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Alice in Magicland

Die Geheimnisse von Taleswood
von

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Die weiße Blume

Unsere Lippen lösten sich nur langsam voneinander. Es fühlte sich anders an als Thomas' Küsse, aber gleichzeitig genau so schön, wie ich es in Erinnerung hatte. Das wunderbare Gefühl, jemandem so nahe zu sein, hatte ich wirklich vermisst. Auch wenn ich es nie offen zugegeben hätte.

„Und wie war's?“, fragte ich mit bebender Stimme. Fleurs Gesicht war hochrot und ihre Augen leuchteten. Es war, als hätte ich sogar ihren Herzschlag hören können... oder war es doch nur mein eigener?

„Interessant... könnte ich vielleicht noch einen bekommen?“ Ein kurzes Lachen entwich meinem Mund.

„Irgendwie erinnert mich das alles gerade an den Scotch. Aber eine Sache ist hier anders...“

Wieder legte ich meine Lippen auf ihre, sogar noch länger und intensiver, als zuvor. Statt befriedigt zu sein, wuchs mein Verlangen immer weiter an.

Vorsichtig suchte ich nach ihrer Hand und verschränkte meine Finger mit ihren. Ich drückte sie auf den Boden und beugte mich über sie. Mein Blick wanderte über ihren wohlgeformten Körper, von dem weichen, ebenen Gesicht, über die große, weibliche Brust, bis hinunter zu ihren langen, schlanken Beinen. Mit meiner anderen Hand strich ich sanft erst über ihr Gesicht, ging dann hinunter zum Hals und löste die Schlaufe im Nacken, welche die Schürze hielt. Fleur stöhnte leicht, als ich nach ihrer Brust griff und schob mich von sich.

„Bitte warte Alice... das geht zu schnell“, flüsterte sie erregt, während sie sich wieder aufrichtete und die Schlaufe festband. Ich selbst war überrascht, was in mich gefahren war. Noch heute Morgen war ich mir meiner Gefühle nicht einmal wirklich sicher und jetzt...

„Du machst mich verrückt, Fleur. Deine Erscheinung, deine Stimme, dein Duft... Ist es nicht Wahnsinn, dass ich vor dem heutigen Tag noch nichts dergleichen gespürt habe? Als ob es in mir schlummerte und... ja, als ob Greensleeves meine Gefühle für dich aufgeweckt hätte. Was denkst du?“

„Um ehrlich zu sein, habe ich die ganze Zeit nur an dich gedacht, während ich sang. Ich habe eine Verbindung schon vom ersten Tag an gespürt, als du durch das Portal schrittst und mit jedem neuen Morgen an dem ich dich sah, wuchs meine Liebe zu dir. Solche Gefühle hatte ich vorher noch nie für jemanden...“
 

„Du warst also schon von Anfang an in mich verliebt?! Warum hast du denn nie was gesagt?“ Es überraschte mich, dass ich die ganzen Wochen nichts bemerkt hatte. Sie musste es wirklich gut verbergen können, bedenke man doch, wie offensichtlich sie sich nun benahm.

„Du bist die Schülerin meines Herrn! Wer würde denn so etwas gutheißen?! Und außerdem... eine Frau sollte sich doch einen Mann suchen, oder etwa nicht? Solche Küsse, solche Liebkosungen... das ist doch falsch! Und am allerwichtigsten: Ich bin doch nur ein Homunkulus und kein...“

Mit einem dritten Kuss unterbrach ich sie. Fleur versuchte sich loszureißen, doch ich ließ nicht locker. Auch wenn es mich selbst plagte, von ihr wollte ich all das nicht hören! Zumindest nicht heute... bitte, lass mich wenigstens heute glücklich sein... Fleur gab ihren Widerstand auf und legte ihre Arme um mich. Ihre Finger vergruben sich in meinem kurzen Haar, während ich langsam über ihren Rücken bis zu ihrem Po hinunter strich. Dieses Mal brach sie nicht ab, doch ich beließ es auch dabei, meine Hände nur leicht auf ihrem Hintern liegen zu haben. Ich wollte sie zu nichts drängen. Und auch mich selbst nicht.

