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Das letzte Gefecht

Shinjitsu Wa Itsumo Hitotsu
von

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Das Verschwinden des seltsamen Kindes oder: Nur noch wenige Milimeter von der Wahrheit entfernt

Kapitel 7 – Das Verschwinden des seltsamen Kindes oder: Nur noch wenige Milimeter von der Wahrheit entfernt
 

-England, London, 28 Jahre vor Shinichis Verjüngung-
 

Freundlich lächelte er die junge Frau mit den langen, braunen Haaren an. Sie trug eine Brille, hinter welcher sanfte grüne Augen strahlten. Sie war in ein elegantes Kostüm gehüllt und sog jedes seiner Worte scheinbar begierig in sich auf. An dem konzentrierten Ausdruck in ihrem Gesicht konnte er erkennen, dass sie vom Fach war und jeder seiner Ausführungen folgen konnte, egal wie tief er ins Detail ging.

Sie wirkte eher ruhig, nachdenklich und in sich gekehrt, in ihren Augen jedoch loderte ein Wissendurst, der ihn auf seltsame Art und Weise faszinierte. Nachdem er noch eine Weile mit Professor Neil von der Stanford-University gefachsimpelt hatte, und dieser sich nach einer Weile schweren Herzens und vielen Worten des Lobes von ihm verabschiedet hatte, begann sich der Saal um ihn herum immer mehr zu leeren. Er bemerkte, dass die junge Frau noch immer in seiner Nähe stand, bisher hatte sie noch immer kein einziges Wort mit ihm gesprochen. Um nicht unhöflich zu sein, ging er einen federnden Schritt auf sie zu, sprach sie an: “Wie unhöflich von mir. Ich hatte mich noch überhaupt nicht vorgestellt,” und streckte ihr seine Hand entgegen “Mein Name ist Atsushi Miyano… Sie können mich gerne Atsushi nennen...”

Zögerlich streckte sie ihm nun ebenfalls ihre Rechte entgegen und ergriff die seine, er hatte einen festen Händedruck und seine im Vergleich zu ihren sehr großen Hände strahlten eine ungeheure Wärme ab.

“Ich bin… ich meine… nennen Sie mich einfach Elena...” meinte sie verlegen.
 

Samstag, 04. Juli, 19:30 Uhr, Vergnügungspark Tropical Land, Besuchertoiletten, zugehörig zur Akamizu-Showhalle
 

Laut hallte das Echo der Schritte, welches die auf dem mit Fliesen ausgelegten Boden aufkommenden, handbeschlagenen Schuhsohlen der edlen schwarzen Schnürlederschuhe, im langen Flur zu den Besuchertoiletten hinterließen, an den Wänden wider. Schnellen Schrittes ging der Träger ebendieser an einem mit auf dem Gang stehenden Klappschild vorbei, auf welchem in schwarzen Lettern groß die Aufschrift “Reinigungsarbeiten – Toilette vorübergehend geschlossen” aufgedruckt war. Der Mann ignorierte das Schild und ging weiter, bis seine Schritte schließlich langsamer wurden und dann vor der Türe, die zu den Besuchertoiletten der Herren führte, komplett stoppten.

Er zog die schwergängige Türe auf und sah sich nach allen Seiten in dem mit nicht besonders ansprechenden weißen Steinfliesen ausgestatteten Raum um. Zielgerichtet durchsuchte er die Kabinen von links nach rechts nach Hinweisen oder Spuren, die der Junge oder sein Angreifer hinterlassen haben könnten. Der Mann war sich sicher, noch vor wenigen Minuten das Geräusch eine Kampfes, das leise Splittern von Glas und danach einen sich öffnenden Toilettenmülleimer gehört zu haben.

Ein Lächeln zog sich über sein Gesicht, als er in der mittleren der fünf Kabinen angekommen war. Auf den ersten Blick sah alles normal aus. Der Toilettendeckel war ordentlich heruntergeklappt, doch dort, direkt auf den Fliesen neben der Toilettenschüssel lagen zwei kurze, dunkelbraune Haare.

Er ging in die Knie, strich direkt neben den beiden Haaren mit seinen braunen Lederhandschuhen über den Bodenbelag. Als er seine behandschuhten Finger gegen das helle Licht hielt, schimmerten zwei winzige Glasfragmente auf seinen Fingerspitzen. Hier war er definitiv richtig.

Aus seiner Jackettasche zog er einen kleinen durchsichtigen Plastikbeutel, welchen er nun mit den Glassplittern und den Haaren füllte und ihn anschließend mit Inhalt wieder dort verstaute.

Hoffnungsfroh öffnete er den Deckel des Mülleimers und wurde nicht enttäuscht. Auf den ersten Blick erkannte er eine ihm wohlbekannte Brille mit schwarzem Rahmen. Eines der beiden Brillengläser war beschädigt. Gleich darunter konnte er er ein modernes Smartphone mit einem schwarzweißen Fußballanhänger erkennen.

Der Mann nahm das Smartphone heraus und besah es sich einmal genauer. Es war ausgeschaltet, also war schon einmal keine Ortung des Geräts möglich. Außerdem hatte jemand fein säuberlich alle Fingerabdrücke von der Oberfläche abgewischt. Er war sich jedoch sicher, dass sie noch Abdrücke im Labor finden würden, wenn sie alles genau untersuchten. Immerhin trugen die wenigsten Menschen beim Einlegen eines Handyakkus Handschuhe. Auch diesen Gegenstand steckte er in ein durchsichtiges Plastiktäschchen und verwahrte ihn sicher in seiner Tasche.

Als nächstes fischte er die die Brille aus dem glänzenden Edelstahleimer. Er betrachtete sie eingehend und drehte sie mehrmals in seinen Händen hin und her. Der Rahmen war verdächtig breit und dick an manchen Stellen. War darunter etwas verborgen? Am oberen rechten Bügel entdeckte er schließlich eine Art Knopf, der so gut getarnt war, dass er auf den ersten Blick kaum vom restlichen Bügel zu unterscheiden war. Zögernd drückte er darauf, sogleich begann sich ein Gespinnst aus dünnen, feinen Linien auf dem Brillenglas auszubreiten. Die Linien verbanden sich schließlich zu einem Netz und der Mann staunte nicht schlecht, als er erkannte, dass es sich um ein Koordinatennetz handelte. Es schien eine Ortungsanzeige sein, wenngleich sich auch aktuell nichts im Umkreis befand, welches ein Signal zum Zurückverfolgen hinterließ.

“Gar nicht schlecht...” murmelte der schwarz gekleidete Mann nun und untersuchte die Brille noch ein wenig genauer. Am Ende des Bügels fand er noch etwas Interessantes: Ein Teil des Bügels ließ sich herauslösen. Der Technik darin nach zu urteilen, handelte es sich um einen Peilsender. Mit einem Handgriff entfernte er die winzigen Batterien und machte den Tracker somit unschädlich.

Danach verpackte er auch die Brille sicher in einem weiteren seiner Plastiktäschen und ließ es in seiner Jackettasche verschwinden.
 

Er war sich hunderprozentig sicher: Der Junge war mit seinem Angreifer mitgegangen und das auf keinen Fall freiwillig. Er hatte schon aus den mitgehörten Gesprächsfetzen und Geräuschen auf dieses Szenario schließen können, es bestand kein Zweifel an seiner Vermutung. Jemand hatte sein Zielobjekt mitgenommen, doch wer Derjenige genau war, wusste er nicht. Die Stimme, die er neben der des Jungen gehört hatte, konnte eindeutig einem erwachsenen Mann mittleren Alters zugeordnet werden. Kein Akzent, er war also mit hoher Wahrscheinlichkeit ein gebürtiger Japaner. Außerdem konnte er davon ausgehen, dass der Junge den Mann nicht gekannt hatte, dieser aber ihn schon eine Weile beobachtet haben musste, denn immerhin hat ihn dieser bei seinem Namen genannt.

Diese ganze Geschichte nahm eine in seinen Augen für ihn sehr erfreuliche Wendung an. Falls es sich tatsächlich um eine Entführung handelte, wäre das in höchstem Maße in seinem Sinne. Nichts war besser, als wenn jemand anderes, der keinerlei Verbindung zur Organisation hatte, die Schmutzarbeit übernahm. Nichts war schöner, als Probleme, die sich von selbst lösten. Und falls es das nicht tat – dann würde er eben nachhelfen. Da er einen Tracker und eine Wanze unter dem Hemdkragen des Jungen hatte platzieren lassen, konnte er seine Show noch ein wenig weiter genießen, er hatte alles unter bester Konrolle. Es bestand nur ein geringes Risiko, dass ihm das Kind jetzt im Augenblick gefährlich werden konnte. Wo auch immer der Junge hingebracht werden würde, viel Handlungsspielraum würde er dort nicht haben.

