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Wicked Rain

Silent Hill: Downpour x Deadly Premonition
von

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Kapitel 7: Du solltest noch etwas von mir wissen (Teil 1)

Trotz des Todesfalls, der Murphy aber nicht weiter tangierte, erinnerte er sich an die Verabredung mit Valeria. Deswegen verabschiedete er sich nach dem Mittagessen von Polly, stieg in den Lincoln und fuhr in die Stadt. Während seiner Arbeit am Hotel am Vortag war Murphy aufgefallen, wie ruhig die Straße eigentlich war. Eine Weile hatte er angenommen, dass die Geräusche nur nicht bis zum See vordrangen. Aber aus Neugierde war er dann bis zur Straße hochgelaufen, nur um dort festzustellen, dass es einfach nicht viel Verkehr gab. Dabei führte sie sehr idyllisch direkt am See vorbei. Im Hotel hatte er dann allerdings wieder auf die Karte gesehen und festgestellt, dass die Straße nur vom Krankenhaus bis zu zwei Siedlungen und einem Anwesen führte. Leute, die zwischen diesen Punkten pendelten, waren dann wohl so ziemlich die einzigen, die hier entlang mussten. Seitdem wunderte er sich nicht mehr darüber. Dafür war ihm bewusst geworden, welchen Umweg der Trucker nur für ihn gemacht hatte. Der Anflug eines schlechten Gewissens klebte seither an ihm.

Ich sehe ihn ohnehin nie wieder, beruhigte er sich selbst. Und ich habe ihn nicht gezwungen. Er war einfach … nett.

Etwas, das Murphy nicht mehr gewohnt war. Aber hier in Greenvale bekam er immer wieder Gelegenheit dazu, sich erneut daran zu gewöhnen. Angefangen bei Polly.

Als er sich dem Parkplatz der Apotheke näherte, musste Murphy wieder an Zandra denken. Obwohl er bereits beschlossen hatte, dass ihn das alles nichts anging, musste er sich doch wieder eines fragen: Wurde sie wirklich getötet, weil sie zu viel wusste? Oder gibt es noch andere Gründe?

Er hatte diese Frau nicht wirklich gekannt, wusste nicht einmal, wie andere Stadtbewohner zu ihr gestanden hatten oder ob sie Familie besessen hatte. Also warum zerbrach ausgerechnet er sich den Kopf darüber?

Weil sie mich trotz allem als einer der Verdächtigen betrachten könnten.

Es wäre ein Klischee, aber passend. Er war der Außenseiter, den keiner kannte und niemand vermisste, würde man ihn in ein Gefängnis einsperren und den Schlüssel wegwerfen. Ihm blieb nur zu hoffen, dass es nicht so weit käme.

Er entdeckte Valeria schon von weitem auf dem ansonsten leeren Parkplatz. Das lag nicht zuletzt an dem strahlend weißen Hemd, das gemeinsam mit ihrer schwarzen Jeans ihr Outfit komplementierte. Ihr Haar trug sie diesmal offen. Es schimmerte kupferfarben in der Sonne.

Kaum hatte er angehalten und den Motor ausgeschaltet, stieg Valeria auch bereits in den Wagen und ließ sich auf den Beifahrersitz sinken. „Nehmen Sie mich mit, Sir?“

Aus der Nähe konnte er sehen, dass sie grün-blaue Augen hatte, statt der braunen, wie er zuerst geglaubt hatte – und dass einige Sommersprossen auf ihrem Gesicht verteilt waren. Das gab ihr einen jugendlichen Touch, der es ihm noch schwerer machte, zu erahnen, wie alt sie wohl sein mochte.

Sie schnallte sich an, dann fuhr sie mit ihrer Hand über die Ledersitze. „Das ist wirklich ein ganz besonderes Auto, nicht? Mann, ich wünschte, ich hätte so eins.“

„Wir könnten es ja einfach klauen“, schlug Murphy vor. „Dann fahren wir einfach auf irgendeinen Highway und blicken nie zurück. Ich bezweifle, dass Polly sich überhaupt noch an die Marke erinnert.“

Er sah Valeria schmunzelnd an, worauf sie amüsiert lachte. „Auch wenn ich immer gern mal an einer Verfolgungsjagd beteiligt wäre, möchte ich Greenvale doch nur ungern verlassen.“

