Zum Inhalt der Seite

Love me like a Drama, Boy

von

.
.
.
.
.
.
.
.
.
.

Seite 1 / 1   Schriftgröße:   [xx]   [xx]   [xx]

Kapitel 1

 

Jacek

 

Annes Anblick ließ meinen Magen rebellieren. Dabei hatte ich noch gar kein Mittagessen gehabt.

Ihre geschmeidige, kastanienbraune Löwenmähne, die unschuldigen, großen Rehaugen, das süße, zierliche Stupsnäschen und die Finger -gerade ihre filigranen, gut manikürten Finger- brachten mich zum Schäumen.

Noch nie hatte ich jemanden gehasst. Aber diese Person war verdammt nah dran die Erste zu werden.

Nur noch ein dämliches Wort, aus ihrem dämlichen, mit Lipgloss beschmierten, Mund und ich würde schreien, das schwor ich mir innerlich.

 

„Guten Morgen ihr Lieben!“, trällerte Felicitas Diederich, die Leiterin der Theater AG, in die Runde. Keiner der Schüler korrigierte sie, dass es bereits nachmittags um kurz nach drei war.

„Ihr müsst entschuldigen, dass in den ersten drei Wochen des Schuljahres keine AG stattfinden konnte. Doch die große Bühne hatte mich gerufen…“ Verträumt blickte sie gen Decke, schien dort ihre Träume zu sehen, anstatt wackeliger Leuchten, die einem auf den Kopf zu fallen drohten, wenn man sich falsch unter ihnen bewegte.

Es dauerte ein paar Minuten, in denen sie nur starrte, und starrte, und starrte, ehe eines der Mädels hustete und den Bann brach.

„Oh, wo waren wir?“ Ein wenig orientierungslos blickte Felicitas von einem zum anderen, schien schließlich ihren roten Faden wiedergefunden zu haben und plapperte weiter, als wäre nichts geschehen.

„Ach richtig. Das Stück für die diesjährige Halbjahresfeier. Gibt es Vorschläge?“

Im Bruchteil einer Sekunde schoss Annes Arm nach oben. Noch ehe die Leiterin ihr das Wort erteilen konnte, brach ‚Romeo und Julia‘ aus ihr heraus.

„NEIN!“ Ungehalten schrie ich auf.

Ich hatte es geschworen.

Ich. Hatte. Es. Geschworen!

„Nicht SCHON WIEDER Shakespeare! Den haben wir die letzten vier Jahre bereits aufgeführt. Können wir nicht einmal etwas anderes machen? Schiller vielleicht. Immerhin sind wir an einem Schiller-Gymnasium. Oder Büchner… oder ein Stück, das der Obdachlose aus der Bahnhofstraße geschrieben hat. Alles, wirklich ALLES, bloß kein Shakespeare!“

Zornig zogen sich Annes akkurat gezupfte Augenbrauen zusammen.

Das „Wie kannst DU es nur wagen MIR zu wiedersprechen?“ war kurz davor in Leuchtbuchstaben über ihrem Kopf aufzuleuchten.

„Warum regst du dich so auf? Wir stimmen jedes Jahr ab. Und jedes Jahr gewinnt mein Vorschlag.“ Pikiert spitzte sie die Lippen und schaute von unter her auf mich herab, als wäre ich ein überdimensionales, ekliges Insekt. Das hielt mich wie immer nicht davon ab ihr weiter böse Blicke zuzuwerfen.

Verächtlich schnaubend fragte ich sie, woran das wohl liegen könnte. Keines der Mädchen wollte es sich mit ihr verscherzen, deshalb stimmten sie alle für das, was auch immer Anne ausgesucht hatte. Ich und die vier anderen Jungs der Gruppe kamen dagegen einfach nicht an.

„Shakespeare wird langsam langweilig. Keiner will schon wieder etwas von diesem Kerl sehen, oder dich in der Hauptrolle, so nebenbei bemerkt.“

Die Rehaugen begannen Funken zu sprühen.

Ein Blickduell, Braun gegen Grau. Warm gegen kalt. Die Ruhe vor dem Sturm.

Alle Mitglieder der Theater AG sanken ein Stück in ihren Sitzen ein, warfen sich unsichere Blicke zu, ehe das Unwetter über ihren Köpfen zu tosen begann.

Was genau wir beiden uns an den Kopf geworfen hatten und welche unfreundlichen Schimpfworte fielen, wollte danach keiner so recht wissen.

Wenn Anne und ich aufeinander trafen, ein doch eher seltenes Phänomen (kaum zu glauben aber wahr), zog man die Köpfe ein und wartete bis das schlimmste vorbei war.

Jeder hielt sich daran. Außer Felicitas. Diese erhob sich wagemutig und trieb uns auseinander.

„Kinder, Kinder, KINDER! RUHE!“ Das schrille Kreischen, ähnlich einer Kreissäge, ließ Anne und mich verstummen. Widerwillig. Hatten wir uns doch noch SO viel zu sagen.

„Setzt euch hin“, wies sie an und hörte erst auf zu starren wie eine Verrückte, als wir auf sie hörten zu unseren Plätzen zurück gingen.

„Lasst uns das ganze diskutieren wie vernünftige Menschen.“

„Tzzzz“, zischte es ganz dezent aus meiner Ecke. Als könnte diese Person –nicht gerade unauffällig starrte ich zu Anne- irgendetwas Vernünftiges sagen.

„Also, noch einmal von vorne. Gibt es Vorschläge welches Stück aufgeführt werden soll?“

Ruhe.

Dann: „Romeo und Julia!“

Erneut brach Geschrei aus. Heftiger als zuvor.

Wortfetzen die „Miststück“, „Arschloch“ und der gleichen hätten ergeben können flogen durch die Luft, ehe das Kettensägengeräusch es zum zweiten Mal schaffte für Ruhe zu sorgen.

„Das REICHT. ICH bestimme das Stück. Und damit es für das nächste Mal nicht wieder eine solche Szene geben kann teilt ihr euch auf. Zwei Gruppen. Das Publikum bewertet. Die Gruppe deren Stück besser ankommt gewinnt und darf entscheiden was das nächste Mal gespielt wird. VERSTANDEN?!?“

Alle nickten. Auch ich, zu perplex irgendwas anderes zu tun. Noch nie hatte ich die Diederich so oft hintereinander schreien gehört.

