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Mikleos Vergangenheit


 

„Stärke bedeutet auch zu wissen,

dass man nicht immer stark sein kann.“
 

Die Wange brannte, das Herz fühlte sich gebrochen entzwei an und der Atem stockte bei jedem Geräusch. Wie ein Sklave, ein wertloses und ersetzbares Stück Fleisch, hockte jemand in der Ecke des großen Raumes und dachte abermals darüber nach, was es bedeutete, ein Mensch zu sein.

Geschlagen, getreten, verachtet, gehasst.

Wann würde das endlich ein Ende haben?
 

Willkommen in meiner Welt.

Ich heiße Mikleo und das ist meine Geschichte.
 

Die Turmuhr verriet die Uhrzeit: Kurz nach Sieben und mein gebrochener Körper vermochte es nicht, sich aus dem Bett zu erheben. Jeder Muskel verursachte höllische Schmerzen und erinnerte mich daran, was war und was noch kommen würde. Die Tage verliefen gleich:

Früh raus – Für's Waschen blieb mir meist nicht die Zeit.

Der morgendliche Unterricht meines Erzeugers – Nein, ich durfte nie in eine normale Schule gehen.

Mittagessen fiel grundsätzlich fad' aus – Meine Erzeugerin war eine schreckliche Köchin, sodass ich ihr Essen gerne verweigerte.

Nachmittags Kräuterheilkunde – Ich habe schnell gelernt, dass Pflanzen die besseren Menschen waren.

Gegen Abend ein gemeinsames Essen – Diesen Fraß konnte man nicht mal Schweinen vorsetzen...

Und dann geschah es wie so oft.

„Aua!“ Meine Kehle schmerzte. Der Peitschenhieb hatte getroffen und Fetzen meiner Haut vom Körper geschält. Es brannte so fürchterlich, dass ich weinen musste. Ein Triumph für meinen Erzeuger, der nochmals seiner Macht Ausdruck verlieh. Ein weiterer Peitschenhieb schlug meine Kinderseele ins Jenseits. Wimmernd fiel ich zu Boden und verankerte meine Finger in dem rötlichen Teppich. Als suchte ich einen Halt, Schutz und Geborgenheit, drückte ich mein verheultes Gesicht in die rauen Fasern unter mir.

Warum man sein eigenes Kind so sehr hassen konnte, war eine Sache, die wohl nur meine Erzeuger verstehen konnten. Doch da ich nicht mal ansatzweise zu verstehen vermochte, prasselten jede Nacht diese Schläge auf mich nieder, bis ich abermals mit zertrümmerter Seele in meinem Bett angekommen war.

Die Tränen waren versiegt und auch das Blut bildete auf dem gepeinigten Fleisch mittlerweile eine Wundschicht. Die Schmerzen erloschen allmählich.
 

“Die Zeit heilt alle Wunden“

Nein, man gewöhnt sich aber an den Schmerz.
 

Die Jahre vergingen. Ich hatte gelernt wie man schrieb, las und Spinnengifte neutralisierte und in schmerzlindernden Cremes untersetzte. Sie waren bei so vielen Menschen beliebt, dass es mir eher zum Verhängnis wurde – schaffte ich es nicht rechtzeitig, genug herzustellen, wurde ich bestraft. In der Zeit hatten sich diese Bestrafungen meinerseits in Wut und Verachtung gewandelt. Je härter mich ein Schlag traf, desto größer wurde das Verlangen, mich zu wehren. Aber ich konnte nicht. Mein mittlerweile zerbrochenes Herz mit der tauben Seele war gerade noch so im Stande dazu gewesen, diesen Körper auf seinen schmalen Beinen zu halten.
 

Ich konnte mich nicht mal daran erinnern, wie alt ich war. Nie wurde ein Geburtstag gefeiert. Wieso sollte man auch etwas feiern, das nutzloser kaum sein konnte? So erging es mir. Tagein und tagaus.

Frühmorgens raus – Ich nahm mir die Zeit für ein Bad, weil ich sonst nie dazu kam.

