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Wicked Rain

Silent Hill: Downpour x Deadly Premonition
von

Vorwort zu diesem Kapitel:
Ich hab extra nochmal das Spiel eingelegt, nur um mir das Hotel genauer anzusehen (und Strommästen umzufahren XD). <3 Komplett anzeigen
Vorwort zu diesem Kapitel:
Nach fast einem Jahr mal ein neues Kapitel. Diesmal blicken wir mit Murphy ein wenig auf die Ereignisse von Deadly Premonition zurück. Für zukünftige Plot-Ereignisse. *nick nick* Komplett anzeigen

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Prolog: Der gehört da aber nicht rein.

Die Nase des Dalmatiners wühlte durch das frische Laub auf dem Boden.

Der Herbst hatte in Greenvale Einzug gehalten, was aber weder den Forsthüter Jim Green, noch seine beiden Enkelkinder davon abhielt, den Forstpark von Greenvale zu durchschreiten.

Vor gut einem Jahr hatten sie dabei einen grausigen Fund gemacht, aber seit der extra in die Stadt gekommene FBI-Agent die damit begonnene Mordserie aufgeklärt hatte, waren ihnen derartige Dinge fremd geworden, nur noch eine finstere Erinnerung, irgendwo tief im Gedächtnis, die bei den Zwillingen hoffentlich nie wieder hervorbräche.

Noch immer unterhielten die Zwillinge sich aber manchmal mit unsichtbaren Wesen, die sie als die Göttinnen des Waldes bezeichneten und angeblich die verstorbenen jungen Frauen waren.

Jim wusste nicht, wie seine Enkel darauf kamen, aber er widersprach ihnen auch nicht, solange es ihnen half, mit der Abwesenheit der Frauen, von denen einige ihre Freundinnen gewesen waren, zurechtzukommen.

Seit etwa derselben Zeit war auch dieser Dalmatiner bei ihnen, Willie. Früher hatte er einem Händler gehört, der aber spurlos verschwunden war. Da der Hund sich bei ihnen wohlfühlte und die Zwillinge ihn liebten, war es nur logisch gewesen, ihn zu behalten. Aber manchmal glaubte Jim, dass es eine schlechte Idee gewesen war.

Als Forsthüter hatte er schon vielen Tieren gegenübergestanden. Von Harmlosen wie Rehen über kleine Raubtiere wie Füchse bis zu ausgewachsenen Jägern wie Bären. Aber noch nie war ihm ein Tier erschienen in dessen Augen sich so viel Dunkelheit zu sammeln schien. Willie wirkte intelligent, mehr als es bei einem Hund sein dürfte. Manchmal erwartete Jim wirklich, dass er zu sprechen begann – aber bislang war es glücklicherweise ausgeblieben.

Er versuchte, sich damit herauszureden, dass er einfach alt wurde, aber vielleicht …

„Grandpa!“

Die Zwillinge unterbrachen seine Gedanken unsanft mit diesem Ausruf. Er richtete seinen Blick auf die Kinder, die ihm zuwinkten und ihn damit deutlich zu sich riefen. Willie bellte derweil aufgeregt, aber es klang irgendwie … freudig, hätte Jim das einschätzen müssen.

Mit gemächlichen Schritten – und dem Wunsch, es möge sich nicht um eine neue Leiche handeln – kam Jim bei den Zwillingen an. Ein mutiger Blick umher, enthüllte ihm, dass es sich um keine neue Tote handelte. Sie befanden sich gerade am Fluss, der unschuldig in der Sonne glitzerte und auf nichts Böses schließen ließ. Die Zwillinge deuteten auf etwas im Wasser, aber damit Jim es näher ins Auge fassen konnte, musste er sich erst einmal hinknien.

Dort, zwischen den Steinen, vollkommen unscheinbar, lag ein roter Regenmantel.

„Der gehört da aber nicht rein“, murmelte Jim. „Dass die Leute auch einfach alles ins Wasser schmeißen müssen.“

Er griff ins Wasser und zog das durchnässte und zerfetzte Stück Stoff heraus und betrachtete es von allen Seiten. Willie gab wieder ein Bellen von sich, saß ansonsten aber harmlos hechelnd auf dem Boden.

„Was ist das, Grandpa?“, fragte Isaiah.

Jim wollte gerade antworten, aber in diesem Moment fiel etwas aus der Tasche des Mantels und ergoss sich in einem Schwall auf den Boden. Im ersten Augenblick glaubte Jim, es handele sich um Blut, aber bei genauerem Hinsehen erkannte er einen kleinen Berg roter Samen.

„So hübsch“, sagte Isaach und streckte bereits die Hand danach aus.

„Fass sie nicht an!“ Jims schneidende Stimme ließ den Jungen augenblicklich innehalten.

Er und sein Bruder blickten zu ihm hoch, verwundert darüber, was plötzlich mit ihrem sonst so gutmütigen Großvater los war. Dieser konnte dazu allerdings keine vernünftige Erklärung abgeben.

Sein eigener Blick war noch immer auf die Samen gerichtet, deren Rot ihn geradewegs an ein Feuer denken ließ. Er konnte sich nicht erinnern, dass er jemals irgendetwas Negatives über diese Samen, die man an verschiedenen Bäumen in der Gegend finden konnte, gehört hatte, aber ein Bauchgefühl riet ihm, schon immer, sich am besten so weit entfernt von ihnen zu halten wie möglich. Er musste diese hier so schnell wie möglich verschwinden lassen.

Er sammelte die Samen wieder vom Boden auf und ließ sie in die Taschen seiner Latzhose gleiten. Später hätte er ausreichend Zeit, sie dann zu entsorgen, ohne dass seine Enkel daran kämen. Jedenfalls hoffte er das.

Dabei bemerkte er nicht den finsteren Blick Willies, der jede seiner Bewegungen zu verfolgen schien. Jenen Blick, der ihm verraten hätte, dass sein Gefühl, das diesen Hund betraf, nicht nur eine Spinnerei war.

Aber da er ihn nicht sah, richtete er sich einfach nur wieder auf, hängte sich den Regenmantel über den Arm und richtete seine Aufmerksamkeit wieder auf seine Enkel. „Kommt, lasst uns gehen. Und redet mit niemandem darüber, was ihr hier gesehen habt, in Ordnung?“

Die Zwillinge sahen sich gegenseitig an, als kommunizierten sie im Stillen miteinander, dann nickten sie ihm zu. „In Ordnung, Grandpa.“

Jim atmete erleichtert auf und tätschelte den beiden den Kopf. Dann schob er sie vorsichtig an, damit sie weiterliefen und er das, was er gefunden hatte, auch wieder entsorgen zu können.

Dabei fiel ihm nicht auf, dass Willie ihnen gar nicht folgte – und dass er einen der Samen übersehen hatte.

Kapitel 1: Wahrscheinlich bin ich nur paranoid.

Es war mitten in der Nacht, als sie durch das kleine, von Wäldern umgebene Städtchen, fuhren. Hinter den Fenstern der wenigen Geschäfte, die Murphy entdecken konnte, brannte bereits kein Licht mehr, dafür aber hinter jenen, die zu Wohnhäusern gehören mussten. Durch das geringe künstliche Licht der Stadt waren die Sterne am Himmel umso strahlender zu sehen. Es war ein interessanter Kontrast, den Murphy bislang noch in keiner anderen Stadt hatte beobachten können.

Die Uhr auf dem Armaturenbrett zeigte an, dass es gerade halb zwölf war. Kein Wunder, dass da bereits Stille über dem Ort lag, sogar Autos fuhren hier nur noch in unregelmäßigen Intervallen an ihnen vorbei. Aber es war angenehm, zu sehen, dass es Leben gab. Anders als in einer gewissen anderen Stadt, die bereits eine halbe Ewigkeit entfernt zu sein schien, obwohl es erst einige Wochen sein dürften.

„Das erste Mal in Greenvale?“

Die Stimme des Truckers verhinderte, dass er wieder in finstere Gedanken abdriften konnte. Ohne ihn hätte er jetzt nicht einmal gewusst, wie diese Ortschaft eigentlich hieß. Um nicht zu unhöflich zu erscheinen – immerhin verdankte er es nur diesem brummigen Bären von einem Mann, dass er nicht wieder eine Nacht in einer verlassenen Hütte oder im Straßengraben verbringen musste – gab Murphy ein zustimmendes Geräusch von sich. „Hab bislang nicht mal gewusst, dass es diesen Ort gibt.“

„So geht es den meisten. Ist auch gut so, wenn du mich fragst.“

Es war angenehm, einfach so geduzt zu werden, das nahm Murphy ein wenig die Distanz, die er sonst gegenüber allen anderen verspürte. Als er aufgebrochen war, hatte er nicht daran gedacht, aber inzwischen war ihm doch klar geworden, dass es anstrengend sein konnte, sich als vermeintlich verstorbener Ex-Häftling von allen anderen fernhalten zu müssen.

„In dieser Stadt hast du echt das Gefühl, die Zeit ist irgendwann mal stehen geblieben. Aber das sind alles gute Menschen, das kannst du mir glauben.“

Murphy konnte das kaum glauben, er war schon viel zu lange nicht mehr an einem Ort mit guten Menschen gewesen. Es wäre allerdings mit Sicherheit eine gute Wahl, um zumindest vorübergehend zu bleiben und sich von hier aus zu überlegen, wie er nun weiter mit seinem Leben verfahren sollte.

Vielleicht war das auch der Grund für die nächsten Worte des Truckers: „Ich mach einen kleinen Umweg für dich, aber dann muss ich dich echt rauslassen. Ich hab noch eine lange Strecke vor mir – und du willst sicher nicht nach Seattle, nehme ich an.“

„Nein, da sind mir doch zu viele Menschen.“

Und damit auch sicher der ein oder andere, der noch immer etwas über seinen Fall wusste. Derartige Freaks fand man immerhin überall, wie er wusste.

„Der Umweg wäre auch nicht nötig gewesen.“

Der Trucker winkte allerdings ab. „Die Straßen hier sind so weitläufig, da brauchst du schon jemanden, der dich in der Nähe des Hotels absetzt. Außerdem sehe ich mir gern den See an, wenn ich schon in der Gegend bin.“

Nur wenige Meter später wusste Murphy bereits, weswegen dieser Trucker plötzlich eine derart romantische Ader zu besitzen schien. Ein geradezu riesig erscheinender See erstreckte sich längs der Straße. Der übergroß anmutende Mond und die unendlich vielen Sterne spiegelten sich auf der Wasseroberfläche, so dass es aussah, als gäbe es plötzlich einen zweiten Himmel. Es war ein vollkommener Gegensatz zum See von Silent Hill, der derart grau gewesen war, dass man stets geglaubt hatte, der Nebel der Stadt käme einzig aus dem Gewässer.

Murphy konnte sich glücklich schätzen, dass der Trucker links abbog und er dann ungehinderten Blick auf den glitzernden See erhielt. Weiße Bäume, deren Stämme zu leuchten schienen und die direkt aus dem Wasser herauswuchsen, vervollständigten den überweltlichen Eindruck.

„Siehst du diese Rastplätze hier?“ Dabei deutete der Trucker locker zu einem solchen, der direkt am See lag und wie der perfekte Platz zum Angeln aussah. „Da stehen auch überall kleine Hütten für Wanderer, die eine Rast machen wollen.“

Es lag Murphy, angesichts seiner finanziellen Situation, bereits auf der Zunge, darum zu bitten, ihn einfach hier rauszulassen, damit er in einer dieser Hütten schlafen könnte. Aber nach all der Zeit, in der er unterwegs gewesen war, wollte er zumindest eine Nacht mal wieder in einer komfortablen Bleibe übernachten.

Wenige Kilometer weiter hielt der Trucker schließlich an einem Schild, direkt neben einer Abzweigung. „Hier geht es zum einzigen Hotel der Stadt. Hab gehört, es gibt hier auch gutes Essen und einen großartigen Kaffee.“

Murphy war sich nicht sicher, ob er wirklich Zeit für das Frühstück fände, aber er bedankte sich für diese Informationen und auch für das Mitnehmen.

„Kein Problem, Mann. Viel Spaß in Greenvale.“

Murphy tippte sich gegen die Stirn, als wolle er dem anderen salutieren, dann stieg er aus dem Truck aus. Er schlug die Tür zu und klopfte dann mit der flachen Hand zweimal zum Abschied dagegen. Der Trucker ließ das Horn erschallen, dann setzte sich der Lastwagen wieder in Bewegung und verschwand langsam aus seiner Sicht. Lediglich die Rücklichter waren noch eine Weile zu sehen, ehe die Straße eine Kurve machte und der Wagen damit endgültig verschwand. Gleichzeitig kehrte auch Stille ein, abgesehen von dem Zirpen der Grillen.

Erst dann widmete Murphy sich dem Schild. In der spärlichen Beleuchtung war es kaum zu erkennen, aber nachdem er die Augen zusammengekniffen hatte, schaffte er es dennoch, es zu lesen: „Great Deer Yard Hotel … Klingt nach einem sehr teuren Platz.“

Könnte er sich das wirklich leisten?

Er zog die Brieftasche heraus, die er in der Nähe des Toluca Lakes gefunden hatte. Der Ausweis, der damals darin gewesen war – und nun auf dem Grund des Sees ruhte – hatte dem Busfahrer gehört, der bei dem Unfall ums Leben gekommen war. Sein neues Leben mit einem Diebstahl zu beginnen, war zwar nicht ideal gewesen, aber er hatte sich kaum vorstellen können, dass ein Toter noch Geld benötigte. Um nicht von irgendeinem übereifrigen Polizisten aufgespürt werden zu können, hatte er auch die Kreditkarte und sogar jegliche Kundenkarten ebenfalls im See nahe Silent Hill versenkt. Zu Beginn waren noch 100 Dollar darin gewesen, was kaum für die erste Woche gereicht hatte. Glücklicherweise war er einige Tage später noch auf weggeworfene, fremde Kleidung gestoßen (die ihn sehr an jene erinnerte, die er in Silent Hill getragen hatte), gemeinsam mit weiteren 44 Dollar, die jemand im Übermut offenbar in den Taschen vergessen hatte. Doch selbst mit der größten Sparsamkeit, dem meisten Geiz, den er hatte aufbringen können, und der Überwindung, Mülltonnen zu durchwühlen, war der Betrag inzwischen auf etwa 14 Dollar geschrumpft. Es könnte unmöglich reichen, aber wenn er mit dem Besitzer des Hotels sprach … oder zumindest mit demjenigen, der gerade am Empfang stand … Im Notfall könnte er sich garantiert auch noch irgendwie wegschleichen. Hauptsache, er hätte eine Nacht lang ein weiches Bett.

Er hielt sich so weit rechts wie möglich, während er die gewundene Straße zum Hotel hinabging und dabei weiterhin den glitzernden See bewundern konnte.

Das Hotel war riesig, wie er feststellte, als er sich ihm näherte. Der dazu gehörende Parkplatz jedoch war fast vollständig leer. Lediglich auf dem etwas kleineren, abgelegenen rechten Teil stand ein Fahrzeug.

„Ich muss mir wohl keine Sorgen machen, kein Zimmer zu bekommen“, murmelte er.

Als er an der Doppeltür ankam, die nach innen führte, hielt er noch einmal an, seine Hand lag bereits auf dem Griff. Eigentlich gab es keinen Grund, stehenzubleiben – wäre da nicht dieses seltsame Gefühl, das ihm sämtliche Haare auf dem Nacken und den Armen aufstehen ließ. Er war vollkommen allein, davon ging er jedenfalls aus, da er sonst niemanden sehen konnte, aber da war dieses Gefühl, dass jemand hier war und ihn beobachtete.

Für einen Moment verspürte er den Impuls, laut Hallo zu rufen, hoffend, dass niemand antwortete, aber er beherrschte sich. Das war niemals eine angebrachte Reaktion, auch in dieser Situation nicht – und was sollte er denn tun, wenn jemand, oder etwas, antwortete?

„Wahrscheinlich bin ich nur paranoid“, murmelte er.

Wer sollte ihm das nach den Ereignissen in Silent Hill auch verdenken? Wer einmal von Monstern verfolgt worden war, könnte wohl niemals wieder wirklich in Ruhe leben, sofern er nicht von unzähligen Menschen umgeben war.

In der Hoffnung, dass er im Hotel sicherer war, öffnete er schließlich die Tür und trat in die hell erleuchtete Eingangshalle. Dabei blickte er sich auch nicht noch einmal um, nur um ganz sicherzugehen, dass er nicht doch noch in die Augen irgendeines Monsters blickte.

Kaum fiel die Tür hinter ihm zu, schwand auch das Gefühl, beobachtet zu werden. Vielleicht war er aber auch nur von der neuen Umgebung zu abgelenkt: Der Boden des Eingangsbereichs – in dem es sogar Sofas und kleine Tische mit Zeitschriften für die Wartenden gab – war mit einem dezent gemusterten Teppich ausgelegt. Links führten wenige Stufen in ein Restaurant, das sogar über eine Bar verfügte. Der Anblick erinnerte Murphy aber nur daran, wie hungrig er war, deswegen sah er rasch wieder weg.

Direkt gegenüber der Tür wurde man zu einer weiteren Doppeltür geführt, davor gabelte sich der Gang allerdings, links und rechts verlor er sich jedoch hinter den Wänden. Eine Treppe führte auf eine Galerie hinauf, die eine Ausstellung zu beinhalten schien, nichts, was ihn weiter interessierte.

Rechts befand sich die Rezeption, eine hölzerne Theke mit allerlei Flyern, dahinter Regale mit Bildern und Büchern, sowie ein Schlüsselbrett, aber niemand war zu sehen. Da das Licht brannte und die Tür nicht verschlossen gewesen war, ging Murphy aber nicht davon aus, dass eigentlich geschlossen war.

„Außerdem wäre es seltsam“, murmelte er, „ein Hotel, das nachts schließt ...“

Andererseits gab es keine Gäste, hier kam wohl kaum jemand zufällig vorbei, vielleicht hatte der Besitzer deswegen beschlossen, es einfach gut sein zu lassen.

Wenn ich leise genug bin, kann ich mich vielleicht einfach in ein Zimmer schleichen und morgen früh wieder gehen, ohne dass mich jemand bemerkt.

Aber wie groß war diese Wahrscheinlichkeit schon? Besser, er ging kein Risiko ein, er konnte sich keinen Ärger mit der Polizei leisten, schon allein um Cunningham, die für ihn gelogen hatte, keinen Ärger zu bereiten.

Murphy näherte sich der Rezeption – und bemerkte dabei einen weiteren Wartebereich vor einem Kamin. Dort, auf dem Sofa, saß eine alte, ergraute Frau. Er hielt inne, als er sie bemerkte, und hob automatisch die Hände. „Uhm, sorry, ich wusste nicht, dass ...“

Er verstummte, als ihm auffiel, dass sie ihn gar nicht beachtete. Ihr Blick war weiterhin auf den Tisch vor ihr gerichtet. Unbehagen breitete sich in ihm aus, als er auf die Entfernung hin nicht feststellen konnte, ob sie noch atmete. In ihrem Alter war immerhin einiges möglich, und wenn sie hier arbeitete, erst recht.

Murphy warf einen kurzen Blick umher, entdeckte aber natürlich niemanden, der gerade helfen könnte, deswegen stieß er ein Seufzen aus und ging selbst mit großen Schritten näher. „Ma'am? Ist alles in Ordnung?“

Keine Reaktion.

„Ma'am?“

Er stand inzwischen fast direkt vor ihr, war sich aber immer noch unsicher, ob sie lebte oder nicht. Also streckte er die Hand aus, um sie am Arm zu fassen – und in diesem Moment ruckte ihr Kopf abrupt nach oben. Erschrocken wich Murphy zurück, stieß schmerzhaft mit der Hüfte gegen die Theke. Seine rechte Hand tastete bereits automatisch nach einer möglichen Waffe, sein Blick blieb auf die alte Frau gerichtet, die scheinbar irritiert mit den Augen blinzelte.

„Oh ...“, entfuhr es ihr leise.

Sie griff in ihre Tasche, zog eine Brille heraus und setzte sich diese auf, ehe sie lächelte. „Oh, Verzeihung. Ich wollte nur kurz meine Augen ausruhen, da muss ich eingeschlafen sein.“

Sie redete. In ganzen Sätzen. Mit einer normalen Stimme.

Monster konnten das nicht.

Augenblicklich fiel die Anspannung wieder von ihm ab, er ignorierte den Schmerz in seiner Hüfte und stellte sich aufrecht hin. „Es tut mir leid, ich wollte nicht stören.“

Die alte Dame winkte ab und erhob sich schwerfällig. Vornübergebeugt lief sie mit langsamen Schritten an ihm vorbei. „Das ist schon in Ordnung. Mein Mann ist schon vor einigen Jahren gestorben, da erzählen Sie mir nichts Neues.“

Murphy runzelte die Stirn und hob die Stimme ein wenig: „Ich sagte, ich wollte nicht stören!“

Die Frau lachte, während sie außerhalb seiner Sicht an den Regalen vorbeiging. Er imitierte ihren Weg, so dass er wieder am Hauptbereich der Rezeption stand, so wie kurz darauf auch die Frau.

„Sie stören doch nicht. Möchten Sie ein Zimmer?“

Murphys Blick huschte über das Schlüsselbrett. Er könnte es sich unmöglich leisten, aber ein Gespräch war es sicher wert.

„Ähm, ja“, antwortete er schließlich, sie lächelte dabei unablässig. „Aber hören Sie, Mrs. … uhm ...“

„Polly Oxford“, stellte sie sich vor. „Nennen Sie mich einfach Polly.“

„Okay, … Polly. Sehen Sie, die Sache ist so: Ich hatte in letzter Zeit einige Schwierigkeiten, deswegen habe ich nicht sonderlich viel Geld, aber ich bräuchte unbedingt mal wieder ein Bett, um darin zu schlafen.“

Seine Kleidung und sein Haar dürften auch beide zeigen, wie schwer es für ihn war. Am Anfang hatte er es sich noch ab und zu erlaubt, kostenpflichtige Duschen und Waschsalons an Raststätten zu benutzen, aber je knapper seine Geldmittel geworden waren, umso weniger war ihm das praktikabel erschienen. Sicher wollte er nicht ungepflegt herumlaufen – weswegen er immer noch seine, sich ebenfalls dem Ende neigenden, Rasierklingen verwendete, um sich regelmäßig zu rasieren – aber wenn er zwischen Seife und Essen wählen musste, gab es nur eine Sache, die gewinnen konnte.

Polly musterte ihn auch direkt mit zusammengezogenen Brauen, er fürchtete bereits, gleich als Landstreicher wieder auf der Straße zu landen, dort … bei diesem Gefühl

Aber Polly überraschte ihn mit einem herzlichen Lächeln. „Das ist schon in Ordnung. Wir finden da bestimmt eine Lösung.“

Sollte er ihr das wirklich glauben? Vielleicht rief sie auch die Polizei, wenn er es nicht vermutete. Oder sie tat andere Dinge mit ihm. Wer wusste schon, was in derartigen kleinen Städten mit Leuten wie ihm gemacht wurde?

Diese Gedanken schafften es aber nicht, ihn aus der Ruhe zu bringen. Er war in Silent Hill gewesen und war dieser Stadt entkommen – nichts konnte schlimmer sein.

„Ich bin Ihnen sehr dankbar, Polly.“

„Oh nein“, erwiderte sie lächelnd, „ich fürchte, hier gibt es keine Gepäckträger.“

Die Kommunikation könnte sich als reichlich schwierig erweisen.

Sie schob ein Buch zu ihm hinüber. „Würden Sie sich dann bitte eintragen, Mr. …?“

Stimmt, er hatte sich noch gar nicht vorgestellt.

„Charles Coleridge.“ Er nahm bereits den Stift und unterschrieb auch derart.

Einen Neuanfang mit zwei Namen zu starten, die seine Vergangenheit geprägt hatten, war vielleicht eine seltsame Art und Weise, diese hinter sich zu lassen – aber er konnte auch unmöglich weiterhin den Namen Murphy Pendleton verwenden. Jedenfalls nicht offiziell. Was wäre also besser, als eine derartige Kombination?

„Ah, Mr. Coleridge.“ Polly nickte; sie drehte sich um, ließ den Blick am Schlüsselbrett entlangwandern und entschied sich schließlich für einen, den sie auch direkt Murphy reichte. „Ich hoffe, das Zimmer wird Ihnen gefallen. Morgen früh gibt es dann ein Frühstück im Saal.“

Da er bereits eingewilligt hatte, das Finanzielle mit ihr klären zu wollen, sollte er besser auch wirklich auftauchen und versuchen, eine Lösung mit ihr zu finden. Noch mehr Straftaten, besonders bei einer so reizend wirkenden alten Dame, wollte er sich wirklich nicht leisten.

Er bedankte sich bei ihr, warf noch einen letzten Blick in ihr lächelndes Gesicht und ging dann in Richtung der Gänge, die zu den Zimmern führten. Dabei fielen ihm auch mehrere an der Wand befestigte Telefone und ein paar Automaten auf, die Süßigkeiten und Kaffee spendeten. Langsam glaubte er zu verstehen, was der Trucker mit der Aussage, hier scheine die Zeit stillzustehen, gemeint hatte.

Murphy schloss die Tür auf, die zu seinem Schlüssel gehörte, trat ein – und wäre fast wieder rückwärts auf den Gang gestolpert. Dieses Zimmer musste ein Irrtum sein. Polly hatte sich doch sicher nur im Schlüssel geirrt.

Er hatte mit einem kleinen Raum gerechnet, in dem ein oder zwei Betten und ein Schrank standen, dazu eine kleine Toilette, aber stattdessen stand er in einer Suite mit eigenem Kamin und einer kleinen Kochnische. Ein Sofa stand vor einer Verandatür, die Vorhänge waren zugezogen. Jenseits des Raumteilers auf der linken Seite befand sich schließlich ein riesiges Bett, sogar mit einem eigenen Telefon auf dem Nachttisch.

Unwillkürlich entfuhr ihm ein bewunderndes Pfeifen. Es war das erste Mal, dass er sich in einer Suite befand und das nicht ohne Grund. Dieses Zimmer könnte er sich erst recht nie leisten. Das müsste er morgen unbedingt mit Polly klären. An diesem Abend stand ihm danach nicht mehr der Sinn, besonders wenn er ihre Schwerhörigkeit bedachte.

Wenn ich schon hier bin, kann ich auch direkt bleiben.

Inzwischen war es schon kurz nach Mitternacht, da sollte er Polly auch lieber nicht mehr stören.

Außerdem war er viel zu müde, um sich jetzt noch mit dieser Situation auseinanderzusetzen. Besonders als er erst einmal auf das Bett niedersank und die angenehm weiche Matratze unter sich spürte, schien jegliche Kraft aus seinem Körper zu weichen. Nun wollte er nur noch schlafen – und das, ohne die schlurfenden Schritte jenseits der Verandatür zu beachten.

Kapitel 2: Aber jetzt bin ich ja hier.

Bis vor Silent Hill hatte Murphy stets von Charlie und Carol geträumt, von dem Glück, das ihm für immer entrissen worden war. Inzwischen träumte er nur noch von seinen Erlebnissen in Silent Hill, besonders dem, was im Waisenhaus geschehen war. Es waren keine Albträume, vielmehr nur Erinnerungen, die sich einfach immer wieder abspielten, so oft, dass er dem gegenüber bereits vollkommen abgestumpft war.

Daher war er auch nicht sonderlich erschöpft, sondern ausgeruht, als er am nächsten Morgen erwachte. Im ersten Moment, noch bevor er seine Augen öffnete, fragte er sich, warum er so bequem lag. Erst nach und nach erinnerte er sich wieder daran, dass er in der Nacht zuvor nach Greenvale gekommen war und nun in einem dortigen Hotel übernachtete. Noch immer war er überrascht von diesem riesigen Zimmer – der Suite – in der er einquartiert worden war. Es war ihm absolut unmöglich, es zu bezahlen, deswegen war er schon gespannt darauf, welche Lösung Polly in einem solchen Fall für angebracht hielt. Dafür sollte er aber aufstehen und sie erst einmal treffen.

Nachdem er sich selbst davon überzeugt hatte, das viel zu gemütliche Bett zu verlassen, trat er an die Terrassentür und schob den weißen Vorhang ein wenig beiseite. Der Himmel war blau, soweit er nur sehen konnte, keine einzige Wolke in Sicht, der See, den er durch die Bäume sehen konnte, glitzerte im Sonnenlicht. Es war kein Vergleich zu dem, was er in Silent Hill hatte sehen können.

Er ließ den Vorhang wieder zurückfallen und ging ins Bad, um sich seiner Hygiene zu widmen, wobei ihm auffiel, dass die Kleidung, die er trug, reichlich abgetragen und noch dazu verschmutzt war. Bei Gelegenheit müsste er irgendwie an neue kommen. Wenn er Glück hatte, besaß Polly welche.

Wieder im Eingangsbereich warf er einen Blick umher, konnte Polly aber nirgends entdecken, auch nicht im etwas höher gelegenen Restaurant. Allerdings hatte sie auch ohnehin von einem Saal gesprochen.

Also blickte er wieder in Richtung der Gänge, die zu den Zimmern führten. Er entdeckte eine Reihe von alt aussehenden Münztelefonen, noch dazu einen Gang, der geradeaus zu einer zweiflügeligen Tür führte. Als er dort hinlief, entdeckte er rechts einen Snack- und einen Getränkeautomaten.

Dieses Hotel besitzt wirklich alles, was man sich wünschen kann.

Der Speisesaal war erfüllt von dem wohltuenden Geruch frischen Kaffees, Eiern, Specks und Toasts. Auch wenn der rötliche Teppich eine altertümliche Atmosphäre verbreitete, machte der Ausblick durch die verglaste Wand am anderen Ende das alles wieder wett – und der Anblick des reich gefüllten Frühstücksbuffets ließ ihm das Wasser im Mund zusammenlaufen.

„Guten Morgen, Mr. Coleridge.“

Er benötigte einen Moment, bis er sich wieder daran erinnerte, dass er damit gemeint war, aber dann wandte er sich Polly zu, die neben einem Servierwagen stand. Er erwiderte ihren Gruß, ehe er sich von ihr zu einem Tisch bringen und sich Kaffee einschenken ließ.

„Ich hatte letztes Jahr einen Gast“, erinnerte sie sich, „der Hinweise in seinem Morgenkaffee entdecken konnte. Vielleicht sollten sie es auch einmal versuchen.“

Murphy lächelte über diesen Vorschlag, kam aber dennoch nicht umhin, in seine Tasse zu starren, nachdem er die Milch eingefüllt hatte. Während Polly ihm großzügig Rührei und Speck auf den Teller lud, gemeinsam mit mehreren Scheiben Toast, betrachtete er den wirbelnden Schaum auf seinem Kaffee. Nach einiger Zeit glaubte er, wirklich etwas sehen zu können, das entfernt an den Buchstaben V erinnerte.

Aber vielleicht irre ich mich da auch. Nach allem, was bislang geschehen ist, muss man ja verrückt werden.

Deswegen nahm er lieber rasch einen Schluck, statt sich weiter darum zu kümmern, ob man wirklich etwas sehen könnte. Polly setzte sich derweil an das andere Ende des Tischs, um ebenfalls zu frühstücken – und ein Gespräch mit ihm zu beginnen: „Was führt Sie nach Greenvale, Mr. Coleridge?“

„Ich bin auf der Durchreise“, antwortete er laut und vernehmlich, damit sie ihn auf diese Entfernung auch hören konnte. „Ich erkunde gerade nur das Land.“

Inzwischen hatte er davon tatsächlich auch schon wesentlich mehr gesehen, als er sich je gewünscht hatte. Auch nicht damals, als er noch selbst ein Waisenkind gewesen war und jede Nacht von einem normalen Leben in einer Familie geträumt hatte.

„Oh, das klingt nett“, sagte Polly. „Als junger Mensch sollte man das ruhig einmal getan haben. Danach wird man immerhin nie wieder Gelegenheit dazu bekommen. Wenn man erst einmal so alt und eingebunden ist wie ich … hach~.“

Sie stieß ein sehnsuchtsvolles Seufzen aus, das Murphy schmunzeln ließ.

„Haben Sie denn eine feste Reiseroute?“, fragte sie weiter.

„Nein. Ich bin auch bisher per Anhalter gefahren.“

Über die Gefahr hatte er sich dabei nie Gedanken gemacht. Er war stattdessen der festen Überzeugung, dass man alles überwinden konnte, wenn man erst einmal lebend aus Silent Hill entkommen war. Wenn nicht einmal wahrhaftige Monster ihm etwas hatten anhaben können, wie sollte es dann einem Menschen gelingen, der sogar nur im übertragenen Sinne ein solches war?

„Dann sollten wir einmal über die Bezahlung sprechen“, fuhr sie zufrieden fort. „Wie Sie sehen, ist das hier ein sehr großes Haus und ich muss mich ganz allein darum kümmern. Ich könnte ein wenig Hilfe gebrauchen, auch was die Besorgungen in der Stadt angeht.“

Murphy war erleichtert, das zu hören. Das waren immerhin Dinge, die er wirklich leisten könnte. Er hatte zwar noch nie in einem Hotel gearbeitet, aber er war anpassungsfähig und es schien ihm nicht so, als gäbe es hier einen Zeitdruck, dem er ausgesetzt wäre. In der Stadt kannte er sich zwar nicht aus, aber sofern man ihm ein Auto gab, könnte er sich dort auch zurechtfinden.

„Denken Sie, das wäre Ihnen möglich?“

Zu lange dürfte er zwar nicht bleiben, da man vielleicht irgendwann darauf käme, dass er ein geflohener Häftling war, aber eine Weile dürfte es durchaus funktionieren – und dann hätte er bestimmt seine Schulden gegenüber Polly getilgt.

„Ich würde mich freuen, wenn ich helfen darf.“

Polly lächelte herzlich. „Das ist schön. Und auch wenn es mir leid tut, aber ich muss Sie heute schon in die Stadt schicken, Mr. Coleridge.“

Also doch so schnell. Das behagte ihm nicht wirklich. Er kannte sich hier nicht im Mindesten aus, wusste nicht, wie informiert die Leute wirklich waren. Aber wenn ihm nichts übrig blieb …

„In Ordnung. Sagen Sie mir nur, wohin genau ich gehen muss ...“
 

Während des Frühstücks stellte Murphy fest, dass Polly gern und viel redete, besonders über ihren verstorbenen Mann. Offenbar war es seine Idee gewesen, dieses Hotel zu eröffnen und früher hatte es sich wohl noch wesentlich mehr gelohnt als in der heutigen Zeit. Niemand besuchte Greenvale mehr, man fuhr, wenn überhaupt, nur noch durch. Aber letztes Jahr hatte sie wohl für längere Zeit einen FBI-Agenten beherbergt, der einen Mordfall aufklären sollte, der sich bald in eine Mordserie entwickelt hatte. Was daraus geworden war, hatte Murphy nicht gefragt, er ging einfach davon aus, dass der Mörder gefasst worden war.

Zu seinem Glück stellte sie nicht viele Fragen über ihn, so dass er sie nicht mehr anlügen musste, als er es bislang schon getan hatte. Ihm war bewusst, dass es notwendig war, zu lügen, solange sein Fall noch nicht lange genug her war, aber bei manchen Personen, wie bei Polly, fiel es ihm schwerer als bei anderen.

Nach dem Frühstück ließ er sich von ihr auf einer Karte im Foyer zeigen, wo er hingehen sollte. Sie sagte, sie benötige Medikamente aus der örtlichen Apotheke, könne wegen ihres Rückens aber nicht selbst fahren. „Außerdem muss ich mich doch auch um Ihr Zimmer kümmern, Mr. Coleridge.“

Das war eine akzeptable Begründung, weswegen er sich den Weg auf der Karte einprägte, so gut er konnte.

„Ich werde dort anrufen, damit man weiß, dass Sie für mich kommen.“

Ehe sie ihn allerdings losschickte, stellte auch sie fest, dass er in dieser schmutzigen Kleidung nicht gehen könne und gab ihm neue Sachen. „Mein Mann hat sie gern getragen, als er jung war. Er hatte in etwa Ihre Statur.“

Es handelte sich um eine schwarze Stoffhose und ein moosgrünes Hemd, es ähnelte also jener Kleidung, die er bislang getragen hatte, weswegen er keine Einwände vorbrachte und sich stattdessen kommentarlos umzog. Danach, mit Pollys Segen, verließ er das Hotel, und ging auf dem Parkplatz direkt nach links, um ihren Wagen zu finden. In der letzten Nacht war es zu dunkel gewesen, um es zu sehen, aber nun konnte er sich ein erstauntes Pfeifen nicht mehr verkneifen.

„Ein 76er Lincoln Town Car Coupe. So etwas sieht man nicht häufig.“

Jedenfalls nicht in den Kreisen, in denen er sich sonst bewegte.

Der schwarze Lack glänzte im Sonnenschein, als kümmere sich jemand sehr gut darum, und lud Murphy geradewegs zum Probefahren ein. Der helle Ledersitz schmiegte sich an seine Konturen an, das cremefarbene Armaturenbrett war ebenfalls frei von Staub. Jemand musste sich wirklich mit viel Sorgfalt um dieses Fahrzeug kümmern. Als er den Schlüssel in die Zündung steckte und der Motor zum Leben erwachte, vibrierte der Wagen angenehm. Die Tankanzeige verriet ihm, dass noch jede Menge Benzin vorhanden war.

Zufrieden strich er über das Lenkrad. „Dann wollen wir mal.“
 

Mittels der eingeprägten Karte gelang es ihm, den Weg in die Stadt zu finden. Die Straßenführung war aber doch wesentlich komplexer, als es ihm bislang vorgekommen war. Mehr als einmal landete er plötzlich in der gänzlich falschen Straße, nur um dann einen kleinen Umweg fahren zu müssen. Glücklicherweise war das Fahren in diesem Auto überaus angenehm, so dass es ihn nicht weiter störte, dass die Strecke länger als nötig war.

Schließlich – als er schon glaubte, niemals anzukommen – gelangte er doch noch auf den Parkplatz der Apotheke.

Ich hoffe nur, ich finde auch den Weg wieder zurück.

Er befand sich in einem ruhigen Teil von Greenvale, scheinbar eine Wohngegend. Vereinzelt waren vorbeifahrende Autos zu hören, die sich mit singenden Vögeln abwechselten, wer die Ruhe liebte, war hier mit Sicherheit am besten aufgehoben.

Murphy ging einige Schritte in Richtung des Eingangs, dann bemerkte er eine Person, die auf dem Boden kniete und etwas mit Kreide auf den Asphalt zu zeichnen schien. Bei näherer Betrachtung stellte er fest, dass es eine junge Frau war, ihr kastanienfarbenes Haar war zu einem Pferdeschwanz zusammengebunden, hing ihr aber dennoch über die Schulter. Allerdings störte sie sich auch nicht daran, dass sie einige der Haare in ihren Mund bekam, ihre Konzentration riss nicht ab.

Das Bild, das sie zeichnete, erinnerte an einen roten Baum, wie ihn Murphy noch nie zuvor gesehen hatte. Gleichzeitig war er aber auch von dem Gefühl ergriffen, dass eine Bedeutung dahinter steckte, die er nicht erkennen konnte.

Oder ich denke nur noch zu sehr an diese eine Stadt.

In Silent Hill schien immerhin alles mit einer Bedeutung behaftet gewesen zu sein. Daher konnte er unmöglich einfach von dieser Denkweise ablassen, egal wie viel Zeit verging.

Die Frau hielt plötzlich im Zeichnen inne und hob den Kopf, um ihn anzusehen. „Oh, hallo. Mir ist gar nicht aufgefallen, dass noch jemand hier ist.“

„Ich wollte Sie nicht stören.“

„Haben Sie nicht, keine Sorge.“ Sie richtete sich auf, bis ihr Rücken durchgestreckt war. „Ich wollte ohnehin gerade eine Pause machen.“

Sie lehnte sich seufzend ein wenig mit dem Oberkörper zurück und griff in eine Tasche, die neben ihr auf dem Boden lag, wo sie dann eine kleine Flasche Mineralwasser zutage förderte. Murphy wartete, bis sie einen großen Schluck genommen hatte, ehe er eine Frage stellte: „Gibt es einen besonderen Grund dafür, dass Sie einen roten Baum gezeichnet haben?“

Der noch dazu äußerst gut aussah. Er erinnerte sich an Charlies Kreidezeichnungen von früher, die waren längst nicht so gut gewesen – und wäre er selbst der Zeichner, sähe der Baum auch längst nicht so gut aus.

Sie blickte selbst wieder auf ihr Bild hinunter. „In dieser Stadt gibt es einige von dieser Art, besonders am Friedhof. Ich fand die so außergewöhnlich, dass ich dachte, ich verdiene vielleicht ein wenig Kleingeld, wenn ich so einen zeichne.“

Das war auch eine Methode, wenn man unterwegs war. Schade, dass er über keinerlei Talent verfügte.

„Wie nennt man diese Bäume?“

Sie zuckte mit den Schultern. „Ich weiß nicht. Ich komme nicht von hier, und immer, wenn ich jemanden frage, wechselt diese Person nur das Thema. Vermutlich redet man nicht gern darüber.“

„Und dann dachten Sie, es sei eine gute Idee, einen solchen Baum zu zeichnen?“

Da sie wieder den Blick hob, konnte er sehen, dass sie die Stirn runzelte. „Jetzt, da Sie es erwähnen, stimmt das natürlich. Aber ich konnte mich einfach nicht beherrschen.“

Sie schnitt ihm eine Grimasse, dann stand sie auf. Notdürftig wischte sie sich die Hände an ihrer Jeans ab, kam aber wohl zu dem Ergebnis, dass sie die Kreide nicht vollkommen los wurde und verzichtete dann darauf, ihm die Hand zu reichen. „Valeria Attaway. Aber Sie können mich auch Val nennen, wenn Ihnen das mehr zusagt.“

„Charles Coleridge“, stellte er sich ebenfalls vor. „Sie sind ziemlich offen, was?“

„Wenn man ein verschlossener Mensch ist, hat man es schwerer, hier in Greenvale.“ Sie lächelte, was ihre braunen Augen sogar zum Leuchten brachte. „Deswegen habe ich mir das angewöhnt. Das war echt hart, das kann ich Ihnen sagen. Aber Sie sind neu hier, was?“

„Ich bin letzte Nacht erst angekommen.“

„Dann herzlich Willkommen. Kommen Sie ruhig mal in der Milk Barn vorbei, wenn ich arbeite.“

Vielleicht war sie auch ein wenig zu offenherzig für seinen Geschmack. Wenn das hier wirklich normal war, wurde er hoffentlich bald mit dem Abbezahlen seiner Schulden fertig, um weiterzuziehen.

