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Poltergeist

von

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Poltergeist

Also, wo fange ich am besten an? Ich denke am Anfang, oder? Jede Geschichte beginnt ja irgendwie am Anfang. Lasst mich überlegen. Das erste, an was ich mich erinnerte, war diese grauenvolle ... ja, wie will man es nennen? Musik? Die jungen Leute nennen es bestimmt so. Ich empfand es aber nur als ruhestörenden Lärm. So elektronisches Gestampfe und Herumgehacke auf den armen Instrumenten. Sowas hätten wir früher nicht getan. Unsere Musikinstrumente waren uns heilig. Und vor allem schweineteuer. Wir gingen mit unseren Sachen damals noch pfleglich um. Die Jugend von heute wohl scheinbar nicht. Und dazu dieses ... nun, am Ende heißt es noch, der Frontmann würde 'singen'. Aber bei Gott, das tat er nicht. Singen war das nicht!

Ich erwachte also auf meinem Sofa, wo ich auf meine alten Tage immer ein Nickerchen zu machen pflegte, wenn es an die 14 Uhr war. Geweckt von diesem musik-ähnlichen Lärm. Ich stand sauer auf und ging zum Schallplattenspieler, um ihn abzustellen. Aber ich kam mit dem blöden Ding nicht so recht klar. Ich fand in der ganzen Konstruktion weder eine Schallplatte, noch eine Nadel, die man von selbiger herunterheben hätte können. Es war ein großer, ringsherum geschlossener Kasten, wie ich ihn noch nie gesehen hatte. Und es kostete mich einiges an Zeit und Einfallsreichtum, das dumme Ding zum Schweigen zu bringen. Aber die Ruhe hernach war himmlisch.

Als nächstes fiel mir auf, daß irgendwas anders war als sonst. Ich meine abgesehen von dem seltsamen Musikkasten, den ich noch nie gesehen hatte, und der mit meinem Plattenspieler nicht mehr das mindeste gemein hatte. Mein ganzes Wohnzimmer sah anders aus als sonst. Es dauerte eine Weile, bis meine alten, grauen Zellen kapierten, was genau so anders war. Die Möbel! Die hatte ich noch nie gesehen. Böses ahnend begann ich im Haus herumzulaufen und mir alles anzusehen. Das war ganz zweifelsohne mein Haus. Aber alle Zimmer hatten sich verändert. Es war wie ein böser Traum. Ich hatte keine Ahnung, was hier geschehen war. Ich fand das alles sehr eigenartig.

Als ich gerade in der oberen Etage in meinem Schlafzimmer stand – dem, was früher mal mein Schlafzimmer gewesen war – und mir an den Wänden große, rahmenlose Bilder von langhaarigen Männern in schwarzen Kluften ansah, einige davon mit absonderlichen Gitarren in den Händen, ging unten im Wohnzimmer wieder dieses Geplärre los. Mit einem mürrischen Stöhnen quälte ich mich also die Stufen wieder hinunter, um nachzusehen. Auf meinem Sofa lungerte ein junger Mann herum und spielte mit irgendeinem seltsamen Technik-Ding. „Wer bist du!? Raus aus meinem Haus!“, schrie ich ihn an. Aber er beachtete mich gar nicht. Mit seinen langen Haaren und den schwarzen Sachen hätte er glatt von einem der Bilder oben im Schlafzimmer sein können. Auf seinem Oberteil waren gotteslästerliche Symbole aufgedruckt. Aber das war mir in diesem Moment egal. Der Rotzlöffel beachtete mich gar nicht. Vielleicht hatte er mich über den Lärm des großen Musikkastens hinweg nicht bemerkt, also schlurfte ich hinüber und schaltete ihn wieder aus. Inzwischen hatte ich den Trick ja raus, wie man das Ding zum Schweigen brachte. Da sah der Schnösel endlich auf. „Ach Mist!“, fluchte er. „Ist das Scheißding jetzt etwa kaputt?“ Er stand genervt vom Sofa auf und kam herüber. Ich machte ihm erschrocken Platz, so forsch wie er auf mich zu kam. Aber er beachtete mich auch weiter nicht. Er hatte nur Augen für den vermaledeiten Wimmerkasten. „Wieso springt die Play-Taste jetzt ständig raus?“, wollte er wissen.

„Hörst du mich?“, blaffte ich ihn an. „Du sollst aus meinem Haus verschwinden!“

Er schaltete ungerührt die Musikanlage wieder an.

Und ich schaltete sie ungerührt wieder aus.

Und er fluchte und ging.

Besorgt sah ich ihm nach. Ich bekam ein ganz blödes, flaues Gefühl im Magen. Er konnte mich nicht sehen. Und mich nicht hören. Das wurde mir in diesem Moment klar. Wieder sah ich mich in dem Wohnzimmer um, das für meine Begriffe regelrecht futuristisch anmutete. Nur mein schönes, altes Ledersofa war geblieben. Alles andere an Möbeln und Einrichtung kannte ich nicht und konnte manches nicht einmal benennen, weil ich es noch nie gesehen hatte. Der Kalender in der Küche, den ich gleichfalls schon entdeckt und als Scherz abgetan hatte, täuschte ein Datum vor, das mir Angst machte. Wenn der junge Kerl mich also nicht sehen konnte ... war ich dann ein Geist? Schlimmer, war ich etwa tot und hatte es noch nicht gemerkt?
 

Es gingen ein paar Tage ins Land, in denen ich mich ruhig verhielt und erstmal die Lage auskundschaften wollte. Allem Anschein nach lebte in meinem Haus inzwischen eine Familie mit einem halbstarken Sohnemann – dem, der so grauenvollen Lärm über die Musikanlage hörte –, einer etwa 14-jährigen Tochter und einem wirklich süßen Spitz. Ein reizender Hund. Ich spielte dann und wann Ball mit ihm, wenn keiner in der Nähe war. Bälle, die ich für ihn werfen konnte, lagen ja genug herum. Keiner der vier schien mich wahrzunehmen. Sie hörten und sahen mich nicht. Der Spitz auch nicht. Der wurde nur munter, wenn ich mit Bällen warf. Und das machte mich wütend. Ich war stinksauer, daß die alle in meinem Haus herumhockten und mich nicht für voll nahmen. Meine Möbel austauschten! Mich mit dieser furchtbaren Geräuschkulisse beschallten, die sie für Musik hielten; der volkstümliche Musikgeschmack der Eltern war keinen Deut besser als der des Sohnes! Und sie fletzten alle auf dem letzten, schönen Sofa herum, das mir noch geblieben war. Meinem Ledersofa! Das alles brachte mich auf die Palme. Das hier war mein Haus! Auch wenn ich tot war, war das immer noch mein Haus! Ich wollte hier in Ruhe gelassen werden! Und ich wollte die 'Sippe', wie ich sie inzwischen nannte, loswerden!
 

