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Akt 3 - Klare Worte

Nur leise klopfte es am nächsten Morgen an der Wohnungstür, aber doch noch laut genug, um Haruka augenblicklich aufspringen zu lassen. Seit Stunden hatte ihr Usagi weder Blick noch Wort geschenkt und allmählich wurde ihr die Stille unheimlich. Sie öffnete die nur notdürftig geflickte Tür des Apartments und lächelte ihrer Mitbewohnerin und Freundin sichtlich dankbar entgegen. „Haben schon auf dich gewartet, Setsu. Ist Michiru schon zuhause?“

Setsuna antwortete, während sie eintrat: „Ja, wir haben uns die Klinke in die Hand gegeben.“ Achtsam sah sie sich im verlassenen Wohnzimmer um. „Wie geht es ihr?“, fragte sie leise.

„Keine Ahnung. Seit gestern Abend hat sie nicht mehr mit mir gesprochen. Vielleicht hast du ja mehr Glück mit unserer Mimose.“ Schon währenddessen Haruka sprach, zog sie sich ihre Jacke über. „Brauchst du noch was?“

„Ich denke, wir kommen schon klar“, antwortete Setsuna.

Haruka nickte. Dann rief sie in Richtung des verschlossenen Schlafzimmers: „Bis später, Mond-häschen! Ich muss los, Michiru wartet auf mich. Ich lasse dir aber Setsu hier.“ Wie zu erwarten war, bekam Haruka keine Antwort. Sie seufzte leise. Dann nickte sie Setsuna zum Abschied zu und verschwand.

Allein sah sich Setsuna um. Sie musterte die kaputten Bilder. Eines fiel ihr besonders ins Auge. Sie nahm es hoch. Zu erkennen war ihre strahlende Mondprinzessin. Lachend klammerte sich die abgebildete Blondine an Mamoru, der seinerseits versuchte, eine Chibiusa mit verschwommenen Konturen auf seinen Schultern zu halten.

„Mittlerweile kommt mir das alles wie ein Traum vor.“

Setsuna schnellte herum. Usagi hatte sich lautlos aus dem Schlafzimmer geschlichen. Ausdruckslos starrte sie auf das Andenken in Setsunas Händen und flüsterte weiter: „Ein schöner Traum von Glück und einem Weg in die strahlende Zukunft. Mit einem echten Prinzen an meiner Seite. Und einer Prinzessin als Tochter. Und gleich danach schließt sich dieser Alptraum des wahren Lebens an. Das schmerzhafte Erwachen und die Einsicht, dass nichts davon real werden kann.“

Setsuna wandte sich ab. Sie stellte das Bild zurück an seinen Platz. Verunsichert sah sie aus dem Fenster. Eine nachdenkliche Stille legte sich über den Raum, die erst nach einigen Minuten von einem leisten Knirschen durchbrochen wurde. Mit gehobenen Brauen und vielsagendem Gesichtsausdruck musterte Setsuna die geöffnete Rumflasche, an der sich Usagi gerade zu schaffen machte.

„Haruka hat es erlaubt“, gab die Mondprinzessin ungefragt von sich.

„Haruka ist eben auch nicht allwissend. Du weißt schon, dass dir noch ein Rausch nicht über den Schmerz hinweghelfen wird?!“

Usagi schnaufte verächtlich. „Was weißt du schon über meinen Schmerz?“

Setsunas Backenzähne bissen hart aufeinander.

Usagi ließ sich seufzend aufs Sofa fallen. Erneute Stille machte sich breit und brachte die Blondine zum Nachdenken. Leise knurrte sie schließlich: „Tut mir leid, ich weiß ja, dass ihr euch nur um mich Sorgen macht.“

„Schon gut. Rei sagte schon, du wärst in letzter Zeit etwas… reizbar.“ Nach kurzem Zögern setzte sich Setsuna zu ihrem Schützling. „Trotzdem kann ich Harukas Art der Trauerbewältigung nicht gutheißen. Dieses Gift verstärkt nur deine Emotionen und in deiner momentanen Lage wird es deine Laune nur noch verschlechtern. Ganz zu schweigen von Übelkeit, Kopfschmerzen und der allgemeinen Schlappheit.“

Genervt sah Usagi auf. „Was soll das Krankenschwesterngetue?! Das kann ich gerade echt nicht gebrauchen. Und immerhin hilft mir das Zeug in den Schlaf.“

„Eine nicht weniger große Lüge. Du weißt, dass du davon nur noch mehr Alpträume bekommst. Und wenn ich mir deine Augen so ansehe, hattest du davon in letzter Zeit wohl mehr als genug!“

Unbeeindruckt starrte Usagi Setsuna an und ohne den Blick abzuwenden, leerte sie ihr Glas in einem Zug. Dann erst schloss sie ihre Augen und warf sich gegen die Sofalehne. „Du kannst dir überhaupt nicht vorstellen, wie egal mir das alles ist.“