Derweil konnte er sich noch ein wenig amüsieren und die Spuren in seinem Labor auswerten lassen. Mit den Fingerabdrücken, Haaren und den Daten auf dem Handy würde sich sicher einiges anfangen lassen. Danach würde er mit Sicherheit wissen, wer der Junge wirklich war. Sobald die Identität bestätigt war, konnte er mit seiner Säuberungsaktion beginnen.

Gut gelaunt machte er sich auf den Weg, das Gebäude zu verlassen. Es war unnötig, hier zu bleiben. Madeira kümmerte sich um das Mädchen. Er erwartete ihre positive Nachricht über die Exekution jede Minute. Sobald ihre Leiche gefunden werden würde, würde es hier wieder vor Polizei nur so wimmeln. Diesen Polizeischwarm musste er auf jeden Fall meiden.

Den Jungen würde er dank der Wanze und des Trackers überall wieder finden. Die Aufnahmefunktion seines Laptops war aktiviert. Später konnte er sich in aller Ruhe anhören, was er verpasst hatte. Es war unwahrscheinlich, dass das Kind sich noch im Vernügungspark befand.

In dem Moment, in dem sich hinter ihm die automatisch reagierenden Türen zum Gebäude schlossen, ertönte im Gebäude eine Lautsprecherdurchsage, doch er hatte sich bereits zu weit davon entfernt, um groß auf sie zu achten.
 

Samstag, 04. Juli, 19:34 Uhr, Vergnügungspark Tropical Land, Akamizu-Gebäude, Requisitenkammer
 

Ohne auch nur mit der Wimper zu zucken, sah Haibara die Frau an, die ihr feixend und mit hoch erhobener Waffe gegenüberstand. Die kleine Ayumi, die erst seit wenigen Momenten begriffen hatte, in welcher furchtbaren Situation sie sich befanden, stand starr wie eine Salzsäule ein Stückchen hinter ihrer Freundin mit dem rotbraunen Haar. Selbst wenn sie gewollt hätte, ihre Angst lähmte sie, sie konnte sich nicht von der Stelle rühren “Conan-kun… hilf uns doch… bitte...” dachte sie angstvoll.
 

Ein lautes Knacken durchbrach die angespannte Atmosphäre wie ein Messerschnitt, dann erklang plötzlich eine verzerrte Männerstimme in der hinteren oberen Ecke des Raumes. Alle Anwesenden brauchten mehrere Sekunden um zu begreifen, dass es sich um eine Lautsprecherdurchsage handelte, welche vermutlich im gesamten Gebäude zu hören war. Die Stimme war nur deswegen etwas undeutlich zu hören, weil altersschwach scheinende Lautsprecher, über den diese übermittelt wurde, wohl schon seit Jahren nicht mehr gewartet worden war.

Madeira, die eigentlich im Begriff gewesen war, abzudrücken, erstarrte für einen Moment irritiert, als sie den Inhalt begriff.

“Fräulein Shiho Miyano wird gebeten, sich zu den Kassen am Nordausgang des Vergnügungsparks zu begeben. Herr Shiyaroku sucht nach Ihnen...”

Ich wiederhole, Fräulein Shiho Miyano wird gebeten, sich an den Kassen am Nordausgang des Parks einzufinden, Herr Shiyaroku...”

“Was soll das? Wer ist Herr Shiyaroku?” Blaffte Madeira das verwunderte Mädchen an, das selbst nicht begriff, was hier geschah.

“Shiyaroku? Japanisch für “Sherlock?” Ist das etwa Kudo-kun? Hat er herausgefunden, dass ich in Schwierigkeiten stecke?” dachte sie überrascht.

“Wer war das? Mit wem bist Du sonst noch hier?” Ai sah der Frau mit festem Blick in ihre kalten Augen.

“Ich bin allein hierhergekommen… sogar diesen Kindern hier bin ich nur durch Zufall begegnet...”

“Ai-chan...” dachte Ayumi und sah angsterfüllt auf ihre kleine Freundin, die sich bereits seit mehreren Minuten überhaupt nicht mehr wie ein Grundschulkind benahm. Genta und Mitsuhiko kauerten noch immer an der Wand und beobachteten die anderen im Raum befindlichen Personen mit bleichen Gesichtern.

“Red keinen Unsinn...” fauchte die Frau mit dem schwarzen Kleid das Mädchen mit nun an:

“Zuerst kümmere ich mich um euch, danach werde ich mir diesen Shiyaroku-san vorknöpfen, der sonst noch mit Dir hier ist…” Erneut hob sie ihre Waffe, zielte diesmal ohne Umschweife auf Haibaras Brust, doch trotzdem bewegte sich das Mädchen nicht einen einzigen Millimeter. In diesem Moment rief Mitsuhiko mit schmerzhaft verzerrtem Gesicht, seine zuvor getragene venezianische Maske war ihm schon bei seinem Kampf mit Madeira vom Gesicht gerutscht und lag nun neben ihm auf dem Boden:

“Bitte! Tun Sie ihr nichts… Sowas können Sie doch nicht tun...” Er versuchte sich aufzurichten, doch er sank wieder zurück auf den Boden. Madeira ignorierte seine Worte komplett, sie schien seine Anwesenheit gänzlich auszublenden.

“Doch, das kann ich, Schätzchen...” meinte sie abschätzig, schien ihn doch gehört zu haben. Langsam bewegte sich ihr Finger zum Abzug; vollkommen unerwartet erklang das Sirren einer Pistolenkugel und im nächsten Moment ließ die Lady in Schwarz ihre Waffe fallen. Blut tropfte von ihrer scheinbar von einer Kugel getroffenen Hand hinab auf den Linoleumboden, ihr Gesicht war schmerzverzerrt.

“Ich erlaube mir zu sagen, dass Sie es bis eben “konnten”...” Überrascht drehten sich die Kinder und auch Madeira in Richtung der nun einen Spalt breit geöffneten Tür zum Flur, aus deren Richtung diese zumindest den Kindern wohlbekannte Stimme wie aus dem Nichts gekommen war.

“Das ist doch...” dachte Haibara einen Moment unendlich erleichtert, dann schaltete sie sofort: Mit einem eiligen Sprung griff sie gleichzeitig mit Madeira nach der hinuntergefallenen Waffe und tatsächlich war Ai schneller; mit einem beherzten Handstoß pffefferte sie das Mordwerkzeug hinüber zu der Gestalt, die nun im Türrahmen aufgetaucht war, stieß sie möglichst weit aus Madeiras Reichweite.

Die erwachsene Frau keuchte entsetzt auf, als ihr Blick auf einen großgewachsenen, braunhaarigen Mann mit einem schwarzen Rollkragenpullover und einem weinroten Jacket fiel, der die Waffe nun in vollkommener Ruhe aufhob.

“Aber aber. Diese Dinger sind gefährlich. Sie möchten doch sicher niemanden verletzen?” Subaru besah sich Ayumi und Haibara, die zwar schneeweiße Gesichtchen hatten, ansonsten aber unverletzt schienen.

“Subaru-san...” jauchzte Ayumi erfreut, aber mit doch mit einem etwas mulmigen Gefühl in der Brust, als sie beobachtete, wie der Mann die Waffe der schwarzgekleideten Tante sicherte. Er schien selbst keine Waffe bei sich zu haben, doch die Frau war eindeutig verletzt. Hatte Subaru-san etwa geschossen?

“Verdammt!” Madeira, die sich wieder aus ihrer Erstarrung gelöst hatte, zog ein Klappmesser mit einer unschön breiten und vor allem scharfen Klinge aus ihrer Tasche.

“Herrjemine. Da scheint ja jemand gefährliche Sachen in seiner Tasche regelrecht zu sammeln… und ich dachte immer, da sei nur unnützes Zeug drinnen. Nicht umsonst heißt es wohl, dass die Handtasche einer Frau ein ebensolches Mysterium ist wie die Frau an sich...” Subaru schüttelte scheinbar ungerührt seinen Kopf, während das Organisationsmitglied auf ihn zurannte. Genta schlug entsetzt seine Hände vor die Augen, als die Frau die Messerklinge hob und dazu ansetzte, dem Störenfried damit das Gesicht zu verschönern.

Es brauchte nur einen Handgriff des Mannes, Madeiras Traum von einer schnellen Racheaktion platzen zu lassen. Subaru wich ihr geschickt aus und packte ihr Handgelenk mit einem kräftigen Ruck, sodass sie ihre Hand, welche das Messer fest umklammert hielt, nicht mehr bewegen konnte. Egal wie sehr sie es auch versuchte, sie schaffte es nicht, ihre Hand aus dem festen Griff des Mannes zu befreien. Mit hasserfüllten Augen starrte sie den Undercoveragenten an, der sie noch immer mit einem freundlichen Gesichtsausdruck ansah.

“Aaarg.” Kreischte die Frau und versuchte ihn nun, mit ihrer verbliebenen linken Hand im Gesicht zu treffen, doch er wich ihr immer wieder aus.