„So spannend sind Verfolgungsjagden auch wieder nicht.“ Da er sah, dass er damit ihre Neugier geweckt hatte, schlug er ihr vor, ihr davon zu erzählen, während sie fuhren. „Aber Sie müssen mir erst einmal sagen, wohin es gehen soll.“

„Wollen wir nicht mal mit der höflichen Distanz aufhören? Wir nennen uns ohnehin schon bei den Kurzformen unserer Namen.“

Dabei war es nicht mal sein richtiger Name. Aber das sollte er lieber nicht erwähnen. „Habe ich nichts dagegen.“

Sie lächelte zufrieden und deutete die Straße hinunter, die in Richtung der Milk Barn führte. „Du warst gar nicht weit weg von der Tankstelle. Aber ich schätze, du bist nicht über den Fluss gefahren, oder?“

„Ich bin an ihm entlanggefahren, zum Schrottplatz.“

„Siehst du? Wärst du am Elektrizitätswerk rechts abgebogen, wärst du direkt an der Tankstelle vorbeigefahren.“

Also hätte er sie auch wirklich ohne Valeria gefunden. Aber diese Fahrt diente ja vorrangig dazu, dass sie endlich erleben konnte, wie man in diesem Wagen fuhr.

Er startete den Motor wieder, fuhr einen großen Bogen auf dem Parkplatz und kehrte wieder auf die Straße zurück. Dabei fiel sein Blick auf die Apotheke, die geöffnet zu sein schien. Also gab es glücklicherweise noch mehr Angestellte für diese als Zandra. Aber in Greenvale konnte man ja nie wissen, wie er bislang gelernt hatte.

Valeria beachtete seinen Blick zur Apotheke nicht; sie wusste wohl nichts von dem Mord. Das hielt er aber auch für besser. Deswegen erzählte er ihr auch lieber die Geschichte, wie er damals einen Polizeiwagen gestohlen hatte, um sich an der Ostküste eine sechsstündige Verfolgungsjagd mit der Polizei zu liefern. Sie lauschte ihm interessiert, geradezu hingerissen. Erst während der Erzählung fiel ihm ein, dass sie vielleicht auf die Idee kommen könnte, das alles zu recherchieren. Könnte sie dann seinen richtigen Namen herausfinden? Er kannte keinen einzigen Artikel darüber, vielleicht wurde sein Name darin auch gar nicht erwähnt.

Mach dir keinen Kopf darum. Sie wird es nicht recherchieren.

Sie überquerten gerade die Brücke über den Fluss, als er die Geschichte beendete. „Es war also wirklich nicht so aufregend, wie es einem in den Filmen immer präsentiert wird.“

„Du warst ja auch allein“, erwiderte sie. „Verfolgungsjagden sind eine romantische Sache, da muss man einen Partner dabei haben.“

„Das ist ein Frauending, oder?“

Sie nickte. Kurz nach dem Elektrizitätswerk deutete sie nach rechts. „Da ist übrigens das Haus der Ingrams, meiner Chefs. Nur falls du sie irgendwann mal besuchen musst.“

Daran zweifelte er doch sehr, aber er versuchte dennoch, sich das zu merken. Jedenfalls war die Gegend an sich wirklich schön. Die einzelnen Häuser besaßen alle zwei Stockwerke und jede Menge Gartengrundstück rund herum. Ideal, um Kinder – und einen seltsamen Hund – zu erziehen. Sollte er Valeria vielleicht einmal auf diesen Dalmatiner ansprechen?

Auf der linken Seite gab es nur den aktuell verlassenen Bauplatz, gefolgt von einer Wiese, dann dichten Bäumen – und schließlich entdeckte er die Tankstelle an der Straße. Er bog bereits auf die linke Seite, als Valeria hinüberdeutete.

Heaven & Hell“, erklärte sie. „Keine Selbstbedienung. Ich bin mal gespannt, wer uns bedienen wird.“

Als Murphy auf den Parkplatz daneben einfuhr, fielen ihm erst einmal die großen Müllcontainer ins Auge, die bis obenhin voll waren. Direkt daneben entdeckte er einen abgemagerten Hund mit verfilztem schwarzem Fell. „Ein Straßenhund ...“

„Von denen gibt es hier einige. Aber sie laufen sofort weg, wenn man sich ihnen nähert. Bislang waren sie also noch keine Gefahr für jemanden.“

„Immerhin etwas.“

Er hielt an den beiden Zapfsäulen, die auch schon bessere Tage gesehen haben mussten. Aber solange sie funktionierten, war ihm das gleich.