„Gut, dann teilt euch jetzt bitte auf.“

„Ich nehm die Mädchen!“ Annes Ton ließ verlauten, dass dies ihr letztes Wort war und wenn sie nicht sofort ihren Willen bekäme würde sie einen Tobsuchtsanfall simulieren bis jeder der dagegen war nachgab.

„Gleichgroße Gruppen. Findest du es nicht unfair zwölf Mädchen gegen fünf Jungs antreten zu lassen?“

Ehe Felicitas und Anne diskutieren konnten ging ich dazwischen und stellte mich, zum Erstaunen aller auf die Seite der Brünetten. „Jungs gegen Mädchen ist in Ordnung. Dann können alle sehen, dass die da selbst in der Überzahl weniger Talent haben als wir.“

„Talent? Ihr? Davon träumst du wohl?“

„Und von was träumst du? Titten die man endlich mal zeigen kann, ohne sich zu schämen? Diese schrumpeligen Pflaumen die sie an dich angenagelt haben waren ja wohl ein mieser Scherz!“

„Wichser!“

„Hure!“

„Schluss jetzt! Keine Schimpfworte in diesen heiligen Hallen!“ Beinahe schon ehrfürchtig hob die einzige Erwachsene im Raum die Arme, deutete auf die abgenutzten Sitze und die Bühne des Auditoriums, welche von einem ebenso abgenutzten roten Vorhang verdeckt wurde.

„Ich warne euch“, fügte sie an, als wir sie ignorieren und weiter schimpfen wollten. „…noch eine Beleidigung, von irgendwem und derjenige ist raus. Der darf die Bühne putzen, Requisiten schleppen oder Perücken richten, aber nicht auftreten. VERSTANDEN!?“

Streng richtete die das staubgraue Barett auf ihrem kupferfarbenen Bob zurecht. Sollte uns das einschüchtern? Die Stunde hatte sie im Theaterunterricht definitiv versäumt. Leider nicht die, in der gesagt wurde: zieh durch was du androhst.

Das hatte unsere Gruppe auf die harte Tour lernen müssen, weshalb alle widerwillig nickten und sich ihrem Schicksal ergaben.

„Gut. Noch Fragen?“

Alle verneinten, außer Franziska, ein Mädchen aus der siebten Klasse, die noch recht zaghaft und schüchtern die Hand hob.

„Welches Stück spielen wir eigentlich?“

Gute Frage.

Als ich das verzückte Lächeln, auf den bonbonfarbenen Lippen der AG Leiterin sah, war ich mir sicher, dass die Antwort mir noch weniger gefallen würde, als Romeo und Julia.

„Eines meiner eigenen Stücke. Love Stage. Eine wundervoll, herzerweichende Liebesgeschichte.“

Dass Lukas neben mir einwandte, dass wir aber nur Jungs wären und so doch keine Liebesgeschichte spielen konnten überhörte die große Künstlerin, da sie von neuem in fremden Sphären schwebte und vom tosenden Applaus ihrer Fans träumte.

Das war doch nicht zu glauben...

Wir sollten ein Stück der Ortsbekannten Theaterautorin/-regisseurin/-darstellerin Felicia D. –und bitte als Feliischaa Diii, gesprochen sonst fuhr sie aus der Haut- spielen.

Eine, ohne Zweifel, schnulzige Romanze allerfeinster Güte.

Was hatte ich mir da nur eingebrockt? Hätte ich nicht Romeo und Julia zustimmen können?

Und damit Anne –der diebischen Elster- den Willen lassen?

Nie im Leben!

Da spielte ich doch lieber eine Liebesschnulze. Nur mit Kerlen. Die mir nicht im Geringsten zusagten. Und weniger schauspielerisches Talent besaßen als mein linker Schnürsenkel…

„Bevor wir für heute Schluss machen, würde ich gerne noch die Rollen verteilen.“

Schluss machen.

Das klang gut. Schluss machen, würde uns retten.

Nicht falsch verstehen, ich liebte die Theater AG. Außer heute.

Aber das schlimmste war ja überstanden.

In fünf Minuten konnte ich hier raus. In fünf Minuten konnte ich mit dem Bus zu Vivianne fahren und mich auf einen ruhigen Freitagnachmittag mit meinen Mädels freuen.

Während ich noch vor mich hinträumte, was wir alles machen könnten, teilte Felicitas die Rollen zu. Erst als mein Name fiel horchte ich auf.

„Jago. Du und Anne spielt beide Milla, die Tochter des Kurfürsten von Hagen. Janine du bist Annes Zweit Besetzung falls sie nicht auftreten kann.“

Ich war am Arsch.

Ich war so am Arsch.

Ich würde vor der ganzen Schule, vielleicht sogar vor der ganzen Stadt, eine kitschige Liebesgeschichte mit einem der Jungs spielen müssen!

Sich öffentlich als Schwul zu outen hätte das schwerste in meiner Schulzeit sein müssen. Doch das hier… schlug ein Outing um Längen.

Ich kannte die Stücke der Diederich. Das konnte nicht gut gehen.

Jetzt war ich nicht mehr der schwule Kerl aus der Theater AG, der egal in welcher Rolle glänzte, nein, nun würde ich stattdessen der schwule Kerl sein, der als Frau über die Bühne schwebte und einen dieser Hänflinge anschmachtete.

Große Klasse. Wirklich.

Im Moment hasste ich mein Leben. Und Anne. Und Frau Diederich…

Meine nicht vorhandene Hassliste hatte sich ganz plötzlich, ganz stark vergrößert.

Oh Gott, ich war mehr als am Arsch… vielleicht musste ich die Schule wechseln, ich…

Atmete tief durch und schimpfte mich einen Narren.

So etwas würde MICH doch nicht aus der Bahn werfen.

Ich stand über diesen Dingen.

Ich würde dieses Stück zu einem Hit machen und denen, die mich gerade so dämlich belächelten, so dermaßen in den Arsch treten, dass sie nicht mehr wussten in welchem Jahrhundert sie lebten. Vor allem Anne, dem zufrieden grinsenden Miststück.

Ganz einfach.

Sollte ich halt ein Mädchen spielen. Damit konnte ich leben. Immerhin war ich Profi, oder zumindest auf dem besten Weg dahin, außerdem war Milla die Hauptrolle und die stand mir ohne Frage zu.

