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Crystal Eyes

reloaded
von

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Der Regen prasselte gegen die Fensterscheibe, während der Wind durch die Bäume heulte und einige lange Äste gegen das Fenster schlug. Adam starrte mit einem finsteren Blick nach draußen in die Dunkelheit, ohne dem Geschirr, das er gerade wusch, auch nur die geringste Aufmerksamkeit zu widmen.
 

„Ich versteh ihn einfach nicht.“ Ziemlich rabiat stellte er die Tasse, die er gerade bearbeitet hatte, ab und griff nach einem Teller, den er ins Waschbecken tauchte. „Er ist so ein Arschloch. Egoistischer Bastard. Mann, welche verdammte Laus ist ihm denn über die Leber gelaufen?“
 

„Du scheinst ja doch ziemlich in ihn verknallt zu sein.“ Muse nahm die Tasse, trocknete sie ab und stellte sie auf den Tisch. „Oder?“
 

Er duckte sich leicht, als Adam ihm einen bitterbösen Blick zuwarf.
 

„Nein, bin ich nicht. Es ärgert mich nur.“ Er ließ einen Stapel Besteck ins Wasser plumpsen und beobachtete, wie es langsam im Schaum versank. „Ich hätte erwartet, dass er zumindest irgendwas macht. Oder sagt. Irgendwas. Aber, gar nichts. Der ist mir noch nicht mal Nahe gekommen. Und er hat mich auch nicht so angeschaut wie sonst.“ Mit einem Seufzer drehte er sich um, lehnte sich mit dem Rücken gegen das Spülbecken und verschränkte die Arme. „Im Gegenteil.“ Seine Stimme wurde etwas ruhiger. „Er war kalt, absolut kalt. Er hat mich wirklich nur wie ein Modell, wie eine Ware behandelt. Mehr nicht. Kein Lächeln, keine Anmache. Gar nichts.“ Mit einem unzufriedenen Laut strich er sich durch die Haare. „Aber ich kann mir nicht vorstellen, dass ich ihn mit dem Kuss irgendwie verärgert haben könnte.“
 

„Vielleicht war es nicht der Kuss, sondern, dass du nach dem Kuss gegangen bist.“ Muse nahm eine weitere Tasse, während Adam sich an den Tisch setzte. „Willst du nicht weiter abwaschen?“
 

Adam schüttelte nur den Kopf, die Lippen zu einem leichten Schmollmund verzogen, und spielte an einem kleinen, ausgehöhlten Kürbis rum, in dem ein Teelicht brannte. Es war Halloween, eine Woche, nachdem Adam diesen verhängnisvollen Besuch getätigt hatte. Er hatte Muse zu sich nach Hause eingeladen, um sich mit ihm einen gemütlichen Abend mit Horrorfilmen zu machen. Sie hatten zusammen mit seinen Eltern zu Abend gegessen, doch da diese zu einer Halloweenparty eingeladen waren, hatten sie nicht nur bereits das Haus verlassen, sondern ihnen auch mit einem schadenfrohen Lächeln den Abwasch überlassen.
 

Eigentlich hatte Adam auch nicht vor gehabt, wieder an Leon zu denken, aber seit einer Woche drehte sich alles in seinem Kopf. Die letzte Sitzung war die reinste Katastrophe gewesen, jedenfalls für ihn. Er hatte einen Leon kennen gelernt, wie er nicht gedacht hätte, dass es möglich gewesen wäre. Kalt, unnahbar, unfreundlich. Vielleicht lag es nicht an ihm, vielleicht hatte den Künstler etwas anderes verärgert, aber so recht konnte er nicht daran glauben. Dazu hatten die rauchgrauen Augen ihn zu hart, zu kalt angeschaut. Und morgen sollte er wieder dahin. Eine ätzende Vorstellung.
 

