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Actio est reactio

von Nerdherzen und den physikalischen Gesetzen ihrer Eroberung
von

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system overload

Ich kann nicht genau sagen warum, aber irgendwie habe ich nicht damit gerechnet, dass Daniel tatsächlich mitkommt, als ich vor dem Training zu Trainer ins Büro gehe. Aber tatsächlich, er wartet bereits vor der Halle, um sich mir, Cem und Tamino anzuschließen, als wir die Halle betreten.
 

Cem ist... hm.
 

Ich bin nicht ganz sicher, was in ihm vorgeht, aber er ist schon den ganzen Tag recht still und wirft Daniel nur einen sehr kurzen Blick zu, als ich und Tamino ihn begrüßen. Unweigerlich versuche ich festzustellen, ob Daniel uns irgendwie komisch anschaut oder sich anders als sonst verhält.
 

Dann wiederum ist er auch einfach einer dieser ziemlich ruhigen, chilligen Kerle. Ich erinnere mich daran, wie er auf der Fußballfreizeit eingegriffen hat, als Konstantin nach Cems Hemdkragen greifen wollte. Selbst das hat er mit einer Gelassenheit gemacht, die irgendwie entwaffnend ist.
 

Normalerweise würde ich Cem auch als gechillt bezeichnen, aber er trägt das irgendwie mit einer anderen Art der Lässigkeit. Ich kann es schlecht erklären. Vollkommen irrational kommt mir der Gedanke, dass ich nicht mal wirklich weiß, ob Daniel Geschwister hat oder nicht. Cem weiß das sicherlich.
 

Cem und Daniel.
 

Huh.
 

»Hey Trainer, können wir kurz stören?«, sage ich, als wir die Bürotür geöffnet haben. Trainer ist eine stämmige Frau Mitte vierzig mit ziemlich kurzen Haaren und einem kantigen Unterkiefer, der ihr irgendwie das Aussehen einer respekteinflößenden Bulldogge verleiht. Aber sie hat auch Lachfältchen an den Augen und eine erstaunlich sanfte Stimme, wenn sie nicht gerade über den Platz brüllt, dass wir uns mehr bewegen sollen.
 

»Sicher. Kommt rein.«
 

Sie gestikuliert zu einem zerschlissenen Sofa hinüber, das an der linken Wand des Büros steht und schließt die Tür ihres Büros, nachdem Cem den Raum als letzter betreten hat.
 

»Was kann ich für euch tun?«, will sie wissen, setzt sich beschwingt auf ihren Schreibtisch und lässt die Beine baumeln. Auf ihrem Desktop erkenne ich Punktetabellen der aktuellen Saison.
 

»Ähm... ich... das heißt, wir? Wir wollten über Konstantin und Lennard reden«, sage ich mit trockenem Mund. Müssen wir uns jetzt wieder alle outen? Will ich mich vor einer Lehrerin outen? Will ich, dass das überhaupt mitbedacht wird, wenn sie darüber nachdenkt, was sie mit den beiden tut? Sollte ihr Verhalten nicht sowieso schon schlimm genug sein, ganz egal, ob ich zufällig selber auf Jungs stehe, oder nicht?
 

Trainers buschige Augenbrauen schießen in die Höhe und sie lässt den Blick kurz über uns schweifen. Ich habe mich immer noch nicht entschieden, was ich eigentlich sagen will, als Tamino mir mal wieder den Hintern rettet.
 

»Ich bin schwul«, sagt er frei heraus. »Und ich möchte nicht mit Konstantin oder Lennard in einer Mannschaft spielen, weil beide aggressiv homophobes Verhalten gezeigt haben und ich mich damit nicht wohlfühle.«
 

Oh.
 

Ja, so kann man es natürlich auch drehen. Nicht, dass es nicht wahr wäre. Aber es ist natürlich auch nur die halbe Wahrheit.
 

»Ich—wir möchten alle vier?«, fange ich an und schaue kurz zu Daniel hinüber, der Cem einen Blick zuwirft und dann nickt. »Wir möchten alle nicht in einer Mannschaft spielen, in der sowas geduldet wird.«
 

Trainers Gesichtsausdruck ist einen Augenblick lang nicht lesbar. Dann breitet sich ein sanftes Lächeln auf ihrem kantigen Gesicht aus und sie lässt ihre Beine vom Schreibtisch baumeln, ehe sie schließlich nickt.
 

»Fußball ist... eine schwierige Domäne für...«
 

Sie pausiert einen Augenblick, legt den Kopf schief, und fährt dann leise fort.
 

»Für Frauen und natürlich auch für Schwule. Ich freue mich aber, dass euch daran gelegen ist, diese Mannschaft zu einer Umgebung zu machen, in der das anders sein kann. Ich kann natürlich nicht bewerten, inwiefern Lennard und Konstantin—«
 

»Ich hab ein Video«, unterbricht Daniel sie.
 