Der morgendliche Unterricht meines Erzeugers – Es hatte sich einfach nichts geändert...

Mittagessen – Wie viel ich abgenommen hatte, konnte ich schon nicht mehr sagen.

Den Nachmittag entschied meine Erzeugerin – meist musste ich Spinnen jagen und Schlangen ihr Gift entziehen und neutralisieren. Und ja, ich hasste Spinnen.

Bis in die Nacht – Unermüdlich produzierte ich die Cremes, die als Bestellung für den nächsten Tag geplant waren.

Die Schläge blieben nur dann aus, wenn Kundschaft da war. Sonst passierte immer alles heimlich, von den Augen des Gesetzes verschont. In einer guten Gesellschaft war es nun mal nicht Gang und Gebe, dass Kinder geschlagen wurden. Hatte ich „geschlagen“ gesagt? Ich meinte „gefoltert“.
 

Dass es irgendwann mal soweit kommen würde, dass ich mich gegen meine Natur dazu entschied, die Gifte nicht mehr so sorgfältig zu neutralisieren, zeigte nur, wie armselig meine Seele um Hilfe rief. Ja, ich fing an, den Menschen, die eigentlich nach Heilung suchten, den Tod zu schenken. Erst fiel es nicht auf, da man zu diesem Zeitpunkt nicht genau sagen konnte, ob nicht jemand allergisch darauf reagierte. Wer sollte mir schon nachweisen können, dass es mir Spaß bereitete, dass Menschen unter meinen Fehlern litten und qualvoll zugrunde gingen?

Niemand war dazu in der Lage. Und ich nutzte dies aus.

Meine Erzeuger waren ratlos und suchten anfangs nicht mal die Schuld bei mir – sie selbst hatten die Arzneien ja an die Bewohner verteilt. Sie mussten Rede und Antwort stehen, während ich weiterhin mit den Künsten des Todes hantierte.

Die Zahlen meiner Opfer stiegen ins Unermessliche. Auch wenn ich immer mehr Schläge riskierte, konnte ich einfach nicht aufhören, Gott zu spielen. Ja, ich war Gott. Ein Henker verkleidet als Kind.

Und sie konnten nichts dagegen tun.
 

So verging die Zeit und nur einige Monate später machte ich einen folgenschweren Fehler – meine Erzeugerin erwischte mich dabei, wie ich das pure Schlangengift in eines der Gefäße goss. Sie hatte mir in der ganzen Zeit nichts angetan, weder die Hand gegen mich erhoben, noch irgendetwas nach mir geworfen. Doch nun brach sie aus ihrer Hülle und schlug mich, bis ich das Gefühl hatte, sämtliche meiner Knochen wären zu Staub zerfallen. Mehrmals spuckte ich Blut auf den Boden, bis mich die erlösende Ohnmacht umarmte.

Es verwunderte mich. Wieso wachte ich wieder in meinem Zimmer auf? Konnten sie mich nicht einfach töten? Nein, das wäre viel zu einfach gewesen. Sie wollten Rache. Rache dafür, dass ich ihren Ruf geschändet hatte.

Ich musste irgendwas dagegen unternehmen! Nur.. was? Würde es helfen, erneut den Diener des Todes zu spielen und sie ihre eigene Medizin schlucken zu lassen?
 

Die Idee war schnell umgesetzt und leichter als eigentlich gedacht. Ein wenig Gift im Tee und ein Tropfen im Honig und es war perfekt.
 

Beide lagen vor mir und versuchten mit ihrem letzten Atemzug, ihr eigenes Kind zu verurteilen. Doch ich sah mich nicht als Täter an, sondern als Opfer.

Es blieb nicht lange geheim, was ich so intensiv geplant hatte. Das Gesetz, die Moral und Verpflichtungen waren mir auf den Fersen. Ich packte nur das Nötigste ein und floh. Wohin? Egal wohin. Durch die engen Gassen der Vorstadt, bis hin zum lebhaften Hafen. Ich drängte mich blitzschnell und dank meiner Größe durch die Menschenmassen. Meine Verfolger gerieten in Panik, als ich ihrem wachen Auge fern blieb. Viele Handelsschiffe und einige kleinere Schiffe waren die einzige Möglichkeit, die mein Leben noch retten konnte. Ich bezahlte mit dem meisten Geld, was mir zur Verfügung stand, einen Bootsmann und fuhr mit einem der Handelsschiffe Richtung Süden – ich hatte es geschafft.
 