„Jetzt mach dir darüber keine Gedanken.“ Muse stellte vorsichtig einen Teller neben die Tassen und setzte sich zu Adam. „Vielleicht lag es ja wirklich nicht an dir. Vielleicht ist es morgen ganz anders. Oder du sprichst es einfach an, dann erklärt er es dir vielleicht.“
 

Adam gab einen unzufriedenen Laut von sich. „Kannst du nicht morgen mit mir was unternehmen? Dann hab ich nen Grund, ihm abzusagen.“
 

„Kannst du doch auch so machen.“ Muse stützte seinen Kopf auf seiner Hand ab. „Oder willst du ihn nicht anlügen?“
 

„Nee... will ich nicht.“

„Tja.“ Muse zuckte entschuldigend mit den Schultern. „Morgen ist Allerheiligen. Wir gehen immer die Gräber besuchen, ich kann da nicht einfach so wegbleiben.“
 

„Schon klar.“ Adam stand mit einem Ruck auf und widmete sich wieder seinem Abwasch. „War auch nicht wirklich ernst gemeint. Ich werde ihn morgen einfach mal fragen.“
 

Einfach mal. Leichter gesagt als getan. Er wüsste nicht, ob er bei diesem kalten Blick, der ihm einen Gänsehaut über den Rücken jagte, überhaupt den Mut aufbringen würde zu fragen.
 

Muse nickte nur. Kurz legte er die Hand auf Adams Schulter und drückte sie, bevor er sich wieder seiner Aufgabe widmete. Adam schluckte. Diese Kälte machte ihm mehr aus, als er zugeben wollte. Diese Ablehnung traf ihn mehr, als ihm lieb war. Verdammtes Arschloch! Hätte er an diesem einen Abend nicht einfach zu Hause bleiben können? Dann hätte er diesen egoistischen Bastard niemals getroffen.
 

Mit einem Seufzer ließ er das Wasser aus dem Becken laufen und warf kurz einen Blick zu Muse. Wieso konnte er sich nicht in so einen netten Kerl verlieben wie Muse? Der war zumindest lieb, nett und umgänglich.
 

Plötzlich stutzte er. Schaute sich kurz unsicher um, so als jemand im Raum hätte sein können, der seine Gedanken las. Hatte er gerade was von „verliebt“ gedacht? Hatte er sich in Leon verliebt? Hatte er sich so einfach damit abgefunden auf Männer zu stehen? War er tatsächlich schwul?
 

„ARG!!!“
 

Erschrocken zuckte Muse bei Adams Aufschrei zusammen und starrte ihn an wie ein Kaninchen die Schlange.
 

„Was ist los?“
 

„Ach, nichts, verdammt.“ Adam trocknete mit einer rabiaten Bewegung die Hände ab und sah Muse auffordernd an. „Gehen wir die Filme schauen. Ich brauch Ablenkung.“
 

„Ehm... okay.“ Muse’ Gesichtsausdruck blieb skeptisch, aber er folgte ihm wie ein braves Hündchen ins Wohnzimmer, wo Adams Mutter bereits Knabberzeug und Getränke bereit gestellt hatte.
 

„Du bist um deine Eltern zu beneiden.“ Muse begutachtete alles mit einem sehnsüchtigen Blick.
 

Adam zuckte nur mit den Schultern. „Ich weiß. Deswegen würd ich die auch niemals eintauschen. So, was schauen wir zuerst?“
 

Es wurde ein amüsanter Abend. Trotz des Wetters, das eine unheimliche Stimmung verbreitete, zogen sie jede erdenkliche Szene ins Lächerliche und nahmen ihr den Schrecken. Sie kabbelten sich, alberten rum und ließen ihrer guten Laune freien Lauf, so dass es bereits sehr spät war, als sie schlafen gingen. Doch im Gegensatz zu Muse, der schon nach wenigen Minuten ruhig atmete, fand Adam keinen Schlaf. Nachdem er sich einige Zeit ruhelos rumgewälzt hatte, stand er auf, machte sich eine heiße Schokolade und setzte sich ans Fenster im Wohnzimmer. In der Hand die warme Tasse, die Stirn an die Scheibe gelehnt, starrte er nach draußen.
 

Die Kälte, die Muse mit seiner Anwesenheit für kurze Zeit vertrieben hatte, kam wieder zurück.
 