Und falls es doch schief ging, konnte ich mich immerhin gleich bei den Mädels ausheulen oder im schlimmsten Fall fluchtartig das Land, in einer Nacht- und Nebelaktion, verlassen.

Alles halb so wild!

 

 

 

Noah

 

 

Das Weiße des Spiegeleis war noch labberig, als ich, gedanklich noch im Bett liegend, mit der Gabel hinein stach.

Eklig.

Das bemerkte selbst einer in meinem Zombiezustand.

Mama wuselte jedoch um mich herum, weshalb ich es nicht einfach in der Müll werfen konnte, wie sonst immer, wenn sie versuchte Eier zu machen. Die Eier meine Mutter waren abartig eklig.

Absolut nicht essbar.

„Magst du noch etwas vom Ei mein Schatz?“ Fröhlich deutete sie auf noch mehr schlabberige Masse.

„Danke Ma, hab noch.“ Gähnen aus vollstem Herzen.

Weshalb musste Schule auch so zeitig losgehen?

Um zwölf, nach der Mittagspause, wäre eine gute Zeit. Und nur bis um drei. Sonst blieb ja am Nachmittag weniger Zeit für wichtige Sachen.

Ein erneutes Gähnen richtete ich als Dank an meine Mutter, die den zweiten Pott Kaffee vor mir absetzte.

Der würde helfen mich zu wecken. Zumindest so weit, dass ich auf dem Weg zur Schule nicht einschlief.

„Denk dran, ich bin heute erst spät zuhause. Martha aus dem Büro ist krank, ich muss ihre Akten mit bearbeiten.“ Liebevoll strich sie durch die kurzen blonden Haare. Nur widerwillig ließ ich es mir gefallen.

Wie alt war ich bitte? Neun?

„Ist gut, Ma.“

„Gehst du heute mit deinen Freunden weg?“

„Weiß noch nicht, Ma.“

„Melde dich wenn du über Nacht wegleibst, ok? Oder wenn du getrunken hast, dann hol ich dich ab.“

„Ja…“

„Brauchst du noch Geld für das Abendessen? Du könntest dir etwas liefern lassen.“

„Nein Ma. Alles gut. Danke.“

Heimlich mit den Augen rollend -die nicht so himmelblau strahlten wie die meiner Mutter, sondern an die Matschpfützen erinnerten, wie auch der zweite meiner Erzeuger sie hatte- schob ich das Glibber-Ei beiseite.

„Musst du schon los?“ Erstaunt richteten sich blaue Augen auf die Küchenuhr überm Kühlschrank. Erst kurz nach sieben.

Dennoch nickte ich.

„Wollte mit Pascha was wegen der Hausaufgaben für Chemie durchgehen.“

Lüge.

Ich würde zwanzig Minuten dumm auf dem Schulhof warten, ehe mein bester Freund kam, nur um meiner überfürsorglichen Mutter zu entkommen.

Ich hasste solche Tage.

Meistens liebte ich meine Mutter. Sie war nett. Machte mir die Wäsche. Kochte, was abgesehen von ihrem Ei auch wirklich gut schmeckte.

Doch an manchen Tagen, so wie heute, dachte sie vermutlich, sie wäre eine schlechte Mutter, würde ihr Kind vernachlässigen, ihm nicht die Liebe zukommen lassen, die ein Kind brauchte wenn es keinen Vater im Haus hatte.

Überkompensation hatte ihr Therapeut es genannt, wenn ich mich recht erinnerte. Wenn sie von ihrem Therapeuten sprach schaltete ich ab. Manchmal glaubte ich, sie würde irgendwelche Ängste und Probleme erfinden nur um in seiner Nähe zu sein. Hundert Prozent sicher war ich jedoch nicht. Die Panik auf ihrem Gesicht, wenn ein kleiner Hund ihr schwanzwedelnd zu nahe kam oder eine Maus ihr im Garten begegnete wirkte zu echt, um erfunden zu sein.

„Ach so…“ Enttäuscht sackte sie ein Stück zusammen. Versuchte es jedoch hastig, mit einem halbherzigen Lächeln zu überspielen. „Dann viel Spaß in der Schule, mein Schatz.“

„Klar, Ma.“ Automatisch beugte ich mich zu ihr hinunter, damit sie mir ihr allmorgendliches Küsschen auf die Wange drücken konnte.

Das stimmte sie etwas fröhlicher.

Vielleicht hatte ich Glück und sie würde nicht panisch bei Dr. Friedrich anrufen, um zu jammern, dass sie alles falsch machte, dass sie eine schlechte Mutter war.

 

Schnurrend sprang das Motorrad an.

Freiheit.

Wenigstens für einen Moment.

Tief durchatmend ließ ich mich die Einfahrt rückwärts herunter kullern.

Die Straße war leer. Um diese Uhrzeit wirkte unsere Wohngegend immer wie ausgestorben. Nur der Opa von gegenüber führte seine Katze, an einer blinkenden Leine, spazieren. Alle seltsam hier.

Noch ein Grund mehr um im nächsten Sommer von hier zu verschwinden.

 

Auf dem Weg zur Schule ignorierte ich nicht wie sonst sämtliche Geschwindigkeitsbegrenzungen. Heute ließ ich mir Zeit. Wollte den miesen Morgen vergessen.

Vielleicht sollte ich mal mit Oma reden? Die könnte Mutter zurechtweisen oder aufmuntern. Oder einfach dazu zwingen nicht mehr so abhängig von diesem scheiß Therapeuten zu sein.

Sie war keine miese Mutter. Sie ließ sich schlicht und ergreifend zu viel einreden.

 

Wie erwartet kam ich, trotz der heute vorbildlichen Fahrweise, zu zeitig an. Ein paar vereinzelte Schüler trieben sich schon auf dem sonst so leeren Schulhof herum. Der Rest würde erst in zehn Minuten mit den Bussen hier angeschwemmt werden.

Ausnahmsweise störte es mich nicht, allein vor der Schule herumzulungern.

Die frische Luft tat gut. Ließ mich vergessen, dass Mama  wieder zu anhänglich war, dass sie sich wieder vorwürfe machte und ich nicht wusste wie man ihr helfen konnte… und dass ich ohne Frühstück die nächsten vier Unterrichtsstunden durchstehen musste, ehe es in der Mensa etwas zu essen gab.

Wie aufs Stichwort grummelte es in meinem Bauch.