Setsunas linke Braue zuckte. „Oh, du glorreiche, strahlende zukünftige Neo Queen Serenity. Wie gut, dass dieser Lebensabschnitt den meisten deiner Untertanen verborgen bleiben wird.“

Usagi schlug ihre Augen auf. Mit trübem Blick starrte sie auf ihr Glas. „Ach ja“, begann sie spöttisch. „Königin werde ich ja auch noch. Eine Königin, die mehrere Jahrhunderte lang allein über ihr ach, so strahlendes Reich regieren wird. Das hätte ich ja fast vergessen!“ Sie schenkte sich nach und trank unbeirrt weiter, bis ihr Setsuna die Flasche abnahm.

„Ist mir egal, ob du mir jetzt deine Beleidigungen an den Kopf wirfst, aber es reicht endgültig! Und Haruka wird sich von mir noch etwas anhören dürfen! Herrgott, lass dich nicht so gehen, Serenity!“ Damit war das Thema für die erfahrene Kriegerin beendet. Sie trug die fast leere Flasche in die Küche, um den restlichen Inhalt im Abwaschbecken zu entsorgen. Als sie sich wieder umdrehte, stand Usagi mit glasigen Augen und leicht geröteten Wangen vor ihr. „Hört endlich auf, mich zu bevormunden und zu bemuttern!“, schrie die Blondine plötzlich los. „Du und die Anderen, ihr geht mir verdammt noch mal auf die Nerven! Ihr habt doch keine Ahnung, was ich gerade durchmachen muss! Ich hab mehr verloren als nur meinen Geliebten! Endymion war meine Vergangenheit und meine Zukunft! Wir hatten sogar eine Tochter! Oder werden eine haben! Oder hatten gehabt! Oder… Ach, was weiß ich!! Nicht nur Mamoru wurde mir unwiederbringlich genommen, auch Chibiusa! Und gerade von dir hätte ich mehr Verständnis erwartet, Wächterin der Zeit. Immerhin bist du es doch, die meine Zukunft beschützen soll!“

„Du sagst es, Prinzessin!“ Setsuna hob abwehrend ihre Hände. „DEINE Zukunft soll ich beschützen! DEINE Zukunft untersteht meinem Schutz. Es lag nicht in meiner Hand, Endymion zu retten!“

„Aber du wärst als Einzige dazu in der Lage gewesen!“, schrie Usagi zurück. „Du hättest es verhindern können! Du bist die Einzige, die die Macht gehabt hätte, seine Zukunft zu lesen, zu erkennen, dass er nicht von London zurückkehren wird! Du hättest ihn retten können, Pluto! Ihn und Chibiusa und mich! Aber das hast du nicht. Du hast sie beide sterben lassen und mein Unglück nicht verhindert! Dabei hatte es in deiner Hand gelegen. Der Faktor >Zeit< ist die einzig wahre Konstante, die nur du beeinflussen kannst.“

Jetzt reichte es Setsuna. Nicht weniger laut entgegnete sie: „Wie zur Hölle kannst du nur glauben, dein Schicksal gehe einfach so an mir vorbei?! Wie kannst du von mir verlangen, mich zu opfern, weil ER es wieder einmal war, der nicht bei dir bleiben wollte und stattdessen die Welt bereiste?! Glaubst du tatsächlich, ich würde nicht trauern?! Glaubst du allen Ernstes, es wäre mir egal, wer neben dir auf dem Thron sitzen wird?! Wie kannst du nur behaupten, ich würde mich nicht um Chibiusa sorgen?! Glaub mir, hätte es einen Sinn gehabt, das größte Tabu zu brechen – und du weißt ganz genau, was das für mich bedeutet hätte – dann hätte ich es getan!

Lass dir eines gesagt sein, Prinzessin: Deine Tochter stirbt erst noch, mit jedem weiteren Schluck dieses Gesöffs!“ Damit schlug sie Usagi ihr mitgebrachtes Glas aus der Hand, das daraufhin krachend auf den Küchenfliesen zersprang. „Ihn kannst du nicht mehr retten, so viel ist sicher. Aber sie hättest du retten können! Und nur du! Doch je mehr du dich in deine egoistischen Depressionen fallen lässt, desto mehr verschwimmt ihr Bild! Bis vor wenigen Tagen hatte ich sie noch sehen können, aber ihre Aura wird immer schwächer! Und niemand sonst ist schuld daran, nur dein egozentrisches Selbstmitleid!“

Usagi fühlte sich, als hätte sie eine Ohrfeige bekommen. „Chibiusa lebt?“, flüsterte sie nach einem schier unendlichen Moment fragend.

