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Stolen Dreams Ⅳ

von

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18. Kapitel

Das Erste, was Artjom tat, als er am nächsten Morgen aufwachte, war mit geschlossenen Augen nach Misha zu suchen und ihn zu sich zu ziehen, aber die Stelle, auf welcher der Junge gestern Abend noch gelegen hatte, war nun kalt und leer. Artjom öffnete seine grünen Augen und sah sich um. Misha konnte nur hier oder im Badezimmer sein; die andere Tür, die zum Flur führte, hatte er abgeschlossen, damit der Kleine nicht unbemerkt abhauen konnte.

Artjom wollte ins Bad gehen, um dort nach seiner persönlichen Droge zu schauen, aber als er sich erhob, erkannte er, dass das gar nicht nötig war. Misha lag vor dem Bettende auf dem Boden, wo man ihn von Artjoms Position aus nicht sehen konnte.

„Willst du dich etwa vor mir verstecken?“

Das kleine, in Verbände gewickelte Häufchen Elend rührte sich nicht vom Fleck. Es schluckte nervös und presste ängstlich die Augen zu. Die ganze Nacht lang hatte es auf dem kalten Boden gelegen, weil ihm das lieber war als sich in der Reichweite dieses brutalen Grobians zu befinden, der sich gerade über das Bett beugte, Misha hochhob und ihn neben sich auf die Matratze zog.
 

„Was hast du da unten gemacht, hm?“

„M-mich vor dem Monster versteckt“, antwortete Misha mit zitternder Stimme und hoffte, dass Artjom dachte, die Rede sei von Charly, die auf einem der Kopfkissen schlief und gelegentlich mit den großen Ohren zuckte.

Der Ältere ging nicht weiter darauf ein und legte einen Arm um Misha, dessen Unbehagen selbst einem Blinden nicht entgangen wäre. Er ließ seine Hand unter das dünne T-Shirt gleiten, strich dem Kleinen zärtlich über die Brust und küsste ihn sanft in den Nacken, was den Jungen zu Stein erstarren ließ. Er war vor Angst wie gelähmt und konnte sich erst aus seiner Starre lösen, als er spürte, wie Artjoms Hand zu den blau, violett und rot gefleckten Rippen wanderte.

„Kö-könntest du das bitte lassen?“, murmelte Misha schüchtern. „Ich... mag das nicht.“

Als Antwort biss Artjom ihn in den empfindlichen Nacken, woraufhin der Junge versuchte sich von ihm zu befreien, was natürlich genau so endete, wie alle anderen Auseinandersetzungen bis jetzt geendet hatten.
 

Artjom verpasste Misha einen kräftigen Tritt und beförderte ihn auf den harten Boden, wo der Kleine sich deutlich hörbar das linke Knie aufschlug und gequält ächzte. Ein starker Schmerz schoss durch sein Bein. Er begann zu weinen und kippte zur Seite um, während Artjom angespannt auf den Jungen herabsah und sich mit aller Macht davon abhielt, Misha tröstend über den Rücken zu streichen und ihn in den Arm zu nehmen.

Charly schreckte auf und sprang vom Bett. Sie sah sich alarmiert um, ehe sie neugierig an Mishas braunem, sicherlich nach Blut riechendem Haarschopf schnupperte und danach zu Artjom schaute. Ihre großen, braunen, fast schwarzen Augen schienen zu sagen: „Was in Gottes Namen ist dein Problem?“

„Halt die Klappe!“, knurrte Artjom, woraufhin Misha zusammenzuckte und sofort verstummte, unwissend, dass er gar nicht gemeint war.

Der Russe stieg aus dem Bett und seufzte genervt.

„Komm, wir stehen jetzt auf. Ich habe heute etwas Wichtiges vor.“
 

Misha rührte sich nicht von der Stelle, sondern blieb reglos liegen und schniefte manchmal leise. Auch als Artjom ihn vorsichtig an den Armen packte und auf die Beine zog, zeigte sich keine Spannung in seinem Körper.

„Ich halte das nicht mehr aus“, wisperte er kaum hörbar, während ihm Tränen vom Kinn tropften. „Gib mir endlich den Gnadenstoß.“

Oh Misha...