„Sag so etwas nie wieder“, bat ich sie eindringlich, als wir uns wieder voneinander lösten. „Sag niemals wieder, dass du kein richtiger Mensch wärst. Du bist genauso menschlich, wie ich. Und was gleichgeschlechtliche Beziehungen angeht... So etwas hat es schon immer gegeben. Wir sind nicht die Ersten und werden auch nicht die Letzten sein. Und keine gesellschaftliche Norm – weder heute, noch in 100 Jahren – wird daran etwas ändern können.“

„Also... was bedeutet das jetzt für uns?“

Zum denkbar schlechtesten Zeitpunkt meldete sich meine Vernunft zu Wort. Sie erinnerte mich daran, dass ich doch eigentlich vergeben war, aber auch noch an etwas anders...

„Nach den letzten Minuten kommt dir das vielleicht etwas komisch vor... aber ehrlich gesagt weiß ich gar nichts über dich“, gab ich beschämt zu.

Sie schaute mich für eine Sekunde verwundert an und schien nicht ganz zu begreifen, was ich ihr sagen wollte. Dann fing sie an, herzlich zu lachen und schlug sich kopfschüttelnd die Hände vors Gesicht. Für einen Moment dachte ich schon, sie würde mich auslachen.

„Entschuldige bitte, aber das kam so unerwartet. Ist das wirklich deine einzige Sorge? Oh Alice, ich wünschte, ich hätte deine Leichtigkeit. Aber du hast völlig Recht, wir sind uns doch eigentlich noch so fremd...“

„Ich hätte einen Vorschlag: Wir trinken noch ein Glas Scotch und erzählen uns abwechselnd aus unserem Leben. Denn, anders als du, habe ich meine zweite Kostprobe noch nicht bekommen.“
 

So saßen wir den ganzen Abend beieinander und lauschten den Erzählungen der jeweils anderen. Doch während Fleur ihre Geschichte vortrug, wünschte ich, diesen Vorschlag nie gemacht zu haben. Geschaffen im Reagenzglas, mit dem Ziel den Menschen so ähnlich zu sein, wie nur irgend möglich, wurde sie von ihrer Schöpferin als Fehlschlag bezeichnet und für sogenannte Wegwerf-Experimente genutzt: Versuche, in denen das Testsubjekt verletzt, verstümmelt, oder sogar getötet wurde. Dass sie darüber sprechen konnte, ohne in Tränen auszubrechen...

Homunkuli konnten sich wahnsinnig schnell und vor Allem fast ohne Narben regenerieren. Die Tatsache, dass sie mir von einer deutlich sichtbaren dunkelblauen Narbe quer über ihrem Rücken, bis hin zum Bauchnabel erzählte, deutete daher auf die immense Schwere der Wunde hin. Von den Schmerzen, die sie dabei erdulden musste mal abgesehen. Von solch einer Misshandlung zu erfahren, ließ in mir einen unbändigen Hass auf diese Frau aufkommen. La Belle. Véronique La Belle, so hieß sie.

Doch noch weniger verstand ich, wie Fleur versuchte, nicht allzu schlecht von ihr zu reden. Das Meiste gab sie nur unter Nachdruck preis.

„Es ist mir ein Rätsel. Warum sagst du nicht einmal, was für ein krankes Monster sie ist? Nur weil sie dich erschaffen hat? Hat sie dir eine Blockade im Kopf eingebaut?“

„Nein nichts dergleichen, es ist nur...“ Sie stieß einen tiefen Seufzer aus und trank sich etwas Mut an.

„Vielleicht klingt es unsinnig, aber ich glaube, sie war nicht sie selbst. Kurz nach meiner Erschaffung hat sie sich ganz normal um mich gekümmert. Es kam ganz plötzlich, dass sie anfing mit mir diese Tests durchzuführen und mich schlechter zu behandeln, als alle anderen Homunkuli im Haus. Und dann war da noch dieser Abend...“

„Welcher Abend?“

„Der, an dem ich fliehen konnte. Sie hatte mich in einen Schuppen eingesperrt und wollte mich am nächsten Tag hinrichten. Sagte, ich hätte meinen wissenschaftlichen Nutzen verloren... Ich weiß es noch genau... wie ich dort saß, den Boden vor lauter Tränen nicht mehr sehend. Ich... ich habe wirklich gedacht, ich müsste jetzt sterben...“

Sie zog ihre Knie an sich und fing an zu weinen. Ich wusste einfach nicht, wie ich ihr helfen konnte. Vorsichtig legte ich eine Hand um sie und zog sie an mich. Fleur klammerte sich an meine Bluse und drückte ihr Gesicht gegen meine Brust. Ich spürte, wie ihre Tränen den Stoff aufweichten, doch es machte mir nichts aus.