Dann machte ich einen Fehler. Und da ging das Spektakel erst so richtig los. Ich stand gerade in der Küche und ließ mir aus dem Wasserhahn ein Glas Wasser einlaufen. Plötzlich hörte ich ein hysterisches Kreischen hinter mir. Vor Schreck ließ ich das Glas in die Spüle fallen und drückte den Kipphahn zu, bevor ich herumfuhr. Es war alles eine Bewegung. Ein Reflex quasi. Da stand die Tochter der Sippe in der Tür und kreischte wie eine Kettensäge. Ich hatte sie nicht kommen gehört, sonst wäre mir das nicht passiert. Sie hatte das Glas und den offenen Wasserhahn gesehen. Sie hatte auch gesehen, wie das Glas in die Spüle fiel und der Wasserstrahl versiegte. Aber mich hatte sie nicht gesehen. Für sie hatte das Glas in der Luft geschwebt wie von Geisterhand. Und, was soll ich sagen, sie hatte ja irgendwie Recht damit. Und brachte mich auf eine beGEISTERnde Idee. Ich wollte sie loswerden? Dann würde ich sie loswerden! Ich würde sie einfach aus diesem Haus rausspuken, alle miteinander.

Natürlich glaubte dem Kind keiner, als es heulend erzählte, es habe Gläser durch die Küche fliegen sehen und der Wasserhahn sei von selber auf und zu gegangen. Sie war ja nur ein Kind. Und auch wenn sie erwachsen gewesen wäre; man war nie zu alt, um in die Klappsmühle gesteckt zu werden. Also brachte man sie schnell zum Schweigen, bevor sie am Ende wirklich noch dort landete.

Als meine kleinen Scherze schnell mutiger wurden, glaubte man ihr irgendwann. Ich knallte mit Türen, trampelte die Treppen hinauf und hinunter, klopfte nachts laut gegen die Wände, schaltete die Elektronik an und aus, ja, ich begann langsam Spaß daran zu finden. Allein die Sippe zeigte sich unbeeindruckt. Sie hatten Angst vor dem, was ich so veranstaltete, ja. Aber aus meinem Haus ausziehen taten sie nicht. Sie blieben. Wochenlang trieb ich diese Spielchen, bis ich es leid wurde. Es gäbe natürliche Erklärungen für all das, sagten sie. Altes Gebälk, das arbeitete. Alte Stromleitungen mit Wackelkontakt. Luftzug. Das alles redeten sie sich ein, wenn sie nachts verängstigt in ihren Betten zusammengekauert beieinander hockten. Aber ausziehen, aus meinem Haus, taten sie nicht! Und das machte mich mit der Zeit wieder wütend. Ich wollte sie loswerden.
 

Auch wenn ich nicht einsah, das Schlachtfeld zu räumen, der Sippe mein Haus kampflos zu überlassen und selber auszuziehen, konnte ich es doch nicht unterlassen, zumindest Versuche dahingehend zu unternehmen. Aus Neugier, wenn man so will. Es war ein strahlend schöner, sonniger Tag, als ich zum ersten Mal die Hintertür aufzog und den Garten betreten wollte. Die Sippe hatte draußen eine Hollywood-Schaukel aufgestellt, hatte hübsche Blumenbeete angelegt und den Garten zu meiner Zufriedenheit bewirtschaftet. Es sollte mich auf andere Gedanken bringen, diesen reizenden Blumen einmal näher zu kommen. Immer nur im Haus eingesperrt zu sein, machte ja stumpfsinnig. Und auch wenn ich inzwischen den Umgang mit der Fernbedienung gelernt hatte, so langweilte mich das neumodische Fernsehprogramm doch sehr, wenn nicht gar einer von der Sippe kam und mir den Fernseher wieder ausschaltete.

Ich schweife ab; zurück zum Thema. Ich zog also die Tür auf und wollte hinaus in den Garten. Vielleicht ein wenig auf der Schaukel liegen. Vielleicht ein wenig mit dem Spitz spielen, den man tagsüber gern in den Garten sperrte, wenn von der Sippe keiner zu Hause war. Jedoch der erste Sonnenstrahl verbrannte mich beinahe zu Asche. Meine Haut schlug sofort Blasen und die Helligkeit stach brutal in meine Augen, so daß ich auf der Stelle schreiend und wild um mich schlagend wieder ins Haus floh. Solche Schmerzen hatte ich nie gefühlt. Es war wie am ganzen Körper von rasenden Wölfen zerfetzt und in alle Richtungen auseinandergerissen zu werden. Hätte ich nicht die Hand noch am Türgriff gehabt, sicher hätte ich die Orientierung verloren. Es war schrecklich. Etwa wie eine Spinne sich fühlen mochte, wenn sie vom Staubsauger aufgesaugt wurde. - Ja, dieser Hausfrauentrick war mir inzwischen geläufig, seit ich der Dame des Hauses einige Spinnen ins Schlafzimmer gesetzt hatte. Die dicken, schwarzen aus dem Keller.

Ich brauchte über eine Woche, um mich von diesem Erlebnis zu erholen. Mir war erstmal ein paar Tage lang nicht mehr danach zu Mute, im Haus herumzuspuken. Die Sippe fragte schon argwöhnisch, ob ich weg sei. Diese gemeinen Hausbesatzer. Hatten sich noch nicht einmal die Mühe gemacht, meinen Namen in Erfahrung zu bringen, aber machten sich über mich lustig. Und ausziehen taten sie auch weiterhin nicht. Das machte mich schon wieder sauer. In meiner Wut machte ich den nächsten Fehler. Ich warf ein Sofakissen nach dem langhaarigen Sohn. Das wirkte. Nachdem nun erstmals Gegenstände nach Menschen geworfen wurden, stufte man mich endlich als gefährlich ein. Das nächste Mal war es vielleicht kein Kissen mehr, sagten sie, sondern irgendwas schweres, hartes, oder gar ein Messer, das ihnen um die Ohren flog. Nun beschlossen sie tätig zu werden – leider nicht so, wie ich das wollte.
 

