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Seelen des Schicksals

Ein glorreiches Abenteuer des gar finsteren Odin!
von

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In den Straßen von Windmire


 

Es musste noch früher sein, als Íñigo – Laslow – zunächst angenommen hatte. Keine Dämmerung zeichnete sich hinter den Mauern der Festung ab und auch die Feuer in den Küchen brannten noch nicht. Nur die magischen Fackeln tauchten den Innenhof in ein fahles, rotes Licht.

Niemand behelligte sie auf ihrem Weg zum Osttor. Da waren weder Diener, die die morgendliche Routine ihrer Herren begannen, noch irgendwelche Küchenjungen, die Mehl aus den Mühlen in die Bäckerei schleppten. Nicht einmal ein einziges hübsches Dienstmädchen ließ sich blicken. Das Einzige, auf das sein Blick fiel, waren Odins nackte, zitternde Hacken.

Laslow schüttelte den Kopf.

„Noch ist es nicht zu spät, um deine Winterstiefel zu holen, das weißt du.“

Zur Antwort erntete er einen empörten Blick.

„Bitte was? Zweifelst du etwa an meiner Resilienz? Pah! Der Finstere Odin scheut weder Frost noch gefroren Schlamm!“

„Seufz“, erwiderte Laslow missmutig, „Ich hoffe, er scheut auch keine Grippe.“

„Bei den Drachen! Kannst du nicht wenigstens seufzen, wie jeder andere auch?“

Er warf seinem Freund einen knappen – und besonders missmutigen – Blick zu, dann wandte er sich wieder dem Bündel zu, das Odin ihn gnädigerweise hatte packen lassen. Wechselkleidung. Zwei Feuersteine. Einen zusätzlichen Winterumhang, für den man ihm noch dankbar sein würde.

„Das funktioniert erst ab Sonnenaufgang“, murrte er, während er das Päckchen mit dem bei der letzten Aufklärungsmission übrig gebliebenen Dörrfleisch zur Seite schob.

„Ha Ha. Du bist wirklich sauer, oder?“

Laslow sah nicht auf. Er konnte den kleinen Tiegel mit Annas Wundersamen Permanent-Lidschatten, den er nach dem gestrigen Bummel durch die Unterstadt in seiner Tasche vergessen hatte, kaum sehen, doch alles war besser, als jetzt Augenkontakt zu schließen. Ihm war auch so die Schamesröte bewusst, die ihm ins Gesicht gestiegen war.

„Ich bin keine Jungfrau“, sagte er dem Tiegel. Warum nochmal hatte er das Zeug eigentlich gekauft?

Odin lachte. Es war kein boshaftes Lachen, das hörte Laslow, doch es fühlte sich so an.

„Ich habe mich schon entschuldigt, oder nicht? Und ich hätte Severa gefragt-“

„Aber sie hätte dir den Kopf abgerissen. Sie oder Lady Camilla.“

Laslow hatte das Make-Up irgendeinem Mädchen schenken wollen, daran erinnerte er sich noch. Nur welchem? Seve- Selena sicher nicht. Das Indigo biss sich schrecklich mit ihren roten Augen. Lady Camilla? Nein. Lady Elise war für derlei noch viel zu jung …

In seinem Augenwinkel sah er Odin gewichtig nicken.

„Ihr fehlt zuweilen der Feingeist, um ein gutes Abenteuer zu schätzen zu wissen.“

Laslow warf den Tiegel zurück in sein Gepäck. „Vor allem, wenn du ihren Schönheitsschlaf störst.“

Sie lachten, dieses Mal gemeinsam.

Es tat gut, genauso wie das Schweigen, das folgte.

Einen langen Moment begnügten sie sich beide damit, den Weg zum Osttor entlang zu flanieren, der Gleichklang ihrer Schritte die einzige Unterhaltung zwischen ihnen. Versonnen musterte Laslow den Hof und die Mauern, die ihn zu allen Seiten umschlossen. Ihre Wehrgänge verloren sich in der pechschwarzen Nacht, ihre Fackeln glichen stummen Zeugen. Wie drohende Augen glommen sie in der Dunkelheit. Früher hätte er einen Hof wie diesen sicher gemieden. Doch früher auch, in einer anderen Zeit, in einer anderen Welt, hatte er zu viel erlebt, um sich von dergleichen immer noch einschüchtern zu lassen.