„Ich werde schauen, ob ich es einrichten kann. Jetzt muss ich aber wieder los.“

Er deutete hinter sich, in Richtung der Apotheke, wegen der er ja überhaupt losgezogen war.

„Okay~. Bis dann, Charlie.“

Der Name war vollkommen unschuldig ausgesprochen, aber dennoch spürte er einen kurzen, heftigen Stich in seiner Brust. Statt noch etwas zu sagen, wandte er sich lieber rasch ab, nachdem er noch einen letzten Blick auf das Bild geworfen hatte. Ein Schauer fuhr ihm über den Rücken, aber für den Moment wollte er ihn lieber ignorieren.

Nur nicht zu sehr in irgendwelche seltsamen Sachen verstricken lassen.

Während Valeria mit dem Zeichnen fortfuhr, betrat er die Apotheke, in der es wesentlich ruhiger war. Der typische süßliche Geruch nach Seife und Hustensaft haftete auch diesen Räumen an. Zumindest wurde keine unpassende Musik gespielt.

Hinter dem Schalter stand eine verkniffen dreinblickende ältere Frau, deren blondes Haar inzwischen derart hell geworden war, dass es fast schon platinblond wirkte. Die rote Brille mit dem dreieckigen Gestell, das sie auf der spitzen Nase balancierte, war mit einer silbernen Kette um ihren Hals verbunden. Während ihr Gesicht noch relativ gut aussah, war ihr Hals faltig wie der eines Truthahns, was sie nur umso älter wirken ließ. Ihre knallroten langen Fingernägel erzeugten ein klackendes Geräusch, während sie mit den Fingern auf den Tresen trommelte.

„Mr. Coleridge?“ Ihre Stimme hatte einen schneidenden Unterton, der sie nicht gerade sympathischer machte. „Sie sind spät dran.“

Eine Diskussion lohnte sich nicht, das konnte er bei einer derartig streng wirkenden Person direkt sehen. Deswegen ging er nicht darauf ein, dass die Straßenführung einfach viel zu komplex für einen Außenstehenden war, und entschuldigte sich lieber. „Aber jetzt bin ich ja hier. Und ich würde gern die Medizin für Mrs. Oxford abholen.“

Sie deutete nur ein Nicken an und verschwand ins Hinterzimmer. Dennoch konnte er ihre durchdringende Stimme bis in den Verkaufsraum hören: „Was glauben diese jungen Menschen eigentlich, wer Sie sind? Nisten sich bei wohlhabenden Frauen ein und glauben dann, sie haben ausgesorgt! Und Zeit scheint Ihnen auch nichts mehr zu bedeuten! Als ob unsereins nichts anderes zu tun hätte! Aber als Gigolo kann man sich das wohl leisten!“

Gigolo?

Er kannte die Bedeutung dieses Worts, aber wie kam man darauf, dass er einer sei? Er wollte doch nur seine Schulden abarbeiten.

Ich kommentiere das besser nicht. Sie würde mir das ohnehin nicht glauben.

Er blieb seinem Vorsatz treu, auch als sie, ohne zu schimpfen, wieder in den Verkaufsraum zurückkehrte und wütend das Pillendöschen auf den Tresen knallte. Einen kurzen Moment lang befürchtete Murphy, dass der Deckel abspränge, aber er blieb auf der kleinen Dose drauf.

Sie nannte ihm die Summe, die er zahlen müsste, was er auch sofort tat. Glücklicherweise hatte Polly daran gedacht, er hätte nicht mit dieser Frau darüber diskutieren wollen, dass sie das erst einmal anschreiben sollte.

Sie sah ihn mit vor Wut blitzenden blauen Augen an, während sie ihm sein Wechselgeld gab, so dass Murphy sich spontan fragte, was er ihr angetan haben mochte, dass sie ihn derart abfällig behandelte. Vielleicht erinnerte er sie aber auch nur an irgendjemanden. Also machte er sich lieber nicht zu viele Gedanken darum.

Er bedankte sich wortkarg und verabschiedete sich. Sie schnaubte daraufhin nur, aber er nahm das einfach mal als Erwiderung der Verabschiedung und ging ohne jedes weitere Wort hinaus.

Draußen fiel sein Blick sofort wieder auf die Stelle, an der Valeria zuvor gekniet hatte. Nun war nur noch das Bild des Baumes und ihre Tasche zu sehen. Es benötigte allerdings nur einen kurzen Seitenblick in Richtung des Lincolns, um sie wieder zu entdecken. Sie stand vor dem Wagen und betrachtete ihn eingehend, mit einem Ausdruck im Gesicht, den er gut kannte.

„Interessieren Sie sich für Autos, Val?“

„Nur für die Klassiker“, antwortete sie, ohne die Augen vom Lincoln zu nehmen. „Das hier ist ein 76er Lincoln Coupe, oder?“

„Town Car“, ergänzte er noch. „Aber das Jahr stimmt.“

„Ist das Ihr Wagen?“

Er öffnete die Tür und legte die Pillendose auf dem Beifahrersitz ab. „Nein, er gehört Polly Oxford, der Besitzerin des Hotels. Ich darf ihn nur ausleihen, während ich ihr im Hotel aushelfe.“

Sie gab einen verstehenden Laut von sich, dabei nickte sie. Er war sich nicht sicher, ob sie das Thema wirklich interessierte oder ob sie einfach nur versuchte, Konversation zu betreiben. Außerdem sollte er lieber wieder zurückfahren, um Pollys Vertrauen nicht direkt am ersten Tag derart auszunutzen. „Soll ich Sie ein Stück mitnehmen?“

„Nein nein.“ Sie winkte hastig ab. „Ich wohne ohnehin hier in der Gegend. Aber ein andermal mache ich gern Gebrauch von dem Angebot.“

In seinem Rücken spürte er den glühenden Blick eines Dämons – aber als er sich umdrehte, entdeckte er nur die Apothekerin, die ihn durch das Schaufenster beobachtete, die Augen sprühten nach wie vor Blitze, die ihn in Brand zu setzen drohten.

„Kennen Sie dann auch diese alte Hexe?“

Valeria folgte seinem Blick, dann stieß sie ein humorloses Lachen aus. „Oh ja. Das ist Zandra Clark. Und sie ist wirklich die reinste Hexe. Lassen Sie sich also nicht von ihr unterkriegen. Irgendwann werden Sie ihre Sticheleien bestimmt auch einfach abschütteln, so wie jeder.“

Nachdem sie das gesagt hatte, winkte Valeria der Frau lächelnd zu. Zandra schnaubte sichtbar wütend und zog sich wieder vom Schaufenster zurück.

„Den Rat werde ich beherzigen“, versicherte er. „Danke.“

Er griff in seine Tasche und zog seine Brieftasche heraus. Dann fischte er einen 5$ Schein heraus und reichte ihn an Valeria. Verdutzt nahm sie diesen an, blickte aber unschlüssig darauf hinab. „Wofür ist das?“

„Für das Bild.“ Er nickte zu der Kreidezeichnung hinüber. „Es ist wirklich großartig geworden. Machen Sie weiter so.“

Ehe sie noch etwas sagen konnte, ließ er sie in ihrer Irritation zurück und stieg in den Wagen. Innerhalb weniger Sekunden zog er den Lincoln wieder auf die Straße hinaus, so dass er Valeria nur noch im Rückspiegel sehen konnte, wo sie rasch immer kleiner wurde. Vielleicht hatte er sich auch geirrt und es war doch nicht so schlecht in dieser Stadt. Aber er müsste doch noch abwarten, was die nächste Zeit noch brachte.

Kapitel 3: Ich komme klar.

Trotz der verwirrenden Straßenkarte (Murphy konnte sich einfach keinen Reim darauf machen, nach welcher Art und Weise diese Straßen erbaut worden waren) gelang es Murphy, wieder zum Hotel zurückzufinden.

Wenn ich länger bleibe, merke ich mir hoffentlich, wie ich zu den wichtigsten Orten komme.

Dabei hatte er eigentlich nicht geplant, zu lange zu bleiben. Irgendwann müsste selbst in diesem Ort die Nachricht ankommen, dass er ein entflohener Sträfling war. Nur weil er offiziell als tot galt, müsste das immerhin nicht bedeuten, dass es nicht doch noch ab und zu Zeitungsartikel über ihn geben könnte – besonders da man seine Leiche nie gefunden hatte –, oder alte Polizeiberichte. Irgendjemand müsste nur unglücklich genug sein, darüber zu stolpern und er hätte ein ziemliches Problem.

Deswegen hielt er es auch für ein schlechtes Zeichen, als er auf dem Parkplatz des Hotels ein Polizeiauto entdeckte. Es war ein schwarzer SUV, den er im ersten Moment gar nicht für einen Dienstwagen hielt – dabei waren die Sirenen auf dem Dach eigentlich ein sehr deutliches Zeichen.

Im Auto sitzend, nachdem er geparkt hatte, betrachtete er den SUV mit gerunzelter Stirn. Sollte er bleiben und hier warten? Einfach hineingehen? Oder doch schnellstens die Flucht ergreifen?

Eigentlich wäre es vernünftiger, zu verschwinden, immerhin bestand die Chance, dass er gerade im Hotel von einem Polizisten gesucht wurde – aber er konnte Polly nicht einfach im Stich lassen. Nicht nur, dass er in ihrer Schuld stand und ihre Medikamente bei sich trug, nein, er müsste ihr mit einer Flucht sogar das Auto, eine Erinnerung an ihren Mann, stehlen. Etwas, das er noch viel weniger konnte. Noch dazu könnte man einen solchen Wagen schnell zurückverfolgen, was einer weiteren Flucht sehr abträglich wäre.

Aber hier draußen nur im Auto sitzen zu bleiben, wäre sicher auch derart misstrauenserweckend, dass er sich das ebensowenig leisten konnte. Vielleicht waren die Polizisten auch wegen etwas ganz anderem hier. Also sollte er einfach hineingehen und das Beste hoffen.

Das sollte machbar sein.

Er atmete noch einmal tief durch, dann griff er nach Pollys Pillendose und stieg aus dem Wagen. Er verschloss diesen sorgfältig, wie er es aus seinem Leben in einer wesentlich größeren Stadt gewohnt war, und begab sich dann zum Eingang des Hotels. Mit jedem Schritt spürte er dabei aber den Stein in seinem Magen, der ihn davon überzeugen wollte, dass es eine furchtbare Idee war, hier zu bleiben und nicht einfach zu verschwinden.

Dennoch hörte Murphy nicht darauf und öffnete die Tür.

Polly stand hinter dem Tresen, mit ihrem üblichen Lächeln, und konzentrierte sich auf den Mann ihr gegenüber, der sich gerade mit ihr unterhielt. Ihr Gesprächspartner war tatsächlich ein Mitglied der Polizei, das konnte Murphy an der schlamm-farbenen Uniform erkennen, die in einem Sheriff-County so üblich war. Er hielt einen braunen Filzhut gegen seine Brust gedrückt. Ansonsten wirkte er sehr jung, auch mit seinem dunkelbraunen Haar und dem kläglichen Beginn eines Oberlippenbarts, den er sich wohl wachsen ließ. Aber gerade diese Jugend war es, die Murphy sehr irritierte, als der Mann sich ihm plötzlich zuwandte – und der Stern auf seiner Brust verriet, dass es sich bei ihm um den Sheriff handelte.

„Sie müssen Pollys neuer Gast sein“, sagte der Mann und reichte Murphy die Hand. „Ich bin der Sheriff dieser kleinen Stadt, Dean Summers. Nennen Sie mich einfach Dean.“

Murphy schlug in die Hand ein, um sie zu schütteln. „Charles Coleridge.“

„Verstehe.“

Er versuchte, im Gesicht des Sheriffs zu ergründen, ob er bereits wusste, wer er war, aber da er ihn nicht kannte, war ihm das auch nicht möglich. Er musste wohl aggressiver vorgehen: „Gibt es einen bestimmten Grund dafür, dass der Sheriff persönlich hier vorbeischaut?“

„In Greenvale?“ Dean lachte herzhaft. „Nein, seit einem Jahr passiert hier gar nichts mehr, wofür ich sehr dankbar bin. Ich wollte nur nachsehen, wie es Polly geht. Sie lebt hier ganz allein, abgeschieden … man weiß ja nie, was passieren könnte.“

„Obwohl hier nie etwas geschieht?“

Dean zuckte mit den Schultern. „Vorsicht ist bekanntlich besser als Nachsicht.“

„Sind Sie nicht ziemlich jung für einen Sheriff?“

Vielleicht waren es zu viele Fragen und er weckte damit erst das Misstrauen des Mannes, doch Dean antwortete arglos: „Unser alter Sheriff wurde vor einem Jahr durch einen unglücklichen Zufall von einem Blitz getroffen. Und zwei der älteren und fähigeren Polizisten starben während der Ermittlungen an einer Mordserie.“

In seinem Gesicht war deutlich Schmerz wahrzunehmen, den Murphy nur zu gut kannte. Er musste seine Kollegen gemocht haben. „Tut mir leid, das zu hören.“

Dean winkte hastig ab. „Ach, schon okay. Dank der Opfer der drei war es einem FBI-Agenten möglich, die einzige Mordserie in dieser Stadt zu beenden. Und seitdem sind wir endlich zu unserem Frieden zurückgekehrt.“

Murphy überlegte, nachzufragen, was das für Verbrechen gewesen waren, aber das erschien ihm dann doch ein wenig zu aufdringlich. Er sollte lieber herausfinden, ob es eine Bibliothek gab, in der er in alten Zeitungen nachsehen könnte. Oder er fragte später einfach seine Gastgeberin.

„Polly meinte, Sie wären auf der Durchreise“, führte Dean das Gespräch fort. „Aber Sie sind ja ganz ohne Geld unterwegs, wie kommt das?“

Der Schimmer des Misstrauens schien in seinen Augen aufzuflammen. Aber Murphy ließ sich davon nicht beunruhigen. „Als ich anfing, hatte ich mehr Geld. Ich bin ziemlich naiv an diese Sache herangegangen. Aber ich komme klar. Ich habe kein Problem damit, kleine Jobs anzunehmen.“

Wie er mit seiner Hilfe für Polly, für das Übernachten, beweisen dürfte.

Zu Murphys Erleichterung fragte er nicht, wo er denn eigentlich lebte. Dafür aber etwas anderes: „Gibt es keine Familie, die Ihnen Geld zukommen lassen kann?“

Selbst Murphy musste zugeben, dass es nicht normal war, plötzlich ganz ohne Geld unterwegs zu sein, und Dean schien plötzlich sogar eher besorgt als misstrauisch.

„Nein, habe ich nicht.“ Das war immerhin die Wahrheit. „Das war auch der Grund, wegen dem ich losgezogen bin, um etwas Abstand zu gewinnen.“

Das schien Dean einzuleuchten. In einer kleinen Stadt, in der es in kurzer Zeit derart viele Tote gegeben hatte, verstand man wohl, dass jeder unterschiedlich mit Verlusten umging und manche dann einfach weg wollten.

Statt weitere Fragen zu stellen wandte Dean sich wieder Polly zu und setzte seinen Hut auf. „Ich bin dann mal wieder unterwegs. Falls du etwas benötigst, melde dich einfach bei mir, Polly.“

„Danke, Dean.“

Nachdem er sich knapp auch von Murphy verabschiedet hatte, verließ er das Hotel wieder durch die Tür. Nach wenigen Sekunden war von draußen das Zuschlagen einer Autotür zu hören, dann das Starten eines Motors. Es schien ihm gerade wie das schönste Geräusch der Welt.

Aber sollte er nun misstrauisch sein? Vielleicht kehrte Dean nur ins Büro zurück, um herauszufinden, ob er irgendwo flüchtig wäre. Und wenn er nirgends einen Charles Coleridge fand, der auf ihn passte …

Vorerst wollte er das aber ignorieren. Er könnte sich damit beschäftigen, wenn dieser Fall erst einmal eintrat. Falls er nicht vorher bereits weg war.

Murphy trat näher an den Tresen und legte die Medikamente darauf ab. „Ich habe alles besorgt.“

Sie nahm die kleinen Dosen an sich und betrachtete sie eingehend durch ihre Brille. Allerdings war er sich dennoch sicher, dass sie kaum die Etiketten erkennen konnte.

Schließlich ließ sie die Pillendosen in ihre Schürzentasche gleiten. „Danke, Mr. Coleridge. Sie haben mir da wirklich einen großen Gefallen getan.“

Immerhin war das eine gelungene Tat. Es wäre ihm lieber, wenn er diese beibehalten könnte.

Im Moment sah es nicht so aus, als gäbe es etwas zu tun, deswegen beschloss Murphy, sofort auf das eben erwähnte Thema zurückzukommen, damit diese Frage direkt aus dem Weg geräumt war und außerdem wollte er ungern versuchen, ihre Erinnerung später wieder wachzurufen.

„Polly, worum ging es gerade eben? Was war das mit dem Serienmörder?“

Ihre Gedanken schienen bereits ganz woanders zu sein, denn als sie ihn wieder ansah, wirkte ihr Blick ein wenig trüb. „Was ist mit den Fernsehsendern?“

„Serienmörder“, wiederholte Murphy, betonte jede einzelne Silbe so deutlich wie möglich. „Der Sheriff erwähnte einen.“

Sie nickte bedrückt. „Ja, das ist wahr. Setzen wir uns doch, während wir sprechen.“

Dabei deutete sie mit dem Kopf zu dem Sofa hinüber, das neben dem Kamin stand. Murphy ließ ihr den Vortritt, indem er ihr genug Zeit einräumte, um die Regale hinter dem Tresen zu laufen. Kaum hatte sie sich gesetzt, nahm er neben ihr Platz.

Sie sah nicht ihn an, sondern nur geradeaus als blicke sie in die Entfernung, ohne die Hindernisse zu beachten. In diesem Moment wirkte sie wesentlich älter als sonst.

„Vor etwa einem Jahr“, begann sie schließlich, „fand man die Leiche der jungen Anna Graham im Greenvale Forest Park. Niemand konnte sich ausmalen, wer in dieser Stadt ein so grausames Verbrechen begehen könnte. Aber es ging das Gerücht um, dass es sich dabei um den Regenmantel-Mörder handelt.“

Murphy konnte nicht anders als sich jemanden vorzustellen, der umherschlich und Regenmäntel aufschlitzte. Aber so ernst wie Polly klang, als sie diesen Namen erwähnte, und in Verbindung mit der Tatsache, dass diese Anna getötet worden war, ging er vielmehr davon aus, dass der Mörder selbst den Regenmantel trug. Er hakte allerdings nicht nach.

„Ein Special Agent vom FBI kam dann in die Stadt“, fuhr sie fort. „Er half dem Sheriff bei der Ermittlung gegen den Regenmantel-Mörder. Dabei wurde der arme Thomas ebenfalls getötet. Emily wurde auch ein Opfer des Mörders. Und unser Sheriff wurde während eines Sturms von einem Blitz getroffen.“

Gut, es konnte vorkommen, dass polizeiliche Ermittler von einem Serienkiller, den sie eigentlich aufhalten sollten, getötet wurden. Aber der Unfall des Sheriffs erschien ihm doch ein wenig zu seltsam. Da war doch mit Sicherheit etwas anderes vorgefallen.

Ich bin aber kein Ermittler, ermahnte er sich. Mich geht das nichts an.

„Was wurde aus dem Special Agent?“, fragte er stattdessen.

Polly sah ihn nun wieder an, sie lächelte. „Er hat den Fall gelöst, indem er den Regenmantel-Mörder tötete.“

„Und wer ist es gewesen?“

„Das weiß niemand so genau. Wenn mich nicht alles täuscht, war es jemand von außerhalb der Stadt.“

Im ersten Moment fragte er sich, wie man eine solche Information vergessen könnte, aber dann erinnerte er sich wieder daran, dass Polly nicht mehr die jüngste war. Vielleicht hatte sie es auch einfach vergessen. Aber im Endeffekt konnte ihm das wirklich egal sein, solange es vorbei war. Und sogar noch lange vor seiner Ankunft geendet hatte. Damit könnte er auch kein Verdächtiger werden.

Vielleicht hatte sie ihn aber auch nur falsch verstanden. Dennoch verspürte er nicht den Wunsch, sie noch einmal zu fragen. Dean hatte gesagt, dass die Serie beendet war, mehr musste ihn nicht interessieren.

„Agent Morgan hat übrigens im selben Zimmer geschlafen wie Sie.“

Ob es der einzige Raum war, den sie überhaupt sauber hielt? Jedenfalls konnte er sich nicht vorstellen, dass sie in ihrem Zustand zu mehr in der Lage war. Er sollte auf jeden Fall dazu beitragen, auch ein wenig zu putzen, um sich nicht mehr schuldig zu fühlen.

Offenbar war alles erzählt worden, denn Polly erhob sich wieder mühsam. „Ich werde uns etwas zu essen kochen, Mr. Coleridge. Sie haben doch bestimmt Hunger.“

Ein kurzer Blick auf die Uhr verriet ihm, dass es tatsächlich schon auf zwölf Uhr zuging. War er so lange unterwegs gewesen?

Diese verdammten verwirrenden Straßen!

„Ein wenig“, stimmte er zu. „Kann ich helfen?“

Polly lachte amüsiert. „Ich koche doch keine Elfen, Mr. Coleridge. Aber wenn Sie gerade Zeit haben, könnten Sie bitte die Rezeption und auch die Mikrowelle hier säubern.“

Da Murphy wirklich nichts zu tun hatte, machte er sich auch sofort an die Arbeit. Er reinigte die Mikrowelle, die im Regal hinter der Rezeption stand, dann machte er mit dieser weiter. Das einzige, was bei beiden allerdings anstand, war der Staub, der sich darauf niedergelassen hatte.

Dieser war schnell von ihm weggewischt worden, weswegen er nichts weiter zu tun hatte und er dann beschloss, Polly aufzusuchen.

Da er sie im Speisesaal nicht finden konnte, genausowenig wie in der damit verbundenen – und unbenutzten – Küche, beschloss er, einfach dem Geruch zu folgen, der sich langsam im Hotel auszubreiten begann. Es gab insgesamt vier Türen in den Gängen, die nicht in Zimmer führten, sondern nach draußen – und eine letzte, die mit gläsernen, undurchsichtigen Panelen besetzt war, führte in einen weiteren Bereich des Hotels.

Hier gab es neben einem weißen Sofa und mehreren Bildern an den Wänden auch zahlreiche Pflanzen. Ein kleiner Wintergarten, in dem stetig ein feiner Sprühnebel vorherrschte, beherbergte einige exotische Gewächse, deren Namen Murphy nicht einmal kannte. Es war so viel Grün, dass seine Augen fast schmerzten, ein kleiner roter Setzling zwischendrin bot die einzige angenehme Abwechslung.

Statt sich hier weiter aufzuhalten, ignorierte Murphy die Räume, bei denen Schilder verrieten, dass sie nicht für die Öffentlichkeit bestimmt waren und ging durch eine weitere Tür mit Glaspanelen.

Dahinter befand sich ein Esszimmer, das über einen eigenen Kamin verfügte, der im Moment aber nicht entzündet war. An den grau-blauen Wänden – mit hüfthohen hölzernen Armaturen – hingen Bilder, die eine Küche in einer mittelalterlichen Burg zeigten, aber daran hatte er im Moment kein Interesse. Sein Blick ging an dem großen Tisch vorbei, wanderte zu der Küchenzeile, die sich an der Wand entlangzog und in einer Hufeisenform diesen Essensbereich von dem innerhalb der Küche trennte.

Polly war gerade damit beschäftigt, etwas zu kochen – und es roch geradezu köstlich.

„Ah, Mr. Coleridge“, begrüßte sie ihn fröhlich. „Sie kommen gerade rechtzeitig, das Essen ist fertig. Sie haben doch hoffentlich Hunger.“

Den hatte er wirklich, genau wie die Hoffnung, dass es mindestens so gut schmeckte, wie es roch. Deswegen setzte er sich auch sofort und wartete darauf, dass sie die Teller füllte und ihm dann erzählte, was es möglicherweise noch für ihn zu tun gäbe.

Gerade jetzt, in diesem Moment, in dem ihn diese angenehme Wärme umgab, genau wie der Geruch des Essens, glaubte er, eine wirklich gute Entscheidung getroffen zu haben – und er hoffte weiterhin, dass er das nicht irgendwann bereuen müsste.

Kapitel 4: Ich verstehe ein bisschen was von Autos

Nach dem Essen hatte Polly ihm frei gegeben, was von ihm genutzt worden war, um endlich den Motor des Lincoln zu kontrollieren. Er war eine Weile nicht wirklich gewartet worden, also sollte er das demnächst übernehmen, sobald er herausgefunden hatte, wo sich hier eine Tankstelle befand. Danach hatte er sich bis zum Abendessen das Innere des Hotels angesehen – inklusive der kleinen Ausstellung im zweiten Stockwerk des Foyers, womit er allerlei Triviales über die Geschichte Greenvales gelernt hatte, nur nichts über das, was letztes Jahr geschehen war. Nach dem Abendessen hatte er ausgiebig geduscht, sich rasiert und sich dann der Karte gewidmet, um sich die Stadt so gut wie möglich einzuprägen.

Entsprechend gut vorbereitet fühlte er sich am nächsten Morgen, obwohl seine ersten Aufgaben nichts mit der Stadt selbst zu tun hatten. Der Himmel war tiefblau, so weit das Auge reichte, die Septembersonne schien hernieder, brannte aber nicht auf der Haut. Die Vögel zwitscherten, während Murphy hinter dem Hotel umerhlief, zwischen den Bäumen konnte er auch Eichhörnchen ausmachen, die erschrocken innehielten, sobald seine Füße den angelegten Weg berührten. Die Straßenlaternen, die es selbst hier gab, waren im Moment aus – bei Gelegenheit müsste er nachts hinaussehen, um herauszufinden, ob sie wirklich brannten oder nur zur Dekoration aufgestellt waren.

Bei allen Zimmern, an denen er vorbeikam, waren die Vorhänge zugezogen, abgesehen von seinem. Eine kleine Terrasse, die ihm beim Hinaussehen gar nicht aufgefallen war, befand sich direkt vor der Glastür, eine niedrige Ziegelmauer umgab den mit Holz getäfelten Bereich, vermutlich diente es der reinen Zierde, einen Eindringling könnte man damit jedenfalls nicht aufhalten.

Schließlich kam er zur hölzernen Restaurant-Terrasse auf der mehrere runde, weiße Tische mit jeweils vier Stühlen standen. Es war traurig, dass nichts davon genutzt wurde, vermutlich schon seit Jahren nicht mehr. Aber sie waren überraschend gut gepflegt.

Murphy ging auch sofort seiner ersten Aufgabe nach und begann damit, jeden Tisch und jeden einzelnen Stuhl sauberzumachen. Polly hatte ihm ein spezielles Pflegemittel mitgegeben, das ausgiebig zum Einsatz kam. Dennoch fiel ihm auf, dass die weiße Farbe von dem Metall abzublättern begann. Er würde der alten Dame vorschlagen, sie abzuschleifen und neu zu lackieren. Da es bereits September war, bräuchte sie die Außenmöbel auch erst einmal nicht mehr, also ließe sich das sicher einrichten.

„Dann kann ich mich auch wirklich nützlich machen“, murmelte er für sich.

Für ihre Hilfe wollte er sich auch wirklich revanchieren, nicht nur mit Alibi-Aufgaben. Wenn sie ihm also nicht wirklich etwas aufgab, musste er es sich suchen.

Nachdem er mit den Außenmöbeln fertig war, kontrollierte er die Bänke, die am Hotel standen, aber noch sehr gut aussahen. Jemand musste sie erst in diesem Jahr noch neu gestrichen haben. Was immer er auch von dieser Stadt hielt – wobei er ja noch nicht viel gesehen hatte –, die Einwohner schienen wirklich sehr hilfsbereit. Jedenfalls konnte er sich nicht vorstellen, dass Polly einen Maler oder Handwerker dafür bezahlt hatte. Es sah nicht so aus, als nähme sie mit diesem Hotel und ihrem guten Herzen sonderlich viel Geld ein.

Sein Weg führte ihn an zwei Gartenschuppen vorbei, in denen er sicherstellte, dass es einen Rasenmäher gab, damit er sich im Bedarfsfall um das hier wachsende Gras kümmern konnte. Er überprüfte sogar, ob er funktionierte, was er auch tat.

Jemand kümmert sich wirklich sehr gut um die alte Lady.

Dann ging er weiter, zum Steg hinüber, der zum See führte. Dort, wo sich der Steg gabelte, hielt er wieder inne und blickte auf das Gewässer hinaus. Das Sonnenlicht reflektierte sich auf der Oberfläche wie ein brechender Laserstrahl. Enten, die auf dem See landeten, und Fische, die immer mal wieder durch die Wasseroberfläche brachen, erzeugten kleine Wellen. Auf der anderen Seite des Ufers wuchsen Bäume soweit das Auge reichte. Die grünen Laubkronen wirkten wie ein eigenes Meer, mit einigen – wohl wegen des Herbstes – roten Punkten dazwischen, die wie blutende Wunden im Körper eines Riesen wirkten. Der Anblick war kein Vergleich zu jenem am schwarz wirkenden, leblosen See in Silent Hill, von dem stets Nebel aufgestiegen war, um die felsigen Ufer zu verbergen.

Murphy atmete tief ein, sog die frische Seeluft in seine Lungen, die kein Vergleich zu dem bot, was er an allen anderen Orten, an denen er je gewesen war, geatmet hatte.

Greenvale war perfekt, ein Ort, an dem man es sich wirklich gutgehen lassen konnte. Für einen Moment ertappte er sich dabei, wie er sich vorstellte, dass er für immer blieb – bis ihm wieder einfiel, dass es nur ein Arrangement auf Zeit war, da er ein entflohener Sträfling war.

Aber vielleicht wäre ein Neuanfang hier wirklich am besten.

Jedenfalls konnte er sich keinen besseren Ort dafür vorstellen als diese friedliche Stadt. Selbst die hier geschehene Mordserie war aufgeklärt und seitdem schien nichts Außergewöhnliches mehr zu passieren. Wo sollte man sich sonst niederlassen?

Murphy lief den Steg ab, prüfte das Holz erst mit den Füßen und dann mit den Händen, nur um sicherzugehen, dass keines von ihnen verfault war. Doch Bretter und Balken waren noch vollkommen intakt, kein Grund zur Sorge.

Ein Blick ins Bootshaus offenbarte ihm ein kleines Ruderboot, mit dem vermutlich Touristen früher Touren unternommen hatten. Das bot einen ganz eigenen Charme.

Als er auch damit fertig war, fegte er einige abgefallene Blätter auf dem Parkplatz zusammen, ehe sich diese noch zu einem Problem entwickeln könnten. Dabei lauschte er auf die nicht weit entfernte Straße und stellte wieder einmal fest, dass hier nicht sehr viele Autos vorbeifuhren. Für einen Urlaubsgast war das sicher ein Paradies. Und für einen flüchtigen Gefangenen auch.

Nachdem auch diese Aufgabe fertig war, aß er gemeinsam mit Polly in ihrem Esszimmer wieder zu Mittag. Hier saßen sie auch nicht so weit voneinander entfernt wie im Speisesaal, wo sie am ersten Tag das Frühstück eingenommen hatten.

Während des köstlichen Essens (Polly war eine begnadete Köchin), hielt die Hausdame plötzlich inne und blickte Murphy bittend an. „Oh, Mr. Coleridge. Dürfte ich Sie darum bitten, heute Nachmittag etwas für mich zu erledigen?“

„Natürlich, Polly.“

„Oh, Tücher benötige ich keine.“ Sie lächelte nachsichtig. „Nein, wir benötigen Lebensmittel. Lilly Ingram liefert sie mir normalerweise, aber wenn ich jetzt Sie hier habe, Mr. Coleridge ...“

„Ich mache es“, versicherte er ihr sofort, dankbar dafür, dass er Gelegenheit bekam, sich zu bedanken und seine neu gewonnen Kenntnisse der Straßenkarte einzusetzen. „Falls es Sie nicht stört, würde ich dann auch gleich bei der Tankstelle vorbeisehen. Der Lincoln sollte gründlich durchgecheckt werden.“

Was er mit dem notwendigen Werkzeug auch selbst tun könnte. Hier im Hotel gab es das bestimmt nicht, also wäre die Tankstelle besser geeignet – dachte er, aber Polly schien da etwas ganz anderes einzufallen: „In dem Fall sollten Sie auf Lysanders Schrottplatz vorbeisehen. Er kennt sich wirklich mit Autos aus. Dank ihm läuft der Wagen auch noch.“

Er erinnerte sich daran, diesen auf der Karte gesehen zu haben, war aber nicht auf den Gedanken gekommen, dass er es dort genauso gut machen könnte. Aber eigentlich war es eine gute Idee.

Nachdem er zugestimmt hatte, dass er das machen werde, riet Polly ihm, erst zu Lysander und dann zur Milk Barn zu gehen. „Über Mittag hat die Milk Barn ohnehin geschlossen. Sagen Sie dort einfach, dass Sie von mir geschickt wurden und ich das Übliche benötige.“
 

Also war Murphy nach dem Essen schon wieder unterwegs. Aber er genoss das Gefühl des Motors, der das gesamte Fahrzeug zum Vibrieren brachte, lauschte entzückt den Motorengeräuschen und war besonders gespannt darauf, was dieser Lysander für ein Mensch war, wenn er in dieser Stadt einen Schrottplatz unterhielt. Er erinnerte sich an das Aussehen auf der Karte und wunderte sich vor allem darüber, dass er derart riesig war. Wie viel Schrott konnte in einer Stadt wie dieser denn schon anfangen?

„Vielleicht sammelt er schon eine Weile“, murmelte er.

Diesmal fiel es ihm, dank seines Lernens, leichter, den richtigen Weg zu finden. Er folgte erst der Straße am See, bis er über die Brücke gefahren war, dann bog er links ab und folgte immer dieser Straße. Wenn es derart einfach war, gab es auch keinerlei Problem, sich nicht zu verfahren.

Dennoch sah die Tankanzeige noch gut aus. Vielleicht fuhr er auf dem Rückweg trotzdem an der Tankstelle vorbei. Da er wohl noch eine Weile blieb (vielleicht sogar für immer?), wäre es nur höflich, alle wichtigen Geschäfte einmal zu besuchen.

Nach einem Grundstück, auf dem gerade gebaut wurde, machte die Straße eine Kurve nach rechts, der er weiterhin folgte, bis er am Schrottplatz ankam – und erst vor den Toren erkannte, wie riesig der Platz eigentlich wirklich war.

Unzählige Autos standen in Reih und Glied, teilweise auch übereinander, auf diesem Platz, aber sie waren nicht mehr vollständig. Jemand hatte sie ausgeschlachtet, ihre Reifen entfernt, die Motoren ausgebaut und von den einst stolzen Fahrzeugen nur noch das Gerippe übrig gelassen. Bei manchen existierten zumindest noch Fenster oder Windschutzscheiben, andere trugen spinnennetzartige Risse auf dem Glas, den meisten fehlte das einfach – nur ganz wenig Glückliche hatten noch sämtliche Scheiben. Es waren die unterschiedlichsten Automarken vertreten: Buick, Chevrolet, Dodge, Ford, ja er entdeckte sogar einen japanischen Toyota und einen deutschen VW unter den traurigen Überresten.

Murphy war derart fasziniert von diesem Anblick, dass er einen Moment benötigte, bis ihm auffiel, dass auch ein Gebäude auf diesem Schrottplatz stand. Im Schatten davor saß ein Mann mit verschränkten Armen auf einem billig aussehenden Liegestuhl. Beim Näherkommen bemerkte Murphy erst das schneeweiße Haar und den farblosen Bart, der das markante faltige Gesicht zierte und nur die Strenge unterstrich – obwohl die dunkelgrüne Army-Uniform, die er trug, eigentlich schon mehr als genug Autorität ausstrahlte.

Als Murphy nah genug bei ihm war, begann der Mann mit rauer Stimme zu sprechen: „Falls du ein Auto willst, vergiss es. Ich hab grad keines.“

„Glücklicherweise brauche ich auch keines“

„Ach nein?“ Der Mann musterte ihn skeptisch. „Siehst aber aus wie ein Flüchtling.“

Murphy überkam das Gefühl, dass jemand sein Innerstes durch Eiswasser ersetzt hatte. War es derart offensichtlich für diesen Mann, dass er auf der Flucht war? Sollte er es abstreiten? Es zugeben?

Während er noch in diese sich jagenden Gedanken vertieft war, sprach der Mann weiter: „Ein Fahnenflüchtling, meine ich. Siehst aus wie einer aus meiner Einheit, der vor dem Vietcong abgehauen ist. Haben ihn wieder eingefangen und ihm die Zehen abgeschnitten – weil sie verfault waren, nicht als Strafe.“

Murphy gab sich Mühe, sich seine Erleichterung nicht anmerken zu lassen und lenkte das Gespräch lieber auf ein anderes Thema: „Sie waren in Vietnam?“

„Natürlich!“ Der Mann klopfte sich mit einer Faust auf die Brust. „General Lysander sitzt vor dir, Hasenfuß! Das ganze Gebiet hier steht unter meinem Kommando. Was will ein Hasenfuß wie du hier?“

Murphy deutete über seine Schulter. „Ich habe draußen ein 76er Lincoln Town Car Coupe stehen.”

„Den Wagen von Polly?“

Stimmt, er erinnerte sich daran, dass Polly davon gesprochen hatte, dass Lysander sich um das Auto kümmerte. Also erklärte er auch dem General rasch, wie er zu Polly gekommen war und dass er ihre Freundlichkeit irgendwie zurückzahlen wollte. „Ich verstehe ein bisschen was von Autos, hab früher hobbymäßig an einigen herumgeschraubt. Deswegen wollte ich den Lincoln auch nochmal unter die Lupe nehmen.“

Dass die Möglichkeit bestand, dass Lysander sich davon angegriffen fühlen könnte – immerhin übte er damit Kritik an dessen Fähigkeiten zur Wartung – fiel ihm erst ein, nachdem er das gesagt hatte. Glücklicherweise durfte er allerdings seine Zehen behalten, Lysander erhob sich lediglich schwerfällig.

Aufrecht stehend flößten seine breiten Schultern Murphy noch wesentlich mehr Respekt ein. Aber er wich nicht zurück. In Silent Hill hatte er gegen Monster gekämpft und sich dem Bogeyman gestellt, wie sollte ein menschlicher General aus dem Vietnam-Krieg ihm da noch Angst machen?

Lysander musterte ihn eingehend von oben bis unten, blickte Murphy direkt in die desinteressierten Augen, dann schnaubte er. „Okay, Hasenfuß. Ich leih dir mein Werkzeug. Fahr den Wagen rein, ich will sehen, was du draufhast.“
 

Wäre er Lysander vor seinem Gefängnisaufenthalt oder seinem unfreiwilligen Besuch in Silent Hill getroffen, hätte er mit Sicherheit zumindest ein wenig gezittert und den Blick abgewandt. Hätte er mit dem aufmerksam lauernden Blick des Generals über seine Schulter im Motorraum gearbeitet, wäre ihm sicher immer wieder das Werkzeug aus der unsicheren Hand geglitten.

Aber so gelang es dieser Situation nicht, ihn aus dem Gleichgewicht zu bringen. In aller Ruhe hatte er den Motor überprüft, den Ölstand gemessen, Kühlflüssigkeit nachgefüllt, und bei jedem Handgriff hatte er sich vollkommen in seinem Element gefühlt. Selbst wenn ein Screamer hinter ihm gestanden hätte, wäre er davon nicht im Mindesten beeinflusst worden.

Schließlich reinigte er das benutzte Werkzeug und legte es so ordentlich wie möglich wieder an den ihm bestimmten Platz, dann schloss er den signalroten Werkzeugkasten und reichte ihn Lysander zurück.

„Danke. Der Wagen sieht wirklich gut aus.“

Der General nahm den Kasten wieder an sich, seine Mimik verriet nichts von dem, was er dachte, aber seine Worte waren dafür umso deutlicher: „Du gibst einen guten Mechaniker ab, Hasenfuß. Wenn es hier mehr zu tun gäbe, hätte ich einen Job für dich.“

Murphy winkte rasch ab. „Danke, ich bin schon bei Polly beschäftigt.“

Aber wenn er längere Zeit in der Stadt blieb, war das ein wirklich attraktives Angebot. Bei Gelegenheit sollte er darauf zurückkommen – sofern es mal mehr in der Stadt zu tun gab.

„Passen Sie gut auf die Lady auf, Hasenfuß. Verstanden?“ Er reichte Murphy die Hand, dieser schlug gedankenlos ein – und wurde im nächsten Moment mit festem Griff etwas näher an Lysander herangezogen. Der Atem des Generals roch nach billigen Zigaretten und nicht minder billigem Whisky, sein Blick war stahlhart. „Ich werde nicht dulden, dass Sie in dieser Stadt Ärger machen, verstanden?“

„Absolut.“

Zum Glück war etwas Derartiges von ihm nicht einmal im Mindesten geplant.

Endlich ließ Lysander ihn wieder los, die Zirkulation kehrte in sein Handgelenk zurück. Der General ließ sich in seinen ächzenden Liegestuhl fallen. Er verabschiedete sich nicht, beachtete Murphy aber auch nicht mehr, was dieser als Zeichen nahm, dass er gehen könne.

Wieder im Wagen rief er sich die Karte ins Gedächtnis. Er hoffte, dass er sie sich gut genug gemerkt hatte und folgte der Straße weiter, bis diese sich gabelte und er rechts abbog. In Gedanken ging er bereits durch, dass er bis zur Hauptstraße fahren müsste, da kam er an die nächste Gabelung – und hielt überrascht inne. Vorsichtshalber fuhr er den Wagen an die Seite und stieg wieder aus, dann ging er näher, um sich das, was ihn derart erstaunte, genauer anzusehen.

Neben einem verlassenen, teils verfallenen Haus, das von Efeuranken überwuchert war, wuchs ein Baum, wie Murphy ihn noch nie gesehen hatte, jedenfalls nicht in der Realität. Er erinnerte sich, dass Valeria einen solchen gemalt hatte, aber ihn wirklich zu sehen war eindrucksvoll. Der gesamte Baum war tiefrot, nicht nur die Blätter, die wie überhängende, gefrorene Blutstropfen anmuteten, sondern auch der Stamm und die Kerne, die zahlreich auf der Erde verstreut lagen. Fast hätte man meinen können, jemand sei an diesem Ort ermordet worden.

