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Urlaubsreif^3

Die Zwei machen mich fertig!
von

Vorwort zu diesem Kapitel:
Die übliche Warnung: keine Zeit/Lust gehabt Korrektur zu lesen.
Ansonsten viel Spaß mit dem Durcheinander, das ensteht, wenn man das Hotelteam einen Kindergeburtstag feiern lässt. Komplett anzeigen

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Dienstag 26.7.

Die Sonne konnte noch nicht lange aufgegangen sein, denn ihr Zimmer lag immer noch im Dunkeln, als Martine im Dämmerzustand wahrnahm, dass sich etwas auf ihre Matratze setze. Zwei Etwas um genau zu sein. Blinzelnd und noch halb schlafend öffnete sie die Augen und murmelte: „Alles Gute zum Geburtstag, ihr zwei. Was macht Ihr schon hier?“

Ethan blickte zu Clara, die den Kopf schüttelte und mit dem Kinn auf ihn zeigte. „Wir sind aufgewacht und wollten Onkel Maximillion nicht wecken, weil er gestern meinte, er sei ganz furchtbar müde.“

Hätte sie wohl besser auch getan. Dann hätten sie jetzt wahrscheinlich Chef genervt. Shin war um diese Uhrzeit vermutlich schon wach, aber bis zum Frühstück hatten ihre Kinder an diesem speziellen Tag immer das Verbot in die Küche zu gehen. Zu ihrem Glück gähnte Clara so ausgelassen, dass sie fast vergaß die Hand vor den Mund zu halten. Da war wohl jemand noch nicht ganz ausgeschlafen.

„Aber deine Schwester – und mit sehr hoher Wahrscheinlichkeit du auch – ist auch noch ziemlich müde. Was haltet ihr von einer Runde Kuscheln?“

Ihre Zwillinge antworteten nicht einmal, sondern legten sich brav neben sie. Clara in ihren linken Arm und Ethan in ihren rechten. Wenn die beiden weiterhin so schnell wuchsen, würde sie doch bald ein größeres Bett brauchen.

Sie lächelte, als sie merkte, dass die beiden fast augenblicklich wieder eingeschlafen waren. Martine selbst hatte damit ein wenig mehr Probleme, da sie normalerweise nicht auf dem Rücken schlief, was sich jetzt aber nicht vermeiden ließ. Schließlich konnte sie sich nicht einen Zentimeter bewegen, ohne Gefahr zu laufen ihre Kinder wieder zu wecken. Doch nach einer Weile, in der nur das gleichmäßige und synchrone Atmen zu hören war, war auch sie wieder eingenickt.
 

„Denkst du nicht, dass du etwas übertreibst?“

Seto verneinte und band sich seine Krawatte zu Ende. Das wäre ja auch noch schöner, wenn er bei ihrem Termin nicht angemessen gekleidet wäre! Und wenn er schon Mokuba nicht davon überzeugen konnte, dass Jeans und ein nicht bis zum Kragen geschlossenes Hemd zu leger seien, dann sollte wenigstens er selbst mit gutem Beispiel voran gehen. Er musterte sich ein letztes Mal kritisch im Badezimmerspiegel und nickte seinem kleinen Bruder dann zu, um ihm zu zeigen, dass auch er fertig war. Endlich, wie dieser fand.

„Hast du alles?“, fragte er kühl. „Nicht, dass wir zum Schluss mit leeren Händen dastehen!“ Wie peinlich ihm das wäre, musste er nicht hinzufügen. „Ganz ruhig, Seto. Ohne mich hättest du noch nicht einmal etwas, dass du vergessen könntest mitzubringen. Also würde ich an deiner Stelle ein paar Gänge runter schalten, dich entspannen und dich einfach auf nachher freuen“, empfahl Mokuba, während er sich seine Turnschuhe zu band. Knirschend blieb Seto still und tat so als würde er nicht fast durchdrehen vor Angespanntheit als sie den Waldweg entlang gingen.

Wieder einmal war es Yuki, die ihnen die Tür öffnete und sie dabei erleichtert anstrahlte: „Da seid ihr ja endlich! Die Zwillinge sind jetzt kaum noch zu bändigen vor Ungeduld, weil Martine darauf besteht, dass wir erst mit euch beiden anfangen.“

„Aber es hieß doch halb elf“, sagte Seto etwas verunsichert.