„Es war nicht einmal so, als hätte ich das nicht mir selbst gewünscht. Nach allem was passiert war, kam mir der Tod wie eine Erlösung vor. Aber nach einiger Zeit öffnete Madame La Belle wieder den Schuppen und entfernte meine Fesseln. Sie sagte zu mir: 'Wenn dein Geist wirklich frei ist, dann flieh von hier. Suche nach dem Magier Jacob Salem in einer Stadt namens Taleswood. Er wird dich aufnehmen und vor mir schützen.' Sie war ganz anders. Sie klang dabei so besorgt um mich. Als sei sie ein anderer Mensch.“

„Sie kannte Jack also... Woher nur?“

„Das wollte er mir nie sagen. Fakt ist: Sie hat mich in diesem Moment nicht belogen... Ich glaube... ich glaube, sie leidet an einer ähnlichen Krankheit, wie Doktor Engels...“

„Du bist zu gut für diese Welt, Fleur. Selbst wenn das wahr sein sollte... nach allem was sie dir angetan hat, bist du nicht verpflichtet ihr zu verzeihen.“

„Ich habe auch ihrem bösen Ich nie verziehen. Aber ich wünsche mir manchmal, dass ihr gutes Ich irgendwie gerettet werden könnte. Es könnte etwas wirr klingen, aber ich fühle eine gewisse Verbundenheit mit ihrem guten Ich. So, als hätten wir eine gemeinsame Vergangenheit. Ich glaube, auch deswegen hat sie mich zu Master Salem geschickt... Als eine Art Hilferuf. Doch er hasste Madame La Belle schon, bevor er mich kannte. Deswegen wird er ihr niemals helfen...“
 

Es verging einige Zeit, in der wir nur schweigend beieinander saßen. Fleurs Gedankengänge waren mir nach wie vor schleierhaft. Wie konnte sie sich nur Sorgen um so jemanden machen? Doch es stand mir nicht zu, ihr das in irgendeiner Weise vorzuwerfen. Im Gegenteil. Ihr Verhalten hatte etwas unheimlich Edles...

Ich war noch tief in meinen Gedanken versunken, da stupste Fleur mich grinsend an: „Jetzt bist du wieder dran.“

„W-was?“

„Du musst mir wieder etwas über dich erzählen, schon vergessen?“

Nun war ich es, die sich etwas Mut antrinken musste. Den schwersten Punkt hatte ich mir für den Schluss aufgehoben. Obwohl ich es selbst nicht als so schlimm empfand, konnte ich nicht abschätzen, wie eine reine Seele, wie die ihre, darauf reagierte.
 

„Ich weiß nicht, wie ich das sagen soll... Technisch gesehen bin ich eigentlich schon vergeben.“

„Wie bitte?“ In Fleur schien eine leichte Mischung aus Empörung, Abscheu, Enttäuschung und Neugier aufzukeimen.

„Kurz bevor ich nach Taleswood kam, hat ein junger Mann mir seine Liebe gestanden. Er war davor schon ein guter Freund gewesen, aber eigentlich hatte ich nie etwas für ihn empfunden.“

„Heißt das, mein erster Kuss ruhte auf Untreue? I-i-irgendwie fühle ich mich benutzt...“

„Nein, so darfst du das bitte nicht sehen! Thomas ist ein toller Mensch und ich habe ihn wirklich gern, aber auch nachdem wir uns geküsst hatten, empfand ich nicht annähernd das gleiche, wie für dich. Wir... wir waren zwar technisch gesehen ein Paar, aber nur für einen Tag... Dann bin ich abgereist. Mein Problem ist, dass ich ihn vor meiner Abreise gefragt habe, ob er auf mich warten würde. Jetzt ist etwas mehr als ein Monat vergangen und ich bin es, die nicht warten konnte...“

„Also hast du ihn nicht geliebt?“

„Zumindest nicht so, wie ich dich liebe... Ich befinde mich in einem Dilemma, Fleur! Es macht mir einerseits ein schlechtes Gewissen, wenn ich mit dir zusammen bin, ohne mich vorher von Thomas zu trennen, wobei ich ihm das aber auch nicht antun will, denn es hatte ihn wirklich glücklich gemacht, dass ich mich auf ihn einließ. Aber nicht mit dir zusammen zu sein ist auch keine Option.“

Fleur dachte einen Moment darüber nach und sagte einen Satz der in meinen Ohren erst wie ein schlechter Scherz klang:

„Und wenn wir zu dritt auskämen?“

„Das meinst du nicht ernst, oder?“

„Naja... wenn er dich wirklich liebt, dann wird er sich wohl darauf einlassen. Und ich würde das auch. Und du hast uns doch auch beide gern, oder etwa nicht? Es... es ist ja auch nicht so, als würden mich Männer nicht interessieren....“

Sie errötete leicht. Ihre Idee klang so abstrus, dass sie schon wieder Sinn ergab. Tatsächlich wäre so eine Dreiecksbeziehung eventuell in der Gesellschaft sogar leichter zu erklären, als eine rein homosexuelle Beziehung. Ironie der Wertevorstellungen. Dennoch klang es wie eine plumpe Notlösung. Ich stieß einen leichten Seufzer aus und zwinkerte ihr zu.

„Also am vernünftigsten wäre es, ihm alles zu gestehen und mich dann hoffentlich im Frieden von ihm zu trennen. Aber das kann frühestens in einem Jahr stattfinden. Und so lange sehe ich nun wirklich nicht ein, keinen Spaß mit dir haben zu dürfen.“

Mit diesen Worten zog ich sie zu mir und fing wieder an, sie zu küssen. Auf ihrer Zunge lagen die letzten Reste des Alkohols, die sich mit ihrem Speichel vermischt hatten. Es war eine angenehm süßlich-würzige Mischung, die mir den Kopf verdrehte. Dieses Mal waren es Fleurs Hände, die über meinen Brustkorb wanderten und mir eine Gänsehaut verpassten. Wie konnte denn etwas falsch sein, das sich so gut anfühlte?
 

„Verdammt, diese Kopfschmerzen bringen mich um...“ Ich saß am Küchentisch und ließ mich von Fleur mit Wasser versorgen, während sie das Frühstück zubereitete.

„Keine Sorge, ein Kater hat bisher noch niemanden wirklich umgebracht“, sagte sie amüsiert. Alkohol schien ihr nichts auszumachen. Ich konnte mich auch nicht daran erinnern, dass sie gestern auch nur angeheitert war. Beneidenswert. Ich sollte nachschauen, ob es gegen Kater einen wirksamen Zaubertrank gab. Doch aktuell gab es Wichtigeres zu besprechen.

„Wie verfahren wir nun weiter? Mit dieser Beziehung?“

„Du meinst, nach außen hin?“

Sie hielt für einen Moment inne.

„Hier in Taleswood laufen die Dinge anders, als im Rest der Welt. Es ist gut möglich, dass wir nicht dafür gerügt werden. Besonders Master Salem, würde... ich bin sicher, er würde es akzeptieren.“

Sie war immer so zuversichtlich, wenn es um Jack ging. Doch das wunderte mich nicht. Er hatte ihr Leben gerettet und sie kannte ihn schon seit fast 10 Jahren. Ich blieb etwas zurückhaltender.

„Mir wäre es lieber, wenn wir das hier erst einmal für uns behalten würden. Ein kleines Geheimnis unter uns beiden. So lange, bis wir bereit sind, unser Glück auf die Probe zu stellen.“

Es war ihr anzusehen, dass ihr der Plan nur mäßig gefiel. Das Problem war Fleurs angeborene Ehrlichkeit. Geheimnistuerei war mit ihr fast unmöglich.

„Hör zu, wir müssen ihm ja nicht vormachen, dass wir keine Freunde sind. Ich verlange auch nicht, dass du wieder anfängst, mich 'Miss' zu nennen. Aber Intimitäten werden einfach nicht vor seinen Augen ablaufen. Glaub mir, das kann auch spannend sein!“

„Klingt, als hättest du so etwas schon einmal gemacht.“

Ich merkte, dass ich etwas verlegen wurde.