In Silent Hill hatte Murphy bereits pechschwarze Bäume gesehen, deren kahle Äste sich wie knorrige Finger in den Himmel gestreckt hatten, während die Rinde Muster aufwies, die einen glauben ließen, der Baum selbst schreie – aber vor keinem von diesen war er derart fasziniert und gleichzeitig doch furchtsam stehengeblieben, um ihn so anzustarren, wie er es im Moment tat.

In keiner anderen Stadt war ihm ein derartiger Baum je untergekommen. Und laut Valeria gab es noch mehr von diesen hier in Greenvale und keiner der Einwohner wollte über sie sprechen.

„Was sind das für Bäume?“, murmelte er.

Seine Frage verwehte ungehört im Wind, der in diesem Moment durch den Garten fegte und weitere Kerne herabregnen ließ wie ein Schwall von Blut.

Kapitel 5: Ein hübscher Hund

Es fiel Murphy schwer, nicht mehr ständig diesen Baum vor Augen zu haben. Selbst als er wenige Minuten später bereits auf dem fast leeren Parkplatz der Milk Barn hielt, war da immer noch der Anblick dieses viel zu roten Baumes vor seinem inneren Auge. Er drehte den Schlüssel, um den Motor auszuschalten und der bis dahin vibrierende Wagen kam zur Ruhe.

Er saß still da, den Blick auf die Wand des Geschäfts gerichtet. Mehrere Poster waren dort angebracht, sie bewarben allesamt die Eröffnung einer Galerie, die wohl in dieser Stadt sein musste, aber im Moment konnte Murphy sich nicht daran erinnern. Vielleicht war ihm doch noch nicht die gesamte Karte der Stadt in Fleisch und Blut übergegangen. Ein Münztelefon war ebenfalls an der Wand angebracht, was dem Laden eine gewisse Gemütlichkeit verlieh.

Es ist wirklich so, als wäre hier die Zeit stehengeblieben, stellte Murphy wieder einmal für sich fest. Hoffentlich ist das hier nicht nur einfach ein Traum.

Andererseits … wenn er an diesen Baum dachte …

Es dauerte einen langen Augenblick, in dem Murphy das Blut in seinen Ohren rauschen hörte, ehe die Erinnerung an diesen Baum endlich so weit in den Hintergrund zu rücken gedachte, dass er sich wieder sicher genug fühlte, um das Auto zu verlassen. Inzwischen bedeckten graue Wolken den Himmel, aber es sah noch nicht nach Regen aus. „Ich sollte dennoch sicherstellen, dass ich immer einen Regenschirm mit mir führe, wenn ich unterwegs bin.“

Würde er die Unsitte, sich selbst etwas zuzumurmeln, irgendwann auch noch aufgeben?

Während er den Blick über den verlassenen Parkplatz schweifen ließ, fielen ihm zwei Dinge auf: Selbst hier, mitten in der Stadt, gab es kaum Verkehr, und zweitens war der Parkplatz gar nicht so verlassen, wie er zuerst angenommen hatte.

Zwei blonde Jungen, die etwa in Charlies Alter sein dürften, waren ebenfalls hier und spielten mit einem Dalmatiner, der immerzu fröhlich um sie herumlief. Ausgehend von der Ähnlichkeit der beiden, sowie ihrer Kleidung, die sich nur in ihrer Farbe voneinander unterschied, nahm Murphy an, dass sie Zwillinge sein mussten – aber der Anblick machte ihn nervös.

Automatisch sah er sich nach einem Van um, der sich Mühe gab, möglichst unauffällig zu sein, nur zufällig in der Nähe abgestellt worden zu sein, und in dem es natürlich keinerlei Süßigkeiten oder Seile oder Klebeband gab. Sein Herz hämmerte derart laut in seinen Ohren, dass er davon ausging, dass jeder es hören musste. Jeder würde zu ihm sehen, mit dem Finger auf ihn zeigen und wissen, was er getan hatte. Fast schon war er überzeugt, hinter sich die schweren Schritte des Bogeyman zu hören.

Doch er fand keinen Van. Niemand achtete auf seinen verräterischen Herzschlag. Und natürlich war der Bogeyman nicht hier. Nur die Jungen, der Hund und er standen auf diesem Parkplatz.

Diese Erkenntnisse halfen ihm, sich wieder zu beruhigen, aber er war noch nicht ganz davon überzeugt, dass die beiden Kinder hier sicher waren. Er ging zu ihnen hinüber, lächelte dabei und hoffte, dass der Hund nicht zu bellen anfangen würde.

Schon nach wenigen Schritten bemerkten alle drei seine Anwesenheit. Die Jungen begannen leise miteinander zu flüstern, während der Dalmatiner sich ihm zuwandte – und aufgeregt mit dem Schwanz wedelte.

„Ein hübscher Hund“, sagte Murphy, als er bei diesem angekommen war und ihm über den Kopf streicheln konnte. „Gehört er euch?“

Eigentlich hatte er absolut keine Ahnung von Hunden – oder Tieren allgemein – aber das war der beste Weg, um mit ihnen in ein Gespräch zu kommen.

Die Zwillinge wandten sich einander zu, die Hände vor den Mund haltend. Sie schienen sich wieder flüsternd zu unterhalten, aber da Murphy absolut nichts von ihnen hörte, war er sich da nicht sicher.

Um sie nicht anzustarren, sah er sich den Hund genauer an. Es war ein Dalmatiner, wie er bereits festgestellt hatte, genau wie man sich einen solchen auf einem Feuerwehrauto vorstellte: schlanker Körper, weißes Fell mit unregelmäßigen schwarzen Flecken, schwarze Ohren, schwarze Nase, heraushängende Zunge, rotes Halsband. Das eigentlich Außergewöhnliche waren auch die Augen, wie Murphy fand. Selbst auf seinen ersten Blick sahen sie nicht … normal aus. Er glaubte, in Dunkelheit zu starren, in abgrundtiefe Finsternis, die angefüllt war mit altem Wissen, das den Menschen schon lange abhanden gekommen war, wenn sie es überhaupt je besessen hatten. Und während er hineinstarrte, glaubte er, die Augen starrten auch in ihn zurück, erfuhren alles über ihn, egal wie sehr er es zu verstecken versuchte. Hatte er so etwas jemals gespürt?

„Sein Name ist Willie.“ Die klare Stimme eines Zwillings riss ihn unvermittelt aus seiner Trance heraus. „Aber er wohnt nur bei uns.“

Murphy riss sich von den Augen los und sah die Jungen an, mit einem plötzlichen Gefühl der Entblößtheit in seinem Inneren, das er auf diese Art wirklich noch niemals gespürt hatte. Nicht einmal in Silent Hill, obwohl die Stadt alles über ihn gewusst zu haben schien.

„Er wohnt nur bei euch?“ Es kam ihm vor als sei seine Zunge taub geworden, als erforderte es unheimlich viel Anstrengung, zu sprechen oder auch nur diesen Satz in Gedanken zu formen.

Der Junge mit dem blauen Karohemd nickte. „Eigentlich gehört er Mr. Kaysen. Aber weil er weg musste, kümmern wir uns um Willie.“

Der Hund gehörte im Grunde also nicht einmal zur Familie. Murphy sah wieder nach unten, wappnete sich gegen die Finsternis – aber jetzt blickte er nur noch in die dummen, aber treuherzigen Augen eines einfachen Hundes. Vollkommen ungefährlich.

Ich werde wohl wirklich paranoid.

Diese Erklärung gefiel ihm jedenfalls um einiges besser als jene, dass etwas mit diesem Tier nicht mit rechten Dingen zuging. Vielleicht könnte er so auch rasch wieder dieses furchtbare Gefühl vergessen.

Er wandte sich wieder den Jungen zu. „Was macht ihr so ganz allein hier?“

Einer der beiden, der im grünen Hemd, deutete zum Laden hinüber. „Mama und Papa arbeiten hier. Wir sind immer hier.“

Also gehörte den Eltern der Laden, vermutete Murphy. War es trotzdem sicher, die beiden hier einfach spielen zu lassen? Waren diese Stadt und ihre Bewohner ungefährlich genug dafür?

Ich weiß so gut wie nichts über diese Leute hier, ermahnte Murphy sich. Vielleicht sollte ich einfach Pollys Sachen holen und dann wieder zurück gehen.

Dennoch verharrte er noch für einen langen Moment vor den beiden Zwillingen, die ihn ignorierten und wieder mit Willie zu spielen begonnen hatten. Er sollte wirklich gehen, durchfuhr es ihn, bevor er am Ende noch verdächtigt wurde, ihnen etwas antun zu wollen.

„Viel Spaß noch, Jungs. Seid vorsichtig.“

Ein letztes Mal wandten sie ihm ihre Aufmerksamkeit zu und nickten gleichzeitig, dann widmeten sie sich wieder Willie, der bereits aufgeregt mit einem seltsam quietschenden Spielzeug im Maul um sie herumlief.

Murphy wandte sich derweil ebenfalls ab und ging zur Eingangstür des Ladens. Im Inneren wurde er nicht nur von der Sauberkeit überrascht, sondern auch von der angenehmen Temperatur und dem wohltuenden Geruch. Es roch nach frischem Obst, Gemüse, Leben!

Murphy fühlte sich auf eine unbekannte Weise neu vitalisiert, sämtliche finstere Gedanken verschwanden vorläufig aus seiner Erinnerung – doch zumindest einer von ihnen kehrte augenblicklich zurück, als er eine Stimme neben einem der Regale hörte: „Man sollte es wirklich nicht glauben. Dieser junge Mann wohnt jetzt wohl bei Polly. Können Sie das fassen?“

Nicht die Tatsache, dass er gemeint war, lenkte seine Aufmerksamkeit darauf, sondern die bekannte Stimme. Es war die Apothekerin, Zandra Clark, der er am Vortag begegnet war. Er konnte sie nicht sehen, da sie wohl kleiner war als das Regal hinter dem sie stand, aber ihre Stimme war eindeutig. Neben ihr stand eine Person, von der er zumindest das helle Haar sehen konnte, was ihm auch verriet, dass sie immer wieder nickte, allerdings wirkte es ein wenig desinteressiert. Die andere Person war wohl nicht so angetan von dem Gespräch.

Statt sich selbst bemerkbar zu machen, umging Murphy dieses Regal und trat stattdessen direkt an den Tresen, auf dem die Kasse stand. Alles in allem wirkte dieser Laden, auch von seiner Größe her, nicht wie ein Supermarkt, sondern eher wie irgendein anderer Laden.

Das ist der Charme der Kleinstadt.

Die Person hinter dem Tresen konnte er so allerdings nicht erklären. Er war auf den ersten Blick als Rockfan identifizierbar, nicht nur wegen dem Luftgitarren-Auftritt, den er gerade darbot. Nein, die schwarze Lederjacke und seine an Elvis erinnernde Frisur taten ihr Übriges dazu. Aber auch wenn Murphy im ersten Moment die Stirn runzelte, entspannte er sich gleich darauf wieder. Ein skurriler Verkäufer war ihm allemal lieber als ein mysteriöser Postbote oder noch mehr kreischende Frauen – oder jemand wie Sewell.

„Hey, Mann!“, sagte der Rockfan, nachdem er endlich mit seinem Auftritt fertig war. „Was kann ich für dich tun?“

Selbst wenn er sprach, schien er eher singen zu wollen, aber seiner Stimme fehlte das Samtige, das Elvis derart groß gemacht hatte. Glücklicherweise war Murphy aber nicht als Musikkritiker hier.

„Mrs. Polly Oxford schickt mich“, antwortete er. „Ich soll für sie die Lebensmittel abholen.“

Der Rockfan wirbelte mit den Armen und zeigte dann mit beiden Händen zur Seite, weiter in den Laden hinein. „Da musst du meine Frau fragen, Mann. Das gehört zu ihren Aufgaben.“

Murphy versuchte die beiden ruhigen Zwillinge auf dem Parkplatz mit diesem Mann in Einklang zu bringen, aber es gelang ihm nicht wirklich.

Statt es weiter zu versuchen, nickte er dem Rockfan dankbar zu und ging an den spärlichen Regalen und den anderen Kunden vorbei, bis er – schon nach überraschend wenigen Schritten – ganz hinten im Laden stand, direkt vor einer großen Auslage, die mit Obst und Gemüse gefüllt war. Ein darüber angebrachter schräger Spiegel ließ den Eindruck entstehen, dass es noch wesentlich mehr gab als nur jene Dinge, die auch wirklich greifbar waren.

Eine Frau war gerade dabei, das Obst aufzufüllen – einige Äpfel waren wohl schon gekauft worden –, es dauerte einen Moment, bis Murphy sie erkannte, aber dann erinnerte er sich tatsächlich daran, dass sie ihm von diesem Job erzählt hatte.

Es war vermutlich unhöflich und auch unheimlich, hier einfach herumzustehen und sie anzustarren, deswegen grüßte er sie lieber: „Hey, Val.“

Sie hielt in ihrer Tätigkeit inne und wandte ihm den Kopf zu. Ihr Pferdeschwanz flog dabei förmlich zur Seite. Im Gegensatz zu ihm erkannte sie ihn sofort, sie lächelte. „Hey, Charlie. Sie haben sich aber nicht viel Zeit damit gelassen, mich zu besuchen.“

Sie legte den letzten Apfel an seinen Platz, dann wandte sie sich ihm ganz zu, eine Hand in die Hüfte gestemmt, der andere Arm fiel locker herab, so dass diese Hand auf der fleckigen Schürze zur Ruhe kam. „Hast du dich schon eingelebt?“

„Ich bin gerade dabei.“ Murphy deutetet zum Tresen zurück. „Sie sind aber nicht mit Elvis verheiratet, oder?“

Valeria blinzelte verwirrt, dann folgte sie seinem Fingerzeig und erkannte, wen er meinte.

„Nein, nein“, erwiderte sie lachend. „Ich bin nicht mit ihm verheiratet, er ist nur mein Boss. Na ja, eigentlich ist Lilly unser Boss. Sie ist Keiths Frau.“

Also hieß dieser Rockfan Keith. Murphy beschloss, sich das zu merken.

„Und die Zwillinge auf dem Parkplatz?“

„Isaach und Isaiah? Die Kinder von Keith und Lilly.“

„Sie kommen nach der Mutter, oder?“

Valeria lachte wieder, diesmal sogar ein wenig länger als zuvor. „Ich würde eher sagen, sie kommen nach ihrem Großvater. Aber die Familie ist wirklich sehr nett. Also ist es eigentlich egal.“

Da er keinen von ihnen wirklich kannte, konnte er nicht widersprechen. „Ist es sicher, die beiden ohne Aufsicht draußen spielen zu lassen?“

Valerias darauf folgendes Lächeln hatte etwas Bemitleidendes, etwas Herabsehendes in sich. Als wolle sie jeden Moment „Du weißt gar nichts, Charles Coleridge“ sagen. Stattdessen kam von ihr aber eine Erklärung: „Greenvale ist wirklich eine ruhige Stadt. Und jeder kennt jeden, hier passiert ihnen nichts.“ Dann, nach kurzem Zögern, fügte sie noch etwas hinzu: „Nun, Sie kennt man hier natürlich nicht. Aber ich nehme nicht an, dass Sie die Kinder entführen wollen.“

Sie lachte gleich darauf. Eigentlich wollte er sie auf die Ernsthaftigkeit dieses Themas hinweisen, aber dann hätte er möglicherweise über seine Vergangenheit reden müssen, was er vermeiden wollte – besonders da er plötzlich die neugierigen Blicke der anderen Kunden auf sich spürte. Darunter war auch der von Zandra, die damit beschäftigt schien, sich nicht über seine Anwesenheit aufzuregen. Hielt sie ihn immer noch für einen Gigolo?

Diese Aufmerksamkeit wurde Murphy bald unangenehm, aber genau in diesem Moment öffnete sich eine schwer aussehende Tür an der Wand, die wohl ins Lager führte, und eine Frau trat herein. Er wusste sofort, dass es sich um die Mutter der Zwillinge handeln musste. Sie hatte dasselbe blonde Haar, trug es allerdings schulterlang, und ihr Gesicht strahlte Mütterlichkeit aus, wie es ihm vorkam. Genau wie Valeria trug sie eine fleckige Schürze um die Hüfte, aber ihr weißes Hemd war sauber. Sie lächelte Murphy zu als wolle sie ihm eine Tasse Kakao anbieten, was aber natürlich nicht geschah.

„Oh, Schätzchen, kann ich dir helfen?“ Ihre Stimme klang ein wenig rau, aber auch lieblich, genau wie Murphy sich die Stimme einer Mutter immer vorgestellt hatte.

Da er nichts sagte, während sie auf ihn zukam, führte sie das Gespräch einfach fort: „Ich habe dich hier noch nie gesehen. Oh! Schickt Polly dich etwa?“

Er glaubte, ein kollektives erschrockenes Einatmen zu vernehmen, lediglich Valeria lächelte noch immer und Zandras Blick schien Blitze zu verschießen.

„Polly schickt mich wegen der Lebensmittel“, ergriff er schließlich das Wort.

„Wir haben schon alles für sie vorbereitet.“ Die Frau, die Lilly sein musste, wandte sich Valeria zu. „Val, Schätzchen, hol doch bitte die Tüten aus dem Kühlraum und hilf ihm sie zum Auto zu bringen.“

Die Angesprochene nickte und huschte davon. Lilly wandte sich derweil Murphy zu, der sich ohne die einzige Person, die er in diesem Laden kannte, plötzlich einsam und verlassen fühlte.

„Ich bin Lilly Ingram.“ Sie ließ ihm nicht viel Zeit dafür, sich in diesem Gefühl zu suhlen. „Polly hat mich angerufen und von dir erzählt. Charles Coleridge, nicht?“

„Richtig.“

„Schön, dass es dich hierher verschlagen hat.“ Es klang wirklich als freue Lilly sich. „Greenvale wird dir bestimmt gefallen. Ich wohne schon mein ganzes Leben hier.“

Er erwähnte lieber nicht, dass er eigentlich nur für kurze Zeit hatte bleiben wollen. Vielleicht änderte er seine Meinung ja doch noch …

„Bislang sieht es wirklich nach einer schönen Stadt aus“, bestätigte er. „Schön friedlich.“

Und war genau das nicht etwas, nach dem sich jeder sehnte? Er zumindest auf jeden Fall, besonders nach allem, was er erlebt hatte.

Lilly lächelte stolz, als hätte sie die Stadt höchstpersönlich errichtet. Eigentlich war das schon richtig … süß.

Ehe er das unfreiwillig zum Ausdruck brachte, damit er nicht doch noch nach seiner Vergangenheit gefragt wurde, kehrte Valeria mit zwei schwer aussehenden braunen Papiertüten in den Armen zurück. Murphy nahm ihr rasch eine ab, wofür sie sich lächelnd bedankte.

Lilly nickte den beiden zu. „Polly hat schon dafür gezahlt, also schuldest du uns nichts, Schätzchen. Sag ihr schöne Grüße, und dass ich mit den Jungs bald mal wieder vorbeikomme.“

Ich hatte also recht, man kümmert sich hier wirklich gut um Polly.

Er versicherte, dass er das tun würde, dann verabschiedete er sich knapp, um gegenüber Valeria nicht so unhöflich zu sein. Gemeinsam verließen sie den Laden, aber er fühlte nach wie vor die brennenden Blicke der Neugier in seinem Rücken. Erst als sie um die Ecke bogen und er den Lincoln sehen konnte, wurde es wieder besser. Etwas weiter entfernt spielten die Zwillinge immer noch mit Willie, der inzwischen aufgeregt kläffte.

„Oh, Sie sind wieder mit dem Lincoln unterwegs~.“ Valeria seufzte. „Und wir haben wieder keine Zeit für eine Spazierfahrt.“

Murphy verstaute die Tüten vorsichtig im Wageninneren, für den Fall, dass etwas Zerbrechliches darin sein mochte. „Ich muss den Wagen demnächst auch tanken. Wenn Sie wollen, nehme ich Sie dann einmal mit. Wir müssten nur einen Zeitpunkt vereinbaren.“

Voller Vorfreude begann ihr Gesicht zu strahlen. „Oh ja~. Wie wäre es mit übermorgen? Da hätte ich frei. Wir könnten uns an der Apotheke treffen, ich zeige Ihnen den Weg zur Tankstelle und danach gehen wir noch etwas essen – auf meine Rechnung natürlich.“

Zur Tankstelle fände er sicher auch allein, aber er wusste ihren Einsatz zu schätzen, deswegen widersprach er nicht. „Okay. Wie wäre es gegen zwei?“

Dann könnte er bei Polly essen, mit Valeria eine Weile herumfahren und dann auch schon mit ihr etwas essen gehen. Das sollte in Ordnung gehen, wie er hoffte.

„Klingt gut“, urteilte sie.

Es kam ihm vor, als wollte sie sich verabschieden – natürlich, sie musste ja wieder zur Arbeit – aber er hielt sie dennoch davon ab, indem er ihr das Wort abschnitt: „Ich habe einen der roten Bäume gesehen.“

Für einen Moment sah es aus, als hätte sie das nicht einmal registriert, sie sagte nichts. Aber gerade als er zu einer Erklärung ausholte, erwiderte sie doch etwas: „Das ging schnell. Bei mir hat es eine Weile gedauert, bis ich sie erstmals wirklich registriert habe. Sie sind sehr ungewöhnlich, nicht?“

„Ich konnte mich kaum davon losreißen.“

„Ich wünschte, ich wüsste mehr darüber.“ Sie seufzte. „Warum will nur niemand darüber reden?“

„Gute Frage.“ Obwohl Murphy es durchaus verstehen konnte. Ihm schauderte immer noch ein wenig, wenn er daran zurückdachte.

Aber wichtiger war: Weswegen übten diese Bäume einen gänzlich anderen Effekt auf Valeria aus?

Er wollte sie nicht darauf ansprechen, das war gerade nicht der richtige Moment dafür, und vermutlich wusste sie es selbst auch nicht so recht, also wäre ein Gespräch darüber sehr müßig.

„Dann will ich Sie nicht länger von der Arbeit abhalten“, sagte er. „Bis übermorgen.“

Sie verabschiedete sich ebenfalls und ging dann davon, um ihre Arbeit fortzusetzen. Er sah ihr hinterher, bis sie um die Ecke gebogen war.

Erst als das letzte rote Haar ihres Pferdeschwanzes nicht mehr zu sehen war, setzte er sich wieder ins Auto. Gerade als er den Schlüssel im Zündschloss drehen wollte, spürte er wieder einen unangenehmen brennenden Blick auf sich. Stärker als der von Zandra oder einem neugierigen Stadtbewohner.

Mühevoll – sein Kopf war plötzlich so furchtbar schwer – löste er die Augen vom Lenkrad und sah auf den Parkplatz hinaus. Dort sah er wieder nur die Zwillinge, die sich gerade flüsternd miteinander unterhielten; Willie saß da und starrte Murphy über die Entfernung und durch die Fensterscheibe hindurch an. Seine Augen waren unheilvoll, finster, unergründlich, genau wie zuvor.

Ein kalter, unsichtbarer Finger strich über Murphys Wirbelsäule, den ganzen Rücken hinab und hinterließ nur eine Gänsehaut.

Nur mit einer Mühe, die eine enorme Müdigkeit über ihn brachte, gelang es ihm, sich aus dieser Trance zu lösen. Er startete den Wagen und fuhr davon, ohne auf den restlichen Verkehr zu achten, nur um diesem Bann zu entkommen und den Hund endgültig hinter sich zu lassen.

Glücklicherweise war die Straße vollkommen leer, wie ihm aber erst bewusst wurde, als er schon mehrere Kilometer von der Milk Barn entfernt war. Kalter Schweiß stand auf seiner Stirn, sein Magen fühlte sich flau an, als würde er krank werden.

Was ist das nur für ein Hund?, war die Frage, die ihm gerade im Kopf herumspukte.

Aber eigentlich gab es da doch eine wesentlich wichtigere, wenn er da an die Geschichte des Regenmantelmörders und die roten Bäume dachte: Was ist nur in dieser Stadt los?

Kapitel 6: Ich sehe nur gern Krimis

Der See, an dem das Hotel lag, war vollkommen von grauem Nebel bedeckt. Er hing wie eine schwere Decke über dem Wasser, das im Kontrast dazu schwarz war. Es sah gefährlich aus, als könnte alles darin lauern – oder auch gar nichts.

Murphy stand auf dem Steg des Hotels und sah auf den See hinaus. Der Wald am jenseitigen Ufer war nicht zu erkennen, alles war von dem Nebel verschluckt worden und es schien ihm gerade ungewiss, ob es jemals wieder in Freiheit käme und damit entdeckt werden könnte. Das Wasser schwappte sanft gegen das Ufer und erzeugte dabei leise, schmatzende Geräusche, die nach einem unbekannten Monster klangen, das sich stets außerhalb von Murphys Blickfeld befand.

Während er weiter in den Nebel starrte, glaubte er, etwas zu erkennen. Es war ein dunkler Fleck, mitten in dem sonst so undurchdringlichen Grau, und er schien sich zu bewegen, näherzukommen. Murphy trat neugierig einen Schritt nach vorne, in der Hoffnung, einen besseren Blick auf das Etwas zu erhaschen.

Doch sein Fuß brach durch den morschen Steg, ihm entkam ein erschrockener Schrei, der durch das Wasser beendet wurde. Es war viel kälter als es sein sollte, brannte auf seiner Haut, füllte seine Lungen mit Eis und erstickte jeden Laut um ihn herum. Außerdem war es tief. Es dürfte nicht derart tief sein, fuhr es ihm durch den Kopf, da er in der Nähe des Ufers war, doch er sank immer tiefer, als besäße er Gewichte in seinen Taschen.

Den ersten Schreck überwindend, begann er seine Arme zu bewegen, genau wie seine Beine, um wieder an die Oberfläche zurückzukehren. Der Wasserspiegel war ein verschwommenes weißes Licht, das mehr Hoffnung versprach als alles zuvor in seinem Leben.

Er kam ihm immer näher, streckte bereits die Hand danach aus – da griffen zahlreiche Hände nach seinen Füßen. Noch mehr kaltes Wasser fand seinen Weg in Murphys Lungen, die inzwischen nach Sauerstoff schrien.

Mit einem erstaunlich kräftigen Ruck zogen die Hände ihn nach unten, hinab in die undurchdringliche Schwärze des Sees, die auch Murphy jede Sicht – und jede Hoffnung – nahm.
 

Gleichzeitig erwachte Murphy in seinem Bett. Er starrte an die dunkle Decke, atmete tief durch. Er lag nicht im Wasser, seine Lunge war mit Sauerstoff gefüllt, so wie es sein musste. Sein Herz schlug schneller als es sollte. Er war am Leben.

Tief durchatmend dankte er einem Gott, an den er nicht mehr glauben konnte, dafür, dass es nur ein Albtraum gewesen war. Auch wenn ein solcher ihn nach dem, was er durchgemacht hatte, nicht verwundern sollte. Zumindest war es in dieser Nacht nicht um Silent Hill gegangen. Auch wenn ihm das Waisenhaus im Vergleich zum Ertrinken lieber gewesen wäre.

Ein rascher Blick auf die Uhr verriet ihm, dass es kurz nach Mitternacht war.

Da er ohnehin nicht direkt wieder einschlafen wollte oder konnte, setzte er sich aufrecht hin und fuhr sich mit den Händen über das Gesicht. Ein kalter Schweißfilm lag auf seiner Haut.

„Auch das noch“, murmelte er für sich.

Er stand vom Bett auf und ging in Richtung des Badezimmers, hielt aber augenblicklich inne, als ihm etwas bewusst wurde. Jenseits des Fensters hörte er ein gleichmäßiges Geräusch, das er nur zu gut kannte. Eines, das er am liebsten niemals wieder gehört hätte.

Nur um sich zu vergewissern – und auch in der Hoffnung, dass er sich irrte – lief er mit großen Schritten zur Terrassentür hinüber. Er riss den weißen Vorhang zur Seite – und starrte auf die Wassertropfen auf der anderen Seite des Glases. Sie liefen langsam die glatte Oberfläche hinab, wurden aber rasch von neuen ersetzt. Der Terrassenboden war auch vollkommen nass. Der Grund dafür war eindeutig der Regen, der unablässig vom Himmel fiel. Er erzeugte dieses gleichmäßige Rauschen, das Murphy gehört hatte.

Er stieß ein hörbares Seufzen aus. Es war nur eine Frage der Zeit gewesen, bis es einmal zu regnen beginnen würde, aber es machte das alles nicht besser. Glücklicherweise war der Regen nicht von Blitz und Donner begleitet, der Garten lag in vollkommener Dunkelheit, da die Lampen um diese Zeit auch nicht brannten. Für eine Minute starrte er dennoch in die getrübte Umgebung, in der Erwartung, dass er sich bewegende Schemen sehen könnte, aber da war nur der Regenschleier.

„Nicht einmal ein Regenmantel-Mörder.“ Murphy schmunzelte.

Nachdem er sichergestellt hatte, dass sich niemand im Garten befand, zog er den Vorhang wieder zu. Dann wandte er sich ab, um noch ins Bad zu gehen und sich Wasser ins Gesicht zu klatschen.

Alles war gut, er war nicht mehr in Silent Hill, nicht mehr in Gefahr. Dieser Gedanke begleitete ihn auf seinem Weg.

Vielleicht ignorierte er deswegen die leisen schlurfenden Schritte, die dumpf unter dem Regen zu hören waren.
 

Als Murphy wieder erwachte, diesmal auf dem Sofa seines Zimmers, schien die Sonne durch den Vorhang und ließ diesen in einem hellen Licht erstrahlen. Sein Körper ächzte aufgrund seiner unbequemen Schlafstätte, aber er war schon froh, dass er überhaupt noch einmal geschlafen hatte.

Der Fernseher, den er zur Ablenkung eingeschaltet hatte, zeigte gerade irgendeine Talkshow, vermutlich eine Wiederholung des Vortages, die Murphy aber auch gar nicht interessierte.

Er schaltete ihn aus, dann erhob er sich und streckte sich erst einmal ausgiebig. Ein Blick nach draußen verriet ihm, dass alles genauso aussah wie gestern noch, nur sonniger.

Innerhalb kürzester Zeit hatte er geduscht, sich angezogen und auch wieder rasiert. Wenn er sich schon mit Valeria traf, könnte er zumindest auch einigermaßen gut aussehen.

Danach verließ er das Zimmer, um in den Speisesaal zu gehen. Doch schon als er auf den Gang trat, spürte er, dass etwas in der Luft lag. Die feinen Härchen in seinem Nacken stellten sich auf wie elektrisiert. Je näher er der Eingangshalle kam, desto lauter wurden zwei sanft sprechende Stimmen. Die eine gehörte eindeutig Polly, die andere kannte er nicht.

Als der Gang sich zur Halle weitete, entdeckte er die Besitzerin des Hotels, mal wieder hinter dem Tresen, während eine Polizistin ihr gegenüberstand. Anhand der grauen Strähnen in dem eigentlich braunen Haar, konnte Murphy sofort erkennen, dass sie schon in einem fortgeschrittenen Alter war. Doch erst als sie sich ihm zuwandte, konnte er auch die kleinen Fältchen an ihren grünen Augen sehen. Ansonsten schien sie sich gut gehalten zu haben.

„Mr. Coleridge, nicht wahr?“, eröffnete sie das Gespräch mit sanfter Stimme. „Ich bin Deputy Eden Darcy. Erfreut, Ihre Bekanntschaft zu machen.“

Diesmal also nicht der Sheriff persönlich, aber jemand von seinem Revier. War sie auch hier, um nach Polly zu sehen? Verdächtigte man ihn, ihr etwas antun zu wollen? Oder hatten sie doch seine wahre Identität herausgefunden?

Doch seine Nervosität wurde zerschlagen, bevor sie sich vollständig bilden konnte: „Es ist nur schade, dass wir uns unter solch traurigen Umständen treffen.“

„Traurige Umstände?“

Er warf einen kurzen Blick zu Polly, aber sie schien sich bester Gesundheit zu erfreuen – jedenfalls soweit er das in ihrem Alter sagen konnte. Im Moment wirkte sie lediglich etwas niedergeschlagen, sie musste die schlechte Nachricht bereits gehört haben.

„Letzte Nacht“, begann Eden, „wurde Zandra Clark ermordet.“

Es kam Murphy vor, als wehe ihm ein eiskalter Windhauch entgegen. Vorgestern hatte er Zandra noch in der Milk Barn … nun ja, nicht gesehen, aber zumindest gehört. Und nun sollte sie tot sein? Ermordet auch noch?

Eden fuhr unterdessen unbarmherzig fort: „Sie wurde heute morgen von einem Nachbarn gefunden. Eine natürliche Todesursache konnte sofort ausgeschlossen werden. Mehr darf ich aber natürlich nicht sagen.“

„Warum?“, fragte Polly.

Murphy musste die Antwort gar nicht hören, um es zu wissen: Um die Ermittlungen nicht zu gefährden, dürften keine Details bezüglich der Umstände des Todes als auch des Tatortes an Außenstehende geraten. Natürlich passierte das dennoch immer wieder – und er zweifelte nicht daran, dass es in einer Gemeinde wie Greenvale in rasender Geschwindigkeit geschähe – und so wurden aus Ermittlungen rasch Hetzjagden. Aber er hoffte, dass es hier nicht so sehr ausartete – oder er zumindest nicht im Mittelpunkt stünde, falls es doch so weit käme.

Eden wandte sich wieder ihm zu. „Nehmen Sie das jetzt nicht persönlich, Mr. Coleridge, aber-“

„Sie möchten mein Alibi wissen.“

Ihre Augen weiteten sich ein wenig. „Sie kennen sich aus. Hatten Sie schon einmal mit der Polizei zu tun?“

Wäre er nicht schon in schlimmeren Situationen gewesen, hätte Murphy befürchten müssen, dass er sich mit nun ausbrechendem Schweiß verraten könnte. So blieb er aber vollkommen ruhig, er lächelte sogar ein wenig. „Nein, ich sehe nur gern Krimis.“

Das schien eine zufriedenstellende Antwort zu sein, denn Eden ging nicht weiter darauf ein. Dafür fuhr er direkt mit seinem Alibi fort: „Ich habe keine Zeugen, aber ich habe letzte Nacht geschlafen. In meinem Zimmer.“

Dass er wegen eines Albtraums aufgewacht war, erzählte er lieber nicht. Eden war immerhin Polizistin und nicht seine Therapeutin.

Sie notierte sich etwas auf einem kleinen Notizblock, wie man sie aus den wirklich alten Krimis kannte. Das machte sie in seinen Augen ziemlich sympathisch.

„Wissen Sie denn, wo Zandra … das Opfer wohnte?“

„Nein. Ich war lediglich bei ihr in der Apotheke.“ Das müsste er nicht verbergen, schon allein, weil es Zeugen dafür gab und Zandra es mit Sicherheit jedem erzählt hatte.

Sie sah zu Polly hinüber, die dem Gespräch mit einem bedrückten Lächeln lauschte. „Du hast es ihm auch nicht gesagt, Polly, oder?“

„Aber nein. Er soll doch mir assistieren, und nicht anderen Frauen nachstellen.“

Wie auch immer sie auf den Gedanken kam, dass er sich hätte für Zandra interessieren können. Oder es war ihr Versuch, in dieser Situation ein wenig lustig zu sein.

Eden notierte sich auch das, ehe sie wieder Murphy ansah. „Waren Sie gestern allgemein in Greenvale unterwegs?“

„Nein. Ich habe den ganzen Tag im Hotel gearbeitet.“

Hauptsächlich war er damit beschäftigt gewesen, unbenutzte Zimmer zu lüften und Staub zu wischen, danach hatte er sich noch um Pollys Pflanzen gekümmert (unter ihrer Aufsicht natürlich) und zum Abschluss noch den Speisesaal geputzt. Entsprechend unterstützte Polly seine Aussage.

„Dann muss ich wohl auch kaum annehmen, dass Sie sich mitten in der Nacht auf die Suche nach Zandras Wohnung gemacht haben.“

„Ich wüsste nicht einmal, warum ich das tun sollte.“ Er hob die Schultern ein wenig. „Ich hab sie nur einmal getroffen und kein Verlangen danach, sie noch einmal zu sehen. Und vorgestern in der Milk Barn habe ich sie zumindest gehört.“

Früher oder später erfuhr die Polizei ohnehin davon, also könnte er es auch einfach zugeben. Außerdem war nichts dabei gewesen. Sie hatte mit anderen Bewohnern über ihn gesprochen, aber der Inhalt hatte ihn nicht weiter interessiert oder gar eine besondere Emotion hervorgerufen.

Eden notierte sich auch das, dann nickte sie zufrieden und steckte den Notizblock in eine Tasche ihrer Jacke. „Okay, von meiner Seite aus wäre das alles. Falls Ihnen doch noch etwas einfällt, das mit diesem Verbrechen in Verbindung stehen könnte, melden Sie sich bitte auf dem Sheriffrevier.“

„Natürlich.“ Er hoffte nur, dass sie dann nicht seine Identität überprüfen wollten; andererseits wusste er ohnehin nichts, und in diesem abgelegenen Hotel konnte er auch nichts mitbekommen haben.

„Falls wir noch mehr von Ihnen benötigen, melden wir uns bei Ihnen“, sagte Eden dann noch. „Für heute verabschiede ich mich dann aber erst einmal.“

Murphy versicherte ihr, dass es nett war, sie kennengelernt zu haben, trotz der Umstände, dann sah er ihr hinterher, bis sie das Hotel verlassen hatte.

Polly schüttelte seufzend mit dem Kopf. „So traurig, dass es wieder zu einem Mord in dieser Stadt kommt. Man sollte meinen, alle wären froh, dass die vom letzten Jahr vorbei sind.“

„Könnte denn irgendjemand überhaupt einen Grund haben, sie zu töten?“ Er war kein Polizist, aber er kannte die Fragen, erinnerte sich noch gut an seine eigenen Befragungen, nicht nur in Charlies Fall, sondern auch nach seiner Verfolgungsjagd.

Die alte Dame griff sich nachdenklich an das Kinn. „Zandra hat sehr viele Geheimnisse ausgeplaudert. Von jedem, der die Apotheke aufgesucht hat. Und es ist die einzige Apotheke.“

Also dürfte damit jeder irgendwelche Geheimnisse an sie verloren haben. Aber welches war derart wertvoll, dass man jemanden sogar umbrachte, um es zu bewahren – oder sich für dessen Ausplaudern zu rächen?

Im Endeffekt ist es nicht mein Problem, ermahnte er sich innerlich. Die Polizei muss recherchieren, nicht ich.

Deswegen sagte er auch nichts weiter und wartete bedrückt schweigend, bis Polly diese Stille endlich mit sorgloser Stimme wieder durchbrach: „Es wird sich nichts an der Sache ändern, wenn wir jetzt traurig hier herumstehen. Lassen Sie uns frühstücken gehen, Mr. Coleridge.“

Er sagte nicht, dass er erleichtert darüber war, dass sie das zuerst aufbrachte, sondern trat einen Schritt zurück und bedeutete ihr, vorauszugehen. „Ich folge Ihnen, Polly.“

Leise kichernd kam sie um den Tresen herum. „Oh, Mr. Coleridge~. Für so etwas bin ich doch schon viel zu alt.“

Während sie in Richtung des Speisesaals ging, blieb er erst noch stehen und sah ihr hinterher. Dabei fragte er sich, was sie diesmal wohl verstanden haben mochte.

Kapitel 7: Du solltest noch etwas von mir wissen (Teil 1)

Trotz des Todesfalls, der Murphy aber nicht weiter tangierte, erinnerte er sich an die Verabredung mit Valeria. Deswegen verabschiedete er sich nach dem Mittagessen von Polly, stieg in den Lincoln und fuhr in die Stadt. Während seiner Arbeit am Hotel am Vortag war Murphy aufgefallen, wie ruhig die Straße eigentlich war. Eine Weile hatte er angenommen, dass die Geräusche nur nicht bis zum See vordrangen. Aber aus Neugierde war er dann bis zur Straße hochgelaufen, nur um dort festzustellen, dass es einfach nicht viel Verkehr gab. Dabei führte sie sehr idyllisch direkt am See vorbei. Im Hotel hatte er dann allerdings wieder auf die Karte gesehen und festgestellt, dass die Straße nur vom Krankenhaus bis zu zwei Siedlungen und einem Anwesen führte. Leute, die zwischen diesen Punkten pendelten, waren dann wohl so ziemlich die einzigen, die hier entlang mussten. Seitdem wunderte er sich nicht mehr darüber. Dafür war ihm bewusst geworden, welchen Umweg der Trucker nur für ihn gemacht hatte. Der Anflug eines schlechten Gewissens klebte seither an ihm.

Ich sehe ihn ohnehin nie wieder, beruhigte er sich selbst. Und ich habe ihn nicht gezwungen. Er war einfach … nett.

Etwas, das Murphy nicht mehr gewohnt war. Aber hier in Greenvale bekam er immer wieder Gelegenheit dazu, sich erneut daran zu gewöhnen. Angefangen bei Polly.

Als er sich dem Parkplatz der Apotheke näherte, musste Murphy wieder an Zandra denken. Obwohl er bereits beschlossen hatte, dass ihn das alles nichts anging, musste er sich doch wieder eines fragen: Wurde sie wirklich getötet, weil sie zu viel wusste? Oder gibt es noch andere Gründe?

Er hatte diese Frau nicht wirklich gekannt, wusste nicht einmal, wie andere Stadtbewohner zu ihr gestanden hatten oder ob sie Familie besessen hatte. Also warum zerbrach ausgerechnet er sich den Kopf darüber?

Weil sie mich trotz allem als einer der Verdächtigen betrachten könnten.

Es wäre ein Klischee, aber passend. Er war der Außenseiter, den keiner kannte und niemand vermisste, würde man ihn in ein Gefängnis einsperren und den Schlüssel wegwerfen. Ihm blieb nur zu hoffen, dass es nicht so weit käme.

Er entdeckte Valeria schon von weitem auf dem ansonsten leeren Parkplatz. Das lag nicht zuletzt an dem strahlend weißen Hemd, das gemeinsam mit ihrer schwarzen Jeans ihr Outfit komplementierte. Ihr Haar trug sie diesmal offen. Es schimmerte kupferfarben in der Sonne.