Setsuna antwortete ihr nicht. Sie hatte genug gesagt. Energisch schritt sie an der Prinzessin vorbei, um ihre Jacke aus dem Wohnzimmer zu holen. Kurz bevor sie die Wohnungstür erreicht hatte, hörte sie Usagis Stimme aus der Küche leise rufen: „Setsuna, warte!“, doch die Wächterin hielt nicht lange inne. Sie setzte ihren Weg fort und hatte den Fahrstuhl fest anvisiert, als Usagi sie einholte. „Setsuna, bitte!“ Die Worte der Blondine stießen auf taube Ohren. „Pluto!“

Erst jetzt blieb die Kriegerin der Zeit stehen. Aber ihr Blick starrte weiter geradeaus.

„Gibt es wirklich eine Chance, Chibiusa zu retten?“

Setsuna schluckte. Langsam sah sie zu Usagi. Zum ersten Mal seit Wochen zeigte sich eine Tugend in den blauen Augen der zukünftigen Königin, die sie und ihre Gefährtinnen fast verloren geglaubt hatten: Hoffnung. „Was ich sehen kann, ist nur ein mögliches Abbild der Zukunft. Ob und wie sie eintreten wird, bestimmen wir noch immer selbst, in der Gegenwart. Ganz sicher weiß ich nur eins: wenn du deine Tochter retten willst, musst du weiterleben. Denn was du im Moment tust, kann man nicht als ‚leben‘ bezeichnen.“

Usagi senkte ihren Blick. Ihre Beschützerin wartete nur noch einen kurzen Moment, bevor sie weiterlief und im Fahrstuhl verschwand. Für einige Minuten verweilte Usagi noch im Korridor. Dann wanderte sie langsam zurück zu Mamorus Apartment. Wieder im Wohnzimmer angekommen, lehnte sie sich gegen den Türrahmen. Langsam rutschte sie zu Boden. Sie zog die Knie an sich und sah sich stumm weinend um. Jetzt hatte sie es geschafft. Sie war allein. Und hatte sie das nicht die ganze Zeit über von ihren Freundinnen gefordert? Das Bild der Wohnung, die einmal ihrem Verlobten gehört hatte, hatte sich verändert. Die zerbrochenen Bilderrahmen, Harukas Glas vom gestrigen Abend auf dem Wohnzimmertisch, ein paar benutzte Taschentücher auf dem Sofa. Trotzdem fast alle ihre Freundinnen auf häufiges Lüften bestanden hatten, roch es nach Usagis Spuren des Selbstmitleids, nach Alkohol und scharfen Reinigungsmitteln, die dessen Flecken aus Teppichen und Polstern hatten ziehen sollen. Sie hatte diesen ihren Rückzugsort vollkommen entweiht. Die Anwesenheit ihres Geliebten, die sie nach der Beerdigung hier hatte spüren können, war erloschen.

Bis in die späten Vormittagsstunden verharrte die Trauernde in ihrer Starre. Irgendwann wischte sie sich das Salz von den Wangen, das ihre getrockneten Tränen hinterlassen hatten. Sie konnte noch immer nicht verstehen, was hinter Setsunas Worten steckte, aber sie hatte verstanden, dass sie der Schlüssel zu ihrem Weg in eine neue Zukunft waren. Also begann Usagi damit, die Wohnung wieder auf Vordermann zu bringen. Als sie die wesentlichen Spuren ihrer Trauerzeit beseitigt hatte, suchte sie in den Kommoden und Schränken nach einigen Unterlagen. Sie würde später Ami um Hilfe bitten, die Wohnung und alle wichtigen Verträge ihres verstorbenen Verlobten zu kündigen. Am Nachmittag wagte sie sich zum ersten Mal seit Wochen, zu ihrer Familie zurückzukehren.



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Kommentare zu diesem Kapitel (2)

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Von:  Lilia24
2016-11-02T19:29:19+00:00 02.11.2016 20:29
Das musste von setsuna sein,damit usagi wieder zu Vernunft kommt.
Es geht nicht immer so weiter.
Supi kapi
Antwort von:  Ruka_S_Orion
03.11.2016 11:15
Jeder braucht wohl eine Setsuna, die einem den Kopf zurecht rückt ;P
Von:  GothicVampir
2016-11-02T19:21:12+00:00 02.11.2016 20:21
Setsu bringt Usagi wieder zur Vernunft, wer hätte das gedacht ;p
Chibiusa ist zu retten?! 🤔 was hast du da bloß geplant? Hab da so einige Vermutungen, aber ob die stimmen 😅
Antwort von:  Ruka_S_Orion
03.11.2016 11:14
Ich bin mir sicher, du denkst in die richtige Richtung XD
Antwort von:  GothicVampir
03.11.2016 22:46
Da traust du mir aber einiges zu ^^''


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