„Hoffentlich hat Pascha was dabei…“ murmelte ich beinahe schon weinerlich, während ich Helm, Rucksack und schließlich mich selbst, auf den Steinstufen vor dem Haupteingang, parkte.

 

„He, was machst du schon hier?“

Ein Fuß stieß unsanft gegen meinen.

Nur langsam wandte ich das Gesicht von der Morgensonne ab, um zu sehen wer es wagte und mich zurück in die Realität riss.

Eigentlich unnötig. Meinen besten Freund erkannte ich auch mit geschlossenen Augen.

„Meiner Mutter entkommen.“

„Gluckenmodus?“ Pascha kannte die Antwort ohne sie zu hören. Dennoch wartete er ein Nicken ab, ehe er mich auf die Füße zog, mir ungefragt einen Müsliriegel in die Finger drückte und wir hinterm Schulgebäude verschwanden um unbemerkt eine rauchen zu können.

Zur Mittagszeit war die Lehreraufsicht gnadenlos, so musste die noch verbleibende Zeit vor dem Stundenklingeln sinnvoll genutzt werden.

„Wolltest du nicht eigentlich aufhören?“ Pascha fischte in seinem Rucksack nach der Schachtel, hielt sie mir entgegen.

„Wolltest du es nicht?“

Lachend schüttelten wir die Köpfe und zündeten unsre Kippen an.

Wollen wollten wir so manches und sollen noch mehr, doch manchmal fanden wir beide es leichter einfach dem Drang nachzugeben.

 

„Wir sollten uns beeilen…“ brummte ich schließlich, als ich meine Kippe ausgetreten hatte und auf Paschas Uhr schielte.

„Hm“, kam es einsilbig von ihm, ehe er sich seufzend über die abrasierte Kopfhälfte fuhr und seine Zigarette ebenfalls mit seinen löchrigen Turnschuhen dem Erdboden gleich machte.

Ächzend kam er auf die langen Beine, mit denen er mich um ein ganzes Stück überragte.

„Man hab ich Bock auf die Wieland…“

„Ist die nicht krank? Dachte wir haben beim Kunze Vertretung…“

Schulterzucken.

„Warum hast du eigentlich grüne Haare?“

Von der Seite her schielte ich zu Pascha, der sich nur grinsend über die kurzen grünen Stoppeln strich, ehe er versuchte die längeren, dunklen Strähnen kunstvoll auf der anderen Seite des Kopfes zu drapieren.

Das war Antwort genug.

Pascha tat vieles einfach aus einer Laune heraus.

„Diva…“

„Du Muschi bist ja nur neidisch, weil mir so was steht…“

„Schon klar…“

Kabbelnd betraten wir das Chemiezimmer, in welchem der Rest des Kurses die Abwesenheit eines Lehrkörpers nutzte und Lärm für drei Klassen machte.

Neugierig blickte Pascha auf meine Notizen, als ich diese achtlos auf den Tisch warf.

„Lässt du mich Aufgabe drei abschreiben?“

„Seh ich aus, als hätte ich Aufgabe drei verstanden?“

 

Die Vertretung, Dr. Frieder Kunze, Fossil aus der Kreidezeit, hatte einige Mühe die 12b zur Ruhe zu bewegen. Ganze 15 Minuten kostete es ihn, alle auf ihre Plätze zu schicken und die Anwesenheitsliste abzuarbeiten.

„Gräfe, Noah.“ Ich hob die Hand als mein Name fiel, blickte jedoch nicht vom Handy meines Freundes auf. Zu gebannt starrte ich auf den Bildschirm über den das Video flimmerte, welches sich seit Tagen wie ein Virus in der Schule verbreitet hatte.

„Nowak, Pawel.“

„Pfwahahahahaha…“ lachend schlug Paschas Kopf auf den Tisch, als er aufgerufen wurde. Der bitterböse Blick des Lehrers durchbohrte ihn, schaffte es jedoch nicht ihn um Schweigen zu bringen.

„Nowak… Klappe halten oder sie fliegen raus und holen den versäumten Stoff in der neunten Stunde nach!“

„Tschuldige, aber die Katze ist…“

„Ihre Katze interessiert mich nicht Nowak… Und was haben sie überhaupt mit Ihren Haaren angestellt? Furchtbar diese Hippies heutzutage!“ Den letzten Satz mehr zu sich murmelnd widmete er sich von neuem der Anwesenheitsliste.

Hippie?, formten Paschas Lippen stumm.

Keine Ahnung… antwortete ich mit einem Schulterzucken. Für den Kunze waren vermutlich alle Schüler, die nicht aussahen wie er in seiner Jugend, Hippies.

 

Die Doppelstunden Chemie und Mathe –beim Hausdrachen Fiedler- überstanden und ein belegtes Brötchen in der Hand haltend schlenderte ich über den Schulhof.

Einige der jüngeren Schüler schauten unverhohlen zu mir auf, sagten jedoch nichts, als ich vorbei lief und mich zu einer kleinen Gruppe aus der 12 a stellte, bei der Pascha sich niedergelassen hatte.

„Da bist du ja! Dachte schon du bist gestorben!“

Lachen schwappte mir entgegen.

Ich wollte nicht hier sein. Die Typen nervten.

Du hast einen Ruf zu wahren, also reiß dich zusammen, ermahnte ich mich nachdrücklich, während sich ein Grinsen auf meine Lippen zwang und ich den Typen neben Pascha unsanft von der Bank schubste.

„He, was soll…“

Ignorier den Kerl. Wie auch immer er hieß. Mirko? Markus? Egal.

 

Ich war noch nicht ganz fertig mit dem Brötchen, als sich jemand neben mich, auf das kleine Stück freie Sitzfläche, quetschte.

Julia, die Nervensäge aus der 11a. Jeder aus der Zwölften hatte schon etwas mit ihr gehabt. Außer mir. Allein der Gedanke daran es mit IHR zu tun widerte mich an. Wer wusste schon was man sich bei ihr alles einfing. Da lehnte ich doch dankend ab und wurde schräg angesehen, denn immerhin: welcher Kerl mit Augen im Kopf würde diese Granate abweisen?

Nein, Schlampen waren nicht mein Typ. Außerdem trug sie zu viel Make-up und die Brüste quollen aus ihrem kurzen Top hervor. Absolut unästhetisch.

„Hey Noah.“ Ihr hohes, wenn man richtig hinhörte, quietschiges Stimmchen verschlimmerte die Sache um ein vielfaches.

