schlussfolgert er erfreut und lehnt sich für einen Kuss zu ihr nach oben, den sie gern erwidert.

In dieser Nacht schlafen die beiden besonders erholt, denn Ramon ist wieder erfrischt und Siva ist frei von einer Last, die sie mit sich herum trug.
 

An den folgenden Tagen, führen die beiden eine Menge weitere Gespräche mit handwerklich Begabten, Köchen und Bauern, um ihre Vision von der Jagd, der Fischerei und auch des Kelterns umzusetzen. Sie beide wissen, dass es sich dabei nur um ein Zwischenziel handelt. Das wahre Ziel vor Augen, heben sie Tag für Tag ihr Ansehen und ihre Beliebtheit bei ihrem Volk..

Viel Arbeit erwartet die beiden gerade zu Anfang, denn sie haben wenig Erfahrung mit dem Jagen und dem Fischen, doch sie werden es lernen. Viele sehr nützliche Informationen erhielten sie bereits von den Menschen der Siedlung. So haben sie erfahren, dass die Fische im einzigen fließenden Gewässer der Insel zweimal im Jahr flussaufwärts schwimmen. Sie bräuchten nur ein Netz über einen der vielen kleinen Gefälle aufspannen und die von selbst hineinspringenden Fische einzusammeln. Zu allen anderen Zeiten können sie in einer kleinen Bucht im Meer angeln gehen. Die Prinzessin freut sich schon darauf ihre Fähigkeiten zu testen, die sie am Fluss Lanim erworben hat, als sie auf dem Weg zu Ramons Wiederbelebung war.

Für die Jagt benötigen sie Pfeil und Bogen, die sie sich in mühsamer Prozedur mit einer langsamen Lernphase anfertigen lassen müssen. Wenigstens für die Bewirtschaftung des Weinberges haben sie schnell Freiwillige gefunden. Natürlich hätten die Bewohner der Insel auch selbst auf die Idee kommen können die wilden Weinbeeren gezielt anzubauen. Die beiden Neulinge stellen jedoch fest, dass die meisten hier einfach zu bequem geworden waren, um ohne äußeren Antrieb ihre Gewohnheiten zu ändern und etwas Neues auszuprobieren. Nur wenige beschweren sich über die Mehrarbeit. Vorherrschend ist eine positiv erregte Aufbruchsstimmung, denn fast alle Menschen in der Siedlung sind glücklich über den frischen Wind. Man hat sogar begonnen neue Häuser zu bauen, eines für Ramon und Siva und einige weitere für die Lagerung des Fleisches und der Weinfässer. Überfällige Reparaturen an der Zisterne werden durchgeführt und man beginnt sich für neue Muster und Farben in der Mode zu interessieren.
 

Am letzten Abend vor dem Umzug, sitzen die beiden Revoluzzer mit Atane im großen Hauptraum ihres Rathauses um die saubere Feuerstelle herum auf zwei Bänken verteilt. Es müsste Herbst geworden sein, doch die Bäume auf der Insel stehen nach wie vor in sattem Grün. Atane erklärt, dass es auch im Winter nicht wirklich kalt auf Ialana wird. Sollte es doch einmal kühler werden, finden sich alle Siedlungsmitglieder in diesem Raum ein, wo in der Mitte ein Feuer entfacht wird.

Sie probieren gerade die erste Charge Wein aus, welche noch aus wild gewachsenen Trauben gekeltert wurde. Sie trinken aus getöpferten Krügen, was zumindest Siva nicht besonders gefällt, aber bei diesem herben und nicht besonders guten Wein wohl verkraftbar ist. Sie denkt darüber nach ein paar essenzielle Dinge vom Festland auf die Insel zu schmuggeln, auch wenn ihr das bereits von Atane verboten wurde.

„Sowas mögt ihr?“

fragt Atane ungläubig hüstelnd, nachdem sie den ersten Schluck gekostet und mit Mühe heruntergeschluckt hat.

„Er wird besser werden.“

versichert Siva. „So wie der, den Ramon mir mitbrachte, als er mich gefangen hielt.“ lacht sie.

„Er hat dich …? Nein ich frage lieber nicht. Ihr macht das schon unter euch aus.“

reagiert Atane entsetzt, lenkt aber ein, als sie Ramons bösen Blick bemerkt. Warum sie ihm diese Autorität zugesteht, versteht sie selbst nicht. Sie vermutet Rücksicht gegenüber Siva dahinter. Stolz wirft sie sich ihre langen schwarzen Haare in den Nacken und spricht weiter.

„Eigentlich wollte ich es nur meiner Enkeltochter erzählen, doch ich treffe sie überhaupt nicht mehr alleine an. Ramon, ich weiß nicht ob Euch Fuathel über den Ursprung der Gotteskinder aufgeklärt hat, als er mit Euch die Eroberung der Welt plante. Falls nicht dürft Ihr Euch bei Eurer Verlobten für die folgende Geschichtsstunde bedanken.
 

