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Wicked Rain

Silent Hill: Downpour x Deadly Premonition
von

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Kapitel 6: Ich sehe nur gern Krimis

Der See, an dem das Hotel lag, war vollkommen von grauem Nebel bedeckt. Er hing wie eine schwere Decke über dem Wasser, das im Kontrast dazu schwarz war. Es sah gefährlich aus, als könnte alles darin lauern – oder auch gar nichts.

Murphy stand auf dem Steg des Hotels und sah auf den See hinaus. Der Wald am jenseitigen Ufer war nicht zu erkennen, alles war von dem Nebel verschluckt worden und es schien ihm gerade ungewiss, ob es jemals wieder in Freiheit käme und damit entdeckt werden könnte. Das Wasser schwappte sanft gegen das Ufer und erzeugte dabei leise, schmatzende Geräusche, die nach einem unbekannten Monster klangen, das sich stets außerhalb von Murphys Blickfeld befand.

Während er weiter in den Nebel starrte, glaubte er, etwas zu erkennen. Es war ein dunkler Fleck, mitten in dem sonst so undurchdringlichen Grau, und er schien sich zu bewegen, näherzukommen. Murphy trat neugierig einen Schritt nach vorne, in der Hoffnung, einen besseren Blick auf das Etwas zu erhaschen.

Doch sein Fuß brach durch den morschen Steg, ihm entkam ein erschrockener Schrei, der durch das Wasser beendet wurde. Es war viel kälter als es sein sollte, brannte auf seiner Haut, füllte seine Lungen mit Eis und erstickte jeden Laut um ihn herum. Außerdem war es tief. Es dürfte nicht derart tief sein, fuhr es ihm durch den Kopf, da er in der Nähe des Ufers war, doch er sank immer tiefer, als besäße er Gewichte in seinen Taschen.

Den ersten Schreck überwindend, begann er seine Arme zu bewegen, genau wie seine Beine, um wieder an die Oberfläche zurückzukehren. Der Wasserspiegel war ein verschwommenes weißes Licht, das mehr Hoffnung versprach als alles zuvor in seinem Leben.

Er kam ihm immer näher, streckte bereits die Hand danach aus – da griffen zahlreiche Hände nach seinen Füßen. Noch mehr kaltes Wasser fand seinen Weg in Murphys Lungen, die inzwischen nach Sauerstoff schrien.

Mit einem erstaunlich kräftigen Ruck zogen die Hände ihn nach unten, hinab in die undurchdringliche Schwärze des Sees, die auch Murphy jede Sicht – und jede Hoffnung – nahm.
 

Gleichzeitig erwachte Murphy in seinem Bett. Er starrte an die dunkle Decke, atmete tief durch. Er lag nicht im Wasser, seine Lunge war mit Sauerstoff gefüllt, so wie es sein musste. Sein Herz schlug schneller als es sollte. Er war am Leben.

Tief durchatmend dankte er einem Gott, an den er nicht mehr glauben konnte, dafür, dass es nur ein Albtraum gewesen war. Auch wenn ein solcher ihn nach dem, was er durchgemacht hatte, nicht verwundern sollte. Zumindest war es in dieser Nacht nicht um Silent Hill gegangen. Auch wenn ihm das Waisenhaus im Vergleich zum Ertrinken lieber gewesen wäre.

Ein rascher Blick auf die Uhr verriet ihm, dass es kurz nach Mitternacht war.

Da er ohnehin nicht direkt wieder einschlafen wollte oder konnte, setzte er sich aufrecht hin und fuhr sich mit den Händen über das Gesicht. Ein kalter Schweißfilm lag auf seiner Haut.

„Auch das noch“, murmelte er für sich.

Er stand vom Bett auf und ging in Richtung des Badezimmers, hielt aber augenblicklich inne, als ihm etwas bewusst wurde. Jenseits des Fensters hörte er ein gleichmäßiges Geräusch, das er nur zu gut kannte. Eines, das er am liebsten niemals wieder gehört hätte.

