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Schwarzer Komet

Drachengesang und Sternentanz - Teil 1
von

Vorwort zu diesem Kapitel:
Diese Woche hatte ich nen echten Lauf! Ich konnte nicht nur dieses Kapitel hier ganz bequem abtippen und mehrfach überarbeiten - und zu überarbeiten gab es da in der Tat viel, insbesondere an der zweiten Szene habe ich viel herumgedoktort^^' -, sondern auch zwei Kapitel für ein Prequel zum Schwarzen Kometen schreiben. Besagtes Prequel dreht sich allein um die Ereignisse in der Stillen Wüste, behandelt also nur einen kleinen Teil des Großen Ganzen. Dennoch ist das Prequel recht umfangreich. Dementsprechend froh bin ich, dort voran zu kommen, denn ich hege die Hoffnung, dieses Prequel vielleicht schon Ende des Jahres hochzuladen!

Wie dem auch sei, viel Spaß beim Lesen! Komplett anzeigen

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Der Morgen, an dem sie in einer Zelle erwachte

Vier Tage vor der Opferung
 

Lucys gesamter Körper schmerzte, als die junge Frau erwachte. Ihr Kopf dröhnte und sie hatte einen seltsamen Geschmack auf der Zunge, der diese prickeln ließ. Bei einem ersten Versuch, die verklebten Augen zu öffnen, wurde sie von einem Licht geblendet. Es dauerte eine ganze Weile, bis Lucy zumindest blinzeln konnte, ohne dass es weh tat.

Ganz vorsichtig drehte sie den Kopf und realisierte dabei, dass sie auf feuchtem, modrig riechendem Stein lag. Jemand hatte ihr auch den zweiten Stiefel und Geminis Lederrüstung ausgezogen und sie spürte auch nicht mehr den vertrauten Druck ihres Waffengürtels an der Hüfte.

Als sie endlich die Augen öffnen konnte, starrte sie auf eine grobe, von Schimmel überzogene Steinwand. Es war schummrig, Lucy verstand gar nicht mehr, was sie vorhin geblendet hatte. Ganz langsam drehte sie den Kopf, wobei sie einen Blick auf ein wenig vertrauenerweckendes Strohlager erhaschte.

Sie musste kurz blinzeln, als ihr Gesicht von einem Lichtstrahl getroffen wurde, dann erkannte sie, dass sich auch zu ihrer Linken eine solide, aber schimmlige Wand befand. Das Licht fiel durch einen schmalen Sichtschlitz im oberen Drittel dieser Wand – Fenster konnte man das wirklich nicht nennen. Es war unmöglich zu bestimmen, welchen Stand die Sonne gerade hatte.

Mühsam schob Lucy ihre bleischweren Arme unter ihren Oberkörper und stemmte sich in die Höhe. Sie schaffte es in eine aufrechte Sitzposition und ihre Gedanken waren nun klar genug, um das Ausmaß ihrer Situation zu erfassen, während sie sich umdrehte.

Sie bemerkte eine eisenbeschlagene Holztür mit einem winzigen, vergitterten Fenster, hinter dem es jedoch dunkel war. Wenn es noch eines Beweises dafür bedurft hatte, dass sie sich in einer Gefängniszelle befand, war es diese Tür. Die Zelle war winzig, maß in Länge und Breite vielleicht vier Schrittlängen. Außer dem Strohlager gab es nichts. In einer Ecke roch es so ekelerregend, dass es Lucy beinahe den Magen umstülpte.

Um sich davon abzulenken, konzentrierte sie sich auf ihren eigenen Zustand. Ihr ehemals weißes Wams war völlig verdreckt und an einigen Stellen gerissen. Ihre Hose sah trotz der guten Lederarbeit kaum besser aus. Verletzt schien sie nicht zu sein, von der aufgeschrammten Ferse und den wundgescheuerten Waden mal abgesehen. Doch ihr Körper musste von blauen Flecken übersäht sein und ihre Muskeln waren qualvoll verspannt. Sie verspürte bohrenden Hunger und ihre Kehle war wie ausgedörrt. Als Lucy vorsichtig ihren Kopf nach der Ursache für die Schmerzen dort abtastete, bemerkte sie, dass ihre Haare verfilzt und dreckverkrustet waren. Eine Beule konnte sie jedoch nicht spüren.