Der Wind peitsche die Regentropfen immer noch mit unverminderter Heftigkeit gegen die Fensterscheibe. Es würde wohl am Tag auch nicht besser werden. Vorsichtig legte er die Fingerspitzen auf das Glas und fuhr die Spur eines Tropfens nach. Sah aus wie eine Träne. In was zum Teufel noch mal hatte er sich da verstrickt? Ihm waren andere Leute doch bis jetzt immer egal gewesen. Egal, was sie dachten, egal, wie sie sich ihm gegenüber benahmen, egal, wie sehr sie ihn begehrten. Die Mädchen in seiner Klasse hatten nicht nur einmal versucht, ihn zu einem Date zu überreden. Und sie waren wirklich hübsch. Nett. Liebevoll. Nicht egoistisch, arrogant und voll von sich selber. Wieso nur er? Wieso nur dieser egozentrische Künstler? Wieso Leon? Es gab auf dieser Gott verdammten Welt so viele Menschen. So viele.

Gequält schloss er die Augen, seine ganze Handfläche auf das Fenster legend, als ob er eine Stütze suchte.
 

War es dieses Zittern, wenn er ihn berührte?
 

War es dieses Herzklopfen, wenn er ihm nah kam?
 

War es dieses Flattern im Magen, wenn er mit ihm sprach?
 

War es diese zugeschnürte Kehle, wenn er an ihn dachte?
 

War es das, was man Liebe nannte?
 

Langsam ballte er die Hand zur Faust. Er würde ihn nach dieser Kälte fragen. Und dann würd er dafür sorgen, dass sie verschwand. Diese Eiseskälte, die ihn gefrieren ließ.
 

Die Nacht verging nur langsam, während er in seinem Bett lag, die Decke anstarrte und dem Regen lauschte. Er stand auf, als es langsam dämmerte und der Himmel ein wenig aufklarte, machte Frühstück und wartete, bis Muse wach wurde. Sie redeten nicht mehr viel, und kurze Zeit später war Adam wieder allein im Haus. Ein wenig verloren streunte er von einem Zimmer zum anderen. Die Zeiger der Uhr blieben nicht stehen, tickten stetig weiter, und umso trockener wurde seine Kehle.
 

Er wollte nicht zu Leon gehen. Es würde definitiv unangenehm werden. Die Antwort würde bestimmt unangenehm werden. Trotzdem, die Zeit blieb nicht stehen.
 

Es wehte ein kalter Wind, als Adam am späten Nachmittag das Haus verließ. Die Sonne drang mit ihren Strahlen kaum durch die dunklen Regenwolken und in der Luft lag Feuchtigkeit. Es würde heute wieder regnen. Später, irgendwann.
 

Seine Schritte wurden langsamer, je näher er Leons kleiner Villa kam. Jedoch stutzte er, als er schließlich bei der Haustür ankam. Sie stand offen. Nicht weit, nur einen schmalen Spalt breit, aber sie stand trotzdem offen.
 

Vorsichtig stieß Adam sie etwas weiter auf und lugte ins Innere. Es war alles still.
 

„Leon?“
 

Es war absurd zu glauben, dass er ihn in diesem Haus hören könnte, aber versuchten konnte er es ja mal. Er bekam, wie nicht anders erwartet, keine Antwort. Leise schloss er die Haustür hinter sich. Vielleicht hatte Leon einfach nur vergessen, sie vernünftig zu schließen. Man musste ja nicht immer vom Schlimmsten ausgehen.
 

Trotzdem beunruhigt legte er seine Sachen ab und tappte auf Socken in den ersten Stock. Ohne sich umzuschauen wollte er schon Richtung Atelier laufen, als er plötzlich ein leises, gequältes Stöhnen vernahm. Überrascht drehte er sich zu Leons Zimmertür, von wo der Laut gekommen war. Ohne ein Geräusch zu verursachen tappte er vorsichtig zum Zimmer und öffnete die angelehnte Tür komplett.
 

Das Innere war in Dämmerlicht gehüllt. Die Vorhänge, die vor die Fenster gezogen waren, sperrten das spärliche Sonnenlicht aus, blähten sich jedoch immer wieder durch den Wind auf, da die Fenster gekippt waren. Zwei angefangene Weinflaschen lagen auf dem Boden, während eine weitere, fast leere neben dem Bett stand. Adam wollte einen weiteren Schritt rein gehen, hielt jedoch inne, als er etwas auf dem Teppich glitzern sah. Glasscherben. Rote Weinflecken auf dem Teppich. Ein weiterer, suchender Blick zeigte ihm auch die Flecken an der Wand. Das Glas war wohl gegen die Wand geschmettert worden.
 