Ich erzähle euch nun was vor mehr als sechstausend Jahren zur Erschaffung des Volkes der Mana-i geführt hat. Es wird eine lange Geschichte, die vermutlich die ganze Nacht dauern wird, deshalb empfehle ich es euch bequem zu machen.

Fuathel berichtete mir nur ein einziges Mal davon. Als die Menschheit noch jung war, waren die vier Götter schon uralte Wesen mit einem eigenen Willen, Gefühlen, jedoch körperlos, blieben sie ohne Bewusstsein. Ahanani, die Erdgöttin verliebte sich in die neue Rasse und kam als erstes auf die Idee sich einen Körper nach dem Vorbild der Menschen zu formen, um unter ihnen wandeln zu können. Erst nach und nach fanden auch die anderen Götter Gefallen daran die menschliche Form anzunehmen. Ihr Bewusstsein erwachte und sie merkten, dass sie es hören konnten, wenn Menschen sie anriefen. Zwei der Götter, nämlich Ahanani, die Erdgöttin und Phantakare, der Gott des Feuers, folgten diesen Rufen, wenngleich der Feuergott nur selten um Hilfe gebeten wurde. Fuathel, der Windgott und Kawanata, die Wassergöttin konnten der Menschheit nichts abgewinnen. Wenn sie miteinander spielten toste die See und schwere Stürme brachen über das Land herein, was viele Menschenleben forderte. Natürlich war das nicht ihre Absicht. Zu jeder Zeit hatten sie doch auf diese Weise miteinander gespielt. Der resultierende Konflikt zwischen den Göttern ließ die ureigene Einigkeit der Elemente zerbrechen. Ahanani und Fuathel gerieten in dessen Folge aneinander, was zu einer Abstimmung -“

Atane muss ihre Geschichte unterbrechen, denn ein starker, türkis-violetter Windstoß fährt ihr durch ihr schönes schwarzes Haar, das sie heute ausnahmsweise offen trägt und ihre leichte Seidenkleidung. Fuathel manifestiert sich in einer entspannten Sitzposition auf der Bank direkt neben ihr. Er beugt sich lässig auf sein Bein gelehnt nach vorn zu ihr und fragt sie erfreut:

„Du hast mich angerufen, mein Liebling? Für dich erscheine ich doch immer.“

„Unabsichtlich, wie es scheint.“

antwortet Atane ärgerlich. Er sollte nicht unbedingt wissen, dass sie vorhatte seine Geschichte zu erzählen. Er war schon ein paar Tage nicht mehr da, deshalb dachte sie er treibe sich sonst wo herum.

„Unabsichtlich? Und ich dachte du möchtest, dass ich selbst weiter erzähle. Würde doch Sinn ergeben, oder?“

Er grinst sie fröhlich an, bevor er sich den andern beiden zuwendet. Er erzählt seine Geschichten nicht nur durch Worte. Bilder erscheinen vor Sivas und Ramons Augen.

„Gutgut, meine zwei Ausnahmekinder, dann will ich mal weitererzählen. Ich glaube Atane war gerade dabei den schmerzhaften Kern der Geschichte zu überspringen, aus Rücksicht, vielleicht. Aber das ist Quatsch, den kann man nicht auslassen. Wie sollt ihr mich denn sonst verstehen?

Also, Hana, die dumme Ziege versuchte mir andauernd Vorschriften zu machen, aber mal ganz ehrlich, ich bin der WINDgott. Ich komme und gehe, wenn‘s mir passt. Habt ihr auch schon gemerkt, richtig?

Hana ist da viel zuverlässiger als ich. Natürlich war ihre Popularität als Göttin nicht zu schlagen, aber keine Ahnung wieso, mein Name folgte an zweiter Stelle. Das verstand keiner von uns, denn ich erschien, kein einziges Mal, nicht mal ein klitzekleines. Phanta mühte sich dagegen total ab, aber bei ihm…na, dazu komme ich gleich.

Ich wurde also ständig angerufen und manchmal schaute ich mir sogar an wieso. Von zwei aus ermüdend vielen Anrufen erzähle ich euch jetzt.
 