Kaum hatte er angehalten und den Motor ausgeschaltet, stieg Valeria auch bereits in den Wagen und ließ sich auf den Beifahrersitz sinken. „Nehmen Sie mich mit, Sir?“

Aus der Nähe konnte er sehen, dass sie grün-blaue Augen hatte, statt der braunen, wie er zuerst geglaubt hatte – und dass einige Sommersprossen auf ihrem Gesicht verteilt waren. Das gab ihr einen jugendlichen Touch, der es ihm noch schwerer machte, zu erahnen, wie alt sie wohl sein mochte.

Sie schnallte sich an, dann fuhr sie mit ihrer Hand über die Ledersitze. „Das ist wirklich ein ganz besonderes Auto, nicht? Mann, ich wünschte, ich hätte so eins.“

„Wir könnten es ja einfach klauen“, schlug Murphy vor. „Dann fahren wir einfach auf irgendeinen Highway und blicken nie zurück. Ich bezweifle, dass Polly sich überhaupt noch an die Marke erinnert.“

Er sah Valeria schmunzelnd an, worauf sie amüsiert lachte. „Auch wenn ich immer gern mal an einer Verfolgungsjagd beteiligt wäre, möchte ich Greenvale doch nur ungern verlassen.“

„So spannend sind Verfolgungsjagden auch wieder nicht.“ Da er sah, dass er damit ihre Neugier geweckt hatte, schlug er ihr vor, ihr davon zu erzählen, während sie fuhren. „Aber Sie müssen mir erst einmal sagen, wohin es gehen soll.“

„Wollen wir nicht mal mit der höflichen Distanz aufhören? Wir nennen uns ohnehin schon bei den Kurzformen unserer Namen.“

Dabei war es nicht mal sein richtiger Name. Aber das sollte er lieber nicht erwähnen. „Habe ich nichts dagegen.“

Sie lächelte zufrieden und deutete die Straße hinunter, die in Richtung der Milk Barn führte. „Du warst gar nicht weit weg von der Tankstelle. Aber ich schätze, du bist nicht über den Fluss gefahren, oder?“

„Ich bin an ihm entlanggefahren, zum Schrottplatz.“

„Siehst du? Wärst du am Elektrizitätswerk rechts abgebogen, wärst du direkt an der Tankstelle vorbeigefahren.“

Also hätte er sie auch wirklich ohne Valeria gefunden. Aber diese Fahrt diente ja vorrangig dazu, dass sie endlich erleben konnte, wie man in diesem Wagen fuhr.

Er startete den Motor wieder, fuhr einen großen Bogen auf dem Parkplatz und kehrte wieder auf die Straße zurück. Dabei fiel sein Blick auf die Apotheke, die geöffnet zu sein schien. Also gab es glücklicherweise noch mehr Angestellte für diese als Zandra. Aber in Greenvale konnte man ja nie wissen, wie er bislang gelernt hatte.

Valeria beachtete seinen Blick zur Apotheke nicht; sie wusste wohl nichts von dem Mord. Das hielt er aber auch für besser. Deswegen erzählte er ihr auch lieber die Geschichte, wie er damals einen Polizeiwagen gestohlen hatte, um sich an der Ostküste eine sechsstündige Verfolgungsjagd mit der Polizei zu liefern. Sie lauschte ihm interessiert, geradezu hingerissen. Erst während der Erzählung fiel ihm ein, dass sie vielleicht auf die Idee kommen könnte, das alles zu recherchieren. Könnte sie dann seinen richtigen Namen herausfinden? Er kannte keinen einzigen Artikel darüber, vielleicht wurde sein Name darin auch gar nicht erwähnt.

Mach dir keinen Kopf darum. Sie wird es nicht recherchieren.

Sie überquerten gerade die Brücke über den Fluss, als er die Geschichte beendete. „Es war also wirklich nicht so aufregend, wie es einem in den Filmen immer präsentiert wird.“

„Du warst ja auch allein“, erwiderte sie. „Verfolgungsjagden sind eine romantische Sache, da muss man einen Partner dabei haben.“

„Das ist ein Frauending, oder?“

Sie nickte. Kurz nach dem Elektrizitätswerk deutete sie nach rechts. „Da ist übrigens das Haus der Ingrams, meiner Chefs. Nur falls du sie irgendwann mal besuchen musst.“

Daran zweifelte er doch sehr, aber er versuchte dennoch, sich das zu merken. Jedenfalls war die Gegend an sich wirklich schön. Die einzelnen Häuser besaßen alle zwei Stockwerke und jede Menge Gartengrundstück rund herum. Ideal, um Kinder – und einen seltsamen Hund – zu erziehen. Sollte er Valeria vielleicht einmal auf diesen Dalmatiner ansprechen?

Auf der linken Seite gab es nur den aktuell verlassenen Bauplatz, gefolgt von einer Wiese, dann dichten Bäumen – und schließlich entdeckte er die Tankstelle an der Straße. Er bog bereits auf die linke Seite, als Valeria hinüberdeutete.

Heaven & Hell“, erklärte sie. „Keine Selbstbedienung. Ich bin mal gespannt, wer uns bedienen wird.“

Als Murphy auf den Parkplatz daneben einfuhr, fielen ihm erst einmal die großen Müllcontainer ins Auge, die bis obenhin voll waren. Direkt daneben entdeckte er einen abgemagerten Hund mit verfilztem schwarzem Fell. „Ein Straßenhund ...“

„Von denen gibt es hier einige. Aber sie laufen sofort weg, wenn man sich ihnen nähert. Bislang waren sie also noch keine Gefahr für jemanden.“

„Immerhin etwas.“

Er hielt an den beiden Zapfsäulen, die auch schon bessere Tage gesehen haben mussten. Aber solange sie funktionierten, war ihm das gleich.

Sie standen gerade mal ein paar Sekunden, als sich die Tür der Tankstelle öffnete. Murphy rechnete damit, dass einer der üblichen Arbeiter in einem Overall herauskäme – und staunte deswegen nicht schlecht, als er die eigentliche Person entdeckte: Es war eine Frau, die den Begriff Kleidung wohl nicht allzu ernst nahm. Ihr unter den Brüsten zusammengeknotetes Hemd schaffte es kaum, diese darin zu halten, ihre Hotpants wären bei vielen Frauen wohl auch eher nur als schicker Gürtel durchgegangen – unabhängig von dem Gürtel, der dieser Frau um die Hüfte hing. Ihre Cowboystiefel, die zu ihrem Hut passten, verliehen ihren Beinen eine gewisse … Sexyness. Ihr Gang erinnerte dabei an den eines Models, das gerade über den Laufsteg schlenderte; einen Arm in die nackte Seite gestemmt, den Oberkörper etwas zurückgebeugt, damit ihre Brüste besser zur Geltung kamen.

Nachdem sie so um den Lincoln herumgelaufen war, lehnte sie sich zu Murphys offenem Fenster herunter, um sich mit verschränkten Armen auf die Tür zu stützen. Dabei achtete sie gut darauf, dass ihr Dekolleté perfekt sichtbar war und dass sie sogar ihren hochgestreckten Hintern zur Schau stellte.

Murphy achtete darauf, sich auf ihr Gesicht zu konzentrieren. Ihr blondes Haar überraschte ihn in diesem Outfit nicht mehr, genausowenig wie die Tatsache, dass sie deutlich Kaugummi kaute und dennoch nach Nikotin stank.

„Hey, Gina“, grüßte Valeria vom Beifahrersitz aus.

Gina nickte ihr zu. „Hey~.“ Dann konzentrierte sie sich aber gleich schon wieder auf Murphy. „Was darf's sein, Süßer?“

„Einmal volltanken, bitte.“

Sie schnurrte, was wohl erotisch klingen sollte, von Murphy erntete sie aber nur eine gehobene Augenbraue. Ungeachtet dieser richtete sie sich wieder auf. „Die volle Ladung also, kommt sofort.“

Während sie irgendwelche Spielchen mit dem Tankschlauch vollführte, wandte Murphy sich einer grinsenden Valeria zu. „Ist sie immer derart bemüht?“

„Du findest sie bemüht? Ich glaube, das ist ihre natürliche Note.“

Wenigstens wusste Murphy damit auch schon, mit wem er lieber keinen näheren Kontakt in Greenvale pflegen wollte. Dummerweise war das hier wohl die einzige Tankstelle. Aber irgendwie würde das funktionieren.

Schließlich kehrte Gina ans Fenster zurück, nannte Murphy den Preis für das Benzin, den er auch prompt bezahlte. Dabei stellte er fest, dass Polly ihm viel zu viel Geld mitgegeben hatte. Er würde ihr den Rest auf jeden Fall zurückgeben.

„Komm bald mal wieder, Süßer“, sagte Gina, ehe sie ihren Rückweg ins Gebäude antrat.

Murphy sah ihr nicht einmal hinterher.

„Kein Interesse an Frauen?“, fragte Valeria.

Im Moment eigentlich nicht, dafür war er zu sehr damit beschäftigt, zu überleben. Außerdem hing er auch noch an Carol. Die einzige, die ihn je verstanden hatte. Bis zu Charlies Tod. Napier hatte sein ganzes Leben zerstört.

Daran sollte ich jetzt nicht denken.

Er startete den Motor wieder, ehe er Valeria antwortete: „Doch. Aber nicht, wenn sie derart übertrieben sexy zu sein versuchen. Das ist eindeutig … ein Abtörner.“

Unwillkürlich erinnerte er sich wieder an jene Puppe in der Bibliothek, dann kamen ihm schlagartig all jene in den Sinn, die ihn angegriffen hatten. Er hörte ihr Kichern, glaubte eine kaum wahrnehmbare Silhouette auf das Auto zuhuschen zu sehen. Er wollte nach einer Waffe greifen, den Arm heben, um sich zu verteidigen – stattdessen presste er die Zähne aufeinander. Weitere Silhouetten erschienen in seinen Augenwinkeln.

Es ist nur in deinem Kopf. Nur in deinem Kopf.

Nach einem Blinzeln waren die Silhouetten verschwunden, alles war wieder normal. Das einzige, was er hörte, war der Motor und Valerias Stimme: „Ah, also hast du es lieber, wenn Frauen sich etwas keuscher verhalten?“

„In etwa.“ Er lenkte den Wagen in Richtung der Straße, hielt aber inne, ehe er sie befuhr. „Wohin nun?“

Es war noch zu früh zum Essen. Valeria hatte inzwischen die Karte gefunden und folgte einer bestimmten Straße mit den Augen. Dann nickte sie und wandte sich Murphy zu. „Wenn wir am Friedhof vorbeifahren, könnten wir in den Forest Park gehen. Der Ausblick von dort oben ist überwältigend~.“

Sie zeigte ihm die entsprechende Strecke mit dem Finger. Es sah nicht schwer aus, sie müssten nur links auf die Hauptstraße, dann links abbiegen und dann immer dem Weg folgen. Er hatte hier noch nicht sonderlich viel gesehen, also war es vielleicht eine gute Idee, sich diesen Park anzusehen. „In Ordnung, machen wir das.“

Er lenkte den Wagen endlich wieder auf die Straße und folgte auch sofort seiner Erinnerung.

„Jedenfalls gehört die Tankstelle Ginas Mann“, erklärte Valeria. „Man nennt ihn Jack, den rasenden Stier.“

„Nett. Ich nehme nicht an, dass er ein angenehmer Zeitgenosse ist.“

„Von allen Leuten, die ich in Greenvale kennen gelernt habe, ist er der unangenehmste. Da ich aber kein Auto habe, sehe ich ihn entsprechend selten. Schließlich geht so ein Macho nicht selbst einkaufen – und Gina kauft eher im Mash Mart, unserem größten Konkurrenten.“

Murphy glaubte, einen solchen einmal aus den Augenwinkeln gesehen zu haben. Aber er hatte diesem Gebäude keine größere Aufmerksamkeit gewidmet.

„Kommen wir aber mal wieder zu deiner Geschichte zurück.“ Valeria legte die Karte wieder ins Handschuhfach zurück. „Als sie dich geschnappt haben, bist du doch aber sicher in den Knast gekommen, oder?“

„Natürlich.“

„Warum hast du es dann überhaupt gemacht? Wolltest du ins Gefängnis?“

Er erinnerte sich daran, dass Frank ihm einmal dieselbe Frage gestellt hatte. Und er erinnerte sich noch gut an seine Antwort. „Ich schätze, ich wollte einfach mal der Welt für eine Weile entfliehen. Meine Ruhe haben. Verstehst du?“

„Schon.“ Sie wickelte sich eine Strähne ihres Haars um ihren Zeigefinger. „Aber dafür gleich ins Gefängnis zu gehen? Das kommt mir echt heftig vor.“

Könnte er ihr guten Gewissens mehr erzählen? Nein, sie wusste nicht, wer er war. Was er getan hatte. Was Napier ihm angetan hatte. Und das sollte auch so bleiben.

„Dann wurdest du also wieder entlassen“, sagte sie, „und bist dann nach Greenvale gekommen? Wie das?“

Er zuckte mit den Schultern. „Ich hatte ohnehin nie eine wirkliche Heimat, also wollte ich die Gelegenheit nutzen, ein bisschen durch das Land zu streifen. Und so bin ich hier gelandet.“

Sie schwieg daraufhin. Die Straße führte aus der Stadt hinaus, an Bäumen und Wiesen vorbei. Die vorherrschende Ruhe war angenehm, Murphy glaubte, wirklich durchatmen zu können.

Valeria hatte einen Ellenbogen auf die Tür gestützt. Ihr Blick ging durch ihr Fenster hinaus, gedankenverloren fuhr sie sich über den Hals.

„Wie hat es dich hierher verschlagen?“, fragte er, als ihm klar wurde, dass Valeria nichts mehr zu sagen hatte oder zu fragen wusste.

„Oh.“ Sie sah wieder ihn an. „Das ist eine lange Geschichte. Im Grunde geht es dabei aber um meinen Ex-Mann.“

„Du warst verheiratet?“

Sie schmunzelte. „Sehe ich etwa nicht danach aus, als könnte man mich heiraten?“

Ehe sie nicht mehr derart amüsiert war, sondern wütend wurde, antwortete er beschwichtigend: „Du wirkst nur so dermaßen jung. Da habe ich mich gewundert.“

„Du schmeichelst mir~. Aber ja, ich war so dumm einen Kerl zu heiraten, den ich von der Highschool kannte. Dummerweise hat er sich kurze Zeit nach der Hochzeit als Arschloch herausgestellt.“ Sie schnaubte wütend. „Also habe ich ihn verlassen. Und dann bin ich hier gelandet.“

Sie sagte es nicht direkt, aber Murphy konnte sich dennoch vorstellen, was sie eigentlich in diese abgelegene Gegend geführt hatte: Die Scheidung hatte die Gewaltbereitschaft ihres Mannes erhöht, wenn sie nicht schon vorher vorhanden gewesen war. Derartige Männer hatte Murphy zu genüge im Gefängnis getroffen. Auf der Flucht vor ihm musste sie durch Greenvale gekommen sein, und dann-

„Lilly hat mich angesprochen, als ich in der Milk Barn was zu essen kaufen wollte. Ich muss einen sehr schlimmen Eindruck gemacht haben.“

Murphy stellte sich ihr Gesicht mit einem blauen Auge vor, einer aufgesprungenen Lippe, vielleicht noch einer genähten Platzwunde an der Stirn. Jemand wie Lilly musste sie dann einfach ansprechen.

„Sie hat mich die erste Zeit bei ihrer Familie wohnen lassen, mir dann geholfen, eine Wohnung zu finden. Deswegen bin ich ihr und Keith sehr dankbar.“

Und deswegen kannte sie vermutlich auch die Jungs derart gut.

Die Straße führte an einem großen Parkplatz vorbei, der zum Friedhof gehören musste. Wenn Murphy die Karte richtig im Kopf hatte, dürfte die Straße bald mit einer anderen zusammenführen und dann müsste er bei einer Gabelung rechts abbiegen.

„Weiß dein Ex-Mann, wo du jetzt bist?“, fragte er.

„Natürlich nicht. Er würde mich glatt umbringen, wenn er hier auftauchte.“ Sie versuchte zu lachen, aber es klang hohl und humorlos. „Ohne ihn lebt es sich viel besser. Besonders hier. Glaub mir, die Stadt ist großartig.“

Bislang kam es ihm auch so vor – wenn man von einer Sache absah. Sollte er ihr davon erzählen? Eigentlich müsste er das, jeder Bewohner dieser Stadt hatte ein Recht darauf, es zu erfahren. Spätestens wenn es in der Zeitung stand, würde sie es ohnehin wissen. Also könnte er es auch einfach erzählen: „Zandra ist letzte Nacht gestorben.“

„Oh.“ Eine angemessene Reaktion. „Ich habe mich schon gewundert, dass heute jemand anderes in der Apotheke bedient. Wie ist es passiert?“

„Sie wurde ermordet.“

Er spürte regelrecht, wie die Atmosphäre auf einen Schlag eiskalt wurde. Valeria starrte durch die Windschutzscheibe nach draußen, ohne etwas zu sagen. Das hielt sie einige Sekunden aus, dann fragte sie leise: „Woher weißt du das?“

„Eine Polizistin war heute morgen im Hotel.“

„Wer tut denn sowas? Ausgerechnet in Greenvale?“

Das konnte Murphy sich auch noch nicht wirklich vorstellen. Andererseits kannte er aber noch nicht einmal einen Bruchteil der Stadtbewohner. „Ich weiß es nicht. Aber wenn es jemand von hier war, wird die Polizei ihn schon erwischen.“

„Hoffentlich.“ Valeria seufzte. „Diese Stadt war bislang so friedlich.“

Wusste sie von der Mordserie im letzten Jahr? Nun, das wollte er ihr lieber nicht auch noch erzählen. Er musste ihre Welt bereits genug erschüttert haben für einen Tag.

„Es wird schon alles gut werden.“

Valeria nickte nur.

Am Ende der Strecke, nach einer scharfen Kurve, erreichte Murphy einen weiteren Parkplatz gegenüber einer Blockhütte.

„Hier wohnt Jim Green, der Vater von Lilly“, erzählte Valeria sofort. „Er ist der Forsthüter des Parks. Aber hier draußen wäre es mir doch zu unheimlich, so ganz allein.“

Tatsächlich schien die gesamte Umgebung von Wäldern umgeben zu sein. Es war friedlich, aber in der Nacht mit Sicherheit auch unheimlich. Murphy konnte sie gut verstehen.

Vor ihnen erhob sich ein Tor, gebaut aus roten Ziegelsteinen, ein Schild verkündete, dass sie in den Forest Park einfuhren. Die Straße führte sanft nach oben.

„Man kann auch bis nach oben laufen, aber das ist ziemlich anstrengend. Das machen daher nur die wenigsten. Außer eben Jim und die Jungs, die machen das immer mal wieder.“

Als Forsthüter sollte man das auch erwarten können, fand Murphy. Langsam fuhr er die kurvige, enge Strecke hinauf, aber es kam ihnen glücklicherweise auch niemand entgegen.

Oben angekommen parkte er auf einem der vielen freien Plätze, dann stiegen er und Valeria aus. Er fühlte sich an einen Wildpark erinnert, in dem er einmal mit Charlie und Carol gewesen war. Charlie hatte einige Rehe gefüttert und war kaum von diesen wegzubekommen gewesen. Carol dagegen hatte sich im Streichelzoo mit einem der Schafe angefreundet. Auf der Heimfahrt hatten die beiden im Auto geschlafen.

Denk nicht darüber nach. Denk nicht an die beiden.

In der Mitte des Parkplatzes war ein Beet aus groben Holzspänen angelegt worden, darin befanden sich mehrere Bäume, die noch keineswegs so alt waren wie der Rest des Waldes. Dahinter befanden sich zwei kleine Hütten, die sich bei näherem Hinsehen als Toiletten herausstellten. Daneben befanden sich Automaten für Getränke und Snacks. In der Nähe war das Tosen eines Wasserfalls zu hören.

Eine Treppe führte die beiden hinauf zu einer hölzernen Aussichtsplattform, die vollkommen überdacht war. Zahlreiche Bänke standen hier, außerdem auch drei Ferngläser. Er überlegte, durch eines durchzusehen, um die Stadt von oben zu betrachten – aber da erinnerte er sich wieder an die Seilbahn. Die blutige Hand in der stehenden Kabine. Der Rollstuhlfahrer auf der Brücke.

Nein, er verzichtete lieber darauf.

Valeria trat an den Rand der Plattform und deutete hinaus. „Das musst du dir ansehen, Charlie.“

Er stellte sich neben sie und folgte ihrem Fingerzeig. Ein Wasserfall stürzte direkt vor ihnen hinab in einen See, dessen Wasser derart klar war, dass Murphy meinte, selbst auf diese Entfernung Fische darin sehen zu können. Feiner Sprühnebel benetzte ihre Gesichter.

Valeria atmete tief ein. „Ich liebe diesen Ort. Er ist zweifelsohne das Beste an der Stadt.“

Sie waren die einzigen Menschen hier oben, weit weg von allen Häusern und Autos. Die Stille, nur gestört durch den Wasserfall und das Zwitschern einiger Vögel, war ein angenehmer Balsam auf seiner Seele. Es fiel ihm nicht schwer, sich hier vorzustellen, dass sie die letzten Menschen auf der ganzen Welt waren.

Er warf einen kurzen Blick zu Valeria hinüber, sie starrte fasziniert den Wasserfall an. Diese Frau, die in ihrem jungen Leben bereits einen gewalttätigen Ehemann hatte, war nun derart offen mit ihm, hatte ihn sogar ganz allein hier heraufgeführt, obwohl sie ihn kaum kannte. Er könnte gut damit leben, wenn sie beide die letzten Menschen waren.

„Vielleicht solltest du noch etwas von mir wissen“, begann er.

Fragend wandte sie ihm den Blick zu. Sie sagte nichts, deswegen konnte er direkt fortfahren: „Ich war auch einmal verheiratet und hatte einen Sohn. Er wurde von meinem Nachbarn ermordet – und ich ließ mich verhaften, um im Gefängnis Rache an diesem Mann zu nehmen.“

Kapitel 8: Du solltest noch etwas von mir wissen (Teil 2)

Murphy saß auf einer der Bänke der Aussichtsplattform. Der Wind trug etwas von der Gischt des Wasserfalls zu ihm herüber, so dass sein Haar sich inzwischen leicht feucht anfühlte. Aber er störte sich nicht daran. Es war kein Vergleich zu den plötzlichen Regenfällen in Silent Hill.

Valeria saß neben ihm. In kleinen Schlücken trank sie eine Dose Soda leer. Sie hatte ihm noch keine erkennbare Reaktion auf sein Geständnis gegeben und sich lediglich etwas aus dem Automaten zu trinken geholt, ehe sie ihn gebeten hatte, ihr die ganze Geschichte zu erzählen. Trotz seiner eigenen Skepsis und seines Misstrauens, hatte er ihr wirklich alles erzählt, angefangen mit Charlies Tod, bis zu dem Busunfall, durch den er entkommen war.

Alle Erlebnisse in Silent Hill verschwieg er aber. Manchmal konnte er selbst noch nicht glauben, dass es mehr als nur ein Albtraum gewesen war. Es genügte für Valeria aber, wenn er mit dem Busunfall endete, und damit, dass Cunningham ihn gehen gelassen hatte. Auch wenn er damit die Erklärung schuldig geblieben war, wie sie von seiner Unschuld überzeugt worden war.

Nachdem er geendet hatte, herrschte Schweigen zwischen ihnen. Lediglich der rauschende Wasserfall bot ihnen eine gewisse Geräuschkulisse. Quälend viele Sekunden verstrichen, in denen sie nichts sagte, deswegen wollte er bereits ansetzen, ihr vorzuschlagen, sie wieder nach Hause zu bringen, doch da stieß sie schließlich einen anerkennenden Pfiff aus. „Du hast ganz schön viel mitgemacht, was?“

„Das kann man wohl sagen.“

„Ich glaube aber nicht, dass du ein schlechter Kerl bist. Ich war lang genug mit einem solchen verheiratet, da erkenne ich diese Leute inzwischen besser.“

Murphy hoffte, dass sie damit wirklich recht hatte. Er wollte ja ein guter Kerl sein, wirklich.

„Laut deiner Geschichte verbindest du ziemlich viel mit dem Namen Charlie.“ Sie vermied es offensichtlich, genauer darauf einzugehen.

Er erinnerte sich, wie traurig sie bei der Erzählung über Charlies Tod ausgesehen hatte, wie fassungslos. Deswegen war er sogar so weit gegangen, ihr von dem zu erzählen, was er Napier unter der Dusche angetan hatte. Ihre einzige Reaktion darauf war die Andeutung eines Nickens gewesen, das diese Selbstjustiz guthieß. Es war eigenartig erleichternd, von ihr in diesem Aspekt freigesprochen zu werden.

„Sollte ich dich dann ab sofort lieber Murphy nennen?“

„Das ist mir egal.“ Er hätte seinen Namen bevorzugt, aber gleichzeitig befürchtete er, dass ihn das irgendwann verraten könnte. Sie musste es nur einmal in der Nähe der falschen Person sagen und alles wäre vorbei.

Valeria schien das ebenfalls bewusst zu sein, denn sie schwieg wieder nachdenklich. Sie nahm einen Schluck aus ihrer Dose. Ein Tropfen Kondenswasser floss dabei auf ihre Hand. Ohne sich wirklich daran zu stören, wischte sie sich die Flüssigkeit an ihrer Jeans ab. „Ich werde dich Murph nennen, wenn wir unter uns sind. Wenn das jemand hört, behaupte ich einfach, du erinnerst mich an meinen Onkel Murph.“

„Hast du denn einen?“

„Nö.“ Sie lachte. „Aber das muss ja niemand wissen.“

Als sie die Dose schüttelte, erkannte Murphy, dass diese leer war. Vielleicht hätte er sich auch etwas zu trinken holen sollen, aber nun war ihm nicht danach, dafür noch einmal nach unten zu gehen.

Valeria versenkte ihre Dose mit einem gezielten Wurf im Mülleimer, was sie mit einem triumphierenden Lächeln zelebrierte. „Hast du jetzt eigentlich vor, in Greenvale zu bleiben?“

Er hob die Schultern. „Offiziell gelte ich als tot, also wird mich niemand suchen. Aber ich weiß nicht, ob es sicher ist, mich irgendwo niederzulassen. Besonders falls ich irgendwann einen richtigen Job benötige, dann brauche ich eine Sozialversicherungsnummer und einen Ausweis. Im Moment habe ich nichts davon.“

Valeria klopfte ihm auf die Schulter. „Das lässt sich alles finden. Greenvale mag in vielen Dingen altmodisch sein, aber die Einwohner sind auch großartig in den unterschiedlichsten Dingen.“

„Du meinst, irgendeiner hier kann mir gefälschte Papiere verschaffen?“

„Davon gehe ich aus. Ich muss noch herausfinden, wer das kann, aber das wird schon funktionieren. Schließlich lebe ich schon eine Weile hier, die Leute vertrauen mir.“

Wenn sie so redete, klang es wie eine gute Idee, ihr vertraut zu haben. Er hoffte, es stellte sich nie als Fehler heraus. „Du nimmst das alles ziemlich gut auf. Andere wären von einer solchen Geschichte geschockt.“

„Wie gesagt, ich glaube nicht, dass du ein schlechter Kerl bist. Und wenn ich ein Kind hätte und jemand würde dem etwas antun …“ Sie schnaubte. „Ich würde ihn töten. Du erscheinst mir wie ein Heiliger, weil du das nicht getan hast.“

Aber er hatte auch nicht verhindert, dass jemand anderes das für ihn übernahm. Nur dadurch war es zu dem tragischen Zwischenfall mit Frank gekommen. Oder wäre Sewell an jenem Tag einfach mit einem anderen Gefangenen in die Duschen hinuntergegangen?

Valeria warf einen Blick auf ihre Armbanduhr. „Deine Geschichte war so interessant, dass die Zeit geradezu verflogen ist. Wenn wir noch essen gehen wollen, sollten wir dann aber mal los.“

Gemeinsam – und zumindest Murphy fühlte sich erleichtert – kehrten sie zum Auto zurück. Der Parkplatz war immer noch vollkommen leer, abgesehen von ihnen. Auf der kurvigen Straße nach unten fiel Valeria noch eine Frage ein: „Fehlt dir Carol eigentlich?“

Das war knifflig. Er hatte sich das noch nie gefragt, seit er aus Silent Hill geflohen war. Wann hatte er zuletzt an sie gedacht, ohne nicht gleichzeitig an Charlie zu denken?

„Mir fehlt die Vergangenheit“, antwortete er. „Als alles noch gut war. Aber sie selbst … nein, ich kann nicht sagen, dass sie allein mir fehlt.“

Sicher war sie bereits davon unterrichtet worden, dass er gestorben war. Ob sie das überhaupt kümmerte? Laut ihrem letzten Brief, der ganz zu Beginn seiner Haftstrafe gekommen war, hatte sie ohnehin schon lange beschlossen, dass er tot für sie war. Nun konnte sie wenigstens wirklich weiterleben, ohne an ihn denken zu müssen.

Sie durchfuhren das Tor des Forest Parks. Diesmal stand jemand vor der Blockhütte; ein alter Mann, der alles verkörperte, was man von einem Forsthüter erwartete: groß gewachsen, kräftiger Körperbau, weißes kurz geschnittenes Haar, einen gepflegten grauen Bart, er trug ein kariertes Hemd und eine Latzhose aus Jeansstoff.

Valeria winkte ihm zu, was er erwiderte. Da keiner der beiden Murphy bedeutete, anzuhalten, fuhr er einfach weiter, wenn auch langsam. „Das ist der Forsthüter?“

„Genau.“ Valeria hatte noch über die Schulter nach dem Mann gesehen, setzte sich nun aber wieder richtig hin. „Jim Green, Lillys Vater. Ich glaube, du würdest ihn mögen. Er ist zwar sehr schweigsam, aber auch sehr nett.“

„Klingt beides nach guten Eigenschaften.“

Valeria nickte, dann wies sie ihn an, wieder in die Nähe der Apotheke zu fahren. „Das A&G Diner ist direkt an der Hauptstraße, dort bekommen wir richtig leckeres Essen.“

Murphy rief sich die Karte wieder in Erinnerung, tatsächlich glaubte er, von diesem Ort gelesen zu haben. „Wäre es dann nicht besser, vor dem Friedhof abzubiegen und durch den Tunnel zu fahren? Das spart uns Zeit.“

„Wenn du nichts gegen Geister hast.“

Selbst nach Silent Hill glaubte er noch nicht an solche, deswegen runzelte er die Stirn. „Geister?“

Sie seufzte theatralisch. „Keith hat mir davon erzählt. In Cope's Tunnel soll eine Frau überfahren worden sein, und seitdem spukt es dort.“

An der Kreuzung angekommen wählte er den rechten Weg, statt den linken. „Dann werden wir mal sehen, ob an den Gerüchten etwas dran ist.“

Valeria lachte nur leise.

Nach wenigen hundert Metern tauchten sie bereits in die Dunkelheit des Tunnels ein. Nur wenige gelbe Lichter verhinderten, dass man gar nichts mehr sah, aber das diente wohl nur dafür, dass jemand, der unvermutet in den Tunnel geriet, nicht gegen die unzähligen Kisten, Tonnen und Absperrungen raste. Es sah so aus, als hätte man Arbeiten begonnen, aber dann waren alle Arbeiter geflohen, zu ängstlich, um sogar ihr Werkzeug zu holen.

„Und? Siehst du schon einen Geist, Val?“

Tatsächlich versuchte sie, in alle möglichen Richtungen gleichzeitig zu sehen, indem sie immer wieder den Kopf wandte. „Bislang noch nicht. Aber na ja, was erwarte ich auch von einer Geschichte, die Keith in seiner Freizeit erzählt?“

Für nur den Bruchteil einer Sekunde glaubte Murphy, im Rückspiegel das Boston-Smile-Grinsen eines Screamers zu sehen. Es verschwand allerdings wieder, bevor er Valeria darauf ansprechen konnte.

Das liegt nur am Schlafmangel, sagte er sich. Das gibt sich wieder.

Für den Rest der Strecke, die sie in der fast vollkommenen Dunkelheit verbrachten, geschah nichts mehr, was Murphy wieder mit Erleichterung durchflutete.

Kaum ließen sie den Tunnel hinter sich, sank Valeria wieder entspannt in ihren Sitz zurück. „Trotzdem irgendwie schade. Ich hätte nichts gegen eine Geistersichtung.“

Er erwiderte nichts darauf und konzentrierte sich stattdessen auf die Straße, da ihm dieser Streckenabschnitt unbekannt war. Zu einem großen Teil führte sie an Gleisen vorbei, aber es war kein Zug zu sehen. Er war aber auch noch nicht oft genug in der Stadt gewesen, um bewerten zu können, ob der Zugverkehr hier aktiv war – und er wollte Valeria nicht auch noch so etwas fragen.

An einer Kreuzung stoppte er den Wagen für einen Moment. Links führte die Straße zurück in die Stadt, rechts führte sie kurvig wieder sanft einen Hügel hinauf. „Wo geht es da hin?“

Derart auswendig hatte er sich die Karte bislang nicht eingeprägt.

Valeria sah nach rechts und betrachtete die blühenden Kirschbäume, von denen die Straße gesäumt wurde. „Da ist das Community Center, das Mercury Theater. Dort versammeln sich die Stadtbewohner, wenn etwas Besonderes ansteht. Aber ich war noch nie da. Zu meinen Zeiten war bislang noch keine Versammlung notwendig.“

Hoffentlich blieb es nur bei dem einen Mord, dann musste eine solche auch nie einberufen werden.

Murphy führte den Wagen nach links, und folgte seiner Erinnerung, um bis zum Parkplatz des Diners zu kommen. Dort ausgestiegen bemerkte er sofort den angenehmen Geruch, der aus dem Inneren des Gebäudes strömte und Hunger in ihm weckte.

„Nick ist ein echt guter Koch“, versicherte Valeria ihm, während sie auf den Eingang zugingen. „Ich lade dich ein, weil du mich auf die Spritzfahrt mitgenommen hast. Also such dir aus, was du willst.“

Das Innere erinnerte Murphy an jedes andere Diner, das er je besucht hatte. Es gab einen u-förmigen Tresen, an dem Barhocker standen, ansonsten aber auch Tische mit gemütlichen Sitzbänken. Weiter hinten gab es ein Fenster, durch das man in die Küche sehen konnte. Der Boden sah aus wie ein Schachbrettmuster und war genau wie der Tresen auf Hochglanz poliert worden, jemand machte sich eindeutig viel Mühe damit. Das Diner war gut besucht, aber dennoch waren die Stimmen vergleichsweise ruhig, genau wie die sanfte Musik im Hintergrund.

Sie setzten sich gegenüber an einen der noch freien Tische, fast sofort stand eine Bedienung neben ihnen. Sie trug eine übliche Uniform – ein hellblaues knielanges Kleid mit einer weißen Schürze und außerdem einen mit Rüschen besetzten Reif, um das braune, langsam grau werdende Haar zu bändigen –, was Murphy für einen Moment denken ließ, er sei im Diner einer Kette gelandet, aber sie wirkte noch nicht so alt und verbittert wie andere Bedienungen. Die Frau lächelte freundlich, was die leichten Ansätze von Falten an ihren Mundwinkeln betonte, und händigte ihnen die Speisekarten aus. „Herzlich Willkommen im A&G Diner. Mein Name ist Bonnie, ich bin heute eure Bedienung. Hi, Val.“

„Hi, Bonnie.“ Valeria erwiderte ihr Lächeln herzlich. „Ist Olivia heute nicht hier?“

„Sie ist hinten und kümmert sich gerade um die Bestellungen. Also werden du und dein Freund heute mit mir vorlieb nehmen müssen.“ Bonnie sah Murphy an. „Wir kennen uns noch nicht. Sind Sie schon lange in Greenvale?“

Er tauschte einen kurzen Blick mit Valeria, aber sie lächelte einfach nur. Er interpretierte das als Versicherung, dass er sich vor dieser Frau nicht in Acht nehmen müsste. „Ich bin erst seit ein paar Tagen hier. Charles Coleridge.“

„Bonnie Bergen, freut mich sehr, Sie kennenzulernen, Charles.“ Sie griff in eine Tasche ihrer Schürze und zog einen kleinen Schreibblock und einen Kugelschreiber heraus. „Also, was wollt ihr beide haben? Ich kann wieder einmal alles empfehlen.“

Valeria bestellte einen Kaffee für sie beide und außerdem ein Eiersalatsandwich, Murphy entschied sich – angesichts der ausgiebigen Mahlzeiten bei Polly – für ein Truthahnsandwich. Bonnie notierte sich das, dann nahm sie ihnen die Karten wieder ab, versprach, bald zurückzukommen und huschte davon, um die Bestellungen weiterzugeben.

„Du wirst den Kaffee lieben. Bonnie kocht den besten der ganzen Stadt.“

„Ich bin da nicht sonderlich anspruchsvoll.“ Alles war besser als die wässrige braune Brühe, die man im Gefängnis bekam. „Aber Pollys Kaffee ist ernsthafte Konkurrenz.“

Auf seinem Weg nach Greenvale hatte er manchmal in Dinern Kaffee getrunken, aber meist war er auch nur geringfügig besser gewesen als jener im Gefängnis. Deswegen schraubte er seine Hoffnungen lieber nicht zu hoch.

„Von hier aus kann ich dann nachher laufen“, sagte Valeria. „Ich wohne nur die Straße runter, also kannst du dann ins Hotel zurück. Morgen muss ich leider wieder früh arbeiten, sonst hätte ich vorgeschlagen, dass wir noch eine Bar besuchen.“

Es war bedauerlich, sich nach diesem Nachmittag wieder von ihr trennen zu müssen, besonders nachdem sie nun die Wahrheit kannte und ihn immer noch normal behandelte. Aber die Aussicht, dass sie an einem anderen Tag wieder gemeinsam etwas unternehmen könnten, war tröstlich.

„Was für eine Bar hast du im Kopf?“

„Richard besitzt eine großartige Sportsbar. Da sollten wir unbedingt mal hingehen, Dart spielen, Pool … ah, du weißt ja bestimmt, wie es so in Sportsbars abgeht.“

Wie lange war sein letzter Besuch in einer solchen her? Viel zu lange. Heute kannte ihn keiner der Männer mehr, mit denen er damals dort gewesen war. Aber er erinnerte sich nicht einmal an ihre Namen, also war es kein großer Verlust.

„ Du solltest noch etwas von mir wissen“, kündigte Murphy mit ernster Stimme an.

Valeria sog hörbar die Luft ein, nicht weniger ernst war ihr Blick, mit dem sie ihn ansah und auf seine weitere Beichte wartete. Da tat es ihm fast schon leid, deswegen löste sich seine Mimik in ein Schmunzeln auf. „Ich bin ein höllisch guter Poolspieler.“

Für einen schrecklich langen Augenblick, sah es aus als könne Valeria seine Worte nicht verarbeiten – doch dann prustete sie plötzlich und begann zu lachen. „Oh Mann. Ich dachte schon, du willst mir erzählen, dass du eigentlich doch ein Massenmörder bist oder sowas.“

Derart entspannt gefiel sie ihm schon wesentlich besser. Sie schüttelte mit dem Kopf, als sie sich wieder beruhigt hatte. „Wir werden ja sehen, wer von uns der bessere Spieler ist.“

Bonnie kehrte zurück und stellte den Kaffee und die Teller vor ihnen ab. Valeria bezahlte direkt die Rechnung, so dass die freundliche Bedienung sofort wieder davontänzeln konnte.

Murphy nahm einen Schluck des Kaffees und war überrascht. Er war aromatisch, kräftig, mit einem angenehmen Nachgeschmack „Der ist wirklich richtig lecker. Das erwartet man in einem Diner gar nicht mehr.“

Obwohl das Lob nicht ihr galt, schien Valeria davon sehr angetan. „Ich sagte es ja. Ich kannte in meinem Leben noch keinen so guten Kaffee wie den von Bonnie. Kein Wunder, dass sie hier arbeitet. Das wäre sonst echt eine Verschwendung gewesen.“

Mit einem glücklichen Blick auf ihrem Gesicht, trank sie ihren Kaffee und nahm immer wieder einen Bissen ihres Sandwiches. Murphy machte es ihr nach, ohne den glücklichen Blick. Aber er musste dennoch zugeben, dass er sich gerade gut fühlte. In diesem Moment konnte er sich erst recht vorstellen, noch mehr Zeit in dieser Stadt zu verbringen. Viel mehr.

Doch auch dieser schöne Augenblick fand ein rasches Ende, als er plötzlich auf das Gespräch am Nebentisch aufmerksam wurde: „Du bist doch Zandras Nachbarin. Hast du irgendetwas gesehen?“

Also machte es inzwischen die Runde, dass sie tot war, es war wirklich eine kleine Stadt. Zum Glück hatte er es Valeria bereits erzählt, so konnte sie nicht mehr überrascht sein. Stattdessen runzelte sie die Stirn und schwieg, um ebenfalls zuzuhören.

Das Gespräch fand hinter ihm statt, deswegen wagte er nicht, sich umzudrehen, aber er spitzte weiterhin die Ohren. Die Nachbarin zögerte nicht lange, ehe sie antwortete: „Ich habe sie gesehen, als die Polizisten die Untersuchung durchgeführt haben.“

„Hast du einen guten Blick bekommen?“, fragte eine dritte Stimme.

„Für einen kurzen Moment, ja. Es war wirklich nur ganz kurz. Es sah aus als hätte ihr jemand den Kopf eingeschlagen. Aber so brutal … ich kann nicht glauben, dass ein Mensch das getan hat.“

„Menschen sind ganz üble Gestalten“, sagte eine ihrer Begleiterinnen. „Ich traue ihnen alles zu.“

„Letzte Nacht hat es geregnet“, meldete sich die dritte Frau noch einmal zu Wort. „Vielleicht war es ja der Regenmantelmörder?“

Murphy sah Valeria fragend an, aber sie hob nur die Schultern. Natürlich, sie kannte sich damit genausowenig aus wie er. Der Regenmantelmörder war vor einem Jahr umhergegangen, sie war noch nicht so lange hier.

Da hörte er aber bereits die erste Frau protestieren: „Er kann es nicht gewesen sein. Hast du schon vergessen? Er hat andere Methoden verwendet, richtig ausgeklügelte.“

Also vielleicht doch jemand, der es satt hatte, dass sie alles weitererzählte? Schließlich konnte man einem Menschen mit allen möglichen Dingen den Kopf einschlagen – wenn er den anderen Insassen im Gefängnis glauben durfte. Aber es war offenbar nicht so einfach, die Tatwaffe danach verschwinden zu lassen, weswegen die meisten von ihnen überhaupt im Gefängnis gesessen hatten. Aber das bedeutete auch, dass man den Täter in diesem Fall schnell fassen könnte, er musste sich also keine Sorgen machen.