„Ich habe keine Zeit für den Blödsinn“, fauchte Artjom und stieß den Jungen grob Richtung Bett, wobei das T-Shirt des Kleinen verrutschte und die ganzen Blutergüsse und Verbände zum Vorschein kamen.

Hör endlich auf damit!, hörte Artjom seine eigene Stimme in seinem Kopf kreischen. LASS IHN IN RUHE!

Artjom hielt das nicht mehr aus. Er wollte Misha an den Haaren packen und sein Gesicht mit voller Wucht gegen den gefliesten Boden rammen, aber gleichzeitig wollte er ihn auch umarmen und--
 

„Steh auf und zieh dich an“, presste er zwischen zusammengepressten Zähnen hervor. Seine Stimme klang wegen der ganzen Anspannung ziemlich rau. „Wir machen uns jetzt fertig und fahren dann los, verstanden?“

Mit diesen Worten wandte er sich von dem kleinen Häufchen Elend ab, das sich immer noch nicht von der Stelle gerührt hatte, und ging nach unten in die Küche, wo er sich einen Kaffee machte und wieder runterzukommen versuchte.

So kann das nicht weitergehen. Dieses ewige Hin und Her macht mich krank; ganz zu schweigen von dem, was es mit Misha anstellt.

Gedankenverloren nippte er an seiner Tasse und ließ Charly in den Garten. Während sie ein wenig in der Erde scharrte und in den Sommerflieder neben dem kleinen Schuppen mit den Gartenwerkzeugen pinkelte, lief er die Terrasse auf und ab und dachte über Misha und seine Beziehung zu ihm nach. Er war so sehr in seine Gedanken vertieft, dass er gar nicht bemerkte, dass er von jemandem beobachtet wurde, der nicht erst seit jetzt ein Auge auf Artjom geworfen hatte.
 

Charly lief zurück zu ihrem Besitzer, als sie plötzlich innehielt, die Ohren spitzte und über den Zaun Richtung Straße sah, wo sich ein einziges Auto befand. Artjom stieg von der Terrasse und stellte sich vor den Zaun, der die Einfahrt von dem Garten trennte. Wer auch immer dort in dem fremden Wagen hockte, hatte jetzt einen perfekten Blick auf Artjom, der gelassen in seinem Garten stand, nur mit einer dunklen Boxershorts gekleidet war und eine Kaffeetasse in der Hand hielt.

„Verzieh dich“, knurrte Artjom, der nicht wusste, wer die Person im Auto war, aber eine ungute Vorahnung hatte.

Als hätte jene Person ihn gehört, erwachte der Motor mit einem brummenden Geräusch zum Leben und das Fahrzeug fuhr davon. Artjom sah ihm hinterher, bis es aus seinem Sichtfeld verschwand, ehe er ins Haus zurückkehrte und ins Schlafzimmer ging, wo Misha immer noch vor dem Bett lag und sich nicht von der Stelle rührte.

„Welchen Teil an ''Steh auf und zieh dich an'' hast du nicht verstanden?“, fauchte er ungeduldig und zerrte den Jungen grob auf die Beine, der, sobald Artjom ihn losließ, wie eine leblose Puppe in sich zusammenbrach und nicht gerade sanft auf dem Boden aufkam.
 

Zuerst dachte Artjom, Misha wäre ohnmächtig, aber der Kleine war bei vollem Bewusstsein. Er zog ihn erneut nach oben, aber diesmal überließ er ihn nicht sich selbst, sondern legte ihn vorsichtig auf dem Bett ab.

„Ich weiß nicht, was das werden soll, aber es nervt. Hör auf damit.“

Misha antwortete nicht. Sein linkes Knie war gerötet und leicht geschwollen.

„Hier sind deine Klamotten“, fuhr Artjom unbeirrt fort und warf Misha seine Kleidung zu, die nur einen knappen Meter entfernt auf dem Boden lag. „Zieh dich endlich an.“

Artjom fischte ein paar Kleidungsstücke für sich aus seiner Tasche, verschwand damit im Badezimmer und kam eine halbe Stunde später frisch geduscht und angezogen aus dem Bad. Misha hingehen lag immer noch in seiner Unterwäsche und seinem T-Shirt auf dem Bett und starrte ausdruckslos auf einen bestimmten Punkt der Zimmerdecke.