Da waren zwei Wanderer, die sich bei eisiger Kälte in den nördlichen Wäldern verfranzt hatten, sieht ja auch echt alles gleich aus da oben. Sie suchten eine windgeschützte Stelle und versuchten mit eiskaltem Holz ein Feuer zu machen. Ihre kleinen Feuersteinchen schlugen Funken über den gefrorenen Ästen. Einmal glomm es sogar kurz, ging aber gleich wieder aus. Eigentlich wäre das ein klassischer Fall für Phanta gewesen, doch die zwei Dummköpfe riefen nach mir. Phanta war verrufen als Gott der Zerstörung, dabei war er unschuldig. Damals brannten viele aus Holz und Leder errichteten Siedlungen ab, wisst ihr, denn die Menschen brachten es noch nicht auf die Reihe ihre Feuerstellen in den Hütten ordentlich abzusichern. Ich komme schon wieder vom Thema ab. Jedenfalls riefen sie mich, was mich nervte. Echt, was sollte ich denn da machen? Unsichtbar für die beiden sah ich dabei zu wie sie darüber diskutierten, vielleicht doch lieber den Feuergott anzurufen, doch sie entschieden sich dagegen. Ich erbarmte mich ihn herbei zu pfeifen, doch ihr werdet es nicht glauben, aber sogar er hat seinen Stolz. Er erschien zwar, wollte aber trotzdem nicht eingreifen. Ich glaube er war gekränkt, weil die Menschen nicht nach ihm gerufen hatten. Er forderte mich auf nicht nur daneben zu stehen, während diese beiden armen Menschen langsam erfroren.

‚Ich habe Menschen noch nie geholfen, warum sollte ich jetzt damit anfangen? Wann soll ich eingreifen und wann nicht? Diese Frage stelle ich mir gar nicht erst. Mach du dir diesen Stress, wenn du willst, ich hau ab. ‘ sagte ich, bevor ich verschwand. Ich weiß nicht, ob Phanta ihnen geholfen hat und es ist mir bis heute auch ehrlich gesagt völlig egal.
 

Die zweite Anrufung, von der ich euch erzähle, ist mir nicht egal, nein wirklich nicht. Da war diese eine gutaussehende Frau, die wegen ihres Glaubens verfolgt wurde, aber nicht irgendeines Glaubens, müsst ihr wissen, nein. Sie versuchte eine Religion des Windes zu gründen, meine Religion sozusagen. Sie war ernsthaft davon überzeugt, dass nur ich, der Windgott, wahrhaftig sei und die anderen nur Einbildung. So viele Male hatte sie mich schon angerufen und ich habe ihr nur dabei zugesehen, ohne mich ihr zu zeigen. Hab vielleicht mal einen Krug angehaucht, aber mehr nicht.

Irgendwann wurde sie dann von den Bewohnern ihrer Siedlung an den Rand einer hohen Steilküste nahe des heutigen Deskend getrieben. Es war kalt und es stürmte, denn was sie da taten passte mir nicht und wenn ich schlechte Laune habe, passiert sowas schon mal.

Der Mob rief sowas wie:

‚Spring! Dein Windgott wird dich retten, wenn er wahrhaftig ist.‘

Die Leute drängten diese Frau immer weiter an den Abgrund. Sie flehte mich um Beistand an, aber ich hatte doch meine Prinzipien. Irgendeiner vom Pöbel muss Phanta gerufen haben, denn er entflammte neben mir. Er drehte fast durch, als er die Frau sah und machte mir wütende Vorwürfe.

‚Du musst sie retten! Sie stirbt für dich, wenn du es nicht tust.‘

schrie er mich an. Ich weiß noch, meine Kleidung fing Feuer und die Frau stürzte sie die Klippe hinab, geradezu in Richtung Kawas Einflussbereich, das schwarze Meer meine ich, doch sie war ja nicht da. Als Feuergott konnte Phanta nun nicht mehr eingreifen. Ich hätte sie aber noch auffangen können, doch ich blieb mir treu.

Meinen Namen auf den Lippen schlug sie auf den Felsen auf und versank in der Tiefe. Damit war meine Existenz für die Menschen offiziell widerlegt und das war ein komisches und leeres Gefühl.

Phanta fing an um die Frau zu weinen, kaum zu glauben. Niemals zuvor oder danach habe ich je wieder einen anderen Gott heulen sehen. Ich war irgendwie verwirrt. In der Nacht gab es einen gigantischen Gewittersturm, der die Hütten der Siedlung dem Erdboden gleich machte. Trotzdem habe ich es nicht kapiert, bis einen Tag später ihre Leiche an den Strand gespült wurde. Ich stieg zu ihr herab. Sie war blau angelaufen, aber ihre Schönheit war noch zu erkennen. Ich streichelte ihr helles Haar eine Stunde lang. Wie das bei Toten so ist, wachte sie natürlich nicht wieder auf . Sie war eine gute Frau und das hatte sie nicht verdient. Ich glaubte zu verstehen was ich falsch gemacht hatte. Natürlich hätte ich eingreifen müssen, aber anders als Phanta mir vorschlug. Es waren die Menschen, die sie umgebracht hatten. Vorher waren mir diese Geschöpfe einfach nur egal, doch von da an hasste ich sie. Ihre Dummheit , ihre Aggression, ihre kleinen Geister. Ich wusste was zu tun war. Ich wollte die Niedertracht ausrotten, jeden boshaften Wicht unter ihnen in Stücke schneiden und berichtete Phanta von meiner neuen Berufung.

