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Love me like a Drama, Boy

von

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Kapitel 2

Kapitel 2

 

Jacek

 

Konnte ein Theaterstück wirklich so mies sein?

Mit etwas Ellenbogeneinsatz hatte ich es geschafft einen der letzten Plätze im Bus zu ergattern damit ich in Ruhe beginnen konnte meinen Text zu lernen und dann das.

Das musste man sich auf der Zunge zergehen lassen.

                        Kurfürst von Hagen, seine Frau, der Diener Bückling

                        betreten den Salon

            Kurfürst (sich umsehend) Wo ist meine Tochter?

            Bückling Nicht hier mein Herr…

            Kurfürst Das seh ich! (Lauter werdend, das Gesicht rot vor Zorn) Hol sie                                                     

                             zu uns du Tölpel.

            Bückling (sich ängstlich verneigend) Sehr wohl Herr.

                                                                                              (ab)

 

Ja, ich wollte auch den Bückling machen und verschwinden so schnell es ging. Obwohl meine Rolle noch nicht einmal aufgetaucht war.

Dennoch las ich weiter.

Als Schauspieler musste man sich auch mit beschissenen Rollen zufrieden geben.

Den Dialog des Kurfürsten und seiner Frau übersprang ich.

Ganze fünf Seiten musste ich blättern, bis Bückling Ludmilla gefunden und in den Salon verfrachtet hatte.

           

                          Tochter des Kurfürsten Ludmilla von Hagen und Bückling             

                          betreten den Salon

           

            Kurfürst (mit strenger Miene) Setz dich, Kind. Deine Mutter und ich haben dir                         

                           gute Neuigkeiten zu überbringen.

            Ludmilla (zu sich selbst sprechend, von den Eltern abgewandt) Eure guten                        

                            Neuigkeiten können nur Unglück über meine arme Seel‘, mein armes                 

                           Herze bringen.

                           (sich den Eltern zuwendend) Welch gute Neuigkeiten habt ihr zu       

                           berichten Vater? Welch Neuigkeiten bringen Euch Anlass zur Freude?

            Kurfürst (mit ausladenden Bewegungen) Freiwald!

            Ludmilla (mit Verwunderung) Freiwald? Was ist mit ihm?

                            (zu sich selbst sprechend) Untergegangen beim Bad im See? Dem   

                            Unhold würd es recht geschehen.

            Kurfürst Vermählt wirst du mit ihm. Heut Morgen nach der Kirche bat er um                 

                           deine Hand.

            Kurfürstin (Verzückt) Solch wunderbare Neuigkeit. Welch glückliche      

                           Verbindung. Meine Tochter als Gattin des edlen Barons.

            Ludmilla Aber Vater…

             Kurfürst (sie unterbrechend)                        Zum nächsten Sonntag wirst du vermählt sein.

            Ludmilla Aber Vater, das sind keine fünf Tage…

            Kurfürst                                                                    Zerbrich nicht deinen  

                          hübschen Kopf mein Kind. Das Fest wird groß. Die Gäste reichlich. Aus allen Landen

                          werden sie kommen. Die Boten bereits heute Morgen ausgeschickt, erreicht sie schon

                          bald die frohe Kunde.

             Ludmilla Aber Vater…

             Kurfürst                     Nur keine Bange Kind, zum Bangen bleibt keine Zeit. Bückling!

             Bückling (eilt zum Kurfürst) Ihr wünscht Herr?

             Kurfürst                     Zur Schneiderin sollst du eilen. Das beste Kleid für meine Tochter. Die Schönste Braut wird sie                              im Land sein.

                            Und nun hinfort mit euch!

                                                           (Kurfürstin, Bückling ab)

              Ludmilla (auf ihren Vater zutretend) Vater…

              Kurfürst                                             Auch du Kind! Reichlich ist zu erledigen bis zur Hochzeit.

                            (sie davon winkend, die Stirn in Falten gelegt, mit dem Geiste nicht mehr anwesend)

                                                           (Ludmilla ab)

 

Nur mit Mühe und Not schaffte ich es, nicht in den Bus zu kotzen, der zu meiner Rettung endlich an der Haltestelle vor der Schule hielt.

Warum musste die Diederich uns mit solchem Mist quälen? Warum fabrizierte ihr krankes Hirn einen solchen Dreck? Und warum zur Hölle hatte ich nicht einfach Shakespeare zugestimmt. Der Mann wusste zumindest mit Worten umzugehen und eine Geschichte zu erzählen.

Dann dachte ich an Anne und wusste warum.

Die Mistkuh musste sich mit genau der gleichen Grütze herumquälen! Geschah ihr recht. Und noch mehr würde es ihr Recht geschehen, wenn ich sie mit dieser Rolle in Grund und Boden stampfen würde!

„Denkst du an Anne?“ Vias Stimme ertönte aus heiterem Himmel neben mir.

„Wieso?“ Misstrauisch musterte ich meine Freundin. Konnte sie neuerdings Gedankenlesen?

„Du würgst deinen Text, wie ein Huhn, dem du den Gar ausmachen willst.“

Erstaunt betrachtete ich das kleine Heftchen in meinen Fingern, geknickt und zerknittert.

Ups. Doch kein Gedankenlesen. Nur die übliche, verräterische Körpersprache.

„Wo ist Bryn?“ Lenkte ich das Thema von Anne ab, ehe ich Felicitas erklären musste, warum zur Hölle ich ihr wunderbares Meisterwerk in winzige Fetzen gerissen hatte.

„Kommt später.“

 

„Hast du wieder einen schlechten Tag?“ Ohne richtige Begrüßung ließ Bryn sich, in der Pause vor der zweiten Stunde, neben uns auf einen freien Platz fallen.