Vorsichtig umging er die Splitter und trat zum Bett, auf dem Leon lag, den rechten Unterarm über die Augen gelegt, den linken Arm vom Bett runter baumeln lassend. Seine Haare waren ordentlich zu einem Zopf geflochten, seine Kleidung wirkte jedoch unordentlich, als ob er sich mehrmals auf dem Bett rumgewälzt hätte.
 

„Bist du unter die Alkoholiker gegangen?“ Adam sah ihn ungläubig an.
 

Leon zuckte zusammen. „Was machst du denn hier?“ Seine Stimme klang nicht sonderlich erfreut.
 

„Uhm... ich hatte eigentlich vor, dir Modell zu stehen. Schon vergessen?“
 

Er ging in die Knie und nahm Leons Arm weg, um ihm in die Augen zu sehen. Sie wirkten ein wenig glasig, doch nicht annähernd so abwesend, wie er es erwartet hätte.
 

„Heute ist Donnerstag?“ Mit einer fahrigen Bewegung tastete Leon neben sich auf der Kommode herum und starrte einige Sekunden auf die Uhr, die er dort fand. „Und es ist schon so spät?“
 

„Jep, ist es. Vielleicht solltest du nicht so früh am Tag mit dem Trinken anfangen, wenn du noch was von ihm haben willst.“
 

„Wo ist Sachiko?“ Leon ließ sich wieder zurück aufs Kissen fallen und gab einen unerfreuten Laut von sich. „Mir ist schlecht.“
 

„Also, Sachiko hab ich nirgendwo gesehen. Und wenn du kotzen willst, bitte sag vorher Bescheid. Meine Klamotten sind frisch gewaschen.“ Adam wusste nicht, ob er Lachen oder Weinen sollte. Er hatte ja mit einigem für diesen Nachmittag gerechnet, aber sicher nicht mit so was.
 

„Nein, will ich nicht.“ Er ließ sich wieder auf die Kissen zurück fallen. „So schlimm steht’s dann noch nicht um mich. Kannst du mir ein bisschen Wasser holen?“
 

„Ja, klar.“
 

Adam stand auf, nahm die drei Flaschen noch an sich und trottete nach unten in die Küche, vorsichtig um die Glassplitter herum tänzelnd. Gerade als er mit einem vollen Wasserglas zurück in die Halle trat, klingelte es an der Tür. Ohne groß nachzudenken ging er hin und öffnete. Sachiko starrte ihn einen Augenblick entgeistert an, mit Wind zersausten Haaren und einem schnell übergeworfenen Mantel, und wich dann einen halben Schritt zurück.
 

„Was machst du denn hier?“, fragte sie, anscheinend völlig schockiert.
 

Na, danke auch, seine Anwesenheit war heute wohl von keinem großartig erwünscht. „Krankenschwester spielen.“, meinte er trocken und verdrehte leicht die Augen. „Ich geh schon mal hoch zu Leon, er braucht sein Wasser. Ich nehm mal an, du weißt, dass er leicht angetrunken ist?“
 

Er wartete eine Antwort gar nicht erst ab, sondern trottete direkt wieder zu Leon ins Zimmer, hörte jedoch noch ein sarkastisches „Leicht?“, dass sich stark nach einen unfreundlichen Knurren anhörte, hinter sich. Bei seinem Schützling angekommen, wollte er ihm das Wasser hinhalten und ihm beim Trinken helfen, doch Leon stieß ihn nur unfreundlich weg.
 

„Das kann ich selber.“ Mit einer fast schon eleganten Bewegung schwang er seine Beine über den Bettrand und nippte an dem Glas. „War das Sachiko?“
 

„Jep. Frisch vom Wind reingeweht.“ Adam setzte sich rücklings auf einen Stuhl und betrachtete Leon. Seine Augen hatten einen toten Glanz, der nicht vom Alkohol herrührte. Wieso zum Teufel hatte er sich so gehen lassen?
 