Die Tage auf diesem Schiff waren toll und eine willkommene Abwechslung. Ich sprach mit den Leuten, half ihnen und musste mich dennoch irgendwann dazu entscheiden, meinen eigenen Weg zu gehen. Aber wohin? Und was würde mich dort erwarten? Ich war ein Kind mit erstaunlichen Kenntnissen darüber, wie der menschliche Körper funktionierte. Vielleicht konnte ich mich auf einer Insel niederlassen? Einer der Männer riet mir, auf eine Insel Namens Schwarzkliff zu gehen. Ich kannte diese vom Hörensagen. Dort wurden alle möglichen Waffen, Werkzeuge und Ähnliches hergestellt. Ich willigte also ein.

Doch was mich dort wirklich erwarten sollte, glich dem Albtraum, aus dem ich gerade erst geflohen war...
 

Endlose Peinigungen, Schläge so hart, dass sie Knochen spalteten,

ein Kinderherz, das unaufhörlich blutete.
 

Doch ich musste stark bleiben und versuchen, irgendwie Fuß zu fassen. Ich lernte, wie man Holz verarbeitete und wurde schnell in eine andere Abteilung geschickt. Hier waren die Strafen nicht so ausgeprägt und meine Wunden konnten heilen. Jedenfalls äußerlich. Durch meine medizinischen Kenntnisse gewann ich bald Freunde oder vielleicht waren es einfach nur Leute, die mich ausnutzen. Aber sie sprachen mit mir, was mir unglaublich viel wert war. Somit zeigten sie mir, dass ich noch lebte.

Eines Tages lernte ich einen Jungen kennen, der genau in meinem Alter war. Wir sprachen anfangs nicht sonderlich viel miteinander, doch irgendwann zerbrach das Eis. Ich war so fasziniert von ihm. All seine Geschichten klangen so wahr, rissen mich mit und ließen mich eine ganz neue Welt erfahren.

Das jemand es mal schaffen würde, mein eisernes Herz zum Schlagen zu bringen, war eine Vorstellung, die nur in meinen tiefsten Sehnsüchten existieren konnte. Aber ich hatte nicht mit diesem Jungen gerechnet. Er stahl mein Herz und war nicht willig, es mir wiederzugeben – also gab ich ihm meins.

Wir verliebten uns. Um dieses Gefühl zu beschreiben, vermochte es Wörter, die noch nie ein Mensch bisher ausgesprochen hatte. Aber Worte waren nichts zu den sanften Berührungen, den leidenschaftlichen Küssen und der innigen Begierde, die wir uns schenkten.
 

Eines Abends saßen wir zusammen auf seinem Bett, streichelten uns zärtlich und ich wusste, dass ich ehrlich zu ihm sein musste. Also begann ich ihm von meinem wahren Ich zu berichten. Er hörte mir zu, unterbrach mich kein einziges Mal.
 

Dann schmunzelte er nur und begann, mir folgende Geschichte zu erzählen:
 

-„Der Wahnsinn fühlte sich einsam und lud seine Freunde zum Tee ein.

Als die Langeweile zum dritten Mal gähnte, schlug der Wahnsinn vor:

"Lasst uns Verstecken spielen!"

Die Intrige hob die Augenbraue und die Neugierde konnte sich nicht mehr zurückhalten und fragte: "Verstecken? Was ist das?"

"Das ist ein Spiel", sagte der Wahnsinn.

"Ich verstecke mein Gesicht und fange an zu zählen, von eins bis eine Million. Inzwischen versteckt ihr euch. Wenn ich das Zählen beendet habe, wird der Erste von euch, den ich finde, meinen Platz einnehmen, um das Spiel danach fortzusetzen".
 