So wie ich harmlos angefangen hatte, fingen auch sie harmlos an. Zunächst zierten Kreuze jedes Zimmer meines Hauses. Natürlich war ich zu Lebzeiten ein braver, gottesfürchtiger Mensch gewesen und des Sonntags immer artig zur Kirche gegangen, allein die Kreuze im Haus hielten mich nicht davon ab, der verfluchten Sippe ihre verfluchten Habseligkeiten hinterher zu werfen. Keine Messer. Aber gern mal diese kleinen, silbernen Schallplatten, für die man keine Plattennadel brauchte. Oder die Fernbedienung, wenn mir wieder jemand den Nachrichtenkanal umgeschalten hatte.

Nach einigen Tagen kam ein Pastor zu Besuch, um das Haus zu segnen und mich zu vertreiben. Tja. Ich hörte mir das Gesabbel des Pfaffen gern an, sagte auch artig Amen, als er fertig war, und spukte dann ungestört weiter herum. Ich weiß ja nicht, was er sich erhofft hatte, aber ich sah auch weiterhin keine hinreichende Veranlassung, meinen Wohnsitz kampflos aufzugeben. Ich bewarf die Sippe weiter mit Hausrat und hielt sie nachts mit dem üblichen Tammtamm bei Laune. Die albernen Kreuze nahm ich wieder ab, auch wenn ich sie natürlich respektvollerweise nicht durch die Gegend schmiss. Die Sippe packte schließlich die Koffer und verließ das Haus. Auch wenn ich ihren Gesprächen entnahm, daß sie auf der Flucht vor meinen Wurfgeschossen nur vorübergehend in ein Hotel umzogen, bis sie einen Geister-Spezialisten hergerufen hätten, verbuchte ich das doch als Teilsieg. Endlich wieder Ruhe in meinem trauten Heim.
 

Die 14-jährige Tochter hatte in ihrem Freundeskreis ein paar Goths, bei denen meine Eskapaden auf reges Interesse zu stoßen schienen. Das gedachte ich nicht zu unterstützen. Mein Haus war keine Touristen-Attraktion. Hätte ich denen was vorgespukt, wären hier wahrscheinlich häufiger solche verkorksten Teenager ein und aus gegangen, um sich darüber zu freuen, wenn ich Gegenstände bewegte. Also verhielt ich mich zunächst still, als der Weiberhaufen rufend durch mein Haus zog und nach mir verlangte. Ich gebe zu, das Ouija-Brett, das sie bei sich hatten, reizte mich ja schon. Sie fragten mich, wer ich war und was ich wöllte. Dazu hätte ich kein Ouija-Brett gebraucht. Zettel und Stift hätten völlig gereicht, um ihnen alles Nötige mitzuteilen. Aber der Gedanke an sich war doch ganz nett. Das ich darauf nicht eher gekommen war. Einfach ein Briefchen schreiben: „Liebe Hausbewohner, ich entschuldige mich für das Theater in den letzten Monaten. Ich wollte ganz bestimmt keine Umstände machen oder Sie ärgern. Aber wären Sie wohl jetzt so freundlich, mein Haus wieder zu verlassen? Höflichst, Ihr R.R.“ ... Aber das geziemte sich für einen Geist nicht. Wenn man Ehre im unsichtbaren Leib hatte, hinterließ man keine Beweise.

Nun gut, ich will nicht verschweigen, wie das ganze Drama endete. Der gackernde Hühnerhaufen saß vergeblich um das Ouija-Brett, um mit mir Kontakt aufzunehmen, ich hingegen zeigte mich nicht sehr gesprächig. Allerdings blieb ich im Vorbeigehen am Ledersofa hängen und verrückte dieses um einen reichlichen halben Meter. Die aufgeschreckten Mädchen sprangen hoch wie die Knallfrösche und flohen kreischend Hals über Kopf aus meinem Haus. Die Tochter der Sippe allen voran, obwohl sie es an sich hätte gewohnt sein können. Andererseits, Möbel durch die Gegend geschoben hatte ich in der Tat noch nie.
 

Da die Aussicht auf einen professionellen Geisterjäger mir jedoch ernstliche Sorgen bereitete, unternahm ich nach einer Weile erneute Versuche, das Haus zu verlassen. Wer weiß, vielleicht fand ich ja sogar irgendwo ein anderes schönes Häuschen, wo ich meine Ruhe vor der Sippe hatte. Denn, daß die Sippe nicht ausziehen würde, hatte ich inzwischen missmutig eingesehen. Die Sonne also war mir schlecht bekommen, daher fanden meine nächsten Experimente nachts statt. Es war eine regnerische, windige Nacht, als es mich wieder zur Tür Richtung Hintergarten trieb. Ich öffnete, trat vorsichtig einen Schritt hinaus und wurde sofort vom Sturm ergriffen. Ich verlor den Türgriff, an dem ich mich hatte festhalten wollen, und wurde heillos davongefegt. Als ein einziges Knäuel aus herumwirbelnden Armen und Beinen kugelte ich über den Rasen in die Rosenhecke, die mir endlich wieder ein wenig Windschatten bot. Der Regen hagelte auf mich herunter wie eine Eislawine und knüppelte mich kompromisslos nieder. Ich wurde zerstoben und in die Erde hineingespült wie ein Nebelfetzen. Ohne das Geringste dagegen tun zu können. Als ob man auf einer Wildwasserrutsche abwärts schießt und weder anhalten noch reagieren kann. Man ist machtlos. Furchtbar. Ich schätze, es war mein großes Glück, daß unter dem Rasen mein Keller lag. Ich wurde quasi durch die Erde hindurchgesiebt und tropfte dann pitschnass, durchgequirlt und tierisch sauer von der Decke des Waschkellers. Immerhin war ich wieder im Haus und damit in wankelmütiger Sicherheit. Die Tür hinauf ins Erdgeschoss war freundlicherweise nicht abgeschlossen, da sie direkt in die Küche führte. Den Rest des Abends verbrachte ich schlecht gelaunt auf meinem Ledersofa und schaute – passenderweise – einen Geisterfilm. Das war der einzige Moment, in dem ich mir tatsächlich wünschte, es wäre jemand von der Sippe hier, den ich mit seinem Geröll hätte bewerfen können.