„Warum guckst du so abwesend?“

Wie lange konnte ich sie wohl ignorieren? Würde sie irgendwann aufgeben? Nein sie war hartnäckig, genau wie Fußpilz. Womöglich sogar schlimmer.

„Geht’s dir denn nicht gut?“ Als sie mir die Hand auf die Stirn legen wollte reichte es. Unsanft griff ich nach ihrem Handgelenk und schob sie beiseite.

„Julia… du nervst. Verpiss dich einfach.“

Stumm klappte ihr Mund auf, ehe sie krebsrot anlief, mir ein „Penner“ an den Kopf warf und aufgebracht davon stolzierte. Auffällig viele Jungs, selbst die jüngeren starrten ihr dabei hinterher.

„He..“ Pascha, der von dem ganzen wenig mitbekommen hatte, stieß mir mit dem Ellenbogen in die Rippen.

„Siehst du die da?“ Aufgeregt deutete er quer über den Schulhof zur Tischtennisplatte, auf denen sich drei Leute breitgemacht hatten.

„Wer genau? Kurz Blond? Kurz Braun oder Braun mit Zopf und Brille?“

„Kurze blonde Haare, mit dem hübschen Näschen im Buch.“

„Hm.“

„Heiß, oder?“ Pascha erwartete wirklich eine Antwort. Was wollte er hören? Wollte er Bestätigung? Dachte er, wenn ich ja sagte, ich sei Konkurrenz?

„Bist du nicht eigentlich mit Tina zusammen?“, wechselte ich kurzerhand das Thema. Eine Diskussion, ob Blondi ‚heiß‘ war oder nicht, brauchte ich vor Geschichte bestimmt nicht. Konnte mich so kaum schon auf die Auswirkungen des zweiten Weltkrieges konzentrieren.

„Ach…“, lax winkte er ab. „Die ist doch schon seit Mittwoch abgeschrieben.“

„Seid ihr nicht Dienstag erst zusammen gekommen?“

„Ja…“ Mit einem einzigen Wort, schaffte der Grünhaarige es, auszudrücken, dass dieser eine Tag schon zu viel des Guten war.

Verständlich.

Tina war zwar hübsch, aber nervig. Lag womöglich daran, dass sie Julias beste Freundin war.

 

 

 

Jacek

 

 

 

 

Die fünf Haltestellen mit dem Bus vergingen wie im Flug. Auch wenn ich gern auf den Kinderwagen verzichtet hätte, der mir mehr als einmal über den Fuß gerollt war.

Meine Laune war bereits ohne plattgefahrene Füße im Keller, ich wollte bloß noch zu Via und Bryn um mich ausheulen zu können.

Die euphorische ‚Ich-schaff-alles‘-Einstellung hielt bis zum Schultor. Danach wollte ich nur noch heulen, die AG verlassen und mich in seinem Bett vergraben bis die Welt unterging oder von Außerirdischen überrannt wurde.

 

Vias Haus unterschied sich kaum von den umstehenden Häusern.

Alle in klinischem Weiß gehalten. Mit gepflegtem Vorgarten. Blühende Blumenrabatten, akkurat kurzer Rasen, mit weißen Liegestühlen gespickt.

Den einzigen Unterschied, konnte man am Briefkasten festmachen. Vias Mutter, die Kinderärztin Dr. Wehrmeister liebte exotische Briefkästen, weshalb mich ein breit grinsender Frosch mit Zigarette zwischen den Lippen anstarrte, den Namen der Familie lässig auf den Oberschenkel tätowiert.

„Die Dinger werden jedes Jahr abartiger…“ murmelte ich zu niemand bestimmtem, während ich das Tor öffnete und hoffte, dass auch dieses Jahr, der Briefkasten auf mysteriöse Weise verschwinden würde. (Für diese mysteriöse Weise wollte ich aber nicht mit Via und Bryn im Suff nach draußen schleichen und das Ding im nahegelegenen Tümpel versenken müssen. Schon wieder! Letztes Halloween war mir eine Lehre!)

Noch an das letzte Jahr denkend, erreichte ich die Haustür und hielt den Klingelknopf solange gedrückt, bis Vivianne genervt aus ihrem Zimmer nach unten getrampelt kam und die Tür aufriss.

Hatte ich ein schlechtes Gewissen deswegen?

Neeeein.

Via und Bryn durften gern wissen, dass ich schlecht drauf und es diesmal todernst war!

 

„Ich hasse einfach ALLES!“ theatralisch riss ich die Tür zum Zimmer meiner Freundin auf und warf mich, das Gesicht voran, auf das Kingsize Bett. Sofort versuchten die vielen, mit etlichem Kitsch verzierten Kissen mich zu ersticken.

Bryn die in einem Sessel neben dem Bett saß, die Nase in einem dicken Wälzer vergraben, mit einem Zahnstocher Knabberkram aus ihrer Zahnspange pulend, hob kaum merklich die Augenrauen. Das einzige Zeichen, welches erkennen ließ, dass sie bemerkte, dass das fehlende Schäfchen endlich eingetroffen war.

„Und warum hasst du ALLES? Nach dem Unterricht war doch alles gut.“ Seufzend betrachtete Vivianne meine Rückansicht. Das ‚Wie kann man nur so übertreiben?‘ stand ihr ins Gesicht geschrieben und zwar so offensichtlich, dass ich nicht einmal hinschauen musste

Seufzend ließ sie sich in den zweiten Sessel im Zimmer fallen. Ich würde darauf wetten, dass sie sich erst die Brille richtete und dann begann ihre dicken schwarzen Haare –absolute Pferdeloten!- zu einem Zopf zu flechten. Wäre ich nicht so angefressen würde ich jetzt nachsehen, stattdessen sprang ich aufgebracht vom Bett, warf die Arme in die Luft und begann über den pinkfarbenen Langflorteppich zu tigern, während ich ihr ein bissiges „Wegen Anne!“ entgegen rief.

Eine halbe Stunde später hatte ich mein Herz ausgeschüttet und saß wie ein Häufchen Elend auf Viviannes Bett.

„Und was mach ich jetzt?“ Weinerlich schaute ich von einem Sessel zum anderen.