„Im Heim hatte ich einmal was mit einem älteren Jungen. Es waren nur ein paar Küsse, aber auch das war eigentlich verboten.“

„Wurdet ihr erwischt?“

„Nein, wir hatten uns vorher getrennt. Die ganze Geschichte war auch nur zwei Wochen kurz.“

„Sind deine Beziehungen immer so flüchtig?“ In ihrer Stimme schwang ein Anflug von Angst mit. Aber wer mir lang genug zuhörte, musste ja auch glauben, dass ich nur eine Frau für eine Nacht wäre. Ich stand auf, hob sie hoch und setzte sie auf die Arbeitsplatte. Im Nachhinein eine unkluge Aktion, immerhin war sie so schon drei Zoll größer, als ich. Auch ihr schien das etwas peinlich zu sein. Umso erstaunlicher, wie leicht sie war. Eine lange Zeit schauten wir uns nur ernst in die Augen, bis ich die Stille durchbrach:

„Ich kann es dir nicht oft genug sagen: Jemanden wie dich gab es zuvor noch nie in meinem Leben. So gesehen, ist auch für mich diese Erfahrung komplett neu. Aber ich bin mir ziemlich sicher, dass du mehr bist, als nur eine Anekdote in meiner persönlichen Liebesgeschichte.“

„Das klang nun gleichermaßen romantisch, wie arrogant“, bemerkte Fleur sarkastisch. Dann schob sie mir eine Strähne aus dem Gesicht und setzte ihr verliebtes Lächeln auf. „Aber für dich lasse ich mich auf dieses Abenteuer gern ein.“

Sie beugte sich gerade zu mir hinunter, da klopfte es an der Haustür. Jack war anscheinend früh wieder zurück.

„Etwas unpassender Moment“, witzelte ich trocken.

„Tut mir leid, den Rest verschieben wir auf später.“ Sie gab mir einen schnellen Kuss auf die Stirn und eilte zur Tür. Ich war es also wert, dieses Abenteuer zu wagen... Und ich spürte, dass auf sie das Gleiche zutraf...
 

Da hallte ein spitzer Schrei durch den Korridor. Ich sputete zur Quelle und sah Fleurs angsterfüllten Blick auf die Gestalt in der Tür. Es war eine großgewachsene Frau mit langem, schwarzen Haar und einer Figur, die wahrscheinlich jeden Mann zum schmelzen brachte. Sie trug ein weinrotes, figurbetontes Kleid mit schwarzer Spitze und einen roten Hut mit breiter Krempe. La Belle... Die Schöne... der Name kam nicht von ungefähr. Sie bemerkte mich und zeigte ein verführerisches Lächeln. Diese Frau war gefährlich, das spürte ich. Da sie Homunkuli erschaffen konnte, mussten ihre magischen Fähigkeiten sehr hoch sein... mindestens auf Jacks Level, wenn nicht sogar noch höher.

„Mon Dieu, ein neues Hausmädchen? Fühlt sich Jack mittlerweile so einsam, dass er sich eine Sammlung zulegen muss?“

Sie hatte einen starken, französischen Akzent. Ich bedeutete Fleur, zu gehen.

„Ich bin seine neue Schülerin. Und solange er nicht hier ist, bin ich auch die Herrin des Hauses, wenn Sie also etwas zu besprechen haben, dann mit mir.“

„Eine Schülerin in diesem Alter? Na aus dir kann definitiv nichts werden, wenn er die ganze Zeit verreist. Obwohl...“ Sie musterte mich so genau, es fühlte sich an, als würde sie mich mit ihrem Blick ausziehen wollen. Bloß keine Schwäche preisgeben...

„Deine Mutter heißt nicht zufällig Claire, oder? Das würde so einiges erklären...“

„Erkennt denn wirklich jeder in diesem verdammten Ort meine Herkunft nur vom Ansehen?“, gab ich genervt zurück.

„Hat er es dir nicht gesagt? Quelle suprise, sieht ihm mal wieder ähnlich. Deine Familie mütterlicherseits ist eine der ältesten Magierclans Europas. Je älter das Blut, desto dominanter wird es vererbt. Deswegen sieht man schnell, wer wessen Kind ist. Aber es bedeutet noch mehr...“

Sie bemerkte meine Neugier und versuchte es als Vorwand zu nutzen, um ins Haus zu kommen, doch ich blieb eisern und blockierte ihr den Weg.

„Wie man sich stur stellt, hat er dir anscheinend schon beigebracht.“

„Ihr seid in diesem Haus nicht willkommen, solange bis Jack etwas Anderes sagt.“

„Dir ist bewusst, dass du mich nicht aufhalten könntest, oder? Nein dumm bist du nicht, das sehe ich dir an.“

„Keine Sorge, ich bin mir im Klaren, wie mächtig Sie sind. Aber ich habe Jack das Versprechen gegeben, eine gute Schülerin zu sein. Dazu gehört auch, sein Haus zu beschützen. Außerdem: Sie wollen doch mit Jack kooperieren, oder? Ihre Ausgangslage wäre bestimmt furchtbar, wenn sie seine Schülerin töten.“

Hoffentlich verschätze ich mich hierbei nicht. Fleur beschrieb sie als unberechenbar. Aktuell schien sie in erster Linie eine kluge, gutaussehende Frau zu sein, die maximal fünf Jahre älter als Jack sein konnte. Doch wer weiß, wie lange das anhielt...