Ich hatte ihn bis dahin immer für einen Freund gehalten, doch er verpetzte mein Vorhaben an Hana. Die alte Schachtel berief einen Göttlichen Rat ein, um mich unschädlich zu machen. Sie formulierte es anders:

‚Wir machen einen besseren Gott aus dir.‘

prahlte sie. Was für ein Unsinn, dachte ich, doch selbst Kawa, die zuvor immer auf meiner Seite stand, stimmte gegen mich. Ich habe immer noch keine Ahnung wie die drei Straßenmagier das angestellt haben, aber sie versiegelten meine Macht in den Tiefen des Meeres und banden meinen Geist in eine, nach meinem Antlitz geformte Hülle aus Erde. Dann schickten sie mich hinab in die Welt der Menschen. Dort sollte ich als einer von ihnen die Nächstenliebe erlernen. Ein guter Witz, denn was sollte ich von Dorftrotteln und Trunkenbolden schon lernen?

Ein richtiger Mensch war ich nicht. Ich brauchte nicht zu essen und nicht zu schlafen, meine Kleidung und mein Haar saßen immer perfekt, wurden niemals schmutzig. Daran war wahrscheinlich Hanas Blümchenmagie Schuld. Ihr könnt es euch vorstellen, ich mied jede Gesellschaft, so gut ich konnte. Unter den Menschen fiel ich auf und das hasste ich. Jahrhundertelang zog ich mich in das Bugatgebirge zurück. Dort belästigte mich wenigstens niemand, doch irgendwann fand mich ein kleines Mädchen von sechs oder sieben Jahren. Ich las das verwahrloste Kind auf und sie erzählte mir sie hätte beim Wandern ihre Eltern aus den Augen verloren und wäre dann ganz allein gewesen. Natürlich wurde Nona, so hieß sie, ausgesetzt und das sagte ich ihr auch.

‚Die wollten dich nicht. Wer will schon ein Balg wie dich?‘

waren meine Worte, doch sie ging nicht wieder.

Da sie Nahrung brauchte, zogen ich mit ihr näher an eine Siedlung heran. Ich log nicht was meine Herkunft betraf.

‚Ich bin der Windgott. Ja, echt.‘

beteuerte ich unablässig. Sie lachte immer nur darüber.

‚Wenn du der Windgott wärst, dann könntest du fliegen.‘

spottete sie. Meine Pfauenfederflügel wurden mir von Phanta ausgebrannt, deshalb konnte ich es ihr nicht beweisen. Mon, du bist schon mal gestorben, du kannst vielleicht nachfühlen was das für Schmerzen waren.

Das Kind wuchs schnell zu einer recht ansehnlichen Frau auf, die mir ihre Dankbarkeit auf ihre Weise zeigte. Da hatte sie mir was beigebacht, das mir ausnahmsweise gefiel. Ich ging in das nahegelegene Dorf um herauszufinden, ob es mit allen Frauen war wie mit ihr. Sie verfielen mir ohne Mühe und schnell hing mir der Beiname ‚Novas‘ an. Ich gebe es zu ihn mit einem gewissen Stolz getragen zu haben. Nona mochte es nicht, wenn ich ins Tal ging. Sie sprach lächerliche Drohungen aus über die ich lachte. Sie war schon wie Hana, die versuchte mich zu kontrollieren. Ich erinnere mich genau an das was ich ihr sagte:

‚Du dummes Kind, ob es dir gefällt oder nicht, ich nehme keine Befehle entgegen.‘

Dann ging ich einfach und ließ sie zurück. Ich begann meine Wanderschaft durch die Wildnis. Damals war die Welt noch völlig anders aus als heute. Es gab keine Königreiche, ja noch nicht einmal Städte, nur kleine primitive Siedlungen aus Holz- oder Lehmhütten. Manche Leute lebten sogar in Zelten, vor allem im Winter muss das für sie echt heftig gewesen sein. Hundert Jahre lang streifte ich jedenfalls umher und als frauenverschlingender Novas wurde ich zur lebenden Legende. Nein Siva, Mon war nichts dagegen. Männer verstecken ihre Ehefrauen und Töchter, wenn ich die Siedlung betrat. Trotz aller Unannehmlichkeiten, war das schon eine witzige Zeit.