„Deine Eier suchen!“, waren die ersten Worte, die Bryn zum Besten gab, seit ich hier angekommen war. (AUA, Im Übrigen. Meine Eier sind genau da wo sie sein sollten Besten Dank auch) Selbst wenn sie ihr Buch noch immer nicht beiseitelegen wollte. „Dieses unmännliche Gejammer ist ja nicht um Aushalten. Wie kann man sich nur so schwul verhalten, wegen eines verfickten Theaterstückes was keine Sau interessieren wird?“

Hallo? Ich war schwul! Da konnte man das Wort schwul doch nicht als Beleidigung nehmen!

Anstatt sauer zu werden nickte ich jedoch nur. „Hast ja Recht. Sorry. Keine Ahnung was mit mir los war.“

„Ich hab immer Recht. Kapier es endlich.“ Bryns Augen wanderten zurück auf die vergilbten Seiten vor sich.

„Jaja… Hast du für heute irgendwas geplant? Muss meinen Bus um 19:07 Uhr kriegen Tommy und ich wollen heute Abend einen Film zusammen ansehen, kann also nichts Extravagantes mitmachen.“

„Was vom Chinesen bestellen, über Anne lästern und das Stück der Diederich von vorn bis hinten schlecht machen? Habt ihr eigentlich schon die Texte bekommen?“

„Nein, erst am Montag.“

„Wie das? Dachte die Frau hat immer eine Millionen Kopien ihrer Stücke dabei, damit sie auch ja jeder lesen kann.“ Allein bei der Erinnerung an das halbe Jahr Theater AG in der siebten Klasse –in dem Vivianne schriftlich bestätigt wurde, dass sie so viel Talent hatte wie eine platt gefahrene Birne- überfielen sie –offensichtlich- heiße und kalte Schauer.

„Diesmal nicht. Hat vielleicht schon damit gerechnet gehabt, dass wieder einer Shakespeare vorschlägt.“ Mir war das Ganze auch schon merkwürdig vorgekommen, hatte es jedoch mit einem Schulterzucken abgetan. Dann musste ich mir wenigstens nicht das Wochenende mit solch einem Stuss vermiesen.

Doch der Stuss hatte nächstes Jahr ein Ende. In meinem Abschlussjahr konnten die Jungs… oder besser ich, bestimmen was aufgeführt wurde. Dazu mussten wir nur die Mädels schlagen.

Konnte doch gar nicht so schwer sein, wir müssten nur…

„Au!“

Eine Tempobox traf mich am Kopf, während ich darüber fantasierte Anne zu schlagen.

„Hör auf zu träumen. Sag endlich was du vom Chinesen willst, denn wenn ich in 25 Minuten meine gebackenen Bananen nicht in Händen halte, dann esse ich dich!“ Ihre grünen Augen funkelten zur mir herüber wie fiese Giftschlagen.

Eine Hungrige Bryn war nie gut. Eine Hungrige Bryn war fast so schlimm wie eine Bryn, die man tatsächlich Brynhild genannt hatte. (Noch ein Fehler den ich im Suff begangen hatte. Ich hatte Bryn dank ihrer geblümten Mädchenbluse und dem Glockenrock unterschätzt, doch die Kopfnuss die sie meiner Nase verpasst hatte, hatte es in sich gehabt.)

„Bestell mir die vier.“ Rief ich hastig zu Via, die bereits am Telefon hing um zu bestellen.

„Weißt du überhaupt was die Nummer vier ist?“

„Nein. Bestell einfach. Ich will nicht das sie mich frisst…“ Nur vorsichtshalber brachte ich ein paar Meter Sicherheitsabstand zwischen mich und meine engelsgleiche Freundin, deren Zahnspange gefährlich aufblitzte.

 

Der Lieferservice war schnell, brachte Bryn ihr Essen in unter 25 Minuten und retteten damit ein unschuldiges Leben, sodass ich es schaffte pünktlich den letzten Bus nach Hause zu erwischen.

Diesmal war zum Glück kein Kinderwagen im Bus zu sehen. Sodass ich die nächste halbe Stunde in einem fast leeren Bus verbrachte, bis ich schließlich an meiner Haltestelle ausstieg und die fünfhundert Meter bis nach Hause lief.

 

„Tommy?“ rief ich lautstark in den Flur hinein, kaum dass ich die Haustür aufgeschlossen hatte.

„Küche!“

Lächelnd warf ich meine Schlüssel auf den Schrank im Flur und folgte der tiefen Stimme.

„Riecht gut. Was wird das?“

„Hab Kekse gebacken.“

„Im Sommer?“

„Na an Weihnachten kann das jeder, oder?“ Tommy, der mindestens einen Kopf größer war als ich,  grinste breit, ehe er einen Arm um meine Schulter legte. „Außerdem musst du doch groß und stark werden, kleine Lilie.“

„Nenn mich nicht so du großer Trottel.“ Spielerisch boxte ich meinem Bruder in die Seite. Dieser lachte nur und zerzauste mir die glatten Haare.

Vermutlich hätte niemand geglaubt das Tomasz und ich in irgendeiner Weise verwand waren. Ich war maximal normal gebaut, während Tomasz an einen Schrank erinnerte, mit Dreitagebart, Tattoo auf dem Arm und einem Piercing in der Nase.

Nur unsre Haare waren farblich beinahe identisch auch wenn Tommys Kopf wilde kurze Locken zierten.

Und doch…

„Hey Kleiner… Träum nicht. Such dir schon Mal einen Film aus. Milch und Kekse bring ich gleich rüber.“

Sanft wie das Lämmchen, das er war, schubste er mich in Richtung Wohnzimmer wo ich mich auf der Couch breit machte und die DVDs durchschaute, die auf dem Tisch verteilt lagen.

„Kommst du endlich? Ich will Kekse! Und Eistee!“

 

 

 

 

Noah

 

 

 

 

Loui und Couki krakeelten, als Pascha die Haustür aufschloss. Gerade rechtzeitig konnte er die Tür hinter uns ins Schloss fallen lassen, als auch schon ein blauer und ein grüner Federpuschel auf ihn zugeschossen kamen.

Das Begrüßungskommando, ließ sich noch immer laut zwitschernd, auf Pawels Haarnest sinken. Der Grüne schien aufgeregt erzählen zu wollen, was ihm spannendes widerfahren war, während die Blaue langsam verstummte und begann mich zu mustern.

„Wag es dir Couki. Du kackst mir nicht wieder auf die Schulter“, knurrte ich sie an als ich den Blick der Vogeldame bemerkte, der wie gebannt auf meiner Schulter haftete. „Das Hemd ist neu. Federvieh.“ Und es war weiß. Und ich wusste, wie beschissen Vogelkacke war.