Alle starren ihn an.
 

»Huh?«, meint Cem. Er sieht vollkommen fassungslos aus. Daniel kramt nach seinem Handy und zögert, ehe er es zunächst Cem hinhält. Da man immer noch sein Veilchen und seine geschwollene Lippe sehen kann, scheint er zu dem Entschluss zu kommen, dass es jetzt auch egal ist, ob Trainer es sieht.
 

Daniel startet das Video und hält es Trainer unter die Nase. Sie greift danach und im nächsten Augenblick erfüllen bekannte Schreie das Trainerbüro.
 

»Sie hat nicht nein gesagt!«

»Sie hat auch nicht ja gesagt, du Penner!«

»Verpiss dich, du elende Schwuchtel!«

»Benutz noch einmal dieses elende Scheißwort und ich reiß dich in Stücke!«

»Cem! CEM!«
 

Lennards kunterbunte, homophobe Beleidigungen dröhnen durchs Büro, während er und Cem auf dem Video aufeinander einprügeln und als das Video endet, wirft sie Cem einen Blick zu und mustert sein blaues Auge und seine Lippe.
 

»Cem Atilgan«, sagt Trainer und schüttelt den Kopf. Cem verschränkt störrisch die Arme vor der Brust und starrt Trainer als. Er sieht eindeutig nicht so aus, als wäre sein Gewaltausbruch ihm peinlich.
 

»Was? Er hat aufs Maul verdient! Außerdem hat er Feli belästigt und ist alles in allem ein widerlicher Drecksack!«
 

Trainer reicht Daniel sein Handy zurück und seufzt leise.
 

»Und was ist mit Konstantin?«
 

Ich berichte ihr von der Fußballfreizeit, auf der Konstantin ähnliches Verhalten gezeigt hat und Cem ergänzt, was am Baggersee passiert ist, nachdem ich beinahe abgesoffen wäre. Mir ist klar, dass Trainer die beiden nicht einfach spontan aus der Mannschaft kicken kann, ohne vorher andere Schritte einzuleiten.
 

Aber es ist sehr befriedigend zu sehen, wie verwirrt und etwas beunruhigt Lennard und Konsti aussehen, als Trainer sie nach dem Training in ihr Büro ruft, nachdem sie alle anderen bereits entlassen hat. Mein Gehirn dreht sich immer noch um die Tatsache, dass Daniel diese Szene gefilmt hat, als wüsste er, dass wir das brauchen würden. Dann wiederum war er auch am See und mit auf der Freizeit, hat oftmals mitbekommen wie die beiden sich verhalten—vielleicht ist für ihn das Fass genauso übergelaufen wie für Cem, aber statt drauflos zu prügeln hat er seine Kamera draufgehalten.
 

Ich weiß nicht allzu viel über Daniel.
 

Ich weiß, dass er auch mal Handball gespielt und als Kind Judo gemacht hat. Ich weiß, dass er seine mündliche Abiprüfung in Sport ablegen wird und dass er Mathe zwar gut kann, aber richtig langweilig findet. Ich weiß, dass ich ihn noch nie auf irgendeiner Party mit irgendwem hab rummachen sehen—etwas, das jetzt irgendwie an Bedeutung gewinnt, da ich die Geschichte von Cem gehört habt—und das obwohl sehr viele Mädchen aus verschiedenen Jahrgängen ihn anschmachten wie einen Rockstar.
 

Ich weiß auch, dass er tatsächlich Rock und Metal hört—ganz im Gegensatz zu dem türkischen Pop, den Cem gerne singt—und dass er allergisch auf Äpfel ist.
 

Da endet meine Liste. Wie seltsam fast sieben Jahre mit jemandem in einer Mannschaft Fußball zu spielen und so eine kurze Liste mit Dingen zu haben, die man über den anderen weiß. Ich nehme an, dass Cems Liste länger ist.
 

Wenn ich in meinem Oberstübchen grabe, erinnere ich mich womöglich daran, dass Cem und Daniel früher häufiger miteinander abgehangen haben und das dann irgendwann endete—aber es war kein großes Spektakel, deswegen habe ich dem nie irgendwelche Bedeutung zugemessen.
 

Jetzt denke ich mir, dass es wahrscheinlich geendet ist, nachdem die beiden rumgemacht haben.
 

Unweigerlich frage ich mich, ob es bei mir und Tamino auch so enden würde, wenn wir miteinander knutschen würden.
 

Wenigstens behauptet von uns beiden keiner hetero zu sein.
 

Ich habe tatsächlich das Gefühl, immer weniger hetero zu werden, je länger meine Verliebtheit für Tamino anhält. Irgendwie ist mir klar, dass das keinen Sinn macht, aber ich könnte schwören, es ist eine Steigerung vorhanden.
 