„Nein… ich glaub ich finde mich langsam mit dem Stück a…“ – „Ich meinte nicht dich, oh großer Künstler, sondern Uncle Sam hier.“ Vielsagend deutete die Blonde auf Vivianne, die heute, anstatt des adretten Faltenrockes mit passender Bluse und Kniestrümpfen im Schuluniform-Look, in schlabberige Uncle-Sam Jogginghosen und ein Muscle-Shirt gehüllt war.

„Stimmt… Du trägst dein ‚Ich hab einen schlechten Tag‘ Outfit. Und du hast noch nichts von deinem Problem erzählt, also willst du gar nicht drüber reden, und das bedeutet es ist etwas Ernstes!“

Die Erkenntnis traf mich wie ein Blitz. Man war ich stolz auf meine Fähigkeit solche Dinge zu erkennen.

„Schon klar Sherlock… du siehst das offensichtliche. Aber jetzt raus mit der Sprache Via. Was bedrückt dich.“

Ehrlich? Ich liebte Bryn. Abgöttisch. Doch heute war sie ein dämliches Miststück. Muss wohl beim Zahnarzt gewesen sein. Das letzte Mal, dass sie so mies drauf war, war vor den letzten Osterferien, als sie das Zaumzeug für ihre angeblich schiefen Zähne angelegt bekommen hatte.

Seht ihr, ich war wirklich ein Sherlock. Kam ganz alleine drauf, ohne dass eine der beiden mir davon erzählen musste. Bryn sollte besser nicht so herablassend über meine Kombinationsgabe sprechen.

„Meine Eltern…“

Oh Schreck. Wenn Via so begann, sollte man die Koffer packen und ins Outback oder den Dschungel oder die Arktis auswandern.

„… Das Praktikum nach den Winterferien… Die zwei haben mir nicht mal die Chance gelassen selbst etwas zu suchen. Mein Vater erzählte mir heute Morgen ganz stolz, dass er mir einen Platz in der Praxis seines Freundes besorgt hat. Ich kann mich ja SO glücklich schätzen. Dr.Winter war solch ein begnadeter Chirurg! Erzittern muss man vor Ehrfurcht! Und ich, ICH darf bei ihm ein Praktikum machen….“ Viviannes Stimme zitterte, ehe sie wütend auf den Tisch schlug. Der schlafende Typ vor uns, zuckte ganz erschrocken zusammen.

„Ich hasse es wenn sie das tun! Ich will kein Praktikum in einer Praxis machen. Ich will nicht werden wie sie! Ich will ja nicht mal studieren, schon gar nicht Medizin! Nach der Schule will ich einfach nur weg hier. Nach Afrika um Schulen zu bauen. Für Menschenrechte in den ‚dunklen‘ Gegenden der Welt Kämpfen… Irgendwas… Nur kein spießiger Mediziner werden wie die zwei es sind. Ich…“

Beruhigend legte ich meiner Freundin eine Hand auf die Schulter, während Bryn ihr die Brille auf der Nase zurecht rückte.

„Das Praktikum ist noch lange hin. Such dir bis dahin doch selbst noch einen Platz, überzeug deine Eltern, dass du für dein gewähltes Praktikum besser geeignet bist… oder fälsch einfach ihre Unterschriften und tritt das Praktikum ohne ihr Wissen an.“

„Und das soll klappen? Du kennst meine Eltern…“ Nun war sie an einem Punkt angekommen, an dem Tränen in ihr aufwallten und herausbrachen.

Zeit für mich sie in Bryns Arme zu drücken und eine volle Blase vorzutäuschen. Oder einen Magen-Darm-Infekt. Wenn das Thema Eltern oder deren Zukunftspläne für sie angesprochen wurden flossen die Tränen lange. Da reichte es nicht einfach nur kurz pinkeln zu gehen.

Verdammt.

 

Noah

 

„Was zum Henker treibst du da eigentlich?“

Es war verdächtig wie ruhig Pascha neben der Bank auf der Wiese hockte, zusammengekauert und manchmal leise vor sich hin lachend. Wie die Bösen im Märchen.

„Ich?“ Ertappt schaute er auf. „Nichts?“

Mein Blick fiel auf das glitzernde, pinkfarbene Handy, das er versuchte in seinen Riesenpranken zu verstecken.

Skeptisch schaute ich von Pascha zu den Mädels auf der Weitsprunganlage. Alle quasselten ununterbrochen aufeinander ein, mit zwei Ausnahmen. Ausnahme eins: die arme Sau die in diesen verdreckten Sand springen musste. Ausnahme zwei: Clara. Diese betastete panisch ihre pinkfarbenen Shorts. Wieder und wieder und wieder. Zwischendurch drehte sie sich, wie ein Hund, im Kreis und tastete die Hose erneut ab.

„Hast du Claras Telefon geklaut?“

„Ich?“ Wie auf Kommando weiteten sich seine Augen, fast wie die Katze meiner Oma wenn sie vortäuschte am Verhungern zu sein, obwohl das dumme Fressvieh eine Stunde zuvor erst Futter bekommen hatte.

Und beinahe schon schimmerte das Licht in ihnen wie in schlechten Animes.