Ein altes Geistergesetz besagt, daß in der Geisterstunde zwischen 0 und 1 Uhr alles erlaubt ist. Leider erzielten meine späteren Versuche, meinem Haus zumindest in diesem Zeitfenster zu entfliehen, ebenfalls nicht den erhofften Erfolg. Ich entkam auch durch keines der Fenster. Bei dem makaberen Vorhaben, mich aus dem Dachfenster zu stürzen, knallte ich nur erneut äußerst schmerzhaft durch den Rasen hindurch ins Kellergeschoss, in das mich schon der Regen hinunterbefördert hatte. Wie ich´s drehte und wendete, ich konnte mein Haus nicht verlassen, selbst wenn ich es gewollt hätte. Wann immer ich mich länger als einen Augenblick außerhalb der Gemäuer aufhielt, wurde ich verbrannt, verweht, zerspült oder was auch immer.
 

Entsprechend mürrisch war ich bereits, als die Sippe wenige Wochen später wieder in mein einsames, ungestörtes Leben hineinplatzte. In ihrem Gefolge, siehe da, der Experte für paranormale Phänomene. Ich überlegte einen Moment, ob ich mich tot stellen sollte – was für einen Geist schon ziemlich paradox ist, mir aber wohl viel Ärger mit diesem Herrn erspart hätte – oder ob ich ihn herzlich willkommen heißen sollte. Mit einer Bratpfanne im Gesicht, oder etwas in der Art. Die Sippe war so freundlich, mir eine hier zu lassen, als sie ins Hotel umgezogen waren.

Auf seine sehr gewichtig anmutenden „Ist jemand oder etwas hier, der oder das kommunizieren möchte?“-Rufe gab ich zunächst nicht viel. Ebensowenig auf seine skurrilen, pfeifenden und kratschenden Gerätschaften, mit denen er in der Luft herumfuchtelte und Messungen vornahm, wenngleich ich diesen Geräten lieber aus dem Weg ging. Ich war weder radioaktiv, noch wollte ich es mit Hilfe dieser Apperaturen werden. Wer allerdings das Radio aktiv machte, war der Sippen-Thronerbe, der gerade wieder seinen Lärm über den Musikkasten laufen ließ. Er brachte mich zur Weißglut mit diesem Gedröhne. Mir schnappte eine Sicherung raus. Ich schaltete unsanft den Krach ab, packte den halbstarken Kerl bei seinen langen Haaren und zerrte ihn ein paar Schritte von der Anlage weg. Der Rest der Familie kreischte auf. Der Sohnemann taumelte vor mir zu Boden. Rasend vor Wut griff ich nach seinem Hals und versuchte ihn zu würgen. „Lass diesen unseligen Lärm bleiben!“, schrie ich ihn an.

„Lass diesen unseligen Lärm bleiben!“, schrie er. Mit meiner Stimme!

Schockiert wich ich vor ihm zurück. Er redete mit meiner Stimme! Nur um einen Wimpernschlag zeitversetzt. Etwa so wie ein hohles Echo in einem leeren Raum. Ich keuchte und starrte ihn entgeistert an. Der Junge machte mir Angst. Er sagte, was ich sagte! Mit meiner Stimme! Mit welchem Recht redete er mit meiner Stimme? „Hörst du mich?“, hakte ich aus sicherer Entfernung nach.

„Ryan! Mein Gott! Bist du in Ordnung?“, plärrte seine Mutter dazwischen und stürzte zu ihm hin. „Was war das? Was hast du getan?“

„Was ...!?“. gab der junge Mann nur verwirrt zurück und griff sich an den Kopf.

„Du hast total schrecklich geklungen! Wie besessen!“

„Echt?“, machte er ratlos und versuchte wieder auf die Beine zu kommen.

Ich wurde schon wieder sauer. Die ignorierten mich! Während die aufgeschreckten Eltern der Sippe mit dem Geisterjäger diskutierten, was das eben für ein Phänomen gewesen sei, wetterte ich weiter auf den Sohn ein. Unbeachtet. Er schien mich nicht zu hören. Keiner schien mich zu hören. Die 14-jährige Tochter heulte herum. Das nervte. Wieder packte ich den Sohn an der Schulter. „... und verschwinde verdammt nochmal aus meinem Haus, du Hund!“

„Und verschwinde verdammt nochmal aus meinem Haus, du Hund!“, quatschte er mit mir gemeinsam wie im Duett.

Wieder zuckte ich zurück. Ich konnte durch ihn reden, wurde mir klar. Wenn ich ihn berührte, sagte er, was ich ihm vordiktierte. ... Man, war das gruselig! Ich schauderte. Glotzte ihn verängstigt an. So wie der Rest seiner Sippe ihn ebenso verängstigt anglotzte. Seine Schwester jaulte hysterisch, daß sie auf der Stelle hier raus wolle.

„Wieso gehst du nicht weg?“, brüllte seine Mutter blind in den Raum hinein, ebenfalls schon mit Tränen in den Augen. Sie fiel ihrem Sohn um den Hals, als könne sie ihn so vor mir beschützen, und hielt ihn fest. „Lass meinen Ryan in Ruhe!“

Ich stutzte. Was war das denn für eine Frage? Warum ich nicht wegging? Zögerlich griff ich wieder nach der Schulter des Jungen. „Ich bin nicht freiwillig hier!“, stellte ich klar. Beziehungsweise stellte er es für mich klar. Mit meiner Stimme. Gruselig. Echt gruselig. Panisch floh sie wieder vor ihrem besessenen Spross. Ich lachte ein zynisches Lachen. Wenn die wüssten, daß ich armer Geist mehr Angst vor denen hatte als die vor mir ... Leider gab der Junge mein dreckiges Lachen ungefiltert wieder, da ich ihn immer noch festhielt, und zeichnete den Leuten damit gleich ein falsches Bild von mir.