Sie standen gerade mal ein paar Sekunden, als sich die Tür der Tankstelle öffnete. Murphy rechnete damit, dass einer der üblichen Arbeiter in einem Overall herauskäme – und staunte deswegen nicht schlecht, als er die eigentliche Person entdeckte: Es war eine Frau, die den Begriff Kleidung wohl nicht allzu ernst nahm. Ihr unter den Brüsten zusammengeknotetes Hemd schaffte es kaum, diese darin zu halten, ihre Hotpants wären bei vielen Frauen wohl auch eher nur als schicker Gürtel durchgegangen – unabhängig von dem Gürtel, der dieser Frau um die Hüfte hing. Ihre Cowboystiefel, die zu ihrem Hut passten, verliehen ihren Beinen eine gewisse … Sexyness. Ihr Gang erinnerte dabei an den eines Models, das gerade über den Laufsteg schlenderte; einen Arm in die nackte Seite gestemmt, den Oberkörper etwas zurückgebeugt, damit ihre Brüste besser zur Geltung kamen.

Nachdem sie so um den Lincoln herumgelaufen war, lehnte sie sich zu Murphys offenem Fenster herunter, um sich mit verschränkten Armen auf die Tür zu stützen. Dabei achtete sie gut darauf, dass ihr Dekolleté perfekt sichtbar war und dass sie sogar ihren hochgestreckten Hintern zur Schau stellte.

Murphy achtete darauf, sich auf ihr Gesicht zu konzentrieren. Ihr blondes Haar überraschte ihn in diesem Outfit nicht mehr, genausowenig wie die Tatsache, dass sie deutlich Kaugummi kaute und dennoch nach Nikotin stank.

„Hey, Gina“, grüßte Valeria vom Beifahrersitz aus.

Gina nickte ihr zu. „Hey~.“ Dann konzentrierte sie sich aber gleich schon wieder auf Murphy. „Was darf's sein, Süßer?“

„Einmal volltanken, bitte.“

Sie schnurrte, was wohl erotisch klingen sollte, von Murphy erntete sie aber nur eine gehobene Augenbraue. Ungeachtet dieser richtete sie sich wieder auf. „Die volle Ladung also, kommt sofort.“

Während sie irgendwelche Spielchen mit dem Tankschlauch vollführte, wandte Murphy sich einer grinsenden Valeria zu. „Ist sie immer derart bemüht?“

„Du findest sie bemüht? Ich glaube, das ist ihre natürliche Note.“

Wenigstens wusste Murphy damit auch schon, mit wem er lieber keinen näheren Kontakt in Greenvale pflegen wollte. Dummerweise war das hier wohl die einzige Tankstelle. Aber irgendwie würde das funktionieren.

Schließlich kehrte Gina ans Fenster zurück, nannte Murphy den Preis für das Benzin, den er auch prompt bezahlte. Dabei stellte er fest, dass Polly ihm viel zu viel Geld mitgegeben hatte. Er würde ihr den Rest auf jeden Fall zurückgeben.

„Komm bald mal wieder, Süßer“, sagte Gina, ehe sie ihren Rückweg ins Gebäude antrat.

Murphy sah ihr nicht einmal hinterher.

„Kein Interesse an Frauen?“, fragte Valeria.

Im Moment eigentlich nicht, dafür war er zu sehr damit beschäftigt, zu überleben. Außerdem hing er auch noch an Carol. Die einzige, die ihn je verstanden hatte. Bis zu Charlies Tod. Napier hatte sein ganzes Leben zerstört.

Daran sollte ich jetzt nicht denken.

Er startete den Motor wieder, ehe er Valeria antwortete: „Doch. Aber nicht, wenn sie derart übertrieben sexy zu sein versuchen. Das ist eindeutig … ein Abtörner.“

Unwillkürlich erinnerte er sich wieder an jene Puppe in der Bibliothek, dann kamen ihm schlagartig all jene in den Sinn, die ihn angegriffen hatten. Er hörte ihr Kichern, glaubte eine kaum wahrnehmbare Silhouette auf das Auto zuhuschen zu sehen. Er wollte nach einer Waffe greifen, den Arm heben, um sich zu verteidigen – stattdessen presste er die Zähne aufeinander. Weitere Silhouetten erschienen in seinen Augenwinkeln.