„Na, das hast du ja mal wieder ganz toll hingekriegt.“
 

Adam zuckte bei Sachikos Stimme zusammen. Er hatte sie gar nicht kommen hören. Der Teppich schluckte jedes Geräusch. Ohne die Splitter vor der Tür auch nur eines Blickes zu würdigen, trat sie zu Leon, hob sein Kinn ein wenig hoch und musterte sein Gesicht.
 

„So viel war es gar nicht.“ Es klang fast wie die Rechtfertigung eines kleinen Jungen.
 

„Ich hab die Weinflaschen unten gesehen.“ Sachikos Stimme klang kalt.
 

Die zwei starrten sich einige Momente lang an. Es lag irgendwas in der Luft, irgendwas war zwischen ihnen, was Adam nicht so recht benennen konnte. Aber er spürte es. Und es jagte ihm einen Schauer über den Rücken. Hätte er es nicht besser gewusst, er hätte die zwei für Todfeinde gehalten, nicht für alte Freunde.
 

Mit einem Ruck drehte Sachiko sich zu ihm um.
 

„Entschuldige, kannst du vielleicht ein bisschen Tee machen? Ich glaub, dass hilft Leon besser als das Wasser da.“
 

Sie lächelte ihn bittend an und er nickte nur schweigend. Ohne ein weiteres Wort verließ er das Zimmer, schloss jedoch die Tür nicht ganz hinter sich und blieb auch nach einigen Schritten im Flur stehen. Für wie blöd hielt sie ihn eigentlich? Auch wenn Neugier keine gute Eigenschaft war, diesmal wollte er wissen, worüber sie sprachen. Erfahren, wieso Leon sich in diesem Zustand befand.
 

Es verstrichen einige Augenblicke.
 

„Was macht er hier?“ Sachikos Stimme klang ungehalten, obwohl sie versuchte, leise zu sprechen.
 

„Wir haben donnerstags unsere Sitzungen.“, meinte Leon gelangweilt. „Ich hab vergessen, dass er heute kommt.“
 

„Erzähl mir nichts, Leon. Du vergisst so was nicht. Es war dir schlicht und ergreifend egal.“
 

„Na, und wenn schon, was geht es dich an?“
 

„Ich will nicht, dass du mit ihm spielst.“ Sie sagte das leise, fast bedrohlich. Es klang wie das Zischen einer Schlange. „Wenn er für dich nur ein Spielzeug ist, dann hör auf damit. Sag ihm, er soll nicht mehr kommen.“
 

„Er ist kein Spielzeug, verdammt. Er ist mein Modell.“ Es lag Wut in seiner Stimme, unterdrückte Wut.
 

„Also nur ein Objekt?“
 

„Du verstehst das nicht, Kas. Du kannst das gar nicht verstehen.“

„Oh doch, ich verstehe sehr, sehr gut. Besser, als du denkst. Ich kenn dich, Leon, schon seit Jahren. Und ich beobachte dich seit Jahren. Und ich sehe, was du jetzt, mal wieder, für Scheiße baust!“
 

„Mal wieder, was soll das heißen, mal wieder?“ Leon versuchte gar nicht mehr, seine Stimme zu dämpfen.
 

„Das weißt du ganz genau.“ Sachiko klang eisig. Kalt wie ein Eisstachel. „Die gleiche Scheiße wie mit...“
 

„Erwähn seinen Namen nicht! Erwähn seinen Gott verdammten Namen nicht!“
 

„Beruhig dich, Leon, und schrei mich nicht an.“
 

„In meinem Haus schreie ich an, wen ich will.“, meinte er, jetzt jedoch wieder ruhig, frostig.
 

„Mich nicht.“ Adam hörte Schritte. Sie schien zu Leon gegangen zu sein. „Nochmal, spiel nicht mit ihm, Leon. Ich hab gesehen, wie du ihn angeschaut hast. Wie du ihn beobachtet hast. Er ist dir bereits jetzt verfallen, und das weißt du ganz genau. Nutz es ja nicht aus. Ich mag ihn, ich will nicht, dass du ihm weh tust.“
 

„Hm.“ Ein verächtlicher Laut. „Wer tut hier bitte wem weh, hm?“
 

„Höchstens du dir selber. Wenn du dauernd den Schatten der Vergangenheit nachrennen willst, bitte, tu dir keinen Zwang an, aber zieh Adam nicht mit hinein.“
 