Irgendwann kam der Tag, an dem ich das letzte Gasthaus betrat, in dem ich je übernachtete. Oh, zur Erklärung- Schlafen hatte ich mir inzwischen angewöhnt. Wisst ihr, es wurde zu langweilig, wenn die Frauen neben mir erschöpft ins Land der Träume drifteten. Zurück zum Gasthaus: die wohl schönste Frau, die ich jemals sah, dunkle Augen und schwarze Haare, stand hinter der Theke und sah mich kühl und ausgelaugt an. Hinter ihrer Fassade verbarg sich ein loderndes Feuer, das merkte ich sofort. Ich wollte es entfachen und setzte mich vor sie an die Theke. Lieblich empfing sie mich mit den Worten:

‚Du bist der gutaussehende Novas, von dem alle in der Gegend sprechen. Möchtest du etwas zu Essen und danach mit mir aufs Zimmer?‘“

„Thel, das war es nicht was ich sagte.“

unterbricht ihn Atane entsetzt, die ihm bis dahin interessiert gefolgt ist. Sie erläutert streng:

„Du machtest mir gleich zu Anfang ein Kompliment und ich sagte:

‚Auch Schmeichler müssen ihr Essen und ihr Zimmer bezahlen, Novas.‘ und du zucktest mit den Schultern.“

„Ach komm schon. Nach Sechstausend Jahren kann man sowas schon mal durcheinander bringen.“

lenkt er ein, doch natürlich erinnert er sich in Wahrheit Wort für Wort an das was sie sagte und das weiß sie genau. Auf einen strengen Blick von ihr hin, führt er die Geschichte korrekt fort.

„Guuut, dann bleibe ich eben bei deiner Version, mein Schätzchen. Ich zuckte also mit den Schultern, weil ich es gewohnt war nichts zu bezahlen. Immer wenn ich aß oder schief, tat ich dies auf ein Angebot hin. Ich musste nie irgendwo was bezahlen.

‚Kann ich nicht bei dir wohnen und meine Schulden abarbeiten?‘

fragte ich mit einem Lächeln, das mir sonst Tür und Tor öffnete. Bei Atane wirkte es nicht so richtig. Sie war die erste die mir dermaßen Kontra gab, dass ich herausfinden musste was mit ihr geschehen war. Ich ging ihr so lange auf die Nerven, bis sie nachgab.

Sie wollte erst nicht zugeben, dass sie dringend Hilfe brauchte. Sie führte das Gasthaus seit zwei Monaten ganz alleine. Ihr Verlobter war ihr wegen einer anderen weggerannt und sie brauchte dringend unbezahlte Unterstützung. Das Geld hatte er nämlich auch gleich mitgenommen, clever, aber unfair. Irgendwann am Abend nahm sie mein Angebot an. Sie muss schon sehr verzweifelt gewesen sein. Sie sah mir sofort an, dass ich nicht gut im Arbeiten war. Sie machte mir Vorschriften, die ich aber nur innerhalb des Gasthauses einzuhalten hatte und es waren die ersten, die ich je akzeptierte.

‚Stehl kein Geld aus der Kasse, hilf mir morgens beim Saubermachen der Zimmer und abends beim bewirten der Gäste. Sei freundlich, aber baggere keine Frauen an. Sobald du deinen Fuß hier heraus setzt, kannst du machen was du willst.‘

waren die Bedingungen. Nach einigem Zögern fügte sie noch eine Regel hinzu, die ich nicht bereit war einzuhalten.

‚Ach ja und lass mich bloß in Ruhe. Ich habe kein Interesse an Typen wie dir.‘

Ich lachte und sagte:

‚Alles, außer das letzte, akzeptiert.‘

Sie schnaubte und warf mir humorlos einen Lappen über, mit denen ich die Tische abwischen sollte. Ich gab mir echt Mühe, aber der Schmutz und die Krümel fielen einfach nach unten. Sie wetterte darüber, ob ich denn noch nie einen Tisch abgewischt hätte und ich gab es zu. Jeden Handgriff musste sie mir erst mal zeigen. Ich hatte doch keine Ahnung von solchem Zeug.
 

Monatelang war ich bei ihr, aber sie ließ mich nicht an sich ran. Ja zugegeben, ich wurde von Tag zu Tag fauler und sie musste immer mehr machen.

Irgendeines Abends machte ich blau und zog durch die Gegend. Als ich mitten in der Nacht zurückkam, saß sie betrunken allein an der Theke. Atane, meine Liebe, ich muss das jetzt erzählen, denn du wolltest, dass ich bei der Wahrheit bleibe.

Naja sie machte einen jämmerlichen Eindruck und hatte wahrscheinlich auch geheult. Als ich durch die Tür trat, warf sie ihren Becher nach mir.

‚Ich dachte du bist auch fort, genauso wie mein Verlobter. Alle Männer laufen von mir davon, weil ich ein unerträgliches Weib bin, das niemand lieben kann.‘ schrie sie.

In dieser Nacht war der Gasthof unbewohnt, es machte also nichts. Ich hab versucht sie zu trösten, aber das ist nicht so meine Stärke. Sie brüllte jedenfalls weiter:

‚Wo warst du, Thel? Warum hast du nichts gesagt? Warst du bei einer Frau?‘

Meine Antwort, dass sie das nichts anginge, gefiel ihr kein bisschen. Ich hasse es, wenn Weiber eifersüchtig werden und Atane hatte ja nicht mal einen Grund dazu.