“Verehrteste, Sie verletzen sich, wenn Sie weiter so herumzappeln. Aber wie es scheint...” Subaru blickte sich noch weiter im Raum um und entdeckte den blassen Mitsuhiko, dessen Pullover blutgetränkt war, und Genta, der mit roten, verschmierten Händen direkt neben ihm saß, “scheinen Sie diese gefährlichen Sachen genau aus diesem Zweck zu haben…” Noch immer versuchte die Frau, den Mann zu treffen und tatsächlich schaffte sie es schließlich, ihre Messerhand zu befreien. Mit Schwung schlug sie heftiger aus als zuvor und obwohl Subaru reflexartig zurückschreckte, erwischte sie ihn mit ihrem Messer am Kragen seines Pullovers, die Klinge verfehlte seinen Hals nur um Haaresbreite. Das kurze, reißende Geräusch von Stoff und noch etwas anderem, nicht zuordenenbarem, erklang, doch Subaru ließ sich nicht beirren. Seine Augen hatten sich verändert. “Es ist falsch, Menschen zu verletzen… und vor allem...” fing er an. Alle im Raum horchten plötzlich auf, Subarus Stimme hatte sich vollkommen verändert, als spräche eine ganz andere Person. Subaru fluchte innerlich. Das Messer musste die Kabel zu dem Stimmentransposer, der hinter dem Kragen verborgen gewesen war, zerstört haben.

Genta und Mitsuhiko sahen sich verwirrt an, sie konnten diese Stimme absolut nicht zuordnen, während Ayumi nun wieder nach Ais Hand griff, die ihr diese diesmal nicht entzog.

“Ai-chan...” flüsterte das braunhaarige Mädchen verwirrt “...was hat das alles zu bedeuten?” doch Haibara schien sie nicht zu hören.

Die Stimme die sie gehört hatte, konnte das wirklich sein…?

Haibara lief ein kalter Schauder über den Rücken. Sie hatte sich also nicht getäuscht. Sie kannte die Person, die sich hinter Subaru Okiyas Maske versteckte. Das Bild eines schweigsamen Mannes mit langen schwarzen Haaren und einer unscheinbaren dunklen Strickmütze tauchte vor ihrem inneren Auge auf. Ohne es zu bemerken, ging sie einen Schritt auf den Mann zu. Sie spürte einen dicken Kloß in ihrem Hals aufsteigen. Egal wie oft sie auch schluckte, er wollte einfach nicht mehr verschwinden.
 

Der Scheinstudent wiederum starrte die schwarzgekleidete Frau plötzlich nicht mehr mit leicht zusammengekniffenen Augen an, sondern diese schienen plötzlich weiter geöffnet als zuvor. Hinter seinen Brillengläsern blitzen zwei sie kühl fixierende, mit leuchtend grünen Regenbogenhäuten umrandete schwarze Pupillen auf: “...wenn es sich dabei noch um Kinder handelt!” vollendete er seinen zuvor begonnenen Satz. Seine sonst als Subaru Okiya immer sehr gemäßigt klingende Stimme, die nun überhaupt nicht mehr ruhig klang, nahm einen scharfen Tonfall an, als er diese Worte aussprach.

Madeira merkte irritiert und überrascht, wie er die Oberhand gewann und sie mit einem kräftigen Ruck zu Boden schleuderte.

“Moroboshi… Dai?” Flüsterte die Frau und starrte ihn mit großen, vor Entsetzen weit geöffneten Augen an, während er sich hastig auf sie kniete und mit seinem Arm ihre Hände zu Boden drückte.

Seine Lippen verzogen sich zu einem unmerklichen Lächeln. Ohne ein Wort zu entgegnen, zog er mit seiner verbliebenen freien Hand sein Handy aus seiner Jackettasche und warf es Ai Haibara zu, die Ayumis Hand losließ und es überrascht auffing.

“Würdest Du bitte… da ich ein wenig beschäftigt bin… James Black anrufen und ihn bitten, Verstärkung zu schicken? Wir brauchend außerdem dringend einen Krankenwagen...” meinte er, ihren fragenden Blick deutend.

Auf das Gesicht der Grundschülerin hatte sich ein unendlich ernster Ausdruck geschlichen. Sie zögerte einen Moment, noch immer nicht sicher, ob sie dem Mann wirklich zu 100% trauen konnte. Dann sah sie zu Mitsuhiko und Genta hinüber, der Junge mit den Sommersprossen sah nicht gut aus und schien einer Ohnmacht nahe. Subaru folgte ihrem besorgten Blick.

“Und Du, Mädchen...” Ayumi zuckte zusammen, als der Mann sie direkt ansprach “würdest Du bitte jemanden von der Information bitten, einen Sanitäter mit einem Erste-Hilfe-Kasten vorbeizuschicken? Ich fürchte, wir können nicht warten, bis der Krankenwagen eintrifft...” Das Mädchen nickte entschlossen, warf einen letzten Blick auf Ai und machte sich schnellstmöglich auf den Weg zur Information.

“Du sollst mich loslassen, sofort...” fauchte Madeira, die sich dank seines Klammergriffes noch immer nicht rühren konnte. Ohne sie auch nur zu beachten, warf der Mann mit der Perücke Ai nochmals einen Blick zu. Sie hatte verstanden. Wortlos suchte Ai Haibara nach dem Kontakt James Black und wählte seine Nummer.
 

Samstag, 04. Juli, 19:40 Uhr, Vergnügungspark Tropical Land, Akamizu-Showhalle, Tatort
 

Genervt sah der geläuterte Meisterdetektiv Kogoro Mori nun zum etwa zehnten Mal auf seine relativ teuere und elegante Uhr mit dem runden Ziffernblatt, welche er schon vor einiger Zeit einmal von einem dankbaren Klienten geschenkt bekommen hatte. Seine Oberlippe und der darauf wachsende schwarze Schnauzbart zitterten vor Ungeduld. Der braunmantelige Inspektor Megure, Takagi und der keineswegs reumütige Täter Hashimoto mussten mittlerweile schon im Polizeihauptquartier angekommen sein, sie waren nach Rücksprache mit Kogoro schon einmal vorgefahren, er wollte dann nachkommen, sobald er den Jungen gefunden hatte. Die Angestellten der Bühnenshow Akamizu waren ebenfalls für ihre Zeugenaussagen in einem mittelgroßen Polizeibus für eine nicht zu vermeidende Fahrt zum Hauptquartier abgeholt worden. Eine letzte Sicherung des Tatortes war vor einigen Minuten abgeschlossen worden und die letzten Polizeibeamten hatten die Bühne verlassen. Mittlerweile stand er also mutterseelenallein hier an diesem unheimlichen Ort, der Boden direkt um das Todesbecken war noch immer blutrot gesprenkelt, wenn die Farbe auch mittlerweile größtenteils getrocknet war. Das gelbe Polizeiabsperrband, auf dem abwechselnd in großen schwarzen japanischen Zeichen und in lateinischen Lettern auf englisch stand, dass die Absperrung nicht übertreten werden durfte, trug nicht zur Auflockerung der Atmosphäre bei. Kogoro fröstelte es bei dem Anblick. Abermals sah er auf seine Armbanduhr. Danach wählte er zum zweiten Mal das Handy des Jungen an. Außer der wiederholten Ansage, dass der Teilnehmer nicht erreichbar war im Augenblick, erfuhr er nichts Neues. Der Mann seufzte schwer als ihm schließlich einfiel, dass er selbst mit dafür verantwortlich gewesen war, dass Conan das Gerät ausgeschaltet hatte.

Der Junge war nun seit fast zwanzig endlos erscheinenden Minuten wie vom Erdboden verschwunden. Genug Zeit für den noch immer leicht katerbehafteten Kogoro, sich Gedanken zu dem Vorfall von vorhin zu machen. Auch wenn er sich selbst zur Ruhe mahnte, so konnte er doch nicht verhindern, dass ihn immer wieder leise Wellen von Wut überfluteten.

Der Gedanke, dass der Junge ein unschönes Spiel mit ihm trieb, hatte sich in den letzten Minuten gesetzt und war zur Gewissheit geworden. Er fragte sich nun eher, wie lange ging das schon so ging.

Seitdem der Bengel wie aus dem Nichts bei ihm aufgetaucht und sich bei ihm einquartiert hatte? Auf jeden Fall war das möglich, nein, es war sehr wahrscheinlich sogar. Immerhin hatte er kurz nach dem Auftauchen des Kindes seinen ersten “Narkoleptischen Anfall” wie er ihn immer so schön genannt hatte, gehabt. Verdammt… wie hatte er sich nur so hinters Licht führen lassen können? Er war so wütend. Wenn er den Jungen jetzt in die Finger bekommen würde, wäre es um ihn geschehen.

Nach wenigen Minuten spürte er, wie die angestaute Wut langsam verflog und einem tiefen Gefühl von Kränkung platzmachte.

