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Was es heißt, zu siegen

Shiratorizawa Girls' Volleyball Club
von

Vorwort zu diesem Kapitel:
verarbeitetes Thema: eine Schwäche Komplett anzeigen

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Mei - Wing Spiker (Ace)

Am Morgen nach einer Niederlage – ob nun Freundschaftsspiel oder Turnier – fiel es Mei unglaublich schwer, aus dem Bett zu kommen. Auch wenn sie früh aufwachte hatte sie nicht die Energie aufzustehen. Irgendetwas ließ ihren Körper schwerer wirken als sonst, und da sie sonst diejenige im Team war, die am höchsten und öftesten sprang, deprimierte sie das nur noch mehr. Auch heute lag sie bestimmt schon seit einer Stunde im Bett, den Blick starr an ihre Zimmerdecke gerichtet (manchmal dachte sie darüber nach, dort oben ein Poster aufzuhängen, damit sie wenigstens so tun konnte, als würde sie etwas halbwegs Produktives tun) und die Mundwinkel so weit nach unten gezogen, dass es fast schon schmerzte. Es dauerte gut dreißig weitere Minuten bis Mei laut aufstöhnte und sich zur Seite rollte, soweit, dass ihre Beine schon von der Schwerkraft aus dem Bett gerissen wurden und auf dem Boden landeten. Über die Jahre hatte sie gelernt, dass sie so am ehesten aufstand, schließlich war ihr Fußboden ziemlich kalt im Vergleich zu ihrer kuscheligen Bettdecke.

Mehr schlecht als recht schaffte sie es, sich ihren Jogginganzug anzuziehen, die Haare zu kämmen und sich frisch zu machen, bevor sie die Treppe hinunter in die Küche schlurfte und das Frühstück herunterschlang, das ihre Mutter ihr in weiser Voraussicht bereitgestellt hatte. Dann schnappte sie sich ihren Volleyball – Mei hatte den aus ihrem Zimmer mitnehmen wollen, aber gerade weil sie den häufig vergaß, hatte sie unten an der Tür noch einen als Ersatz liegen – und verließ das Haus.

Eigentlich sollten sie sich an den Sonntagen nach Spielen ausruhen und eine Pause machen. So hatte Akira es angeordnet, und obwohl Chihiro mittlerweile der Captain war, hatte Akiras Wort immer noch mehr Gewicht. Bei den anderen Spielerinnen zumindest; Mei kannte ihren eigenen Körper schließlich am besten und würde sich von niemandem sagen lassen, wann sie trainieren konnte und wann nicht. Außerdem musste sie den Kopf frei kriegen, sonst würde sie den ganzen Tag schlechte Laune haben.
 

Mei joggte zunächst ziellos durch die Gegend, wärmte ihren Körper auf und suchte gleichzeitig nach einem Ort, an dem sie ungestört trainieren konnte. Es würde sich schwierig gestalten, Attacken alleine zu üben, also dachte sie kurz darüber nach, ob sie nicht Saki anrufen und fragen wollte, ob sie mit ihr trainieren würde, doch sie verwarf den Gedanken schnell. Sie mochte Saki und hatte sich vermutlich am meisten darüber gefreut, dass sie ihrem Team beigetreten war, denn nach Mei war sie mit Abstand die talentierteste von ihnen. Saki war schon zu ihrer Mittelschulzeit eine ziemlich bekannte Spielerin gewesen, deswegen hatte Mei nur mit ihr das Gefühl, dass ihr Training tatsächlich etwas brachte.

Was sie jedoch noch mehr schätzte als ein zufriedenstellendes Training war ihre Zeit für sich. Obwohl sie gut mit anderen auskam und einen großen Bekanntenkreis hatte, war sie häufiger lieber für sich. Sie hatte sich daran gewöhnen müssen, damals in der Mittelschule, nachdem ihre Freundinnen und Teamkameradinnen ihr den Rücken gekehrt hatten. Das Leben an der Spitze war einsam, das wusste sie nun, und auch wenn ihr jetziges Team sie nicht ablehnte, hatte sie sich zu sehr daran gewöhnt, ihr eigenes Ding durchzuziehen. Es war einfacher. Denn wenn sie einen Fehler machte, konnte nur sie selbst sich dafür verantwortlich machen. Niemand hatte dann das Recht, ihr einen Vorwurf daraus zu machen, vor allem nicht, wenn sie selbst nicht in der Lage gewesen waren zu punkten.
 

In Shiratorizawa war sie bereits in ihrem ersten Jahr die Spielerin gewesen, auf die das Team sich am meisten verließ. Sie selbst würde sich nie als Ace bezeichnen – so ein Titel brachte Verantwortung, brachte Erwartungen, die nicht von ihr selbst, sondern von anderen gestellt wurden –, aber Mei wusste, dass sie unentbehrlich war. Jetzt noch mehr als sonst, seit sie auch die Punkte erzielen musste, die Akira früher geholt hatte.

Sie wusste, dass sie sich nicht in einer Position befand, in der sie egoistisch hätte handeln können. Aber Mei war ein egoistischer Mensch, von Grund auf, seit sie zurückdenken konnte. Deswegen war sie auch die Einzige von ihnen, die Akira damals nicht im Krankenhaus besucht hatte.
 

So paradox es klingen mochte, spielte Mei Volleyball nur für sich allein und nicht für das Team. Bisher war ihr niemand begegnet, der so viel Talent dafür mitbrachte wie sie selbst, und genau aus diesem Grund konnte sie dem Sport nicht den Rücken kehren und zu einem Einzelsport wechseln. Auch dann nicht, wenn sie manchmal das Gefühl hatte, sich als Einzige zu verbessern oder als Einzige wegen einer Niederlage frustriert zu sein. Sie war gut in dem, was sie tat, und das wollte sie sich nicht von einem Team verderben lassen, mit dem sie nur noch dieses Jahr spielen würde.
 

Mei hatte nicht bemerkt, dass ihr Körper von selbst zum Stehen gekommen war. Es war ihr üblicher Platz; ein alter Spielplatz, der heutzutage kaum noch von Kindern genutzt wurde. Früher war sie häufig mit ihrer großen Schwester hier gewesen.

Sie lächelte matt, wischte sich den dünnen Schweißfilm von der Stirn und hoffte, dass die anderen wussten, wie sehr sie jede von ihnen zumindest als Freundin schätzte, wenn schon nicht als Teamkameradin.



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