Seufzend strich sie dennoch weiter durch ihre Haare und versuchte, sie zu entwirren. Es ziepte und wahrscheinlich wäre es mit Wasser sehr viel einfacher, aber Lucy war dankbar, eine Beschäftigung für ihre Finger zu haben.

Wie lange war sie bewusstlos gewesen? Sie konnte sich noch an eine holprige Fahrt auf der Ladefläche eines Gespanns erinnern, an Hände, die ihr Wasser und Nahrung einflößten. Mehr war ihr von der Reise hierher – wo auch immer das war – nicht in Erinnerung geblieben. Davor konnte sie sich daran erinnern, dass sie durch das Moor gehetzt war, mehrere Verfolger auf den Fersen. Sie war eingeholt worden, sie hatte sich mit Geminis Schwert zur Wehr gesetzt…

Gemini! Wie war es ihm und den Anderen ergangen? War ihnen die Flucht gelungen oder wurden sie auch hier in einer anderen Zelle gefangen gehalten? Oder waren sie…?

Lucy schüttelte so heftig den Kopf, dass dieser prompt noch mehr zu dröhnen begann. Sie konzentrierte sich ganz bewusst auf den Schmerz, der ihr die Tränen in die Augen trieb. Alles war besser, als auch nur einen Herzschlag lang das Schlimmste in Erwägung zu ziehen!

Als die Erinnerung an Loke hoch kam, der ihr zurief, zu fliehen, ehe er sich einem Dutzend Bewaffneter stellte – darunter jemand mit einem Berserker-Schwert –, schnürte ihr beinahe die Luft ab. Keuchend beugte sie sich vornüber, bis ihre Stirn den Boden berührte. Der Modergeruch stach ihr geradezu in die Nase. Sie zwang sich, ihn tief einzuatmen, nahm die Kälte des Bodens dankbar an. Alles, um nur nicht an ihre Freunde zu denken, die womöglich ihre Leben gelassen hatten – und, was am schlimmsten war, das wahrscheinlich auch noch umsonst.

Zitternd kämpfte sie sich auf die Beine und torkelte auf den Fensterschlitz zu. Sie konnte ihre Glieder kaum spüren und krachte beinahe gegen die Wand. Sie schrammte sich den linken Handballen auf, als sie nach Halt suchte, aber sie nahm auch diesen Schmerz dankbar an.

Ein Hauch frischer Luft traf ihr tränennasses Gesicht und sie hob den Blick zu dem winzigen Himmelausschnitt, den sie durch den Schlitz sehen konnte. Es war ein wolkenloser Sommerhimmel, heiter und fröhlich. Ein Hohn auf Lucys Situation.

Das rief den Trotz in ihr wach. Sie war die Fürstin von Heartfilia, die Tochter von Jude und Layla, die Schülerin von Meister Crux und Meister Capricorn. Sie würde diesen Monstern hier nicht die Genugtuung geben, sie anzubetteln, und sie würde sich weder erpressen noch erniedrigen lassen! Auch wenn vielleicht nie jemand davon erfahren sollte, Lucy würde hier nicht ihren Stolz und ihre Prinzipien hintergehen!

Diese Entschlossenheit straffte Lucys Schultern. Es fühlte sich an, als würde sie einige Fingerbreiten wachsen. Sogar ihre Kopfschmerzen vergaß sie darüber.

Als die Zellentür widerlich knarrend geöffnet wurde, drehte Lucy sich mit aller Würde ihres Standes herum und blickte dem Ankömmling entgegen. Es war ein großer, doch spindeldürrer Mann mit langem, weißem Bart und ebensolchen Haaren. Er trug eine weiß-schwarze Robe und auf seiner Brust war ein Wappen eingestickt: Ein schwarzer Riese, durch dessen erhobene Hände ein schwarzer Komet hernieder ging. Lucy kannte dieses Wappen nicht. Es stammte von keinem der Fürstentümer und auch von keiner der Freien Städte. Auch gehörte es zu keinem anerkannten Orden. Lucy kannte gewiss nicht alle Wappen Fiores, aber in diesen Punkten war sie sich doch sehr sicher.

„Wer seid Ihr und was wollt Ihr von mir?“, fragte Lucy schneidend. Zu ihrem Ärger klang ihre Stimme heiser und kraftlos, aber sie verbot sich ein Räuspern. Ja keine Schwäche zeigen!

Der Mann blieb ihr zunächst eine Antwort schuldig und musterte sie eingehend. Sein Blick wirkte beinahe manisch auf Lucy. Hatte sie es mit einem Verrückten zu tun?

