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after Weiß

von

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XVI


 

Es war so schön. Beinahe hatte Ran nicht mehr daran geglaubt. Starke Arme schlossen sich um seinen Körper und sanfte Fingerspitzen strichen über seine Haut und durch sein Haar. Alles war so ruhig, so vertraut.

Es tat so gut diese Zärtlichkeiten wieder zu spüren, hatte er doch befürchtet, dass es nach dem letzten Treffen nicht mehr dazu kommen würde. Doch nun war er hier, hatte vertrauensvoll die Augen geschlossen und genoss die Leidenschaft. Seine Finger strichen über die kühle Haut. Moment!

Ran öffnete die Augen und starrte entsetzt auf sein Gegenüber.

„Hallo Hübscher“, hörte er die freche Stimme, doch er konnte kaum reagieren. Das hier musste ein falscher Film sein. Das konnte gar nicht echt sein. Der Mann unter ihm grinste ihn breit an, kaute Kaugummi und schlug eine Blase damit. Erst als diese zerplatzte, kam wieder Leben in den Japaner. Er sprang auf und sah ungläubig auf den Mann.

Schütteres Haar war von einer auf die andere Seite gekämmt und mit unnötig viel Gel zum Halten gezwungen worden. Der offenbar hagere Mann steckte in einem Anzug, in dem die Muskeln ausgestopft waren. Ran erschauderte und der Fremde stand auf, kam zu ihm und wollte ihn küssen.
 

Entsetzt riss Ran die Augen auf, starrte an die Decke seiner Wohnung und lauschte seinem fliegenden Atem. Was für ein entsetzlicher Traum. Ein Albtraum sonders gleichen. War er jetzt endgültig verrückt geworden? Warum gerade jetzt und nicht in den vergangenen Jahren? Überhaupt. Konnte es wirklich so überraschend passieren? Streng griff er sich in die Haare und dachte nach. Was, wenn er jetzt wirklich verrückt geworden war?

Vielleicht sollte er ein Buch schreiben - „Wie werde ich verrück – Ihr 10 Wochenproramm“. In Kapitel eins ginge es dann darum, mit einem Fremden zu schlafen, der offenbar ganz schlecht für die Psyche war. Damit hätten sich alle finanziellen Sorgen erledigt, er würde in Fernsehshows auftreten und den Leuten mit motivierendem Unterton zu verstehen geben, wie simpel es war, wahnsinnig zu werden. Der Literaturnobelpreis war ihm damit aber so was von sicher!
 

Er konnte das amüsierte Glucksen nicht mehr unterdrücken und lachte haltlos. Tränen rannen dabei über sein Gesicht und schon bald begannen sein Bauch und die Seiten zu schmerzen. Und trotzdem konnte er nicht aufhören. Alles in ihm brannte, schmerzte und es war gut so. Er lebte. Er war am Leben. Auch nach dem tot seiner Eltern und seiner Schwester, nach Kritiker und Weiß, nach der fast aussichtslosen Suche nach einem Job und auch nach diesem verdammten Fremden! Er war am Leben, hatte all das und noch viel mehr überlebt. Es würde wohl kaum etwas geben, woran er, Ran Fujimiya zerbrechen würde. Er war Aya. Er war Abyssinian. Er war der Mann gewesen, der den tot brachte, nicht der, der ihn empfing. Weder physisch noch psychisch.

Mit etwas wiedererlangter Kraft schwang er die Beine aus dem Bett und ging in die Küche. Er brauchte einen Tee, um sich auf den Tag vorzubereiten. Denn heute Abend ging er mit Miko in die Oper und diese Frau, Ran konnte es gar nicht recht glauben, war unglaublich aufmerksam. Und wenn er ihr nicht erzählen wollte, warum er gerade so neben der Spur war, musste er sich vier Stunden lang ganz und gar konzentrieren. So setzte er sich mit einer heißen Tasse seines Lieblingstees vor die Couch und versuchte, Ruhe in der Meditation zu finden. Bei Weiß hatte es vor einer Mission auch immer gut funktioniert, Allerding polierte er zu dieser Zeit sein Katana und dachte darüber nach, wie er seinem Ziel am besten ... Ran schüttelte den Kopf.

„Denk an die Oper! Sonst ist dein Blutdruck gleich wieder ganz oben“, murmelte er sich selbst mahnend zu und atmete dann bewusst in den Bauch.
 

Als der Abend kam, war er wieder ganz bei sich und freute sich sogar ein wenig drauf Anatevka mit Miko zu sehen. Eine der wenigen Opern, die er noch nie wirklich bewusst gesehen hatte, denn als Jugendlicher war Oper für ihn das Langweiligste der Welt. Nur seiner Mutter zu Liebe ist er jedes Mal wieder mitgekommen. Dabei hatte er sich oft einen Kassettenrekorder oder CD-Player mitgenommen und einen Ohrhörer geschickt versteckt, sodass er lieber in der Musik vom Band untergetaucht war, als den Schauspielern auf der Bühne zu huldigen.