„Ich würde doch nie der armen Clara das Handy klauen. Es ist ihr rein zufällig aus der Hosentasche gefallen. Und damit keiner ausversehen drauftritt halt ich es jetzt in den Händen.“

„Klar“ schnaubte ich ihm verächtlich entgegen. Er hatte auch schon mal besser gelogen. „Was willst du mit dem Ding?“

„N…“

„Und komm mir jetzt nicht mit nichts. Du hast darauf rumgetippt. Also raus damit.“

„Das liebe, süße Clärchen hat ungezogene Bildchen von sich gemacht… und ich hab es ganz spontan an diverse, zufällig ausgewählte Nummern geschickt.“

„Wisch die Abdrücke, die deine Schmierfinger hinterlassen haben, weg ehe du das Ding zurückgibst. Die verraten dich eindeutig. Und glaub mir… Clara würde dir den Kopf abreißen wenn sie wüsste, dass DU der Übeltäter bist.“

Diabolisch grinsend aktivierte er die Tastensperre und wischte mit seinem löchrigen Sportshirt die verräterischen Spuren weg, während der Sportlehrer nach uns rief.

 

„Was für Weicheier…“ Kopfschüttelnd beobachtete Pascha wie die restlichen Kerle der beiden zwölften Klassen, nach und nach, schniefend ihre letzten Runden beendeten und sich um den Sportlehrer herum versammelten.

„Kann ja nicht jeder seine Runden, bei dieser Hitze, schneller durchziehen als eine altersschwache Schildkröte“ versuchte ich die anderen zu verteidigen, doch dieses wehleidige Jammern… nein… ging gar nicht. Auslachen musste man diese Jammerlappen.

„Gräfe!“

Wenn man nicht grade vom Lehrer ins Visier genommen wurde.

„Ja?“

„Zeigen sie den Herren hier, dass schönes Wetter keine Ausrede ist, nicht am Sportunterricht teilnehmen zu können.“ Vielsagend deutete der Graumüller, der seinem Namen alle Ehre machte, auf das Metallkonstrukt neben der Laufstrecke.

„Ein paar Klimmzüge sollten für das starke Geschlecht immer machbar sein!“

 

Während wir als letztes zu den Umkleidekabinen aufbrachen warfen die anderen mir noch immer böse Blicke zu, gerade so, als wäre es meine Schuld, dass Klimmzüge für sie ein Ding der Unmöglichkeit waren.

„Ey, guck mal. Ist das nicht die Süße von der Tischtennisplatte?“ Paschas Ellenbogen bohrte sich ohne Vorwarnung in meine Seite, während er wild mit der Hand des anderen Armes in Richtung Schulgebäude fuchtelte.

„Was weiß ich denn?“ Als merkte ich mir, wen der Kerl wann süß fand. Änderte sich sowieso ständig. Dennoch schaute ich auf, einfach um so zu tun, als interessierte es mich. Gott, war ich ein guter Freund.

„Wer ist das überhaupt?“

Schulterzucken. „Weiß nicht. Die muss eine Klasse unter uns sein. Den Rest find ich schon noch raus.“

„Ein Name wäre schon mal nicht schlecht. Dann kassierst du vielleicht auch nicht noch einen Mittelfinger.“

Denn gerade heraus wie mein bester Freund nun einmal war, plärrte er der Blonden irgendetwas quer über den Hof entgegen, woraufhin diese erst zu ihrer Freundin im Sportoutfit schaute und schließlich kopfschüttelnd den Mittelfinger in unsere Richtung streckte.

Bei mir hätte er für so eine Anmache einen Schlag ins Gesicht geerntet.

 

Beim Betreten der Umkleidekabine schauten zwei Augenpaare gelangweilt auf, ignorierten uns jedoch und noch ehe wir die Duschen betreten konnten fiel die Tür hinter ihnen ins Schloss und ließen uns allen zurück.

Ich wusste warum wir nach dem Sport trödelten. Gemeinsam mit den anderen Kerlen duschen? Bloß nicht. Pascha war das höchste der Gefühle, jedoch nur, da er mich von Anfang an praktisch dazu zwang.

Weder wollte ich die käsigen Labberärsche dieser Typen, noch deren Gehänge näher betrachten.

„Das nächste Mal sollten wir vor den anderen duschen gehen!“

Skeptisch schielte ich über die Schulterhohe Trennwand.

„Spinnst du?“

„Nein! Weißt du wie langweilig es ist jedes Mal nur dich Adonis anschauen zu müssen. Ich will mal Frischfleisch ansehen….“

Mir klappte die Kinnlade herunter. War das sein Ernst?

Mit zusammengezogenen Augenbrauen starrte ich ihn an. Stumm. Er würde zusammenbrechen wenn ich dies lange genug tat.

„Hör auf mich so anzusehen. Is ja gruselig, Mann…“ Sein Duschgel flog über die Duschwand und verfehlte mich um ein ganzes Stück. Zielen konnte er beim besten Willen nicht.

„Wenn einer gruselig ist dann du.“ Kopfschüttelnd stellte ich das Wasser ab. Paschas Duschgel ignorierte ich gekonnt. Sollte der Spinner seinen Scheiß selber holen. Warum schmeißt der Vollidiot bitte damit.

„Ach komm. Das war ein Witz. Ich will die Typen doch nur anstarren bis sie sich winden, weil es ihnen unangenehm ist. Bei dir geht das nicht mehr. Du scheinst immun zu sein.“

Eher nicht, nein. Sagte ich ihm aber nicht, sonst fing er wieder an mich beim Duschen mit seinem Psychopathen-Blick anzustarren… der mich dann zusammenbrechen ließ.

Da kam erneut die Frage auf: Warum war ich mit so was befreundet?

 

Die verschwitzten Sportsachen und das nasse Handtuch in die Sporttasche stopfend wartete ich darauf, das Pascha endlich fertig wurde. Der stand noch immer, fröhlich summend, unter dem Wasserstrahl.