“Adam, Adam... meine Güte, wenn dir der Kleine so wichtig ist, geh, sprich mit ihm, dass er nicht mehr zu mir kommt. Dann werde ich deinem süßen, kleinen Spielzeug auch nicht mehr weh tun können.“
 

„Das ist nicht meine Angelegenheit. Letztenendes müsst ihr zwei das unter euch ausmachen. Ich will dir nur einen Rat geben.“ Sie seufzte. „Er ist anders. Und das weißt du.“
 

„Er ist nicht anders. Er ist genauso. Klein und jämmerlich. Zerbrechlich.“
 

„Dann pass auf, dass du ihn nicht zerbrichst.“
 

„Und was, wenn ich genau das machen will?“
 

„Willst du wirklich auf ewig ein arrogantes Arschloch bleiben? Willst du auf ewig einen Zaun aus Stacheldraht um dich herum aufstellen? Willst du wirklich jeden verlieren, der dir wichtig ist?“
 

„Du bist mir wichtig und dich werde ich nicht verlieren.“ Es klang fast ein bisschen jämmerlich.
 

„Aber nur, weil ich dich nicht liebe, jedenfalls nicht auf diese Weise.“
 

„Pff... er liebt mich doch auch nicht. Er ist nur fasziniert von mir, meinen guten Aussehen, meinem charismatischen Benehmen. Aber lieben tut er mich nicht.“
 

„Das weißt du nicht, Leon.“ Sie sagte das sanft, sehr sanft. „Und das wirst du nie erfahren, wenn du so weiter machst.“
 

Es breitete sich Stille aus und nach einigen Augenblicken setzte Adam seinen Weg in die Küche fort. Mit fahrigen Bewegungen suchte er die Tassen und Teebeutel zusammen, stellte heißes Wasser auf, starrte gedankenlos auf den Dampf, der hochstieg. Sein Herz schlug nicht. War es stehen geblieben? Er setzte sich auf einen Stuhl und wartete. Seine Gedanken waren eingefroren.
 

Mit einer plötzlich heftigen Bewegung fegte er das Tablett und das Besteck vom Tisch. Es klirrte, doch nichts ging zu Bruch. Und selbst wenn, es wäre ihm egal gewesen.
 

Was sollte er von diesem Gespräch halten? Ein Spielzeug? Ein Objekt? War er wirklich nur DAS für Leon? Mehr nicht? Er schluckte schwer, um die Tränen zu unterdrücken. Hatte er sich so geirrt? Hatte er Leons Aktionen wirklich so falsch interpretiert? War dieses Lächeln, das er ihm ab und zu geschenkt hatte, das so liebevoll und warm gewirkt hatte, nur geschauspielert gewesen? Ein Lächeln, das man auch einem kleinen Hund geben würde? Er vergrub sein Gesicht in einer Hand. Und wer war ER? Wer war dieser obskure Jemand, dessen Namen Sachiko nicht erwähnen sollte? Ein Ex-Lover? Einer, der Leon vielleicht verlassen hatte? Eine einseitige Liebe?
 

Verdammt. Verdammt.
 

Es war doch wirklich mehr als Bewunderung. Es war mehr als nur Verlangen. Es war mehr, viel mehr.
 

Das Pfeifen des Wasserkochers ließ ihn aus seinen Gedanken aufschrecken. Er starrte das Gerät einige Momente an, bevor er sich endlich entschloss, aufzustehen und Wasser einzufüllen. Fast automatisch hob er das Tablett und das Besteck auf, stellte Tassen und Teebeutel drauf und stakste nach oben. Vor der immer noch angelehnten Zimmertür blieb er für einen Augenblick stehen und schluckte schwer. Er hatte das Gespräch nicht mitbekommen. Adam versuchte, sein Gesicht zu entspannen. Er hatte nichts von alledem mitbekommen. Vorsichtig betrat er das Zimmer. Er wusste von nichts.
 

Sachiko und Leon sahen auf, als er eintrat. Sachiko hatte sich gegen das Fenster gelehnt, während Leon auf dem Bett saß, die Ellbogen auf den Oberschenkeln abgestützt und ein wenig nach vorne gebeugt.
 