„Du bist schon da? Komm doch rein!“, hörte er eine Stimme und sah zum ersten Stockwerk hoch, wo Miko grade am Fenster stand. Was machte sie denn da?

„Es ist nicht kalt“, gab Ran lahm zu verstehen, doch sie winkte ab. Ein Lächeln huschte über seinen Mundwinkel. So elegant ihre Kleider und so vornehm ihr Bruder Saiichi auch waren, ließ sie ihn doch spüren, dass auch sie nur Menschen waren.  Die Tür vor ihm ging und er richtete seine Aufmerksamkeit auf Miko, die ihn mütterlich hereinwinkte. Wie ein kleiner Junge, der endlich vom Spielen zu Tisch kommen soll, dachte er dabei und trat in das Haus ein.

„Vier Grad sind sehr wohl kalt“, hörte er sie schimpfen und lächelte sie verlegen an.

„Es tut mir leid.“ Damit war sie wohl zufrieden, denn sie nickte und ging an ihm vorbei ins Wohnzimmer. Schnell trat Ran sich die Schuhe aus und folgte ihn in den gemütlichen Raum. Unter geduldigen Blicken der beiden Geschwister, nahm er sich Zeit, sich umzusehen. Viele Bücher waren an den Wänden in verzierten Regalen verstaut und er fragte sich, ob jedes davon gelesen wurde. Zwei große und gemütlich aussehende Ohrensessel standen zu beiden Seiten eines Wandkamins und der Lüster, der von der Decke hing, konnte wohl so manche Putzfrau mit seinen tausenden Einzelteilen in den Wahnsinn treiben.

„Komm. Es ist noch Tee da“, hörte er und sah, wie Miko sich in einen der Sessel setzte und Ran den zweiten anbot. Nur einen Moment war er unentschlossen, dann setzte er sich zu der Dame und spürte sofort die Wärme des Kamins im Rücken. Das war schön. Daran konnte er sich gewöhnen. Wenn seine Wohnung nur größer wäre.
 

Ran war für etliche Minuten in seinen Fantasien versunken, ehe er auf die Tasse reagierte, die plötzlich neben ihm stand. Miko musste sie irgendwann dahin gestellt haben. Hatte er sich anständig bedankt?

„Danke“, flüsterte er und nahm die Tasse an sich.

„Schon gut. Es ist nur ein kleiner Ersatz für die ausfallende Oper.“ Miko seufzte und sah betrübt in den Flur, durch den Saiichi mit Gehhilfen humpelte.

„Was ist passiert?“, wollte er schnell wissen und sie schüttelte den Kopf.

„Er ist ausgerutscht. Jetzt wo das Eis schon fast weggetaut ist, tritt er auf eine Eisplatte und prellt sich den ... Du weißt schon.“ Mehr musste sie gar nicht sagen. Entschlossen stellte Ran den Tee weg, sah auf die Uhr und erhob sich.

„Ich hole dich in einer viertel Stunde ab. Bitte zieh dich an“, meinte er und ließ die verwirrte Dame zurück, als er das Haus verließ. Seine Füße trugen ihn schnell zu dem Parkplatz seines Hauses. Unter einer Wetterschutzfolie erahnte man bereits die Silhouette seines Porsches, die er nun mit einem beherzten Zug an der Folie freilegte. Da stand sie. Seine Prinzessin. Sein Baby.
 

Vierzehn Minuten später stand er mit der röhrenden Stute vor Mikos Haus, die irritiert aussah, als sie auf den Absatz trat und Ran aus dem Auto steigen sah. Er hingegen ging entspannt um das Auto und hielt ihr die Tür auf.

„Das ist ...“ Ihr fehlten die Worte und sie keuchte überrascht, als sie in den tiefen Sportsitz rutschte. Ran, ganz Gentleman, verkniff sich ein amüsiertes Schnauben, schloss die Tür und ging um den Wagen, um Miko und sich zur Oper zu fahren.

Vor dem Haus angekommen schnallte Ran sich bereits ab, als eine Hand sich auf seine legte.

„Können wir noch etwas fahren?“, fragte Miko und Ran nickte, ohne groß nachzudenken, schnallte sich wieder an und fuhr los.

„Wo möchtest du hin?“, hörte er sich fragen und sah aus dem Augenwinkel den neugierigen Blick.

„Das ist mir gleich. Fahr hin, wo du hin möchtest.“ Das ließ Ran sich nicht zweimal sagen. Ohne Umwege fuhr er auf die Schnellstraße und fuhr in die Innenstadt. Dort angekommen, suchte er einen Platz für seinen Porsche und führte Miko in ein kleines, verstecktes Café.