Die Begeisterung und die Euphorie tanzten vor Freude.

Die Freude machte so viele Sprünge, dass sie den letzten Schritt tat, um den Zweifel zu überzeugen und sogar die Gleichgültigkeit, die sonst keine Interessen hatte, machte mit.
 

Die Wahrheit bevorzugte es, sich nicht zu verstecken, wozu? Zum Schluss würde man sie immer entdecken und der Stolz meinte, dass es ein dummes Spiel wäre... Im Grunde ärgerte er sich, dass die Idee nicht von ihm kam und die Feigheit zog vor, nichts zu riskieren.

"Eins.., zwei...., drei..., vier....", der Wahnsinn begann zu zählen.

Als Erstes versteckte sich die Trägheit, die sich wie immer hinter den ersten Stein fallen ließ.
 

Der Glaube stieg zum Himmel empor und die Eifersucht versteckte sich im Schatten des Triumphs, der es aus eigener Kraft geschafft hatte, bis zur höchsten Baumkrone zu gelangen.

Die Großzügigkeit schaffte es kaum, sich zu verstecken, da sie bei allen Verstecken, die sie ausfindig machte, glaubte, ein wunderbares Versteck für einen ihrer Freunde gefunden zu haben.
 

Ein kristallklarer See...

ideal für die Schönheit.

Der Spalt eines Baumes...

ideal für die Angst.

Der Flug eines Schmetterlings...

das Beste für die Wollust.

Ein Windstoß...

großartig für die Freiheit... und sie selbst versteckte sich auf einem Sonnenstrahl.
 

Der Egoismus dagegen fand von Anfang an einen sehr guten Ort, luftig, gemütlich - aber nur für ihn allein.

Die Lüge versteckte sich am Meeresgrund... stimmt nicht, in Wirklichkeit versteckte sie sich hinter dem Regenbogen.
 

Die Leidenschaft und das Verlangen im Zentrum des Vulkans.

Die Traurigkeit vergoss so viele Tränen, weil sie nicht wusste, wo sie sich verstecken sollte, dass sie ein eigener Bach wurde, in dem sie untertauchte.

Und die Vergesslichkeit...das ist nicht so wichtig, sie weiß es selbst nicht mehr.
 

Als der Wahnsinn 999.999 zählte, hatte die Liebe noch kein Versteck gefunden. Alle Plätze schienen besetzt zu sein...

Bis sie den Rosenstrauch erblickte und gerührt entschloss, sich in seinen Blüten zu verstecken.
 

"Eine Million", zählte der Wahnsinn und begann zu suchen.

Die Erste, die entdeckt wurde, war die Trägheit, nur drei Schritte vom ersten Stein entfernt.

Danach hörte man den Glauben, der mit Gott im Himmel über Theologie diskutierte.

Die Leidenschaft und das Verlangen ließen den Vulkan vibrieren.
 

In einem unachtsamen Moment fand er die Eifersucht und so natürlich auch den Triumph.

Den Egoismus brauchte er gar nicht zu suchen, ganz allein kam er aus seinem Versteck, das sich als Bienennest herausstellte.
 

Vom vielen Laufen empfand er Durst und als er sich dem See näherte, entdeckte er die Schönheit.
 

Mit dem Zweifel war es noch einfacher, er fand ihn auf einem Zaun sitzend, da er sich nicht entscheiden konnte, auf welcher Seite er sich verstecken sollte, begleitet von der Dummheit, die das Spiel nicht verstanden hatte.
 

So fand er Einen nach dem Anderen.

Das Talent hinter dem frischen Gras, die Angst in einer dunklen Höhle, die Lüge hinter dem Regenbogen... stimmt nicht, sie war im Meeresgrund und sogar die Vergesslichkeit ... die schon wieder vergessen hatte, dass sie Verstecken spielte.
 

Nur die Liebe tauchte nirgendwo auf.

Der Wahnsinn suchte hinter jedem Baum, in jedem Bach, auf jedem Berg und als er schon aufgeben wollte, erblickte er die Rosen. Mit einem Stöckchen fing er an, die Zweige zu bewegen, als auf einmal ein schmerzlicher Schrei aufkam.