Es ist nur in deinem Kopf. Nur in deinem Kopf.

Nach einem Blinzeln waren die Silhouetten verschwunden, alles war wieder normal. Das einzige, was er hörte, war der Motor und Valerias Stimme: „Ah, also hast du es lieber, wenn Frauen sich etwas keuscher verhalten?“

„In etwa.“ Er lenkte den Wagen in Richtung der Straße, hielt aber inne, ehe er sie befuhr. „Wohin nun?“

Es war noch zu früh zum Essen. Valeria hatte inzwischen die Karte gefunden und folgte einer bestimmten Straße mit den Augen. Dann nickte sie und wandte sich Murphy zu. „Wenn wir am Friedhof vorbeifahren, könnten wir in den Forest Park gehen. Der Ausblick von dort oben ist überwältigend~.“

Sie zeigte ihm die entsprechende Strecke mit dem Finger. Es sah nicht schwer aus, sie müssten nur links auf die Hauptstraße, dann links abbiegen und dann immer dem Weg folgen. Er hatte hier noch nicht sonderlich viel gesehen, also war es vielleicht eine gute Idee, sich diesen Park anzusehen. „In Ordnung, machen wir das.“

Er lenkte den Wagen endlich wieder auf die Straße und folgte auch sofort seiner Erinnerung.

„Jedenfalls gehört die Tankstelle Ginas Mann“, erklärte Valeria. „Man nennt ihn Jack, den rasenden Stier.“

„Nett. Ich nehme nicht an, dass er ein angenehmer Zeitgenosse ist.“

„Von allen Leuten, die ich in Greenvale kennen gelernt habe, ist er der unangenehmste. Da ich aber kein Auto habe, sehe ich ihn entsprechend selten. Schließlich geht so ein Macho nicht selbst einkaufen – und Gina kauft eher im Mash Mart, unserem größten Konkurrenten.“

Murphy glaubte, einen solchen einmal aus den Augenwinkeln gesehen zu haben. Aber er hatte diesem Gebäude keine größere Aufmerksamkeit gewidmet.

„Kommen wir aber mal wieder zu deiner Geschichte zurück.“ Valeria legte die Karte wieder ins Handschuhfach zurück. „Als sie dich geschnappt haben, bist du doch aber sicher in den Knast gekommen, oder?“

„Natürlich.“

„Warum hast du es dann überhaupt gemacht? Wolltest du ins Gefängnis?“

Er erinnerte sich daran, dass Frank ihm einmal dieselbe Frage gestellt hatte. Und er erinnerte sich noch gut an seine Antwort. „Ich schätze, ich wollte einfach mal der Welt für eine Weile entfliehen. Meine Ruhe haben. Verstehst du?“

„Schon.“ Sie wickelte sich eine Strähne ihres Haars um ihren Zeigefinger. „Aber dafür gleich ins Gefängnis zu gehen? Das kommt mir echt heftig vor.“

Könnte er ihr guten Gewissens mehr erzählen? Nein, sie wusste nicht, wer er war. Was er getan hatte. Was Napier ihm angetan hatte. Und das sollte auch so bleiben.

„Dann wurdest du also wieder entlassen“, sagte sie, „und bist dann nach Greenvale gekommen? Wie das?“

Er zuckte mit den Schultern. „Ich hatte ohnehin nie eine wirkliche Heimat, also wollte ich die Gelegenheit nutzen, ein bisschen durch das Land zu streifen. Und so bin ich hier gelandet.“

Sie schwieg daraufhin. Die Straße führte aus der Stadt hinaus, an Bäumen und Wiesen vorbei. Die vorherrschende Ruhe war angenehm, Murphy glaubte, wirklich durchatmen zu können.

Valeria hatte einen Ellenbogen auf die Tür gestützt. Ihr Blick ging durch ihr Fenster hinaus, gedankenverloren fuhr sie sich über den Hals.

„Wie hat es dich hierher verschlagen?“, fragte er, als ihm klar wurde, dass Valeria nichts mehr zu sagen hatte oder zu fragen wusste.