Vielleicht liegt das daran, dass ich mir noch nie in meinem Leben so oft einen runtergeholt habe, wie in den letzten Wochen. Meistens war das für mich nie ein großes Ding und es ist eher selten vorgekommen. Seit meiner Geburtstagsfeier ist diese Nonchalance definitiv den Bach runtergegangen und irgendwo, ganz tief in mir verborgen, hat sich ein Monster namens Sexualtrieb geregt, auf das ich gut und gerne verzichten könnte.
 

Diese ganze Demisexualitätssache hat sich von hinten an mich angeschlichen, auf den richtigen Moment gewartet und mir dann mit einer Libidokeule eins von hinten über gebraten. Seitdem kriege ich nicht nur zu den unpassendsten Momenten einen Ständer, sondern fantasiere auch absolut unfeierlich über Tamino.
 

Es reicht, wenn er vage in meine Richtung schaut, da sind meine Gedanken schon dahingehend unterwegs, dass er seine langen Finger in meine Hose schiebt und mir in den Hals beißt. Ich hab keine Ahnung, was eigentlich los ist und ich bin definitiv maßlos überfordert. Eine ganz neue Höhe dieser Unannehmlichkeiten habe ich erreicht, nachdem Tamino und ich endlich wieder auf den Kuschelzug aufgesprungen sind.
 

Also seit gestern.
 

Sobald ich zu Hause angekommen bin, hab ich mich in meinem Zimmer eingeschlossen und hab allein bei dem Gedanken an Taminos leises, wimmerndes Geräusch so zackig einen Orgasmus bekommen, wie noch nie vorher. Es ist, als wäre ich noch mal ganz neu in die Pubertät gestartet und ich will, dass es aufhört.
 

Wie können Leute so durchs Leben gehen?
 

Geht’s sexuellen Menschen dauernd so? Wie um alles in der Welt kriegen die irgendwas in ihrem Leben gebacken? Masturbieren die auch dreimal an einem Abend, weil sie über ein beschissenes Geräusch und das Gefühl von nackter Haut an ihren Lippen nachdenken?
 

Das kann ich mir kaum vorstellen.
 

Ich werde Cem auch definitiv nicht danach fragen.
 

Ich nehme dieses verzweifelt in mir wohnende Gefühl schlichtweg mit ins Grab, wenn ich in drei Wochen wegen zu massivem Schmachten tot umfalle. So einfach ist das.
 

Am Dienstag beobachte ich in Englisch amüsiert und interessiert Tamino dabei, wie er ein Polyamorie-Diagramm für Cem zeichnet, statt dem Unterricht zu folgen. Leider hat er dabei die Zunge zwischen die Lippen gesteckt und mein verräterisches Gehirn versorgt mich mit ausgiebigen Gedanken an Blow-Jobs.
 

Um ehrlich zu sein glaube ich nicht, dass ich auch nur zwei Sekunden durchhalten würde, wenn Taminos Mund irgendwo in die Nähe meines Schritts kommt. Dann wiederum wäre das eine schöne Art zu sterben.
 

Es juckt mich in den Fingern, Tamino anzufassen, aber im Unterricht ist das definitiv eine schlechte Idee. Ich versuche an irgendwas anderes zu denken oder wahlweise auch dem Unterricht zu folgen, aber ich scheitere kläglich. Der Höhepunkt—in diesem Fall ausnahmsweise einer, der kein Sperma involviert, aber immerhin auf dem besten Weg dahin ist—passiert in der letzten großen Pause.
 

Cem und Feli sind beim Kiosk und eine Traube jüngerer Schülerinnen geht an mir und Tamino vorbei. Sie werfen uns kichern verstohlene Blicke zu und zwei von ihnen sind definitiv rot im Gesicht.
 

»Was ist mit denen los?«, frage ich verwirrt. Tamino wirft mir einen ungläubigen Blick zu und macht eine Geste mit der Hand, die in etwa ausdrückt »Hast du noch alle Tassen im Schrank?«.
 

»Was denn?«, frage ich abwehrend. Tamino lacht leise.
 

»Julius. Ist dir eigentlich nicht klar, wie unglaublich gut du aussiehst?«
 

Ich blinzele, während mein Gehirn ein paar Sekunden braucht, um die Worte inhaltlich zu verarbeiten. Dann rauscht eine heiße Welle durch meinen Körper, ich merke, wie ich knallrot anlaufe und aus absolut unerfindlichen Gründen bin ich in etwa so erregt wie zum letzten Mal am Sonntag, als ich kurz davor war zu kommen.
 

Zu allem Überfluss bekomme ich auch noch einen Ständer. Mitten auf dem beschissenen Schulhof.
 