„Wo sind meine Freunde?“, schob Lucy eine weitere brennende Frage hinterher, als ihr das Schweigen zur Qual wurde.

„Was wir von Euch wollen, ist sehr einfach“, erklärte der Mann erhaben. Er sprach so betont, als würde er ein Theaterstück aufführen, und machte eine dramatische Pause. „Wir wollen Euer Leben dem Schwarzen Kometen opfern.“

Lucy lief es eiskalt den Rücken herunter. Sie hatte noch nie von diesem ominösen Schwarzen Kometen gehört, aber zweifelsohne hatte sie es hier mit einer Sekte zu tun. Und zwar mit einer, die entartet genug war, um sich nicht darum zu scheren, dass Menschenopfer nach dem Kaiserlichen Gesetz verboten waren. Es kostete Lucy alle Beherrschung, ruhig zu bleiben.

„Wo sind meine Freunde?“, fragte sie noch einmal.

„Nicht hier“, war die knappe Antwort. „Wir benötigen sie nicht mehr, also haben wir die Verfolgung eingestellt. Wenn der Schwarze Komet Euch annimmt, werden die Unreinen ohnehin bald allesamt vernichtet werden.“

„Seid Ihr etwa ein Geisterjäger?“, spie Lucy angewidert aus.

Wieder blieb der Alte ihr die Antwort schuldig, aber das war Lucy Bestätigung genug. Ihr wurde beinahe schlecht vor Ekel.

„Wir werden Euch in der nächsten Vollmondnacht opfern, also in vier Tagen“, erklärte der Mann und sein Ton machte deutlich, dass das Gespräch für ihn damit beendet war. „Ihr solltet nicht über eine Flucht nachdenken, das wäre zwecklos.“

Damit drehte er sich wieder um und verließ die Zelle. Das Schließen der Tür klang endgültig. Erst als sie sicher sein konnte, dass sie alleine war, ließ Lucy sich an der Mauer langsam zu Boden gleiten, schlang die Arme um die Beine und drückte das Gesicht gegen ihre Knie, um ihre Tränen vor dem Rest der Welt zu verbergen.
 

Drei Tage vor der Opferung
 

„Natsu… Wieso reisen wir nicht mehr nach Magnolia?“

Der Feuermagier kaute das hart gewordene Brot durch und schluckte es herunter, ehe er den Exceed anblickte, dessen Frage nur allzu berechtigt war. Sie waren nur noch eine bequeme Tagesreise von ihrer Heimatstadt entfernt gewesen, als Natsu eine telepathische Nachricht von Igneel erhalten hatte. Seitdem ging Natsu wieder nach Nordosten zurück.

Um Happys Verletzung zu schonen, waren sie langsamer als sonst unterwegs und nun waren sie erst vier Tagesreisen von Magnolia entfernt. Heute Morgen hatte Natsu deutlich gespürt, dass sein Drache ganz in der Nähe war, weshalb er ausgiebiger als sonst frühstückte.

„Igneel will einer seltsamen Spur nachgehen und er braucht dafür vielleicht unsere Hilfe“, erklärte er.

„Einer seltsamen Spur?“, wiederholte Happy und legte den Kopf schräg.

Ratlos zuckte Natsu mit den Schultern. „Er hat etwas gespürt, das er nicht kennt. Etwas Starkes. Vielleicht sogar etwas Gefährliches.“

„Ich habe nichts gespürt.“

„Ich auch nicht“, seufzte Natsu und schnitt das Käsestück, das ihm verblieben war, in zwei Teile. Eines schob er sich in den Mund, das andere gab er Happy, dann wischte er sein Messer mit einem Lederlappen sauber. „Wie fühlst du dich?“

„Gut, Lucys Medizin wirkt Wunder“, erklärte Happy eifrig.

Beinahe wäre Natsu ein sehnsüchtiger Seufzer entschlüpft. Allein die Erwähnung ihres Namens ließ ihn Lucy gleich noch mehr vermissen. Ihren betörenden Geruch, ihre wunderschönen braunen Augen, ihr sanftes Lächeln, ihre schimmernden Haare, ihre grazilen Finger, ihre melodiöse Stimme…

Wo sie jetzt wohl war? Wahrscheinlich war sie bereits mit Loke und den Anderen in Heartfilia und kam ihren Pflichten als Fürstin nach. Sicher war sie eine großartige Fürstin. Sie war so klug und so sanft, konnte aber auch streng werden. Vielleicht sollte Natsu mal den alten Makarov fragen, ob er nach Heartfilia ziehen konnte…?