„Man, hör auf dir einen runter zu holen und mach hin. Hab nicht ewig Zeit. Du weißt das ich zu meinem Alten muss!“

Der Kerl holte sich hoffentlich keinen runter. Sonst würde das noch eine Weile dauern.

„Tu ich nicht. Ich will nur den ekligen Sportplatzdreck wegwaschen. Ordentlich. Weißt du wie eklig das Zeug ist wenn dir das in die Arschritze kriecht oder dir den Sack wund schubbert? Nicht cool. Also ruhe. Ich muss mich konzentrieren um alles zu erwischen!“

Zu viele Infos.

Viel, zu viele Infos. Dennoch musste ich ihm Recht geben. Das Zeug schlich sich in alle Ritzen und scheuerte wie nichts Gutes.

„Hast du eine Ahnung wie lange es noch dauern wird?“ rief ich, nach nicht mal einer Minute genervt in Richtung der Duschen.

„Alter, nerv nicht!“

Augenrollend kramte ich im Rucksack nach meinem Telefon. Wenn ich warten musste konnte ich auch Mails checken oder die Sprachnachrichten meiner Mutter abhören oder wild aufs Display tippen um Monster zu killen.

Mails gab es keine.

Ma hatte bis jetzt auch nur zwei Nachrichten hinterlassen. Sollte dran denken zu meinem Vater zu fahren. Abendessen mit der netten Familie. Und sie hatte Kuchen von Oma mitgebracht. Im Schrank mit den Tellern verstaut. Sie wäre spät noch unterwegs.

Ob sie ihren scheiß Psychodoc rumgekriegt hatte?

Buäh, wollte gar nicht wissen was und mit wem meine Mutter es trieb.

Was mich irritierte war die Nachricht von Pinkie Pie. War das nicht dieses seltsame Pferdevieh aus der Kindersendung?

Woher hatte das Vieh meine Nummer? Und warum war es in meinem eingespeichert?

Immer noch irritiert öffnete ich das Gespräch und wünschte, es nicht getan zu haben.

„Nowak du Pottsau! Musstest du Claras Muschifotos auch an mich schicken? Ich wollte nie wissen wie die ohne alles aussieht!“

Konnte ich Clara jemals wieder in die Augen sehen ohne kotzen zu müssen? Vermutlich nicht.

Ehe der Ekel sich weiter in mein Hirn fressen konnte löschte ich die Nachricht. Leider nur vom Telefon, meine Netzhaut hatte dummerweise noch keine Löschen-Taste. Sollte einer dringend erfinden

 

„Wann musst du weg?“ Schmatzend schielte Pascha zu mir herauf.

Widerwillig warf ich einen Blick auf die Uhr, brumme das ‚halbe Stunde‘ als Antwort und stiere weiter von der Parkbank auf in den wolkenlosen Himmel.

„Willst du ‚nen Berliner?“

„Pfannkuchen.“

„Die sind aber nicht in der Pfanne gemacht…“

„Hier heißen sie aber Pfannkuchen. Wenn du Berliner willst musst du wegziehen.“

„Penner…“ Augenrollend griff er zum dritten Mal in die Bäckertüte, griff sich einen der vielen Pfannkuchen und biss hinein. Am falschen Ende.

Die Marmelade klatschte ihm aufs Shirt.

„Siehst du was du gemacht hast. Du hast das Ding beleidigt weil du es als Pfannkuchen betitelst…“

Angewidert verzog er das Gesicht, ehe er sich mit den Schultern zuckend dran machte den Fleck weg zu lecken. Eklig.

„Willst du dich ernsthaft weiter streiten? Wir können gerne meine letzte halbe Stunde in Freiheit damit verbringen zurück zum Bäcker zu gehen und die Bäckereifachverkäuferin nach ihrer Meinung fragen.“

„Musst du echt schon wieder hin? Warst doch letzte Woche erst…“

„Leider.“

Schweigend machte ich Platz auf der Parkbank, als Pascha sich von der Wiese hievte. Wie ein nasser Sack plumpste er neben mich.

„Willst du echt keinen?“ Erneut drückte er mir die Bäckertüte beinahe ins Gesicht, hatte er die beginnende Diskussion über den korrekten Namen des Backwerks richtig als Ablehnung angesehen.

„Lass mal.“

Das eine Mal, dass ich satt zum Essen erschienen war, bereute ich noch heute zu tiefst. Rita kochte, sehr gut und sehr viel und wenn du nicht mindestens drei Mal Nachschlag nimmst stopft sie es dir persönlich in den Hals, ohne Rücksicht auf Verluste.

Besagter Verlust war in diesem Fall mein Mageninhalt… auf dem teuren Perser. Hässliches Teil. War nicht schade drum… um das gute Essen jedoch schon. Und um meinen Magen. Lag nach der ganzen Aktion zwei Tage krank im Bett, dank Magenschmerzen.

„Soll ich dich nach Hause fahren?“

„So gern ich dich auf deinem Motorrad auch befummel…“ Grinsend fuhr Pascha sich durch die grünen Strähnen. Die Farbe war immer noch gewöhnungsbedürftig. „Aber ich bleib noch ne Weile… Esse meine Berliner…“

„Und verschreckst arme kleine Kinder und wehrlose Omis?“ Vermutete ich und erhielt ein noch breiteres Grinsen dafür.

„Du kennst mich…“

„Das macht mir ja grade Sorgen…“ Kopfschüttelnd erhob ich mich. Einige Knochen knackten unangenehm. Den Rucksack warf ich mir über eine Schulter. „Benimm dich so weit, dass die Leute nicht die Polizei rufen… schon wieder… Okay?“

„Kann nichts versprechen.“

„Nowak…“

Abwehrend hob er die Hände in die Höhe. Schwor mir dann jedoch hoch und heilig sich zu benehmen.