„Sag mal, willst du mich provozieren oder was soll das werden?“
 

Von Misha kam immer noch keine Reaktion. Auch als Artjom ihm eine Ohrfeige verpasste, machte er keine Anstalten, sich zu wehren oder zu protestieren, woraufhin der Größere allmählich verstand, dass seine Handlungen nicht nur auf Mishas Körper Verletzungen hinterließen.

„Kleiner, ich werde mich heute mit einer jungen Frau treffen und mit ihr etwas Wichtiges besprechen. Und danach können wir vielleicht zu Hannah gehen, okay?“

Alles, was Artjom damit erreichte, war, dass Misha stumm zu weinen begann.

„Schön, du hast gewonnen. Was soll ich tun, damit du wieder normal wirst?“

Langsam, aber sicher wurde dem Älteren bewusst, dass er nicht der Erste mit diesem Gedanken war. So hilflos, ratlos und verzweifelt, wie er sich jetzt fühlte, musste sich auch Misha gefühlt haben, als Artjom ihn immer und immer und immer wieder geschlagen hatte.

Wie in einer Trance hob er den Kleinen hoch und drückte ihn behutsam an sich. Er schlang seine kräftigen Arme um den zierlichen, vor Angst und Kälte bebenden Körper und vergrub das Gesicht in Mishas Halsbeuge.
 

Artjom verharrte mehrere Minuten in dieser Position. Er wünschte sich, dass der Junge den Kopf gegen seine Schulter lehnen und die grazilen Fingerchen unsicher in seine Jacke krallen würde, aber Misha tat nichts dergleichen, sondern hing reglos wie eine Leiche in seinen Armen und zitterte mal mehr und mal weniger stark.

„Komm schon, Kleiner. Wir bringen dieses Treffen jetzt hinter uns und danach fahre ich dich zu Hannah, okay? Was hältst du davon?“

Von Misha kam keine Antwort. Artjom wusste nicht, was er jetzt noch tun könnte. Er löste sich von dem Jungen, zog ihn an, ordnete mit der Hand vorsichtig das braune Haar und trug ihn anschließend zum Auto, wo er ihn auf dem Beifahrersitz absetzte und anschnallte. Er kam sich vor, als würde er keinen 16-Jährigen, sondern eine lebensgroße Puppe mit sich herumtragen.

„Falls irgendetwas ist, sagst du es einfach, okay?“

„...“

„Ach Misha.“ Er seufzte. „Es tut mir leid.“
 

Die Fahrt dauerte etwa eine Dreiviertelstunde, in der Artjom Alleinunterhalter spielen musste. Misha schwieg und bewegte sich nicht, von gelegentlichem Blinzeln und nervösem Schlucken mal abgesehen.

„Die Frau, die hier wohnt, heißt Sina“, sagte der Ältere, als er vor einem großen Hochhaus parkte. „Ich kenne sie nicht, aber anscheinend war sie eine Bekannte von Viktor.“

„K-kann ich im Auto warten?“

Artjom war sich im ersten Moment nicht sicher, ob er sich die Stimme eingebildet hatte oder Misha wirklich aus seiner Starre erwacht war. Er sah zu dem Jungen, der geistesabwesend auf das Handschuhfach starrte, und widerstand dem Drang, ihm über die blasse Wange zu streichen.

„Nein, das geht nicht. Ich habe Bedenken, dass du in meiner Abwesenheit auf blöde Ideen kommen wirst. Außerdem möchte ich dich bei mir haben“, antwortete der Größere und schaltete den Motor ab. „Kannst du alleine gehen oder soll ich dich wieder tragen?“
 

Das Schweigen, das er daraufhin erhielt, nahm er seufzend hin und stieg aus dem Auto. Mit Misha auf dem Arm betrat er das Gebäude und stellte sich in den Fahrstuhl, in dem eine Frau mit ihrem jungen Sohn stand.

„Mama, warum guckt der Junge so traurig?“, fragte der Dreikäsehoch, woraufhin seine Mutter ihn mit einem tadelnden Blick strafte und ihn zwei Etagen höher aus dem Fahrstuhl zerrte.

„Lass mich runter“, sagte Misha, sobald die beiden verschwunden waren.