Falls der Junge tatsächlich immer bei den meisten seiner Fallaufklärungen dahintergesteckt hatte, war die Erscheinung des genialen schlafenden Kogoro nichts weiter als eine Farce gewesen. Sein ganzes, wohlgemerkt in den letzten Monaten sehr aufgeblasenes, Ego, war von einem Moment auf den anderen von der Größe der Erdkugel auf Erbsengröße geschrumpft, als ihm bewusst wurde, dass er kaum einen seiner Fälle selbst gelöst hatte. Wenn er gründlich darüber nachdachte, so fiel ihm kaum ein Fall ein, an dessen Tathergang er sich tatsächlich gänzlich erinnern konnte. War es doch einmal anders gewesen, so erinnerte er sich an mindestens einen schlauen Einwurf, den das Kind gemacht hatte, höchstwahrscheinlich, um ihn auf die richtige Spur zu lenken. Conan hatte ihn schamlos benutzt, um in seinem Namen die begangenen Verbrechen aufzuklären. Kogoro konnte nicht umhin, er fühlte sich in genau jenem Moment tief gekränkt. Der Bengel hatte ihn entmündigt. Hatte die Kontrolle über kostbare Zeit seines Lebens übernommen, ihm sogar das letzte bisschen Stolz, welches bis zum Auftauchen des Jungens noch gehabt haben mochte, genommen.

Geknickt ließ Kogoro Mori seine Schultern hängen. Schmach und Schande überkam ihn, als ihm bewusst wurde, dass der Junge ihm im Grunde genommen sogar geholfen hatte, immerhin war er durch dessen Fallaufklärungen berühmt geworden. So viele Klienten, wie in den letzten Monaten bei ihm an die Tür geklopft hatten, hatte er noch nie zuvor gehabt. Doch letzten Endes blieben ihm, dem Mann, der geschlafen hatte, als jemand anderes die Arbeit für ihn getan hatte, nichts weiter als eine tiefsitzende Demütigung übrig. Kogoro Mori, die Schnarchnase. Vielleicht war er tatsächlich für nichts weiter gut als für Schlaftablettenwerbung?
 

Es dauerte nochmals einige Minuten, dann kochte abermals die Wut in ihm hoch, verdrängte seine vernünftigen Gedanken für einen Moment.

Er konnte das doch nicht einfach auf sich sitzen lassen. Wie konnte Conan ihm das antun?

Der Bengel hatte ihm und dem Rest der Welt ständig etwas vorgespielt, ihn getäuscht und belogen. Als er diesen Gedanken fasste, spürte er plötzlich so etwas wie Enttäuschung tief in sich. Er konnte es sich nicht wirklich erklären. Lag es daran, dass er Conan in den letzten Monaten, die der kleine Kerl bei ihnen gewohnt hatte, sogar ein wenig in sein Herz geschlossen hatte?

Der ehemalige Polizist dachte an das unschuldige und fröhlich lächelnde Gesicht des Jungen. Was war hier nur los? Wie konnte das alles sein? Es musste eine Erklärung für diese Vorfälle geben…

Außerdem… er war doch nur ein kleiner Junge, oder? Ein Kind konnte niemals all diese komplexen Fälle lösen… steckte da noch jemand anderes dahinter? Bekam er Anweisungen von jemandem?

Nochmals sah er auf seine Uhr. 19.45 Uhr. Es reichte. Er musste ihn jetzt suchen, und zwar sofort. Er wollte Antworten auf seine Fragen. Und zwar jetzt, nicht erst später.

Sich zusammenreißend um nicht vor Wut wie ein kleines Kind bei jedem Schritt aufzustampfen, verließ er die Bühne und sah sich im Zuschauersaal um. Er war wie leergefegt.

Er stutzte. Halt, nein. Komplett verlassen war er nicht. Nur wenige Meter von ihm entfernt saß ein Mann in einem der mit rotem Samt bezogenen Sitze und schien zu schlafen, ein leises Schnarchen war aus seiner Richtung zu hören. Er trug trotz der im Saal herrschenden Düsternis eine Sonnenbrille. Auf dem Sessel neben ihm lag ein sorgfältig zusammengefalteter schwarzer Mantel aus Leinenstoff.

“Komische Leute gibt’s...” murmelte Kogoro “erinnert mich eindeutig an einen Karpfen, der Typ… da fällt mir ein, Ran wartet bestimmt schon mit dem Essen auf mich und...” Er stoppte mitten im Satz. Er wollte den Namen des Jungen, der ihn auf die hinterhältigste Art und Weise, die man sich vorstellen konnte, hintergangen hatte, nicht aussprechen. Er verließ den ansonsten leeren Zuschauersaal und begann, das Gebäude nach dem verschwundenen kleinen Mistkerl Conan Edogawa abzusuchen. Er würde ihn finden. Und wenn er das gesamte Tropical Land auseinander nehmen musste.
 

Samstag, 04. Juli, 19:50 Uhr, Vergnügungspark Tropical Land, Akamizu-Gebäude, Requisitenkammer
 

Mit jahrelang geübten Handgriffen verarztete der sichtlich schockierte, schon etwas ältere Mitarbeiter der Notarztbelegschaft des Vergnügungsparks Tropical Land die Schulter des mitgenommen aussehenden kleinen schlaksigen Jungens. Der Grundschüler war tatsächlich angeschossen worden. Eine Schussverletzung zu verarzten an einem Ort, der eigentlich Spaß für Jung und Alt bringen sollte. Dieses Land schien verrückt geworden zu sein.

“Mitsuhiko, ist alles in Ordnung mit Dir?” Fragte Genta besorgt den Jungen mit den braunen Sommersprossen, der seine Augen geschlossen gehalten hatte, solange ihm der provisorische Verband, welcher dazu gedacht war, weiteren Blutverlust zu vermeiden, angelegt worden war. Er durchbrach mit seiner Frage die seit mehreren Minuten im Raum herrschende, peinliche Stille.

“Aber natürlich Genta, mir geht es gut! Am wichtigsten ist, dass Haibara-san nichts passiert ist...” Mit glänzenden, müden Augen sah der Junge Ai an, die ebenfalls seit dem Anruf bei James Black kein Wort mehr gesprochen hatte. Ayumi, die zusammen einer Angestellten von der Information zurückgekehrt war, war ebenfalls ungewöhnlich still geblieben, doch jetzt nickte sie froh “Ja, das finde ich auch...”

“Es sieht aber so aus, als wäre die Kugel im Schulterblatt stecken geblieben, Junge. Das muss operiert werden. Sonst könntest Du eine ernstzunehmende Sepsis davontragen…” Subaru Okiya betrat eben den Raum. Er hatte zusammen mit zwei stämmigen Securityangestellten des Tropical Lands dafür gesorgt, dass Madeira bis zum Eintreffen der FBI-Agenten erst einmal in einem Nebenraum sicher verwahrt wurde.

“Sepsis?” Fragte Genta ahnungslos.

“Eine Blutvergiftung...” flüsterte das Mädchen mit den rotbraunen Haaren leise. Sie fühlte sich schrecklich und war an einem Punkt angekommen, an dem sie einfach nicht mehr weiterwusste. Das Schreckenszenario, welches sie sich nicht einmal in ihren schlimmsten Alpträumen hatte ausmalen wollen, war eingetroffen. Wie sollte sie es jetzt nur schaffen, die Kinder zu schützen? Nein, nicht nur die Kinder, auch ihre Eltern, der Professor, sie alle würden gnadenlos von “ano kata” ausgelöscht werden. Früher oder später würde er sie alle finden, das wusste sie.

Die anfängliche Erleichterung, welche sie nach ihrer Rettung verspürt hatte, war sehr schnell riesigen Schuldgefühlen gewichen. Es war ihre Schuld, dass die Kinder mit in diese ganze Sache hineingezogen worden waren. Wäre Subaru, nein… wie auch immer er im Augenblick hieß, nicht gekommen, wären sie schon längst alle tot. Sie musste doch etwas tun können…

Sie wurde von Subarus Stimme aus ihren Gedanken gerissen.

“Ich wusste es. Du hast Fieber, Junge…” Der Mann mit dem zerissenen schwarzen Rollkragen fühlte gewissenhaft die Stirn des Jungen. Sie war glühend heiß, seine Wangen vor Hitze gerötet, sein Haaransatz war schweißgetränkt.

“Leider habe ich die Wunde nur überflächlich desinfizieren können. Ich gebe ihm gleich eine Spritze, dann sollte sich das wieder normalisieren. Der menschliche Körper versucht sich gegen den Fremdkörper mit dem Fieber zu wehren und ihn wieder loszuwerden…” meinte der anwesende Arzt und fügte dann hinzu “...wir können hier im Park leider nicht operieren. Dafür muss er auf jeden Fall zu einem professionellen Unfallchirurgen ins Krankenhaus...” meinte der Mann während er eine Thermodecke über Mitsuhiko ausbreitete und seinen Kopf auf einem kleinen Kissen bettete, damit er sich hinlegen konnte.