Hör’ auf, von deiner Prinzessin zu träumen. Wir sind gleich da, erklang Igneels Stimme in seinem Kopf.

Unwillig verzog Natsu das Gesicht. Sie ist nicht meine Prinzessin!

Aber sicher doch…, war die trockene Antwort.

Und wen meinst du mit Wir?

Wirst du gleich sehen.

Brummend verdrehte Natsu die Augen und begann, seine Sachen zusammen zu packen. „Igneel ist gleich da. Er hat es ganz schön eilig.“

Ein verschlagenes Grinsen breitete sich auf Happys Gesicht aus. „Weiß er es auch schon?“

„Was soll er wissen?“

„Dass du verliebt bist!“ Der Exceed kicherte vergnügt.

Natsus Gesicht wurde heiß. Er musste sich in Erinnerung rufen, dass sein kleiner Freund noch immer verletzt war und daher eine ordentliche Kopfnuss nicht so gut vertragen würde. Also verlegte er sich darauf, etwas vor sich hin zu nuscheln und sich aufs Packen zu konzentrieren.

War er also wirklich in Lucy verliebt? Er hatte damit keine Erfahrung. Klar, er hatte schon verliebte Paare beobachten können, aber das, was er jetzt fühlte, konnte er gar nicht richtig in sein Weltbild einordnen. Er wusste nur mit völliger Sicherheit, dass er sich nichts sehnlicher wünschte, als Lucy immer an seiner Seite zu haben. War das Liebe?

Ein lautes Rauschen über ihren Köpfen ließ Natsu und Happy aufblicken. Zwei gewaltige Körper flogen über sie hinweg, der erste rot mit einem gelben Bauch, der zweite, etwas zierlicher gebaute, reinweiß. Über Natsus Gesicht breitete sich ein freudiges Grinsen aus. Schnell verschnürte er seinen Rucksack und lud ihn sich auf den Rücken, um dann Happy hoch zu heben, der auf einmal sehr nervös wirkte.

Die beiden Drachen landeten geschmeidig auf der Lichtung und von Grandines Rücken kletterten Romeo und Wendy, beide in Reiseumhänge gehüllt, unter Romeos Umhang blitzte eine fein gearbeitete Lederrüstung hervor und er trug sowohl sein Kurzschwert als auch seinen vollen Köcher mit dem ausgespannten Bogen am Gürtel. Natsu entging nicht, wie enttäuscht Happy war, als ihm klar wurde, dass Charle den Beiden nicht folgte, aber er begrüßte zunächst Romeo mit einem kameradschaftlichen Handschlag und Wendy mit einer kurzen, aber herzlichen Umarmung.

Auch wenn der die Beiden erst vor wenigen Monden in Cait Shelter zurück gelassen hatte, freute er sich doch, sie wieder zu sehen. Das tat er immer, wenn er einen der Drachenreiter wieder traf, denn in seinen Augen gehörten sie alle zusammen.

„Was führt euch denn hierher?“

„Und wo ist Charle?“, rief Happy dazwischen.

„Ärger“, seufzte Romeo missmutig. „Irgendetwas bringt die Tatzelwürmer durcheinander. Charle ist in Crocus und sucht eine Freundin von uns, die ihr hoffentlich bei den Recherchen in der Universitätsbibliothek helfen kann“, fügte er mit einem entschuldigenden Blick in Happys Richtung hinzu.

„Eine wirklich besorgniserregende Geschichte“, mischte sich Igneel ein, „der ich auch nachgehen möchte, sobald ich diese andere Sache überprüft habe.“

Verwirrt sahen Romeo und Wendy Natsu an, doch der konnte nur mit den Schultern zucken. „Igneel hat etwas gespürt und hat uns sofort umdrehen lassen. Ah, genau, wir wollten Happy in Magnolia heilen lassen, aber jetzt kannst du dich ja darum kümmern, oder, Wendy?“

Er hielt der Jüngeren seinen Partner hin. Sofort nahm Wendy den Patienten an und setzte ihn am Boden ab, um den Verband vorsichtig abzuwickeln und sich die Wunde zu besehen.