„Da war nur eine Sache, die ungewöhnlich war“, merkte die Nachbarin an. „Zandras Wohnung ist komplett mit Teppich ausgelegt. Und der war vollkommen durchnässt.“

Schlagartig blieb Murphy die Luft weg. Er erinnerte sich wieder an das Gefängnis, das Wasser auf dem Boden – und der Moment im Waisenhaus, als der Bogeyman den Jungen getötet hatte.

Nein, das kann nicht sein. Es gibt bestimmt eine andere Erklärung. Es muss einfach so sein.

„Wollte sie nachts vielleicht baden?“, fragte die erste Person. „Hast du da was gehört?“

„Nein. Das einzig Ungewöhnliche waren die schweren Schritte vor dem Haus, bevor ich eingeschlafen bin.“

Er musste sich Mühe geben weiterzuatmen. Das alles durfte einfach nicht sein. Es war unmöglich, die Polizei würde das beweisen und den richtigen Mörder finden, er musste sich keine Sorgen machen.

Valeria bemerkte offenbar, dass es ihm nicht gut ging, denn sie stand plötzlich auf. „Komm, lass uns gehen. Es wird Zeit, dass ich nach Hause komme.“

Sein Kaffee war noch nicht leer und sein Sandwich nicht aufgegessen, aber ihm war als hätte er einen Kloß im Hals, er könnte nicht einmal mehr etwas hinunterwürgen. Deswegen kümmerte er sich nicht weiter um die Reste, sondern stand ebenfalls auf und ging mit Valeria nach draußen. Er widmete den tratschenden Frauen keinen Blick.

Kaum spürte er wieder die frische Luft, fiel ihm das Atmen schon leichter. Der Himmel war mit grauen Wolken bedeckt, aber das störte ihn nicht.

„Du siehst schon wieder viel besser aus.“ Valeria lächelte erleichtert. „Ich weiß nicht, was dich da drin so mitgenommen hat, und du musst es mir auch nicht erzählen. Ich kann ja schon froh sein, dass du mir alles andere erzählt hast.“

Tatsächlich fühlte er sich auch noch nicht bereit dazu, ihr von dem Bogeyman zu erzählen, genausowenig wie sonst irgendjemandem. Das war ein Punkt seiner Vergangenheit, den niemand jemals erfahren sollte, wenn es sich verhindern ließe.

„Danke, Val.“

Sie nickte. „Du solltest jetzt erst einmal zurück nach Hause. Mach dir keine Sorgen um mich, ich bin auch sicher hergekommen, also schaffe ich es auch heim. Du musst dich aber unbedingt ausruhen, der Tag heute war emotional für dich, nicht?“

„Sieht ganz so aus.“ Er lächelte ein wenig grimmig. „Dann sehen wir uns.“

Er konnte gerade noch verhindern, hinzuzufügen, dass das hoffentlich bald geschähe. Sie versicherte ihm, dass man sich spätestens in der Milk Barn wiederbegegnen würde, dann machte sie sich auf den Heimweg. Wie sie gesagt hatte, lief sie einfach die Straße entlang.

Für einige Sekunden sah er ihr hinterher, beobachtete ihren lockeren sorglosen Gang, der ihm half, seine schlechten Gefühle wieder möglichst weit zurückzudrängen. Erst dann wandte er sich von ihr ab, um zum Wagen zurückzukehren – und im selben Moment glaubte er, ihren Blick in seinem Rücken spüren zu können. Er überzeugte sich nicht davon, ob sie wirklich zu ihm sah, sondern genoss einfach den Glauben, dass sie es tat, und lief über den Parkplatz zum Wagen. Es wurde wirklich Zeit, zurück ins Hotel zu kommen.

Kapitel 9: Ich wollte nur für Polly das Boot ausprobieren

Murphy fand einige Tage keine Gelegenheit mehr, Valeria zu besuchen. Er war im Hotel damit ausgelastet gewesen, in den Zimmern abzustauben, zu saugen, die Badezimmer und die Fenster zu reinigen und weiter für Ordnung im Garten zu sorgen, was auch Rasenmähen miteinschloss.

Seit der Nacht in der Zandra ermordet worden war, hatte es glücklicherweise nicht mehr geregnet, aber der Himmel war ständig bewölkt. In diesem Mordfall war die Polizei noch nicht weitergekommen, jedenfalls wenn er der Zeitung glauben durfte, die Polly jeden Morgen auf den Frühstückstisch legte. Es gab keine Hinweise, keine Zeugen, aber jede Menge Motive. Die Ermittlungen dürften sich bald im Sand verlaufen, wie Murphy glaubte. Ihm blieb nur, für die gesamte Stadt zu hoffen, dass so etwas nicht mehr vorkäme – und für sich selbst, dass trotz der Parallelität nichts hiervon mit dem Bogeyman zu tun hatte.

Wie um ihn abzulenken, hatte es einige andere Gäste im Hotel gegeben, die aber nur eine Nacht geblieben und am nächsten Morgen wieder gefahren waren. Dennoch schien Polly nicht besorgt über die finanzielle Situation des Geschäfts. Sie war lebhaft und vergnügt wie immer.

Es waren vier Tage seit seiner Verabredung mit Valeria vergangen, als er dem Steg hinter dem Hotel zum Bootshaus folgte. Polly hatte ihm erzählt, dass es früher, in den Glanzzeiten des Great Deer Yard, auch möglich gewesen war, dass Gäste ein Motorboot mieteten, um damit über den See zu fahren. Kleinere Geldbörsen waren immerhin noch mit Ruderbooten bedient gewesen. Diese lagen sicher auf dem Trockendock, könnten vermutlich aber auch nicht mehr einfach so benutzt werden. Polly hatte ihn gebeten, das Motorboot zu begutachten, um sicherzustellen, dass es nicht leckgeschlagen war und auch nicht voller Wasser. Außerdem sollte er bei dieser Gelegenheit auch gleich eine Runde fahren, damit der Motor nicht durch die mangelnde Nutzung Schaden nahm. Dafür hatte sie ihm den Schlüssel überlassen. An diesem hing kein großer Anhänger, der FREEDOM verkündete, lediglich eine kleine Plakette mit dem Namen des Hotels.

Das Boot sah auch nicht im Mindesten aus wie das dieses DJs, dessen Namen er schon wieder vergessen hatte. Es erschien ihm wie eine Ewigkeit, dass er die an ihn gerichteten Nachrichten im Radio gehört, und dann in diesem Studio gestanden hatte. Er war mit Schmutz und Kratzern übersät gewesen, sein einziger Wunsch, Silent Hill zu verlassen, in Reichweite. Und dann war ihm das alles wieder in Sekundenbruchteilen entrissen worden. Er war sich immer noch nicht sicher, ob dieser DJ – Bobby Ricks, das war sein Name gewesen – wirklich ein Mensch oder nur ein von der Stadt geschaffenes Geschöpf gewesen war.

Das Motorboot des Hotels war ein etwa vier Meter langer Zweisitzer. Anders als auf Ricks' Boot konnte man also nicht stehen, sondern musste auf den roten Ledersitzen – die abgenutzt aussahen – Platz nehmen, um es zu fahren.

„Wenigstens kann dann nicht plötzlich eine Polizistin mit einer Pistole hinter einem stehen“, murmelte er sich leise zu.

Das weiß lackierte Boot bewegte sich sacht mit den Wellen. Murphys Kenntnisse über Boote waren nur beschränkt, aber zumindest auf den ersten Blick sah es gut aus. Der Lack des Rumpfes war unter der Wasseroberfläche ein wenig verdreckt, aber nicht weiter schlimm. Soweit er sehen konnte, gab es keinerlei bemerkenswerte Schäden oder auch nur Kratzer, die man ausbessern müsste. Die Windschutzscheibe war ebenfalls verdreckt. Im Fußraum hatte sich dreckiges Wasser angesammelt. Es musste in Stürmen oder heftigen Regenfällen hineingespült worden sein. Das alles waren lediglich kosmetische Probleme, mit denen das Boot aber umso besser zu dieser Stadt zu passen schien.

Als erstes kümmerte Murphy sich um das Wasser im Fußraum. Mithilfe eines Bechers aus einfachem Blech, der im Bootshaus gestanden hatte, schöpfte er die Flüssigkeit ab und schüttete sie dann in den See. Glücklicherweise hatten keine Fliegen beschlossen, dass diese Pfütze eine ideale Brutstätte wäre. Im Anschluss reinigte er die Windschutzscheibe, damit man endlich wieder hindurchsehen konnte, dann war das Armaturenbrett an der Reihe und auch die Ledersitze, die er notdürftig mit einem Tuch abrieb. Die Nähte waren eingerissen, die weiße Füllung war bräunlich verfärbt. Er müsste Polly nach Nähgarn fragen, und nach Melkfett, um das Leder einzureiben, damit es nicht noch mehr Risse bekam. Das hätte aber Zeit bis zu einem anderen Tag, erst einmal wollte er sich der Testfahrt widmen.

Er setzte sich richtig auf den Fahrersitz, steckte den Schlüssel ins Zündschloss und drehte. Der Motor erwachte stotternd zum Leben, schien abzusterben und fing sich dann doch wieder. Vorsichtig und nur langsam führte er das Boot auf den offenen See hinaus, wo er dann Gas geben konnte. Der Wind fuhr durch sein Haar und weckte wieder den Gedanken in ihm, dass ein Leben hier wirklich gut sein könnte.

Er stellte sicher, dass er auf der Wasseroberfläche kein Hindernis sehen konnte, dann brachte er das Boot auf seine Höchstgeschwindigkeit. Ohne Stottern pflügte es über den See, der seine eigene kleine Welt zu sein schien. Alles andere – Murphys Vergangenheit, seine Probleme, das Hotel – rückte in die Ferne, wo es kaum noch zu erreichen war. Dies war das Leben, mit einer hohen Geschwindigkeit über das Wasser fahren, den Wind spüren, die Freiheit … Fast hätte er angefangen, Born free zu summen, als ihm etwas auffiel.

Im Norden, wo ein Flussarm in den See mündete, befand sich noch ein hölzerner Steg. Er wirkte geradezu einsam, so wie er da zwischen allen Bäumen am Ufer saß, direkt neben einem Bootshaus. Aber bei genauerem Hinsehen erkannte Murphy, dass jemand ihm vom Steg aus zuwinkte. Es waren zwei Personen, die nicht aussahen als wären sie in Panik. Das war beruhigend, deswegen spürte er auch keinerlei Aufregung, als er den Motor drosselte und auf die beiden zuhielt. Direkt neben dem Steg brachte er das Boot dann, zu seiner eigenen Überraschung, zum Stehen.

„Hallo~“, flötete ihm eine weibliche Stimme schon entgegen, bevor er überhaupt hatte den Kopf heben können.

„Warten Sie, ich helfe Ihnen“, sagte ein Mann, und noch ehe Murphy widersprechen konnte, hatte jemand ein Seil am Boot festgemacht, damit es nicht wegtreiben konnte.

Murphy bedankte sich, nachdem der andere ihm dann auch noch geholfen hatte, auf den Steg zu kommen. Ohne ihn loszulassen, schüttelte der Unbekannte ihm enthusiastisch die Hand. „Freut mich sehr, dass endlich mal jemand meiner Einladung gefolgt ist. So weit abseits von der Stadt ist es nicht ganz leicht, Leute kennenzulernen.“

Murphy musterte den Mann fortgeschrittenen Alters, dessen graues Haar bereits schütter wurde, was der fein frisierte Bart um seine Lippen auszugleichen versuchte. Der Druck seiner fleischigen Hand war fest, aber nicht unangenehm. Er konnte sich aber an keine Einladung dieses Mannes erinnern.

„Ich glaube, das ist ein Missverständnis“, sagte er daher. „Ich wollte nur für Polly das Boot ausprobieren, dann bin ich zufällig vorbeigekommen.“

Trotz dieser Offenbarung riss das Lächeln des anderen nicht ab. „Auch in Ordnung! Mein Name ist Adrian Bolton!“

Er wartete auf eine Reaktion darauf, aber Murphy wusste nur mit einer eigenen Vorstellung zu erwidern: „Charles Coleridge.“

Sollte Adrian enttäuscht sein, so zeigte er das nicht. „Es freut mich sehr, Mr. Coleridge. Sind Sie schon lange in Greenvale?“

Als Murphy verneinte, strahlte Adrian regelrecht. „Wir auch nicht! Immer schön, jemanden zu treffen, der sich auch von dieser Stadt angezogen fühlt. Nicht wahr, Liebling?“

Er warf einen Blick zu der Frau hinüber, die Murphy erst jetzt wirklich wahrnahm. Im Gegensatz zu ihrem Ehemann war sie noch jung, vielleicht noch nicht einmal 30. Ihr blondes Haar war kunstvoll hochgesteckt, ihr schwarzer Bikini zeigte fast mehr als er verhüllte. Wenn er das Haus betrachtete, das jenseits des Ufers aufragte, und mehr wie ein Anwesen wirkte, war ihm klar, dass Adrian reich sein musste, und seine Frau möglicherweise nur eine Goldgräberin. Aber das war nicht seine Sache, also sagte er auch nichts dazu.

„Herzlich willkommen~“, flötete die Frau. „Ich bin Yolanda.“

Murphy nickte ihr zu, wandte sich aber sofort wieder an den weitersprechenden Adrian: „Wohnen Sie ebenfalls am See, Mr. Coleridge?“

„Ja, im Great Deer Yard, dem Hotel die Straße runter.“

„Daran erinnere ich mich“, sagte Yolanda. „Wir waren dort vor ein paar Monaten im Urlaub.“

„Haben uns sofort in den Ort verliebt“, erklärte Adrian weiter. „Glücklicherweise stand dieses Haus frei. Der Makler sagte, vor einem Jahr hätte hier ein Mord stattgefunden, aber so gab es das Gebäude nur umso günstiger.“

Warum man jemandem, den man gerade erst getroffen hatte, so etwas mitteilte, entzog sich Murphys Verständnis. Aber das hinterfragte er in dieser Stadt nicht. „Etwa einer der Morde des Regenmantelmörders?“

Adrian winkte ab. „Ja, irgendwie so etwas Lächerliches.“

Murphy überlegte, ob sie wohl wussten, dass es einen neuen Mord gegeben hatte, weswegen die Stadtbewohner bereits wieder über die Rückkehr dieses Mörders munkelten. Aber vielleicht interessierten Reiche sich auch gar nicht dafür, wenn ein Mensch der Arbeiterklasse starb, solange es sich nicht negativ auf sie auswirkte.

„Natürlich war das ein tragisches Ereignis für die Stadt“, ergänzte Yolanda, mit der gefälschten Bestürzung eines Politikers, der gerade einen Vorfall bedauern musste, in einem Land, von dem er nicht einmal wusste, wo genau es war. „Aber für uns war es ein glücklicher Zufall, dass wir nicht nur dieses Haus, sondern auch die Galerie günstig bekommen konnten.“

Murphys Nachfrage, was sie mit einer solchen wollten, brachte Adrian dazu, stolz die Brust herauszustrecken. „Ich bin Kunstsammler. Also werde ich Ausstellungen organisieren, damit die Kultur in dieser schönen Stadt nicht verlorengeht. Und eines Tages wird die Musengalerie so bekannt sein wie der Louvre in Paris.“

Das klang wie ein ambitioniertes Ziel, aber auch der Louvre musste irgendwann einmal klein angefangen haben. Das nahm Murphy jedenfalls an, er kannte sich nicht sehr mit Kultur aus, sobald es über das Kino hinausging. Und selbst in diese Bereich waren ihm schon viele Dinge entgangen.

Yolanda hakte sich bei ihrem Mann unter. „Ich bin so stolz auf meinen Liebling~.“

Der Blick, dem sie ihm dabei zuwarf, erzeugte tatsächlich die Illusion von Verliebtheit. Adrian sonnte sich in dieser Aufmerksamkeit, hielt aber sein Gespräch aufrecht: „Da wir erst seit kurzem hier leben, haben wir andere Stadtbewohner eingeladen, uns zu besuchen. Aber entweder haben sie zu viel Angst oder es ist ihnen zu weit draußen, jedenfalls sind Sie der erste, den wir hier begrüßen dürfen.“

Davon wusste Murphy gar nichts. Polly war entweder nicht eingeladen worden oder sie hatte es direkt wieder vergessen. Ihm war schon oft aufgefallen, dass sie neben ihrer Schwerhörigkeit auch Probleme mit dem Gedächtnis hatte. Am liebsten hätte er sie einfach zum Arzt gebracht, aber es erschien ihm als Außenstehender zu frech, sich da einzumischen. Irgendwann müsste er sie aber einmal darauf ansprechen.

„Ich bin sicher, es werden mit der Zeit noch mehr kommen“, meinte Murphy. „Bislang habe ich den Eindruck, dass alle immer sehr beschäftigt sind.“

Adrian nickte bedächtig. „Das ist natürlich auch eine Möglichkeit. Aber ich hoffe, sie werden nicht zu beschäftigt sein, wenn ich die Galerie wiedereröffne. Das wird ein wahres Spektakel werden!“

Bei einer solchen Eröffnung war Murphy nie gewesen, aber vor seinem inneren Auge sah er eine Ansammlung von Presseleuten, die Stars auf einem roten Teppich fotografierten und versuchten, Interviews zu erhaschen, direkt neben einem üppigen Buffet, an dem sich Gäste an Shrimps und Muscheln bedienten. Zwischendrin sah er Valeria, in einer Uniform, während sie darauf achtete, dass der Tisch sauber und gleichzeitig gefüllt blieb. Und plötzlich dachte er sich, dass er sie unbedingt wieder besuchen gehen müsste.

„Ich werde im Hotel vorbeikommen, wenn es soweit ist, und Ihnen eine Karte dafür bringen, Mr. Coleridge. Wie oft hat man schon die Gelegenheit, bei einem solch denkwürdigen Ereignis dabei zu sein?“

Auch wenn Murphy sich nicht für Kunst interessierte, lag ihm doch einiges daran, sich mit den Stadtbewohnern gutzustellen, um sicherzugehen, dass niemand recherchierte, was ihn anging – oder einfach nur, dass er ein angenehmes Leben hier führen könnte. Deswegen bedankte er sich dafür. Solange er die Bilder nicht in der ganzen Stadt zusammensuchen müsste, könnte es vielleicht sogar interessant werden. Eine neue Erfahrung war es auf jeden Fall.

„Oh~“, fiel es Yolanda plötzlich ein, als hätte Adrian ihr ein gutes Stichwort geliefert, „ich lasse die Kunst auch nicht einfach sterben. Ich werde bald anfangen, Theaterstücke im Mercury Theater aufzuführen. Die Proben laufen schon.“

Offenbar gab es genug Leute in der Stadt, die sich auf ein solches Unterfangen einließen. Ob Valeria dazu gehörte? Er müsste sie fragen. Wäre das vielleicht Grund genug, sie mal wieder aufzusuchen?

„Kommen Sie ruhig vorbei, wenn es soweit ist, Mr. Coleridge. Waren Sie schon mal im Theater? Nein? Dann sollten Sie das unbedingt einmal nachholen. Es gibt kein schöneres Gefühl als die Magie, wenn der Vorhang sich hebt und ...“

Während sie begeistert weitererzählte, dachte er wieder an das Waisenhaus in Silent Hill zurück. Das Theaterstück, das dort aufgeführt worden war und dessen Technik er hatte übernehmen müssen, wie sich die Aula plötzlich in einen Wald verwandelt hatte. Das war Magie gewesen, aber sicher eine andere als jene, von der Yolanda sprach.

„Sie bekommen auf jeden Fall ein Ticket von mir, sobald der Premieren-Termin steht“, versicherte sie ihm noch zum Abschluss ihrer kleinen begeisterten Rede.

Er erwiderte ihr, dass er sich schon darauf freute, dann erinnerte er sich aber auch daran, dass er eigentlich gerade arbeiten musste. „Ich fürchte, ich muss jetzt wieder gehen. Polly wartet bestimmt schon auf mich.“

„Zu schade“, sagte Adrian wirklich bekümmert. „Ich hätte gehofft, Sie auf ein Glas einladen zu können.“

Dabei gestikulierte er in Richtung seines Hauses. Obwohl Murphy durchaus interessiert daran gewesen wäre, das Innere dieses enormen Gebäudes kennenzulernen, musste er für diesen Tag ablehnen, aber Adrian zeigte sich verständnisvoll: „Natürlich, die Arbeit geht vor, das versteht niemand besser als ich. Denken Sie, ich wäre an mein Geld gekommen, wenn ich nicht gearbeitet hätte?“

Darüber wagte Murphy kein Urteil, während er wieder ins Boot stieg. Dabei fiel ihm wieder auf, dass er sich unbedingt um diese Ledersitze kümmern musste. Wenn dieser Makel beseitigt wäre, könnte er Polly vielleicht fragen, ob er Gäste mit dem Boot umherfahren dürfte.

„Kommen Sie ruhig wieder einmal vorbei“, sagte Adrian, wozu Yolanda bekräftigend nickte. „Gern auch mit dem Auto, und auch unangemeldet. Für Freunde steht unsere Tür immer offen.“

Murphy hätte wegen dem vorzeitigen Erklären der Freundschaft am liebsten spöttisch aufgelacht, aber er ließ es bleiben und löste stattdessen nur das Seil, das ihn mit dem Steg verband.

Nach einer letzten Verabschiedung, startete er den Motor und begab sich auf den offenen See, um zum Hotel zurückzukehren. Vielleicht sollte er die beiden wirklich wieder besuchen, wenn er die Gelegenheit bekam. Es konnte nur positiv sein, sich mit den Nachbarn gutzustellen, auch wenn es derartige Unterschiede zwischen ihnen gab. Und möglicherweise wirkten sie ja nur auf den ersten Blick derart exzentrisch. Frank hätte ihm bestimmt auch geraten, unbefangen auf mögliche neue Freunde zuzugehen. Deswegen beschloss er, das auch in die Tat umzusetzen.

Als ob sie seine Entscheidung gutheißen wollte, brach in diesem Moment die Sonne durch die Wolkendecke. Wieder überkam ihn das Gefühl, dass alles gut war und nichts das jemals ändern könnte. Nicht einmal ein Mord, der immerhin auch nichts mit ihm zu tun hatte, wenn seine Paranoia endlich schwieg.

Und so mischte sich unter das Brummen des Motors auch sein Summen von Born free.

Kapitel 10: Wie schnell denn noch, Lady?

Zwei Wochen vergingen, in denen Murphy in einen angenehmen Alltag verfiel. Hauptsächlich arbeitete er im Hotel – wofür Polly ihm inzwischen sogar ein kleines Taschengeld zahlte –, erledigte aber auch allerlei Besorgungen, die anfielen, wie etwa Medikamente aus der Apotheke (inzwischen arbeiteten freundliche Leute dort, die ihn nicht zum Mittelpunkt ihrer Gerüchteküche machen wollten, aber der ungeklärte Fall hing wie eine dunkle Wolke über ihnen allen) oder Lebensmittel aus der Milk Barn. Besonders über letzteres freute er sich immer, da es im Regelfall auch bedeutete, Valeria zu sehen. Er versuchte sogar bereits, seine Einkaufsfahrten mit ihren Schichten zu koordinieren; weil er dabei aber nicht zu offensichtlich sein und sie danach fragen wollte, gelang ihm das nicht sonderlich gut, doch es genügte, um manchmal mit ihr plaudern zu können (inzwischen wusste er schon, dass sie auf dem College in einem Kunstkurs gewesen und in den Lehrer desselben verknallt gewesen war, und sie am liebsten mit Acrylfarben arbeitete). Anhand des Blicks, den Lilly Ingram ihm beim Betreten des Ladens schenkte, konnte er schon immer sehen, ob er hoffen durfte oder wieder einmal zur falschen Zeit gekommen war.

An diesem Tag war es wieder einmal soweit gewesen, dass er Valeria verpasst hatte, deswegen war Murphy nicht in bester Laune, als er die Einkäufe im Lincoln verstaute. Durch den mit schwarzen Wolken verhangenen Himmel war es dunkler als es um die Mittagszeit eigentlich sein dürfte. Der Wetterbericht hatte ihn bereits davor gewarnt, dass es an diesem Tag noch regnen würde. Wann immer er nach oben blickte, fühlte er sich erneut an Silent Hill erinnert, an die Gewitter und die darauf wütend kreischenden Monster, deren Aggressionen ungezügelter geworden waren.

Erst das Brummen des Motors verdrängte seine finsteren Gedanken, so dass er sich wieder auf die Straße konzentrieren konnte. Er genoss, dass es kaum Verkehr in Greenvale gab, und die wenigen anderen Autos waren oft mit Fahrern besetzt, die einen kannten und grüßten, sobald man aneinander vorüberfuhr. Es war großartig, in dieser Stadt zu leben.

Als Murphy in die Straße am Elektrizitätswerk einbog, bemerkte er eine unbekannte Person auf dem Bürgersteig. Es war eine ältere Frau, die an und für sich gut gekleidet war, in ihrem Rock und der Strickjacke, auch ihr kurzes blondes Haar wirkte gepflegt. Die einzigen Dinge, die ungewöhnlich waren, stachen ihm dafür besonders ins Auge: Sie trug nur einen Schuh und sie hielt einen Kochtopf in den Händen.

Noch immer drohte der baldige Regen, der diese Frau böse überraschen könnte, deswegen hielt er den Wagen neben ihr. Er stieg aus und lehnte sich über das Dach in ihre Richtung. „Entschuldigung?“

Die Frau wandte sich ihm zu, ihr fahriger Blick wirkte abwesend, verwirrt.

„Kann ich Sie vielleicht an Ihr Ziel bringen, bevor es zu regnen beginnt?“ Dabei deutete er nach oben, aber sie folgte seinem Fingerzeig nicht.

Er erwartete, dass sie ihn nach seinem Namen fragen oder ihn darauf hinweisen würde, dass sie nicht mit Fremden fuhr, aber stattdessen erwiderte sie etwas Unerwartetes: „Der Topf wird kalt! Fahren Sie mich sofort nach Hause!“

Die Worte hingen noch in der Luft, da öffnete sie bereits die Tür auf ihrer Seite und ließ sich auf den Beifahrersitz sinken. Murphy blinzelte irritiert – derartige Sätze waren ihm noch nie untergekommen –, setzte sich dann aber ebenfalls wieder ins Auto.

In knappen Worten erklärte die Frau ihm, in welcher Straße sie wohnte. Murphy rief sich die Karte, die ihm nun wesentlich vertrauter war, ins Gedächtnis und erkannte, dass sie glücklicherweise nicht so weit weg wohnte. Er startete den Motor, freute sich auf die entspannte Fahrt und das Gespräch mit einer Einwohnerin – als diese plötzlich einen erschrockenen Ruf ausstieß: „Los, fahren Sie! Der Topf wird doch kalt!“

Statt etwas zu erwidern – er wusste ohnehin nicht, was in einer solchen Situation angemessen wäre –, drückte Murphy tatsächlich auf das Gaspedal. Der Lincoln raste los, flog geradewegs über die Straße. Es fiel ihm schwer, diese geballte Kraft überhaupt noch unter Kontrolle zu halten. Statt an der aufkommenden Kreuzung vor dem See zu halten, schickte er ein Stoßgebet an den Himmel, dass kein anderes Auto unterwegs wäre, dann vollführte er eine scharfe Linkskurve. Die Reifen quietschten, verloren für einen kurzen Moment die Bodenhaftung. Ohne das Tempo herunterzunehmen, fuhr er weiter. Doch seiner Begleitung schien es nicht schnell genug zu sein: „Warum müssen Sie so vorsichtig fahren?!“

Murphy warf ihr einen raschen Blick zu. Sie tippelte nervös mit den Füßen, der Deckel klapperte dabei auf dem Topf. Sie meinte es wirklich ernst. Aber was konnte so Wichtiges im Inneren sein?

Dem Himmel sei Dank blieb die Straße leer, denn je länger er so fahren musste, desto müder wurden seine Arme. Immer öfter brach der Wagen kurzzeitig nach links aus.

„Er verliert immer mehr seiner Wärme“, klagte seine Begleiterin. „Fahren Sie doch schneller!“

Wie schnell denn noch, Lady?

Da er die kleine Siedlung, in der sie lebte, näherkommen sah, drückte er nicht weiter aufs Gas, sondern bremste ein wenig. Sehr zum Unwillen der eigenartigen Dame neben sich: „Wir haben nicht mehr viel Zeit!“

„Wir sind ja gleich da“, erwiderte er ihr. „Keine Sorge, wir schaffen das.“

Sie reagierte nicht auf seine Worte, sondern starrte immer geradeaus, durch die Windschutzscheibe. Ihr Oberkörper war ein wenig vornübergeneigt, als könnte sie die Fahrt damit beschleunigen.

Er bog nach links ab, als die Einfahrt kam, glücklicherweise wieder ohne jemanden zu treffen. Die Siedlung bestand aus mehreren zweistöckigen Häusern, allesamt gleich aussehend, die oval angeordnet waren. Zwischen den einzelnen Grundstücken gab es mehrere Büsche und Bäume, so dass es fast so wirkte als wären sie mitten im Wald. Es war eine angenehme Gegend, in der sich bestimmt gut Kinder aufziehen ließen. Es versetzte Murphy einen schmerzhaften Stich in der Brust, da er unwillkürlich an Charlie zurückdenken musste.

Er stoppte den Wagen vor der Einfahrt, die ihm seine Begleitung wies. Schon bei einem flüchtigen Blick entdeckte er einen einzelnen braunen Schuh, der dort lag, er passte zu dem, den die Frau trug.

Warum sie diesen verloren hatte, konnte er allerdings nicht ergründen. Er stand auf, ging um den Wagen – so schnell es ihm möglich war – und öffnete die Beifahrertür. Seine Begleiterin meckerte leise, als sie ausstieg und zur Haustür lief. Dort hielt sie wieder inne, drehte sich zu ihm um und atmete auf. „Wir haben es geschafft, er ist noch warm. Danke.“

Murphy stemmte seine Hände in die Hüften. „Was ist denn in dem Topf, dass er nicht kalt werden darf?“

Und warum ging sie damit dann überhaupt spazieren? Im Allgemeinen pflegte Murphy jedenfalls, seine Kochutensilien zu Hause zu lassen. In seinem ganzen Leben war er nie zuvor jemandem begegnet, der es anders handhabte.

Sie sah darauf hinunter, neigte den Kopf. „Das ist ein Geheimnis zwischen dem Topf und mir. Sie müssen ihn erst verstehen lernen, dann erfahren Sie es von ihm selbst.“

Murphy betrachtete das einfache Metall, in dem er sich undeutlich und verzerrt spiegelte. Aber für ihn war es einfach nur ein Küchengerät, etwas, das man benutzte, um Mahlzeiten herzustellen, mehr nicht. Dennoch interessierte ihn brennend, was sich im Inneren befand. Vielleicht nur eine Mahlzeit? Möglicherweise ein Fisch? Ein menschliches Herz? Die Möglichkeiten waren endlos, er musste es wissen!

„Wie kann ich ihn verstehen lernen?“

Ihr Gesicht erhellte sich augenblicklich. „Sie müssen mehr Zeit mit ihm verbringen.“

Sollte das eine Einladung sein? Wollte sie, dass er mit ins Haus kam? Dafür hätte er trotz aller Neugierde keine Zeit, deswegen legte er sich bereits eine Ausrede zurecht, um sich zu entschuldigen – doch sie hatte das gar nicht im Sinn: „Sie werden uns noch oft herumfahren müssen.“

Noch mehr solcher halsbrecherischer Fahrten? Murphy war sich nicht sicher, ob er das überleben könnte. Aber die Neugierde hatte ihn gepackt und wollte nicht mehr loslassen.

„Sollen wir dafür Termine ausmachen?“

Die Frau schüttelte den Kopf. „Sie werden uns finden, wenn der Topf denkt, dass die Zeit richtig ist.“ Sie senkte ihre Stimme zu einem Flüstern. „Er weiß alles.“

Ein eiskalter Schauer lief über Murphys Rücken. Falls irgendetwas in diesem Topf war, das wirklich alles mögliche wusste, wäre sein friedliches Leben hier in Gefahr. Wusste diese Frau dann auch, wer er war? Was er angestellt hatte? Sie machte nicht den Eindruck, aber darauf konnte er sich nicht verlassen.

Nein, ich darf mich nicht verrückt machen lassen.

Selbst nach allem, was er erlebt hatte, durfte er sich nicht einreden, dass – ausgerechnet – ein Topf allwissend wäre und wusste, was bei ihm bislang geschehen war. Schließlich gab es auch die Möglichkeit, dass überhaupt nichts darin und die Frau nur ein wenig verrückt war.

Er deutete locker auf den Topf. „Ist das wahr?“

Sie nickte. „Ich bin auf unser nächstes Treffen gespannt.“

Statt weiterer Worte verschwand sie schließlich im Haus. Murphy starrte auf die einfache Holztür, wunderte sich, ob diese Begegnung gerade wirklich geschehen war.

„Was leben nur für Leute in dieser Stadt?“, murmelte er.

Sie waren alle eigenartig, aber auch irgendwie liebenswert. Selbst diese verrückte Begegnung erfüllte ihn nur mit einer kindlichen Neugier, die gestillt werden wollte. Er müsste aber auch unbedingt herausfinden, ob die anderen wussten, wer diese Frau war und ob sie sich immer so verhielt.

Da er die Antwort nicht in dieser Einfahrt finden könnte, wandte er sich wieder dem Auto zu. Vorsichtshalber ging er einmal um den Wagen herum. Nichts fehlte oder war beschädigt. Zumindest hatte die Fahrt also nicht negativ geendet. Wie hätte er das sonst Polly erklären sollen?

Die ersten Tropfen fielen bereits, deswegen stieg er ins Auto. Kaum saß er drinnen, verstärkte sich der Regen, klatschte hämmernd auf Dach und Windschutzscheibe, ließ seinen Blick nach draußen verschwimmen. Er atmete durch. Alles war gut, er war nicht mehr in Silent Hill, keine Monster würden ihn angreifen, er war in Sicherheit.

Ich habe hier schon öfter Regen erlebt, ich schaffe das. Sich selbst gut zuzusprechen, half vielleicht, dabei flüsterte ihm sein Unterbewusstsein aber auch zu, dass er das erste Mal seit Silent Hill bei solchem Wetter im Freien war und man ja nie wissen konnte.

Murphy drehte den Schlüssel. Der Wagen sprang sofort an, ein weiteres Zeichen, dass er sich keine Sorgen machen musste. Die Scheibenwischer klärten seine Sicht wieder. Aber das Gefühl, verfolgt zu werden, den Drang, über die Schulter zu blicken, konnte er nicht einfach so ablegen, nicht einmal, als er wieder auf die Hauptstraße zurückkehrte. Sie führte am See entlang, der sich bis zum Hotel erstreckte. An sonnigen Tagen war es ein wunderschöner, aber auch blendender Anblick. Doch bei Regen war es nur noch eine stahlgraue Platte, deren gleichmäßige Oberfläche von unzähligen Tropfen zersplittert wurde. Es war auf seine eigene Art und Weise reichlich … deprimierend.

Am See gab es einen Parkplatz, der für Reisende als Ort zum Rasten gedacht war. Murphy war inzwischen so oft daran vorbeigefahren, dass er nur einen flüchtigen Blick dafür übrig hatte – jedenfalls bis er die große schwarze Gestalt entdeckte. Alles in seinem Inneren gefror sofort, er erwartete regelrecht Blitz und Donner, gefolgt von dem Schreien unzähliger Monster.

Obwohl beides ausblieb, ließ das Frieren in seinem Inneren nicht nach. Er musste sichergehen. Also bog er auf den Parkplatz ein, achtete nicht darauf, wie er das Auto stehenließ, und stieg aus.

Seine Kleidung sog sich sofort mit Wasser voll. Er ließ den Blick über die Umgebung schweifen, aber nichts war zu sehen. Keine übergroße Gestalt in einem schwarzen Mantel, keine mit einer Atemmaske, keine mit einem Hammer. Er war allein.

Dennoch schlug sein Herz schneller als es sollte. Er hörte seinen eigenen Puls in den Ohren, er übertönte sogar den Regen, so sehr raste dieser. Etwas stimmte nicht – und es war nicht nur die Erinnerung an den Bogeyman. Zuvor hatte er sich davor gefürchtet, diesen hier zu treffen, aber nun wünschte er sich das schon fast. Er wollte ihn noch einmal bekämpfen, ihn niederwerfen und ihm mit seinem eigenen Hammer den Schädel einschlagen.

Nein, das genügt nicht.

Er wollte jeden einzelnen Knochen im Leib dieses Monsters zerschmettern, ihn treffen, bis nichts mehr von ihm übrig war und sogar der Hammerkopf zerbröselte. Dann wollte er weitermachen, die kümmerlichen Überreste mit seinen eigenen Händen vergraben, erst aufhören wenn seine Finger bluteten und er nichts mehr in ihnen spürte.

Ein schmerzhaftes Pochen direkt hinter seinem rechten Auge riss ihn aus dieser Trance. Leise grummelnd griff er sich an die Stirn. „Was war das?“

Noch immer verspürte er ein tiefsitzendes Verlangen danach, dieses Monster auseinanderzureißen und es endgültig zu brechen und aus seinen Gedanken zu verbannen. Wann immer er versuchte, diese Vorstellung von sich zu schieben, schien sie nur näher zu kommen und sich gewaltvoll an ihn zu heften. Es war derart stark, dass ihm davon übel wurde.

Er legte den Kopf in den Nacken und öffnete den Mund leicht, um den Regen willkommen zu heißen. Dass er inzwischen vollkommen durchnässt war, störte ihn nicht. Er war gerade in Sicherheit, das war alles, was zählte – und dieses Gefühl wollte er gemeinsam mit dem Regen in sein Inneres sickern lassen, um das gewalttätige Verlangen wieder zu vergessen.

Kapitel 11: Offenbar liebt man mich einfach.


 

Adrian Bolton hatte nicht gelogen. Murphy hatte es schon fast wieder vergessen, als der Mann plötzlich mit einer schriftlichen Einladung im Hotel erschienen war. Es war einen Tag nach dieser Erfahrung im Regen gewesen, deswegen hatte er sich gefreut, jede Ablenkung käme ihm recht.

Eine weitere Woche danach war es bereits soweit. Murphy war allein gekommen, da Polly lieber im Hotel bleiben und mögliche Gäste versorgen wollte – im Grunde war er sich nicht sicher, ob sie überhaupt verstanden hatte, wovon er sprach – aber zuvor war ihm von ihr auf der Karte gezeigt worden, wo sich die Galerie befand. Er musste einfach nur der Straße am See folgen, bis sich der Weg an einem unheimlich schrägen Baum gabelte. Die weitere Strecke verlief im Halbkreis einen Berg hinauf, bis sie sich fast oben angekommen schließlich erneut teilte. Die eine Straße führte jenseits des Gipfels wieder in die Stadt zurück, die andere brachte ihn weiter nach oben zum Parkplatz der Musengalerie, der an diesem Tag voll belegt war. Das Gebäude selbst war unbedeutend, wenn man die Galerien anderer Städte kannte, sie wirkte fast wie eine Miniaturausgabe einer richtigen. Aber wenn er dann wieder an jene in Silent Hill zurückdachte, war diese hier schon fulminant, besonders mit den hell erleuchteten Fenstern.

Über der Eingangstür gab es einen von breiten Säulen gestützten Balkon. Die Türen dort oben standen offen, so dass Gespräche und Gelächter nach außen drangen. Vor einer der Säulen war eine Tafel aufgestellt, auf der in schwungvollen Buchstaben Musengalerie geschrieben stand. Murphys Blick wanderte nach rechts, zu einem hölzernen Anschlagbrett. Von diesem hatte jemand in mühevoller Kleinarbeit alte Flyer entfernt, so dass nur noch wenige Reste übrig waren, die neu angebrachten Poster bewarben diese Feier.

Murphy rückte seine Fliege zurecht – der Anzug war ebenfalls ein Überbleibsel von Pollys Mann und war für eine solche Veranstaltung angebracht –, dann trat er durch die offenen Türen in die lichtdurflutete Eingangshalle. Es wirkte durch die hellen Bodenfliesen noch wesentlich leuchtender, so dass seine Augen sich nach der draußen herrschenden Dunkelheit erst einmal umgewöhnen mussten. Vor ihm erstreckten sich zwei halbrunde Treppen, die zu einer Galerie hinaufführten, dazwischen war ein weißes Tuch über etwas gespannt, das noch nicht enthüllt worden war. Er versuchte anhand der Form zu erraten, was sich darunter befand, war aber erfolglos; der Stoff war wohl in weiser Voraussicht so befestigt worden, dass sich keine eindeutigen Konturen erahnen ließen. Also musste er wohl warten, bis es offiziell enthüllt wurde.

Sowohl links als auch rechts befanden sich Türen am Ende des Raumes, sie waren aber geschlossen. Murphy nahm an, dass sie nicht für Besucher gedacht waren und beließ es dabei. Rechts war außerdem eine Rezeption zu sehen, im Moment war sie allerdings unbesetzt. In Zukunft befand sich dort mit Sicherheit einiges an Informationsmaterial zu den Ausstellungen und auch eine Person, die für jegliche Fragen zur Verfügung stand.

Es schien ihm fragwürdig, dass niemand hier war, um Nachzügler zu begrüßen oder auch nur das noch geheime Kunstwerk zu beschützen. Vertraute man den Besuchern derart oder war etwas anderes vorgefallen?

Ein ungutes Gefühl wollte sich in seinem Inneren ausbreiten, aber die unbeschwerten Geräusche der Feiernden aus dem Inneren der Galerie hielten es in Schach. Vielleicht hatte die Person, die Besucher begrüßte, nur für kurze Zeit ihren Posten verlassen. Es gab keinen Grund, sich Sorgen zu machen.

Derart zufriedengestellt umrundete Murphy die verhüllte Attraktion und ging jenseits davon durch eine weitere offene Tür, durch die er Stimmen und Gelächter hören konnte. Der Gang dahinter war hell erleuchtet, führte sowohl nach links als auch nach rechts. Einem Impuls folgend wandte er sich nach rechts, bis er in einem wirklichen Raum der Galerie stand. Die an den Wänden hängenden indirekt beleuchteten Gemälde, waren das beste Zeichen dafür. Einige Personen standen in kleineren Gruppen zusammen, unterhielten sich gut gelaunt, während sie immer wieder an ihren Sektgläsern nippten. Auf den ersten Blick erkannte Murphy niemanden von ihnen, also fühlte er sich nicht verpflichtet, irgendjemanden zu begrüßen. Stattdessen trat er an die erste Wand und betrachtete einige der Gemälde genauer.