„Was willst du denn?“, zickte die Frau der Sippe herum, entweder mutig geworden anbetracht ihrer professionellen Begleitung, oder sauer weil ich ihren Sohn in der Mangel hatte. Ich tippte auf ersteres.

„Zuerst mal will ich, daß ihr verschwindet! Das ist mein Haus!“

„Das fällt dir aber zeitig ein. Wir leben hier seit über 10 Jahren!“

Mist ... 1 zu 0 für die Sippe.

„Bitte, wir wollen uns mit den übernatürlichen Mächten nicht streiten.“, ging der Para-Experte beschwichtigend dazwischen. „Lasst uns das Gespräch von vorn beginnen, okay? Wir wollen uns einander vorstellen. Ich bin Luke Gutterfield und arbeite tagtäglich mit Situationen wie dieser hier. Das dort sind Maik und April Sheppert und ihre Tochter Lil.“ Er deutete auf das heulende Gör. „Der junge Mann, durch den du gerade sprichst ...“

„ ... ist Ryan, ich weiß. Ich kenne diese Leute.“, unterbrach ich den Wichtigtuer.

„Das ist schön. Dürfen wir auch deinen Namen erfahren?“, gab der betont freundlich zurück und hielt weiter sein Mikrophon in den Raum.

„Schalt die Aufnahmen ab!“

„Schon gut, ich schalte sie ab. Ich schalte ab, siehst du?“, befleißigte er sich und kam meiner Aufforderung tatsächlich nach. „Besser so? ... Jetzt können wir reden, ja? ... Wollen wir uns setzen?“

Mürrisch schob ich den wie weggetreten dastehenden Jungen vor mir her. Nun, da ich mich einmal so spektakulär geoutet hatte, konnte ich den Leuten auch den Gefallen tun und mit ihnen reden. Wer weiß, vielleicht ging es ja doch in meinem Sinne aus. Ich bugsierte mein menschliches Sprachrohr auf das alte Ledersofa und setzte mich dann daneben. Zu meiner Freude hielten alle Abstand von dem „besessenen“ Kerlchen, sonst hätte sich noch jemand auf mich draufgesetzt.
 

„Na schön. Möchtest du uns verraten, wer du bist?“, hob der Geisterjäger erneut an.

„Er soll meinen Jungen in Frieden lassen!“, ging die Frau besorgt dazwischen. „Sag ihm das!“

„Das kannst du ihm selber sagen, April. Er hört dich. Und er tut deinem Sohn ja nichts. Er redet nur. Kein Grund zur Panik.“

„Nein, will ich euch nicht verraten.“, fiel ich ins Gespräch, um die beiden zu unterbrechen. Ich hatte jetzt wahrlich keine Lust, mir die Diskussion der beiden anzuhören. „Aber ich werde wohl sowieso nicht drum herum kommen. Also machen wir es kurz. Ich bin Robert Ruger, geboren in Seattle im Jahr 1882. Und das hier ist mein Haus, in dem Sie gerade herumschnüffeln.“ SIE! In dem SIE gerade herumschnüffeln. Langsam kamen meine guten Manieren wieder zum Vorschein, die ich in meiner Wut vergessen hatte.

„Ja, das ... das sagten Sie bereits.“, gab der Herr Experte zurück und passte sich dabei reflexartig an mein gehobenes Höflichkeitslevel an. „Wann und wie sind Sie gestorben, Robert?“

„Das weiß ich nicht.“

„Was ist denn das Letzte, woran Sie sich erinnern?“

„Keine Ahnung. Ich kann Ihnen sagen, was das Erste ist, an das ich mich wieder erinnere. An dieses Geplärre, das der junge Mann hier für Musik hält.“

„Die Musik hat Sie geweckt, Robert?“

„Mein Sohn hat dieses Metal-Zeug schon früher gehört.“, raunte April dem Geisterjäger von der Seite zu. Sie hatte wohl Angst, direkt mit mir zu sprechen.

„Das hat nichts zu sagen. An der Musik muss es nicht gelegen haben. Der Geist war schon vorher da.“ Er wandte sich wieder uns zu – dem Jungen, der für mich redete, und mir. „Robert, wie alt sind Sie?“

„Können Sie nicht rechnen? Über 130 Jahre!“, knurrte ich gereizt.

„Nein-nein, ich meinte, wie alt waren Sie, als Sie gestorben sind? Wenn wir den Zeitpunkt und die Umstände Ihres Todes in Erfahrung bringen, können wir Ihnen vielleicht helfen.“

„Ich brauche keine Hilfe!“, maulte ich. Obwohl ich genau wusste, daß dem nicht so war. Ich brauchte Hilfe. Wirklich. Ich hatte ja selber gemerkt, daß ich das Haus nicht verlassen konnte. Wollte ich denn bis in alle Ewigkeit in diesen 60 Quadatmetern Mauerwerk gefangen bleiben, einsam, ohne Gesellschaft, und meinem Haus beim Verfallen zusehen? Es störte mich nur, die Hilfe so aufgezwungen zu bekommen. Einen Moment herrschte Schweigen. Alle starrten Ryan erwartungsvoll an, ob er wieder aufwachen oder vielleicht in meinem Namen weitersprechen würde. Also sah ich mich genötigt, als erster wieder etwas zu sagen. „Ich war 84 Jahre alt.“

Maik Sheppert, der Vater der Sippe, war am schnellsten im Kopfrechnen. „1966.“, murmelte er von der Seite. „Da muss er gestorben sein.“

„So lange leben wir noch nicht hier. Das Haus hatte einen anderen Vorbesitzer.“, gab seine Frau ihren Senf dazu.

Der Geisterexperte nickte. „Sie sind wohl eines natürlichen Todes gestorben, Robert. Eingeschlafen und nicht wieder aufgewacht. Das wäre in diesem Alter nicht ungewöhnlich. Es kam auch schon vor, daß Geister nach ihrem Tod so viele Jahre geschlafen haben, bis irgendwas sie wieder hat aktiv werden lassen. ... Das können wir aber nochmal in Erfahrung bringen, wenn Sie wollen.“

„Nein, will ich nicht.“, gab ich verstört zurück. Können Sie sich das vorstellen? Sie wachen eines Tages auf und sind tot? Und jemand sagt zu Ihnen mit einem gutgelaunten Lächeln 'Ich recherchier mal, woran du gestorben bist.'? Dieser Gedanke ist wirklich gespenstig. Es gibt Dinge, die will man einfach nicht wissen.