Fuck. Was zum Teufel?
 

Alles für ein beklopptes Kompliment?
 

Ich gebe ein würdeloses Geräusch von mir und klatsche mir den Hand auf den Mund, während ich versuche meine Sitzposition so anzupassen, dass Tamino nicht mitbekommt, was gerade passiert.
 

Fuck, fuckfuckfuck.
 

»Nein?«, krächze ich und muss leider sagen, dass meine Stimme definitiv zwei Oktaven höher klingt als sonst. Tamino hat den Kopf schief gelegt und betrachtet mich interessiert. Als wäre ich ein sehr spannendes Forschungsobjekt. Mir wird heiß unter diesem Blick. Es hilft nicht, dass Cem und Feli mit ihren Einkäufen zurückkehren und Cem mich fragt, wieso ich aussehe wie eine Verkehrsampel.
 

»Ich—äh«, stammele ich geistreich. Tamino schmunzelt. Er sieht plötzlich ein bisschen gefährlich aus und ich beiße mir auf die Unterlippe, um nicht noch mehr peinliche Geräusche zu machen.
 

»Julius kann nicht gut Komplimente annehmen«, erklärt er scheinheilig.
 

Fuck.
 

»Huh? Also wenn ich ihm was Nettes sage, sieht er definitiv nicht so aus«, erklärt Cem unumwunden und drückt mir mehrmals hintereinander den Zeigefinger gegen die Wange.
 

»Hm«, macht Tamino, als wäre das die beste Information, die er je erhalten hat. Wenigstens verteilt er den Rest der Pause keine Komplimente mehr, sondern reicht Cem sein Diagramm und erklärt ihm, wie er es aufgebaut hat. Cem wirkt ehrlich interessiert und auch Feli beugt sich gespannt über die selbst gezeichnete Grafik, während sie Tamino andächtig lauscht.
 

Mein Gehirn ist unterdessen einfach stecken geblieben.
 

Ich versuche krampfhaft mich daran zu erinnern, ob Tamino mir nicht schon mal vorher ein Kompliment gemacht hat. Aber wahrscheinlich nicht in diese Richtung. Es liegt vielleicht auch einfach daran, dass meine Gefühle für Tamino sich geändert haben.
 

Gibt es tatsächlich Menschen, die fast in ihre Unterwäsche kommen wie peinliche 15-Jährige, nur weil das Objekt ihrer Begierde ihnen Komplimente macht? Gibt es sowas? Ist das ein Ding? Kann man das googeln, ohne vor Scham zu sterben, wenn man die Ergebnisliste anschaut?
 

Dann wiederum gibt es Menschen, die auf Füße oder Strumpfhosen oder die Bezeichnung »Daddy« stehen. Wenn das ein Fetisch ist, dann kommt er wahrscheinlich von mangelndem Selbstwertgefühl.
 

Ich will eigentlich nicht weiter darüber nachdenken.
 

Das Problem ist, dass Tamino… nicht aufhört.
 

Die ganze Woche über passiert es immer und immer wieder.
 

»Wow, das war ein beeindruckender Fallrückzieher.«
 

»Deine Haare sind so schön weich.«
 

»Gute Arbeit, die Aufgabe hätte ich selber nicht besser beantworten können!«
 

»Du riechst einfach so gut.«
 

»Dein Lachen macht mir gute Laune.«
 

Jedes Mal ist meine Reaktion dieselbe, manchmal gewürzt mit heftigem Herzklopfen, einfach weil Tamino diese Dinge sagt. Bei manchen von seinen Komplimenten frage ich mich benebelt, ob er mit mir flirtet, aber das ist absurd.
 

Das würde er nicht.
 

Tamino würde nicht…
 

Ugh, fuck.
 

Ich frage Cem und Feli diesbezüglich, aber beide können nicht genau sagen, ob das Taminos Art und Weise zu flirten ist, oder ob es einfach nur der normale, freundschaftsflauschige Tamino ist, auch wenn Cem anmerkt, dass Tamino weder mit ihm noch mit Feli auf dieselbe Art flauschig ist wie mit mir.
 

Das liegt aber vielleicht nur daran, dass wir schon länger befreundet sind.
 

Fuck, ich hab einfach keine Ahnung.
 

In einem Anflug von Verzweiflung schreibe ich Lotta eine Nachricht.
 

»Hey, sag mal. Wenn Tamino der Typ fürs Flirten wäre… wie würde das wohl aussehen?«
 

Ich traue mich über eine halbe Stunde lang nicht, diese dämliche Nachricht abzuschicken, ehe ich es schließlich über mich bringe und danach erstmal zwanzig Minuten duschen gehe, um mich zu beruhigen.
 

Als ich zurückkomme, habe ich eine Antwort.
 