Couki schien das ganze jedoch als Einladung aufzufassen, denn mit ein paar Flügelschlägen flatterte sie von Paschas Kopf, zur zuvor anvisierten Schulter und ließ sich nicht wieder von dort vertreiben.

„Mann, warum liebt die dich so? Loui wird noch eifersüchtig und hackt dir die Augen aus.“ Doch Loui blieb unbeeindruckt vom Verhalten seiner Frau. Gelassen flog er zurück zur offenen Käfigtür, knabberte an ein paar Körnern herum und flirtete schließlich mit seinem eigenen Spiegelbild.

Sollte Couki auch mal probieren. Wäre mir persönlich lieber als das Vieh auf meinem Hemd sitzen zu haben.

„Joana?“

Keine Reaktion als Pawel nach seiner Schwester rief.

„Elendes Plag. Sie weiß doch genau, dass sie die Vögel einsperren soll wenn sie weggeht.“

Ich hörte nicht zu, als mein Freund sich über seine kleine Schwester aufregte. Stattdessen versuchte ich das Federvieh von meiner Schulter zu vertreiben. Mit pusten –schien ihr zu gefallen, zumindest zwitscherte sie leise und zufrieden klingend vor sich hin, während sie sich ein bisschen aufplusterte. Mit Schulter schütteln –machte ihr auch nichts aus, je mehr ich schüttelte, desto fester krallte sie sich an mir fest.

Sogar mit dem Finger wollte ich sie beiseiteschieben… Das Biest hüpfte einfach auf meinen Finger und von dort aus zurück auf die Schulter. Wieder. Und wieder. Und wieder. Wie bei einem Spiel.

„Dann bleib halt sitzen du Mistvieh.“

Könnten Vögel grinsen, würde die Wellensittichdame es genau in diesem Moment, dem Moment ihres Sieges, tun. Das war so sicher wie das Amen in der Kirche. Blödes Vieh.

„Pizza bestellen?“ Ich hatte gar nicht bemerkt, wie Pascha in der Küche verschwunden war. Erst als dieser ins Wohnzimmer zurück kam und mit einem Flyer vor meiner Nase herumwedelte fiel mir auf das es zu Ruhig im Raum war.

„Klar. Bestell mir eine Quattro Formaggi mit extra Käse.“

 

Eine dreiviertel Stunde später saßen wir in Pawels Saustall, aßen die Pizzen und versuchten uns nebenbei auf der PS4 gegenseitig fertig zu machen.

Die Kontroller starben dabei einen super fettigen Heldentod.

„Iglouwisonpaseman“

„Hä?“

Ich schluckte den zu großen Bissen Pizza hinunter, ehe ich wiederholte, dass ich glaubte wir sollten besser Pause machen, ehe die Kontroller implodierten, oder so.

Hatte keine Ahnung von der Technik, aber bei unserem Glück würden die genau das tun.

„Ist ja langweilig…“, brummte Pascha, stellte das Spiel dennoch auf Pause.

Stumm vernichteten wir den Rest unserer Pizzen.

Pawel war der Erste, der das Schweigen brach, als er fertig war. „Ich glaub Couki liebt dich mehr als Loui.“

„Glaub ich auch…“ Missmutig schielte ich zu dem dösenden Vogel, der noch immer meine Schulter als Sitzplatz missbrauchte.

„Und ich glaub sie hat dir auf die Schulter gekackt…“

 

Unter viel Gekreisch und Gezeter –nicht alles kam vom Vogel- verfrachteten wir den Wellensittich schließlich in ihren Käfig. Beleidigt drehte sie uns –vor allem mir- den Rücken zu, würdigte uns keines weiteren Blickes.

Konnte mir nur recht sein.

„Kann ich mein Hemd bei dir auswaschen?“

„Klar. Soll ich dir ein Shirt von mir leihen in der Zwischenzeit?“

Angewidert verzog ich das Gesicht.

„Lieber geh ich oben ohne, als rumzulaufen wie ein Penner.“

„Ey!“

Ich liebte Pascha. Ganz ehrlich. Wenn einer der Bruder war, den ich nie hatte, dann er. Doch er war eine Schlampe. In jedem möglichen Sinn.

Eine Freundin/Bekanntschaft nach der anderen, das Zimmer eine Müllhalde –eine schmutzige Unterhose lag da schon seit den Osterferien- und die Klamotten… davon wollte ich gar nicht reden.

Wenn mir der Sinn nach löchrigen Shirts stand dann… nein… soweit würde es nie kommen. Da konnten sämtliche Höllen zufrieren.

 

Um kurz nach zwei fielen uns schließlich die Augen zu. Das Spielen hatten wir vertagt und stattdessen beschlossen alle Folgen von Game of Thrones zu schauen.

Tja, daraus wurde nichts. Nach der zweiten Folge, lagen wir laut schnarchend auf Paschas Bett. Er, sich breiter machend, als er eh schon war und ich die Arme um sein Bein schlingend und es als Kuscheltier benutzend. Haarig genug war es dafür ja.

Am Morgen wurde ich für diese Kuschelaktion gnadenlos aus dem Bett gekickt.

„Arsch…“ Knurrte ich meinen besten Freund an. Überlegte, ob ich einfach auf dem Boden weiterschlafen konnte, doch da rumste es auch schon vor der Tür und aus war es mit der Ruhe.

Paschas Mutter schrie Joana an, die wie es schien, jetzt erst nach Hause gekommen war, ohne vorher Bescheid gegeben zu haben, dass sie überhaupt weg war. Joana, 16 und stur wie man in diesem Alter nun mal war, plärrte zurück. In einer Lautstärke die verboten werden sollte.

„Bleibsuzmfrüschk?“

Da ich so ein guter Freund war, konnte ich erahnen was genau er von mir wollte.

Mein Körper schrie nach Kaffee und frischen Brötchen, deren Duft mittlerweile unter der Tür hindurch zu uns gewabbert kam, dennoch lehnte ich nach kurzem Überlegen ab.

Eine wütende Agnes Nowak UND eine Joana die mir ständig schöne Augen machte? Nein danke. Das hielt niemand aus.

„Nee… fahr besser heim. Gucken ob meine Mutter sich wieder Vorwürfe macht.“

Pascha war einer der wenigen Menschen, die wussten, dass meine Mutter nicht immer die fröhliche Frau war, die sie nach außen hin gab.