Die Dornen hatten der Liebe die Augen ausgestochen. Der Wahnsinn war hilflos und wusste nicht, wie er seine Tat wiedergutmachen sollte. Er weinte, entschuldigte sich bei ihr und versprach der Liebe, für immer ihr Begleiter zu sein.
 

Seit dieser Zeit, seitdem das erste Mal überhaupt Verstecken gespielt wurde, ist die Liebe blind, der Wahnsinn ihr ewiger Begleiter und Verstecken ein Wahnsinnsspiel."-
 

Zusammen schliefen wir ein und ich würde niemals diese Worte vergessen.

Ein Jahr verging und als ich erwachte, stand mein Geliebter mit Kuchen vor mir und strahlte bis über beide Ohren. Hatte ich etwas verpasst? Mühselig rappelte ich mich auf und sah ihn einfach nur fragend an.
 

Ich hatte Geburtstag.
 

Verblüfft darüber, dass er es sich gemerkt hatte, gerieten meine Gefühle durcheinander. Er küsste mich und sagte immer wieder, das dieser Tag etwas ganz besonderes sei. Ich weinte und wir liebten uns so leidenschaftlich wie am Abend zuvor.
 

Die Arbeit ging jedoch weiter. Schläge und Erniedrigungen waren verblasst, da ich meine Arbeit ordentlich verrichtete und man sogar stolz auf mich war. Die Wunden der Mitarbeiter unterlagen meiner Obhut und ich war ihnen irgendwie dankbar dafür.

Auch meinen Geliebten hatte ich vor einer Krankheit verschont. Mehr oder weniger, hatte er sich nur einen Muskeln entzündet und die Ärzte hier in Schwarzkliff gingen von dem Schlimmsten aus. Das erste Mal in meinem Leben musste ich meinen Erzeugern danken, dass sie mir doch so viel über den menschlichen Körper beigebracht hatten.
 

Vielleicht vergingen nur zwei oder drei Tage. In der Nacht kamen sie über uns, wie eine Sintflut über das Land. Wir hörten nur noch Schüsse - Schreie und Tod hingen in der Luft. Sofort riss ich meinen Freund am Arm hoch und schrie ihn an, wir müssen sofort von hier verschwinden! Er jedoch wollte seine Freunde nicht im Stich lassen und rannte von mir davon. Angst zerfraß meine Sinne und ich folgte ihm auf zittrigen Beinen. Überall war Blut, überall war Tod und ich konnte ihn nicht mehr finden. Aus Angst schrie ich seinen Namen, der von dem Kanonenfeuer jedoch sofort verschluckt wurde. Meine Beine wurden von Schritt zu Schritt schwerer. Als hätte sich Blei an meinen Füßen erstarrt, blieb ich kurz stehen. Es war nicht möglich, sich hier einen Überblick zu verschaffen. Es stank so bestialisch nach verbrannten Fleisch, dass mir übel wurde. Und dann entdeckte ich ihn...

Mit dem Blei an meinen Beinen rannte ich, so gut es ging, zu ihm und ließ mich direkt neben ihn fallen. Eine deutlich tödliche Wunde offenbarte sich mir. Sein Körper war übersät mit Blut, dass ich ihn nur anstarren konnte. Doch sein Blick verriet mir abermals, dass ich nicht traurig sein sollte.

Mit aller Macht drückte ich meine Hände auf die Wunde und schrie ihn an, er solle durchhalten – doch vergebens. Seine Kräfte waren wie vom Wind verweht. Ich griff nach einem Dolch in meiner Nähe und hielt ihn mir sorgfältig an die Halsschlagader. Dieser Junge hatte mir den Sinn des Lebens erklärt, gesagt, die Liebe wäre blind und der Wahnsinn ihr stetiger Begleiter. Ja, ich wollte ihn begleiten.

Mit dem letzten Atemzug, mit seiner ganzen Gutmütigkeit sprach er seine letzten Worte zu mir:
 

“Vergib Ihnen. Sie waren von Hass zerfressen.