„Nagut, dann ... Was hält Sie denn noch hier, Robert? Wieso sind Sie nicht auf die andere Seite gegangen, ins Jenseits?“

Ich stutzte. Ich will nicht sagen, daß ich mir diese Frage in all den Monaten nie gestellt hätte. Ich hatte lange und intensiv überlegt, warum zur Hölle ich noch hier war. Nur auf die Antwort war ich noch nicht gekommen. Wahrscheinlich weil ich auch allgemein viel zu wenig aus meinem Leben vor dem Tod wusste. Ich wusste, daß das hier mein Haus war, und wie es eigentlich hätte eingerichtet sein sollen, wenn ich noch gelebt und es bewohnt hätte. Ich wusste noch ein paar Dinge aus meinem Leben. Ich hatte im Bergbau gearbeitet und hatte eine Frau gehabt, die schon viele viele Jahre vor mir diese Welt verlassen hatte. Aber ich konnte mich an nichts darüber hinaus erinnern. Nicht an die letzten Tage, Wochen und Monate. Nicht daran, ob etwas vorgefallen war. Nicht daran, was ich hinterlassen hatte. Nichts. ... Nichts. ... „Kommen Sie wieder, wenn Sie die Umstände meines Todes in Erfahrung gebracht haben.“, trug ich dem Geisterexperten auf, ohne auf seine Frage eingegangen zu sein, ließ den Jungen los und stand vom Sofa auf, um zu verschwinden. Ich hatte keine Lust mehr, mich weiter mit diesen Menschen zu befassen. Für den Moment war mein Bedarf gedeckt. Nun mochte er mal was tun für sein Geld. Eine einzige Frage blitzte noch auf. Ich hatte auf diesem Sofa gelegen, als ich aufgewacht war. Mein altes Ledersofa, das anscheinend mehr als einen Hausbesitzer-Wechsel überdauert hatte. Was wäre geschehen, hätte irgendjemand dieses Sofa aus dem Haus geworfen? Wäre ich dann auch mit rausgeflogen? Egal.
 

Ich hatte gehofft, nun vorerst wieder in Frieden gelassen zu werden. Wenigstens für ein paar Tage. Dieser Wunsch blieb mir jedoch verwährt. Die Sippe zog umgehend wieder in meinem Haus ein. Ihnen war wohl das Geld für das Hotel ausgegangen. Die Rücklagen waren inzwischen aufgebraucht, wie ich den Gesprächen entnehmen konnte. Und da sie nun zu wissen glaubten, mit wem oder was sie es zu tun hatten, sahen sie auch kein Problem mehr darin, in meinem Haus zu wohnen und meine Schikanen hinzunehmen. Zu ihrem Sohnemann hatten sie jetzt ein spürbar distanziertes Verhältnis. Sowohl die Eheleute als auch die jüngere Schwester hatten Angst vor Ryan, weil er derjenige gewesen war, der wie vom Satan beseelt mit meiner Stimme gesprochen hatte. Sie hatten Angst, daß er das jederzeit wieder tun könnte. Sie dachte, er sei <anders>. Der Gedanke, daß meine Wahl ganz zufällig auf ihn gefallen war, stand gar nicht zur Debatte. Der Junge ließ sich nicht anmerken, wie sehr er darunter litt, aber er tat mir zeitweise tatsächlich leid. Ja, man kann es Mitleid nennen, daß ich seinen Krach aus der Musikanlage nun duldete. Mit mir Kontakt aufzunehmen, solange kein Geisterjäger dabei war, versuchten sie allerdings nicht. Und ich legte auch keinen Wert darauf. Ich bewarf sie gewohnheitsmäßig weiter mit irgendwelchen nicht allzu gefährlichen Sachen, spukte nachts lautstark herum und rückte Möbel, weil ich dachte, das sei meine Pflicht. Und sie dachten wohl das selbe und ignorierten mich.
 

Es dauerte drei oder vier Tage, bis Geisterexperte Luke Gutterfield wieder zu Besuch kam. Er hatte in irgendwelchen Archiven ein wenig die Vergangenheit meines Hauses recherchiert und brachte stolz einige Neuigkeiten mit, auf die sogar ich neugierig war. Wie er vermutet hatte, war ich einfach von Alters wegen auf meinem Sofa eingeschlafen und nie wieder erwacht. Mein Haus hatte hernach ein britischer Offizier gekauft und als seinen Alterswohnsitz bewirtschaftet, dann war er in einen Altersstift gezogen und hatte das Haus einer Familie verkauft, zu der es nichts nennenswertes zu berichten gab, und letztlich hatte meine liebe Sheppert-Sippe es über drei entfernte Verwandtschaftsecken geerbt. In all der Zeit sei nie etwas außergewöhnliches vorgefallen. Nichts außergewöhnliches im Sinne von paranormalen Erscheinungen jedenfalls. Ich hatte also keinen der früheren Hausbewohner behelligt.

Zu meiner Person wurde ganz richtig festgestellt, daß eben jener Robert Ruger, geboren 1882, seinerzeit Erbauer, Besitzer und Bewohner dieses meines Hauses gewesen sei. Ich hatte nicht gelogen. Über mich sei auch gar nichts spannendes in Erfahrung zu bringen, berichtete der Geisterexperte der Sippe. - An dieser Stelle hatte ich das erste Mal das übermächtige Verlangen, mir irgendeinen Menschen zu schnappen und ins Gespräch einzugreifen. Aber ich unterließ es. - Ein braver, gesetzestreuer Mann sei ich gewesen, der seine Frau leider viel zu früh verloren hatte und seine letzten Jahre daher einsam verbracht hatte. Nie hätte ich mir etwas zu Schulden kommen lassen oder sei irgendwie aufgefallen, auch nicht positiv. Es gab keine Zeitungsartikel darüber, daß mir irgendwelche Ehrungen zuteil geworden seien. Meine einzige Erwähnung in der Presse erfolgte im Rahmen der Todesanzeige, welche standardisiert gewesen sei. Kurzum der Gaukler hatte rein gar nichts über mich herausgefunden, oder darüber, warum ich noch hier war. Das alles erzählte er der Sippe schon, bevor er mir mit „Robert? Sind Sie da?“-Rufen offiziell kundtat, daß er nun wieder Kontakt zu mir aufnehmen wolle. Wohl glaubte er, mir das alles nochmal erzählen zu müssen.