Ich glaubte ihm. Wenn auch nur um ruhigen Gewissens den Park hinter mir lassen und mich auf den Weg in die Hölle machen zu können.

 

 

Jacek

 

 

Die erste Probe für das Theaterstück –ich musste mir verbieten es als Theaterschund zu betiteln- dauerte länger als geplant. Doch was hatte ich auch erwartet. Selbst mir fiel es schwer, zwei Sätze dieses Humbugs korrekt aneinander zu reihen.

Jeder Shakespeare Monolog war einfacher zu behalten als dieses… Zeug.

Wie viel länger die Probe gedauert hatte merkte ich jedoch erst, als ich Tommys Auto vor dem Altbau entdeckte.

„Tommy?“ rief ich in die ruhige Wohnung hinein, erhielt jedoch keine Antwort.

Wäre es nicht meine eigene Wohnung, dann wäre ich in diesem Moment schreiend davon gerannt, da irgendwie jeder Horrorfilm oder jeder Krimi mit so etwas begann.

Routiniert warf ich meinen Schlüssel auf den Schuhschrank im Flur, stellte die Schuhe an ihren Platz auf der Fußmatte und brachte meine Schultasche auf mein Zimmer.

Ich sah mich um, als müsste irgendetwas sich verändert haben. Doch alles sah aus wie immer.

Weiße Wände. Alte Poster von Theatervorstellungen, Kinofilmen und Schauspielern die weit vor meiner Zeit gestorben waren.

Schulbücher, Hefter und lose Zettel Sammlungen stapelten sich auf dem Schreibtisch.

Notizhefte und mit bunten Haftnotizen gespickte Skripte diverser Theaterstücke verteilten sich rings um das kleine Bett.

Alles normal.

Nur das ordentlich gemachte Bett zeigte mir, dass irgendetwas nicht stimmte.

Ich machte nie mein Bett.

Tomazs hingegen…

Seufzend verließ ich mein Zimmer und folgte dem Geräusch von raschelndem Papier in die Küche.

„Hey…“

Mein Bruder saß am Tisch, diverse Zettel vor sich auf dem Tisch ausgebreitet, die Hände in die kurzen Locken gegraben. Er schreckte aus den Gedanken, als ich ihn ansprach.

„Oh, hey Kleiner. Wo warst du so lange? Hab mir schon Sorgen gemacht“, murmelte er halbherzig, während er die Blätter achtlos auf einen Stapel schob, ganz darauf bedacht, dass ich sie nicht sah.

Wie immer.

„Die Probe hat länger gedauert. Hätte schreiben sollen. Tut mir leid.“ Mein Blick ruhte auf dem Papierstapel in Tommys Händen. „Was ist das? Ist irgendwas passiert? Du siehst aus als wärst du etwas neben der Spur.“

„Hatte nur Stress auf Arbeit, einer ist krank geworden...“

Das schien keine Lüge zu sein. Keine Komplette. Mein Bruder war der mieseste Lügner der nördlichen Hemisphäre.

„Okay…“ Dennoch war ich unzufrieden mit der Antwort. Normalerweise war er nur so drauf wenn das Jugendamt sich ankündigte. Doch die waren erst da gewesen. Also konnte das ausgeschlossen werden.

Verdammt! War es zu viel verlangt mir zu sagen was das Problem war? Ich war keine Zehn mehr… Ich…

„Wir müssen noch einkaufen…“

Ich starrte missmutig in den Kühlschrank. Na wenigstens konnte ich mich so aus Frust nicht vollstopfen. Der Jogurt der mir entgegen blinzelte war bereits vor Weihnachten abgelaufen, jedoch nie entsorgt worden…

Den kann man bestimmt noch essen. Mit diesen Worten wurde er jedes Mal bestimmt zurück in die hinterste Ecke geschoben und ein paar Wochen später erneut entdeckt und für ‚noch essbar‘ befunden.

Gegessen wurde er nie.

Ich sollte ihn wegschmeißen… doch anstatt das richtige zu tun, schloss ich die Kühlschranktür und schaute abwartend zu Tommy.

„Ja, mach dich fertig. Wir fahren gleich. Ich muss morgen zeitig raus. Bräuers Arbeit mit übernehmen. Und dich lass ich nicht soweit allein Tüten schleppen…“ murmelte er mehr zu sich selbst, ehe er in seinem Zimmer verschwand und mit Autoschlüssel und Brieftasche bewaffnet zurück kam.

 

Der dichte Feierabendverkehr ließ uns nur langsam vorankommen. Auch der Parkplatz des Supermarktes quoll beinahe über. Hektisch rannten Menschen unter Zeitdruck in den Laden hinein und wieder hinaus. Als würde etwas Ruhe, etwas weniger Hektik und Stress sie umbringen.

„Ich hätte heute Morgen einkaufen sollen…“ Kopfschüttelnd und leise auf Polnisch fluchend parkte er das Auto. In der entlegensten Ecke des Parkplatzes. Von hier aus konnte man den Supermarkt nur noch erahnen, dafür hatte man jedoch freien Blick auf die wilden Tiere die kreischend und tobend in ihren Autos saßen oder sich versuchten mit den Einkaufswagen gegenseitig kalt zu machen.

Alle irre in der großen Stadt sag ich dazu nur. In solchen Momenten wünschte ich mir die Kleinstadtidylle zurück in der ich aufgewachsen war.