Nur um sich zu vergewissern – und auch in der Hoffnung, dass er sich irrte – lief er mit großen Schritten zur Terrassentür hinüber. Er riss den weißen Vorhang zur Seite – und starrte auf die Wassertropfen auf der anderen Seite des Glases. Sie liefen langsam die glatte Oberfläche hinab, wurden aber rasch von neuen ersetzt. Der Terrassenboden war auch vollkommen nass. Der Grund dafür war eindeutig der Regen, der unablässig vom Himmel fiel. Er erzeugte dieses gleichmäßige Rauschen, das Murphy gehört hatte.

Er stieß ein hörbares Seufzen aus. Es war nur eine Frage der Zeit gewesen, bis es einmal zu regnen beginnen würde, aber es machte das alles nicht besser. Glücklicherweise war der Regen nicht von Blitz und Donner begleitet, der Garten lag in vollkommener Dunkelheit, da die Lampen um diese Zeit auch nicht brannten. Für eine Minute starrte er dennoch in die getrübte Umgebung, in der Erwartung, dass er sich bewegende Schemen sehen könnte, aber da war nur der Regenschleier.

„Nicht einmal ein Regenmantel-Mörder.“ Murphy schmunzelte.

Nachdem er sichergestellt hatte, dass sich niemand im Garten befand, zog er den Vorhang wieder zu. Dann wandte er sich ab, um noch ins Bad zu gehen und sich Wasser ins Gesicht zu klatschen.

Alles war gut, er war nicht mehr in Silent Hill, nicht mehr in Gefahr. Dieser Gedanke begleitete ihn auf seinem Weg.

Vielleicht ignorierte er deswegen die leisen schlurfenden Schritte, die dumpf unter dem Regen zu hören waren.
 

Als Murphy wieder erwachte, diesmal auf dem Sofa seines Zimmers, schien die Sonne durch den Vorhang und ließ diesen in einem hellen Licht erstrahlen. Sein Körper ächzte aufgrund seiner unbequemen Schlafstätte, aber er war schon froh, dass er überhaupt noch einmal geschlafen hatte.

Der Fernseher, den er zur Ablenkung eingeschaltet hatte, zeigte gerade irgendeine Talkshow, vermutlich eine Wiederholung des Vortages, die Murphy aber auch gar nicht interessierte.

Er schaltete ihn aus, dann erhob er sich und streckte sich erst einmal ausgiebig. Ein Blick nach draußen verriet ihm, dass alles genauso aussah wie gestern noch, nur sonniger.

Innerhalb kürzester Zeit hatte er geduscht, sich angezogen und auch wieder rasiert. Wenn er sich schon mit Valeria traf, könnte er zumindest auch einigermaßen gut aussehen.

Danach verließ er das Zimmer, um in den Speisesaal zu gehen. Doch schon als er auf den Gang trat, spürte er, dass etwas in der Luft lag. Die feinen Härchen in seinem Nacken stellten sich auf wie elektrisiert. Je näher er der Eingangshalle kam, desto lauter wurden zwei sanft sprechende Stimmen. Die eine gehörte eindeutig Polly, die andere kannte er nicht.

Als der Gang sich zur Halle weitete, entdeckte er die Besitzerin des Hotels, mal wieder hinter dem Tresen, während eine Polizistin ihr gegenüberstand. Anhand der grauen Strähnen in dem eigentlich braunen Haar, konnte Murphy sofort erkennen, dass sie schon in einem fortgeschrittenen Alter war. Doch erst als sie sich ihm zuwandte, konnte er auch die kleinen Fältchen an ihren grünen Augen sehen. Ansonsten schien sie sich gut gehalten zu haben.

„Mr. Coleridge, nicht wahr?“, eröffnete sie das Gespräch mit sanfter Stimme. „Ich bin Deputy Eden Darcy. Erfreut, Ihre Bekanntschaft zu machen.“

Diesmal also nicht der Sheriff persönlich, aber jemand von seinem Revier. War sie auch hier, um nach Polly zu sehen? Verdächtigte man ihn, ihr etwas antun zu wollen? Oder hatten sie doch seine wahre Identität herausgefunden?