Er senkte den Blick, gerade genug, um Odins Silhouette im Augenwinkel beobachten zu können. Die Soldaten auf den Wehrgängen und das erste Klappern der Küchen waren so weit entfernt, dass es einfach war, sich vorzustellen, mit Odin allein zu sein. Nicht hier. Nicht in Windmire, nicht in Nohr. An einem Ort, an dem Owain so viel schreiben durfte, wie er wollte, und an dem Íñigo nicht lächeln musste …

 

Ein paar dutzend Schritte hinter dem Osttor blieb Laslow stehen. Er wusste, seine Frage würde die Stimmung ruinieren. Er stellte sie trotzdem.

„Warum besorgen wir dein Rasokraut nicht auf dem Schwarzmarkt?“

Beinahe hoffte er darauf, dass Odin sich in einer dramatischen Geste an die Stirn greifen und verkünden würde, sich im Weg geirrt zu haben, doch nichts dergleichen geschah. Laslow blieb der einzige, der sich zu der schmalen Pforte hinter ihnen umdrehte, die sie in die Kanalisation und damit in Windmires Unterstadt führen würde. Odin jedoch warf ihm nur einen knappen Blick unter hochgezogenen Brauen zu.

„Das Raskovnikkraut entfaltet nur frisch seine volle Potenz. Überdies verlangt es nach umfassenden Vorkehrungen, um es überhaupt zu finden-“

„Die Jungfer in Nöten. Ich erinnere mich.“ Leider. „Dennoch. Wenn es eine Wirkung hat, die über Bewusstseinserweiterung hinaus geht, neigen Menschen dazu, sich die Mühe zu machen. Ich meine, selbst, wenn es nur die Bewusstseinserweiterung wäre, würden sie es tun.“

„Daran besteht kein Zweifel. Nur bieten sie dann sicher andere Dinge feil.“

Laslow wandte den Blick von der schäbigen Seitengasse ab, um Odin seinerseits skeptisch zu mustern.

„So?“

„Richtig verwendet, öffnet es jedes Schloss.“

Diverse Türen, ein gutes Dutzend Truhen und mindestens ein geprellter Zeh krochen aus den dunkleren Ecken seiner Erinnerung hervor. Er öffnete den Mund. Die Erkenntnis, dass die Anderen ihn bis zum Ende seiner Tage damit aufziehen würden, hätte Odin die Jungfrauen-Frage im Armeelager seines Vaters verkündet, folgte ungefragt. Allein der Gedanke trieb ihm die Röte ins Gesicht, noch bevor er das Offensichtliche erwidern konnte. Laslow verschränkte die Arme vor der Brust.

„Wenn dein Prinz erwartet, dass wir ihm die Tür zu dem Bibliotheksräumen mit den nicht jugendfreien Büchern aufschließen, lautet die Antwort Nein.“

Odin beeindruckte sein Widerspruch nicht, aber dafür schien er auch seine gesunde Gesichtsfarbe nicht zu bemerken. Immerhin.

„Dafür hat er Niles.“

Sein Tonfall war neutral genug, um keinen Verdacht zu wecken. Es war lediglich die fehlende Inszenierung, die verriet, dass Odin mit seinem neuen Partner noch keinen Konsens gefunden hatte, der über Du schießt, ich Stern-von-Rigele hinaus ging. Vermutlich hatte er nicht einmal mit Prinz Leo mehr als diesen Konsens erreicht. Wenn man bedachte, auf welche Missionen der Prinz ihn schickte … und dass das Kräuterpflücken um Mitternacht nur einer der jüngeren Gipfel war … nein.

Nein, vermutlich nicht.

Laslow öffnete den Mund, schüttelte dann aber nur den Kopf. Bevor er Prinz Leo würde erklären können, dass seine Missionen … zwielichtig … waren, müsste er das erst einmal Odin klar machen – und Laslow kannte das irre Funkeln in dessen Augen, auch wenn er es im roten Dämmerlicht nicht sah. Er seufzte.

„Ich bin dennoch dafür, den Weg durch die Unterstadt zu nehmen.“

„Wegen der Verkäuferinnen oder dem Make-Up?“

Verdammt, wann hatte Odin-

Laslow spürte, wie ihm der skeptische Blick entglitt.