“Ich verstehe. Vielen Dank für Ihre Hilfe… der Krankenwagen und auch die Polizei sind ja schon unterwegs.” Freundlich nickte Subaru mit der so überhaupt nicht zu seiner ausgeglichenen Art passenden Stimme ihm zu.

“Was ist eigentlich mit Ihrer Stimme passiert, haben Sie eine Erkältung?” meinte Genta nun neugierig.

Sogar Mitsuhiko, der bis zu diesem Moment mit geschlossenen Augen ruhig dagelegen hatte, verdrehte seine Augen ob dieser schwachsinnigen Frage. Hätte er die Kraft dazu gehabt, so hätte er Genta einen kleinen aber schmerzhaften Stoß zwischen die Rippen verpasst.

“Nein, um ehrlich zu sein...” begann Subaru “...ist das eine lange Geschichte. Ich erzähle sie euch ein anderes Mal, ok?”

“Was? Ach menno...” meinte Genta, einen Moment beleidigt, doch danach blieb er ruhig. Die ganze Sache schien die drei Kinder sehr mitgenommen zu haben. Sie waren überhaupt nicht mehr so neugierig und voller Tatendrang wie sie es sonst immer waren. Jedes schien seinen eigenen Gedanken nachzuhängen, keiner wollte die Ruhe im Raum unterbrechen, zumindest nicht, solange es Mitsuhiko so schlecht ging.

Obwohl es Ai zuwider war, begann sie zu sprechen: “Wieso sind Sie hier… und wie konnten Sie uns finden?” Fragte Haibara nun zögerlich.

“Ah… da fällt mir ein...” Subaru schien ihre Fragen zu ignorieren und langte stattdessen in seine Jackettasche und zog Ais arg ramponiertes Smartphone daraus hervor. Haibara starrte es nur an. Es war vollkommen zerkratzt und das Display zersplittert.

In diesem Moment wurde ihr bewusst, was für ein unglaubliches Glück sie gehabt hatte. Als sie das Gerät das letzte Mal in ihren Händen gehalten hatte, war sie sich sicher gewesen, dass nun alles vorbei war. Trotzdem war sie gerettet worden. Er reichte es ihr und sie nahm es unsicher entgegen.

Subaru, der ihr Blick nicht entgangen war, glaubte, dieser hatte etwas mit dem Zustand des Geräts zu tun.

“Um ehrlich zu sein, bin ich nicht unschuldig daran, dass es so aussieht. Das Display ist hinüber, man kann nichts mehr erkennen. Möglicherweise kannst Du Deine Daten noch retten… ich empfehle Dir aber, es nicht anzuschalten. Wer weiß, wer es sonst orten könnte...”

“Danke, dass Sie es gefunden haben...” meinte Ai Haibara merkwürdig steif.

Ayumi mischte sich nun ein “aber wie konnten Sie uns denn nun finden?”

“Ich habe eine Frau an der Information mit ihrer Begleitung über ein kleines Mädchen mit einer ungewöhnlichen Haarfarbe reden hören, das sich unbedingt die Haare verdecken wollte. Ich habe sie nach einer kurzen Beschreibung gefragt. Sie war sich außerdem sehr sicher, dass dieses Mädchen zwischen den ganzen Leuten gesehen hat, die den Saal verließen. Und dann meinte sie noch, dass sie ganz sicher ihr eigenes Halstuch, missbraucht als Kopftuch, in diesem Gang da draußen um die Ecke hat huschen sehen...” er deutete mit einem unergründlichen Grinsen in Richtung des Ganges vor der Türe, dann ging er ein paar Schritte nach vorne und hob das lebensrettende Seidentuch vom Boden auf. Wortlos reichte er es Haibara, das kleingeschrumpfte Mädchen nahm es schweigend entgegen.

Sie konnte es nicht glauben. Diese Frau hatte ihr an diesem Abend zweimal geholfen. Einmal, als sie ihr einfach das Tuch überlassen hatte, obwohl sie das nicht hätte tun müssen. Und das zweite Mal, als sie einfach aufmerksam gewesen und dann auch noch Subaru-san von dem berichtet hatte, was sie gesehen hatte.

“Sie hat uns das Leben gerettet...” murmelte das Mädchen leise, dann fiel ihr etwas ein: “Sie waren das, nicht wahr? Sie haben die Lautsprecherdurchsage machen lassen, habe ich Recht? Immerhin sind Sie ebenso wie ein gewisser Jemand ein Sherlock-Holmes-Fan...” …und dann fügte sie noch in Gedanken hinzu “...und Sie kennen mich von früher. Neben den Mitgliedern der schwarzen Organisation und Kudo-kun wären nur Sie in der Lage, meinen richtigen Namen zu nennen...”

“So ist es… eigentlich wollte ich Dich damit aus der Reserve locken und finden. Immerhin bestand die Möglichkeit, dass Du zumindest in die Nähe des Nordausgangs kommen würdest, um zu sehen, wer auf Shiho Miyano wartet. Und so kann ich austesten, wie viele von ihnen hier sind… sobald meine Kollegen hier sind, werden sie den Ausgang die komplette Nacht im Blick behalten...”

“Ai-chan… wer ist Shiho Miyano? Und warum benimmst Du Dich schon die ganze Zeit so komisch? Wer war diese böse Frau, die hinter Dir her war… und warum...” Fragte Ayumi, doch sie stoppte, bevor sie ihren Satz beendete. Haibara konnte an dem Ausdruck in Ayumis Augen erkennen, dass dem Mädchen noch viel mehr auf dem Herzen lag. Ai öffnete ihren Mund, um etwas zu sagen, doch in diesem Augenblick...

“Ich würde sagen, kleine Missus, dass wir das zu einem anderen Zeitpunkt besprechen...” ein älterer Mann mit ergrautem Haar, Anzug und europäischen Gesichtszügen war im Türrahmen aufgetaucht.

“James-san...” meinte Ayumi überrascht “was machen Sie denn hier?”

“Das, ist ebenfalls eine sehr lange Geschichte… auch das werden wir später besprechen. Er warf Okiya einen vielsagenden Blick zu, dann drehte er sich in Richtung Flur um und winkte jemandem außerhalb seines Sichtfelds zu.

“Kommen Sie bitte hierher. Der verletzte Junge ist hier...” Er nickte zwei Sanitätern zu, die zwischen sich eine Trage auf langen Rollen schoben und eilig damit den Raum betraten. Schweigend betrachteten die Anwesenden, wie Mitsuhiko abtransportiert wurde.

“Er kommt ins Tokioter Polizeikrankenhaus, es ist eine besondere Überwachung nötig. Ich habe alles Notwendige mit der japanischen Polizei geklärt. Ich habe ihnen erzählt, dass der Junge von einer international vom FBI gesuchten Verbrecherin verletzt wurde… eine, für die wir zufällig eine Ermittlungserlaubnis haben...” flüsterte der Mann Subaru ins Ohr, damit die Kinder nichts davon mitbekamen. Haibara, die den beiden am nächsten stand, hatte trotzdem einen Großteil davon verstanden.

“Nein! Nicht das Polizeikrankenhaus… dort ist er nicht sicher, sie werden...” platzte sie verzweifelt heraus.

“Keine Sorge. Wir wissen, womit wir es zu tun haben. Wir stellen die Kinder und ihre Familien ebenfalls unter den Schutz des Federal Bureau of Investigations… auch die Bewohner der Detektei Mori stehen unter unserem Schutz...” Der Mann beugte sich zu ihr hinunter, als er diese Worte leise aussprach.

“Kinder, ihr möchtet doch bestimmt mit eurem Freund ins Krankenhaus, habe ich Recht? Ihr wollt doch sicher wissen, wie es ihm weiterhin ergeht?” Ayumi und Genta nickten ihm zu, während Mitsuhiko langsam aus dem Zimmer gerollt wurde. Die beiden Kinder machten sich auf den Weg, ihm zu folgen. Als die kleine Ayumi merkte, dass Ai sich nicht von der Stelle rührte, blieb sie stehen.

“Ai-chan...” Haibara fiel auf, dass das Mädchen sie anders musterte als sonst. So, als würde sie sie mit anderen Augen sehen. Es war fast ein wenig Misstrauen in ihrem Blick, dies schmerzte Haibara ungemein. Das endlose Vertrauen, dass das Mädchen ihr sonst entgegengebracht hatte, schien ins Wanken geraten zu sein. Kein Wunder, bei dem was die Kleine heute alles erlebt hatte.

“Keine Sorge, ich komme nach...” versicherte sie dem kleinen Mädchen, das sie unsicher ansah.

“Versprich es mir...” flüsterte Ayumi, sie schien noch immer mit sich zu kämpfen.