Doch seine Nervosität wurde zerschlagen, bevor sie sich vollständig bilden konnte: „Es ist nur schade, dass wir uns unter solch traurigen Umständen treffen.“

„Traurige Umstände?“

Er warf einen kurzen Blick zu Polly, aber sie schien sich bester Gesundheit zu erfreuen – jedenfalls soweit er das in ihrem Alter sagen konnte. Im Moment wirkte sie lediglich etwas niedergeschlagen, sie musste die schlechte Nachricht bereits gehört haben.

„Letzte Nacht“, begann Eden, „wurde Zandra Clark ermordet.“

Es kam Murphy vor, als wehe ihm ein eiskalter Windhauch entgegen. Vorgestern hatte er Zandra noch in der Milk Barn … nun ja, nicht gesehen, aber zumindest gehört. Und nun sollte sie tot sein? Ermordet auch noch?

Eden fuhr unterdessen unbarmherzig fort: „Sie wurde heute morgen von einem Nachbarn gefunden. Eine natürliche Todesursache konnte sofort ausgeschlossen werden. Mehr darf ich aber natürlich nicht sagen.“

„Warum?“, fragte Polly.

Murphy musste die Antwort gar nicht hören, um es zu wissen: Um die Ermittlungen nicht zu gefährden, dürften keine Details bezüglich der Umstände des Todes als auch des Tatortes an Außenstehende geraten. Natürlich passierte das dennoch immer wieder – und er zweifelte nicht daran, dass es in einer Gemeinde wie Greenvale in rasender Geschwindigkeit geschähe – und so wurden aus Ermittlungen rasch Hetzjagden. Aber er hoffte, dass es hier nicht so sehr ausartete – oder er zumindest nicht im Mittelpunkt stünde, falls es doch so weit käme.

Eden wandte sich wieder ihm zu. „Nehmen Sie das jetzt nicht persönlich, Mr. Coleridge, aber-“

„Sie möchten mein Alibi wissen.“

Ihre Augen weiteten sich ein wenig. „Sie kennen sich aus. Hatten Sie schon einmal mit der Polizei zu tun?“

Wäre er nicht schon in schlimmeren Situationen gewesen, hätte Murphy befürchten müssen, dass er sich mit nun ausbrechendem Schweiß verraten könnte. So blieb er aber vollkommen ruhig, er lächelte sogar ein wenig. „Nein, ich sehe nur gern Krimis.“

Das schien eine zufriedenstellende Antwort zu sein, denn Eden ging nicht weiter darauf ein. Dafür fuhr er direkt mit seinem Alibi fort: „Ich habe keine Zeugen, aber ich habe letzte Nacht geschlafen. In meinem Zimmer.“

Dass er wegen eines Albtraums aufgewacht war, erzählte er lieber nicht. Eden war immerhin Polizistin und nicht seine Therapeutin.

Sie notierte sich etwas auf einem kleinen Notizblock, wie man sie aus den wirklich alten Krimis kannte. Das machte sie in seinen Augen ziemlich sympathisch.

„Wissen Sie denn, wo Zandra … das Opfer wohnte?“

„Nein. Ich war lediglich bei ihr in der Apotheke.“ Das müsste er nicht verbergen, schon allein, weil es Zeugen dafür gab und Zandra es mit Sicherheit jedem erzählt hatte.

Sie sah zu Polly hinüber, die dem Gespräch mit einem bedrückten Lächeln lauschte. „Du hast es ihm auch nicht gesagt, Polly, oder?“

„Aber nein. Er soll doch mir assistieren, und nicht anderen Frauen nachstellen.“

Wie auch immer sie auf den Gedanken kam, dass er sich hätte für Zandra interessieren können. Oder es war ihr Versuch, in dieser Situation ein wenig lustig zu sein.

Eden notierte sich auch das, ehe sie wieder Murphy ansah. „Waren Sie gestern allgemein in Greenvale unterwegs?“

„Nein. Ich habe den ganzen Tag im Hotel gearbeitet.“

Hauptsächlich war er damit beschäftigt gewesen, unbenutzte Zimmer zu lüften und Staub zu wischen, danach hatte er sich noch um Pollys Pflanzen gekümmert (unter ihrer Aufsicht natürlich) und zum Abschluss noch den Speisesaal geputzt. Entsprechend unterstützte Polly seine Aussage.