„Keines von beiden“, grollte er. Er wollte gar nicht wissen, wie rot er gerade war. „Mir behagt nur der Gedanke an deine Reiseroute nicht.“

Wenn Laslow in den vergangenen Monaten etwas über Windmire gelernt hatte, dann, dass es seine Gründe hatte, warum die Mitte der Gesellschaft in einer Stadt unter der Stadt lebte. Und sie hatten nur bedingt etwas mit dem harschen Klima zu tun. Ob man sich in die Slums im Süden, die Villenviertel im Norden oder die Kasernen dazwischen wagte – die meisten Bewohner unterschieden sich lediglich in der Begründung, mit der sie einem die Kehle durchzuschneiden gedachten. Und in Schärfe und Korrosionsgrad ihrer Klingen.

„Du fürchtest dich vor ein paar reichen Narren?“, Odin stockte. „Nein, warte. Nochmal. Sei unbesorgt, mein treuer Adlatus! Deine Feinde werden unter der Macht des Finsteren Odin erzittern! Höre ihr Flehen! Nein, Finsterer Odin! Habt Erbar- Schweigt! Ich werde die zwölf Tore der Finsternis entfesseln! KABOOM! Gyaaahhh! Gnade, oh Finsterer Odin! Gnade!“

Vermutlich hätte das Brennen in seinen Wangen nachlassen sollen. Vielleicht hätte es das sogar getan – wäre das Theater nicht laut genug gewesen, um es auch noch oben auf den Wehrgängen zu hören. So aber fasste Laslow sich nur an den Kopf.

„Ich sehe sie zittern, ja“, murrte er, „vor Lachen. Ich hoffe wirklich, deine magischen Talente sind so explosiv, wie deine Zunge.“

„Zweifelst du etwa an dem Finsteren Odin?“

„So vier, fünf Mal am Tag“, erwiderte Laslow schnippisch. „Kommt drauf an, wie häufig wir uns sehen.“

Einen Augenblick lang genoss er es, Odin empört nach Luft schnappen zu sehen, doch letztendlich schüttelte er den Kopf. Es war immer noch mitten in der Nacht und langsam kroch die Kälte selbst durch seinen Gambeson. Entsprechend stand ihm der Sinn nicht ernsthaft nach einem Streit – auch, wenn er die daraus resultierende Entscheidung sicher noch bereuen würde.

Bedächtig legte er eine Hand auf dem Schwertknauf an seiner Hüfte, dann setzte Laslow sich in Bewegung.

 

~ ♦ ~

 

Die Villenviertel Windmires waren das Zentrum all jener, die zu viel Gold besaßen, um es nicht zu verschwenden. In Ylisse waren es aufwändige Fassaden und ausladende Höfe, die vom Reichtum der Bewohner zeugten. In Nohr waren es Feuer. Holz brannte in den Kaminen, Kohle in den Öfen und Magie auf den Plätzen. Dort, wo das harsche Winterklima die Bewohner dazu zwang, zusammenzurücken und Ressourcen zu sparen, zeigte sich der Reichtum in einem hellem Schein, der über der Stadt glitzerte, wie Sterne am Firmament. Bei den Häusern des Adels und der Diplomaten, die sich im Schatten der Stadtmauer die Hänge hinauf zogen, leuchteten nur vereinzelt Lichter in den Fenstern und Fackeln vor den Türen. Die Straßen weiter südlich, dort, wo sich die mehrstöckigen Speicherhäuser der Händler aneinander reihten, wie Perlen auf einer Schnur, glommen hingegen in einem weithin sichtbaren Orange.

Wenn sie etwas auf ihrem Weg nach Osten nicht brauchten, so war es zusätzliches Licht. Trotzdem blieb die Sicht bescheiden. Durch die Öffnungen zur Unterstadt – und damit zur Kanalisation – drang Nebel in die Gassen und mischte sich dort mit Rauch und Ruß. Die Schwaden verdichteten sich schon nach ein paar hundert Schritten so sehr, dass Laslow kaum von einer Kreuzung zur nächsten blicken konnte.

Und noch etwas brachte der Nebel mit sich: Gestank.

Der Geruch von schwelendem Holz mischte sich mit dem Unrat aus den Kanälen und den Misthäufen der Hinterhöfe. Damit und mit der Erkenntnis, dass Laslows Befürchtungen sie ausgerechnet hier einholten.

Nur die Bekanntschaft mit Noire sorgte dafür, dass Laslow seinen Armschutz rechtzeitig nach oben riss. Der Aufschlag war hart und vielleicht hätte er die Pfeilspitze sehen können, doch jahrelang verinnerlichte Reflexe wussten es besser. Er glitt mit dem Aufprall, fiel, rollte über die Schulter ab, hörte den hölzernen Schaft unter seinem Gewicht bersten – dann war er in der nächsten Hofeinfahrt.