„Oh.“ Sie sah wieder ihn an. „Das ist eine lange Geschichte. Im Grunde geht es dabei aber um meinen Ex-Mann.“

„Du warst verheiratet?“

Sie schmunzelte. „Sehe ich etwa nicht danach aus, als könnte man mich heiraten?“

Ehe sie nicht mehr derart amüsiert war, sondern wütend wurde, antwortete er beschwichtigend: „Du wirkst nur so dermaßen jung. Da habe ich mich gewundert.“

„Du schmeichelst mir~. Aber ja, ich war so dumm einen Kerl zu heiraten, den ich von der Highschool kannte. Dummerweise hat er sich kurze Zeit nach der Hochzeit als Arschloch herausgestellt.“ Sie schnaubte wütend. „Also habe ich ihn verlassen. Und dann bin ich hier gelandet.“

Sie sagte es nicht direkt, aber Murphy konnte sich dennoch vorstellen, was sie eigentlich in diese abgelegene Gegend geführt hatte: Die Scheidung hatte die Gewaltbereitschaft ihres Mannes erhöht, wenn sie nicht schon vorher vorhanden gewesen war. Derartige Männer hatte Murphy zu genüge im Gefängnis getroffen. Auf der Flucht vor ihm musste sie durch Greenvale gekommen sein, und dann-

„Lilly hat mich angesprochen, als ich in der Milk Barn was zu essen kaufen wollte. Ich muss einen sehr schlimmen Eindruck gemacht haben.“

Murphy stellte sich ihr Gesicht mit einem blauen Auge vor, einer aufgesprungenen Lippe, vielleicht noch einer genähten Platzwunde an der Stirn. Jemand wie Lilly musste sie dann einfach ansprechen.

„Sie hat mich die erste Zeit bei ihrer Familie wohnen lassen, mir dann geholfen, eine Wohnung zu finden. Deswegen bin ich ihr und Keith sehr dankbar.“

Und deswegen kannte sie vermutlich auch die Jungs derart gut.

Die Straße führte an einem großen Parkplatz vorbei, der zum Friedhof gehören musste. Wenn Murphy die Karte richtig im Kopf hatte, dürfte die Straße bald mit einer anderen zusammenführen und dann müsste er bei einer Gabelung rechts abbiegen.

„Weiß dein Ex-Mann, wo du jetzt bist?“, fragte er.

„Natürlich nicht. Er würde mich glatt umbringen, wenn er hier auftauchte.“ Sie versuchte zu lachen, aber es klang hohl und humorlos. „Ohne ihn lebt es sich viel besser. Besonders hier. Glaub mir, die Stadt ist großartig.“

Bislang kam es ihm auch so vor – wenn man von einer Sache absah. Sollte er ihr davon erzählen? Eigentlich müsste er das, jeder Bewohner dieser Stadt hatte ein Recht darauf, es zu erfahren. Spätestens wenn es in der Zeitung stand, würde sie es ohnehin wissen. Also könnte er es auch einfach erzählen: „Zandra ist letzte Nacht gestorben.“

„Oh.“ Eine angemessene Reaktion. „Ich habe mich schon gewundert, dass heute jemand anderes in der Apotheke bedient. Wie ist es passiert?“

„Sie wurde ermordet.“

Er spürte regelrecht, wie die Atmosphäre auf einen Schlag eiskalt wurde. Valeria starrte durch die Windschutzscheibe nach draußen, ohne etwas zu sagen. Das hielt sie einige Sekunden aus, dann fragte sie leise: „Woher weißt du das?“

„Eine Polizistin war heute morgen im Hotel.“

„Wer tut denn sowas? Ausgerechnet in Greenvale?“

Das konnte Murphy sich auch noch nicht wirklich vorstellen. Andererseits kannte er aber noch nicht einmal einen Bruchteil der Stadtbewohner. „Ich weiß es nicht. Aber wenn es jemand von hier war, wird die Polizei ihn schon erwischen.“

„Hoffentlich.“ Valeria seufzte. „Diese Stadt war bislang so friedlich.“

Wusste sie von der Mordserie im letzten Jahr? Nun, das wollte er ihr lieber nicht auch noch erzählen. Er musste ihre Welt bereits genug erschüttert haben für einen Tag.

„Es wird schon alles gut werden.“

Valeria nickte nur.

Am Ende der Strecke, nach einer scharfen Kurve, erreichte Murphy einen weiteren Parkplatz gegenüber einer Blockhütte.