Das, vor dem er aktuell stand, zeigte eine Waldszene. Unzählige Baumwipfel erstreckten sich bis zum Horizont, wo sie von Berggipfeln ersetzt wurden. Ein einzelner Adler flog über die Baumkronen hinweg. Jegliche Anzeichen von Menschen und Zivilisation suchte man vergebens. Es fühlte sich friedlich an, wie gern wäre er nun in diesem Wald. Sein Blick fiel auf das kleine Schild unter dem Bild, das den Titel verkündete: Baummeer.

Sonderlich einfallsreich war das nicht, aber es passte, damit genügte es.

Er betrachtete die anderen Gemälde oberflächlich, jedes einzelne schien das Baum-Thema wieder aufzugreifen, wenn auch manchmal eigen interpretiert. Eines der faszinierenderen Werke hing nur wenige Meter entfernt. Es zeigte einen einzelnen schwarzen Baum unter einem grauen Himmel. Erst bei genauerem Hinsehen erkannte Murphy, dass es sich um mehrere ausgemergelte menschliche Körper handelte, die in merkwürdigen, schmerzhaft aussehenden Posen ineinander verschlungen waren. Die Haut dieser Personen sah verbrannt aus, ihre Arme und Finger waren abgespreizt, so dass sie die Illusion von Ästen erschufen. Aber sobald man erst einmal wusste, dass es sich um Menschen handelte, gelang es einem nicht mehr, die aufgerissenen Augen und die verzerrten Münder zu ignorieren, während sie einem anklagend entgegenstarrten.

Das Bild trug den einfachen Titel Gespalten. Aber die Bedeutung blieb Murphy verschlossen.

„So so, das findest du also interessant?“

Er zuckte zusammen, sein Innerstes war bereit für einen Kampf – doch als er sich zur Seite drehte und die andere Person erkannte, entspannte er sich sofort wieder. „Hey, Val.“

Sie lächelte ihn an, als sie seine Begrüßung erwiderte. „Ich habe nicht gewusst, dass du auch hier sein wirst. Gehörst du jetzt schon zu den VIPs von Greenvale?“

Bei ihm war das genaue Gegenteil der Fall: Er hatte nicht nur damit gerechnet, dass sie anwesend sein würde, sondern auch, dass sie als Bedienung arbeiten würde. Ihre edel aussehende rote Uniform und das Tablett auf dem mehrere kostbar wirkende Gläser mit Sekt standen – und das meisterhaft von ihr mit einer Hand balanciert wurde –, verrieten ihm, dass er sie richtig eingeschätzt hatte.

Sie reichte ihm etwas zu trinken, ehe er antwortete: „Gehöre ich nicht. Aber ich habe Bolton zufällig kennengelernt, da bestand er schon darauf, dass ich auch komme.“

„Du kommst wirklich herum.“ Valeria zwinkerte ihm zu. „Dafür, dass du dich eigentlich ein wenig bedeckt halten wolltest ...“

„Was soll ich machen? Offenbar liebt man mich einfach.“ Er nahm einen Schluck Sekt, das Getränk schmeckte gar nicht so bitter wie er befürchtet hatte. „Ist es eigentlich Absicht, dass niemand im vorderen Bereich steht, um die Gäste zu begrüßen?“

Sie runzelte ihre Stirn. „Eigentlich nicht. Vermutlich hat meine Kollegin mal wieder was Wichtigeres zu tun. Oder wen Wichtigeres.“

„Keine Sorge, ich habe auch keinen Blick auf das verhüllte Kunstwerk geworfen“, sagte er rasch, um sie wieder von ihrer pflichtvergessenen Kollegin abzulenken; am Ende würde sie sonst nur losgehen, weil sie diesen Missstand bereinigen musste, aber er wollte sie noch eine Weile in seiner Nähe haben.

Ihre Augen funkelten amüsiert. „Das hoffe ich doch. Sonst müsste ich dich jetzt zwingen, mir zu verraten, was du gesehen hast. Keiner von uns weiß, was unter dem Tuch ist.“

„Also wird es dann sogar für euch eine Überraschung. Ist doch nett.“

„Ja, Mr. Bolton denkt an uns arme Angestellte.“ Sie sah in Richtung der anderen Gäste, dann deutete sie zu jemandem, der in der Nähe stand. „Siehst du die dort?“

Murphy folgte ihrem Fingerzeig. Es war eine kleine Gruppe, bestehend aus drei Männern, die zusammen standen und sich lebhaft unterhielten. Nicht weit entfernt war jemand mit einer Kamera unterwegs, der von allem möglichen, auch den Besuchern, Bilder schoss.

Nachdem er genickt hatte, senkte Valeria die Stimme, so dass er sich näher zu ihr beugen musste, um sie zu verstehen: „Das sind Chad Bergen, Flynn Summers und Gregory Mathers.“

Zwei der Nachnamen sagten ihm sogar etwas. Natürlich konnten sie aber auch nur Zufall sein, deswegen unterbrach er Valeria nicht, sondern ließ sie weiterreden: „Vor Chad und Flynn solltest du dich in Acht nehmen. Die beiden sind Journalisten. Deswegen ist auch der Fotograf da, er macht die Bilder für den Artikel.“

Also ging er ihnen lieber aus dem Weg. Um dieses Ziel zu verfolgen, prägte er sich das Aussehen der beiden ein: Chad Bergen war ein korpulenter älterer Mann, dessen dunkler Haaransatz sich bereits zurückzuziehen begann. Flynn Summers war das genaue Gegenteil: Sein jugendlicher Charme sprühte aus allen Poren, sein helles Haar war noch voll und sein Körperbau war eher als schlaksig zu bezeichnen. Er erinnerte wesentlich mehr an einen Journalisten als Chad.

Der dritte im Bunde, der vollkommen durchschnittlich aussah, war ihm aber noch ein Rätsel.

„Und was ist mit dem anderen? Gregory Mathers?“

„Er ist Immobilienmakler. Falls du also hier mal ein Haus kaufen willst, wende dich an ihn.“

„So viel Arbeit habe ich nun auch nicht im Hotel“, erwiderte er schmunzelnd.

Valeria lachte leise und trat einen Schritt zurück. „Ich schätze, ich sollte zusehen, dass keiner der Gäste durstig bleibt. Aber ich bin froh, dass du da bist. Bestimmt sehen wir uns heute noch öfter.“

Sein Innerstes schien aufzuatmen, als sie ihre Freude bekundete, ihr Lächeln unterstützte das nur noch.

„Übrigens“, sagte sie noch, während sie bereits wegging, „der Anzug steht dir nicht.“

Er erhob das Glas in ihre Richtung. „Das habe ich mir schon gedacht.“

Lachend wandte sie sich schließlich ab und ging davon. Selbst jetzt balancierte sie das Tablett mit den vollen Gläsern noch immer vollkommen mühelos mit einer Hand. Er beobachtete sie noch einen Moment, wie sie anderen Gästen etwas zu trinken anbot, ihnen leere Gläser abnahm und geradezu zwischen den kleinen Grüppchen umherschwebte. Sie machte diesen Job sicher nicht zum ersten Mal, auf jeden Fall führte sie ihn aber großartig aus.

Schließlich wandte er sich von ihr ab, bevor jemand bemerkte, dass er sie anstarrte. Nach Zandras tragischem Tod zog er es vor, nicht noch einmal Mittelpunkt eines Gerüchts zu werden, auch keines absolut harmlosem.

Sind die Ermittlungen inzwischen eigentlich vorangekommen?

Polly wusste mit Sicherheit mehr darüber, hatte ihm aber nichts erzählt. Vielleicht sollte er sich angewöhnen, ebenfalls die Zeitung zu lesen. Wenn er blieb, musste er doch informiert sein.

Nachdem er sich hier genug umgesehen und kein interessantes Bild mehr gefunden hatte, setzte er seinen Weg fort. Durch die Tür kam er in einen weiteren Korridor, der am anderen Ende erneut in einen Ausstellungsraum führte. Seidenkordeln sperrten Gänge auf der rechten Seite ab, auf der linken gab es Türen, die in winzige Innenhöfe führten, wo einige Gäste zusammen auf gepflegtem Rasen standen, rauchten und miteinander lachten. Diese gelöste Atmosphäre hüllte Murphy in eine angenehme warme Blase, die er schon lange vermisst hatte. Es war Teil eines ganz normalen Lebens, wie er es sich immer gewünscht hatte.

Im zweiten Ausstellungsraum waren noch mehr Gemälde aufgehängt. Diesmal waren hauptsächlich rote Bäume abgebildet, die Stadt schien wirklich eine Obsession damit zu haben. Selbst auf den Bildern übten sie einen eigenartigen Reiz auf ihn aus, so dass Murphy vor jedem länger als nötig stehenblieb, um sie eingehend zu betrachten. Ein bestimmtes zog ihn schließlich in seinen Bann.

Ein majestätischer roter Baum erhob sich auf einer Lichtung, Blätter fielen wie Bluttropfen zu Boden – nein, vielleicht war es sogar wirklich Blut, auf der körnigen Leinwand war das schwer zu sehen. Auf der halben Höhe des knorrigen Stamms, ragte der Torso eines Frauenkörpers aus dem Holz hervor. Ihr langes, gewelltes blondes Haar bedeckte ihre Brüste, nur die klaffende Wunde dazwischen nicht. Ihre Arme waren ausgestreckt, verschwanden dann aber im Stamm hinter ihr; es sah aus, als wäre sie bereit für eine Umarmung. Obwohl sie – schon allein ausgehend von der Verletzung – eindeutig tot war, wirkte ihr Gesicht friedlich, fast schon erhaben.

Der Titel auf der Plakette darunter war Die Göttin des Waldes. Mit diesem Wissen im Hinterkopf erschien ihm die sie umgebende Aura passend. Sie wirkte nicht nur erhaben, sie war es.

Er nahm einen weiteren Schluck seines Sekts, da hörte er plötzlich, wie jemand erfreut seinen Namen ausrief. Als er sich umdrehte, entdeckte er Adrian Bolton, der mit einem breiten Lächeln auf ihn zukam. Er ergriff Murphys freie Hand und schüttelte diese. „Ich hatte gehofft, dass Sie es schaffen, Mr. Coleridge. Ich nehme an, Mrs. Oxford hatte keine Zeit?“

Murphy benötigte einen Moment, bis ihm bewusst wurde, dass er Polly meinte. Da er Adrian schlecht sagen konnte, dass Polly es vorzog, keine Feiern aufzusuchen, erklärte er ihm, dass sie arbeiten müsste. „Ich bin noch recht neu im Hotel, deswegen hat sie mich geschickt, damit zumindest einer von uns hier ist.“

„Sehr schön“, antwortete Adrian. „Mrs. Oxford kennt sich offensichtlich mit Geschäften aus, eine gute Frau. Ich bin froh, dass Sie es zumindest geschafft haben. Wie gefällt Ihnen die Ausstellung bislang?“

Murphy war kein Kunstkritiker, er kannte sich nicht einmal im Mindesten damit aus. Aber er wollte auch nicht einfach nur Schön antworten, deswegen sagte er das, was ihm ansonsten noch einfiel: „Die Bilder sind sehr baum-lastig.“

Am liebsten wäre er für diesen Kommentar im Boden versunken, das war sicher nicht das, was Adrian hatte hören wollen. Es war nur noch eine Frage von Sekunden, bis der Mann ihn bitten würde zu gehen – doch stattdessen begann Adrian plötzlich zu lachen. „Das ist wahr. Eine sehr gute Beobachtung. Alle Bilder stammen aus dem Fundus der vorigen Galeriebesitzerin oder von heimischen Künstlern. Möglicherweise deswegen.“

„Ja“, meinte Murphy. „Ich habe ohnehin den Eindruck, dass die Stadt von Bäumen besessen ist.“

„Wundert Sie das? Sie müssen sich doch nur diesen wundervollen Wald ansehen, der die Stadt umgibt. Bei einem solchen Anblick muss man sich nicht wundern, dass die Einwohner eine derart tief verwurzelte Verehrung für Bäume empfinden.“

„In anderen Orten würde man sich eher Horrorgeschichten darüber erzählen.“

Adrian ließ sich in seinem Enthusiasmus aber nicht bremsen. Er zeigte auf das Bild der Göttin. „Würde es Sie wundern, wenn ich Ihnen sage, dass dies eine Nachahmung eines Tatortes ist? Angeblich hat man so das erste Opfer eines Serienmörders im letzten Jahr gefunden.“

Serienmörder? Meint er den Regenmantelmörder?

Das war der einzige, der ihm da einfiel oder der ihm gegenüber jedenfalls erwähnt worden war. Wenn er seine Opfer derart in Szene gesetzt hatte, musste er wirklich ein außergewöhnlicher Mörder gewesen sein. Nicht, dass es irgendetwas besser machte. Aber etwas anderes daran störte Murphy doch wesentlich mehr: „Unglaublich, dass jemand ein solches Bild von einem Tatort gemacht hat.“

Allein bei der Vorstellung, dass jemand Charlies Tod derart festhalten könnte, ließ alles in seinem Inneren rebellieren und jemanden dafür schlagen wollen. Er konnte von Glück reden, dass es niemanden gab, der so etwas tun würde.

„Es war eben ein sehr außergewöhnlicher Tatort“, verteidigte Adrian das Gemälde.

Auf die Legitimität dieses Bildes wollte Murphy lieber nicht weiter eingehen, deswegen wechselte er rasch das Thema: „Was wurde eigentlich aus der vorigen Galeriebesitzerin? Ist sie auch hier?“

Adrians Gesicht nahm einen bedauernden Ausdruck an. „Leider ist sie ebenfalls ein Opfer dieses Serienmörders geworden. Interessanterweise genau wie ihre Schwester, die Vorbesitzerin unseres Hauses.“

Ist das ein Zufall?

Falls ja, dann war es ein sehr eigenartiger. Er sollte sich die Umstände dieses Regenmantelmörders doch einmal zu Gemüte führen. Dann käme er vielleicht nicht mehr derart ignorant herüber.

„Wir haben die Galerie und das Haus übernommen, da ich gute Kontakte mit den Schwestern hatte. Sie waren beides hervorragende Frauen, denen eine wunderbare Zukunft geraubt wurde.“

Darauf wusste Murphy nichts zu erwidern. Weder hatte er eine der beiden gekannt, noch wusste er, wie er in solchen Fällen Mitgefühl ausdrücken sollte oder ob es überhaupt angebracht war.

Zu seinem Glück wurde er in diesem Moment erlöst, als plötzlich ein Raunen durch die Versammelten ging, direkt gefolgt von erwartungsvollem Schweigen. Adrian und Murphy wandten sich dem Gang zu, der in Richtung des Eingangs führte. Zwei neue Gäste waren hereingekommen. Der eine war ein junger Mann in einem weißen Anzug, er ging mit durchgestrecktem Rücken und fast lautlosen Schritten, selbst während er einen Rollstuhl vor sich herschob. In diesem saß ein Mann in einem dunklen Anzug – und mit einer Gasmaske, die sein komplettes Gesicht verdeckte. Für eine schreckliche Sekunde glaubte Murphy, dass Frank im Rollstuhl saß, in der Verkleidung des Bogeyman. Seine Atmung geriet durcheinander, war erst zu heftig, dann zu langsam, brach sogar zwischendurch ab, er glaubte, gleich ersticken zu müssen – da eilte Adrian den beiden Neuankömmlingen bereits entgegen und damit brach der Bann.

Murphy schnappte nach Luft und bemühte sich, seine Atmung wieder unter Kontrolle zu bekommen. Zu seinem Glück achtete im Moment keiner auf ihn, da alle immer noch fasziniert den Mann im Rollstuhl anstarrten.

„Mr. Stewart!“, rief Adrian begeistert aus. „Ich freue mich, dass Sie es geschafft haben, uns mit Ihrer Anwesenheit zu beehren. Ich kann gar nicht sagen, wie froh und glücklich mich das macht.“

Yolanda, deren Abwesenheit Murphy bislang gar nicht aufgefallen war, eilte nun ebenfalls herbei, um sich zu ihrem Mann zu stellen.

„Ist dieser Kerl derart wichtig?“, murmelte er leise.

„Aber natürlich.“

Zum zweiten Mal an diesem Abend zuckte Murphy zusammen, und zum zweiten Mal war Valeria die Verursacherin. Sie war wieder neben ihn getreten und musste seine Frage gehört haben.

„Ich bekomme noch einen Herzinfarkt wegen dir“, klagte er wenig ernst.

„Genau wie mein Onkel Murphy“, seufzte sie theatralisch. „Darf ich dir vorher wenigstens noch deine Sektflöte abnehmen? Ich glaube, die sind teuer.“

Er stellte das leere Glas auf ihrem Tablett ab, wofür sie ihm dankte. Dann nickte sie in Richtung der Neuankömmlinge, die gerade auch Yolandas Lobeshymnen über sich ergehen ließen. Der neutrale Gesichtsausdruck des Manns im weißen Anzug, der sich inzwischen neben den Rollstuhl gestellt hatte, wandelte sich dabei kein bisschen.

„Weißt du, wer die beiden sind?“, fragte Valeria. „Ach, lass nur, ich sehe das schon an deinem Blick. Das ist Harry Stewart, der Mann, dem die Stadt im Grunde gehört. Außerdem hat er dazu beigetragen, dass nach dem letzten Jahr und den Serienmorden hier wieder alles richtig läuft. Er ist praktisch ein Heiliger für die Leute hier.“

Murphy unterdrückte sein Augenrollen angestrengt. Nachdem er gerade mit Adrian über Verehrung für den Wald gesprochen hatte, erschien es ihm geradezu grotesk, dass hier auch noch ein Heiliger auftauchte. Deswegen ignorierte er diesen Punkt und stellte für sich selbst lieber fest, dass es Sinn ergab, jemanden zu einer Galerieeröffnung einzuladen, der so viel Ansehen besaß.

„Und wer ist sein Begleiter?“

„Michael Tillotson. Mr. Stewarts Pfleger und Adoptivsohn, soweit ich weiß. Seit letztem Jahr haben sie viel für die Stadt getan, allein schon deswegen würde man sie zu solchen Anlässen einladen.“

„Reiche Menschen werden sowieso gerne eingeladen“, meinte Murphy.

Sie nickte leise lachend.

Inzwischen war auch Yolanda am Ende ihrer kleinen Rede angekommen, Michael beugte sich ein wenig vor, während Harry den Kopf hob und ihm anscheinend etwas zuflüsterte. Dann richtete der Betreuer sich wieder auf, streckte den Rücken durch und verschränkte die Arme hinter sich. „Die Einladung war höchst willkommen, drum wurde sie von uns gut aufgenommen. Sagt Mr. Stewart.“

Dass er auch noch mit Reimen anfangen würde, hätte Murphy absolut nicht erwartet, deswegen blinzelte er irritiert darüber. „War das ein Zufall?“

Statt einer Antwort zwinkerte Valeria ihm nur zu und konzentrierte sich weiter auf das Geschehen.

„Wie gefällt Ihnen die Ausstellung bislang?“, hakte Yolanda nach.

Wieder beugte Michael sich kurz vor, dann richtete er sich erneut auf. „Zu sehen diese Bilder ist höchst erhebend, diese Gelegenheit macht uns daher schwebend. Sagt Mr. Stewart.“

Murphy sah zu Boden und gab ein leises Brummen von sich. „Geht das niemandem je auf die Nerven?“

„Ich denke, die Menschen hier lieben solche Schrulligkeiten einfach. Wenn du bleiben willst, solltest du dich daran gewöhnen.“ Valeria sah ihn direkt an. „Ich hoffe jedenfalls, dass du wirklich vorhast, zu bleiben.“

Er erwiderte ihren Blick, vielleicht sogar ein paar Sekunden zu lang, dann musste er sich dazu zwingen, die Augen von ihr abzuwenden, um sie nicht doch noch anzustarren. „Bislang plane ich es jedenfalls.“

Solange er nicht entdeckt wurde, wäre ihm das auch möglich. Er hoffte, es bliebe dabei, selbst wenn gleichzeitig im Ort in einem Mordfall ermittelt wurde.

Zu Murphys Glück redeten Harry und Michael nicht weiter, dafür hob Adrian sein Glas. „Meine lieben Freunde, ich möchte diese Gelegenheit – und die Ankunft unseres Ehrengastes – direkt nutzen, um zur Hauptattraktion des Abends zu kommen.“

Verhaltener Applaus ertönte.

„Sicher ist Ihnen allen das verhüllte Kunstwerk in der Eingangshalle aufgefallen. Ich möchte Sie nun bitten, mir dorthin zu folgen, damit ich Ihnen endlich enthüllen kann, was fortan jeden Gast dieser Galerie begrüßen wird.“

Adrian ging direkt mit Yolanda voraus, Michael schloss sich ihnen mit Harry an und schien weiterhin eine Konversation mit den beiden Besitzern zu führen. Die anderen Gäste folgten etwas langsamer, wie in einem respektvollen Abstand. Murphy dagegen blieb gemeinsam mit Valeria noch etwas stehen, um den großen Ansturm vorbeiziehen zu lassen.

„Endlich erfahren wir, was unter der Plane ist“, sagte Valeria mit gespielter Aufregung. „Dafür verzichte ich dann sogar auf mein Gehalt~.“

„Das wäre schade. Für dein Können hättest du nämlich besonders viel Geld verdient.“

„Awww, du alter Schmeichler.“ Spielerisch boxte sie ihm gegen den Arm. „Jetzt lass uns aber lieber gehen, sonst verpassen wir das Event doch noch.“

Schweigend gingen sie nebeneinander her, doch es war keine drückende Stille, stattdessen fühlte sie sich sogar äußerst angenehm an. Das hatte er zuletzt bei Carol gespürt. Wie es ihr gerade ging? War es ihr gelungen, mit der Vergangenheit abzuschließen?

Warum kümmert mich das überhaupt? Ich bin für sie gestorben. Es darf mich nichts mehr angehen.

„Hey, Murph“, flüsterte Valeria plötzlich, es klang überraschend süßlich. „Ist dir mal aufgefallen, dass du ganz schön finster schauen kannst?“

„Ich sehe mich selten selbst an, während ich nachdenke.“

„Dabei ist es so ein interessantes Gesicht“, führte sie an.

Er konnte nichts mehr darauf erwidern, denn da kamen sie bereits wieder in der Haupthalle an. Die anderen Gäste hatten sich dort verteilt, auch auf der Galerie über ihnen. Um niemandem im Weg zu stehen, verharrten sie neben der Tür. Dort sahen sie zwar die Attraktion nur von hinten, aber es genügte Murphy vollkommen, solange er weiter mit Valeria zusammen sein konnte.

Adrian räusperte sich und erhob seine Stimme: „Frühere Besucher der Galerie, als sie noch unter der Direktion von Diane Ames war, werden sich bestimmt an die kunstvolle Abstraktion eines Baumes erinnern, die einst hier stand. Dieses Kunstwerk verstand es, jedem Gast bei seinem bloßen Anblick den Atem zu rauben. Eine Fotografie davon findet sich auch in unserer Ausstellung.“

Entweder hatte Murphy dieses Bild nicht gesehen oder ihm keine weitere Bedeutung beigemessen. Vielleicht war es in der Realität auch wesentlich eindrucksvoller gewesen.

„Ein tragischer Vorfall verursachte Dianes Tod durch dieses Werk“, fuhr Adrian betrübt fort, worauf auch leises Flüstern einsetzte. „Wir wollen diesen Ort, an dem Dianes vielversprechendes Leben ein viel zu frühes Ende fand, deswegen auf eine ganz besondere Weise ehren. Extra für diesen Anlass, und als Erinnerung an eine großartige Frau, ließen meine Gattin und ich etwas Neues kreieren. Damit wollen wir uns auch bei den Bewohnern dieser Stadt bedanken, die uns derart herzlich in ihrer Mitte willkommen hießen.“

Er nickte jemandem zu, den Murphy nicht sehen konnte. Das Tuch bewegte sich, wurde von einem Mechanismus nach oben gezogen – und enthüllten etwas, das sogar Murphy bezaubernd fand.

Es war ein aus unzähligen Kristallen bestehender Baum, der durch den Einfall des Lichts in den verschiedensten Farben gleichzeitig zu leuchten schien. Dies wurde sogar noch verstärkt, als plötzlich Wasser durch den Stamm floss und sich auch auf die einzelnen Äste verteilte. Damit verschwammen die Farben, gingen ineinander über, lösten sich voneinander, trieben durch die Kristalle und reflektierten dies alles durch die gesamte Eingangshalle. Ein beeindrucktes Raunen ging durch die Gäste – und wurde sogar durch ein „Oooooh“ ersetzt, als das Wasser von den falschen Blättern perlte und wie bunte Tropfen in ein unter dem Baum befindliches Becken fielen. Dieses Schauspiel wurde noch wesentlich aufregender, als der Wasserkreislauf sich endgültig eingespielt hatte und es damit zu keiner Verzögerung mehr kam.

„Wow“, entfuhr es Valeria. „Das ist wirklich die Hauptattraktion des Abends.“

„Eindeutig.“

Bislang hatte Murphy sich nie wirklich für Bäume interessiert, aber plötzlich war er überzeugt, dass es sich bei diesen um die großartigste Sache aller Zeiten hielt. Er müsste sich also auch mehr mit diesen auseinandersetzen, wenn er blieb.

Und während er so neben Valeria stand und gemeinsam mit einem Teil der Bewohner Greenvales dieses außergewöhnliche Kunstwerk betrachtete, fühlte er sich wie ein fester Teil von ihnen allen, mit einem unbeschreiblichen Gefühl der Ruhe in seinem Inneren.

„Dies Farbenspiel zu betrachten ist eine Lust, da schmerzt uns nicht einmal mehr das Herz in der Brust“, verkündete Michael von der anderen Seite des Baumes. „Sagt Mr. Stewart.“
 

Kapitel 12: Du hast mich nur erschreckt


 

Bereits am Tag nach der Eröffnung der Galerie setzte Murphy seinen Plan, sich über die Vergangenheit der Stadt zu erkundigen, in die Tat um. Zu seinem Erstaunen besaß Polly eine außerordentlich große Sammlung an Zeitungsberichten aus dem letzten Jahr. Sie überreichte ihm ein Album, aus dem allerlei Papier hervorlugte, das jemand nur hastig hineingesteckt hatte.

„Ach“, rief sie aus, als sie das ebenfalls bemerkte, „ich wollte die Artikel doch schon ewig einkleben. Würden Sie das wohl übernehmen, Mr. Coleridge?“

Er versicherte ihr, dass er das täte und auch äußerst sorgsam mit allem umgehen würde. Bewaffnet mit dem Album und Klebstoff kehrte er schließlich in sein Zimmer zurück. Da es ein warmer, sonniger Tag war, hatte er die Terrassentür offen gelassen, so dass sich der weiße Vorhang sanft im Wind bauschte.

Er legte die Utensilien auf dem Tisch neben dem Bett ab. Eine altertümliche Schreibmaschine stand dort direkt neben einem Telefon, dessen Hörer noch über eine Schnur mit dem Gerät verbunden war. Der Charme dieser kleinen Stadt war wirklich einmalig. Wenn da nur nicht diese seltsamen Schrullen wären, wie etwa die Anbetung der Bäume, ob nun rot oder nicht.

Murphy öffnete das Album. Die ersten Artikel waren noch sorgsam aus der Zeitung ausgeschnitten und eingeklebt worden, so dass er sich auf diese noch ungehindert konzentrieren konnte. Der erste schrieb über den bizarren Todesfall einer Anna Graham, die vom Waldhüter und seinen Enkeln im Forest Park entdeckt worden war.

Das erinnert mich an das Bild der Waldgöttin.

Die mit dem Baum verschmolzene Frau war ihm noch lebhaft im Gedächtnis. Bolton hatte gesagt, es sei eine Nachahmung des Tatortes, aber weswegen machte sich jemand diesen Aufwand? Der Artikel verriet keine Details über Annas Leben oder ihren Mörder, der zu diesem Zeitpunkt vermutlich noch nicht einmal bekannt gewesen war; er stellte lediglich fest, dass es ein ungewöhnliches Ereignis in der ansonsten ruhigen Stadt und für Aufruhr verantwortlich war.

Er erinnerte sich daran, dass Polly mit ihm über diese Zeit gesprochen hatte. Ihre sehr kurze Fassung der Ereignisse begann mit der Ermordung der jungen Anna. Wenn er ihr und diesen Artikeln glauben durfte, war es auch wirklich der Auslöser für alle folgenden Ereignisse gewesen. Wenn er Revue passieren ließ, was in seinem Leben zuletzt alles geschehen war, dann war ebenfalls ein Mord ganz am Anfang der Kette verantwortlich dafür gewesen.

Charlie …

Er ballte seine Hand zur Faust. Allein der Gedanke daran, was Napier seinem Sohn angetan hatte, erfüllte ihn wieder mit Zorn, den er in Silent Hill zurückgelassen geglaubt hatte. Dabei war das unsinnig. Solch tiefe Wunden konnten niemals vergessen werden.

Murphy beruhigte sich mit etwas Mühe wieder und blätterte weiter. Auf der nächsten Seite hatte ein Journalist in wenigen Zeilen lediglich festgehalten, dass das FBI sich in diesen Fall einschalte und einen Experten nach Greenvale geschickt habe. Es stand nicht explizit darin, aber wenn das FBI sich einmischte, musste das bedeuten, dass es ähnliche Fälle in anderen Bundesstaaten gegeben hatte. Doch worin bestand die Verbindung? Polly hatte natürlich nichts über diese anderen Morde gesammelt, wenn es überhaupt Artikel dazu in ihren Zeitungen gegeben hatte. Über diesen Mann hatte sie ihm aber berichtet. Dass er in diesem Hotel lebte war an prominenter Stelle geschrieben worden, deswegen musste Murphy sich wieder an ihn erinnern.

Auf weiteren Seiten waren Berichte über die nicht ganz reibungslose Arbeitsaufnahme des Agenten – Francis Zach Morgan, der auf dem Weg nach Greenvale einen Unfall baute –, sowie über eine von ihm einberufene Stadtversammlung, in der er erste Ermittlungsergebnisse verkündet hatte. Auch Harrys Auftritt wurde ausgiebig erwähnt, verbunden mit einem Überblick seiner Leistungen für Greenvale. Es war, wie Valeria gesagt hatte: Der eigenartige Mann war offenbar immer das Rückgrat der Stadt gewesen. Mit all seinem Geld aber auch kein Wunder.

Schließlich kam wieder ein größerer Artikel über die Morde, da es ein zweites Opfer gegeben hatte: Becky Ames, die beste Freundin der ermordeten Anna, die sich zuvor in ihrem Anwesen verbarrikadiert hatte, war genau dort vor den Augen des Agenten und mehrerer Polizisten getötet worden. Da der Mörder ihr die Zunge abgeschnitten hatte, war sie aber nicht mehr in der Lage gewesen, ihnen mitzuteilen, wer dafür verantwortlich gewesen war. Zu schade. Von dem Anwesen gab es sogar ein Bild, eine Außenaufnahme, auf der mehrere Polizisten zu sehen waren. Zwischen ihnen entdeckte er auch den Agenten, Morgan, der eine Hand an seine Stirn hielt, als habe er Kopfschmerzen.

Zu diesem Zeitpunkt hatte sich in der Stadt offenbar bereits das Gerücht ausgebreitet, dass dies die Taten des Regenmantelmörders waren. Allerdings wurde in den Artikeln auch abgewiegelt, dass es sich bei diesem lediglich um eine lokale Legende handelte, ein Schreckgespenst, das seit den 50er Jahren umherging, um Kindern Angst vor dem Regen zu machen.

Regen. Unwillkürlich dachte er an Silent Hill zurück, an die Monster, deren Aggressionen sich während eines Unwetters steigerten. Aber er erinnerte sich auch wieder an jenen Moment, als er hier in Greenvale während des Niederschlags auf dem Parkplatz gestanden hatte. Das Gefühl von Wut und Hass war noch immer lebhaft in seinem Gedächtnis verankert. Wären diese Gerüchte und Geschichten nicht, hätte er sich auf sein eigenes Trauma berufen können, aber so musste es noch mehr geben, was hier durch Unwetter ausgelöst wurde. Wo könnte er so etwas recherchieren? Vor allem, ohne dass man ihn sofort für verrückt erklärte?

Nach Beckys Tod musste Polly es vernachlässigt haben, die weiteren Artikel einzukleben. Beim Umblättern kam ihm der erste bereits entgegengeflogen. Es waren nur wenige Zeilen, in denen geschrieben wurde, dass die Polizei noch keinerlei Erfolg bei der Suche nach dem Mörder hatte, obwohl es erste Hinweise bezüglich einer körperlichen Eigenschaft gab. Wie diese genau aussah, wurde allerdings aus ermittlungstechnischen Gründen nicht ausgeführt.

In Murphy formte sich bereits ein Verdacht, wieso die Lösung des Falls derart schwer sein konnte, er bezweifelte allerdings, dass er eine zufriedenstellende Antwort bekäme, wenn er bedachte, was Polly darüber gesagt hatte.

„Ein Fremder von außerhalb“, murmelte er, ihre Worte imitierend.

Gerade in dieser kleinen Stadt, in der jeder jeden kannte, wäre das zu offensichtlich. Es musste jemand innerhalb der Gemeinde sein, den niemand je vermuten würde. Höchstwahrscheinlich sogar ein Polizist, darauf hätte er gewettet.

Bevor er mit der Geschichte fortfuhr, klebte er diesen kleinen Artikel sorgfältig ein. Dann nahm er sich den nächsten vor, der schon um einiges größer war und sogar wieder ein Bild zeigte. Das vom Polizeiband abgesperrte Gebäude war eindeutig die Musengalerie, in der er am Abend zuvor gefeiert hatte. Wie Bolton erzählt hatte, war sie der Schauplatz für den Mord der Direktorin Diane Ames gewesen, wieder waren die Polizei und der FBI-Agent Augenzeugen geworden. Immerhin war diesmal aber auch sofort ein Verdächtiger festgenommen worden: Nick Cormack, der Besitzer des A&G Diners und angeblicher Liebhaber Dianes, der natürlich alles abstritt.

Murphy stutzte. Davon hatte ihm niemand etwas erzählt, obwohl er bereits im Diner gewesen war. Allgemein hatten er und Valeria sich dort nur über die Bedienung Bonnie unterhalten, nicht über die Besitzer. Aber wenn es sich bei diesem um einen Mörder handelte, wäre das doch bestimmt interessant genug als Thema gewesen.

Die nächsten Artikel beschäftigten sich mit den noch ungeklärten Fragen, die es bezüglich der Mordfälle gab, etwa des Motivs für die ersten beiden. Da Cormack weiterhin leugnete auch nur irgendetwas damit zu tun zu haben, blieb jeder weiter im Dunkeln. Ein Bericht erwähnte nebenbei, dass Agent Morgan noch immer in andere Richtungen ermittelte.

Da Murphy durch Pollys Erzählung bereits wusste, wie es ausging, konnte er sich denken, dass auch Morgan der Meinung war, nicht den richtigen erwischt zu haben.

Auf den nächsten Seiten zeigte sich wieder einmal, dass Pollys Gedächtnis ihrem Gehör absolut nicht nachstand, dafür aber mindestens ebenso schlecht war: Statt neuen Artikeln befand sich eine ansehnliche Sammlung von Coupons für die Mash Market Kette zwischen den Blättern. Während er diese sorgfältig aussortierte, bemerkte er, dass in dieser Werbung nicht davor zurückgeschreckt wurde, die Milk Barn schlecht zu machen: neben einer E-Gitarre wurde verkündet, dass Milch nicht benötigt wurde. Wie erfolgreich mochten sie mit einer derartigen Reklame wohl sein?

Der Gedanke an den angesprochenen Laden erinnerte ihn wieder an Valeria. Sicher hatte sie heute frei, nachdem sie in der Nacht zuvor lange gearbeitet hatte. Er war nicht bis zum Ende geblieben, für sie war früheres Heimgehen aber keine Option gewesen. Wie war sie wohl heimgekommen? Er sollte sie fragen, wenn er wieder mit ihr sprach. Und das hoffentlich bald.

Nachdem er die unwichtigen Artikel, Coupons und sonstige Werbung aussortiert hatte, war er endlich wieder bei etwas angekommen, das ihn interessierte – allerdings war die Enttäuschung dadurch nur umso größer. Er hatte gehofft, mehr über das Ende der Serienmorde zu erfahren, doch im Großen und Ganzen stand darin dasselbe, was Polly ihm bereits erzählt hatte: zwei Polizisten, sowie die Schwester eines solchen wurden rasch hintereinander Opfer des Regenmantelmörders. Während der Verfolgung des Täters traf ein Blitz Sheriff George Woodman und tötete ihn offenbar sofort. Morgan erlitt eine Kopfverletzung, die sein Gedächtnis beeinflusste. Aber nach offiziellen Angaben war der Serienmörder während der Verfolgung getötet worden. Die Identität dieser Person galt als Verschlusssache. Für Murphy war es damit offensichtlich, dass es jemand innerhalb der Polizei gewesen sein musste.

Aber im Endeffekt war es nicht seine Sache. Er hatte sich nur informieren wollen und das war nun geschehen. Dem sogenannten Regenmantelmörder waren mindestens fünf Personen zum Opfer gefallen, alle Morde waren beeindruckend inszeniert gewesen. Kein Wunder, dass man von diesen Taten selbst nach einem Jahr noch dermaßen fasziniert war und einen neuen Mord auch sofort auf diesen schob. Aber es war lächerlich. Im echten Leben gab es keine Monster, Erwachsene erfanden sie lediglich, um Kindern Angst zu machen. Und doch war er an einem Ort gewesen, an dem er Monstern begegnet war. Wesen, die geradewegs seinem Kopf entsprungen waren. Sie hatten versucht, ihn zu töten, hatten ihm schmerzhafte Verletzungen zugefügt, von denen er noch einige Narben besaß. Warum sollte es in dieser Stadt nicht auch ähnlich mysteriöse Kräfte geben, die gegen ihre Einwohner und jene, die von ihnen gerufen wurden, arbeiteten?

„Verrückt“, murmelte er. „Das ist völlig verrückt.“

Obwohl er es selbst erlebt hatte, fiel es ihm nach wie vor schwer, das wirklich zu glauben. Es war das erste Mal, dass er sich Cunningham an seine Seite wünschte – sie hätte ihm sagen können, was geschehen war, denn sie hatte es auch gesehen.

Aber sie war fort. Und er war nun in Greenvale, wo er ein neues Leben anfangen wollte.

„Indem ich nachlese, was für seltsame Dinge hier geschehen sind, die mich nur wieder an früher erinnern.“

Schlagartig stieg Zorn in ihm auf. Er war wütend auf sich selbst, dass er fast zugelassen hatte, wieder in seiner Vergangenheit verstrickt zu werden. Silent Hill war vorbei, er war nicht mehr dort – und in Greenvale gab es nichts Übernatürliches. Dass er das glaubte, war verrückt genug, aber sich auch noch derart hineinzusteigern war dumm. Selbst für Zandras Mord gab es eine rationale Erklärung, dessen war er sich sicher. Alles war normal.

Die eingetretene Stille wurde plötzlich von einem schrillen Klingeln unterbrochen. Murphy zuckte zusammen, sein Blick huschte umher und kam schließlich auf dem Telefon zu liegen. Tatsächlich, es klingelte, einfach so. Aber niemand hatte seine Nummer, er kannte sie ja nicht einmal selbst.

Nur zögernd streckte er die Hand aus, als könne der Hörer sich in eine Schlange verwandeln und nach ihm schnappen. Erst als er ihn fest in der Hand hielt – und kein Reptil geworden war – wurde er ein wenig zuversichtlicher. Er hob ihn an, worauf das Klingeln endlich verstummte, und hielt ihn sich an das Ohr. „Hallo?“

Er erkannte seine eigene Stimme, kaum ein Flüstern, nicht mehr.

Für einen kurzen Moment herrschte Stille in der Leitung, dann brach jemand in herzliches Gelächter aus. „Mann, du klingst echt schräg, Murphy. Hab ich dich grad bei etwas gestört?“

Er wusste sofort, um wen es sich handelte, doch die Erleichterung benötigte einen Moment, bis sie auch sein Bewusstsein erreichte. Dann stieß er aber ein schweres Seufzen aus. „Nein, du hast mich nur erschreckt. Ich hatte nicht mal mehr im Kopf, dass ich hier ein Telefon habe.“

Valeria lachte noch einmal, ein überraschend wohltuender Laut nach diesem Schreck. „Das war natürlich nicht meine Absicht. Ich wollte nur mal fragen, ob du gut zu Hause angekommen bist.“

„Offensichtlich.“ Und sie glücklicherweise auch. „Aber wie konntest du mich anrufen?“

Sie erklärte ihm, ein wenig belustigt, dass sie eigentlich bei Polly angerufen hatte und von ihr lediglich weitergeleitet worden war. Daran hätte er denken müssen.

Danach plauderte sie ein wenig darüber, wie ereignislos die restliche Nacht gewesen war, abgesehen von ihrer Kollegin, die immer mal wieder verschwunden war.

„Ich schwöre dir“, sagte sie seufzend, „wenn ich noch öfter mit ihr arbeiten muss, werde ich graue Haare bekommen. Jede Menge davon.“

„Das wäre eine Schande.“

„Alter Schmeichler~. Aber jetzt kann ich dir ja auch sagen, dass ich dich aus noch einem anderen Grund angerufen habe.“

Unwillkürlich setzte er sich kerzengerade hin. Er spitzte sprichwörtlich die Ohren, versuchte aber, sich seine Aufregung nicht anmerken zu lassen, als er sie fragte, weswegen sie ihn dann sprechen wollte.

„Am Ende der Veranstaltung hat Mr. Bolton verkündet, dass die Theateraufführung seiner Frau demnächst Premiere feiert“, erklärte sie. „Und ich habe gleich zwei Karten dafür bekommen~.“

Er schmunzelte. „Ah, und ich soll jetzt auf dein Apartment aufpassen, während du dort bist?“

„Ganz genau. Irgendjemand könnte ja einsteigen und mein wertvolles Tafelsilber klauen.“

Sie lachten beide ausgiebig über diese kleine Witzelei, dann wurde sie aber wieder ernst: „Ich hab mich gefragt, ob du vielleicht mit mir hingehen willst. Kultur ist vielleicht nicht so ein interessantes Thema, aber wir könnten ja schlechte Witze über das Stück machen und unsere Sitznachbarn nerven.“

Das klang wirklich nicht so schlecht. Theateraufführungen waren nie seine Wahl der Freizeitgestaltung gewesen, aber mit Valeria könnte er sich das vielleicht noch einmal überlegen.