„Ein Seeadler“, erklärte Natsu ungefragt. „Vor fast drei Wochen.“

Wendy schnupperte an der heilenden Paste, die Natsu nach Lucys Anweisungen hergestellt und aufgetragen hatte. Verwundert blickte sie auf. „Lungenkraut… Warst du das?“

„Ja, Lucy konnte das viel besser“, jammerte Happy wehleidig, wofür Natsu ihm einen beleidigten Blick zuwarf.

„Sie hatte nicht viel Zeit, um mir das beizubringen.“

„Ihr hättet weniger flirten sollen.“

Nun noch viel verwirrter blickte Wendy zwischen ihnen hin und her. „Lucy? Lucy Heartfilia?“

Jetzt war es Natsu, der verwirrt war. „Woher kennst du Lucy?“

„Aus Crocus. Als ich dort bei Professorin Porlyushka Medizin und Heilkunst studiert habe, haben wir auch Lucy kennen gelernt.“

„Lucy und ihre Freunde haben mich vor dem Seeadler gerettet“, meldete sich Happy bewundernd zu Wort.

Wendy lächelte und legte ihre Hände behutsam auf Happys Rücken. Natsu hörte es leise rauschen, als Wendy ihre heilende Windmagie anwandte und damit die tiefen Schnitte langsam schloss.

„Dann war Lucy auf dem Heimweg?“, fragte Romeo und verzog das Gesicht. „Schade, dass wir sie verpasst haben. Ich hätte gerne mal wieder mit Loke trainiert.“

„Ist er so gut?“, fragte Natsu verblüfft.

„Beinahe so gut wie Mest.“

Dieses Urteil überraschte Natsu. Mest war der beste Schwertkämpfer, den er kannte, und er wusste nur zu gut, dass Romeo nichts auf seinen Meister kommen ließ. Demzufolge musste Loke tatsächlich eine Menge auf dem Kasten haben. Nicht dass Natsu ihn für schwächlich gehalten hatte – immerhin war Loke der Schild und Schwert der Fürstin von Heartfilia –, aber er hätte ihn doch nicht für so gut gehalten…

„Wir können ja mal gemeinsam nach Heartfilia reisen“, schlug Natsu vor.

„Dann kannst du wieder mit Lucy flirten“, kicherte Happy.

„Sei ruhig, du kannst ja mal anfangen, mit Charle zu flirten!“, fauchte Natsu mit heißen Wangen zurück.

Romeo grinste in sich hinein und reichte Wendy einen Tiegel und Mullbinden auf ihren Wunsch hin. Die strich etwas von der intensiv riechenden Salbe auf die noch stark geröteten, kahlen Stellen auf Happys Rücken und verband sie dann wieder.

„In ein bis zwei Tagen kannst du wieder fliegen, aber solange es noch zieht, solltest du vorsichtig bleiben“, erklärte sie, während sie den Tiegel wieder verschloss.

Der Exceed strahlte und bedankte sich überschwänglich. Natsu setzte ihn sich auf die Schulter und ging zu Igneel, der mit Grandine wortlos gewartet hatte. Als er sich auf den Rücken des Feuerdrachen schwang, seufzte er leise. Fast drei Jahre lang war er nicht mehr auf Igneel geritten, weil dieser sich im Gebirge von Bosco herum getrieben hatte, während sein Reiter in halb Fiore unterwegs gewesen war. Es tat gut, wieder die geballte Macht des Drachen zu spüren, und über das telepathische Band fühlte Natsu, dass Igneel sich ebenfalls über das Wiedersehen freute.

Nachdem Romeo und Wendy auf Grandines Rücken geklettert waren, hoben beide Drachen ab. Sie drehten mehrere Runden, bis sie an Höhe gewonnen hatten, dann schlugen sie wieder den Kurs nach Nordosten ein. Für eine Weile genoss Natsu es einfach nur, den Wind in seinen Haaren und das Muskelspiel unter sich zu spüren, doch nach vielleicht einer Stunde bemerkte er, wie Igneel sich anspannte. Ein Blick nach vorn verriet ihm den Grund: Ein Schwarm Aasvögel zog konzentriert an einem Punkt seine Kreise und gab dabei eine Kakophonie von sich, die Natsus Nackenhaare sträubte. Immer mehr Kolkraben, Nebelkrähen und Rabenkrähen gesellten sich dazu, während andere bereits im Schwarm befindliche dem Boden entgegen strebten.