„Ja, keine Angst. Alles perfekt. Ihr seid auf die Minute pünktlich. Aber die beiden sind natürlich aufgeregt wegen heute und können es kaum erwarten endlich ihre Geschenke auspacken zu dürfen. Folgt mir einfach.“

Mokuba musterte Seto skeptisch von der Seite. Nie im Leben hätte er gedacht, dass er eine so lockere Anrede von einer Angestellten zulassen würde. Sein eigenes Personal hätte er schon längst für eine solche Frechheit runter gemacht. Doch jetzt folgte er der jungen Frau einfach gehorsam in den ersten Stock, wo Mokuba große Augen machte.

„Das ist euer altes Esszimmer?“, rief er verblüfft aus und ließ sich von Martine umarmen. Zuvor hatte er die beiden Päckchen, die er mitgebracht hatte, an Maximillion weitergereicht, der sie auf jeweils einen Stapel auf einem Tisch quer zum Fenster legte. Parallel dazu stand ein weiterer Tisch mit Gedecken für zwölf Personen. Das restliche Mobiliar stand an den Wänden und ließ den Raum noch großzügiger wirken.

Doch Setos Blick wanderte wieder zu dem Geschenktisch zurück. Er zählte mehrmals die Stapel, kam aber immer wieder zum gleichen Ergebnis. Vier. Wieso gab es vier Stapel? Einer machte für ihn Sinn. Zwei auch noch. Drei, falls es Geschenke für jeden einzeln gab und manche für sie zu zweit. Aber vier? Was sollte man mit vier Geschenkstapeln? Über seinen Betrachtungen vergaß er die anderen Anwesenden zu grüßen, was aber eh hinfällig wurde, als sich die schwere Holztür hinter ihm erneut öffnete.

„Entschuldigt, dass ihr auf mich warten musstet – ich hab nur noch kurz die Bestellung der neuen Sonnenschirme rausgegeben, damit wir sie bis Ende der Woche haben. Falls der Wetterbericht Recht behält, haben wir spätestens Sonntag Hochsommer.“

„Und als was bezeichnest du das da draußen?“, wollte Cian wissen, der etwas mit der Wärme zu kämpfen schien, die von den offenen bodentiefen Fenstern herein sickerte. Maximillion überging den Kommentar und antwortete charmant wie immer: „Bei uns musst du dich nicht entschuldigen, Geburtstagskind – außer natürlich bei deiner Cousine und deinem Cousin, die endlich ein Stück Torte haben möchten.“

Seto war sich ganz sicher, nicht richtig gehört zu haben. Geburtstagskind? Aber sein Hünd... Joseph Wheeler hatte doch im Januar Geburtstag! Da war er sich zu hundert Prozent sicher. Irrtum ausgeschlossen. Jedoch war der Zweifel an seinem eigenen Gedächtnis nicht das Schlimmste, als nun Chef an ihm vorbeiging und sich mit ernster Miene bei Clara und Ethan entschuldigte, die als einzige ähnlich schick angezogen waren wie er selbst. Sogar Pegasus trug nur ein weißes, rüschenfreies Hemd zu seinen roten... Jeans?! Viel schlimmer war, dass sie für ihn kein Geschenk hatten! Er hatte nicht gewusst, dass er so etwas brauchen würde und auch Mokuba schien überrascht. Nervös dachte er an das kleine Paket in seinem Koffer. Sollte er sich vielleicht kurz entschuldigen, um es zu holen. Konnte er es wagen es bereits jetzt zu präsentieren? Nein. Nein, ausgeschlossen. Es würde nur zu viele Fragen aufwerfen, die er noch nicht bereit war zu beantworten. Also sah er einfach nur zu, wie Shin und Hans aus dem Nichts eine stattliche Torte hervorzauberten die auf ihrer weißen Hülle oben zwölf kandierte Kirschen sitzen hatte. Yuki brachte währenddessen zwei große Schaumstoffwürfel herbei und überreichte je einen den Zwillingen. Clara drückte ihren Würfel Ethan in die Hand, der beide einfach von sich schleuderte, weil sie zu groß waren als dass er richtig mit ihnen hätte würfeln können. Eine Elf. Alle bis auf Seto applaudierten, während Ethan die Würfel wieder einsammelte und an Clara weitergab. Auch sie würfelte eine Elf. Dann war Chef an der Reihe. Ein Fünfer-Pasch. Es folgten Martine und Maximillion. Matt und Cian. Yuki. Hans, Mokuba und schließlich Shin, der mit nur drei Augen die niedrigste Zahl erreichte.