“Ich verspreche es Dir...” meinte Haibara, ein ehrliches Lächeln zog sich über ihr Gesicht.

“Ich glaube Dir...” Ayumi lächelte nun ebenfalls, während sie mit Genta und einem weiteren Herrn vom FBI den Raum verließ.
 

Es befanden sich nun nur noch Ai, der falsche Subaru und James Black in der Requisitenkammer.

“Wir haben die Frau bereits in Gewahrsam genommen...” begann James und meinte damit Madeira, die schon vor Minuten von ein dreien seiner Männer in Handschellen abgeführt worden war.

“Vergesst bitte nicht ihre Tasche, die hier auf dem Boden steht. Ich habe vorhin noch einmal reingeschaut. Sie scheint vor ihrem Besuch hier bei einem Waffenhändler ihres Vertrauens gewesen zu sein und sich eingedeckt zu haben… da drinnen befindet sich neben etwa fünf Kilo Ersatzmunition auch ein Handy. Kein Wunder, dass sie so durchtrainierte Oberarme hatte. Möglicherweise können wir weitere Spuren sichern...” Subaru deutete mit seinem Kopf auf die schwarze Handtasche, die er der Schwarzgekleideten vor einiger Zeit abgenommen hatte.

“Konntet ihr den Jungen schon finden? Als ich ankam, war er nicht hier und er scheint hier nirgends zu sein…” meinte Okiya nun zu James Black. Haibara gefror das Blut in den Adern, als sie diese Worte vernahm.

“Sprechen… sprechen Sie etwa von Edogawa-kun?” Fragte sie, abermals war Angst in ihren Augen zu lesen.

“Ganz recht. Wir können ihn leider nirgends finden… in der Detektei Mori ist er nicht, Jodie hat das geprüft...” meinte James und sah sie mitleidig an.

“Die Kinder meinten vorhin, er wäre auf der Bühne, weil es dort einen Zwischenfall gab...” meinte Ai und sah den alten Mann hoffnungsvoll an.

“Unsere Leute suchen aktuell noch. Vielleicht finden sie ihn dort ja. Ich werde Ihnen Bescheid geben… ich würde sagen, wir warten das Suchergebnis noch ab, das wird allerdings noch eine Weile dauern, dann machen wir uns ebenfalls auf den Weg zum Polizeikrankenhaus. Du siehst mir auch sehr mitgenommen aus. Du bist furchtbar blass, junge Dame...”

James verließ nun den Raum, um mit seinen Männern zu telefonieren und sie über die Lage zu unterrichten. Die Grundschülerin war nun mit Subaru allein. Ein unangenehmes Schweigen breitete sich im Raum aus.

“Ich...” begann Shuichi Akai, doch Ai unterbrach ihn kalt.

“Nur… nur weil Sie mich gerettet haben, heißt das noch lange nicht, dass ich Sie mag oder Ihnen vertraue. Nach dem, was Sie meiner Schwester angetan haben...” Akai sah sie nur mit einem unergründlichen Blick aus seinen grünen Augen an, beließ es aber schließlich dabei und fügte nichts mehr hinzu. Der richtige Zeitpunkt für die Wahrheit war noch nicht gekommen.
 

Ein paar Minuten herrschte Schweigen, dann erklang von draußen plötzlich eine Ai wohlbekannte Stimme.

“Was ist denn hier los? Wer sind Sie denn? Hey, lassen Sie mich los… das ist Freiheitsberaubung!” Überrascht sah Ai auf den Flur hinaus. Dort standen zwei ihr unbekannte Männer, die trotz ihrer Undercoverkleidung wohl dem FBI zugehörig sein mussten und… Kogoro Mori, der, sich heftigst wehrend, von ihnen an beiden Armen festgehalten wurde und nun einem etwas sauertöpfisch dreinblickenden James Black vorgeführt wurde.

“Chef, wir haben diesen verdächtigen Typen hier herumlungern sehen… er hat jeden Raum genau durchsucht...” meinte einer von Blacks Untergebenen und packte Kogoro noch ein wenig fester am Arm.

“Was machen Sie denn hier… ach Moment, Sie sind doch Kogoro Mori, habe ich Recht?” James rückte seine Brille zurecht und betrachtete den zeternden Mann genauer.

“So ist es...” meinte Kogoro und richtete erst einmal sein Jackett, als die beiden Kerle ihn auf James’ Geheiß losließen. Sein Blick fiel auf das kleine Mädchen, das sich zusammen mit Subaru noch immer in der Requisitenkammer befand.

“Ah, den kleinen Rotfuchs kenne ich doch...” Mori ging langsam in den Raum hinein, dann stürmte er auf Ai zu. Shuichi, noch immer in Alarmbereitschaft, trat einen Schritt vor und streckte seinen Arm aus, wie um das Mädchen zu schützen. Haibara nahm das schweigend zur Kenntnis. Kogoro blieb abrupt stehen, ließ es sich aber nicht nehmen, laut und temperamentvoll auf Ai einzureden.

“Wo ist die kleine Kröte? Los, sag es mir…!”

“Da sind Sie hier leider falsch, Herr Mori. Krötenwanderungen finden immer kurz nach dem Winter statt. Ich würde sagen, im März könnten Sie als freiwilliger Krötenretter tätig werden...” meinte Subaru und Kogoro stutzte ob dieses absolut unverschämten und trotzdem schlagfertigen Ausspruchs. Der Kerl kam ihm bekannt vor, er hatte den Mann jedoch noch nicht oft gesehen, trotzdem schien etwas anders zu sein als sonst. Er konnte es allerdings nicht einordnen. An seine merkwürdigen Kommentare konnte er sich jedoch noch dunkel erinnern.

Kogoro, nicht in der Laune für derlei Sperenzchen, fauchte ihn an: “Ich spreche von Conan. Wo ist er?”

“Er ist also auch nicht bei Ihnen?” Fragte Haibara erschrocken, ihre Gesichtszüge entgleisten. Die seit ihrer Rettung vorhin wieder einigermaßen intakte kalte Fassade des Mädchens, begann zum zweiten Mal heute zu bröckeln. “Wo ist er nur? Haben Sie ihn etwa irgendwohin mitgenommen? Ist es vielleicht schon zu spät? Ist er… bereits tot…? Hat die Organisation etwa bereits den Befehl gegeben...” James und Subaru schienen genau dasselbe zu denken, auch auf ihren Gesichtern breiteten sich dunkle Schatten der Sorge aus.

Kogoro Mori spürte instinktiv, dass etwas nicht stimmte. Er mochte kein Händchen für hochkomplexe kriminologische Fallaufklärungen haben, doch eines besaß er ganz sicher: Ein Gespür dafür, dass etwas im Argen lag. Schon an den Mienen und den Blicken der Anwesenden untereinander konnte er erkennen, dass hier etwas ganz gewaltig stank.

“Könnten Sie mir bitte erklären, was zum Teufel hier eigentlich gespielt wird?” Fragte Kogoro mit entschlossener Miene.

Der FBI-Agent James Black schien einen Moment abzuwägen, ob er dem Mann vertrauen konnte, dann nickte er langsam. Einen winzigen Teil der Wahrheit hatte der Mann verdient.
 

Samstag, 04. Juli, 20:00 Uhr, Vergnügungspark Tropical Land und Besucherparkplatz
 

Eiligen Schrittes hatte der Mann das Showgebäude verlassen, den Laptop hatte er unauffällig in seiner Tasche verstaut. Ohne die fröhlichen und ausgelassenen Menschen um sich herum eines Blickes zu würdigen, hatte er sich auf den Weg zum Nordausgang des Tropical Lands begeben.

Als er seine Eintrittskarte in den Automaten geschoben hatte, der die Schranke für das Verlassen des Parks öffnen würde, waren sie ihm aufgefallen. Er war sich ganz sicher, dass es sich bei ihnen um Menschen von diesem Schlag handelte. Solche Leute konnte er bereits auf mehrere Meter Entfernung spüren.

Schnüffler. Sie waren überall. Dort, direkt zwischen den Kassen 3 und 4 stand einer in Zivilkleidung lässig an die Absperrung gelehnt. Er erkannte ihn an seinem betont gleichgültigen Gesichtsausdruck. Nur wenige Meter von den Ausgangsschranken standen noch einmal zwei mehr von ihnen, auch sie verhielten sich auffällig unauffällig. Was machten sie hier? Waren es Polizisten? Nein, einer von ihnen hatte eindeutig ein südländisches Äußeres, einer sah eher europäisch aus. Möglicherweise waren es… FBI-Agenten?

Was taten Sie hier? Konnte es tatsächlich sein, dass sie auf ihn oder andere Mitglieder seiner Organisation warteten? Der Verdacht, dass es tatsächlich einen Verräter in seiner Organisation gab, erhärtete sich. Um möglichst keine Aufmerksamkeit auf sich zu lenken, ging er einfach ohne zu zögern oder genauer hinzusehen an ihnen vorbei. Niemand beachtete ihn, als er hinter einer relativ kleinen Frau mit ihren zwei fast genauso großen, nach etwas zu Trinken quengelnden Kindern schließlich den Vernügungspark verließ.