„Klar. Sag mir nur, wo und wann, dann wäre ich dabei.“

Er war sich nicht sicher, aber er glaubte, Valeria erleichtert aufatmen zu hören. Zu viel wollte er aber lieber nicht hineininterpretieren.

„Dann geht das also klar, großartig. Ich bin vor allem froh, dass wir dabei sitzen dürfen, meine Füße bringen mich nach letzter Nacht nämlich um.“

„Du hättest Mr. Stewart fragen sollen, ob du auf seinem Rollstuhl mitfahren darfst.“

„Lieber nicht. Am Ende hätte der Arme einen Herzinfarkt bekommen und ich wäre schuld gewesen. Das will ich dieser Stadt doch nicht antun.“

„Sehr umsichtig von dir.“

Valeria gab ein zustimmendes Geräusch von sich, dann schwieg sie einen kurzen Moment. Er sagte ebenfalls nichts, lauschte lediglich ihrem leisen Atmen, das ihm gerade wie ein wunderschönes Geräusch vorkam.

„Okay“, unterbrach sie es schließlich selbst, „mein Bad dürfte langsam fertig sein. Ich melde mich noch einmal bei dir, wenn ich mit Lilly meinen Dienstplan für den entsprechenden Tag besprochen habe. Und mach dir wegen Polly keine Sorgen, mit der hab ich es vorhin bereits abgesprochen.“

Er glaubte regelrecht ihr Zwinkern vor sich zu sehen, als sie das sagte.

„Dann genieß dein Bad lieber“, riet er ihr. „Nach der letzten Nacht hast du es dir verdient.“

Sie unterdrückte ein Lachen. „Das könnte man sehr falsch verstehen. Aber danke, das werde ich. Wir hören dann voneinander~.“

Damit verabschiedeten sie sich.

Nachdem Murphy aufgelegt hatte, blickte er das Telefon noch für wenige Sekunden an. Es hatte ihm eine derart gute Nachricht gebracht, genau als sie benötigt worden war. Fast als stimme wirklich etwas nicht mit dieser Stadt und griff sogar auf elektronische Geräte über. Aber falls es eine solche Macht gab, war er ihr hierfür dankbar.

Er schloss das Album, das seinen Dienst erfüllt hatte, endlich. Dann stand er auf und trat an die offene Terrassentür. Der Himmel war noch immer klar, mit nur wenigen Wolken, die das Blau trüben konnten. Der Wind zerzauste seine Haare. Hinter sich hörte er ein Rascheln, als dasselbe mit den losen Blättern geschah, die noch auf dem Tisch lagen.

Heute ist ein guter Tag zum Angeln.

Damit verließ er sein Zimmer in Richtung Garten, ohne noch einen weiteren Gedanken an die Mordserie des letzten Jahres oder seine eigene Vergangenheit zu verschwenden. Alles war gut, zumindest in diesem Moment – und mehr zählte ja auch nicht.
 

Kapitel 13: Es war nur ein blöder Albtraum (Teil 1)


 

Die Vorfreude schien die Zeit bis zur Premiere in die Länge zu ziehen, aber schließlich kam der Abend. Mit einem weiteren von Pollys Mann geliehenen Anzug (dessen Kragen ihn manchmal schier zu erwürgen schien) stand Murphy vor Valerias Apartmentgebäude im Westen der Stadt. Hier war er bislang noch nicht gewesen, deswegen ließ er den Blick ein wenig schweifen, während er auf Valeria wartete.

Entgegen seiner Erwartung waren selbst diese Bauwerke in Greenvale hübsch. Wobei es nicht die Gebäude an sich waren, die diesen Eindruck erweckten, denn sie sahen aus wie in jeder anderen Stadt: grau und unpersönlich, in L-Form. Aber sie waren klein, gerade mal zwei Stockwerke hoch, statt der üblichen drei oder vier, und sie waren umgeben von freier Natur, da die Stadt hiernach zu enden schien. Das weite Gras und die Bäume in einiger Entfernung boten inneren Frieden, ließen ihn durchatmen, fast noch mehr als am See neben dem Hotel. Das einzige, was dieses Gefühl störte, waren die streunenden Hunde, die wie Geister um die Mülltonnen strichen, manchmal knurrten, manchmal winselten, aber immer war das traurige Tappen der Pfoten und das Klicken der zu langen Krallen auf dem Asphalt zu hören. Es waren braune Hunde, vermutlich Mischlinge, keiner von ihnen war Willie, dennoch musste Murphy unwillkürlich an diesen denken und wurde dabei von einem Schauer übermannt. Nein, er durfte sich davon nicht beherrschen lassen, das ging nicht, jedenfalls nicht an diesem Abend.

Er lenkte seine Gedanken auf ein anderes, passenderes Thema: Auf dem Parkplatz auf sein Date zu warten, brachte ihn geradewegs in seine Jugend zurück. Die innere Unruhe war dieselbe, genau wie die freudige Nervosität. Gleichzeitig fühlte er sich aber auch gelassener, zweifellos aufgrund der diesmal nicht durchdrehenden Hormone, die einem die Jugend erschwerten. Und im Grunde war es doch auch keine Verabredung in diesem Sinne. Oder? Vielleicht hätten sie darüber doch sprechen sollen, dann wüsste er nun, wie nervös er wirklich sein müsste.

Während er diesem Gedanken noch nachhing, öffnete sich auf dem oberen Stockwerk des linken Gebäudes eine Tür. Sein Blick wanderte automatisch hinauf. Eine Frau war herausgetreten, die auf den ersten Blick keinerlei Ähnlichkeit mit Valeria aufwies, abgesehen von dem hoch frisierten rotbraunen Haar jedenfalls, von dem an diesem Tag jeweils nur zwei lockige Strähnen ihr Gesicht einrahmten. Sie trug ein schulterfreies rotes Kleid, das ihr bis an die Knie reichte, in ihren Händen hielt sie eine dazu passende Clutch. Sie kam mit hochhackigen Schuhen daher und schaffte es dennoch, die Treppe unbeschadet nach unten zu schaffen. Dann lief sie ihm direkt entgegen, mit einem verlegenen Lächeln auf den rot geschminkten Lippen. „Tut mir leid, habe ich dich warten lassen?“

Es war wirklich Valeria, was Murphy erst einmal irritiert blinzeln ließ. Dann versicherte er ihr allerdings, dass er noch nicht lange hier war.

„Du siehst ...“, er suchte nach Worten, „anders aus.“

„Das hoffe ich doch.“ Sie drehte den Kopf, um die glitzernde Spange zu präsentieren, die ihr Haar oben hielt. „Der ganze Aufwand hat immerhin einiges an Zeit gekostet.“

Es war erstaunlich, wie sehr sie sich verändert hatte. Sie war schon immer schön gewesen – auch wenn er bislang nicht darüber nachgedacht hatte –, aber als sie nun so vor ihm stand, war sie wie ein ganz anderer Mensch, von einer anderen Ebene. Er fühlte sich wie an seinem Hochzeitstag, als er Carol das erste Mal in ihrem Brautkleid gesehen hatte. Seltsam, dass er an Carol denken konnte, ohne diesen Stich in der Brust, der den Gedanken sonst begleitete.

„Dann sollten wir lieber gehen“, sagte er und öffnete die Beifahrertür für sie. „Die anderen Theaterbesucher sollten davon auch etwas zu sehen bekommen.“

Sie bedankte sich, während sie einstieg, was diesmal ein wenig mehr Anstrengung erforderte, damit sie das raschelnde Kleid auch komplett ins Innere bekam. Nachdem das sichergestellt war, schloss er die Tür wieder und stieg auf der Fahrerseite ein.

„Ich habe vorhin auf der Karte nachgesehen, wo das Theater ist“, sagte er, als er den Wagen startete. „Aber kannst du mir sicherheitshalber helfen?“

Sie lächelte, strahlender als sonst. „Natürlich. Wir wollen ja nicht, dass du mich in den tiefen Wald fährst – dort sieht mich ja niemand.“

Murphy schmunzelte, sagte dazu aber nichts mehr.

Für eine Weile fuhren sie schweigend die Straße hinunter. Inzwischen setzte die Dunkelheit bereits ein, die Straßenlaternen leuchteten auf und tauchten die Stadt in ein für Murphy unbekanntes, aber wunderschönes Licht.

„Diese Stadt hat so viele schöne Gesichter“, bekundete Valeria mit einem Seufzen. „Ich bin froh, dass ich hierher gekommen bin.“

Murphy warf ihr einen Blick zu. Alles an Valeria schien geradewegs zu glitzern, es erfüllte seine Brust mit einer lang vergessenen Wärme, von der er nach Charlies Tod und vor allem nach Silent Hill geglaubt hatte, sie nie wieder zu spüren. Er hätte wirklich vorher mit ihr darüber reden müssen, ob es sich hierbei um ein Date handelte.

Er folgte ihrer Anweisung, abzubiegen. Nachdem sie alte Gleise überquert hatten, öffnete sich der Wald zu einer weiten offenen Fläche. In der Entfernung konnte er ein paar hell blühende Bäume entdecken, die ihm wesentlich sympathischer erschienen als die roten, die sonst an allen möglichen Orten der Stadt zu wachsen schienen. Er wusste immer noch nicht, was es damit auf sich hatte. Aber im Moment war das auch erst einmal nicht wichtig.

Die Straße endete an einem großen, hell erleuchteten Gebäude mit einem Glockenturm. Davor war ein Parkplatz angelegt worden, auf dem bereits die verschiedensten Autos standen. Offenbar war die Vorstellung gut besucht – unter diesen Umständen könnte Yolandas Stück ein Erfolg werden.

„Weißt du eigentlich, worum es gehen soll?“, fragte Valeria.

Er lenkte den Wagen auf einen leeren Parkplatz. „Nein. Ich weiß nichts, habe aber auch nicht danach gefragt. Ich habe Adrian und Yolanda aber auch seit der Ausstellung nicht mehr gesehen.“

„Ich hoffe nur, es ist keine dieser alternativen Vorstellungen, in denen wir einfach zwei Stunden mit Tierblut besprüht werden.“

Murphy sah sie irritiert an, als er die Handbremse anzog. „Hast du Erfahrung damit?“

„Bevor ich in eine dumme Ehe geschlittert bin, dachte ich wirklich, ich könnte Schauspielerin werden. Also hab ich es mit dem Theater versucht. Und sagen wir mal, ich war nicht gerade glücklich darüber, nackt auf der Bühne zu stehen und mich mit Tierblut übergießen zu lassen.“

„Ich hätte jede Vorstellung besucht.“ Erst nachdem er das ausgesprochen hatte, fiel ihm auf, wie seine Worte wirken mussten. „Ähm, so meinte ich das nicht …“

Lachend schlug Valeria auf seinen Arm. Eine weitere Reaktion darauf folgte nicht. Stattdessen öffnete sie die Autotür und stieg aus, bevor er die Möglichkeit hatte, ihr das anzubieten.

Er folgte ihrem Beispiel.

Inzwischen war es kühl geworden. Deswegen wohl stellte Valeria sich neben ihn und hakte sich bei ihm unter. Gemeinsam gingen sie in Richtung des Eingangs. Es dauerte nicht lange, bis Murphy bemerkte, dass sie in Gleichschritt verfallen waren. Er war sich nicht sicher, ob das noch Zufall war.

Zwischen den anderen Zuschauern, die sich langsam einfanden, entdeckte Murphy die Journalisten Chad Bergen und Flynn Summers; auch an diesem Abend wurden sie wieder von einem Fotografen begleitet, der versuchte, die Stimmung einzufangen.

„Wenn so wenig passiert, ist wohl auch eine Theaterpremiere ein großes Ereignis“, meinte Valeria.

„Da die Regisseurin dieses Stücks die Frau eines reichen Mäzenen ist, hätte sie vermutlich überall so viel Aufmerksamkeit bekommen.“

Sie betraten das Gebäude. Im Inneren war eine Sektbar aufgebaut worden. Diesmal gab es keine Bedienungen, die einem die Gläser brachten und auch wieder abnahmen.

Valeria lehnte etwas zu trinken ab, erklärte knapp, dass sie Sekt nicht mochte und ging dann mit ihm weiter.

Zwischen all den unbekannten versammelten Personen, erkannte Murphy manchmal auch vertraute Gesichter. Jedoch blieb ihm keine Gelegenheit, einen von ihnen auch nur anzusprechen. Nicht, dass er es wirklich gewollt hätte, an diesem Abend war seine Aufmerksamkeit für Valeria bestimmt. Sie sah das offenbar ähnlich, denn sie zog ihn vorsichtig mit sich und lenkte ihn in Richtung des Theatersaals, wo sie ihre Plätze aufsuchten. Sie saßen recht weit hinten, dafür aber in der Nähe der Ausgänge. Da die Karten umsonst gewesen waren und Murphy ohnehin Kinogänge bevorzugte, störte es ihn nicht, dass sie so weit von der Bühne entfernt waren. Außer ihnen waren noch nicht viele Leute hier, so dass es noch ruhig war, die Unterhaltungen der anderen kamen bei ihnen nur als leises Flüstern an.

Valeria seufzte. „Ach, so viele Leute. Erinnert mich ein wenig an früher.“

„Als du zum Theater wolltest?“ Er gab sich größte Mühe, nicht mehr daran zu denken, wie sie wohl nackt, übergossen mit Tierblut aussah. Aber es war schwerer als er zugeben wollte.

Sie sah ihn schmunzelnd an, als könnte sie erraten, woran er dachte. Im nächsten Moment wurde sie allerdings wieder ernst. „Nein, ich meinte, als ich noch verheiratet war. Mein Ex-Mann hat mich damals auch immer wieder zu solchen Anlässen mitgenommen. Ich musste immer darauf achten, dass meine Verletzungen nicht zu sehen waren. Manchmal war das wirklich anstrengend, weil es ihm ziemlich egal war. Er meinte, es wäre meine Aufgabe, vorzeigbar auszusehen.“

Murphy konnte sich nicht vorstellen, wie schlimm es sein musste, mit einem solchen Mann zusammenzuleben. Er kannte sie nur aus den Gefängnissen, in die sie gesperrt wurden, sobald es ans Licht kam. Dort lebten sie ihre Wut und Brutalität dann an den Mitinsassen oder den Wärtern aus. Allein der Gedanke, dass Valeria einmal mit einem Mistkerl wie diesen zusammen gewesen war, erfüllte ihn selbst mit unbändigem Hass. Lediglich die Tatsache, dass sie nun in Sicherheit war, beruhigte ihn wieder.

Er legte seine Hand auf die von Valeria, die sie auf der Armlehne abgelegt hatte. Sie lächelte ihn an, ihre feuchten Augen wirkten wesentlich größer als sonst. „Danke, Murphy. Es geht schon. Das ist alles lange vorbei.“

Sie wandte den Kopf ab und tupfte mit ihrer freien Hand über ihre Lider. „Ah, wenn ich anfange zu heulen, war das Make-up vollkommen umsonst. Ich glaube, ich sollte mich schnell frischmachen gehen.“

„Ich warte hier.“

„Das hoffe ich doch.“

Damit zwinkerte sie ihm zu, ehe sie sich erhob und mit raschen Schritten davonging. Als er ihr nachsah, bemerkte er, dass sie sich mit einer Hand wieder über die Augen strich. Die Erinnerung musste sie wirklich übermannt haben. Er bereute ein wenig, sie hiervor nicht bewahrt zu haben. Allerdings hatte er das ja nicht wissen können.

Er lehnte sich zurück, entspannte sich zum ersten Mal an diesem Abend ein wenig und sah auf die Bühne hinab. Der rote Samtvorhang war noch geschlossen, aber er glaubte, dahinter Bewegungen wahrnehmen zu können. Mit dem gedämpften Licht und dem leisen Flüstern der anderen Besucher übte das eine beruhigende Wirkung auf ihn aus.

Er blinzelte – dann öffnete sich der Vorhang plötzlich. Ein saurer Geruch stieg ihm in die Nase, während eine dunkle Flüssigkeit die Bühne überschwemmte. Wasserfälle ergossen sich über den Rand, mündeten in einen schäumenden See, der die erste und zweite Reihe vereinnahmte.

Noch bevor Murphy das verstehen konnte, richteten sich drei grellrote Scheinwerfer auf die Bretter. Erst da fiel ihm auf, dass der Hintergrund aussah wie das Theaterstück im St. Marias Kloster. Eine kleine Hütte, versteckt und abgelegen im Wald. Ein Sturm entwickelte sich über der Bühne und breitete sich bis in den Zuschauerraum aus. Warmes Wasser peitschte in Murphys Gesicht, färbte seine gesamte Welt rot, als es in seine Augen gelangte.

Was ist hier los? Was passiert hier?

Er versuchte, sich zu bewegen, doch seine Arme und Beine fühlten sich schwer wie Blei an und versagten ihm den Dienst. Als er die Augen schloss, stellte er fest, dass die vor ihm liegende Szene durch seine Lider drang und es ihm damit unmöglich machte, sich davon abzuwenden.

Aus dem Wald erklang das Schreien der kreischenden Wesen aus Silent Hill. Doch sie kamen nicht heraus. Stattdessen kletterten sie aus dem roten See am Fuß der Bühne. Es waren vier, all ihre Blicke waren auf ihn gerichtet. Sie gaben keinen Ton von sich, als sie über die Sitze zu klettern begannen – in seine Richtung.

Schlagartig erlosch das Licht auf der Bühne und tauchte den gesamten Saal in Dunkelheit. Seiner Sehkraft beraubt, wurde der faulige Geruch noch schlimmer, seine nasse Kleidung klebte unangenehm an seiner Haut. Er wollte sie von sich reißen, am besten gemeinsam mit seiner Haut selbst, die ihn plötzlich einzuengen schien und ihm das Atmen erschwerte.

Ein Blitz zuckte und erhellte den Raum kurzzeitig. Die Monster waren bereits in die vierte Reihe geklettert, nur noch drei trennte sie voneinander.

Je mehr Murphy darum kämpfte, aufzustehen, desto enger wurde alles um ihn. Die gesamte Atmosphäre legte sich wie Ketten um ihn, wurde zugezogen und drückte ihm das letzte bisschen Luft aus den Lungen.

Ich ersticke! Das kann nicht echt sein! Das kann nicht-!

Ein weiterer Blitz. Noch zwei Reihen.

Hatte er die Stadt vielleicht nie wirklich verlassen? Der Gedanke ängstigte ihn, ließ seine Augen tränen. War er womöglich während des Busunfalls ums Leben gekommen und seitdem watete er durch seine persönliche Hölle, die ihm stets aufs Neue Hoffnung gab, nur um sie ihm wieder zu entreißen?

Ein Blitz. Noch eine Reihe.

Er konnte die kalten, gleichgültigen Augen der Wesen sehen, ihre flatternden Lippen, die sich danach sehnten, zu kreischen und ihn damit zu betäuben. Die Krallen waren bereits nach ihm ausgestreckt.

Doch bevor sie ihn verletzen konnte, spürte er eine angenehm warme Berührung an seiner Schulter. Dazu erklang eine Stimme, die ihn ein weiteres Mal mit Hoffnung durchflutete: „Murphy? Murphy, was ist los? Wach auf.“

Die Szenerie vor ihm löste sich in goldene Asche auf und wurde von einem Windhauch fortgeweht. Als alles in komplette Dunkelheit versank, wurde ihm bewusst, dass seine Augen geschlossen waren. Er öffnete sie und fand sich – zu seiner Erleichterung – im Theater wieder. Alles sah normal aus, kein Regen, kein roter See, keine Monster, sogar der Vorhang war noch geschlossen.

Valeria stand neben ihm, die Stirn vor Sorge zerfurcht.

„Was ist passiert?“ Sein Hals fühlte sich trocken an, sein Magen rebellierte, kaum dass er den Mund öffnete. Noch dazu war ihm viel zu warm, geradezu heiß.

„Das sollte ich dich fragen“, sagte Valeria. „Ich war nur ein paar Minuten weg, und als ich wiederkomme, scheinst du einen Albtraum und Fieber zu haben. Ich hatte echt Angst.“

Fieber?

Er wollte sich selbst an die Stirn greifen, aber schon das einfache Anheben seiner Hand erforderte derart viel Anstrengung, dass er sie sofort wieder fallenließ. Valeria legte dafür eine von ihren auf seine Stirn. Sie fühlte sich kühl an.

„Immer noch nicht besser“, bemerkte sie. „Vorhin sahst du noch so gesund aus.“

Inzwischen hatte sich der Saal ein wenig mehr gefüllt, ein paar Leute sahen zu ihm herüber, aber er nahm das nur wie durch einen Schleier wahr.

„Mir ist schlecht.“ Er war sich selbst nicht sicher, ob er das laut gesagt hatte, aber Valeria schien es gehört zu haben: „Ich helfe dir zur Toilette.“

Tatsächlich gelang es ihr, ihm auf die Füße zu helfen und seinen Arm um ihre Schulter zu legen, damit er sich auf sie stützen konnte. Er fühlte sich wie ein nasser Sack voller Müll, doch Valeria beklagte sich nicht, während sie ihn durch die Menge manövrierte. Wahrscheinlich wäre es angebracht für ihn gewesen, sich in diesem Moment zu schämen, doch selbst dafür fehlte ihm die Kraft. Ihm war absolut gleichgültig, was diese anderen Leute, die für ihn nur Schemen waren, von ihm hielten. Dafür genoss er den leichten Vanilleduft, der von Valeria ausging.

An der Toilette angekommen, kümmerte sie sich nicht um die Anwesenheit anderer, als sie ihn sogar bis zu einer Kabine begleitete. Dort ließ sie ihn vorsichtig auf den kühlen Boden sinken.

„Gut, so weit sind wir also schon mal.“ Sie klang zufrieden, aber sie wirkte immer noch besorgt. „Ich hole dir noch einen nassen Lappen. Lauf nicht weg.“

Ehe er darauf lachen konnte, schritt sie bereits wieder davon.

Die Toilette war mit weißen Fliesen ausgelegt, ein grelles Licht schien von den Lampen. Es schmerzte in seinen Augen, bohrte sich tief in seinen Schädel, wo es an ihm zu nagen begann. Sein Magen reagierte darauf mit einer weiteren Rebellion, viel stärker als die letzte. Er beugte sich über die Schüssel – so weiß, es tat weh – und erbrach sich. Die Säure brannte so sehr in seiner Speiseröhre, dass er glaubte, sie würde sich zersetzen, ginge das noch lange so weiter. In seinen Ohren ertönte ein lautes Klingeln, wie ein Feueralarm, doch selbst wenn er gewollt hätte, wäre es ihm gerade unmöglich gewesen, aufzustehen.

Schließlich blieb nur noch Galle übrig, erst dann beruhigte sein Magen sich wieder, so dass er sich aufrichten konnte. Sofort tupfte jemand mit einem nassen Tuch über sein erhitztes Gesicht, kühlte es ein wenig herab. Wasser rauschte.

„Was immer du hast“, sagte Valeria, „ich hoffe, es ist nicht ansteckend.“

An ihrer Stimme war deutlich, dass sie es nicht ernst meinte. Dennoch entschuldigte er sich leise.

„Soll ich dir vielleicht einen Arzt holen?“ Sie ignorierte seine Entschuldigung. „Es ist bestimmt mindestens einer im Publikum.“

Murphys Blick ging an ihr vorbei zur Tür. Ein schwarzer Schatten waberte dort, verschleierte seine Sicht auf alles, was jenseits von dort vor sich ging.

„Nein, schon in Ordnung.“

Wenn er zu sehr auffiel, war die Wahrscheinlichkeit hoch, dass man doch noch entdeckte, wer er war – und das wollte er unter allen Umständen vermeiden, selbst wenn das bedeutete, dass er diese Übelkeit noch länger ertragen musste.

Da Valeria ihn skeptisch ansah, musste er wohl mehr erklären: „Ich bin wahrscheinlich nur extrem nervös wegen diesem Abend. Das ist alles.“

Ihre Stirn glättete sich wieder. Sie sah sich kurz den Boden an, dann setzte sie sich ihm mit seitlich angewinkelten Beinen gegenüber. Er wollte sie darauf hinweisen, dass sie ihr Kleid möglicherweise ruinierte, ließ es aber sein, weil er glaubte, sie könne das ohnehin besser einschätzen.

„Dein letztes Date ist schon eine Weile her, nicht?“

Er wurde hellhörig. „Also ist das hier ein Date?“

„Natürlich. Dachtest du, ich gehe mit jedem Mann ins Theater?“

Von dieser Perspektive aus hatte er es gar nicht betrachtet. Sie schnitt ihm eine Grimasse. „Auf den Gute-Nacht-Kuss verzichte ich heute dann aber lieber. Nimm's mir nicht krumm.“

Er winkte lasch ab. „Ich versteh's.“

Für einen Moment herrschte Schweigen zwischen ihnen. Murphy fuhr sich mit einer Hand durch die schwitzigen Haare, Valeria blickte auf ihre Clutch hinunter. Selbst dieser Augenblick fühlte sich irgendwie gut an.

Schließlich hob sie den Kopf wieder, um ihn anzusehen. „Dann wusstest du wirklich nicht, dass das ein Date war?“

„Ich war mir nicht sicher. Und es kam mir peinlich vor, zu fragen.“

„Unverbesserlich.“ Sie lächelte sanft. „Beim nächsten Mal werde ich deutlicher sein.“

Er schätzte sich schon glücklich, dass es überhaupt ein nächstes Mal geben sollte. Nach dem, wie es bislang gelaufen war, hatte er nicht mehr damit gerechnet.

„Sag mal, was hast du eigentlich geträumt vorhin?“

Statt zu antworten sah er wieder zur Tür. Der schwarze Schatten hatte inzwischen einen deutlichen Umriss gebildet. Eine Person in einem dunklen Regenmantel, mit einer Atemmaske und einem großen Hammer in den Händen.

Er stand einfach nur da, obwohl Murphy geglaubt hatte, ihn in Silent Hill zurückgelassen zu haben, gemeinsam mit seinen Schuldgefühlen für Charlies und Franks Tod. Sie starrten sich gegenseitig an, der Bogeyman atmete hörbar durch die Maske.

„Nicht weiter wichtig“, sagte Murphy. „Es war nur ein blöder Albtraum.“

Die Gestalt verflüchtigte sich, fast sofort schien sich sein Zustand zu bessern. Der Schweiß trocknete langsam auf seiner Haut, selbst seine latente Übelkeit schwand und wurde durch zaghaften Hunger ersetzt; gegen eine Suppe hätte er nichts einzuwenden gehabt.

„Du wirkst plötzlich gar nicht mehr blass.“ Valeria legte wieder eine Hand auf seine Stirn. „Hey, du fühlst dich schon wesentlich normaler an.“

„So geht es mir auch.“

Sie seufzte zufrieden, dann sah sie auf ihre Uhr. „Huh, eigentlich hätte das Stück schon anfangen sollen.“

Er wollte sie gerade fragen, wie sie auf die Idee kam, dass es noch nicht lief, als ihm auch die Geräusche des hektischen Treibens auf dem Gang auffielen. „Vielleicht warten sie extra auf uns.“

„Natürlich, wir sind ja die VIPs.“ Wieder schenkte sie ihm ein so strahlendes Lächeln, dass sogar das grelle Licht blass vor Neid geworden wäre. „Wollen wir mal nachsehen? Wenn du nicht willst, bleiben wir auch nicht lange, aber wir sollten uns schon blicken lassen.“

Er nickte.

Sie erhoben sich beide (wobei Valeria ihm erneut helfen musste, aber seine Beine fühlten sich nun schon wesentlich kräftiger an) und gingen zu den Waschbecken. Nachdem Murphy sich dort noch einmal saubergemacht und sie beide sichergestellt hatten, vorzeigbar auszusehen, verließen sie die Toilette wieder.

Auf dem Gang herrschte tatsächlich Aufregung. Angestellte des Theaters, in alltäglicher Kleidung und mit Mikrofonen, liefen umher und schrien sich immer wieder Anweisungen zu. Inmitten dieses Wuselns entdeckten sie Adrian Bolton, der, trotz seines Reichtums, hier doch verloren aussah. Kaum entdeckte Adrian sie beide, kam er händeringend auf sie zu. „Haben Sie Yolanda gesehen?“

Die beiden tauschten einen Blick miteinander, ehe sie die Frage verneinten.

Er seufzte schwer als lasteten tausend Welten auf ihm. „Sie ist einfach nirgends zu finden. Eigentlich hätte sie die Eröffnungsrede halten sollen. Deswegen sind wir schon im Verzug. Die Leute werden ungeduldig.“

Kaum vorstellbar, dass eine Frau wie Yolanda, die ein Theaterstück auf die Bühne stellte, einfach verschwand, wenn die Premiere bevorstand. Gerade sie sollte doch ein Interesse daran haben, auch die Lorbeeren zu ernten.

„Keine Sorge“, sagte Valeria. „Bestimmt ist sie nur nervös und hat frische Luft geschnappt. Sie kommt sicher bald zurück.“

Adrian sah sie zweifelnd an. Dort war garantiert auch gesucht worden, aber er war höflich genug, es nicht zu sagen. Wohl auch, weil gerade eine Frau mit einem Klemmbrett im Arm dazukam. „Mr. Bolton, wir sollten jetzt wirklich anfangen, sonst geraten wir noch mehr in Verzug.“

Zerknirscht dreinblickend sah er noch einmal den Gang hinauf und hinab, als hoffe er, dass Yolanda sich spontan materialisiere und doch noch ihre Rede halten könne. Da nichts geschah, nickte er. „Sie haben recht, wir müssen weitermachen. Das wäre sicher in Yolandas Sinne. Sie kann ja danach noch etwas dazu sagen.“

Mit dieser Antwort zufrieden ging die Frau davon, dabei rief sie bereits hektische Befehle in ihr Mikrofon.

Adrian wandte sich wieder ihnen zu. „Sie sollten dann zurück in den Saal. Es wird Ihnen bestimmt gefallen. Yolanda hat einen ausgezeichneten Geschmack.“

Nach einem letzten verzweifelten Lächeln verschwand er ebenfalls den Gang hinab, sicher um zu seinem Balkonplatz zu kommen, den er ohne jeden Zweifel besaß.

Valeria hakte sich wieder bei Murphy unter. „Wollen wir? Es reicht ja, wenn wir uns ein bisschen was ansehen, dann kann ich dich heimfahren.“

Du willst fahren?“

„Natürlich.“ Sie zwinkerte ihm zu. „Wenn es dir nicht gut geht, ist das die beste Gelegenheit, mal einen Lincoln selbst zu fahren.“

„Opportunistin.“

Lachend zog sie ihn mit sich, zurück in den Theatersaal. Nachdem sie sich an ein paar Personen vorbeigeschoben hatten, setzten sie sich wieder auf ihre Plätze. Mit einem vollen Saal fühlte Murphy sich auch viel wohler, ohne den Gedanken zu bekommen, dass ein Monster ihn jederzeit anfallen könnte.

Das Licht wurde gedimmt und er fühlte sich immer noch gut – besonders als Valeria sich an seinen Arm schmiegte und ein leises, zufriedenes Seufzen ausstieß. Es schien ihm wie eine Ewigkeit her zu sein, dass er und Carol einen solchen Moment geteilt hatten.

Der Vorhang öffnete sich, worauf auch die letzten Zuschauer verstummten und wie gebannt auf die Bühne starrten. Dort stand eine einzelne Frau in einem weißen Kostüm, die Arme wie zu einem einsamen Tanz erhoben. Murphy rechnete jeden Moment damit, dass Musik einsetzen würde – doch stattdessen tropfte plötzlich etwas von oben auf die Schauspielerin hinab und hinterließ einen rotbraunen Fleck auf ihrem ansonsten makellos weißen Kleid. Sie schien davon nichts zu bemerken, weswegen er sich fragte, ob es Teil des Stücks war oder ob er schon wieder zu fantasieren begann. Er fühlte sich jedoch gut, alles wirkte normal.

Da, ein weiterer Klecks, diesmal auf ihrer rechten Schulter.

Die Schauspielerin öffnete die Augen und sah irritiert auf den neuen Fleck hinab. Dann hob sie den Blick zur Decke – und stieß ein schrilles, schockiertes Kreischen aus.

Die Zuschauer tuschelten miteinander, Murphy hörte Aussagen wie „Talentiert“, „Bemerkenswert“ oder „Interessanter Anfang“. Doch etwas in ihm wollte einfach nicht glauben, dass dieser inbrünstige Schrei geschauspielert war. Er hörte sich echt an.

Aber was schockierte sie derart?

Ein lauter Knall erfüllte das Theater – dann stürzte etwas von oben herab. Das Bündel stoppte abrupt, gehalten von einem Seil. Es schwang ein wenig hin und her, entzog sich damit einem endgültigen Blick, doch der ganze Saal schien bereits wieder wie in Trance zu sein und dieses Etwas zu mustern.

Nach einer Zeit, die sich wie ein halbes Leben anfühlte, pendelte das Bündel aus.

Murphy hielt den Atem an.

Es war kein Etwas, es war ein Mensch.

Es war Yolanda.

Das Seil war um ihren Hals geknüpft. Sie sah aus wie in Blut getränkt, als ob diese Flüssigkeit ihre neue Haut geworden wäre.

„Murphy“, hauchte Valeria. „Das gehört nicht zum Stück, oder?“

Nein. Nein, er glaubte das nicht. Nein, das war echt.

Denselben Gedanken durchzuckten in diesem Moment wohl auch andere Zuschauer. Ein erschrockenes Raunen ging durch die Versammelten.

Das ist nicht richtig. Sie müssten anders reagieren. Wir alle müssten das.

In diesem Moment zerbrach die angespannte Stille, ersetzt durch eine Kakophonie von Schreien, die das gesamte Theater erfüllten und Murphys Ohren wieder klingeln ließen.

Wie durch einen Schleier sah er die Theater-Angestellten, die auf die Bühne rannten, einige Zuschauer, die als Ersthelfer tätig werden wollten, und Adrian, der am lautesten von allen klagte.

Und dort, ganz hinten, in der finstersten Ecke des Podiums, entdeckte er jene finstere Gestalt, die zweifelsfrei hierfür verantwortlich sein musste.

Dort stand der Bogeyman.

Und er starrte Murphy an.
 

Kapitel 14: Es war nur ein blöder Albtraum (Teil 2)


 

Im Vorraum des Theaters gab es mehrere niedrige Lederbänke; auf einer davon saßen Murphy und Valeria und beobachteten die Polizisten. Sie waren nicht lange nach der Entdeckung der Leiche angekommen, gemeinsam mit einem Krankenwagen, der nichts mehr für Yolanda tun konnte.

Auf der Bühne arbeitete die Spurensicherung, deswegen hatten alle den Zuschauerraum verlassen müssen. Soweit Murphy es mitbekommen hatte, standen einzelne Gruppen im Gebäude verteilt, andere waren aufgrund des Platzmangels mit einigen Polizisten nach draußen gegangen. Dabei war Murphy aufgefallen, dass es in Strömen regnete. Obwohl die Einwohner der Stadt dieses Wetter fürchteten, blieb ihnen gerade keine andere Möglichkeit als sich dem auszusetzen.

Die sorgfältig vorbereiteten Getränke, hauptsächlich Sekt und Orangensaft, für den feierlichen Anlass, waren inzwischen zu Erfrischungen für die Traumatisierten geworden. Murphys Magen hatte schon beim Gedanken daran rebelliert, Valeria dagegen hatte erwidert, dass sie zu nervös wäre, um etwas zu trinken, als sie von einem befreundeten Kellner gefragt worden war.

Manchmal liefen Leute an ihm und Valeria vorbei, die einen von ihnen kannten und ihnen kurz zunickten, ehe sie rastlos weiter umhergingen. Unter all diesen Personen bemerkte Murphy auch Chad Bergen und Flynn Summers, den Verleger und den Journalisten, die Valeria ihm während der Galerieeröffnung gezeigt hatte. Der übergewichtige Chad rieb sich in unregelmäßigen Abständen die Hände, während der jung gebliebene Flynn ungeduldig mit der Spitze seines Schuhs auf den Boden tippte. Es sah aus als könnten sie es kaum erwarten, darüber einen Artikel zu schreiben. Glücklicherweise fehlte von ihrem Fotografen jedes Lebenszeichen, er war vermutlich nicht eingeladen worden – oder hatte freiwillig darauf verzichtet.

Immer wieder durften Personen nach Ende ihrer Aussage das Gebäude verlassen. Die meisten waren blass, hin und wieder hörte man ein leises Schluchzen, das genaue Gegenteil der beiden Journalisten. Murphy zweifelte nicht daran, dass einiges an Arbeit auf die Psychologen Greenvales zukäme. Manche Leute stolperten über die flache Stufe an der Ausgangstür, wo sie von Polizisten verabschiedet wurden, verbunden mit der Anweisung, vorsichtig zu fahren.

Je länger die Wartezeit dauerte, desto mehr lichtete sich die Menge. Dennoch schienen es weiterhin zu viel für die wenigen Polizisten zu sein.

„Glaubst du, der Mörder ist noch hier?“, fragte Valeria plötzlich.

Murphy sah zu ihr hinüber. Ihm war nicht bewusst, ob es am Licht lag, aber ihre Haut schien ein wenig strahlender als sonst, fast schon hypnotisch. Selbst ihr vor Sorgen zerfurchtes Gesicht wirkte gerade anziehend.

„Wahrscheinlich nicht“, antwortete er. „So wie Yolanda aussah, müsste der Mörder auch voller Blut sein, so kann man sich nicht in der Menge verstecken.“

Sie fuhr sich mit einer Hand durch das Haar und löste dabei einige Strähnen aus ihrer Hochsteckfrisur, nur um dann an diesen zu ziehen. „Aber hätte das nicht irgendjemandem auffallen müssen? Man lässt sich doch nicht einfach so töten, oder? Man kämpft doch um sein Leben und macht Lärm.“

Natürlich tat man das – oder sollte es jedenfalls. Aber es gab so vieles, das man nicht bedenken konnte: ein Überraschungsangriff, ein Bekannter, bei dem man seine Vorsicht ablegte, und das waren nur jene, die ihm auf Anhieb einfielen.

„Wir wissen nicht einmal, wo genau sie getötet wurde“, gab er zu bedenken, auch wenn ihm selbst bewusst war, wie lächerlich das klang.

Sie alle hatten gesehen, wie Yolandas Blut noch frisch genug gewesen war, um auf die Tänzerin zu tropfen. Also musste der Tod im Theater geschehen sein, und die Polizei würde bald herausfinden, wo genau es passiert war. Aber er zweifelte daran, dass sie hinter das Wie kamen. Der Bogeyman war nur wenige Sekunden da gewesen, dann war er verschwunden. Murphy hatte deswegen nicht einmal Valeria fragen können, ob sie ihn ebenfalls sah. Doch wenn er damit im Zusammenhang stand … nein, das durfte er sich nicht einmal vorstellen.

„Erst Zandra“, sagte Valeria, während sie überraschend hart an ihren Haarsträhnen zog, „dann das hier. Glaubst du, das hängt irgendwie zusammen?“

Zandra war in einer Regennacht mit einem großen Hammer erschlagen worden, hatte die Nachbarin erzählt. Über Yolandas Todesursache wusste er nichts. War sie verblutet (das schien aufgrund der Menge durchaus wahrscheinlich) oder war sie erst gestorben, als sie gestürzt war?

Ein lautes Räuspern unterbrach ihr Gespräch. Eine Polizistin stand vor ihnen, sie war jung genug, dass Murphy für einen Moment glaubte, sie hätte die Uniform nur aus dem Kostümfundus des Theaters entwendet. Aber der Blick aus ihren braunen Augen war hart genug, dass er nicht einmal wagte, sie das zu fragen, das streng zurückgebundene braune Haar ließ sie noch autoritärer erscheinen. Valeria setzte sich aufrecht hin, den Körper so angespannt, dass er ihrem Beispiel unbewusst folgte.

Die Polizistin hob einen kleinen Notizblock und einen Kugelschreiber. „Ich bin Deputy Jameson. Und Sie beide sind?“

Valeria antwortete sofort, ihre Stimme ließ jegliche Wärme vermissen. Er tat es ihr nach: „Charles Coleridge.“

Jameson notierte sich das. Dann fuhr sie fort: „Und wo waren Sie zum Tatzeitpunkt?“

Sie wussten ja nicht einmal, wann genau das gewesen war. Deswegen holte Valeria wohl weiter aus: „Wir sind zusammen hergefahren und direkt zu unseren Plätzen. Etwa fünfzehn Minuten vor der Vorstellung bin ich dann noch mal raus, um mein Make Up zu richten.“

Jameson hielt beim Schreiben inne und sah Valeria finster an. „Sie waren gerade erst gekommen. Was kann es da für einen Grund geben, sich neu zu schminken?“

Valeria deutete auf ihre Augen. „Ich habe mich an etwas Trauriges erinnert, da ist mein Mascara verlaufen.“

Jameson zog ihre Brauen zusammen. „Und wie lange waren Sie dann weg?“

„Nur ein paar Minuten. Ich wollte nicht riskieren, dass das Stück ohne mich anfängt.“

„Gibt es dafür Zeugen?“

Es waren die üblichen Fragen, die jeder Polizist einem Zeugen stellte, der möglicherweise auch als Täter in Betracht kam. Glücklicherweise ließ Valeria sich davon nicht aus der Ruhe bringen. Stattdessen dachte sie einen Moment nach, ehe sie nickte. „Fiona hat mich gesehen. Wir haben auch kurz miteinander gesprochen.“

Sommersprossen Fiona?“

Valeria nickte noch einmal. Jameson notierte sich das. Murphy fragte sich, von wem sie eigentlich sprachen, doch die angespannte Atmosphäre hielt ihn weiterhin davon ab, zu reden, sofern er nicht angesprochen wurde.

„Als ich fertig war, bin ich zurück zu unseren Plätzen. Da hab ich gemerkt, dass es Charlie“ – Valeria deutete mit dem Kopf in Murphys Richtung – „nicht gut geht.“

Jameson wandte sich ihm zu. „Was fehlte Ihnen denn?“

Ihr Blick erinnerte ihn unwillkürlich an den von Cunningham, seiner selbsterkorenen Nemesis, die ihn durch ganz Silent Hill verfolgt hatte. Seine Brust zog sich zusammen, erschwerte ihm das Atmen. Nach außen versuchte er dennoch, ruhig zu bleiben, um kein Misstrauen auf sich zu ziehen.