Weil er nicht genau wusste, was er machen sollte, griff danach Seto nach den Schaumstoffungetümen und versuchte sie möglichst elegant in eine Richtung zu rollen, in der alle sie noch sehen konnten, sie aber weit genug von ihm entfernt waren.

„Gratuliere!“, sagte Hans neben ihm. „Ihnen wird die große Ehre zu Teil, die Torte aufzuschneiden.“

Er konnte gar nicht so schnell schauen, wie er mit einem scharfen Messer in der Hand vor der Torte auf dem gedeckten Tisch stand. Tief durchatmend versuchte er das Messer exakt zwischen zwei Kirschen zu platzieren.

„Langweilig!“, kam es von Yuki.

Also setzte er das Messer möglichst knapp an der linken Kirsche an und halbierte den Kuchen einmal sauber. So fuhr er fort, bis es zwölf Stücke gab. Aber dann wusste er nicht mehr weiter. Er glaubte, dass jetzt üblicherweise die ersten mit ihren Tellern kämen, aber so wirklich machte keiner von ihnen Anstalten sich zu bewegen.

„Das erste Stück geht an Sie“, half ihm Martine und reichte ihm den Teller von dem Platz, hinter dem er seinen Namen auf einem leuchtend bunten Namensschild entdecken konnte.

Mit dem Kuchenheber gab er sich selbst das Stück, das ihm am nächsten war, und reichte den Teller an Martine zurück. Sie stellte ihn auf seinen Platz und kurz zuckten seine Augenbrauen zusammen. War das Innere der Torte nicht hell gewesen? Aber er hatte keine Zeit, sich darüber Gedanken zu machen, denn nun stand Clara bei ihm und forderte ihr Stück vier weiter links von der Lücke seines Stücks. Ethan nahm das vier weiter rechts. Und wieder war das Torteninnere anders als Seto es zunächst gesehen hatte. Durch die Zwillinge blieben jetzt noch drei Bereich mit je drei Stück Torte übrig. Chef trat an ihn heran und deutete auf das Stück, das am weitesten von Seto weg war.

„Bitte“, fügte er hinzu, nachdem Seto sich ein paar Augenblicke nicht gerührt hatte.

Wie lange war es her, dass sie sich so nahe gewesen waren? Er mochte es noch immer nicht, dass er aufsehen musste, um in diese dunklen Augen sehen zu können, dennoch hätte er in ihnen versinken können... „Natürlich“, räusperte er sich.

Nach einander bekamen nun auch die anderen ihren Teil der Torte und setzten sich auf ihre Plätze. Seto war Stolz auf sich, dass es ihm gelungen war, alle Stücke stehend zu drapieren, trotzdem schien keiner seine Mühe zu schätzen. Denn kaum saß er, da fing Shin auch schon an: „Ich tausche ein vollständiges Himbeerstück gegen eines mit anteilig Schokolade. Die zweite Hälfte ist mir egal.“ Yuki musterte kritisch ihr Stück. Seto konnte, weil sie direkt neben ihm saß, sehen, dass sie einen Teil Schokolade hatte. „Meinetwegen. Aber die Kirsche behalte ich.“