»Sexual Innuendos und ein Haufen Komplimente. Kann ich aber nicht zu 100% sagen, weil er natürlich mit keinem von uns je geflirtet hat.«
 

Tamino macht mir gegenüber definitiv keine sexuellen Anspielungen. Dann wiederum weiß er, dass ich asexuell bin und findet es deswegen vielleicht unpassend.
 

Ich tigere mehrere Minuten durch mein Zimmer, bis ich schließlich zu dem Ergebnis komme, dass dieses ganze Gegrübel super dämlich ist, weil es irgendwie impliziert, dass Tamino was von mir will, was garantiert nicht der Fall ist. Wir sind gute Freunde. Wir sind…
 

Ugh.
 

Ich werde überhäuft mit Komplimenten und statt mich einfach darüber zu freuen und mich zu bedanken, werde ich in eine weitere Sexualkrise gestürzt. Kann ich nicht einfach mal normal auf Dinge reagieren? Was zum Henken ist eigentlich los mit mir?
 

Seit Sonntag haben Tamino und ich noch nicht die Gelegenheit gehabt, alleine miteinander zu sein. Das heißt, ich kann noch nicht genau sagen, ob die ganze Sache mit der körperlichen Nähe wieder komplett hergestellt ist, oder ob das alles nur gilt, wenn Feli und Cem neben uns auf dem Bett liegen.
 

Ich bin allerdings froh, dass ich mich getraut habe, diesen Schritt zu machen. Wahrscheinlich haben Feli und Cem sich absichtlich in die Ecke des Bettes verkrochen, damit Tamino und ich gezwungen sind, einander anzufassen. Leider führt mich dieser Gedankengang wieder zu Taminos kleinem Geräusch, das er gemacht hat und das wiederum sorgt zum achthundertsten Mal dazu, dass ich einen Ständer kriege, und langsam aber sicher habe ich wirklich die Schnauze voll davon.
 

Ich würde meine Hormone und meinen Körper gerne umtauschen.
 

Was für ein elender Scheiß.
 

Am Freitag verkündet Trainer, dass sie kein feindliches Verhalten irgendwelchen Minderheiten gegenüber in ihrer Mannschaft duldet und dass alle, die das nicht einsehen wollen—und an dieser Stelle ist sehr klar, dass sie mit Konstantin und Lennard gesprochen hat und es keine fruchtbare Unterhaltung war—mit einer anderen Mannschaft spielen gehen können. Alle wissen sofort, um wen es geht. Während Trainer erklärt, dass sie darüber auch mit der Direktion gesprochen hat und dass sie keinerlei Skrupel empfindet, diesbezüglich Eltern zu informieren, sehe ich aus den Augenwinkeln, wie Tamino mal wieder seine Finger im Mund hat.
 

Alle wissen irgendwie, dass es um Schwulenfeindlichkeit geht. Niemand außer uns—und Daniel—weiß, dass es um konkrete Menschen geht. Und ich kann die Frage auf den Gesichtern meiner Mannschaftskameraden sehen. Um wen genau geht es? Und auch Tamino sieht das.
 

Kein Wunder, dass er so nervös ist. Mit seiner letzten Mannschaft war das ein komplettes Desaster. Dann wiederum wurden aus seiner letzten Mannschaft auch nicht zwei Trottel für homophobes Verhalten suspendiert.
 

Ich muss schon sagen, dass die Stimmung im Team irgendwie angenehmer ist, jetzt da Konsantin und Lennard nicht mehr mit dabei sind.
 

»Kann ich... willst du vielleicht mit zu mir kommen?«, fragt Tamino mich auf dem Weg in die Umkleide. Zwei seiner Finger bluten.
 

»Klar. Wenn ich die Dusche benutzen darf«, sage ich breit grinsend und Tamino schmunzelt.
 

»Ich denke das lässt sich einrichten.«
 

Aus dem Augenwinkel beobachte ich, wie Cem und Daniel sich direkt nebeneinander umziehen. Cem ist sehr sorgfältig darauf bedacht, nicht in Daniels Richtung zu schauen—vielleicht unter anderem deswegen, weil er vor Daniel jetzt geoutet ist und nicht will, dass Daniel irgendwelche falschen Eindrücke kriegt.
 

Dann wiederum wäre der Eindruck, dass Cem Daniel scharf findet, absolut richtig.
 

Tamino folgt meinem Blick nach ein paar Sekunden und während Cem einen ziemlich guten Job hinlegt, einfach auf seine eigenen Sachen zu gucken und lässig nach seinem Shirt zu kramen, sind Daniels Augen bei weitem nicht so widerstandsfähig gegen die nackte Haut, die sich offenbart hat, seitdem Cem sein Trikot ausgezogen hat.
 