Bitte, heile Andere! Nutze deine von Gott geschenkte Macht und hilf all denen,

so wie du mir geholfen hast!“
 

Er starb in meinen Armen und meine Seele folgte ihm daraufhin einfach.
 

Bevor ich mich richtig von ihm verabschieden konnte, riss mich einer der Arbeiter hoch und all das Fluchen und Schreien half mir rein gar nichts. Ich wollte ihn mitnehmen und ihm ein ordentliches Begräbnis schenken... aber es ging nicht.

Der Krieg hatte ihn mir geraubt.

Wir wurden Schiffen zugeteilt, Kinder und Frauen auf dem einen und Männer auf dem anderen. Ich konnte nichts mehr denken, nichts mehr fühlen... ich erschien mir so leblos.
 

Lange genug waren wir auf diesen Schiffen, dass ich bald keine Kraft mehr hatte zu weinen. Sie wollten mich trösten, doch ich schlug jeden von mir weg. Warum hatte er das nur von mir verlangt? Wo in dieser Hölle, die sich Leben schimpfte, sollte ich noch einen Grund finden, anderen zu helfen? Ich wollte einfach nicht mehr...
 

Stunden und auch Tage zogen ins Land, ehe wir auf eine Insel zusteuerten.
 

„Land in Sicht!“
 

Ich wäre lieber ertrunken...

Wieder half man erst den Frauen und Kindern aus den Booten und ließ sie versorgen. Auch ihnen sah man an, dass sie vieles in Schwarzkliff zurücklassen mussten. Aber keine Trauer würde meine je erreichen.
 

Kurz spielte sich alles nochmal vor meinem inneren Auge ab wie ein Theaterspiel, was hätte von Shakespeare sein können.
 

Irgendwie hatte ich es doch geschafft, auf dieser neuen Insel ein Leben aufzubauen. Als Heiler hatte man es gut gehabt – man wurde immer gebraucht, da alle Krankheiten sich nie ausrotten lassen würden. Ich bezog ein kleines Haus und dank der Hilfe der Bewohnern konnte ich daraus eine Praxis machen. So lebte ich von dort an, hier in Secret Port.

Doch Freunde suchte ich mir keine – die Angst war viel zu groß, wieder so leiden zu müssen.
 

Nur eine Person wurde mir von Tag zu Tag wichtiger. Ich wusste genau, dass ab hier eine neue Geschichte geschrieben wurde, mit mir als Protagonist, mit mir als Diener des Todes.
 

Mit mir als gebrochenem Kind meiner selbst.
 


 

„Stärke bedeutet auch zu wissen,

dass man nicht immer stark sein kann.“
 



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Kommentare zu diesem Kapitel (1)

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Bitte keine Beleidigungen oder Flames! Falls Ihr Kritik habt, formuliert sie bitte konstruktiv.
Von:  NanaseRin
2015-12-17T15:15:12+00:00 17.12.2015 16:15
Wow.. just wow.. I'm trembling.. a-armer Mikeo ;_;
I thought I had a chance to survive reading this wonderful story of yours, but damn.. you proved me wrong. See you in heaven, lovely.

For real though, I'm sitting here, completely crushed by your awesome writing (pacing, wording, description, plotting, EVERYTHING), desperately looking for words that could never explain and never describe how absolutely gorgeous this was!
The thing is.. you have the ability to really pull the reader into your story. Not only because it has an interesting plot (which it has, of course - I love how you drew all those parallels and how you managed to convey Mikleos feelings and also how unique his past and your dipictions are), but because you managed to write it so.. captivating, almost magical. This FF doesn't speak to your head and mind alone, it mostly speaks directly to your heart.

I already read it like five times and I can assure you, I'll even read it a thousand times more.

Please be happy from now on, Mikleo!

Thank you so much for writing this, my dear wife <33 And please never change :)

P.S.
Ich werde das bestimmt irgendwann nochmal übersetzt schreiben, aber die Worte und Gefühle kamen einfach schneller, als meine Gedanken in der Lage waren, zu folgen uwu


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