„Hier habe ich vor Ewigkeiten gekellnert. Schön, dass es noch offen hat“, murmelte er und hielt Miko die Tür auf. In Anzug und Abendkleid waren sie so auffällig, dass sich alle Blicke auf sie hefteten, doch Ran ignorierte das. Mit seiner Begleitung setzte er sich an einen Tisch am Fenster und sie bestellten eine Kleinigkeit zu Essen und Tee. Als der Kellner ging, sah Ran durch das Glas auf den Rohbau eines Hochhauses. Würden sie also noch so einen unpersönlichen Koloss aus Stahl und Beton hier aufstellen. Vor zehn Jahren da ... Ach er mochte gar nicht daran denken, was vor Zehn Jahren alles anders war. Wie anders er damals war. Und wieder glitten seine Gedanken über die Jahre mit seinem Team und zu dem Unbekannten.

„Wer ist es?“ Ran zuckte zusammen und sah Miko irritiert an. „Ich habe zwar keine Kinder aber viele Neffen und Nichten. Mein jüngerer Bruder hat früh angefangen mit Kindern und spät damit aufgehört.“ Sie lächelte verschämt und Ran konnte nicht anders, als milde zu Lächeln.

„Jedenfalls weiß ich, wie Liebeskummer aussieht, Aya.“ Der Mann schluckte hart. Sollte er ihr davon erzählen? Ging das nicht zu weit?
 

Es dauerte eine gefühlte Ewigkeit, bis Ran sich durchrang und ergeben seufzte.

„Es ist total albern“, begann er und widerstand nur schwer dem Drang sich die Haare zu raufen. Es war so verzwickt.

„Dabei habe ich ihn nur drei Mal getroffen. Ich habe ihn nicht gesehen und kaum ein Wort von ihm gehört“, kam es leichter als erwartet aus seiner Kehle, dann sah er Miko erwartend an. Was würde die alte Dame wohl sagen? Würde sie ihn jetzt darüber aufklären, wie falsch es war, als Mann mit einem anderen ins Bett zu steigen? Würde sie ihm Vorträge halten, dass er sich lieber ein nettes Mädchen suchen und Kinder bekommen sollte?

„Ich verstehe. Da hat es dich gleich richtig erwischt, oder?“ Ran senkte den Kopf. Was sollte er nun sagen? Ja verdammt. Er wollte es nicht wahrhaben, aber er wusste es. Er hatte sich in diesen Typen verliebt. Irgendwie und auf irgendeine verschrobene Weise, immerhin stand er nicht auf Fesselspiele oder Ähnliches. Die Augenbinde wäre ihm im privaten Bereich schon viel zu viel gewesen. Bis zu diesem verfluchten Moment. Das erste Mal hatte er es noch ertragen und war eigentlich ganz froh, dass er das Ding am zweiten Abend nicht wieder umlegen musste. Dennoch. Wenn er nur damit die Gelegenheit bekam, Mister X nahe zu kommen, würde er es akzeptieren. Unter Garantie würde er es niemals mögen. Aber er würde es akzeptieren, bis der Mann ihm so sehr vertraute, dass er sich ihm ohne diesen Stoff zeigen wollte.

„Eigentlich sollte ich mich gerade jetzt nicht mehr mit ihm treffen. Er ist immerhin ein Kunde.“ So. Nun hatte Ran sich einen weiteren Schritt vorgewagt und war gespannt, was sein Gegenüber dazu zusagen hatte.

„Das klingt kompliziert.“ Ran nickte.

„Aber willst ihn doch wiedersehen, oder?“ Erneut ein Nicken. Jedoch eins, das schwerfiel.

„Dann musst du ihn wiedersehen und ihm sagen, was los ist.“ Nun sah er die Frau entgeistert an. Wie stellte sie sich das vor? Beim nächsten Date die Augenbinde anlegen und sagen ‚Übrigens, ich mag dich mehr, als ich darf‘? Das war absurd!

„Aya! Er hat ein Recht darauf, zu wissen, woran er bei dir ist. Es weiter zu verschweigen wäre ungerecht ihm gegenüber. Vielleicht empfindet er nicht so und dann muss er die Gelegenheit haben, das auch kundzutun. Aber wie soll er das können, wenn er vielleicht nicht einmal ahnt, dass es diese Schwierigkeit gibt?“

Ran schnaufte amüsiert. Schwierigkeit. Was für ein ungeeignetes Wort für seine Situation. Das war sicher alles, aber keine Schwierigkeit, keine Lappalie, die er mal eben schnell mit einem Memo aus der Welt schaffen konnte. Und trotzdem musste er zugeben, dass sie recht hatte. Er musste Mister X irgendwie klar machen, dass sie hier vermutlich auf unterschiedlichen Ebenen unterwegs waren. Einmal mehr war er dankbar für den Abend mit dieser klugen Frau. Und einmal mehr fühlte er sich so unwohl in seiner Position Mister X gegenüber.



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