Dumpf frage ich mich, ob Daniel schon immer so geschaut hat und es mir einfach nicht aufgefallen ist, oder ob das Outing und die ganze Party irgendwas geändert haben.
 

Tamino wendet sich mir zu—ausschließlich in Jeans bekleidet und ich starre sehr konzentriert in sein Gesicht, als er sich zu mir beugt—und murmelt:
 

»Da hat aber jemand Hunger.«
 

Ich verschlucke mich fast an meiner eigenen Spucke und Tamino lacht leise, bevor er sich endlich sein Shirt über den Kopf zieht und mich von der Qual befreit seinen nackten Oberkörper weiter ansehen zu müssen.
 

Ich riskiere noch einen Blick hinüber zu den beiden. Cem hat definitiv noch nie so lange gebraucht, um sich umzuziehen. Tamino hat vermutlich schon erkannt, was mir bis vor einer Sekunde nicht klar war: Die schiere Berechnung von Cem, der zwar selber keinen zweiten Blick auf Daniel wirft, dafür aber mit geöffneter Jeans und nacktem Oberkörper mitten in der Umkleide steht und jetzt sein Handy checkt, als wäre das viel wichtiger, als möglichst schnell aus dieser stickigen Umkleide zu entkommen.
 

Was für ein Schlitzohr.
 

Ich schüttele amüsiert den Kopf und wende mich von den beiden ab, bevor ich noch Zeuge davon werden muss, wie Daniel anfängt zu sabbern.
 

»Wenn er sich meine Grafik zu Herzen nimmt, kann er uns vielleicht bald zwei neue Liebhaber vorstellen«, sagt Tamino unumwunden, als wir die Umkleide verlassen und Daniel und Cem zurückgelassen haben.
 

Ich hüstele trocken.
 

»Ist das schon die ganze Zeit so und ich habs einfach nicht gecheckt?«, will ich wissen.
 

Tamino sieht nachdenklich aus.
 

»Ich hab ehrlich gesagt nie so auf Daniel geachtet. Wir können Cem fragen«, sagt er und sieht beinahe ein wenig spitzbübisch aus, als würde ihn diese Entwicklung der Dinge ziemlich zufrieden machen. Ich versuche mir Cem als verliebten Trottel vorzustellen und scheitere kläglich.
 

Notgeil, gebongt.
 

Aber so richtig… so wie ich mich seit Monaten fühle? Daran scheitert mein Gehirn kläglich.
 

»Es ist doch schon super anstrengend in einen Menschen verliebt zu sein, wie um alles in der Welt schaffen Leute das mit mehreren Partnern?«, frage ich ohne weiter über meine Worte nachzudenken. Als Tamino etwas länger schweigt, als es vielleicht üblich wäre, lasse ich mir meine Aussage noch mal durch den Kopf gehen und dann ist es, als hätte jemand eine Lampe in meinem Kopf angeknipst und es geht sofort los mit Herzüberschlägen, hochroter Birne und schwitzigen Handinnenflächen.
 

Fuck, scheiß, FUCK!
 

Ich wage einen Blick zu Tamino hinüber, der neben mir hergeht, aber mich sehr eindringlich mustert. Fast schon, als würde er mich scannen wollen.
 

Shit, shit, shit, Juls, was zum Henker!?
 

Tamino öffnet den Mund, als würde er etwas sagen wollen, schließt ihn wieder und ich sehe, wie er kurz nervös die Finger aneinander reibt, als wären sie kalt und würde sie aufwärmen wollen.
 

»Ja. Ich weiß, was du meinst«, sagt er langsam und schiebt sich seine Brille hoch. Dann wendet er den Blick ab und guckt weiter geradeaus.
 

Ähm.
 

Huh?



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Kommentare zu diesem Kapitel (12)