„Hier wohnt Jim Green, der Vater von Lilly“, erzählte Valeria sofort. „Er ist der Forsthüter des Parks. Aber hier draußen wäre es mir doch zu unheimlich, so ganz allein.“

Tatsächlich schien die gesamte Umgebung von Wäldern umgeben zu sein. Es war friedlich, aber in der Nacht mit Sicherheit auch unheimlich. Murphy konnte sie gut verstehen.

Vor ihnen erhob sich ein Tor, gebaut aus roten Ziegelsteinen, ein Schild verkündete, dass sie in den Forest Park einfuhren. Die Straße führte sanft nach oben.

„Man kann auch bis nach oben laufen, aber das ist ziemlich anstrengend. Das machen daher nur die wenigsten. Außer eben Jim und die Jungs, die machen das immer mal wieder.“

Als Forsthüter sollte man das auch erwarten können, fand Murphy. Langsam fuhr er die kurvige, enge Strecke hinauf, aber es kam ihnen glücklicherweise auch niemand entgegen.

Oben angekommen parkte er auf einem der vielen freien Plätze, dann stiegen er und Valeria aus. Er fühlte sich an einen Wildpark erinnert, in dem er einmal mit Charlie und Carol gewesen war. Charlie hatte einige Rehe gefüttert und war kaum von diesen wegzubekommen gewesen. Carol dagegen hatte sich im Streichelzoo mit einem der Schafe angefreundet. Auf der Heimfahrt hatten die beiden im Auto geschlafen.

Denk nicht darüber nach. Denk nicht an die beiden.

In der Mitte des Parkplatzes war ein Beet aus groben Holzspänen angelegt worden, darin befanden sich mehrere Bäume, die noch keineswegs so alt waren wie der Rest des Waldes. Dahinter befanden sich zwei kleine Hütten, die sich bei näherem Hinsehen als Toiletten herausstellten. Daneben befanden sich Automaten für Getränke und Snacks. In der Nähe war das Tosen eines Wasserfalls zu hören.

Eine Treppe führte die beiden hinauf zu einer hölzernen Aussichtsplattform, die vollkommen überdacht war. Zahlreiche Bänke standen hier, außerdem auch drei Ferngläser. Er überlegte, durch eines durchzusehen, um die Stadt von oben zu betrachten – aber da erinnerte er sich wieder an die Seilbahn. Die blutige Hand in der stehenden Kabine. Der Rollstuhlfahrer auf der Brücke.

Nein, er verzichtete lieber darauf.

Valeria trat an den Rand der Plattform und deutete hinaus. „Das musst du dir ansehen, Charlie.“

Er stellte sich neben sie und folgte ihrem Fingerzeig. Ein Wasserfall stürzte direkt vor ihnen hinab in einen See, dessen Wasser derart klar war, dass Murphy meinte, selbst auf diese Entfernung Fische darin sehen zu können. Feiner Sprühnebel benetzte ihre Gesichter.

Valeria atmete tief ein. „Ich liebe diesen Ort. Er ist zweifelsohne das Beste an der Stadt.“

Sie waren die einzigen Menschen hier oben, weit weg von allen Häusern und Autos. Die Stille, nur gestört durch den Wasserfall und das Zwitschern einiger Vögel, war ein angenehmer Balsam auf seiner Seele. Es fiel ihm nicht schwer, sich hier vorzustellen, dass sie die letzten Menschen auf der ganzen Welt waren.

Er warf einen kurzen Blick zu Valeria hinüber, sie starrte fasziniert den Wasserfall an. Diese Frau, die in ihrem jungen Leben bereits einen gewalttätigen Ehemann hatte, war nun derart offen mit ihm, hatte ihn sogar ganz allein hier heraufgeführt, obwohl sie ihn kaum kannte. Er könnte gut damit leben, wenn sie beide die letzten Menschen waren.

„Vielleicht solltest du noch etwas von mir wissen“, begann er.

Fragend wandte sie ihm den Blick zu. Sie sagte nichts, deswegen konnte er direkt fortfahren: „Ich war auch einmal verheiratet und hatte einen Sohn. Er wurde von meinem Nachbarn ermordet – und ich ließ mich verhaften, um im Gefängnis Rache an diesem Mann zu nehmen.“


Nachwort zu diesem Kapitel:
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