Er ging langsam weiter in Richtung Parkplatz, sah sich bewusst nicht noch einmal nach Hinten um. Am Besten verschwand er erst einmal von hier, danach konnte er sich Gedanken machen. Als er an seinem Auto angekommen war, stutzte er einen Moment. Wie interessant. Direkt neben seinem Auto, einem schwarzen Mercedes 300 SC Coupé mit einer lang gezogenen Kühlerhaube, welches im Jahre 1956 erbaut worden war und von der es nur eine sehr begrenzte Stückzahl auf der ganzen Welt verteilt gab, stand ein anderer Oldtimer. Er besah ihn sich interessiert. Es war ein weißer Subaru 360. Im Gegensatz zu seinem Schmuckstück war dieser aber bei weitem nicht so viel wert. Er warf einen letzten, nun geringschätzigen Blick auf den Wagen und stieg dann in seinen Mercedes, die Laptoptasche verstaute er auf dem Rücksitz. Schade, dass es in diesen alten Kutschen noch keine modernen Klimaanlagen gab, es war brütend heiß hier drinnen. Doch immerhin… genau das machte auch den Charme eines solchen Fahrzeugs aus. Der Mann klappte die Sonnenblende hinunter, drehte den Zündschlüssel herum und startete damit den Motor. Langsam rollte er mit seinem Oldtimer vom Parkplatz.
 

Samstag, 04. Juli, 20:22 Uhr, Vergnügungspark Tropical Land, Verwaltungsgebäude, Besprechungszimmer
 

Schweigend saßen der noch immer als Subaru Okiya verkleidete Shuichi Akai, sein graubärtiger Chef James Black, die nicht ganz freiwillig zu einer Grundschülerin mutierte Ai Haibara und der gedemütigte, tatsächlich häufig schlafende Kogoro Mori um einen großen Tisch in einem von der Parkleitung zur Verfügung gestellten provisorischen Besprechungszimmer, welches sonst für Konferenzen der Angestellten des Vernügungsparks genutzt wurde.

Kogoro Mori hatte die Stirn gerunzelt, die Augen konzentriert geschlossen und auf seine gefalteten Hände gebettet.

James Black hatte ihm in der letzten Stunde einiges erklärt, er wurde aber trotzdem das Gefühl nicht los, dass er ihm mindestens genau so viel verschwieg. Doch Kogoro Mori blieb nichts anderes übrig, als die kleinen Informationshäppchen, welche man ihm hingeworfen hatte, zu schlucken.

Fakt war: Es schien jemand hinter dem Bengel her zu sein, mit dem nicht zu spaßen war. Jemand, auf den sogar das FBI angesetzt worden war, international gesuchte Verbrecher. Die anderen Kinder waren von ebendiesem Verbrecher ebenfalls angegriffen und eines der Kinder dabei sogar verletzt worden. Nun war der Junge wie vom Erboden verschwunden. Auf dem Handy war er nicht erreichbar, er konnte auch nicht geortet werden, das hatten sie bereits ausgetestet. Vermutlich war das Gerät ausgeschaltet. Er war nicht in die Detektei Mori zurückgekehrt. Da die Kinder noch anwesend gewesen waren, wäre er niemals einfach so gegangen. Sie mussten annehmen, dass ihm etwas passiert war. Der Mann mit dem schwarzen Oberlippenbärtchen hatte die Informationen zuerst mit Fassung aufgenommen, noch immer gegen seine Wut ankämpfend. Doch als ihm bewusst geworden war, was dies wirklich bedeutete, hatte sich seine Wut in Luft aufgelöst, war vollständig verpufft. Aktuell galt es, einen verschwundenen kleinen Jungen zu suchen, der in höchster Gefahr schwebte.

Shuichi Akai betrachtete den Detektivbüroinhaber interessiert, aber mit unbewegtem Gesichtsausdruck. Der Mann benahm sich in seinen Augen höchst merkwürdig. Er schien am Anfang sehr wütend auf den Jungen gewesen zu sein, aus welchen Gründen auch immer. Mittlerweile hatte sich aber Sorge auf sein Gesicht gelegt. James Black hatte gut daran getan, ihm keine weiteren Einzelheiten zu nennen. Alles, was Kogoro Mori wusste, war, dass Jemand hinter dem Jungen her war, die Gründe hatte man ihm nicht genannt. Es waren natürlich weder die Worte “Organisation” noch “Verjüngung” gefallen. Außerdem hatte man ihm gesagt, das alles der obersten Geheimhaltungsstufe unterlag und niemand anderes involviert werden durfte. Es war besser, wenn der Mann nicht noch weiter in die Sache hineingezogen werden würde. Shuichi drehte den Kopf und musterte das kleine Mädchen mit den rotbraunen Haaren, welches direkt neben ihm saß. Sie hatte seit dem Betreten des Raums kaum ein Wort gesprochen. Wie auch James Black warteten sie alle auf Nachrichten von seinen Kollegen, die im Moment die Showhalle und die nähere Umgebung im Vernügungspark absuchten. Bei einem Areal, dass mehrere Hektar Fläche umfasste, kein leichtes Unterfangen.

In diesem Moment klingelte James Blacks Mobiltelefon.

“Ich verstehe...” James hörte sich an, was sein Kollege zu sagen hatte, dann legte er mit einem bedrückten Gesichtsausdruck auf. Er wandte sich an die Anwesenden.

“Der Junge konnte nirgends gefunden werden… unsere Leute haben das komplette Tropical Land nach ihm abgesucht...” Shuichi Akai warf einen Blick auf die Karte, die an der Wand hing und die Grundrisse der Attraktionen und Gebäude des Verngnügungsparks in bunten Farben und ebenso bunter Beschriftung zeigte.

“Sie haben sich jeden Ort einzeln angesehen?” Fragte Kogoro.

“Ganz recht… wir haben akribisch jeden Ort, der auf dieser Karte eingezeichnet ist, abgesucht. Außerdem haben wir die Angestellten informieren lassen, dass wir Zeugen suchen. Allerdings ist das nicht so einfach. Manche Angestellte sind schon nach Hause, wieder andere können sich an sehr viele Kinder heute erinnern, allerdings nicht an ein Bestimmtes. Immerhin fanden heute den ganzen Tag Sonderaufführungen extra für Kinder statt. Hier hat es vor Vor- und Grundschülern nur so gewimmelt...” meinte Shuichis Vorgesetzter mit ernstem Blick.

Shuichi sah kurz zu Kogoro und dann zu James hinüber, schließlich nickte James ihm zu.

“Herr Mori… ich fürchte, für heute können wir nicht mehr viel tun… unsere Männer werden sich nun daran machen, die etwa 1000 Stunden Videomaterial zu sichten, die die Überwachungskameras aufgezeichnet haben, wir werden uns vor allem auf die Ein- und Ausgänge konzentrieren. Möglicherweise fällt uns etwas auf. Am Besten wäre es, wenn Sie nach Hause zu ihrer Tochter gehen. Sie wartet bestimmt schon auf Sie...” Kogoro schluckte schwer. Tatsächlich hatte er Ran aufgrund der Aufregung absolut vergessen.

“Aber… Sie können doch nicht ernsthaft von mir verlangen...”

“Es tut mir leid, Herr Mori. Unsere Ermittlungen sind leider vertraulich. Ich kann Ihnen auch nicht gestatten, sich mit uns die Videoaufnahmen anzusehen...”

“Ich verstehe...” meinte Kogoro plötzlich niedergeschlagen, sich aber lange nicht geschlagen gebend. Dann würde er eben selbst Nachforschungen anstellen. Er wandte sich an Ai “dann werde ich das Mädchen nach Hause fahren...” Subaru trat neben Haibara und legte ihr eine Hand auf die Schulter. Widerwillig ließ sie es geschehen.

“Das Mädchen muss uns noch eine Weile Gesellschaft leisten...” Kogoro sah auf das kleine Mädchen, erkannte den grimmigen Ausdruck in ihren Augen. Was war hier nur los? Warum schienen alle Kinder in seiner Umgebung plötzlich so erwachsen zu sein?

“Ich verspreche Ihnen, dass wir uns sofort bei Ihnen melden, sobald der Junge gefunden wurde… bitte erzählen Sie vorerst Niemandem von den Geschehnissen. Ran-san dürfen Sie natürlich erzählen, dass der Junge verschwunden ist, aber bitte keine Details. Und sprechen Sie bitte auf keinen Fall mit einem Außenstehenden darüber… es ist möglich, dass Sie beobachtet werden… alles soll so unverdächtig wie möglich wirken... wir haben zur Sicherheit ein paar unserer Leute in Ihrer Nähe positioniert… falls Ihnen irgendetwas auffällt, melden Sie sich bitte sofort. Hier, das ist meine Nummer...” Subaru reichte ihm einen handgeschriebenen Zettel mit einer krakelig niedergeschriebenen Handynummer darauf.