Alle starrten gebannt Sohnemann Ryan an, der sichtlich gar nicht begeistert davon war, als Medium zwangsmissbraucht zu werden. Ich gab mich auch sportlich und ließ den armen Jungen in Ruhe. Diesmal schnappte ich mir seine Mutter April. Ja, ich gebe es zu, ich alter Bock wollte auch gern mal wieder an einer Frau herumfummeln. Aber die minderjährige Tochter war mir dann doch zu gewagt. „Ich höre.“, meldete ich mich und amüsierte mich köstlich darüber, eine Frau mit meiner alten, greisen Männerstimme sprechen zu hören.

Der Geisterexperte schaute kurz irritiert zwischen Ryan und April hin und her, gab sich aber schnell damit zufrieden, daß ich mir diesmal wohl ein anderes Opfer gesucht hatte. Er hielt sich mal wieder an seinem Mikrophon fest wie ein Reporter. „Robert, ich habe einige Erkundigungen eingezogen.“

„Ich weiß, ich bin ja nicht taub. Schalten Sie die Aufnahmen ab!“

„Okay! Ich schalte sie ab. Kein Problem. Ich schalte ab. ... So, ist es jetzt besser?“

„Mit wem haben Sie über mich gesprochen?“, hakte ich nach.

„Oh, mit verschiedenen Leuten. Ich habe das Stadtarchiv konsultiert, die Polizei-Archive, einige Immobiliengesellschaften, die mit ihrem Haus zu tun hatten als es verkauft werden sollte ...“

„Die Polizei?“ Die Polizei ... irgendwas war mit der Polizei. In mir dämmerte etwas.

„Ja. Sie haben kurz vor ihrem Tod mit der Polizei gesprochen. Erinnern Sie sich noch daran, Robert?“

Ich schwieg. Ich konnte nichts dazu sagen. Erinnerte ich mich?

„Sie wollten eine Vermisstenanzeige aufgeben. Sie hatten Ihren Hund verloren.“

„Mein Hund!!!! Das ist es! Ich weiß es wieder! Wo ist mein Hund?“

Alle gafften mich entgeistert an. Oder viel mehr April, die mit meiner Stimme sprach. Mich konnten sie ja nicht sehen.

Der Geisterjäger, der solche Situationen wohl von Berufs wegen gewohnt war, fand als erster seine Sprache wieder. „Sind Sie deswegen noch hier, Robert?“, wollte er ein wenig verwundert wissen. „Wegen Ihrem Hund?“

„Die Polizei wollte ihn nicht suchen! Die sagten, Vermisstenanzeigen könne man nur für Menschen aufgeben. Oh, mein geliebter Pekko! Mein treuer Freund in den letzten Jahren meines Lebens!“ Mir stiegen heiße Tränen in die Augen. Konnten Geister weinen? Ich konnte es. „Mein Pekko.“

„Wir haben seit einer Weile einen Spitz.“, meldete Ryan leise aus dem Hintergrund und deutete in den Garten hinaus. „Vielleicht hat ihn das wieder aufgeweckt. Vielleicht dachte der Geist, das wäre sein Hund.“, meinte er, als ob ich ihn nicht hören würde.

Der Geisterjäger nickte. „Gut möglich. Wir müssen herausfinden, was aus dem Hund von Robert Ruger geworden ist.“

„Das dürfte schwierig werden, nach so vielen Jahrzehnten. Wenn die Polizei ihn nie gesucht hat!? Und er ist ja augenscheinlich auch nicht von alleine zurückgekommen, sonst wäre der Poltergeist ja nicht hier.“

„Mein Pekko!“, jaulte ich noch einmal tränenerstickt. „Mein geliebter Hund!“ Dann ließ ich April Sheppert los und rauschte völlig aufgelöst davon. Ich verkroch mich auf dem Dachboden um zu weinen und nachzudenken. Nein, mein Hündchen war nicht zurückgekommen. Ich weiß nicht mehr, ob ich damals vor lauter Trauer gestorben war, weil ich meinen Hund verloren hatte, oder ob ich immer noch als Geist hier war, weil ich auf ihn warten wollte, bis er wieder auftauchte. Aber egal wie ich´s betrachtete, der Hund war nach dieser langen Zeit so oder so tot. Ich würde ihn nicht zurückbekommen. Heulend rollte ich mich in einer Ecke zusammen und versumpfte in meinem Elend.
 

Keine Ahnung, wie lange ich da gelegen und mich selbst bemitleidet hatte. Ich kam jedenfalls wieder zu mir, als ich Stimmen um mich herum hörte. Und wunderte mich, daß ich in einer völlig fremden Umgebung war. Das war nicht mehr der Dachboden. Ich befand mich in einem weiß gekachelten Raum mit Empfangs-Theke. Gefließt. Leicht zu reinigen vom Dreck der Straßenschuhe, den etwaige Besucher hier hereinschleppten. Da ich mein Haus nie aus freien Stücken hatte verlassen können, war es mir ein Rätsel, wie ich hier gelandet war.

„Robert ... Ruger ... Robert ... Ruger ...“, betete die Frau am Tresen mantra-artig vor sich hin, während sie in einem dicken Stehordner wälzte. Maik Sheppert und der Geisterjäger standen vor ihr und warteten auf das Ergebnis ihrer Suche.

