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The Gates of Salem

Astron
von

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Der Hinterhalt

„Hat irgendjemand Lilith gesehen?“, fragt Emily.

„Nö“, gibt Yvonne Schultern zuckend, begleitet vom Kopfschütteln ihrer High-Society-Clique, von sich.

„Ist sie nicht bei den anderen Gruftis am Ende des Gangs?“

Emily schüttelt nervös ihren Kopf.

„Die wissen selbst nicht, wo sie ist. Nicht einmal Cris! Sie hat mich selbst gefragt...“

„Sofort sammeln! Der Fisher will wieder eine Rede halten“, ruft ihnen plötzlich eine Kopftuch tragende Mitschülerin zu.

Alle Schüler versammeln sich scharenweise im Pausenhof um den Direktor Fisher, der vor dem Schultor steht. Doch er will weder eine Dankesrede für gestern noch eine seiner humorvollen Freitagspreisungen halten, für letztere er bekannt ist.

Sein Gesichtsausdruck und die Polizisten hinter ihn schließen beides aus.

„Liebe Schülerinnen und Schüler. Ich habe soeben eine schreckliche Nachricht erhalten: Eure Mitschülerin, Lilith Connery, gilt seit heute Morgen als vermisst!“

Diese Worte hallen in Emilys Kopf wider. Versetzen ihr einen Stich ins Herz. Empört drängelt sie sich durch die Menge, um sich dann vor dem Direktor zu stellen.

„Warum gilt sie denn als vermisst? Ich habe sie doch gestern nach Hause begleitet! Sie ist dort angekommen!“

„Ihre Eltern fanden nur ihr leeres Zimmer vor. Man ist sich sicher, dass sie weggelaufen ist. Die Polizei ist nun auf der Suche nach ihr. Man hofft, dass sie noch irgendwo in der Stadt ist.“

Sein Blick wandert über die Schülerschaft.

„Wie dem auch sei… Wenn ihr irgendein Problem habt, sprecht mit jemanden darüber oder zieht euch in euer Zimmer zurück. Weglaufen ist keine Lösung für Probleme, sondern vergrößert sie im Extremfall. Außerdem müsst ihr alle nun im Hoffen auf Liliths Rückkehr zusammenhalten. Nicht nur, weil noch nie zuvor ein Schüler unsere Bowditch High als vermisst gemeldet wurde. Auch müsst ihr Liliths Freunde, die eure Mitschüler sind, Trost spenden in der unerträglich langen Zeit der Ungewissheit.“

Alle schauen sich gegenseitig an.

Clyde glotzt müde um sich, als würde ihn Liliths Verschwinden nicht interessieren.

Bonnie macht den Eindruck, als wäre sie felsenfest davon überzeugt, dass Lilith jeden Moment wieder auftauchen würde.

Orlando lächelt nicht mehr, wie er es noch am Anfang der Rede tat. Er lugte hin und wieder zu Emily rüber. Jetzt aber dreht er sich um und verschwindet mit Lester und Keith in die Menge.

Cris und die anderen Gothics tauschen sich rege über die möglichen Gründe für Liliths Verschwinden aus.

„Warum sollte sie weggelaufen sein? Das würde sie doch niemals tun!“, klagt Emily.

,,Hat sie sich etwa mit ihren Eltern gestritten?”, fragt Gerda unsicher, die anscheinend den weit hinter ihr stehenden Gothics zuhört.

,,Könnte sein...”

Doch da hat Leona einen Verdacht:

,,Sie könnte von diesem narbigen Mann von gestern entführt worden sein!”

,,Lilith ist vierzehn, nicht vier! Die wird bestimmt keinem fremden, schmierigen Mann gefolgt sein”, widerspricht Yvonne.

,,Das können wir im Park besprechen”, rät Maja.

,,Jawohl!”, antwortet Kay mit militärischer Disziplin. Gerda nickt.

,,Ich glaube nicht, dass ich mit kann”, murmelt Leona bedauernd. ,,Meine Eltern gehen heute Abend aus, und ich muss auf Rocío aufpassen.”

„Okay! Emily?”, fragt Maja.

„Ich… Auch nicht. Ich habe auch zu tun.” Darauf dreht sich Emily um und verschwindet ins Schulgebäude. Sie will nicht, dass die anderen ihre Tränen sehen.
 