‚Du bist der einzige, den ich noch habe. Verlass mich nicht, Thel. Bitte verlass du mich nicht auch noch.‘

murmelte sie. Ich nahm sie das erste Mal, seit ich sie kannte, in den Arm und erklärte ihr das Offensichtliche:

‚Ich bleibe so lange bei dir wie du willst, Atane. Die Welt da draußen interessiert mich nicht mehr, seit ich dich kenne. Das musst du doch schon gemerkt haben.‘

Nun küsste sie mich. Ja, sie küsste mich, nicht andersrum, Siva. Danach ging eigentlich alles ganz schnell. Die betrunkene Schönheit ließ mich endlich an sich heran. Noch auf dem Tresen… -„

„THEL!“

interveniert sie schroff, worauf er eingehen muss.

„ Das führt jetzt zu weit.“ führt sie fort.

„Ich kürze es ab. Das Wunder, um das ich vorher in der Nacht gebetet hatte, trat ein. Zum Glück, denn am nächsten Morgen hatte Atane nämlich einen Kater und wollte von mir wieder nichts mehr wissen.

Ihre körperliche Veränderung bemerkte sie erst später. Sie sagte mir nichts davon und zog sich zurück. Ich hatte doch noch keine Ahnung was los war. Monate später konnte sie ihr Bäuchlein aber nicht mehr verstecken. Es war frühmorgens, bevor die Gäste aufstanden, als sie mir bedrückt erklärte:

‚Diese eine unsägliche Nacht hatte Folgen, Thel.‘

Ich sage euch, ich flippte aus vor Freude. Ich hob sie in die Luft und küsste sie ungefragt.

‚Ein Wunder!‘ rief ich. ‚Es ist ein Wunder geschehen!‘

Nach und nach kamen die Übernachtungsgäste zu uns, weil ich so einen Lärm machte. Sie beschwerten sich.

Ich strahlte sie an und rief mit Tränen in den Augen: ‚Ich werde Vater! Leute, ich werde Vater!‘

Meine Freude war ansteckend, sogar bei Atane. Diese ganzen Fremden beglückwünschten uns für etwas, das sie für ein Missgeschick hielt. Ihr könnt es euch bestimmt nicht vorstellen. Ich war kein Gott mehr. Ich war zum Menschen geworden.
 

Atane bekam das Kind und benannte es nach ihren beiden Großvätern Torani und Colian. Er war ein prächtiges kleines Ding.

Missgünstig wie die anderen Götter waren, passte ihnen mein Glück nicht. Ein Halbgott war nicht Teil ihres Plans gewesen. Hana hatte mich aus Erde geformt und eine Fortpflanzung hielt sie für unmöglich. Doch da hatte sie ihre Rechnung ohne mich gemacht.

Phanta kam zu mir. Er berichtete es werde bald ein Götterrat einberufen, um über meinen Sohn abzustimmen. Ich war ihnen ausgeliefert. Was sollte ich schon gegen die Macht der Götter ausrichten?

Gerade mal einen Tag später betrat Hana unser Schlafzimmer. Sie nahm das Kind aus der Wiege und sagte:

‚So ein Jammer.‘

Meine unerschrockene Atane bemerkte, dass eine höhere Macht unser Kind entführen wollte. Hana musste sie mit einem Fesselungszauber stoppen. Ich warf mich vor der Göttin auf die Knie. Sie war total verwirrt, denn das hatte sie von mir nicht erwartet. Phata entflammte vor mir und auch Kawa floss durch das offene Fenster herein. Vor mir stand es nun versammelt, das fehlgeleitete Trio. Kawa blickte verwundert auf mich herab und wies kalt darauf hin:

‚Aber Fuathel, es ist beschlossene Sache. Du musst dich dem Entschluss des Götterrates beugen. Das weißt du doch genau.‘

Auch Phanta fiel mir in den Rücken.

‚Ich habe dagegen gestimmt, aber wie Kawa schon sagt, es wurde beschlossen. Deine Stimme zählt im Rat nicht mehr. Es ist tragisch, aber nicht zu ändern. Versteh doch, ein Halbgott auf der Erde verändert den Lauf der Geschichte. Er ist ein Fehler, den wir beheben müssen.‘

‚Es mag jetzt grausam erscheinen, aber eines Tages wirst du es verstehen‘ sage Hana, als spottete sie über mich. Verzweifelt schrie ich diese Idioten von Göttern an:

‚NEHMT MEIN LEBEN FÜR SEINS! Dieses Kind bedeutet mir alles. Ich tausche mein Leben gegen seins.‘

Die Erdgöttin, diese Hexe, dachte ernsthaft darüber nach, sagte dann aber: ‚Nein, wir können den Windgott nicht töten. Das ist Irrsinn. Denk doch mal an das Gleichgewicht der Welt.‘

‚Es ist mir egal, ob wegen mir die Welt untergeht. Ihr werdet dieses Kind nicht töten!‘

brüllte ich und ich fand mich in einem gleißendem weißen Licht wieder. Es verschwand, aber es ließ etwas zurück.