„Du bist eine knallharte Verhandlungspartnerin. Weißt du das?“ Er nahm ihren Teller schräg über den Tisch entgegen, entfernte die Kirsche von ihrem Stück, legte sie zu dem Stück Himbeertorte. Dann ging der Teller Retour. Nun begannen auch die anderen eifrig das Feilschen und Tauschen, während die zwei bereits mit ihrer Torte begannen. Wie sich herausstellte konnten auch schon angeknabberte Stücke ihren Besitzer wechseln. Zumindest beobachtete Seto dies zwischen Matt und Cian. Er selbst war mit seiner Ausbeute zufrieden – Schokolade und etwas, dass er für Passionsfrucht hielt – bis Chef von seinem Platz am entlegenen Kopfende von seinem Stück mit Kirschen zu schwärmen begann. Seto mochte Kirschen. Sie waren sein Lieblingsobst. Kurz checkte er seine Optionen. Er selbst hatte noch zwei Drittel und Chef nur noch die kirschige Hälfte. In dem Moment wo er den Mund öffnen wollte, um sein Angebot zu unterbreiten, presste er sofort die Lippen kurz und fest aufeinander. Das war definitiv nicht der richtige Zeitpunkt, so gerne er auch probiert hätte. Als ihm Bilder in den Kopf schossen wie er auch noch später eine Kostprobe erhalten könnte, trank er ganz schnell einen Schluck Kaffee und fragte dann Shin ihm gegenüber: „Wie kommt es eigentlich, dass die Torte so viele Geschmacksrichtungen umfasst?“

„Musst du die da oben fragen“, ruckte dieser mit dem Kopf in Richtung Familie Pegasus. „Martine konnte sich vor ein paar Jahren nicht auf eine Torte festlegen und da hab ich einfach halb halb gemacht – abwechselnd, sodass die Stücke variierten. Danach war es ein Selbstläufer und ist etwas aus dem Ruder gelaufen. Aber jedem schmeckt es und alle sind glücklich. Apropos, wenn ihr fertig seid, können wir mit dem Buffet beginnen.“

„Und was ist mit Geschenke auspacken?“, übernahm Chef für die beiden Kinder, die etwas enttäuscht drein blickten.

„Okay. Erst Geschenke. Dann Buffet“, resignierte der andere.
 

Nach der Art und Weise wie die Verteilung der Torte vonstatten gegangen war, hätte Seto erwartet, dass auch hier die Reihenfolge ausgewürfelt wurde, doch die Zwillinge standen einfach auf, nachdem sie von ihrer Mutter die Erlaubnis bekommen hatten, und fingen an sich ihren jeweiligen Stapeln zu widmen. Im Großen und Ganzen blieb der Rest am Tisch sitzen und bejubelte sie zu dem ein oder anderen Geschenk. Nur Martine und Pegasus standen bei ihnen und erklärten hier und da etwas. Ethan flippte aus vor Freude, als er eine Staffelei auspackte. Die Geschenke von Yuki und Matt hatten zuvor Zeichenpapier und Aquarellkreide zu Tage gefördert und Pegasus versprach ihm, noch während des Urlaubs zu zeigen, wie man sie richtig aufstellte und die Materialien korrekt anwandte. Zu Setos Überraschung schien Clara kein bisschen neidisch, was vielleicht auch daran liegen könnte, dass sie in diesem Moment das Papier von einem großen Karton entfernte, der sich als Holzbaukasten herausstellte. Es blieb nur zu hoffen, dass ein Erster-Hilfe-Set integriert war. Sobald die getrennten Stapel ausgepackt waren und Spielzeug und Kleidung auf dem Tisch verstreut lag, machten sie sich gemeinsam an den Stapel in der Mitte und freuten sich gemeinsam über das Spielzeug dort. Wenn es von Mitgliedern des Teams war, bedankten sie sich artig. Auch Mokubas Geschenk kam gut an – zwei einzelne Spielsets mit Figuren, die man kombinieren konnte. Er selbst ging leer aus. Dann kamen eine ganze Reihe von Karten, die sie mit größtem Ernst lasen. Eine davon reichte Clara an ihre Mutter weiter. „Maman, die ist für dich. Von deiner Freundin, die im Anfang April bei uns war.“

Martine nahm sie entgegen und schmunzelte beim Durchlesen der Zeilen. „Danke, Clara. Aber eigentlich ist das nur die Information an mich, dass sie mit euch einen Tag lang etwas Tolles unternehmen möchte. Ich an deiner Stelle, würde jetzt aber diesen Brief hier öffnen.“

Mit diesen Worten reichte sie ihrer Tochter einen großen blauen Umschlag, den sie mit ihrem Bruder zusammen öffnete. Die Karte darin war zwar groß, aber schlicht. Außen stand nur eine simple „7“ und innen stand etwas in einer sauberen, schnürkellosen Handschrift, wie Seto von seinem Platz aus sehen konnte. Es dauerte einige Augenblicke, dann rissen die Zwillinge Chef von den Füßen, der bei seinem Stapel soeben das letzte Päckchen öffnete.