Yvonne sieht Gerda, Kay und Maja bedauernd an. Sie sind zu dritt, aber für sie ist das zu wenig.

„Ich habe eigentlich auch zu tun. Aber ich kann euch nicht allein lassen.“

„Du kommst mit?“, fragt Maja hoffnungsvoll. Ihre Indigoaugen leuchten.

Yvonne nickt und meint:

„Ihr Drei habt keinen Ältesten! Da Leona abgesagt hat, muss ich euch behüten. Besonders dich, du riesiges Nesthäckchen!“

Zu ihrer Überraschung (und Verlegenheit) umarmt Maja sie.

„He! Ich lasse nur Rick an mich ran“, weist Yvonne sie mit glühenden Wangen zurück.

Sofort lässt Maja sie los, sodass Yvonne zur High Society zurückkehren kann.

„Du gibst dich mit diesem Kleingemüse ab?“, wird sie von ihrer besten Freundin begrüßt.

Mandy hat geschmeidig gekämmtes, schwarzes Haar, das ihr längliches Gesicht umrahmt, und braun-grüne Augen. Sie trägt einen gelben Top, weiße Armstulpen, eine weiße, enge Jeans und weiß-gelbe Sneakers.

„Maja ist nicht klein! Ich gebe ihr nur ein Gefühl von Willkommen-Sein. Mehr nicht!“

„So so... Willkommen-Sein“, mischt sich nun Rick Astaire, Yvonnes Gatte, ins Gespräch ein. „An diskreter Zurückhaltung denkst du aber anscheinend nicht.“

„Dass die Neue mich umarmt hat, ist ihr Problem. Ich hab sie nicht danach gefragt!“, rechtfertigt sich Yvonne, die ihren Kopf an Ricks Brust schmiegt. „Oder bist du etwa eifersüchtig auf ein kleines, unwichtiges, niederes Mädchen, das sich wie ein Junge anzieht?“

„Nicht nieder! Ihre Tante ist Managerin bei den American Banks. Hab ich von Deborah!“

Yvonne schlingt ihre Arme um ihren muskulösen Freund mir den blonden, zurückgekämmten Haaren und den braunen Augen. Hält ihn an sich fest.

„Du wirst doch nicht eifersüchtig, Baby?“, lacht er.

„Ich bin nur vorsichtig. Denn Deborah ist kein hässliches Mädchen.“

„Leona ist viel hübscher!“, rutscht es aus Mandy heraus. „Und ihr Vater arbeitet auch bei den American Banks.“

Yvonne wirft ihr einen giftigen Blick zu.

„Erwähne nie den Namen dieser Tusse, deren Nähe ich tolerieren muss“, faucht sie bitter.

„Du kennst doch Mandy! Sie nimmt keinen Blatt vorm Mund.“

Eine sonnengebräunte, blauäugige Blondine mit hellbraunem Outdoor-Kleid aus Wolle und braunen Fellstiefeln mischt sich in das Gespräch. Chelsea Roberts. Ihre zweite beste Freundin.

„Chelsea! Wo zur Hölle warst du denn?“, fragt Yvonne aufgekratzt.

„Weiter hinten! Hab mit Clyde und Bonnie gesprochen.“

Beide genannten sind Chelsea gefolgt und stehen nun hinter ihr.

„Die Lilith ist abgehauen, um uns zu erschrecken. Darauf geh ich jede Wette ein!“, posaunt Bonnie hinaus. Ihr Zwillingsbruder nickt mit schiefem Grinsen.

„Wie könnt ihr euch da so sicher sein?“, fragt Yvonne misstrauisch.

Clyde lächelt triumphierend:

„Gruftis halt! Lümmeln auf dem nächsten Friedhof rum, verehren Satan, kiffen. Die machen solch krumme Sachen.“

Mit einer Geste fordert Yvonne ihn und Bonnie zum Schweigen auf. „Tut das, was der Direktor gesagt hat: Abwarten!“

„Ich mach dann mal Tee.“
 

...
 

Wie abgemacht versammeln sich Maja, Yvonne, Kay und Gerda nach der Schule im Park. Und irgendwie ist Maja erleichtert, dass Yvonne ihr Versprechen gehalten hat. Dass sie jetzt hier ist. Dass sie jetzt ihre Bestimmung akzeptiert. Oder zumindest hinnimmt.