 

Mit einem Wagen bewaffnet schlängelten wir uns durch die Massen an schreienden Kindern, verzweifelten Müttern und gestressten Berufstätigen.

„Sacken wir das nötigste ein und dann raus hier…“

Da konnte ich nur zustimmen.

Beinahe in Rekordzeit suchten wir alles was dringend benötigt wurde zusammen und fanden uns an den verstopften Kassen ein. Wie fast immer erwischten wir die, an der die Auszubildende saß, welche ständig Probleme mit der Technik hatte. Natürlich erst nachdem wir alles aufs Band gepackt hatten und an keine andere Kasse mehr wechseln konnten.

Als wir dann endlich bezahlt hatten, die Einkäufe im Auto verstaut waren und wir nach einer halben Ewigkeit als Linksabbieger vom Parkplatz auf die Hauptstraße fahren konnten, ließ der Stress nach.

 

Schweigend verstauten wir die Einkäufe in den Schränken. Das Schweigen lag aber nicht an mir. Ich hasste diese Ruhe zwischen uns, die so an den Nerven zerrte, weil irgendetwas schief lief.

„Tommy… lass mich den Rest einräumen, ok? Du siehst aus, als könntest du ein laaaaanges Bad vertragen. Keine Widerworte. Entspann dich. Dein Kollege ist krank und du musst alle Gelegenheiten zur Entspannung nutzen die du kriegen kannst.“

Er sah aus, als wollte er mir widersprechen, dann gab er jedoch nach.

„Danke, Kleiner.“

Es juckte mir in den Fingern, in Tommys Zimmer herumzuschnüffeln und den Brief zu finden, der seine Verstimmtheit verursacht hatte, doch ich hielt mich zurück. Zum Schnüffeln hatte ich null Talent. Also blieb ich brav, verstaute den Rest der Lebensmittel und machte mich schließlich dran, Abendbrot zu kochen.

 

„Haben wir heute die Rollen getauscht?“ Mein Bruder klang skeptisch. Doch die Frage traf die Sache ganz gut.

Sonst war er es der mich aus der Küche drängte. Ich sollte die Zeit genießen die ich ohne größere Pflichten habe.

„Nur heute. Gewöhn dich nicht dran. Und jetzt setz dich. Ich hab alle meine kulinarischen Fähigkeiten eingesetzt um dieses wunderbare French Toast mit Beilage zu machen.“

Ja… Kochen war nicht meins. Deshalb hatte normalerweise Tommy Küchendienst. Ich war schon mal froh, dass mir dieses verfluchte Toastbrot nicht angebrannt ist. Nicht allzu sehr zumindest. Den verkokelten Rand wird man schon nicht rausschmecken.

Der erste Biss belehrte mich eines Besseren. Doch Tommy ließ sich nichts anmerken. Er aß seinen Teller leer –nahm sogar Nachschlag- als wäre der Fraß irgendeine Delikatesse.

Entweder versuchte er ein guter Bruder zu sein und meine Gefühle nicht zu verletzen, oder ihm ging zu viel durch den Kopf, als dass er überhaupt mitbekommen würde was er da in sich reinschaufelte.

„Bist du böse wenn ich mich gleich ins Bett verziehe?“ Fragend schaute er zu mir, ehe er das Geschirr in der Spüle versenkte.

„Geh nur. Gute Nacht.“

Dobranoc, braciszek.” Als er mich anlächelte und mir die Haare verwuschelte, sah er aus, als wäre er fertig mit der Welt. Viel älter als er eigentlich war. „Und danke für das... Essen.”

Das Wort Essen kam ihm schwer über die Lippen. Mir auch. Ehrlich. Ich wunderte mich noch immer wie sein Magen mehr als eine Portion davon ertrug.

„Und vergiss deine Hausaufgaben nicht.“ Versucht streng schaute er mich an, konnte jedoch nicht ernst bleiben.

Die schlurfenden Schritte wurden langsam leiser und verschwanden schließlich ganz, nachdem die Tür zu Tommys Schlafzimmer ins Schloss fiel.

Seufzend schielte ich von meinem schmutzigen Geschirr zur Spüle. Musste ich ein schlechtes Gewissen haben wenn ich keine Lust hatte jetzt abzuwaschen?

Nein, beschloss ich ganz spontan und stellte es einfach

Zum schmutzigen Rest. Der würde bis morgen schon nicht weglaufen. Außerdem musste ich mich wirklich noch an meine Hausaufgaben setzen.

 

Auf meinem Bett machte ich es mir mit dem Chemiebuch bequem. Der Tisch war zu voll gestellt um wirklich genutzt werden zu können.

Doch die bequeme Position trug nicht unbedingt dazu bei, dass ich viel schaffte.

Nach zwei gelesenen Seiten schlief ich ein und durfte mich am nächsten Morgen bei meinen beiden Grazien einkratzen –mit viel Schokolade- damit sie mich abschreiben ließen.

 

Noah

 

Ätzend.

Mehr fiel mir nicht zu dieser schicken Wohngegend mit den schicken Villen ein.

Groß und ausladend.

Als bräuchten fünf Personen sechs Badezimmer! Von den vielen Schlafzimmern und Räumen von denen ich nicht einmal wusste wozu sie genutzt wurden, ganz einmal abgesehen.

Mein erster Reflex war es, wie immer wenn ich hier in der Auffahrt stand, zu fliehen. Doch dann würde meine Mutter mich mit diesem Blick ansehen, der zeigte, dass sie unzufrieden mit meinem Verhalten war. Wie ich es hasste.