„Dann muss ich wohl auch kaum annehmen, dass Sie sich mitten in der Nacht auf die Suche nach Zandras Wohnung gemacht haben.“

„Ich wüsste nicht einmal, warum ich das tun sollte.“ Er hob die Schultern ein wenig. „Ich hab sie nur einmal getroffen und kein Verlangen danach, sie noch einmal zu sehen. Und vorgestern in der Milk Barn habe ich sie zumindest gehört.“

Früher oder später erfuhr die Polizei ohnehin davon, also könnte er es auch einfach zugeben. Außerdem war nichts dabei gewesen. Sie hatte mit anderen Bewohnern über ihn gesprochen, aber der Inhalt hatte ihn nicht weiter interessiert oder gar eine besondere Emotion hervorgerufen.

Eden notierte sich auch das, dann nickte sie zufrieden und steckte den Notizblock in eine Tasche ihrer Jacke. „Okay, von meiner Seite aus wäre das alles. Falls Ihnen doch noch etwas einfällt, das mit diesem Verbrechen in Verbindung stehen könnte, melden Sie sich bitte auf dem Sheriffrevier.“

„Natürlich.“ Er hoffte nur, dass sie dann nicht seine Identität überprüfen wollten; andererseits wusste er ohnehin nichts, und in diesem abgelegenen Hotel konnte er auch nichts mitbekommen haben.

„Falls wir noch mehr von Ihnen benötigen, melden wir uns bei Ihnen“, sagte Eden dann noch. „Für heute verabschiede ich mich dann aber erst einmal.“

Murphy versicherte ihr, dass es nett war, sie kennengelernt zu haben, trotz der Umstände, dann sah er ihr hinterher, bis sie das Hotel verlassen hatte.

Polly schüttelte seufzend mit dem Kopf. „So traurig, dass es wieder zu einem Mord in dieser Stadt kommt. Man sollte meinen, alle wären froh, dass die vom letzten Jahr vorbei sind.“

„Könnte denn irgendjemand überhaupt einen Grund haben, sie zu töten?“ Er war kein Polizist, aber er kannte die Fragen, erinnerte sich noch gut an seine eigenen Befragungen, nicht nur in Charlies Fall, sondern auch nach seiner Verfolgungsjagd.

Die alte Dame griff sich nachdenklich an das Kinn. „Zandra hat sehr viele Geheimnisse ausgeplaudert. Von jedem, der die Apotheke aufgesucht hat. Und es ist die einzige Apotheke.“

Also dürfte damit jeder irgendwelche Geheimnisse an sie verloren haben. Aber welches war derart wertvoll, dass man jemanden sogar umbrachte, um es zu bewahren – oder sich für dessen Ausplaudern zu rächen?

Im Endeffekt ist es nicht mein Problem, ermahnte er sich innerlich. Die Polizei muss recherchieren, nicht ich.

Deswegen sagte er auch nichts weiter und wartete bedrückt schweigend, bis Polly diese Stille endlich mit sorgloser Stimme wieder durchbrach: „Es wird sich nichts an der Sache ändern, wenn wir jetzt traurig hier herumstehen. Lassen Sie uns frühstücken gehen, Mr. Coleridge.“

Er sagte nicht, dass er erleichtert darüber war, dass sie das zuerst aufbrachte, sondern trat einen Schritt zurück und bedeutete ihr, vorauszugehen. „Ich folge Ihnen, Polly.“

Leise kichernd kam sie um den Tresen herum. „Oh, Mr. Coleridge~. Für so etwas bin ich doch schon viel zu alt.“

Während sie in Richtung des Speisesaals ging, blieb er erst noch stehen und sah ihr hinterher. Dabei fragte er sich, was sie diesmal wohl verstanden haben mochte.


Nachwort zu diesem Kapitel:
Wieder mal ein Kapitel in dem ich durch meine Beta einige Kleinigkeiten gelernt habe. ♥ Komplett anzeigen

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