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Bitte keine Beleidigungen oder Flames! Falls Ihr Kritik habt, formuliert sie bitte konstruktiv.
Von:  Deedochan
2019-06-13T17:46:20+00:00 13.06.2019 19:46
Ich fühl mich wie die beiden kichernden Mädls, die an Julius vorbeigegangen sind. Chichi ♡
Antwort von:  Ur
13.06.2019 19:55
:'D Das ist ein schönes Bild!
Von: abgemeldet
2019-06-13T16:11:44+00:00 13.06.2019 18:11
Es ist ein super Kapitel und Tamino hats endlich begriffen, glaube ich. Aber ich gehe mit der riesen Angst aus dem Kapitel, dass unsere Kuschelbande für die Sache mit Konstantin und Lennard teuer bezahlen müssen.
Antwort von:  Ur
13.06.2019 19:55
Ich freu mich, dass es dir gefallen hat :D
Von:  FreeWolf
2019-06-13T13:21:27+00:00 13.06.2019 15:21
Oh ich weiß nicht wie oft ich selbstzufrieden gekichert hab angesichts dieses Kapitels! Ich bin so stolz auf Tamino, der sich outet, und alles anders macht als davor, und leide mit Julius. So sehr!
Antwort von:  Ur
13.06.2019 15:29
Taminos Babysteps ftw! :D Ich freu mich, dass es dir gefallen hat! 💚
Von:  Yamasha
2019-06-13T12:15:17+00:00 13.06.2019 14:15
Ich hab während des ganzen Kapitels ein Dauergrinsen im Gesicht. Zum einen, dass es funktioniert hat, Lennard und Konstantin aus der Mannschaft zu schmeißen. Zum anderen, weil die beiden einfach unheimlich knuffig zusammen sind, wie sie da umeinander herumschwarwenzeln und einfach nicht miteinander reden. Denn es geht beiden ja gleich. Merken wir ja. Eigentlich wäre ich genervt, aber bei den beiden ist das irgendwie süß.❤️
Und das mit Cem und Daniel wird garantiert auch noch spannend. Ich freu mich. Vor allem, weil Cem so toll subtil vorgeht 😂
Antwort von:  Ur
13.06.2019 14:40
Cem hat das Wort subtil definitiv noch nie gehört :p Ich freu mich, dass das Rumschlawenzeln der beiden dich nicht nervt :D Danke für den lieben Kommentar! 💚
Von:  MiuAyumi
2019-06-13T12:05:11+00:00 13.06.2019 14:05
Das... war das tollste was man sich in der Pause geben kann :"D

Ich komme auf Juls Reaktionen nicht klar und das ich so sehr mit ihm mitfühle, mein Herz ey, du schaffst es immer wieder! Und Tamino ... der ist ja nicht aufen Kopf gefallen, oder? Ok er hat seine Ängste aber Juls Reaktionen sind so eindeutig, das darf er auf nichts anderes schieben bitte xD Ich habe die Hoffnung, dass im nächsten kapitel viel passiert * v * gleichzeitig befürchte ich es auch, weil... das dann irgendwie das Ende der Story ist oder....ODER?! QAQ ich meine okay, CemxDaniel wird wahrscheinlich grad nicht ohne Grund hart angedeutet... ich freu mich extrem drauf aber ich will noch so viel Tamino und Juls und das volle Programm buhuhuhuhuuu das darf nie enden OTL
No pressure xD Ich liebe es einfach. QvQ""
Antwort von:  Ur
13.06.2019 14:38
Das Ende ist bisher noch nicht in Sicht, keine Sorge xD Ich freu mich, dass es dir gefallen hat! Und du hast Recht, Tamino ist definitiv nicht auf den Kopf gefallen ;) Danke!
Von:  Rayligh
2019-06-13T11:42:58+00:00 13.06.2019 13:42
Ich find die beiden zusammen immer noch gut... <3

Aber was mir fehlt, ist Feli... das von (in der Geschichte) gestern war ja nicht nur homophobe Kackscheisse, sondern eben auch, zumindest dem, was eins zwischen den Zeilen rausziehen konnte, sexualisierte Gewalt gegen Feli... Klar liegt der Fokus da n Stück weit auch auf Cem im direkten Nachgang, weil der sich ja immerhin geprügelt hat, aber hey, da ist grad ne Grenzüberschreitung passiert und ich finds schade, dass du das (noch) gar nicht thematisiert hast... sowas in die Richtung wie sie fragen, wie damit jetzt umgegangen werden soll etc... Ich finds dahingegen gut, dass du das so gemacht hast, dass Trainer das nicht direkt auch vor der Mannschaft anspricht (obwohl sies dem Video nach zu urteilen ja wissen müsste), weils Felis Entscheidung ist, ob sie das wollen würde, aber ich finds schwierig, dass das gar keine Beachtung gefunden hat.

Trotzdem mag ich diese Kapitel. Hach <3
Antwort von:  Ur
13.06.2019 14:35
Die Feli-Sache wird (privat) auf jeden Fall noch thematisiert, aber im Kontext der Mannschaftszugehörigkeit hatte es keinen Platz und Feli war nicht persönlich anwesend, sie soll ihre eigene Stimme bekommen! Ich stimme dir absolut zu, dass da noch Raum für her muss! :) Danke fürs Kommentieren <3
Antwort von:  Rayligh
13.06.2019 14:42
Ich bin gespannt. =)
So in etwa hatte ich mir das ehrlich gesagt auch gedacht, dass das so gemeint war.
Von: Karma
2019-06-13T11:41:21+00:00 13.06.2019 13:41
Ach. Du. Heilige. Scheiße!
*krepier*
Ich glaub, ich kack ab. Aber hey, so komm ich um die Spätschicht rum heute. Und ich würde einen sehr schönen, flauschigen, zuckrigen, plüschigen, absolut seligen Tod sterben.
:D
Danke, dass du mir die Mittagspause versüßt hast - auch wenn ich nachher, falls ich bis zur zweiten Schicht doch überleben sollte, ganz sicher Konzentrationsschwierigkeiten haben werde, weil mein Hirn sich permanent an das hier erinnern will, obwohl es sich auf Kundenanliegen konzentrieren soll.
@.@
*schwurbel*
Alles deine Schuld!
;D