Ich holte aus, stieß Hana bei Seite und nahm Tora an mich. Der Bann war gebrochen und meine Macht vollständig zu mir zurück gekehrt. Sogar meine schönen Flügel wuchsen nach.

‚Die Bedingung ist erfüllt!‘

hauchte Hana ungläubig.

Ich war wieder ein Gott und ich hielt meinen Sohn im Arm. Einen Kampf gegen alle drei hätte ich irgendwann verloren. Trotzdem war ich diesmal bereit ihn anzutreten und alles ins Chaos zu stürzen. Das hätte einen Krieg bedeutet, wisst ihr. Einen, der Jahrhunderte wüten kann.

‚Wir wollten verhindern, dass du zu einem Rachegott wirst, Fuathel, aber wenn wir dir jetzt dieses Kind nehmen, erschaffen wir einen.‘

schloss Hana aus der Situation.

Mein Erwachen und meine Angriffslust zwangen sie uns in Ruhe zu lassen.

Genauso schnell wie sie gekommen waren, verschwanden sie wieder.
 

Hanas Fessel löste sich und ich stand Atane nun als Gott gegenüber.

Ihr hatte ich davon nichts erzählt. Sie hätte es mit eh nicht geglaubt, nicht wahr Atane?

Trotzdem fühlte sie sich verraten.

‚Fuathel, der Windgott?‘ wiederholte sie geschockt.

‚Ich möchte kein Kind mit einem Gott. Ich möchte eine ganz normale Familie. Ich hätte mich nie auf dich einlassen dürfen. Leg Tora in sein Bett und verschwinde von hier!‘ forderte sie zitternd.

Doch das hätte ihr so passen können. Ich riskiere nicht alles, um dann abzuhauen.

Ruhig versuchte ich es ihr zu erklären:

‚Ich bin immer noch der selbe wie vorhin und ich verschwinde nicht ohne unseren Sohn. Du kannst vielleicht weitere Kinder bekommen, aber für mich ist er ein einzigartiges Wunder.‘

‚Ich verhandle nicht mit dir über mein Kind.‘

wimmerte sie, auch wenn sie versuchte hart zu wirken.

Ich versuchte es nochmal so sanft ich konnte:

‚Unser Kind, Atane. Es ist unser beider Kind. Ich liebe es genauso wie du. Außerdem liebe ich dich.‘
 

Wir setzten uns nebeneinander auf das Bett. Tora lag noch in meinen Armen und lachte uns an. Er war so ein Wonneproppen, dass ich vor Glück heulte. Das war aber auch das einzige Mal in meinem Leben, wirklich.

Atane vergab mir, doch im Gasthof konnte ich nicht mehr bleiben. Das hat damit zu tun, dass es mir nicht möglich ist meine Göttlichkeit so weit zu unterdrücken, dass man mich nicht intuitiv erkennt. Sowas kann nur Hana, wenn sie ihre Erdkörper formt, die aber dafür auch rein gar nichts drauf haben.

Atane musste eine Aushilfskraft im Gasthof einstellen, so lange bis Tora mitarbeiten konnte.

Ich besuchte sie und meinen Sohn jede Nacht, bis er erwachsen wurde.“

Fuathel erhebt sich von seinem Platz, als wolle er aufbrachen. Er nimmt seine Enkeltochter ins Visier.

„Siva, ich weiß, dass du wissen willst wie dein Vater zum Ersten König wurde, aber mir reicht es für heute. Es wäre eh besser du lässt ihn das selbst erzählen. Ach und ja, ich habe ihn nach seinem kürzlichen Erwachen aufgesucht. Ich hab ihm gesagt, dass du bei mir bist. Er scheint dich ziemlich zu vermissen.“

Dann dreht er den Kopf zu Ramon, dessen ungestellte Frage er ebenfalls vernommen hat.

„Die ganze Zeit hattest du nur einen Gedanken. Nun sprich ihn schon aus, damit ihn die anderen hören können.“

Ramon erhebt sich ebenfalls von seinem Platz und stellt, mit einem flüchtigen Blick zu Atane, seine Frage in einem ernsten und fordernden Tonfall:

„Zu wem habt Ihr gebetet, Fuathel? Wer war es, den Ihr um Fruchtbarkeit angefleht habt?“

Hochinteressiert, schweift Sivas Blick von Ramon zu ihrem Großvater, der den Letzen König anerkennend anlächelt und amüsiert antwortet:

„Du hast gelernt mich zu hinterfragen, Mon. Find ich gut und als Belohnung antworte ich dir sogar.