„Bei den Göttern!“, hörte er Odin rufen, doch im Augenwinkel sah er, wie auch in seinen Freund Bewegung kam. Einen Wimpernschlag lang war er wieder Myrmidone. Dem ersten Pfeil ausweichen, den zweiten vorhersehen … Die Bewegungen, mit denen Odin sich duckte, waren so fließend, wie die eines Schwertkämpfers – doch es war kein Schwert, das er zog.

„Ha! Ihr könnt euch nicht vor mir verstecken!“

Laslows Nackenhaare stellten sich auf. In den letzten fünf Monaten hatte er gelernt, den Zauber nicht abzuwarten. Ohne auf Eleganz zu achten, warf er sich sich in den Durchgang und kniff die Augen zusammen. Den Blitz sah er trotzdem. Donner, dann Schreie. Ein Treffer. Mindestens drei Angreifer.

Hufschlag.

Er drückte sich tiefer in den Mauerschatten.

Ein Rappe preschte an ihm vorbei. Gepanzert, Reiter und Ross. Beide verschwanden im Nebel, doch Laslow erkannte das Wappen.

Marodierende Mitglieder der Armee – und zwar keine kleinen Fische aus der Nationalgarde.

Das war nohrischer Adel.

Allein bei diesem Gedanken wurde ihm übel. Langsam, den Blick dorthin gerichtet, wo der Kavalier im Nebel verschwunden war, ließ er sein Reisebündel fallen. Ein sachter Tritt beförderte sie tiefer in die Einfahrt. Laslow prüfte es nicht nach – er zog das Schwert.

Ein letzter Blick, ein letztes Lauschen, versicherten ihm, den Reiter zumindest nicht direkt im Nacken zu haben. Er atmete tief durch – dann stürzte er aus seinem Versteck. Ein Pfeil segelte an ihm vorbei, aber viel zu hoch, um Schaden anzurichten.

Den Schützen zuerst.

Laslow konnte ihn sehen, ein paar dutzend Schritte vor ihm, halb verborgen im Nebel. Gerade spannte er den Bogen, doch dieses Mal war die miese Sicht auf seiner Seite. Mühelos tänzelte er zwischen den Angriffen hindurch, sein Sprint leicht versetzt nach links, Zwiesprung zur anderen Seite – der Pfeil passierte ihn in harmloser Distanz – und zurück, wieder in Bewegung, Drehung – dann war er vor ihm. Laslow sprang.

Der Bogen war Massenware, wie sie sie an Rekruten ausgaben. Holz. Die Beschläge aus Bronze, vielleicht auch Eisen. Ein schlechteres Schwert hätte er damit vielleicht blocken können, so aber war es beinahe ein glatter Schnitt.

Erst brach der Bogen, dann Knochen.

Laslow hielt nicht inne, um zu prüfen, welcher. Er schwang mit dem Drehmoment, nutzte die Bewegung, sein Schwert zu wenden, und schlug erneut zu. Der Knauf seines Schwertes krachte in den Kiefer des Schützen. Dessen Schreie erstarben.

Erst, als er seinen Gegner am Boden sah, setzte sein Verstand wieder ein. Die zwei Enden des Bogens lagen ein paar Meter weiter, die Sehne wie ein achtlos festgebundener Faden zwischen ihnen. Billigware. Auch seine Uniform war die eines Rekruten. Kein Waffenrock, kein Siegelring. Nur Blut. Der linke Arm in einem unnatürlichen Winkel. Knochenstücke, die kurz vor dem Ohr durch die Haut ragten.

Bedächtig trat er einen Schritt zurück und ließ die Klinge sinken.

Aus seiner Position konnte Laslow nicht sagen, ob sein Gegner noch lebte.

Er atmete durch.

Vermutlich war es besser.

Hinter sich hörte er Hufschlag. Hufschlag und etwas, das verdächtig nach „Unstillbare Blutflammen!“ klang. Er war versucht, sich umzudrehen, zu schauen, ob Odin Hilfe benötigte, doch eine Bewegung in seinem Augenwinkel erregte seine Aufmerksamkeit. Es war nur ein Schatten-

Im letzten Moment riss er sein Schwert hoch.

Stahl klirrte.

Die Wucht des Hiebs bebte in seinen Armen.

Kein Rekrut.