Ehe ich wirklich davon rennen konnte, um mich bei Pascha zu verkriechen und nie wieder von dort wegzuwollen, drückte ich den auf hochglanzpolierten Klingelknopf und zuckte zusammen, als die Tür aufgerissen wurde noch ehe ich den Knopf losgelassen hatte.

„Gooootttt!“

„Rita reicht. Und jetzt komm rein. Du hast schon geschlagene zwölf Minuten vor der Tür gestanden. Ein neuer Rekord.“

Nachdem das plötzliche Herzrasen verschwunden war, lächelte ich Rita an.

„Mein Sonnenschein. Der einzige Lichtblick an Tagen wie diesen…“

Sie rollte die treuen, rehbraunen Augen, ehe sie mich in ihre Arme zog.

„Wäre ich doch nur vierzig Jahr jünger…“ Gespielt seufzte sie auf, nahm mir Rucksack und Motorradhelm ab und reichte mir extrem flauschige Hausschuhe.

Zum Glück nicht rosa, wie die der Mädchen.

„Aber jetzt komm. Alle warten auf dich.“ Mit einem aufmunterndem Lächeln, wusste sie doch wie ungern ich hier war, führte sie mich durch den großen Eingangsbereich zum Esszimmer.

Alles weiß und protzig. Goldene Kerzenleuchter. Als müsse man mit seinem Geld angeben.

„Da bist du ja endlich.“ Vier Augenpaare richteten sich auf mich, als ich das Esszimmer betrat. Der Mann am Kopfende des Tisches schaute streng zu mir herüber, als hätte ich ihm wertvolle Zeit gestohlen, die er mit Arbeit hätte verbringen können. Die blonden Haare akkurat kurz gehalten, mit grauen Strähnen versetzt, ließen sein Gesicht noch kantiger wirken als es von Natur aus war. Breite Schultern wie immer in das obligatorische weiße Hemd gehüllt, die Krawatte locker umgelegt.

Mein Vater. Dominant wie eh und je.

Zu seiner linken saß Monica, meine Stiefmutter. Eine zierliche Mitvierzigerin, mit piekfeiner Hochsteckfrisur, die das herzförmige Gesicht mit den hohen Wangenknochen gut zur Geltung brachte und adrettem cremefarbenem Kostüm. Kam wohl direkt von Arbeit.

Neben ihr Bianca, die ältere der beiden Töchter. Rechts neben meinem Vater war ein freier Platz, ehe Rosalie, meine jüngste Schwester kam.

Monica schaute als hätte sie auf eine Zitrone gebissen. Die dezent geschminkten Lippen zu einer dünnen Linie zusammengepresst.

Wer konnte es ihr verübeln? An ihrer Stelle würde ich ganz andere Sachen machen.

Doch ehe ich tiefer in diese Gedankensphären eindringen konnte, schlangen sich zwei paar dünne Ärmchen um meinen Bauch. Aufgeregt plapperten die Mädchen los, ohne auf die andere zu achten. Das blanke Wortchaos.

Ruhe kehrte erst wieder ein, als Monica ihre Töchter zurück an ihre Plätze beorderte und Rita, der Hausengel, das Essen auftrug.

 

Lang währte diese Ruhe jedoch nicht, da Bianca schon während der Suppe, fröhlich über ihren neuen Zahnschmuck schimpfte.

Seit Anfang der Woche musste sie sich nun schon mit dieser grässlichen Zahnspange herumschlagen. Na wenigstens sind die Gummidinger da pink. Darauf stehen die anderen Mädels in der Schule. So oder so ähnlich drückte sie sich aus. Ganz konnte ich das nicht verstehen. Mit Löffel im Mund redete es sich nicht unbedingt glasklar.

„Und, hast du schon einen Jungen gefunden den du magst?“

Ich vermutete, dass mein Vater schwer damit zu kämpfen hatte die Suppe nicht über den Tisch zu spucken als ich diese Frage äußerte. Biancas ‚ieeeeh‘ schien ihn jedoch davon abzuhalten. Wenn auch nur kurz. Da nun auch Rosa sich einschaltete.

„Also ich mag den Peter. Der Teilt immer seine Kekse mit mir. Und trägt meinen Ranzen.“

Zufrieden nickte ich, auch wenn es mich irritierte. Müssten die zwei nicht genau anders herum reagieren?

Egal. Um meinen Vater zu ärgern Fragte ich einfach weiter.

„Und? Händchen halten und Küssen?“

Stolz grinste die neunjährige. „Na klar. Für die Kekse kriegt er immer nen Schmatzer auf die Wange. Und damit er mit zwei Ranzen nicht umfällt muss ich seine Hand festhalten. Logisch oder?“

„Klar.“ Innerlich lachte ich vor mich hin. Klar war mir bei meinen kleinen Schwestern nichts. Mit neun hatte ich an so was noch gar kein Interesse. Da fand man es schon peinlich der Mutti einen Kuss zu geben. Auch wenn es ganz heimlich zuhause vorm ins Bett gehen war.

Monica ersparte meinem Vater einen gewaltigen Herzinfarkt indem sie das Gespräch in die Hand nahm.

„Und, wie sieht es bei dir aus? Wenn die Mädchen hier schon beichten. Gibt es endlich ein Mädchen das dir gefällt?“

Es wunderte mich, dass sie mit mir redete und nicht klang als wäre sie gerade in einen Hundehaufen getreten und nun zu tiefst angeekelt.

„Nein… ich halt es da wie Bianca… Ieh.“

„Hm…“ Monica wartete bis das Hauptgericht aufgetragen wurde ehe sie weiter sprach. Das längste Gespräch bisher, das sie freiwillig mit mir geführt hatte. „Dann einen Jungen vielleicht?“

Diesmal war mein Vater nicht der einzige, der sich am Essen verschluckte.