„Ich hatte leichtes Fieber und mir war übel. Nichts weiter Schlimmes.“

Als sie ihn mit gerunzelter Stirn musterte, korrigierte er seinen Gedanken: sie war nicht wie Cunningham – sie war wie ein Raubtier, das gerade seine Beute witterte, wild entschlossen, es bis ans Ende der Welt zu jagen.

Murphy erwiderte ihren Blick, sein Innerstes rumorte, wollte ihn dazu antreiben, aufzuspringen und wegzurennen, doch sein Gehirn sagte ihm, dass er sitzen bleiben musste, egal wie unangenehm es noch werden würde.

„Woher kam diese Übelkeit?“ Jamesons Stimme glich klirrenden Eissplittern.

Murphy zuckte mit den Schultern. „Ich bin während des Wartens eingeschlafen und hatte einen Albtraum. Vielleicht deswegen.“

Zumindest stand beides wirklich miteinander im Zusammenhang. Von den Monstern und dem Bogeyman erzählte er nichts, so etwas konnten Polizisten nicht verstehen oder glauben. Er glaubte es sich ja selbst nicht so ganz.

Endlich unterbrach Jameson den Augenkontakt wieder, um sich etwas zu notieren. „Wenn Sie das öfter haben, sollten Sie vielleicht mal im Krankenhaus vorbeisehen.“

„Bisher war es das erste Mal.“

Sie gab nur ein verstehendes Geräusch von sich, dann stellte sie eine weitere Frage: „Waren Sie dann bis zum Beginn der Vorstellung auf Ihren Plätzen?“

Murphy schüttelte mit dem Kopf. „Val, also … Valeria hat mich zur Toilette begleitet.“

Er dachte ungern daran zurück, wie er sich übergeben hatte. Zumindest war der Moment im Anschluss dafür sehr angenehm gewesen.

„Nach ein paar Minuten gingen wir zurück und trafen Adrian Bolton, er hat gefragt, ob wir seine Frau gesehen hätten.“

„Welchen Eindruck machte er auf Sie?“

Murphy dachte an den händeringenden Adrian zurück, der zwischen den beschäftigten Theatermitarbeitern absolut fehl am Platz ausgesehen hatte. Das beschrieb er der fleißig notierenden Jameson genauso. Offenbar gab er ihr damit neues Gedankenfutter, denn sie kümmerte sich gar nicht mehr um ihre Anwesenheit, während ihr Kugelschreiber rotierte. Genau genommen war sie so sehr darin vertieft, dass sie selbst nach einer Minute noch nicht nachließ oder auch nur den Blick hob.

Murphy und Valeria sahen einander an; er neigte den Kopf ein wenig, sie zuckte mit den Schultern. Ein anderer Polizist, der gerade ein junges Paar verabschiedet hatte, ging mit gerunzelter Stirn hinter Jameson vorbei. Als er ihren Eifer bemerkte, murmelte er etwas, das sich für Murphy verdächtig nach „Sie spinnt wieder rum“ anhörte.

„Ich darf also festhalten“, sagte Jameson schließlich, „dass Sie beide für kurze Zeit getrennt voneinander waren, was Zeugen bestätigen können. Und im Anschluss verließen Sie beide zusammen für mehrere Minuten den Saal, diesmal ohne Zeugen.“

Ihm gefiel nicht, dass es danach klang als wolle sie ihnen die Schuld in die Schuhe schieben. Keiner von ihnen hätte genug Zeit dafür gehabt – oder auch nur ein Motiv. Darauf wies er sie auch direkt hin, was von ihr mit einem „Das ließe sich ja noch finden“ quittiert wurde.

Sie tippte sich mit dem Kugelschreiber gegen das Kinn. „Vielleicht war es ja aber auch Mr. Bolton. Der Ehemann ist doch meistens der Hauptverdächtige.“

Das lag also an ihrer Einschätzung? Etwas, was man in Krimis gesagt bekam?

Murphy ärgerte sich ein wenig, dass er sich davon überhaupt hatte beeinflussen lassen. Valeria senkte den Kopf und legte sich eine Hand vor die Augen, scheinbar genauso genervt wie er.

Bevor einer von ihnen etwas dazu sagen konnte, trat Deputy Eden Darcy an Jameson heran und tippte ihr auf die Schulter. „Liebes, bist du schon fertig mit den beiden? Wir brauchen deine Hilfe noch bei einigen anderen Leuten.“

Einen kurzen Augenblick lang wirkte es als wolle Jameson widersprechen, doch dann gab sie seufzend nach. „Okay, ich komme ja schon.“

Davor wandte sie sich aber noch einmal Murphy und Valeria zu: „Falls sich etwas ergibt, werden wir Sie noch einmal zu einer Befragung einladen. Es wäre gut, wenn Sie dann kooperieren.“

Ohne eine Antwort abzuwarten, klappte sie ihren Block zu und stolzierte davon. Selbst das erinnerte an den ein oder anderen Fernsehdetektiv, wenn auch nicht unbedingt die guten.

Valeria seufzte erleichtert. „Sie ist ganz schön … überschwänglich, was?“

„Sie ist eben noch jung“, sagte Eden. „Und das ist der erste Mordfall, bei dem sie auch ermitteln darf, da ist sie sehr aufgeregt und will alles richtig machen.“

Dafür wirkte sie ziemlich einschüchternd. Aber aus Sicht eines Polizisten war bei einem solchen Fall natürlich jeder ein Verdächtiger, besonders wenn er derart suspekt war wie Murphy. Zum Glück hatte sie ihn nicht nach einem Ausweis oder Führerschein gefragt.

„Dürften wir dann jetzt gehen?“, fragte Valeria. „Charles fühlt sich nicht sonderlich gut.“

Eden nickte. „Natürlich. Wir melden uns, falls noch etwas sein sollte.“

Sie bedeutete dem Polizist am Eingang, dass sie beide gehen könnten, was sie auch sofort in die Tat umsetzten. Inzwischen nieselte es nur noch ein wenig. Auf dem stark geleerten Parkplatz standen Leute mit Regenschirmen, die sich neben ihren Autos mit Polizisten unterhielten. Als sie an ihnen vorbeiliefen, bemerkte Murphy, dass jeder einzelne einen ernsten, fast wütenden, Gesichtsausdruck hatte. Das veranlasste ihn dazu, keinen von ihnen zu grüßen, nicht einmal den ihm bekannten Sheriff, der ihn ohnehin nicht beachtete.

Sie erreichten den Lincoln ohne richtig nass zu werden. Valeria hielt allerdings noch einmal inne, statt einzusteigen. „Bist du wirklich in der Lage zu fahren?“

Murphy dachte einen Moment darüber nach. „Nun, ich muss so oder so noch ins Hotel weiterfahren ...“

„Du kannst auch auf meinem Sofa schlafen“, sagte sie sofort. „Nur um sicherzugehen. Es ist schon spät, und was, wenn du noch einmal so einen Anfall bekommst?“

Diese Möglichkeit musste er natürlich in Betracht ziehen. Selbst wenn er sich im Moment gut fühlte, bedeutete das gar nichts, denn vorhin war es ihm auch gut gegangen. Valerias Apartment war vielleicht nicht weit weg, das Hotel aber schon, und nach dem Fieber, dem Übergeben und dem Warten fühlte er sich tatsächlich müde genug, dass er direkt einschlafen könnte, wenn er nicht aufpasste.

„Okay, dann fährst du.“ Er griff in seine Tasche und zog den Ring heraus, an dem er alle für das Hotel wichtige Schlüssel befestigt hatte. Hoffentlich würde Polly sich keine Sorgen machen, wenn er erst am Morgen zurückkam.

Wenn sie sich überhaupt daran erinnert, dass ich da sein müsste.

Mit leuchtenden Augen kam Valeria um den Wagen herum. Sie griff bereits nach dem Schlüssel, doch er brachte ihn noch einmal außerhalb ihrer Reichweite und sah sie streng an. „Du musst aber vorsichtig fahren. Denk daran, dass es das alte Auto von Mr. Oxford ist.“

Und er könnte in seinem ganzen Leben nicht mehr genug Geld verdienen, um es zu ersetzen, genauso wenig wie Valeria.

„Keine Sorge, ich bin eine echt gute Fahrerin.“ Sie dachte kurz nach. „Jedenfalls nachts. Da ist es mir zu gefährlich, schnell zu fahren.“

Er gab ihr den Schlüssel, dann umrundete er selbst den Wagen, um auf der Beifahrerseite einzusteigen. Aus dem Augenwinkel bemerkte er dabei, wie Sheriff Dean Summers sie beide beobachtete, mit einem Blick, der Murphy einen Schauer über den Rücken laufen ließ. Erst als er auf dem weichen Sitz saß und er den Nieselregen ausgesperrt hatte, fühlte er sich wohler. Die Müdigkeit traf ihn dabei auch mit voller Wucht; spätestens nun hätte er eingesehen, dass er nicht mehr fahren konnte.

Valeria gab ihm ihre Clutch – „Zum Festhalten“ – kaum, dass sie selbst eingestiegen war. In aller Ruhe stellte sie den Rückspiegel ein, obwohl Murphy überzeugt war, dass sie selbst nur noch einmal einen genauen Blick auf den Sheriff werfen wollte. Schließlich startete sie den Motor, und seufzte zufrieden. „Oh ja, dieses Auto hat nur darauf gewartet, dass ich es fahre.“

Trotz des verspielten Tons ihrer Stimme war sie noch blass, aus der Nähe betrachtet funkelten ihre Augen auch gar nicht so aufgeregt, wie es ihm zuvor vorgekommen war.

Murphy wartete, bis sie mit dem Wagen den Parkplatz verlassen hatte – wobei sie darauf achtete, nicht zu nah am Sheriff vorbeizufahren – und auf die kurvige Straße einbog, ehe er sie darauf ansprach: „Das ist bestimmt das erste Mal, dass du so eine Leiche gesehen hast, oder?“

Sie sah stur geradeaus, ihre Mundwinkel zuckten. „Überhaupt irgendeine Leiche. Normalerweise halte ich mich von Toten fern.“

Er wünschte, er könnte das auch noch von sich behaupten.

Die Scheinwerfer schnitten durch die Dunkelheit, vereinten sich mit den Lichtkegeln der Straßenlaternen, nur um alles jenseits davon in eine unnatürliche Schwärze zu tauchen. Hin und wieder glaubte Murphy, darin Formen oder Bewegungen zu erkennen, aber das war nicht möglich, er war nur müde und noch von dem gesamten Abend beeinflusst.

„Weißt du“, begann Valeria plötzlich, „es ist schon seltsam. Die ganze Zeit war die Stadt die Ruhe selbst, aber kaum tauchst du auf, passieren direkt zwei Morde.“

Er löste sich vom Fenster und sah zu ihr hinüber. „Du denkst doch nicht etwa, dass ich der Mörder bin?“

Zu seiner Erleichterung schmunzelte sie. „Klar, genau deswegen nehme ich dich mit zu mir nach Hause, damit du mich im Schlaf umbringen kannst. Brillante Schlussfolgerung. Nein, ich will nur sagen, dass du ziemlich viel Pech an dir kleben haben musst.“

„Da würde ich nicht mal widersprechen.“

Und gleichzeitig war da auch so viel Glück, das ihn begleitete. Versuchte das Universum nur, sich wieder auszugleichen? Oder war das alles nur ein sehr dummer Zufall?

„Aber weißt du“, fuhr sie ernst fort, „manchmal habe ich das Gefühl, dass etwas in dieser Stadt nicht stimmt. Nicht nur wegen der roten Bäume oder dem Regenmantelmörder. Es ist auch der Regen selbst.“

Bei dieser Erwähnung erinnerte er sich an seine eigene Erfahrung, die er einmal während des Regens gemacht hatte. „Spürst du auch diese seltsamen Aggressionen, wenn es regnet?“

Einen kurzen Moment sah sie ihn mit großen Augen an, ehe sie ihren Blick wieder auf die Straße lenkte. „Ja, genau! Also, nicht immer. Als wir gerade draußen waren, fand ich es okay. Aber wenn es sehr viel regnet, werde ich wirklich wütend, wenn ich zu lange draußen bin, obwohl es keinen Grund gibt.“ Sie schüttelte ihren Kopf. „Alle anderen meinen, sie bemerken das nicht.“

„Vielleicht weil sie alle schon so lange hier sind.“ Er kannte die einzelnen Lebensgeschichten nicht, aber irgendwie bezweifelte er, dass man so skurril werden konnte wie etwa Keith Ingram, wenn man nicht sein ganzes Leben in Greenvale verbracht hatte. „Wenn sie schon immer daran gewöhnt sind, und es bei Regen vermeiden, nach draußen zu gehen, bemerken sie das sicher nicht mehr.“

Die Straße war sein bestes Argument, denn sie war vollkommen verlassen, während sie in Richtung des Apartmentgebäudes fuhren. Murphy kannte viele Städte, und in den meisten herrschte ununterbrochen Leben, selbst in regnerischen Nächten, und wenn es sich dabei nur um ein paar umherziehende Obdachlose handelte. Aber hier fehlte das alles. Es ließ Greenvale wie ein lebensgroßes Modell erscheinen; wie eine dieser Städte, die in den Wüsten gebaut worden waren, um dort Atomtests durchzuführen – aber irgendwie hatte man Greenvale vergessen und dann waren Leute eingezogen, hatten sich in ihrer Skurrilität vereint und es war zu einer richtigen Stadt geworden, die sich nur noch nachts an ihre eigentliche Bestimmung erinnerte.

Sie schwiegen den restlichen Weg, bis sie auf dem Parkplatz vor dem Gebäude hielten. Von dem streunenden Hund war nichts mehr zu sehen, was Murphy nur recht war. Genau wie die Tatsache, dass er sich bald schlafen legen konnte, denn seine Augen waren inzwischen derart schwer, dass er sogar im Auto übernachtet hätte, wäre da nicht Valerias Angebot.

Kaum war der Motor aus, nahm sie ihm ihre Clutch wieder ab und stieg aus. Er folgte ihr mit wesentlich weniger Enthusiasmus, sein ganzer Körper flehte ihn um eine Erholungspause an. Dazu kam noch der Rückenschauer, als er wieder den Nieselregen auf seinem Gesicht spürte.

Valeria verriegelte die Türen des Lincoln und gab Murphy den Schlüssel zurück. „Das war wirklich aufregend~. Aber nächstes Mal wäre es mir auch recht, wenn niemand sterben müsste, wenn wir damit fahren.“

Murphy nickte nach hinten. „Vielleicht ist ja das Auto der eigentliche Todesbote.“

„Das ist eine großartige Theorie“, sagte sie bestimmt. „An der sollten wir dranbleiben.“

Sie stiegen die äußere Treppe hinauf. Murphy atmete auf, als sie endlich wieder unter dem Dach standen, obwohl sein Jackett ohnehin bereits feucht genug war.

Valeria schloss die Tür auf, trat dann als erstes ein und schaltete das Licht ein. „Herzlich willkommen in meinem kleinen bescheidenen Reich~.“

Das Wort Klein beschrieb es wirklich gut: das Apartment bestand aus einem Raum, der als Wohn- und Schlafzimmer diente. Ein Sofa stand an einem Fenster gegenüber der Tür, nach rechts gerichtet, so dass man einen Wandschirm – mit einem Kirschbaum-Muster – und einen Fernseher betrachten konnte, der an der Zimmerwand dahinter angebracht worden war. Links vom Sofa gab es eine Tür, die zur Feuerleiter führte, direkt daneben eine kleine Kochnische mit einem eigenen Fenster.

Valeria beeilte sich, alle Vorhänge zuzuziehen. „Tagsüber geht es, aber nachts fühle ich mich immer beobachtet.“

Deswegen war das Fenster neben der Tür wohl auch mit dem Kunstdruck eines von oben betrachteten, dichten Waldes verhangen worden. Gerade wenn man auf dem Sofa saß, wollte man nicht von zwei möglichen Seiten gesehen werden können.

Sie deutete auf eine Tür neben dem Wandschirm. „Du kannst dein Jackett im Bad aufhängen, dann dürfte es morgen wieder trocken sein. Leider hab ich keine Schlafsachen für dich … aber zumindest eine Decke und ein Kissen. Oh, und nimm dir direkt ein Handtuch, damit du dich nicht doch noch erkältest.“

Sie sagte das alles so schnell, dass Murphy befürchtete, sie würde sich verschlucken. Glücklicherweise geschah das nicht, dafür lächelte sie ihn ein wenig verlegen an.

Selbst das Betrachten ihrer Wohnung änderte nichts an seiner Müdigkeit, deswegen folgte er ihrer Aufforderung schweigend.

Das Bad war nur ein kleiner Raum, kaum größer als eine Abstellkammer, deswegen bestand es wohl nur aus einer Toilette, einem Waschbecken mit Spiegelschränkchen darüber und einer Dusche. Selbst die kleine Heizung und die Handtuchstange darüber wirkten platzraubend.

Er hängte das feuchte Jackett über die warme Heizung, dann widmete er sich erst einmal dem Spiegel. Mit gerunzelter Stirn stellte er fest, dass er übermäßig blass war. Hatte er so auch in Silent Hill ausgesehen, unter all dem Schmutz, durch den er gegangen war? Oder war es hier anders, weil nicht sein Leben auf dem Spiel stand?

Vielleicht bin ich wirklich nur krank.

Insofern erschien ihm Jamesons Vorschlag, ins Krankenhaus zu gehen, gar nicht so abwegig. Seit seinem Aufenthalt in Silent Hill war er schließlich nicht mehr von einem Arzt untersucht worden. Allerdings hatte das auch seine guten Gründe: Wenn jemand einen Ausweis sehen will? Oder meine Sozialversicherungsnummer wissen will?

Das machte aber auch einen möglichen Besuch im Sheriff Revier gefährlich. Bislang war er nicht darauf angesprochen worden, aber irgendwann müsste er ihnen etwas zeigen, das seine Identität bestätigte.

Darüber muss ich nachdenken, wenn ich wacher bin.

Er wusch sein Gesicht mit warmen Wasser, um die Kälte des Regens loszuwerden, dann griff er sich eines der Handtücher, um sich damit auch die Haare abzutrocknen. Valerias Geruch strömte in seine Nase und ließ ihn tief durchatmen. Sofort fühlte er sich mit wohltuender Ruhe durchflutet. Alles könnte gut werden, er müsste nur mit Valeria darüber sprechen, bevor er am Morgen ins Hotel fuhr.

Mit der Ruhe kehrte auch die Müdigkeit mit aller Macht zurück und verlangte sofortigen Schlaf.

Als er das Bad verließ, legte Valeria gerade noch ein Kissen auf das nun ausgezogene Sofa. Sie lächelte ihm entgegen. „Hey. Wenn du fertig bist, kannst du dich schon mal hinlegen. Du siehst jedenfalls aus, als könntest du es brauchen.“

„So fühle ich mich auch.“

Er setzte sich auf das Sofa, zog seine Schuhe aus und legte sich hin, wobei er sich direkt in die Decke hüllte. Dabei erfüllte ihn eine Wärme, die er schon lange nicht mehr gespürt hatte. Sie wurde dann noch verstärkt, als Valeria sich ein wenig vorbeugte und ihm einen Kuss auf die Stirn hauchte.

„Schlaf gut, Murphy.“

Er bedankte sich murmelnd, die Augen bereits geschlossen. Das Letzte, was er hörte, bevor er endgültig einschlief, war Valerias leises, verzücktes Lachen, das ihn bis in seine Träume begleitete.
 


Nachwort zu diesem Kapitel:
Irgendwann kommt der Plot auch wieder, ich verspreche es. Aber ich habe so viel Spaß an Murphys Alltag in Greenvale. ♥ Komplett anzeigen
Nachwort zu diesem Kapitel:
Wieder mal ein Kapitel in dem ich durch meine Beta einige Kleinigkeiten gelernt habe. ♥ Komplett anzeigen
Nachwort zu diesem Kapitel:
All meine Greenvale-Feels. ♥ Komplett anzeigen

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Kommentare zu dieser Fanfic (2)

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Von: Platan
2016-02-27T01:29:58+00:00 27.02.2016 02:29
Aaaah, schön, ich habe schon die ganze Zeit auf das Kapitel gewartet, damit ich es endlich kommentieren kann. ♥
Ich bin immer noch so geflasht von Deadly Premonition, dann auch noch mit Murphy hier ... das erfüllt mein Fangirlherz vollkommen! X3
Dann legen wir mal gleich los. :D

> sogar Autos fuhren hier nur noch in unregelmäßigen Intervallen an ihnen vorbei.
Und nicht mal York fuhr damals in Greenvale um diese Uhrzeit herum!
Zach: *hebt erklärend den Finger* Auch ein Agent braucht seinen Schlaf.

> Die Stimme des Truckers verhinderte, dass er wieder in finstere Gedanken abdriften konnte.
Gut so, finstere Gedanken sind schlimm. ;<

> immerhin verdankte er es nur diesem brummigen Bären von einem Mann,
Allein wegen der Beschreibung ist mir der Trucker ja sofort voll sympathisch geworden. Ich habe einfach eine schwäche für Männer, die wie "brummige Bären" sind. Kommt vielleicht daher, dass mein Vater auch so war. :,D

> dass er nicht wieder eine Nacht in einer verlassenen Hütte oder im Straßengraben verbringen musste
Ich glaube, ich würde so ein Leben ja nicht lange aushalten. D;
Aber was soll Murphy machen? :<
Ferris: Sich eine coole Obdachlosen-Gruppe suchen, mit so jemandem Faren oder Stan. :3

> Als er aufgebrochen war, hatte er nicht daran gedacht, aber inzwischen war ihm doch klar geworden, dass es anstrengend sein konnte, sich als vermeintlich verstorbener Ex-Häftling von allen anderen fernhalten zu müssen.
Deshalb habe ich mich am Ende von Downpour ja oft gefragt, was das für eine Zukunft sein soll ... aber da er ja als "tot" gilt, wird man ihn mit der Zeit sicher vergessen und dann kann er wieder ohne große Sorgen unter Leute. Gibt ja viele Menschen, die sich einfach nur zufällig ähnlich sehen.

> „In dieser Stadt hast du echt das Gefühl, die Zeit ist irgendwann mal stehen geblieben.
Vielleicht ... ist sie das auch. *zu Willie starr* ಠ_ಠ

> Und damit auch sicher der ein oder andere, der noch immer etwas über seinen Fall wusste. Derartige Freaks fand man immerhin überall, wie er wusste.
Wenn du großes Pech hast, wartet in Seattle schon John Cleaver und erkennt dich auf den ersten Blick. :,D

> „Die Straßen hier sind so weitläufig, da brauchst du schon jemanden, der dich in der Nähe des Hotels absetzt.
Oooh, ja. Das ist so wahr! XD
Ich werde nie vergessen, wie oft wir uns darüber lustig gemacht haben, dass Greenvale als "kleines Örtchen" bezeichnet wird. Man fährt da ewig mit den Auto die Wege entlang ... besonders zu Harrys Haus. :,D

> Es war ein vollkommener Gegensatz zum See von Silent Hill, der derart grau gewesen war, dass man stets geglaubt hatte, der Nebel der Stadt käme einzig aus dem Gewässer.
Woah, das fand ich ja beim Betalesen schon SO COOL, diese Vorstellung. °___°

Die Beschreibung vom See ist auch mal wieder sehr schön. ♥
Ich freue mich vor allem, dass du die weißen Bäume erwähnt hast, die fand ich nämlich im Spiel auch total faszinierend. :3

> Aber nach all der Zeit, in der er unterwegs gewesen war, wollte er zumindest eine Nacht mal wieder in einer komfortablen Bleibe übernachten.
Das verstehe ich vollkommen. ;<
Ferris: Du musst ja schon Rückenschmerzen of Doom haben, Alter. D:

> Hab gehört, es gibt hier auch gutes Essen und einen großartigen Kaffee.“
Der ist sogar schon approved von York und der ist sehr wählerisch mit seinem Kaffee. >:3
Finde ich auch ein nettes Detail, dass das Hotel dafür bekannt ist. :)

> Murphy tippte sich gegen die Stirn, als wolle er dem anderen salutieren
Das ist so cool, ich musste gleich an Faren denken. XD
Ferris: Murphy darf das. =)

> Er schlug die Tür zu und klopfte dann mit der flachen Hand zweimal zum Abschied dagegen.
Das finde ich ja auch total toll, weil das eine Geste ist, die das Geschehen noch viel lebendiger wirken lässt.

> Der Trucker ließ das Horn erschallen
Ciela: Alter, es ist spät, die Leute wollen schlafen. D;
Ferris: Polly hat sich daran scheinbar nicht gestört. :,D

> Der Ausweis, der damals darin gewesen war – und nun auf dem Grund des Sees ruhte – hatte dem Busfahrer gehört, der bei dem Unfall ums Leben gekommen war.
Das fand ich ja auch nett gelöst, auf die Art nochmal den Busfahrer einzubauen, zumal es Sinn macht, dass Murphy von da problemlos eine Brieftasche herhaben könnte, ohne dass es jemandem auffällt.

> aber er hatte sich kaum vorstellen können, dass ein Toter noch Geld benötigte.
Declan: Du würdest lachen, wenn du wüsstest, wie geldgierig manche Geister noch sein können ...
Geist: Geeeeeeeeeld ...
Declan: Du bist ein Geist, kein Kleingeld-Zombie. =_=

> Um nicht von irgendeinem übereifrigen Polizisten aufgespürt werden zu können, hatte er auch die Kreditkarte und sogar jegliche Kundenkarten ebenfalls im See nahe Silent Hill versenkt.
Guter Murphy! >_<
Er hat aus dem Fall mit Franks Polizeimarke gelernt. ù_û *versteht immer noch nicht, warum er die mitgenommen hat*
Ferris: Wegen dem allmächtigen Plot? :,D

> (die ihn sehr an jene erinnerte, die er in Silent Hill getragen hatte)
Finde ich gut, die steht ihm nämlich am besten. :3
(Und ich kann einfach nicht anders, als ihn mir auch in dieser Kleidung vorzustellen.)

> gemeinsam mit weiteren 44 Dollar, die jemand im Übermut offenbar in den Taschen vergessen hatte.
Ich frage mich ja, wer da seine Kleidung samt Geld zurückgelassen hat ... und wieso. :,D
Ferris: Vielleicht jemand, der schnell weg musste, bevor sein Kumpel bemerkt, dass er es mit seiner Schnitte treibt. XD
Vane: Kannst du nicht mal an etwas anderes denken?
Rowan: Mich wundert es, dass du scheinbar nie daran denkst, Doc. *denkt dauernd an Morte*

> und der Überwindung, Mülltonnen zu durchwühlen,
Ich finde so etwas ja immer traurig, wenn ich mal zufällig sehe, wie Leute das wirklich tun ... :(

> Im Notfall könnte er sich garantiert auch noch irgendwie wegschleichen.
Viel besser: Du bietest Polly einfach an, ihr als Bezahlung mal im Hotel beim Putzen zu helfen. HELL, das ist doch viel zu groß für eine alte Frau alleine! DX
Ferris: Die hat bestimmt heimlich Leute von einer Putzfirma bestellt, die das immer für sie machen. :,D

> Er war vollkommen allein, davon ging er jedenfalls aus, da er sonst niemanden sehen konnte, aber da war dieses Gefühl, dass jemand hier war und ihn beobachtete.
Waaah ... das geht früh los. .___.
Ist es der Regenmantelmörder?
Der Boogeyman?
York?
WILLIE?! DX
Ferris: WIR WISSEN ES NICHT!

> Für einen Moment verspürte er den Impuls, laut Hallo zu rufen
Bist du verrückt? D;
Wir sind hier doch nicht in einem Horrorfilm ... nur im Setting eines Horror-Videospiels. :,D

> und was sollte er denn tun, wenn jemand, oder etwas, antwortete?
Eben, dann hast du ein echtes Problem. >.<
Ferris: Vielleicht könnte er aber auch neue Freundschaften knüpfen. °_°

> „Außerdem wäre es seltsam“, murmelte er, „ein Hotel, das nachts schließt ...“
Dass Murphy hier mit sich selbst spricht, ist so wunderbar IC. ♥

> Wenn ich leise genug bin, kann ich mich vielleicht einfach in ein Zimmer schleichen und morgen früh wieder gehen, ohne dass mich jemand bemerkt.
Wahrscheinlich würde das bei jemandem wie Polly tatsächlich funktionieren. :,D
Vor allem ist das Hotel so riesig ... da bekommt man es doch gar nicht mit, wenn sich jemand heimlich in ein Zimmer schleicht und dort eine Weile bleibt. o_Ô
Ferris: Pass auf, ich wette, der neue Mörder lebt schon dort. XD

> Besser, er ging kein Risiko ein, er konnte sich keinen Ärger mit der Polizei leisten, schon allein um Cunningham, die für ihn gelogen hatte, keinen Ärger zu bereiten.
Awww, das ist so lieb von Murphy, dass er an sie denkt und ihr keinen Ärger machen will. Q___Q

> Unbehagen breitete sich in ihm aus, als er auf die Entfernung hin nicht feststellen konnte, ob sie noch atmete.
An der Stelle musste ich mir ja echt vorstellen, wie sie ihn jeden Augenblick als Zombie anfällt ... die gesamte Szene hat förmlich so sehr danach geschrien. XDDD
Ferris: Bekommen wir jetzt eigentlich unsere Zombie-Story? °_°

> Also streckte er die Hand aus, um sie am Arm zu fassen
Nicht, Murphy, wäre sie ein Zombie, könnte sie dich so spielend leicht beißen! Q___Q

> Erschrocken wich Murphy zurück, stieß schmerzhaft mit der Hüfte gegen die Theke
Autsch. >_<
Das gibt bestimmt einen blauen Fleck. D;

> Sie redete. In ganzen Sätzen. Mit einer normalen Stimme.
Monster konnten das nicht.

Die Stelle gefällt mir ja sehr, muss ich sagen. Sie zeigt so schön intensiv, wie stark Murphy von den Ereignissen in Silent Hill geprägt wurde und Angst hat, wieder auf Monster treffen zu können.

> „Das ist schon in Ordnung. Mein Mann ist schon vor einigen Jahren gestorben, da erzählen Sie mir nichts Neues.“
Ich frage mich ja, was sie da verstanden hat, dass sie von ihrem Mann spricht. XDDD

> weswegen er immer noch seine, sich ebenfalls dem Ende neigenden, Rasierklingen verwendete, um sich regelmäßig zu rasieren
Hier musste ich an Canon-Luan denken. XD

> aber wenn er zwischen Seife und Essen wählen musste, gab es nur eine Sache, die gewinnen konnte.
Carl: Seife.
Ciela: ...
Carl: Ich fände es furchtbarer, mich schmutzig und unwohl zu fühlen.

> Aber Polly überraschte ihn mit einem herzlichen Lächeln. „Das ist schon in Ordnung. Wir finden da bestimmt eine Lösung.“
Sie freut sich bestimmt total, wenn mal Gäste vorbeischauen, dass sie jeden dort schlafen lassen würde, selbst wenn der gar nicht bezahlen könnte. :,D
Sie ist wie eine gewisse Aydeen. XD

> Oder sie tat andere Dinge mit ihm.
...
... ...
... ... ... Dieser Satz weckt furchtbar peinliche und schreckliche Vorstellungen.

> Wer wusste schon, was in derartigen kleinen Städten mit Leuten wie ihm gemacht wurde?
Ferris: Dort wirst du nur mit roten Samen vollgestopft und dann an Bäume gebunden oder so. °_°

> „Ich bin Ihnen sehr dankbar, Polly.“
„Oh nein“, erwiderte sie lächelnd, „ich fürchte, hier gibt es keine Gepäckträger.“
Die Kommunikation könnte sich als reichlich schwierig erweisen.

Beste Stelle im ganzen Kapitel! XDDDDDDDDDD

> „Charles Coleridge.“
Q___________________________________Q
Ich bin immer noch so gerührt von diesem Namen, einen besseren hättest du für ihn gar nicht wählen können. ♥♥♥
Feels ... Q///Q

> Noch mehr Straftaten, besonders bei einer so reizend wirkenden alten Dame, wollte er sich wirklich nicht leisten.
Ja, Polly ist viel zu liebenswert, um sie betrügen zu können. :3

> Murphy schloss die Tür auf, die zu seinem Schlüssel gehörte, trat ein – und wäre fast wieder rückwärts auf den Gang gestolpert. Dieses Zimmer musste ein Irrtum sein.
Murphy zeigt die geschockte Reaktion, die du im Spiel auch hattest, als du dieses riesige Zimmer gesehen hast, in dem York nächtigen durfte. XDDD

> Inzwischen war es schon kurz nach Mitternacht, da sollte er Polly auch lieber nicht mehr stören.
Ja, genau, nimm das Zimmer dankbar an und genieße es einfach. :3

> Nun wollte er nur noch schlafen – und das, ohne die schlurfenden Schritte jenseits der Verandatür zu beachten.
Ich sag doch, DA SIND ZOMBIES IM SPIEL! DX

Ach, Murphy. ♥ So schön, von ihm zu lesen.
Das erste Kapitel hat mir schon mal gut gefallen, allein wegen Polly. ♥ Murphys Ankunft war bereits von unheimlichen Dingen begleitet ... das kann ja noch heiter werden. >_<
Bin ja gespannt, ob dieser Setzling noch irgendwo im Hotel herumsteht. :,D
Freue mich schon auf das nächste Kapitel. :3
Von: Platan
2016-02-14T15:14:38+00:00 14.02.2016 16:14
Ich markiere besser auch mal die Story hier, bevor mir noch jemand zuvor kommt. ಠ_ಠ
Also:
Es gibt doch wirklich kein perfekteres Crossover als Deadly Premonition und Silent Hill: Downpour! ❤❤❤
Deshalb finde ich es genial, dass du dieses Crossover nun echt schreibst. :3
DP und Downpour. So viele Feels. Doppelte Liebe. X3

Das gewählte Zitat von Murphy macht mich so traurig. Q____Q
Hoffentlich findet er hier am Ende sein Glück. Ich würde es ihm wünschen. >_<

*liebt das Greenvale-Theme an*
Die Trigger-Warnungen lassen viel Drama vermuten ... genau, wie ich es mag! TT____TT
Vane: Warum weinst du dann?
Ciela: Du bist gerade im RPG entführt worden, also kannst du nicht mitlesen. ;<
Vane: ...

Ich finde, man kann sich das richtig gut vorstellen, dass Murphy unterwegs nach Downpour auch mal in Greenvale vorbeikommt. Der wird sich bestimmt auch denken, wieso ihn solche ruhigen Örtchen magisch anzuziehen scheinen. :,D

> Das neue Polizeiteam von Greenvale besteht notwendigerweise aus OCs
OCs sind awesome~. Besonders deine, also bin ich schon sehr gespannt auf sie. :3

> da das alte … nun ja, wer das Ende von Deadly Premonition kennt, weiß das natürlich. ;<
*trauriges Wimmern von sich geb*
TT______TT

> Orchideen-Projekt, viele andere Projekte am Laufen, blabla, kein regulärer Upload, bla. ;3
Aber Alo ist eine Rebellin, denn sie kann das! >:3

> Ich weiß nicht, ob meine OCs alle derart skurril sein können, wie die Originalcharaktere, aber ich gebe mir Mühe. >_<
Ich habe viel Vertrauen in dich, du schaffst das. ♥

Also, auf in den Prolog. Yay~.

> Die Nase des Dalmatiners wühlte durch das frische Laub auf dem Boden.
Awww, das fängt schon so niedlich an. X3
Trotzdem ... TÖTET WILLIE! ಠ_ಠ
Ferris: Der ist unsterblich, hast du doch gesehen. Es hat ihn gar nicht gestört, als Alo ihn mal aus Versehen überfahren hat. D:

> Der Herbst hatte in Greenvale Einzug gehalten,
Ich liebe Herbst. ♥ Ob die Bäume in Greenvale dann alle bunt werden? :3
Ferris: Nah, bestimmt nicht. Sonst wäre es doch nicht mehr "Green" genug. Das sind bestimmt übernatürliche Bäume!

> Vor gut einem Jahr hatten sie dabei einen grausigen Fund gemacht
Was mich wieder daran erinnert, wie ich am Anfang des Spiels nur "Hä? Oookay ..." dachte und jetzt so "Liebe!".

> aber seit der extra in die Stadt gekommene FBI-Agent die damit begonnene Mordserie aufgeklärt hatte
Und leider nicht nach Greenvale gezogen ist. TT____TT
Ferris: So wild wie York immer gefahren ist, sind die Bewohner bestimmt froh, dass es wieder sicher dort ist. :,D

> Noch immer unterhielten die Zwillinge sich aber manchmal mit unsichtbaren Wesen, die sie als die Göttinnen des Waldes bezeichneten und angeblich die verstorbenen jungen Frauen waren.
Das finde ich ja sowohl creepy als auch schön zu gleich, schon im Spiel. Frage mich, ob sie nur als Kinder dazu in der Lage sind, die anderen zu sehen oder das etwas mit Willie zu tun hat. Hmmm ... ಠ_ಠ

> Seit etwa derselben Zeit war auch dieser Dalmatiner bei ihnen, Willie.
Der vielleicht nur einen neuen Sklaven für sich sucht ... ಠ_ಠ

> Früher hatte er einem Händler gehört, der aber spurlos verschwunden war.
Ooooh, wer könnte das nur sein? :,D *unwissend tu*

> Aber manchmal glaubte Jim, dass es eine schlechte Idee gewesen war.
Hör auf dein Gefühl, Mann! >___<

> Von Harmlosen wie Rehen über kleine Raubtiere wie Füchse bis zu ausgewachsenen Jägern wie Bären.
Ich finde den Satz irgendwie total cool ... und musste gleich an das Kabelfernsehen denken. :,D

> Er versuchte, sich damit herauszureden, dass er einfach alt wurde, aber vielleicht …
Vane: Ich rede mich auch immer damit heraus, dass ich alt werde.
Ciela: Vane! D:
Vane: Hm?
Ciela: Du bist nicht da, hab ich gesagt! DX
Vane: ...

> Willie bellte derweil aufgeregt, aber es klang irgendwie … freudig
Und bei einem Hund wie Willie sollte das einem zu denken geben. ಠ_ಠ

> und dem Wunsch, es möge sich nicht um eine neue Leiche handeln
Nun ... noch nicht, Jim. ;<
Wenigstens seid ihr nicht schon wieder diejenigen, die zuerst eine Leiche finden.
Diese Angst würde ich aber auch nie mehr loswerden können ...

> Dort, zwischen den Steinen, vollkommen unscheinbar, lag ein roter Regenmantel.
ER IST ZURÜCK! DX
Ferris: Oder jemand hat nur gefallen an Regenmäntel gefunden. :,D
Vane: Und diesen dann gleich in den Fluss geworfen?
Ferris: In Greenvale gelten Regenmäntel eben als Unheilssymbol.
Ciele: Vane! Benimm dich mehr wie ein Entführter! >_<
Vane: =_=

> „Dass die Leute auch einfach alles ins Wasser schmeißen müssen.“
Echt, immer diese ekligen Umweltverschmutzer. ;<

> Willie gab wieder ein Bellen von sich, saß ansonsten aber harmlos hechelnd auf dem Boden.
Tu nicht so unschuldig niedlich, Hund. ಠ_ಠ

> „Was ist das, Grandpa?“, fragte Isaiah.
Ein Regenmantel, Schatz. Die trägt man, wenn es regnet, als Schutz. :3

> Im ersten Augenblick glaubte Jim, es handele sich um Blut
Dachte ich bei dem Satz davor aber irgendwie auch erst. >_<

> aber bei genauerem Hinsehen erkannte er einen kleinen Berg roter Samen.
NEEEEEEEEEEEEEEEEEEEEEEEEEEEEEEIIIIIIIIIIIN!!!!!!!
Zach: Hm ... ich hätte doch nochmal zurückgehen und die roten Bäume vernichten sollen.

> was plötzlich mit ihrem sonst so gutmütigen Großvater los war.
Er macht sich nur Sorgen um euch, Jungs. Q____Q
Weil er ein guter Großvater ist. >_<

> deren Rot ihn geradewegs an ein Feuer denken ließ.
Ferris: FEUER?! DX *rennt panisch aus der FF*

> Er konnte sich nicht erinnern, dass er jemals irgendetwas Negatives über diese Samen, die man an verschiedenen Bäumen in der Gegend finden konnte, gehört hatte
Zach: ... Vielleicht hätte ich wirklich mal etwas in der Richtung erwähnen sollen.
Ciela: Mach dir nichts draus, du lagst ja doch nur im Koma. D:

> Er sammelte die Samen wieder vom Boden auf und ließ sie in die Taschen seiner Latzhose gleiten.
An der Stelle musste ich ja gleich denken: Hoffentlich findet die niemand bei dir und hält dich dann für den Täter. D:

> Dabei bemerkte er nicht den finsteren Blick Willies, der jede seiner Bewegungen zu verfolgen schien.
Der Hund macht einem Angst. .___.

> Die Zwillinge sahen sich gegenseitig an, als kommunizierten sie im Stillen miteinander,
Genau wie Nolan und Landis. Q___Q

> Dabei fiel ihm nicht auf, dass Willie ihnen gar nicht folgte – und dass er einen der Samen übersehen hatte.
Und so ... nahm das neue Unheil seinen Lauf.

Aaah, schon vorbei. >_<
Ich freue mich schon wahnsinnig auf Murphy. :3
Finde es sehr schön, wie du die Geschichte auch hier mit Jim und den Zwillingen einleitest, so wie es auch im Spiel war. Das gibt einem ein vertrautes Gefühl und ist einfach passend. War auch sicher dein Ziel. :)
... Und dieser Hund. ಠ_ಠ
Dass Jim es spürt, dass etwas nicht mit ihm stimmt, finde ich auch gut und nachvolziehbar geschrieben, weil er ja von seinem Job her auch viel Kontakt mit Tieren hat und so etwas wohl gut einschätzen kann.
Auf jeden Fall ein gelungener Anfang. ♥ Ich bin wie immer vollkommen begeistert und kann nichts bemängeln. Mach weiter so. X3
Antwort von:  Flordelis
14.02.2016 16:21
Ich danke dir herzlichst hierfür - und hab ja schon in der Realität ausführlich darauf geantwortet. ;3


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