Oh, by the way, Trainer ist super!
*Fan-Banner bastel*
Die Frau ist so klasse, ich könnte sie knuddeln!
Antwort von:  Ur
13.06.2019 14:36
Ich weise jegliche Schuld von mir :D Ich hoffe du kriegst den Rest des Tages gut rum! Danke fürs Kommentieren <3
Antwort von: Karma
13.06.2019 22:39
Habe die zweite Schicht einigermaßen unbeschadet überstanden und daran ist nur dieses Kapitel (das ich mir gerade direkt noch mal durchgelesen hab, einfach weil) schuld. Wann immer meine Kunden zu nervig waren, hab ich an Julius und Tamino und Cem und Daniel und Feli und den Rest gedacht und dann war mir ganz flauschig ums Herzchen und die Nerverei war nicht mehr ganz so schlimm.
:D
Danke also noch mal dafür.
<3
Oh, und ich freu mich ganz, ganz doll darauf, wenn's weitergeht.
*____*
Antwort von:  Ur
14.06.2019 04:06
Das freut mich, dass ich dir durch die Schicht helfen konnte! Ich hoffe, du hattest einen angenehmen Feierabend <3
Antwort von: Karma
14.06.2019 22:20
Hatte ich, danke. Und jetzt ist endlich Wochenende, das ist noch besser.
<3
Von: abgemeldet
2019-06-13T11:18:45+00:00 13.06.2019 13:18
Alter. Ja, das Wort, genau dieses. ALTER! Juls, du bist ja so ein Knuffelpuffer! Ich brech zusammen...
Verliebtsein kann auch toll sein, und ich hoffe so sehr, dass wir ganz arg bald zum tollen Teil des Ganzen kommen - wenn das Gefühl erwidert wird und man es ausleben kann. Ich bin ja eh im siebten Himmel, weil du so schnell schon das nächste Kapitel am Start hast, aber das Ende ... mwaaah <3 Einfach nur großartig, wie Tamino so sehr Juls‘ Vertrauter ist, dass der gar nicht drüber nachdenkt ob er ihm sagen darf was in ihm vorgeht xD Ohgottohgottohgott. Ich könnt das Kapitel auffressen, und Julius gleich mit! Weiter so! Und gerne in dem Tempo! Vielen lieben Dank ;-*
Antwort von:  Ur
13.06.2019 13:37
Ich bin auch total zufrieden darüber wie schnell im Moment alles geht :D Ich hoffe mal, dass das so bleibt! Danke für deine lieben Worte, ich freu mich 💚
Von:  Yunaxxx
2019-06-13T09:57:19+00:00 13.06.2019 11:57
Wieder ein Kapitel wo ich dachte oh mein GOTT!
Also von Daniel und Cem bekomme ich einfach nicht genug. Besonders musste ich lachen, als die Szene kam ´was für ein Schlitzohr´.
Juls ist so süß!!! Wie er auf Taminos Komplimente reagiert *überall Herzchen*. Also ich an Taminos Stelle wäre schon auf Juls losgegangen und hätte ihn wahrscheinlich bewusstlos gekuschelt, weil er einfach so süß ist!
Das Ende ist aber wirklich gemein. Jetzt ist man total neugerig wie es weiter geht. Schlließlich weiß Tamino jetzt das Juls verliebt ist. Wie ich Tamino einschätze, denkt er sicher das Juls jemand anderes liebt. Ich habe das Gefühl es kommt im nächsten Kapitel zu Missverständnisse.
Ich freue mich jetzt schon aufs nächste Kapitel. Hoffe wirklich das es aus Taminos Sicht geschrieben ist um alleine zu wissen was in seinem Kopf vor sich geht.
Liebe Grüße Yunaxxx
Antwort von:  Ur
13.06.2019 12:26
Ich kam mir bei dem Cliffhanger auch ein bisschen gemein vor, aber es musste einfach sein :'D Ich freu mich, dass es dir gefallen hat! Danke fürs Kommentieren <3
Von:  Rentierchan
2019-06-13T07:55:10+00:00 13.06.2019 09:55
Ah vorbei verdammt XD
Ich will weiter lesen.

Wieder mal ein klasse Kapitel das nur Lust auf mehr macht!
Antwort von:  Ur
13.06.2019 09:57
Das freut mich zu hören, danke fürs Kommentieren :D


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