Du ahnst es schon. Es gibt noch einen fünften Gott, oder besser gesagt einen ersten. Seine Farbe ist weiß und er vertritt das Licht. Er ist der mächtigste unter uns und uralt, viel älter als ich. Keine Ahnung was eher da war, die Welt oder er.

Ich begegnete ihm das erste Mal in hohen Ebenen des Himmels unterwegs war. Dort flog ich manchmal herum, wenn mir langweilig war. Die anderen drei kommen nicht bis dorthin. Sie sind ihm noch nie begegnet und leugnen seine Existenz. Die größenwahnsinnige Hana glaubt noch heute die Macht des Lichts inne zu haben. Hah, sie ist und bleibt eine dumme Erdgöttin. Ich erzähl euch mal was, aber das bleibt unter uns. Also, es gibt eine Hierarchie unter den Göttern. Ganz oben steht der Gestaltlose, dann folgen ich und Hana, dann Kawa und Phanta. Der Erste meinte einmal, er habe Hana und mich als Gegensätze geschaffen und vorgesehen uns zu einer Art Herrscherpaar zu machen. Eines das das die Menschen und die Götter regieren sollte. Er sprach sogar von unseren hypothetischen Kindern, die Himmel und Erde intakt halten sollten. Witzig, nicht wahr? Ohne menschlicher Form kann man keinen Lachkrampf bekommen, aber ich hätte einen gehabt. Ich fragte wie unsere Kinder denn ausgesehen hätten. Er sprach von Flügeln und einer verständnisvollen Seele für alles Lebende. Für ihn war es eine Überraschung, dass wir uns abstießen, wo er uns doch als Paar, aber auch als Gegensätze geschaffen hatte.

Als ich menschlich war hörte er mich nur deshalb an, weil er merkte wie sehr ich eine Familie brauchte.

Ich sage euch, Ihr müsst mir versprechen das Hana niemals zu erzählen. Könnt ihr das nicht, nehme ich euch die Erinnerung daran gleich wieder.“

Die Gedanken der beiden beruhigen Fuathel. Siva ist schon nur durch Erzählungen über die Erdgöttin mit ihr auf dem Kriegsfuß und Ramon hat genug schlechte Erfahrungen mit ihr aus erster Hand. Guter Dinge verabschiedet sich der Windgott knapp und verschwindet in seinem üblichen Windstoß.
 

„Das war heftig.“ stammelt Siva.

Da Atane nicht vor hat seiner Erzählung noch etwas hinzuzufügen, bring sie das Gespräch zu einem Ende.

„Ich denke das reicht für heute. Ihr habt genug Informationen, die ihr erst mal verarbeiten müsst.“

Lächelnd erhebt sie sich von ihrem Platz, um die beiden Zuhörer darauf hinzuweisen nun zu gehen. Ihr gingen diese Erinnerungen sehr nahe. Das ist auch der Hauptgrund warum sie jetzt ihre Ruhe haben möchte.

„Was ist mit Tora? Wie erging es ihm?“

fragt Siva, die Anweisung ihrer Großmutter zunächst ignorierend, welche ihr erschöpft antwortet:

„Die Gründung des Königreiches Kalaß wird schon hinreichend in den Liedern besungen, Siva. Höre einfach zu, dann erfährst du alles was du wissen möchtest.“

Etwas enttäuscht zieht sie sich gemeinsam mit Ramon zurück. In der Nacht sprechen die beiden noch ein wenig über diese uralten und unglaublichen Geschichten.

„Ich erzähle meine Geschichten doch viel eloquenter, als der Windgott, findet Ihr nicht, Prinzessin?“ scherzt er und sie kontert:

„Eloquenter vielleicht, doch in Punkto Dramatik ausbaufähig.“

Ramon verteidigt sich nicht dagegen, denn das war eine Anspielung darauf, dass er ihr von seinem Fall erzählen soll. Er wird es noch tun, doch im Moment beschäftigt ihn der viele neue Input. In dieser Detailliertheit hat er es noch niemals gehört. Er fragt sich, ob auch ein Mensch dazu in der Lage wäre den weißen Gott zu beschwören.

Siva hat hingegen ganz andere Gedanken. Sie versucht sich die Lieder in Erinnerung zu rufen, welche die Siedler bei ihrer Willkommensfeier gesungen haben. Als sie Ramon darauf anspricht weigert er sich eines davon zu rezitieren. Ziemlich gemein, findet die junge Frau, denn sie weiß genau, dass er die Lieder kennen muss. Die ganze Nacht liegt sie wach, da sie sich versucht dazu zu zwingen aus den hängen gebliebenen Liederfetzen ganze Strophen zu bilden.



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