Währendsie über Lilith diskutieren, trifft Maja fast der Schlag: Wie aus dem Nichts läuft die Vermisste auf sie zu.

Yvonne und die Zwillinge keuchen ebenfalls auf.

,,Lilith!”, stottert Yvonne. ,,Wo warst du? In der Schule und zu Hause wirst du vermisst! Was fällt dir ein, uns alle zu erschrecken?”

Lilith sieht sie verwirrt an. Antwortet überrascht:

,,Echt? Aber ich bin heute Morgen nur vor meinen Eltern aufgewacht und wollte zur Schule gehen. Dann bekam ich eine SMS, dass Emily krank sei. Da war sie mir wichtiger. Aber dann wurde ich von einem süßen Jungen aufgehalten, mit dem ich den ganzen Tag herumhing. Er hat mich für heute Abend in die alte Fabrik am südlichen Stadtrand eingeladen. Ich wollte fragen, ob ihr mit mir kommen würdet. Damit ich mich sicherer fühle.”

,,Wenn das so ist”, meint Kay beruhigt. ,,Wir werden da sein!”

Yvonne starrt sie entgeistert an.

„Am südlichen Stadtrand? Ist das nicht die alte Reifenfabrik neben dem Tagebau?“

Lilith hackt sich mit einem Arm in Majas und mit dem anderen in Yvonnes ein.

,,Gut, dann gehen wir!”
 

Die Dämmerung bricht über Salem hinein, als Maja, Yvonne, Kay und Gerda mit Lilith die etwas abgelegene Fabrik erreichen. Wo Uni-Studenten, Junkies und Goths heimlich Partys feiern. Durch einen aufgeschnittenen Maschendrahtzaun betritt man das finstere, überwucherte Betongelände mit der riesigen Backsteinruine und den rostigen, mit Graffiti beschmierten Lagerhallen.

Maja lässt den Strahl ihrer Taschenlampe in eine der Wellblechhallen fallen. Entdeckt alte Reifen, Müll, Flaschen, Stofffetzen, Kondome, Kleintierkadaver. Die Innenwände mit Graffiti übermalt.

Am Hauptgebäude liest Maja auf einem rostigen, verwitterten Schild: EAST RUBBER COMPANY.

„Mach deine Taschenlampe aus!“, flüstert Lilith ihr zu. „Ich will meinen Freund überraschen! Wartet hier!“

Maja tut, worum Lilith sie bat. Durch den Spalt der rostigen Blechtüren verschwindet diese in die Dunkelheit. Wegen den schwarzen Haaren und Klamotten scheint sie mit ihr zu verschmelzen.

Maja und ihre drei Begleiter warten.

Und warten.

Und warten.

,,Ist sich Lilith hundertprozentig sicher, dass ihr neuer Freund sie tatsächlich hierher eingeladen hat?”, fragt Gerda mulmig. Selbst in ihrem dicken blaugrünen Pullover und ihrer Fellweste zittert sie. Ob ihr kalt ist oder sie Angst hat, kann Maja nicht mit Sicherheit bestimmen.

,,Du sagst es!”, stimmt Yvonne zu. ,,Lilith hat uns den ganzen Tag verarscht. Gleich kommt sie wieder raus und lacht uns aus! Lasst uns abhauen!”

Doch Maja lässt sich davon nicht beirren. Zu lange hat Lilith auf sich warten lassen. Sie schaltet ihre Taschenlampe an und betritt die leere Fabrikhalle.

Dort drin steht sie. Und ihr süßer Junge. Der ältere Mann von der gestrigen Feier. Er hält eine Fackel in der Hand, die mehr Licht erzeugt als die Taschenlampe.

Das rosige Tor fällt krachend zu.

„Maja!“, hört sie Gerda und Yvonne draußen schreien.

„Wir haben dich erwartet, Hüterin des Amuletts!”, begrüßt sie der Mann. ,,Die Distanzen, die uns voneinander fernhielten, werden schon bald nicht mehr existieren. Deine Welt wird dann uns gehören. Wir werden alle vereint sein. Aber erst, wenn wir euch vernichtet haben. Ihr steht uns nur im Weg! Ihr seid der Macht des Amuletts der Engel nicht gerecht!”