„Danke!!!! Wann können wir das machen?“

„Machen wir das heute noch?“

„Dürfen wir sie dann behalten?“

„Könne wir dann jeden Tag drauf spielen?“

„Heute nicht mehr. Die Anlieferung hat sich verspätet“, argumentierte Chef von seiner Position mit dem Rücken auf dem Boden aus. Enttäuscht verzogen die beiden die Mine. „Eigentlich hättet ihr sie erst für die Feier mit euren Freunden bekommen sollen als Überraschung, doch Cian meinte, es wäre gemein euch so lange darauf warten zu lassen.“

„Achso. Und wann ist sie dann da?“, fragte Ethan, während sich sein Cousin langsam wieder aufrichtete.

„Ich hoffe bis zum Wochenende. Und dann probieren wir sie gemeinsam aus!“

„Versprochen?“, wollte Clara wissen.

„Versprochen.“

„Worum geht es eigentlich?“, fragte Mokuba Martine, die ihm die Karte zu lesen gab. Rasch überflog er den Text und lachte dann: „Eine Hüpfburg! Jo muss verrückt sein. Ihr bekommt die beiden da doch nie wieder raus! Aber wieso dauert die Lieferung so lange?“

„Weil es eine Spezialanfertigung ist“, erklärte Pegasus. „Komplett nach einem Entwurf meines Sohnes. Er hat den Auftrag bereits letztes Jahr vergeben.“

„So, so. Sonnenschirme“, meinte Mokuba daraufhin zu Chef.

„Was hätte ich denn sonst sagen sollen? Mir ist spontan nichts besseres eingefallen.“

„Auch wieder wahr. Unser Geschenk bekommst du in den nächsten Tagen. Uns hatte leider nur keiner gesagt, dass du heute auch deinen Geburtstag feierst. Sonst hätte ich selbstverständlich ein paar Liebesknochen für dich besorgt. Die magst du doch immer noch, oder?“

Nur mit Mühe konnte Seto seinen Kaffee bei sich behalten und nicht über den gesamten Tisch prustend verteilen.

„Ja, ich mag sie immer noch. Und wenn ich dieses Jahr ganz artig war, hat Hans mir wieder Eclairs fürs Buffet gemacht. Denn deinen guten Willen in Ehren – du bekämst sie nie heil hier her von Domino. Schenk mir lieber ein gutes Buch.“

„Aber das hat der Rest doch schon getan!“

„Na und? Ich lese wirklich viel. Das wird mit Mühe und Not durch den Sommer reichen.“ Er deutete auf den Stapel mehrerer tausendseitiger Wälzer, die sich auf seiner Tischecke befanden.

Sie diskutierten noch eine Weile weiter, während Seto versuchte sich anderweitig abzulenken. Es tat ihm seltsam weh, dass Mokuba sofort wieder Anschluss zu Joey gefunden hatte, und er selbst sich in der gesamten Gruppe wie ein Fremdkörper fühlte und Meilen von irgendeiner Annäherung mit dem Objekt seiner Begierde entfernt war. So hörte er Clara und Matt sich leise auf Französisch unterhalten. Er fragte sie nach irgendeinem Lied und sie antwortete mit „As“, was ihn noch mehr verwirrte, aber wenigstens hatte er einen Teil des Gesprochenen verstanden.

Irgendwann schien es Hans zu reichen und er eröffnete schwungvoll das Buffet. Yukis Blick wanderte kurz zu Shin, nachdem sie sich alle Leckereien in Ruhe angesehen hatte. Doch dieser zuckte nur unschuldig mit den Achseln und drückte ihr einen frischen Teller in die Hand, den sie sogleich grinsend füllte. Nach einer Weile traute sich auch Seto an das, was stellenweise bereits nach dem mageren Rest aussah. Prompt nahm er sich gleich zwei Minischokocroissants und ergatterte einen zweiten Teller, auf den er sich vom Rührei auftat. Dazu gesellten sich Würstchen im Schlafrock, gefüllte Champignons, knuspriger Bacon, mehrere Frischkäsepasten und Baguette. Orangensaft, Honig und Marmelade vervollständigten die süße Hälfte. Zufrieden verteilte er alles an seinem Platz und setzte sich wieder.