„Eine Schlacht?“ Natsu runzelte die Stirn. Das hier war unbewohntes Waldland, was gab es hier schon zu erobern? „Igneel, ist das die Stelle, zu der du wolltest?“

„Nein, aber ihr solltet euch das vielleicht dennoch ansehen. Wenn es Überlebende gibt, brauchen sie mit ziemlicher Sicherheit Wendys Hilfe“, grollte der Feuerdrache und seine Artgenossin schnaubte zustimmend.

Bei einer großen Lichtung ganz in der Nähe des Schwarms landeten die Drachen. Hier konnte Natsu den Blutgeruch so deutlich wahrnehmen, dass sein Magen rumorte. Er blickte besorgt zu Wendy und erschrak heftig. Ihre Miene spiegelte blanken Horror wieder. Mit einer so heftigen Reaktion hatte er trotz ihres Sanftmuts nun auch nicht gerechnet. Romeo schien deswegen genauso besorgt zu sein. Vorsichtig legte er seiner Freundin eine Hand auf die Schulter.

Das riss Wendy aus ihrer Starre. Sie rannte los in Richtung des Schlachtfeldes. Natsu tauschte einen besorgten Blick mit Romeo, dann setzten sie sich ebenfalls in Bewegung, Happy wieder auf Natsus Schulter. Als sie dem Schlachtfeld näher kamen, mischte sich etwas Verbranntes in den Blutgestank. Und dann stießen sie auf die ersten Leichen. Leichen mit sehr seltsamen Verletzungen. Da war ein Mann, dessen Gesicht aussah, als wären große Glutstücke tief hinein gedrückt worden. Einem anderen war der Bauch aufgeschlitzt worden – doch nicht mit einem Schwert, sondern mit Klauen.

Romeo nutzte die Gelegenheit, dass Wendy stehen blieb, um sich mit ihrer viel feineren Nase zu orientieren, und ging in die Knie. Natsu blickte über seine Schulter auf eine große Spur, die sein Freund entdeckt hatte. Er war kein so versierter Fährtenleser wie Romeo oder Sting, aber er hatte doch einiges von den Beiden gelernt, weshalb er nun die Stirn runzelte.

„Ein Löwe?“

„Viel zu groß“, murmelte Romeo und schüttelte verwirrt den Kopf.

Wendy setzte sich nun langsamer in Bewegung, Natsu und Romeo folgten ihr. Der Blutgeruch stach Natsu in die Nase. Immer wieder blickte er besorgt zu Wendy, der das alles noch viel mehr zusetzen musste, aber aus irgendeinem Grund quälte sie sich weiter.

Sie fanden weitere Leichen, einige von Schwertwunden nieder gestreckt, doch die meisten wiesen ähnliche Todesursachen auf wie die ersten beiden Leichen. Der Boden und die Bäume um sie herum waren teilweise verkohlt.

Als sie eine dicke Eiche umrundeten, erblickten sie die Leiche eines blondgelockten Kriegers mit feinen Gesichtszügen, die in der Todesqual zu einer grauenhaften Grimasse verzerrt waren. Romeo zog scharf die Luft ein und deutete auf das riesige Schwert mit schwarzer Klinge, das neben dem blonden Krieger lag. „Ein Berserker-Schwert.“

„Die gibt es wirklich?“, fragte Happy, der sich schon seit geraumer Zeit die Nase zuhielt.

„Sie sind nicht ganz so fantastisch wie in den vielen Geschichten, aber ja, es gibt sie. Vater hat drei Berserker-Waffen in Verwahrung. Leider lassen sie sich aus irgendwelchen Gründen nicht einschmelzen“, erklärte Romeo und zog seine Lederhandschuhe an, die er sich zuvor unter den Gürtel geklemmt hatte. „Wir sollten das nicht hier liegen lassen. In den falschen Händen können Berserker-Schwerter furchtbaren Schaden anrichten. Es sollte weg gesperrt werden.“ Er holte aus seinem Rucksack eine Decke und einen dünnen Strick und verschnürte das vergiftete Schwert zu einem Paket. Mit dem Rest des Stricks bastelte er eine Trageschlaufe, um sich die Waffe auf den Rücken zu binden.

Romeo rückte das Berserker-Schwert noch zu Recht, als sie Wendys erschrockenen Aufschrei hörten. Sofort setzten Natsu und Romeo sich in Bewegung. Schon nach wenigen Schritten durch dichteres Unterholz sahen sie, was Wendy meinte.