„Du hast mehr Mumm, als man dir ansieht, Kleine.“

„Ich bin in Whitechapel aufgewachsen.“

„Touché. Na gut, ich muss ja auch nicht unbedingt reinkommen. Und wenn du Claires Tochter bist, betrifft dich die Sache eigentlich genauso wie Jack. Vielleicht sogar noch mehr.“

„Geht es um eine Kooperation?“

Ihre Stimmung änderte sich. Sie wirkte nicht mehr so berechnend wie zuvor, sondern schon beinahe nervös.

„Gewissermaßen. Aber ich kann dir nicht hier davon erzählen. Wenn du mehr wissen willst, musst du mich besuchen. Ich wohne an der hinteren Grenze zum Märchenwald, östlich von Taleswood.“

„Also, wenn es so wichtig ist, können sie es mir doch auch hier erzählen.“

„Merde! Ich erwarte nicht, dass du das verstehst, aber es geht nicht!“, brüllte sie mich wütend an. Ihre Augen funkelten bedrohlich und verfärbten sich von hellblau in blutrot. Ihre Stimme klang, als käme sie gerade aus der Hölle und ihre finstere Aura hätte wahrscheinlich nur ein Toter nicht bemerken können. Es dauerte nur einen kurzen Moment, bis sie sich wieder beruhigte, doch der Schreck saß tief in meinen Knochen. Es waren wirklich zwei grundverschiedene Personen.

„Pardon. Ich sollte wahrscheinlich besser gehen. Du weißt, wo du mich findest. Hoffentlich bist du vernünftiger, als dein sogenannter Lehrermeister.“

Sie drehte sich um und ging. Ich wartete, bis sie außer Sichtweite war, schloss dann die Tür und sank zu Boden. Angstschweiß hatte sich auf meiner Stirn breitgemacht. Was für ein Mensch war sie nur? Für einen kurzen Moment hatte ich gerade das Gefühl, als wolle sie mich bei lebendigem Leibe entzwei reißen. Nur weil ich ihr einmal Widerworte gab? Auf jeden Fall war mir nun klar, warum Jack ihr nicht vertraute. Diese Frau war ein wandelndes Pulverfass.

„Danke, dass du mich beschützt hast...“

Fleur kniete sich zu mir und nahm mich in den Arm. Ihre Nähe ließ mich wieder zur Ruhe kommen. Ich atmete tief ihren süßlichen Duft ein und schloss die Augen. Sie war okay, alles andere spielte keine Rolle.



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Kommentare zu diesem Kapitel (1)

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Von:  Phinxie
2016-04-14T18:20:38+00:00 14.04.2016 20:20
Also, es ist schon hart, dass ich, wenn ich mich entscheiden muss zwischen: Lese ich ein Kapitel oder nähe ich weiter? mich dazu entscheide, ein Kapitel zu lesen... denn normalerweise nähe ich viel lieber und alles andere kann warten xD'' Aber dieses Mal habe ich erst weitergelesen... Fühl dich geehrt, das zeugt nämlich davon, dass deine Geschichte gut ist ^^

So, das typische kennst du ja: Schriftbild ist gut und flüssig zu lesen und ich habe auch wenig bis gar keine Fehler entdeckt: Als ein schönes Schriftbild ^^ Und zur Story selbst muss ich sagen, dass mir deine Gesprächsverlauf immer sehr gut gefallen: Weder zu lang, sodass sich der Leser eventuell langweiligen könnte, nicht zu kurz, sodass wenig Fragen offen bleiben und wenn, dann nur die, die man bewusst offen lässt.
Der Auftritt von Belle war interessant und es scheint, als habe Alice schon so etwas wie einen 'Erzfeind' gefunden ;)
Man erhält von Belle ein klares Bild und eine gute Sicht in den Charakter - ich bin gespannt, ob sich dieses Bild festigt, oder ob du noch etwas ganz Überraschendes mit Belle geplant hast... Ich meine, vielleicht ist Jack ja auch der Böse... Hach, ich und meine Verschwörungstheorien xDD

LG, Nymphy ^_^


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