„Da scheint wohl jemand Angst zu haben, nichts mehr abzubekommen“, neckte ihn eine Stimme hinter ihm, die seinen Herzschlag ins Stolpern brachte. War wirklich er gemeint? Vorsichtig drehte er sich nach hinten um und blickte direkt Chef an, dessen Teller deutlich beladener war als sein eigener.

„Naja, sobald du am Buffet warst, muss man wirklich Angst haben zu verhungern“, nahm Yuki Seto in Schutz, als sich der Blonde frech eine frittierte Krebsschere in den Mund steckte und abknabberte. Seto hatte gar nicht gesehen, dass es sie gab.

„Sei mal ganz ruhig. Ich hab sehr wohl bemerkt, dass dieses Jahr ziemlich viel von deinem Lieblingsessen auf dem Tisch gelandet ist.“

Daraufhin erwiderte Yuki nichts, sondern drehte sich plötzlich ziemlich stumm wieder um. Und Chef schlenderte zur anderen Seite des Raumes, wo sich bereits Cian und Martine angeregt unterhielten. Dafür ließ sich sein Dad auf Shins Stuhl nieder und lächelte seinen Gegenüber äußerst liebenswürdig an.

„Soso. Sie haben diesen Trip Ihrem Bruder als Geburtstagsgeschenk verkauft. Wirklich clever. Besonders in Anbetracht der Tatsache, was Sie eigentlich planen.“

„Ich weiß nicht, worauf Sie hinaus wollen.“

Yuki erhob sich fluchtartig und war verschwunden.

„Das wissen wir beide doch. Sie sind wohl kein Freund von Fliegen, denn sonst wäre eine solche so viel passender gewesen.“

Seto antwortete nicht und starrte Pegasus nur verwirrt an.

„Geschenke, und seien sie nur Überraschungen, sollten schließlich eine Schleife haben.“

Diesen Wink mit dem Zaunpfahl verstand er wiederum.

„Ich war mir nicht sicher, ob es richtig rüber käme beim Beschenkten. Außerdem scheint mir die Anwesenheit meines Bruders die gelungenere Überraschung, schließlich waren die beiden früher eng befreundet.“ Er trank einen Schluck Saft. „Aber wo wir gerade dabei sind. Ich glaube ich habe Ihr Geschenk an Ihren Sohn verpasst, oder kommt der Autoschlüssel zum neuen Sportwagen erst später?“ Er wähnte sich schon als Gewinner ihres kleinen Gefechts, da stahl ihm der andere gekonnt die Show.

„Nein, das haben Sie bestimmt einfach nur übersehen. Es gab wie jedes Jahr zwei CDs zur Erweiterung seiner klassischen Sammlung. Und sollte er ein neues Auto wollen – wobei ich glaube, er ist mit seinen derzeitigen glücklich genug - dann sollte es für ihn kein Problem sein, das Problem selbst zu lösen. Immerhin gehören ihm als kleiner Vorgeschmack seit fünf Jahren zwanzig Prozent von Industrial Illusions.“ Pegasus wartete exakt lang genug, um Setos Gesichtszüge für den Bruchteil eines Momentes entgleisen zu sehen, dann drehte er den Kopf leicht und sprach etwas lauter: „Ja, Clara, ich komme.“
 

Mittag war schon längst durch bis Seto seine Umgebung wieder deutlicher wahrnahm. In seinem Delirium hatte er viel zu viel gegessen und er war noch am Ringen mit sich selbst, ob ihm jetzt schlecht war oder nicht - einem Kaiba wurde schließlich nie schlecht – als Matt das Wort ergriff und sich zu den Geburtstagskindern wandte, die vor ihrem Gabentisch knieten und die ersten Ideen für kleinere Holzbauarbeiten austauschten.

„Liebe Geburtstagskinder, Boss“, sagte er ihm feierlichen Ton, „wie jedes Jahr durftet ihr euch ein Lied wünschen, dass das klassische, unglaublich langweilige, weil bereits so oft gehörte Geburtstagsständchen ersetzt. Und die liebreizende Clara hat mir vorhin mitgeteilt, dass Eure Wahl auf „As“ gefallen ist.“

Chef murmelte etwas davon, dass er nicht gefragt worden war, doch die Kinder nickten eifrig.