„Wie du meinst“, erwiderte Artjom, als der Jüngere sich plötzlich an ihn krallte. „Alles okay?“

„Ja... ich dachte, du würdest mich fallen lassen.“

Artjom verdrehte die Augen, obwohl er Mishas Angst nachvollziehen konnte, und setzte den Jungen vorsichtig ab. Der Kleine ächzte leise und entlastete sein linkes Knie.

„Sorry wegen heute Morgen... und wegen den anderen Tagen, an den ich dir Schmerzen zugefügt habe.“

Misha sagte nichts. Artjom konnte sich so viel entschuldigen wie er wollte – das würde absolut nichts ändern.
 

Der Ältere seufzte. „Wie lange kennen wir uns schon?“

„Seit... einer Woche, glaube ich“, murmelte Misha, der seine Finger zum Zählen verwendet hatte und nicht fassen konnte, dass eine einzige Woche bei diesem Monster gereicht hatte, seinen gesunden Körper zu einem Fall für die Intensivstation zu machen.

„Eine Woche, hm?“ Artjom war ebenfalls verwundert, aber aus einem anderen Grund. Es hatte für ihn nur eine Woche gedauert, von seiner persönlichen Droge abhängig zu werden, gegen die er sich trotz dem bereits entschiedenen Kampf noch zu wehren versuchte. Selbst jetzt kämpfte er gegen das Verlangen an, Misha gegen die Spiegelwand des Fahrstuhls zu drücken, sein hübsches Gesicht mit Küssen zu übersehen und seine Hände über die weiche Haut des Jungen wandern zu lassen.

Gott, ist das abartig. Der Kleine ist 16 und halbtot. Was ist falsch bei mir, dass ich mich zu so jemanden hingezogen fühle?

„Misha, wenn ich dich fragen würde, ob ich dich küssen darf, was würdest du sagen?“

Angesprochener wandte den Blick nicht von der Fahrstuhltür ab. „Ich glaube, das kannst du dir denken“, sagte er. „Aber... wenn du nicht so ein Unmensch wärst, hättest du wahrscheinlich eine Chance gehabt.“



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Kommentare zu diesem Kapitel (6)

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Bitte keine Beleidigungen oder Flames! Falls Ihr Kritik habt, formuliert sie bitte konstruktiv.
Von:  Sundy
2018-09-14T08:27:15+00:00 14.09.2018 10:27
Also... Eingentor geschossen
Von:  Arya-Gendry
2018-05-26T18:24:37+00:00 26.05.2018 20:24
Tja Artjom mit deiner Art hast du alles Kaputt gemacht. Und ob der Kleine dir überhaupt normal trauen wird ist fraglich. Wenn dann wird es lange dauern.
Bin schon auf das nächste Kapitel gespannt. ;)
LG.
Von:  Mamesa
2018-05-26T14:20:04+00:00 26.05.2018 16:20
Ahhhhhhhh arti du dummes ding 😒 sirhste mal was du in 1 woche alles kaputtbekommst
Von:  Onlyknow3
2018-05-26T11:54:18+00:00 26.05.2018 13:54
So ist es eben wenn zuschlägt ohne nach zu denken. Artjom sollte sich von seinem Bruder Rat holen.
Das würde auch Misha zu gute kommen, und er wäre wohl nnicht so verstört das er sterben will.
Außerdem sollte er aufpassen das man ihm den Jungen nicht weg nimmt.
Wer auch immer der Typ war der hat was vor, und ist sicher nichts gutes.
Weiter so, freue mich auf das nächste Kapitel.

LG
Onlyknow3
Von:  Liescha
2018-05-26T11:08:58+00:00 26.05.2018 13:08
Sorry dass ich Frage, hab es nicht mehr auf dem Schirm, aber ist Misha schwul?
Antwort von:  Yukito
26.05.2018 13:18
Er will und kann es nicht wahrhaben, aber ja, er ist schwul. Als er noch zur Schule ging, schwärmte er für Alex, und Artjom fand er auch attraktiv, allerdings nur zu der Zeit, als er ihn kaum kannte.
Antwort von:  Liescha
27.05.2018 14:07
Danke :) ich glaube ich lese einfach noch mal von vorne


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