Ob es für Geister eine Einladung war, wenn man ihren Namen laut aussprach? War ich deshalb hier? Lange bevor ich weiter hinten im Gebäude einen Hund hatte bellen hören, wusste ich, daß das hier das städtische Tierheim war. Und dieses Bellen kannte ich! Das klang wie ... „Pekko!“ Vor Aufregung keuchend stürzte ich durch die Tür in den hinteren Trakt. „Pekko! Mein Schatz! Bist du das!?“

„Ja, hier. Robert Ruger.“, hörte ich die Frau am Empfang noch nebulös im Hintergrund. Nicht mehr als eine nebensächliche Geräuschkulisse. „1966. Das Herrchen ist verstorben, darum wurde der Hund zu uns ins Tierheim gebracht. Das Tier hat nie einer haben wollen. Es ist bis zu seinem Tod hier im Tierheim geblieben.“

Hinter der nächsten Ecke sprang ein etwas mehr als kniehoher, langhaariger, braun-schwarz-gescheckter Berner-Sennen-Mischling hervor und hechtete mir freudig entgegen. Ich erkannte ihn auf den ersten Blick wieder! „Mein Pekko!“, schrie ich fast. Pekko sprang mich aus vollem Galopp schwanzwedelnd an. Ich hatte keine andere Wahl als ihn aufzufangen. Wir stürzten von seinem Schwung gemeinsam hinterrücks zu Boden. Pekko wuselte freudig jaulend auf mir herum, leckte mir immer wieder das Gesicht, wuselte dann aufgedreht weiter. Er war ganz aus dem Häuschen. Genauso wie ich. Ich konnte nur noch glücklich lachen und immer wieder „Mein Pekko!“ von mir geben. Und sein langes Fell gründlich durchwuscheln. Er war schon immer so schön weich gewesen. „Hab ich dich vermisst! Hast du so lange hier auf mich gewartet? Du herzallerliebster Hund! Mein Pekko!“ Und immer wieder. „Mein Pekko!“

Langsam hüllte uns das Licht ein, das einen ins Jenseits hinübergeleitete. Meinen Hund und mich. Wir würden diese Reise gemeinsam antreten. Wieder vereint, nach so langen Jahren. Ich war glücklich.

„Nagut, dann können wir dem alten Robert Ruger zumindest etwas berichten, wenn wir wieder zu Hause sind.“, hörte ich Maik Sheppert noch zu dem Geisterjäger sagen.

„Nicht mehr nötig.“, rief ich noch, mit Freudentränen in den Augen. Aber sie hörten mich ja nicht.
 

Nicht mehr nötig ...



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Kommentare zu diesem Kapitel (2)

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Von: daietto_usagi
2017-02-12T23:28:41+00:00 13.02.2017 00:28
Oh wow, also ich muss sagen, die Story hat mir sehr sehr gefallen.
Als aller erstes... die Idee aus der Sicht des Geistes zu schreiben ist echt klasse.
Man lernte echt mal das Leben eines Geistes kennen, welches noch im Hier und Jetzt existierte.
Zwischenzeitlich tat der Geist mir sogar Leid, weil er einfach nur wie ein genervter Nachbar, seine Ruhe haben wollte und dies lautstark bekundete. XD Ja klar, wenn man einen schon nicht sieht und hört, dann muss man halt Dinge rumwerfen und auf sich aufmerksam machen, logisch. Versteh ich den Geist nur zu gut. Das Verhalten und die Denkweisen von Robert mit den darauffolgenden Handlungen, erinnern einen an diverse Poltergeistgeschichten. Nur das man diesmal richtig lesen kann, warum dies und das immer geschieht. Der Geist ist einfach genervt und wollte seine Ruhe und dafür hat er einiges getan. Verständlich.

Zwischendrin habe ich mich immer wieder gefragt: "Ja warum hat er so viele Jahre aber nichts mitbekommen, obwohl die Familie schon länger drin gewohnt hat und auch die Musik schon Monate/Jahre vor seinem Erwachen vorhanden war?!" Tja, gegen Ende wurde das ja gut erklärt.... wegen dem Hund. Und genau dieser war der Grund, warum Robert nach seinem Tod und ewigen Schlafen wieder erwachte und als Geist rumspuckte. Er war einfach auf der Suche nach seinem Hund.

Das Ende war auch sehr schön geschrieben, das sie sich doch noch getroffen haben. Hund und Besitzer und beide so zusammen auf die andere Seite konnten. Doch eins frag ich mich noch... was war mit dem Hund? Steckte er dann auch die ganze Zeit in dieser toten Geisterwelt noch fest? Nur halt nicht im Haus, sondern in einer Art Zwischenwelt? Welches das geistige Tierheim quasi war? Schwebte der Hund genau zwischen der realen Welt, wo er hätte Menschen auch bespuken können und der zielerstrebenden "Anderen Seite"? Offensichtlich.

Egal wo er auf sein Herrschen wartete, beide haben sich wiedergefunden und so hatte doch alles ein Happy End.
Einfach eine sehr schön erzählte Story. Haste die gut ausgedacht. ^u^b
Antwort von: Futuhiro
13.02.2017 13:50
Yeay, schön, daß sie dir so gefällt. ^^
Ja, Pekko hat genauso als Geist da rumgelungert und gewartet, daß er abgeholt wird, die treue Seele. ^^
Von:  Blue_StormShad0w
2017-01-30T22:05:07+00:00 30.01.2017 23:05
Guten Abend wünsche ich.
Eine wirklich tolle Geistergeschichte. Und so original. Das ganze aus der Perspektive des Geistes Robert zu schildern war eine sehr gelungende Idee. Auch war sie auch sehr spannend geschrieben und man konnte es sich auch gut vorstellen.
Das er wegen seinen Hund Pekko auf der Welt noch verweihlt hatte fande ich sehr traurig. Ja, ein Tier ist für mich auch keine Sache, sondern ein festes Familienmitglied. Und zum Glück wahren sie beide wieder zusammen und sind gemeinsam auf die Andere Seite gegangen.
Eine super Story. Hut ab.
So, wünsche noch 'ne angehme Nacht - und ohne Poltergeist. (^-^)
Also dann, ciao!
Antwort von: Futuhiro
31.01.2017 16:02
Hallo zurück ^_^)/

Freut mich riesig, daß die Idee, mal ne Story aus Sicht des Geistes wiederzugeben, so gut angekommen ist. In Geistergeschichten geht es ja in der Regel doch eher um die Menschen, die da 'begeistert' werden, und ich wollte den Spieß schon lange mal umdrehen und mal ergründen, wie es dem Geist dabei eigentlich gehen könnte. :D

Ich fände den Gedanken auch schön, wenn man im Jenseits seine geliebten Haustiere wiedertrifft, die man zu Lebzeiten gehen lassen musste. QuQ


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