Laslow drehte seine Waffe, spürte jeden Millimeter, die die Klingen aneinander abglitten, parierte die nächsten Schläge, zurück, zurück –

Den Ausfallschritt sah Laslow kommen, bevor er geschah. Im letzten Moment ein Zwiesprung – ohne den obligatorischen Satz zurück. Dafür ein Tritt. Er verfehlte die Kniekehle knapp, doch er spürte, wie sein Hacken gegen Metall schlug. In seinem Augenwinkel taumelte sein Gegner, zwei Schritte lang.

Beinahe synchron wirbelten sie herum. Die Schwerter vor sich, starrten sie einander an.

Sein Gegner war so schwer gepanzert, wie Laslow befürchtet hatte. Ein schwarzer Plattenpanzer verdeckte seinen Brustkorb, ebenso schwarze Beinplatten schützten Knie und Unterschenkel. Den dazugehörigen Waffenrock hatte er augenscheinlich in den Quartieren zurückgelassen. Nur ein einfacher, grauer Überwurf wand sich um seine Schultern. Den sozialen Status seines Besitzers verbarg er nur mäßig. Selbst im Nebel erschien der Stoff neu und schwer und damit zu teuer für die meisten einfachen Soldaten. Selbst sein blondes Haar wirkte zu glatt, zu gepflegt, für jemanden, der andere Sorgen hatte.

Ein Kavalier der Königsgarde, daran hegte er keinen Zweifel.

Der dazugehörige Gaul mochte fehlen, vermutlich hatte einer von Odins Zaubern ihn von selbigem geholt, allein die O-Beine verrieten ihn.

„Reicht Euer Sold nicht“, fragte Laslow spitz, „oder ist es Euer Erbe?“

Sein Gegenüber zog die Brauen hoch. Vermutlich hatte er jahrelang dafür geübt, damit diese kleine Geste so arrogant wirkte, wie sie es tat. Und nicht nur das. Mit jedem finsteren Blick, den sie tauschten, kam Laslow sein Gesicht bekannter vor.

„Sieh an. Prinz Xanders Schoßhund und er bellt. Was macht Ihr mitten in der Nacht auf offener Straße? Noch sind keine Dienstmädchen wach.“

Seine Stimme war ein tiefer Bariton. Sie hätte wohlklingend sein können, doch sie troff vor Gift. Jetzt, wo Laslow sie hörte, fiel das Puzzlestück wie von selbst ins Bild, fand sich ein Name zum Gesicht.

Anthone von Galen.

Dem Namen folgten die übrigen Informationen, die sein Verstand bereitzustellen vermochte. Eine der Palastwachen und ein großes Mundwerk auf dem Trainingsplatz. Seine Freunde eine Gruppe von jungen Adeligen, die alles dafür gaben, in der Nahrungskette der Macht weiter nach oben zu gelangen und die dabei mit Wonne nach unten traten. Glücklicherweise hatten sie am Hof nur wenig miteinander zu schaffen.

Und wenn man bedachte, wo sie hier waren, würde sich daran kaum etwas ändern. Ein Schoßhund, und das wusste sie beide, kehrte immer an die Seite seines Herren zurück, so man ihn ließ.

„Ich befinde mich auf einer Mission im Auftrag der Prinzen.“ Laslow umfasste das Heft seines Schwertes fester. Routiniert richtete er sich gerader auf und trat einen Schritt zurück. Probeweise ließ er sein Schwert in seiner Hand rotieren. „Etwas, das man von Euch nicht behaupten kann, Anthone. Oder seit wann gehört das Ausrauben reisender Händler dazu?“

„Länger, als du glaubst!“

Noch während er sprach, stürzte Anthone vor – doch Laslow war bereit. Behände wich er dem Stich aus und setzte selbst mit einem Konter nach. Ihre Klingen trafen sich, kurz dieses Mal, aber heftig. Laslow verzichtete auf das Kräftemessen, das der Kavalier ihm anbot, setzte zurück, hieb zu, diagonal von unten zur Brust – Block. Wieder diagonal, dieses Mal von oben – Block. Er tänzelte um Anthones nächsten Schlag, stieß selbst zu, traf nur Luft. Den Schlag gegen seine Seite sah er kommen, Routine setzte ein. Parieren, Schritt, Konter, Hieb, Blickkontakt. Atmen. Schritt, ducken, Schritt. Schlag.

Das Klirren von Metall erfüllte seine Ohren. Anthones Kraft bebte bis in seine Schultern. Laslow ahnte, dass er sich nicht auf ein Duell der Ausdauer einlassen durfte. Doch er wusste auch, dass er das nicht musste. Der Kavalier war routiniert mit dem Schwert, besser vielleicht, als mit der Lanze, doch er war den Kampf vom Pferd gewöhnt. Seine Kraft machte Laslow mit Beinarbeit wett.