„Also dann“, fuhr Matt fort. „Hier kommt der Hotelchor, extra für Euch drei.“ Damit gesellte er sich zu den anderen, die sich im Halbkreis aufgestellt hatten und nun zum einen die drei auf dem Boden, zum anderen aber auch die Kaiba-Brüder auf ihren Stühlen ansahen.

„As around the sun the earth knows she's revolving

And the rosebuds know to bloom in early May

Just as hate knows love's the cure

You can rest your mind assure

That I'll be loving you always

As now can't reveal the mystery of tomorrow

But in passing will grow older every day

Just as all is born is new

Do know what I say is true

That I'll be loving you always“, sang Pegasus die erste Strophe.

Beim Refrain wurde deutlich wie musikalisch das Team tatsächlich war. Und Mokuba stand der Mund offen, während sein großer Bruder noch vom Valentinstag vorgewarnt gewesen war. Trotzdem traf es ihn, als Martine weiter sang: „Did you know that true love asks for nothing?“

Dabei sah sie zuerst ihn an, doch dann wanderte ihr Blick zu ihrem Neffen, der sie anstarrte als hätte er eben erst das Lied erkannt. Cian übernahm und ging mit ihr im Duett in den Refrain, während der Rest wieder den Chor gab. Im weiteren Verlauf teilten sich Yuki und Martine die weibliche Hauptstimme und jeder der Männer übernahm den männlich Part. Währenddessen wurde das Lächeln auf den Gesichtern der Zwillinge immer strahlender, je länger sie ihrer Familie lauschten, die ihnen beteuerte, dass sie sie immer lieben würden. Aber auch Chef lächelte glücklich und wippte leicht im Takt mit. Als das Lied zu Ende war, war er der erste der stand und Martine und Pegasus an sich drückte. Seto konnte sein Gesicht nicht sehen, aber seine gesamte Haltung erzählte davon wie tief in das Stück berührt hatte. Dann wandte er sich an den Rest des Teams, umarmte jeden einzeln und ließ es sogar zu, dass Matt ihm die Haare ein wenig verwuschelte wie er es zuvor auch bei Ethan getan hatte. Dieser hüpfte ausgelassen herum und summte die Melodie vor sich hin.

Ihn nicht aus den Augen lassend, schlug seine Mutter vor: „Ich würde sagen, es ist an der Zeit, das Ganze hier nach draußen zu verlagern.“

Die anderen stimmten jubelnd zu und Seto sah nur noch aus dem Augenwinkel wie Mokuba von den Zwillingen Richtung Tür gezogen wurde. Schneller als er gucken konnte, war er der einzige im Raum. Oder der fast einzige, um genau zu sein. Denn als er aufstand, erblickte er Chef, der mit ernster Miene den Stapel an Büchern, den er bekommen hatte, durchsah und sich die Texte auf den Rückseiten der Umschläge durchlas. Gedämpft vom Teppich fiel der Stuhl nach hinten um und ließ ihn erschrocken aufsehen.

„Entschuldigung“, kam es Seto fast ängstlich über die Lippen, als hätte er gerade eine teure Vase von ihrem Tischchen herunter geschmissen und er beugte sich schnell hinab, um den Stuhl wieder hinzustellen.

„Kein Problem. Die Stühle halten ein bisschen was aus. Müssen sie bei den Wirbelwinden, die hier normalerweise toben.“ Chef folgte jeder Bewegung des anderen mit seinen Augen.

„Eine kluge Wahl. Wegen Mokuba habe ich einmal das komplette Wohnzimmer renovieren lassen müssen.“

„Glastische und Teenager verstehen sich eben nicht immer.“

Die Stille zwischen ihnen war mehr als nur unangenehm. So rang sich Seto dazu durch erneut zu sprechen: „Ich wusste nicht, dass Sie heute...Sonst hätte ich...“

„Nicht schlimm.“

„Aber...“

„Es ist nicht der Rede wert. Wo nichts erwartet wird, kann keine Enttäuschung entstehen.“

Der Blick der braunen Augen strafte diese Worte Lüge. Das war mehr als Seto in diesem Moment ertragen konnte.