In ihrer Unsicherheit sieht sie das Amulett unter ihrem Hoodie, an ihrer Brust aufleuchten. Wie in Trance schießt sie einen gelben Lichtstrahl auf die Beiden, die verschreckt ausweichen.

Ermutigt durch ihre eigene Reaktion startet Maja einen neuen Angriff, der sich auf das geschlossene Hallentor richtet. Der Schwung, mit dem das Tor aufgeht, zeugt von der erfolgreichen Attacke.

„Na bitte! Ich hab gesagt, ich bekomm die Rostlatte auf!“, hallt Kays Stimme selbstsicher in der Halle wider.

„Kay? Maja hat sie aufgekriegt“, fällt Gerda ihren Bruder zaghaft ins Wort, als Maja wieder eine funkelnde Lichtkugel in ihrer Hand formt.

Lilith und ihr Begleiter staunen nicht schlecht. Doch wirklich beeindruckt sind sie allerdings nicht.

„Ihr haltet euch jetzt für was ganz Besonderes! Aber eure Kräfte sind nutzlos gegen uns!”, faucht Lilith neiderfüllt.

Da schlägt der Mann mit seiner Faust in die Luft. Risse werden sichtbar, dann zerbricht das Nichts wie Glas.

Splitter schweben nun um ein großes, funkelndes Loch. Es sieht aus wie die Momentaufnahme einer Funken sprühenden Wunderkerze. Oder wie eine sogenannte „Anomalie“ in Primeval, die Maja oft im Fernsehen sah.

Lilith setzt einen Fuß in die Anomalie. Das Tor zu einer anderen Dimension.

„Komm, Kastor! Es würde dir sicher keinen Spaß machen, sie sofort zu töten! Die Mädchen sehen null danach aus, als würden sie sich richtig wehren können!“, ruft sie den Mann noch hinterher, bevor sie durch das Tor verschwindet.

Kastor wirft seine Fackel auf die alten Benzinkanister. Dann folgt er Lilith. Hinter ihn löst sich die Anomalie wieder auf.

Das Feuer frisst sich von den Kanistern aus durch das Gebäude. Kay und Gerda haben da ihre Mühe, die Flammen zu löschen. Denn das Benzin stärkt das Feuer allzu sehr. Dazu gibt es weit und breit kein Wasser. Und bis auf ein paar kleine Regenwölkchen kann Kay nichts Nützliches hinauf beschwören. Das einzig Gute: Nichts explodiert.

Plötzlich ertönen in der Ferne Sirenen.

„Die Feuerwehr! Sie darf uns nicht finden!”, ruft Gerda Yvonne und Maja zu.

„Wenn sie uns erwischen, kriegen wir gigantisch Ärger!“, stimmt Kay ihr zu.

Maja nimmt das Amulett fest in ihre Hand.

„Bitte, liebes Amulett, kannst du uns vier unsichtbar machen?“

„Schade! Ich konnte meine Kräfte gar nicht erst ausprobieren”, flötet Yvonne enttäuscht.

Darauf macht sich ein Taubheitsgefühl in Maja breit. Sie sieht Gerda, Kay und Yvonne sich auflösen. Blickt auf ihre eigenen Hände. Sehen tut Maja jedoch den Betonboden.

Plötzlich aber tauchen ihre Hände wieder auf, nur durchsichtig. Auch Gerda, Kay und Yvonne sehen auf einmal wie Geister aus.

„W... Wa... WAS!“, hört Maja Yvonne mit weit aufgerissenen Augen kreischen.

Da betreten die ersten Feuerwehrmänner das brennende Gebäude.

Da nimmt Maja mit ihrer rechten Hand Gerda und mit der linken Yvonne an sich. Zusammen flüchten sie, von den Feuerwehrleuten nicht beachtet, zur nächsten Straße.

Dort hebt das Amulett ihre Unsichtbarkeit wieder auf. Nun sind Maja, Yvonne, Kay und Gerda nicht mehr durchsichtig.

,,Puhh…“, seufzt Gerda. „Und was jetzt?”

,,Nichts”, antwortet Maja mit gebrochener Stimme. ,,Lasst uns nach Hause gehen. Heute ist einfach zu vieles passiert.”



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