Sprung zurück. Atmen. Schlag, links nach unten. Klirren. Drehung. Schritt zurück. Finte von von rechts-

Der Oberschenkel war ungeschützt.

Gleitsprung, Ausfallschritt –

Sein Stich glitt ins Leere. Er ahnte die Bewegung mehr, als das er sie sah. In diesem Moment wusste Laslow, was geschehen würde, bevor es geschah. Er konnte nichts tun. Anthone war längst in Bewegung, wirbelte mit dem Schwung seines Ausweichmanövers-

Der Tritt saß.

Als sein Verstand wieder einsetzte, lag er bereits auf dem Rücken. Verzweifelt überlegte er, wie man atmete. Alles tat weh. Ein Brennen zog sich durch seine Schultern und seine Lungen, ein dumpfer Schmerz durch seinen Hinterkopf. Orangefarbener Nebel drehte sich über ihm. Er schmeckte Blut und Galle.

Schritte kratzten über Stein, ohne, dass er sie hätte orten können. Anthones Schatten trat in sein Blickfeld. Nur im Augenwinkel sah Íñigo, wie er ausholte. Stechender Schmerz durchfuhr seine Hand, als er nach ihm trat. Dieses Mal hörte er sich schreien. Er wollte sich aufbäumen, sich wehren, zurücktreten, doch da war keine Energie –

Ein dritter Tritt beförderte ihn wieder flach auf den Rücken. Anthones Gewicht auf seiner Brust blieb.

„Netter Versuch, Köter.“

Er hörte den Kavalier hochziehen. Mehr, als die Augen zusammenkneifen, konnte Íñigo nicht. Die Rotze traf besser, als mancher Schütze. Langsam und kalt floss sie seine Gesichtszüge hinab, über Nase und Wange, bis sie in seinen Haaren versickerte.

„Aber nicht gut genug.“

Einen Moment lang war Íñigo nicht mehr, als ein zitterndes Bündel. Ein zitterndes Bündel, dessen Puls in seinen Ohren dröhnte, und das sich auf die Zunge beißen musste, um nicht zu winseln.

Wo war Owain?

Íñigo öffnete ein Auge – das, in dem keine Spucke klebte – und spähte in den Nebel. Er blickte nicht auf, nicht gewillt, seinem Gegner diese Aufmerksamkeit, diesen Sieg, auch noch zu geben. Owain sah er nicht. Er hörte ihn auch nicht. Sein Blick glitt in die Richtung, in die sein Schwert geschlittert war. Keine Chance.

Er spürte Verzweiflung in sich aufkeimen. Wie bittere Galle stieg sie seine Kehle hinauf und in seine Augenwinkel. Er wollte nicht – er durfte nicht –

Wieder kniff er die Augen zusammen, schluckte. Und plötzlich spürte er etwas anderes. Etwas, das kaum mehr war, als ein Kribbeln unter seinen Fingerkuppen. Etwas, das er dennoch überall wiedererkannt hätte. Das er seit Monaten zu ignorieren versuchte. Das er in Nohr, in Windmire, offiziell gar nicht spüren durfte.

Unter normalen Umständen hätte er es nie auch nur in Betracht gezogen. Selbst jetzt riet sein Verstand ihm davon ab. Doch sein Verstand war nur eine leise Stimme in seinem Hinterkopf …

„Irgendwelche letzten Worte?“

Er hörte die Bewegung über ihm. Stoffrascheln. Auch ohne es zu sehen, konnte er sich vorstellen, wie Anthone das Schwert hob. Die Stimme in seinem Kopf erstarb. Íñigo streckte die Hand aus, tastete, blind, fühlte –

Ein warmes Ziehen antwortete seiner Aufforderung. Es kribbelte in seinen Fingern, stärker jetzt, und wanderte seine Haut hinauf.

„Wenn Ihr mich so fragt …“

Íñigo öffnete die Augen und starrte nach oben. Er ballte die Hand zur Faust. Die Macht unter ihm antwortete.

Grollen, tief unter der Straße. Beben. Die Klinge schwankte über ihm. Weit aufgerissene Augen erwiderten seinen Blick, plötzlich nicht mehr so arrogant.

„Hat es Euch noch niemand gesagt? Ich bin bissig!“

Dann explodierte die Welt.
 



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