Sie kniete zwischen den Wurzeln einer Weide und untersuchte bereits einen Mann mit kupferfarbenem Haar und braunen Augen, der sich an den Stamm der Weide gelehnt hatte und erschöpft zu Boden stierte. Sein Oberkörper war blank und über seinem Schoß lag nur Wendys Reisemantel. An der rechten Seite hatte er eine klaffende, schwärzlich verfärbte Wunde, neben der sich die Schnitte und Prellungen am Rest des Oberkörpers harmlos ausnahmen.

„Loke“, keuchte Romeo.

Natsu war unfähig, irgendetwas zu sagen oder zu tun. Er konnte nur Loke anstarren, der jetzt eigentlich in Heartfilia sein sollte. Bei Lucy…

Ohne richtig darüber nachzudenken, sprang Natsu vor und packte Loke an den Schultern, um ihn durchzuschütteln. „Wo ist Lucy?!“, rief er mit schwankender Stimme.

„Ich weiß es nicht“, krächzte Loke und blickte mit angsterfüllten Augen zu Natsu auf. „Bitte… ihr müsst mir helfen, sie zu finden…“

„Verdammt, du solltest auf sie aufpassen!“, fauchte Natsu und schleuderte Loke gegen den Baumstamm. Er zitterte am gesamten Körper.

„Natsu…“

Happys klägliche Stimme machte ihm seine eigene Angst nur noch schmerzlicher bewusst. Die Vorstellung, dass Lucy irgendwo da draußen von weiteren Irren mit Berserker-Waffen gejagt wurde, brachte ihn beinahe um den Verstand.

„Was ist passiert, Loke? Waren sie hinter Lucy her?“ Romeos ruhige Stimme holte Natsu zurück in die Gegenwart.

Der Leibwächter hob den Blick voller Angst und Gram. „Sie haben uns auf der Straße angegriffen. Lucy und ich sind nach Norden geritten, die Anderen nach Süden. Ich habe Lucy alleine weiter geschickt, um die hier aufhalten zu können. Sie sind Lucy nicht gefolgt, aber…“

Lokes Stimme erstarb. Erst jetzt begriff Natsu langsam, dass all diese Toten hier allein auf Lokes Kappe gingen, und sein Respekt für den Leibwächter kehrte zurück. Doch es hatte dem Krieger eine Menge gekostet. Seine Haut war bleich und seine Augen lagen tief in den Höhlen. Wendy an seiner Seite hatte bereits die Hände auf die schwarz verfärbte Wunde gelegt und entzog dieser mit ihrer Magie langsam, aber stetig das Gift. Ihre Miene war hoch konzentriert. Natsu war sich nicht einmal sicher, ob sie noch etwas von dem Gespräch mitbekam.

In Cait Shelter hatte sie ihm einmal erklärt, dass Heilungsmagie – egal ob sie auf Wind, Wasser oder Licht beruhte – immer direkt durch den Körper des zu Heilenden kanalisiert werden musste. Dabei war das Risiko, mehr Schaden als Nutzen anzurichten, indem man Blutgefäße oder Nervenstränge platzen ließ, unglaublich hoch. Ein guter Heiler brauchte deshalb Ruhe oder aber die Fähigkeit, sich diese Ruhe zu verschaffen, gleichgültig, was um ihn herum vor sich ging.

„Ich kann sie nicht mehr riechen“, krächzte Loke mit flackernden Augen. Die Behandlung schlug an, aber sie zollte ihren Tribut. Die Stimme des Leibwächters klang nur undeutlich. „Der Regen hat ihre Spur verwischt…“

„Keine Sorge, Loke“, sagte Romeo zuversichtlich und legte dabei eine Hand auf Natsus Schulter, was diesem klar machte, dass sich die Worte auch an ihn richteten. „Sobald du wieder auf den Beinen bist, kann Wendy Lucy finden.“

Abwesend nickte die Heilerin und Natsu hätte die beiden Jüngeren vor lauter Dankbarkeit am liebsten geküsst!