„Das hat aber lang gedauert.“ Sachiko lachte leise auf. „Hast du dich verlaufen?“
 

„Na ja, nicht ganz. Hab die Tassen nicht gleich gefunden.“ Es erfüllte ihn fast schon mit Stolz, dass seine Stimme nicht zitterte, nicht bebte, sondern völlig normal klang.
 

„Ach so.“ Sie lächelte, doch es wirkte ein wenig gezwungen. Irgendwie nervös strich sie sich über einen Oberarm. „Na ja, ich werde dann auch mal gehen. Du versorgst ihn ja ganz gut, Adam, nicht wahr?“
 

Adam nickte, übersah jedoch nicht Leons Blick, der Sachiko anbettelte. Sie ignorierte es geflissentlich.
 

„Gut. Bleibt ruhig oben, ihr braucht mich nicht nach unten begleiten. Und du, Leon, bekommst hoffentlich einen deftigen Kater. Selbst schuld, wenn du soviel säufst.“
 

Ohne Eile ging sie zu ihm hin und drückte ihm einen Kuss auf den Mund, drehte sich dann zu Adam, der immer noch mit dem Tablett in der Hand an der Tür stand, und küsste ihn im Vorbeigehen auf die Stirn. Sie winkt noch kurz und schloss dann die Tür hinter sich.
 

Adam sah ihr einen Moment lang nach, trat dann an die Kommode und setzte sein Tablett ab.
 

„Welchen Tee willst du?“
 

Er brachte es nicht über sich Leon anzuschauen, wusste jedoch, dass er sich nicht einen Millimeter bewegt hatte.
 

„Erdbeer.“ Seine Stimme klang leise. Langsam wanderte sein Blick zu Adam. „Es ist besser, wenn du auch gehst.“
 

Überrascht drehte Adam sich zu ihm und zog eine Augenbraue hoch. „Sicher, dass du das alleine schaffst? Ich mein, du bist immer noch betrunken.“
 

„Ja, es geht schon.“ Ein wenig schwankend stand er auf. „Entschuldige, dass du völlig umsonst gekommen bist. War keine Absicht.“
 

Wenn er Sachikos Interpretation glauben durfte, war es irgendwo schon Absicht gewesen. Aber das dachte er nur.
 

„Hm, schon okay.“ Er stellte die Tasse, in die er gerade Zucker gefüllt hatte, ab. „Ich find den Weg schon nach draußen, du musst mich nicht begleiten.“
 

„Ich bin der Hausherr hier.“, meinte Leon ein wenig unwillig. „Wenigstens einen Gast sollte ich zur Tür begleiten.“
 

Adam zuckte nur mit den Schultern. Ihm war es egal, also tappten sie beide schweigend nach unten, Leon immer einige Schritte hinter ihm. Genauso wortlos zog Adam sich an, doch er merkte, dass Leon ihn beobachtete, jede seiner Bewegungen, jeden Atemzug, so schien es ihm.
 

„Wir sehen uns dann nächste Woche.“, sagte Leon leise.
 

„Jap, ciao.“
 

Adam nickte noch und trat dann durch die Tür, die Leon ihm aufhielt. Es hatte inzwischen wieder zu Regnen angefangen und der Wind war fast noch heftiger als zuvor. Die Kälte drang durch seine Jacke, durch seine Haut, bis ins Innerste.
 

Plötzlich schlangen sich zwei Arme um ihn und er wurde nach hinten gerissen, mit dem Rücken gegen Leons Brust gedrückt. Er spürte seinen Atem an seinem Ohr, den Alkoholgeruch, gemischt mit Leons eigenem, herben Duft. Die Wärme seiner Haut. Die weichen Haare an seinem Hals. Ein leises Flüstern an seinem Ohr.
 

Genauso plötzlich ließ Leon ihn wieder los, trat einige Schritte zurück und schloss die Haustür. Adam bewegte sich nicht.
 

Die Blätter raschelten, wie ein Seufzer, wie ein Flüstern. Der Regen prasselte ohrenbetäubend auf den Boden, verschluckte die ganze Welt hinter einem grauen Schleier. Der Wind heulte herzzerreißend, schien Trauer und Verzweiflung in den Himmel zu brüllen.
 

Und immer, immer wieder wiederholten sich diese drei Worte in seinem Kopf.
 

Ich hasse dich.



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