„Is gut. Grüß schön.“ Gähnend zog er sich die Decke über die verwuschelten Haare –an das Grün musste ich mich noch immer gewöhnen- und machte sich dran, einfach weiter zu schlafen.

„Du weißt wies raus geht… nich?“ Er wartete nicht auf meine Antwort, sondern döste bereits wieder ein, als er das ‚nich‘ noch auf den Lippen hatte.

So ein Schnarchsack.

 

Ächzend sammelte ich meine Knochen vom Boden auf, ebenso meine Jeans, schlich ins Bad, wo ich mein mittlerweile wieder sauberes Hemd fand und zog mich an.

Ich spielte mit dem Gedanken mich still und heimlich aus dem Haus zu schleichen, doch mein Helm musste irgendwo in der Küche oder dem Wohnzimmer liegen, sodass ich die Familie Nowak, die eindeutig schlechte Laune hatte, doch kurz begrüßen musste.

Agnes funkelte mich erst wütend an, hielt mich womöglich für ihren Sohn, setzte jedoch ein Lächeln auf als sie mich erkannte.

„Noah, mein Lieber. Pawel hatte gar nicht gesagt, dass du zu besuch kommst. Warte ich hol dir noch ein Gedeck. Du isst doch bestimmt mit, nicht?“

Sie wuselte bereits an mir vorbei und wühlte in diversen Küchenschränken herum, ehe ich dankend ablehnte.

„Ich kann leider nicht bleiben Agnes. Tut mir leid. Aber Ma wollte heute irgendwas mit mir machen. Deshalb sollte ich mich beeilen, ist schon recht spät.“

„Wie schade. Aber beim nächsten Mal bleibst du länger, ja?“

„Oh ja, beim nächsten mal musst du unbedingt länger bleiben“; mischte sich nun auch Joana ein, die mich mit den Wimpern klimpernd, anstrahlte.

Das Zeichen für mich, schnellstmöglich von hier zu verschwinden.

„Klar Agnes. Jetzt muss ich aber wirklich los. Du hast nicht zufällig meinen Helm gesehen?“

Paschas Mutter schüttelte mit dem Kopf. Ihre kurzen dunklen Locken hüpften dabei wild um ihren Kopf. „Hast du sie gesehen?“ Ihr Blick glitt an mir vorbei zu ihrem Mann, Bartosz, der den Kopf hinter einer Zeitung vergraben hatte.

„Schuhschrank“, brummte er ohne aufzusehen oder gar irgendeine Emotion durchscheinen zu lassen.

Paschas Vater war seltsam. Er hatte sich zwar nie schlecht mir gegenüber verhalten. Doch konnte man auch nie eine Gefühlsregung bei ihm erkennen. Es war, als wäre er eine Bronzestatue die sich zwar bewegen und reden konnte, jedoch nie auch nur ein Mundwinkelzucken oder Naserümpfen zustande brachte.

„Vielen Dank.“

Ein Brummen kam hinter der Zeitung hervor. Ich deutete es als „gern geschehen“.

„Bis zum nächsten Mal. Lasst euch das Frühstück noch schmecken.“ Und schon war ich weg. Schnappte mir auf dem Weg nach draußen zu meinem Motorrad den Helm vom Schuhschrank und war heilfroh, Joanas Blick endlich entkommen zu sein.

Seit sie sich für Jungs interessierte war sie gruselig.

Auf dem Weg nach Hause hielt ich beim Bäcker an. Grade so hatte ich die letzten Brötchen erwischt, ehe er schließen wollte. Heute quatschte die Verkäuferin auch nicht so lange wie sonst. Hatte wohl was vor.

Zu schade.

Gerade heute, wo ich nicht scharf darauf war nach Hause zu kommen, hielt mich keiner davon ab. Wie es sonst immer der Fall war.

Kein Verlass mehr auf die Leute.

Vielleicht könnte ich zu Pascha zurück und mich dort bis morgen früh einquartieren…

Seufzend parkte ich das Motorrad in der Einfahrt, den Garagenschlüssel hatte ich im Haus vergessen, als ich gestern zur Schule gefahren war.

„Ma? Bin zuhause!“

Geschirr klapperte in der Küche, jedoch kam keine Reaktion.

Ein Blick in die Küche verriet warum. Meine Mutter trug ihre übertrieben großen Kopfhörer. Hin und wieder schien sie stumm mit den Lippen Worte zu formen. Ein Indiz dafür, dass sie sich wieder eines dieser scheußlichen Selbsthilfedinger anhörte.

Wie gerne würde ich sämtliche Dateien von ihrem Handy, dem PC, dem USB-Stick für das Autoradio und von ihrem I-Pod löschen.

„Warum tust du dir diesen Scheiß immer wieder an?“ fragte ich sie, während ich ihr die Kopfhörer von den Ohren zog und ihr einen Kuss auf die Wange gab.

Erstaunt sah sie von ihren nassen Händen auf. Wann immer sie verunsichert war, begann sie zu spülen, trotz des funktionierenden Geschirrspülers direkt neben ihr. Zu spülen und sich diesen Schrott anzutun.

„Lass uns frühstücken. Ich hab Brötchen mit.“

Ein Lächeln schlich sich auf ihr Gesicht.

„Du bist ein Engel. Gib mir nur fünf Minuten. Dann bin ich mit den Tellern fertig und die Lektion geht auch nur noch ein paar Minuten.“

Unwillig verzog ich das Gesicht.

Ich sollte am besten sämtliche Abspielgeräte vernichten, nicht nur die Dateien.

Während meine Mutter sich weiter diesem Schwachsinn hingab, brachte ich meinen Rucksack in mein Zimmer, ehe ich den Tisch in der Küche fürs Frühstück deckte.

 


Nachwort zu diesem Kapitel:
-----
Die Story ist bereits einige Zeit auf Bookrix und Fanfiktion.de zu finden.
Nun stell ich sie auch hier rein.

Hoffe ihr mögt meine Idioten.

Updates: Immer Samstag bzw.Sonntag Komplett anzeigen

Fanfic-Anzeigeoptionen

Kommentare zu diesem Kapitel (0)

Kommentar schreiben
Bitte keine Beleidigungen oder Flames! Falls Ihr Kritik habt, formuliert sie bitte konstruktiv.

Noch keine Kommentare



Zurück