„Was?“ Entsetzt starrte ich sie an, sah jedoch, dass die Frage ihr bitter ernst war. „Nein. Auch da… nichts…“

„Na das kommt schon noch. Keine Sorge.“ Wohl zufrieden mit der Länge des Gespräches beendete meine Stiefmutter es, indem sie begann, den Braten auf ihrem Teller in kleine, akkurate Vierecke zu schneiden.

 

Bis zum Nachtisch hielten es alle durch, das Schweigen aufrecht zu erhalten. War mir ganz lieb. Ein Gespräch würde meinen Aufenthalt hier nur in die Länge ziehen. Das versuchte ich jedes Mal zu vermeiden.

Nach ihrem Eis, verschwanden die Mädchen auf ihre Zimmer, hatten beide schließlich noch mit ihren Hausaufgaben zu kämpfen.

„Wie läuft es in der Schule?“

„Gut…“ Wenn man bedachte, dass das Schuljahr noch nicht so weit fortgeschritten war und die Noten somit rar gesät waren.

Mein Vater schnaubte, was seinen buschigen Oberlippenbart zum Beben brachte. Das Ding war schon seit jeher ein Graus für mich, auch als er noch blond und nicht grau vor sich hinwuchs. Wenigstens stutze er ihn regelmäßig, sodass kein Essen darin hängen blieb. Entweder war das Monicas Verdienst oder arbeitsbedingt zu erklären.

„Hast du schon einen Plan, wie es nach dem Abi weitergehen soll. Du bist im Abschlussjahr, nicht?“ Erneut kam Monicas Beitrag unerwartet, weshalb ich einen Moment brauchte um ihr zu antworten.

Abwartend strich sie sich über die perfekt frisierten, erdbeerblonden Haare. In diesem Licht erkannte man den Rotstich, den beide Mädchen geerbt hatten, überdeutlich.

„Ist es, und… nicht wirklich. Nur weg von hier. Die Stadt kotzt mich langsam an.“

´Mist. Das ganze klang ehrlicher als beabsichtigt.

„Du willst weg?“ Verwundert stellte mein Erzeuger sein Weinglas zurück auf den Tisch. Meines hatte ich noch nicht angerührt. Aus Prinzip nicht. Warum sollte ich Wein trinken der mehrere hundert Euro kostete, wenn es Menschen gab –selbst hier im Umkreis- die sich keine warme Mahlzeit leisten konnten.

„Ja.“ Ich war mir noch nicht sicher, doch ich konnte so tun als ob. Wenn auch nur um meinen Vater zu ärgern, hoffte der immerhin darauf, dass ich irgendwann ins Familiengeschäft einsteigen würde.

Wollte ich das denn? Irgendwann eine Sicherheitsfirma leiten? Klar, es klang cool und brachte Unmengen an Geld ein, bei dem Kundenstamm der in den letzten fast 25 Jahren aufgebaut wurde.

Doch konnte ich mit diesem Mann zusammen arbeiten?

Bianca würde das Unternehmen wahrscheinlich besser leiten können. War sie bereits heute schon besser mit Zahlen und Menschen als ich.

„Was ist mit Tamara? Willst du deine Mutter einfach so zurücklassen? In ihrer… Verfassung?“

Mein Vater lenkte das Gespräch auf meine Ma. Augenblicklich verfinsterte sich Monicas Blick.

Sie hatte aber auch einen unsensiblen Klotz geheiratet. Ob sie sich vor 26 Jahren darüber im Klaren war?

„Sie übersteht es schon.“ Bitteres Lachen sprudelte aus mir heraus. „Du hast es schließlich nicht anders gemacht und sie hat es überlebt, oder? Nichts was Dr. Friedrich nicht wieder richten könnte.“

Ehe er etwas erwidern konnte stand ich auf und entschuldigte mich mit einer schlechten Lüge.

„Ich muss dann gehen. Hausaufgaben.“ Emotionslos schaute ich meinen Vater an, wandte mich dann jedoch an Monica. „Viel Glück für die neue Kampagne. Die startet nächsten Montag nicht? Diesmal gewinnst du bestimmt. Bis nächste Woche.“ Die Verabschiedung von meiner Stiefmutter fiel nicht viel herzlicher aus, als die meines Erzeugers, jedoch nicht ganz so steif wie sonst.

„Komm gut nach Hause. Im Feierabendverkehr ist es gefährlich.“

Oha. Vierzehn Jahre und sie taute langsam auf. Das konnte noch sehr interessant werden.

In der Eingangshalle tauschte ich die Hausschuhe zurück gegen meine Straßenschuhe und schnappte mir meinen Rucksack. Ehe ich jedoch zur Haustür gelangen und verschwinden konnte, stellte Rita sich mir in den Weg. Ein Lächeln auf den Lippen. Wie immer.

„Hier, mein Kleiner.“ Verschwörerisch flüsternd drückte sie mir eine gigantische Tupperdose in die Hand. „Das kannst du dir und deiner Mutter warm machen. Ich hab zu viel gekocht. Wir würden es morgen nur wegwerfen.“

Auch das: wie immer.

„Mein Engel.“ Dankend stopfte ich die Dose in meinen Rucksack, verabschiedete mich von der Haushälterin und wünschte mir, wie jedes Mal, sie einfach mitnehmen zu können.

 


Nachwort zu diesem Kapitel:
Entschuldigt die schlechte Formatierung des Theaterstück Ausschnittes.
Animexx wollte das nicht so machen wie ich es gerne hätte... wie alles andere neben meiner Word Datei Komplett anzeigen

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