Kogoro stutzte. Was zur Hölle waren das für Menschen, die hinter Conan her waren, dass sie Geleitschutz vom FBI bekamen? In welche Machenschaften waren diese Leute verstrickt? Kogoro ahnte Fürchterliches.

“Yakuza?*...” flüsterte Kogoro leise.

*Japanische Mafia

“Nein...” dachte Haibara “...wenn nur die Yakuza hinter ihm her wären, würde ihn ein gnädigereres Schicksal erwarten… wo steckst Du nur, Kudo-kun?”
 

Samstag, 04. Juli, 21:15 Uhr, Beika-cho, Wohnung der Familie Mori
 

Unruhig ging Ran Mori vom Wohnzimmer in die Küche, danach von der Küche ins Bad, vom Bad in ihr eigenes Zimmer. Danach begann sie ihre Runde von vorne. Als sie zum dritten Mal wieder im Wohnzimmer angekommen war, warf sie einen schnellen Blick hinauf auf die Uhr, welche an der Wand hing und deren kleiner und großer Zeiger sich unerbittlich vorwärts bewegten. Es war nun schon nach 21:00 Uhr. Weder Conan noch ihr Vater waren Zuhause, obwohl beide es fest versprochen hatten. Auf dem Wohnzimmertisch standen noch immer die Sandwiches, welche Tooru ihnen vorbeigebracht hatte. Diese und noch ein paar weitere, welche sie nachträglich belegt hatte, damit sie auch für alle drei Familienmitglieder reichen würden. Sie seufzte, ging in die Küche, holte sich ein Stück Klarsichtfolie aus dem Schrank und begann, die Sandwiches damit abzudecken um sie vor weiterem Austrocknen zu schützen. Danach packte sie den Teller und stellte ihn in den Kühlschrank.

Ran war verunsichert. Von ihrem Vater war sie gewohnt, dass er später oder auch einmal garnicht nach Hause kam. Er traf öfters einmal Freunde mit denen er dann die ganze Nacht beim Mahjonggspielen und Bier- und Saketrinken verbrachte. Sie war es schon so gewohnt, dass sie sogar schon einmal vergessen hatte, ihm eine Standpauke zu halten, als er, wieder einmal, stark alkoholisiert plötzlich mitten in der Nacht in der Küche einen gewaltigen Lärm verursacht und damit das halbe Haus aufgeweckt hatte. Er war definitiv kein gutes Vorbild für Conan. Sie hoffte inständig, dass der Junge sich kein Beispiel an ihm nehmen würde.

Sie trat ans Fenster und sah noch einmal hinüber auf das Dach des gegenüberliegenden Gebäudes, auf dem sie heute Nachmittag die unheimliche Frau gesehen hatte. Es lag still und verlassen da. Das Mädchen senkte ihr Haupt und besah sich das Display ihres Handys. Nichts, weder eine eingegangene Nachricht noch ein verpasster Anruf. Sie hatte Conan bereits mehrfach angerufen, ihn aber nicht erreicht. Bei ihrem Vater hatte sie es ebenfalls probiert, doch er bequemte sich einfach nicht ans Telefon, nach dem fünften Klingeln sprang immer die Mailbox ran. Vielleicht war er auch noch Polizeipräsdium in einer Besprechung, dort schaltete er das Gerät häufig stumm.

Sie konnte einfach nicht umhin, sich Sorgen zu machen. Es lag in ihrer Natur, sich zu kümmern und nicht einfach nur zu ignorieren, falls etwas nicht stimmte. Außerdem hatte sie einen sechsten Sinn, der sie nur selten trog.

Die Oberschülerin machte sich aber bewusst, dass ihr Grübeln im Moment auch nicht weiterhalf. Sie musste sich ablenken, irgendetwas tun. Ihr fiel ein, dass sie vollkommen vergessen hatte, dass sie noch fürs Frühstück morgen Einkaufen gehen musste. Froh, etwas gefunden zu haben, das sie ablenkte, griff sie nach ihrer Handtasche mit der Geldbörse.

Sie verließ die Wohnung und stieg die Stufen hinab, welche von der mittlerweile untergehenden Sonne bestrahlt wurden. Noch immer war es brütend heiß, außerdem war eine extrem unangenehme Schwüle hinzugekommen, schon nach wenigen Minuten außerhalb der Wohnung hatte sich auf ihrer Stirn ein leiser Schweißfilm gebildet. Eindeutige Indikatoren dafür, dass die Regenzeit nicht mehr weit war. Ran warf einen Blick in den Himmel. Im Westen waren ein paar sehr schwarze Wolken aufgezogen. Möglicherweise würden bald die ersten längeranhaltenden Regenschauer einsetzen. Am besten beeilte sie sich, damit sie nicht in einen der berüchtigten, heftigen Platzregen geriet.

Sie bog gedankenverloren in eine kleine Seitenstraße ein, welche zum nächstgelegenen 24-Stunden-Supermarkt führte. Die dunklen Schatten, welche sich unauffällig an ihre Fersen hefteten, bemerkte sie nicht.
 

Samstag, 04. Juli, 21:17 Uhr, an einem unbekannten Ort
 

Conan Edogawa begann undeutlich, die Umgebung um sich herum wieder wahrzunehmen. Das wohlige, angenehme Gefühl einer tiefsitzenden Ruhe und Sicherheit welches er bis eben noch verspürt hatte, verflog langsam aber stetig und wich einem schleichenden, unangenehmen Gefühl der Angst.

Langsam öffnete er seine Augen, dann blinzelte er mehrmals um zu begreifen, dass es nicht an seinen Sehorganen lag, dass er um sich herum nichts erkennen konnte. Er befand sich in völliger Dunkelheit, sie hüllte ihn komplett ein. Nicht einen einzigen Schemen um sich herum konnte er erkennen.

Ein merkwürdig mildes Gefühl der Panik flammte in seiner Brust auf.

“Was ist passiert? Wo bin ich?” Dachte er träge. Das Midazolam, welches ihm verabreicht worden war, verrichtete noch immer seinen Dienst, lähmte seine Sinne.

In seinem Kopf herrschte ein Gefühl seltsamer Leere, immer wieder überkam ihn Benommenheit und wenn diese einmal kurz verflog, so fühlte er der Junge sich, als hätte ihm jemand einen mit Watte gefüllten Sack über den Kopf gestülpt.

Der kleingeschrumpfte Oberschülerdektektiv Shinichi Kudo spürte einen kühlen, modrigen Luftzug an seinen Wangen. Die Raumtemperatur schien weit unter Körpertemperatur zu liegen. Sein Rücken tat ihm weh, er lehnte mit ihm an einer rauhen und vor allem kühlen Steinwand. Seine Finger- und Zehenspitzen fühlten sich vor Kälte schon beinahe taub an. Als er versuchte, sich zu bewegen, merkte er, dass das nicht möglich war. Er war sich nicht sicher, ob es an noch der Droge lag oder schon daran, dass ihm jemand die Hände hinter seinem Rücken zusammengebunden hatte. Vermutlich trug beides seinen Teil dazu bei, dass er keinen Finger rühren konnte.

Sein Kopf schmerzte, er schloss seine vor Trockenheit brennenden Augen, noch dunkler konnte es sowieso nicht mehr werden. Er war vollkommen orientierungslos, fühlte sich unglaublich erschöpft, wollte einfach schlafen und an nichts denken müssen. Was würde mit ihm passieren, wenn er hier an diesem finsteren, kalten Ort einschlief? Würde er erfrieren? Oder gaukelte ihm sein geschundener Körper nur vor, dass es kalt war?

Stumpf tröpfelte die sonst wohl sehr laute, donnernde Stimme eines Mannes an sein Ohr, sie klang merkwürdig gedämpft und schien von sehr weit weg zu ihm hindurchzudringen: “...sinn… kein Gast...” und schließlich hörte er noch eine andere, wesentlich leisere und merkwürdig verzerrt klingende Stimme, die er absolut nicht zuordnen konnte “...ur ei.. n Kind...” Er hörte ein Geräusch wie von einem quietschenden Türscharnier und leise Schritte, die immer lauter wurden. Jemand kam näher. Durch das Licht, welches mit einem Mal seine geschlossenen Augenlider sachte durchdrang, konnte er erkennen, dass sich sein Umfeld erhellt haben musste. Conan versuchte noch einmal, seine Augen zu öffnen, doch es gelang ihm nicht. Langsam und doch unerbittlich übermannte ihn der Schlaf, nach dem sich sein Körper so sehr sehnte.
 

Das wars auch schon wieder. Ich danke artig fürs Lesen und bitte um eure Meinungen.



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