„Na dann.“ Er schluckte schwer. „Ich sollte nach Mokuba sehen. Er hat sich bestimmt nicht eingecremt.“

Es war beiden bewusst, dass wohl eher er selbst sich eincremen müsste, sobald er nach draußen ging. Doch es war eine willkommene Ausflucht aus dieser seltsamen Situation, in der sich beide mehr als steif verhielten. Also steuerte Seto so schnell wie möglich, ohne dass es zu hektisch wirkte auf das Treppenhaus zu und zwang sich bei jedem Schritt ruhig zu atmen und sein wild schlagendes Herz zu ignorieren.

Am Pool passte ihn Shin ab und wollte alles über seine Kochversuche zu Hause hören. Anscheinend hatte Mokuba ihn verraten. Eine Wohltat, die ihn weit bis in den frühen Abend beschäftigte und ihm neue Erkenntnisse zu Pfannen, Bratfett und Fisch bescherte. Es blieb zwar eine unlösbare Aufgabe Chef zu ignorieren, der mit seiner Cousine und seinem Cousin tobte, manchmal unterstützt von Mokuba, doch bis zum Abendessen schlug er sich tapfer. Nach dem leichten Salat konnte er sich wenigstens mit der Begründung, dass er müde sei, zurückziehen.

Im Haus angekommen legte er sich tatsächlich sofort hin und starrte abwechselnd an die Decke, nach draußen an den Strand und hinüber zum weißen Drachen mit eiskaltem Blick. Es war seltsam, dass er bei seinem Anblick automatisch an Ethan denken musste. Vielleicht eine Chibi-Variante des Drachen... Seine Gedanken wurden davon nur leider nicht zerstreut. Wie um alles in der Welt sollte er die nächsten Tage überstehen? Geschweige denn den Kontakt zu seinem Hündchen wieder aufbauen? In den wenigen Worten, die sie gewechselt hatten, war ständig dieser Unterton gewesen, den er nicht korrekt zuordnen konnte. Kälte war es nicht gewesen, sie hätte er ohne Probleme erkannt. Es musste etwas anderes sein. Aber als er endlich seine Antwort hatte, gefiel sie ihm noch weniger. Gleichgültigkeit. Als würde er im Leben des anderen keinerlei Rolle spielen.



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Kommentare zu diesem Kapitel (3)

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Von:  Kemet
2016-06-26T22:58:25+00:00 27.06.2016 00:58
Ein schönes Kapitel. Ich kann Seelendieb nur zustimmen. Gleichgültigkeit ist noch schlimmer als Hass. Wo keine Gefühle mehr sind, ist es schwierig noch welche zu entwickeln. Dennoch hoffe ich, dass Joey es nur unterdrückt und er ihm nicht wirklich egal ist. So schnell vergisst man Liebe nicht. Das geht auch nicht...
Was ich nicht verstehe, was sich aber sicherlich noch aufklärt ist, was mit Chefs Geburtstag ist. Bekanntermaßen hat er im Januar. Ich kann mir nur vorstellen, dass es ein Jubiläum betrifft oder eine Art zweiten Geburtstag, wie nach einer lebensgefährlichen Situation...

Genug von mir. Ich freue mich auf alle weiteren Kapitel.

LG
Antwort von:  flower_in_sunlight
27.06.2016 22:14
Ich mich auch schon ^^

Was den Geburtstag anbelangt... nun, ich weise nur vorsichtig daraufhin, dass es bereits ein Kapitel zum Geburtstag von Joey und den Zwillingen gibt. Mehr wird nicht verraten, schließlich wird ab jetzt wieder verstärkt Seto und seine Sicht der Dinge im Fokus stehen. ;-)

LG
Von:  Seelendieb
2016-06-24T19:29:43+00:00 24.06.2016 21:29
Ui... süßes Kapi und zum schluss... seht tiefgründig^^ Ich mag die Zwillinge... :D <3
Antwort von:  flower_in_sunlight
25.06.2016 21:51
Wieso war mir das mit den Zwillingen klar? Und warum klingt dein "tiefgründig" nach Ironie?

Aber ich freue mich, dass du weiterhin liest und kommentierst. Danke!
Antwort von:  Seelendieb
25.06.2016 21:59
War definitiv nicht ironisch gemeint! war wirklich ernst gemeint. weil es so schön die festgefahrene Situation zwischen Seto und Joey widerspiegelt...


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