Nachwort zu diesem Kapitel:
Der erste Teil der Geschichte nähert sich unaufhaltsam seinem Ende! Wenn ich bedenke, dass die Grundidee dieser Story tatsächlich nur diese Opferung war und dass sich drum herum alles aufgebaut hat... Und da wird noch sooooo viel kommen! >___<

Ich habe mir echt viele Gedanken darum gemacht, wie Heilungsmagie eigentlich funktionieren kann. Klar, letztendlich ist es sowieso nur Gespinne, aber ich bin in diesem 'verse zu dem Schluss gekommen, dass nicht nur Windmagier heilen können - und dass auch nicht automatisch alle Windmagier die Veranlagung zum Heilen haben. Juvia und Sting sind übrigens auch keine Heiler, das haben sie Beide nie gelernt. Und Wendy ist dafür keine Kämpferin. Zumindest noch nicht, aber da verrate ich nichts weiter :P

Über Feedback würde ich mich sehr freuen!
LG
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Kommentare zu diesem Kapitel (3)

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Bitte keine Beleidigungen oder Flames! Falls Ihr Kritik habt, formuliert sie bitte konstruktiv.
Von: Arianrhod-
2017-02-13T21:15:34+00:00 13.02.2017 22:15
So, jetzt komme ich auch endlich dazu, dir hierfür einen Kommentar zu schreiben. Ich hab das schon ewig vor mich hergeschoben, gelesen hab ich das nämlich schon vor einer Weile.

Lucy ist jetzt also endlich (^^" das klingt so böse. Du weißt, was ich meine) im Kerker angelangt. Und es ist wahrlich keine gemütliche Unterkunft. Ich glaub, ich persönlich würde die Zelle nicht so gern von nahem anschauen. Lucy sicher auch nicht, auch wenn sie natürlich weit größere Probleme als deren miserablen Zustand hat. Sie tut mir echt leid. :( Allein, an einem unbekannten Ort, völlig ohne eine Ahnung, was sie da soll, wer ihre Feinde sind und was die wollen, verletzt und in höchster Sorge um ihre Freunde, in ihrer Haut möchte ich nicht stecken.
Da ist es umso bewundernswerter, dass sie trotzdem die Stärke findet, ihren Häschern mit erhobenem Haupt entgegen zu blicken. Dass sie danach die Tränen nicht zurückhalten kann, ist allerdings dann doch kein Wunder. Ihre Situation wirkt auch sehr ausweglos... Sie weiß ja nicht, das Hilfe schon unterwegs ist. (Und ihre Hilfe auch nicht. XD)

Die zweite Szene war da viel heiterer, das ist ein echt krasser Kontrast... Zumindest beginnt sie so.
Happy der Troll haut auch manchmal echte Klopper raus und Igneel hat auch den einen oder anderen Spruch auf Lager. |D

Und dann endlich das erste Treffen zwischen den Gruppen! \^.^/ (Happy tat mir ein wenig leid, weil Charle nicht dabei ist. ^^" Aber er wird sie noch früh genug treffen.) Langersehnt und es enttäuscht nicht. :) Auch wenn es natürlich gleich wieder um ernste Themen geht.
Und dann schlägt die Stimmung auch gleich wieder um... :/ Aber yay, Loke lebt! :D Und die Andeutungen, die du da über seinen Kampfstil gebracht hast, fand ich ja sehr aufregend. Ich freue mich darauf, ihn mal richtig in Aktion zu erleben! :) (Diese Bastardschwerter klingen allerdings echt scheußlich...)

So, ich bin jetzt natürlich wieder mal gespannt auf das nächste Kapitel. ^^
Gruß
Arian
PS. Hey, dir hat noch jemand anderer einen Kommentar geschrieben. XD
Von:  Kirschbluetentiger
2017-02-05T08:06:38+00:00 05.02.2017 09:06
So ich hinterlasse auch endlich mal ein Kommentra dazu. Dass du dir mehr als nur die Opferung gedacht hast war mir irgendwie klar. Man fängt nicht mit dem Ende an, wenn man nicht noch etwas geplant hat ;)
Die Kapitel sind immer sehr sehr spannend und ich kann es immer kaum erwarten weiter zu lesen.
Lucy ist jetzt wirklich gefangen genommen wurden, aber ich bin froh, dass Loke überlebt hat ^^ Wenigstens etwas bei dieser Flucht.
Zum Glück wissen Natsu und die anderen auch endlich bescheid, was passiert ist. Aber schade, dass man schon weiß, dass sie es nciht rechtzeitig schaffen.
Antwort von:  Yosephia
05.02.2017 09:38
Danke für den Kommentar!^^
Ja, ich hätte Loke unmöglich sterben lassen können, zumal ich ihn ja brauchte, um Natsu & Co. Bescheid zu geben, dass Lucy gefangen genommen wurde ;)
Antwort von:  Kirschbluetentiger
05.02.2017 22:03
Hmm stimmt. Obwohl ich ja eigentlich eher auf Natsus Bauchgefühl gewartet habe ^^"


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