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after Weiß

von

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Akt XII


 

Als Ran die Tür zu seiner Wohnung schloss, überkam ihn eine seltsame Mischung aus Neugier und Müdigkeit. Die letzten Stunden hatte er neben einem Mann gesessen, über den er so viel erfahren wollte. Doch es war kein weiteres Wort zwischen ihnen gesagt worden. Nach dem Essen hatten sie sich mit dicken Decken aus dem Bett und heißem Tee auf die gepolsterten Sonnenliegen gelegt und hatten im Schutze des kleinen Sonnendaches die feinen Schneeflocken beobachtet. Dabei war eine Ruhe entstanden, in der Ran beinahe eingeschlafen wäre. Das war ihm das bis jetzt nur einmal passiert - Bei seinem ersten Date mit diesem Mann. Nicht einmal bei Yoji hatte er sich so sehr fallen lassen können, war nach dem Sex nur wenige Minuten liegen geblieben und dann gegangen. Damals hatte er gesagt, dass er nur in seinem Bett gut schlafen konnte. Der Schnüffler hatte ihn aber schnell durchschaut und hatte sich, falls sie mal in Rans Bett gelandet waren, danach wieder zurückgezogen. Erst dann konnte Ran sich entspannen. Dabei kannte er Yoji so viel länger. Es war verrückt, aber dieser Mann, wer auch immer er war, schaffte es mit seiner bloßen Anwesenheit, ein seltsames Urvertrauen in Ran zu wecken, dass er die Welt loslassen konnte. Heute hatte er wirklich vergessen, dass er nicht neben dem Mann saß, mit dem er ein persönliches Date hatte. Sondern neben einem Kunden. Es hatte sich nicht wie Arbeit angefühlt. Ganz und gar nicht. Vielleicht sollte er Yoji davon erzählen? Er schüttelte amüsiert den Kopf. Kudo würde ihn nur aufziehen und ihn in wilde Theorien einbinden, die er einfach nicht hören wollte. Nicht jetzt und vielleicht nie.

Ein kurzer Blick auf die Uhr und er überlegte, ob es vielleicht Sinn machte, noch wach zu bleiben, all seine Aufgaben, insbesondere das Telefonat mit seiner Chefin, zu erledigen und dann sehr zeitig ins Bett zu gehen. Das klang verführerisch. So ging Ran in die Küche und kochte Kaffee. Eigentlich hielt er nicht viel von dem Gebräu. Es war bitter und es schmeckte für ihn grauenvoll. Aber das ungewohnte Koffein würde ihn lange genug pushen, dass er das Telefonat überstand. Alles andere ...

Erst jetzt zog er seinen Mantel aus und stutzte. In seiner Innentasche fand er einen Umschlag, den er ganz vorsichtig hervorzog und noch vorsichtiger einen Blick hineinwarf. Zum Vorschein kam jedoch nur ein Scheck. Ran verkniff sich einen überraschten Laut. Hatte er seinen Job schon wieder vergessen.

Sein zweiter Gedanke galt dem ‚wie?‘. Fieberhaft überlegte er, wann dieser Umschlag in seinen Mantel gekommen war, doch ihm fiel nur eine Situation ein, indem der Fremde - er musste sich langsam einen Namen für den Mann ausdenken oder ihm beim nächsten Mal nach einem Namen fragen - und er nicht zusammen waren. Als Ran die Decken geholt hatte. Dann war Mister X aber sehr schnell gewesen. Erneut schüttelte Ran den Kopf. Er sollte ihn beim nächsten Mal einfach nach dem Namen fragen, ehe er sich in lachhafte Titel spinnen konnte.
 

Geistesabwesend sah Ran noch einmal in den Umschlag und erkannte die kleine Karte sofort. Neugierig zog er sie heraus und stockte. Sie war handschriftlich. Ein Datum in fünf Wochen und eine Uhrzeit. Dazu ein kleiner Pin, wie er ihn von Maps im Internet kannte. Es dauerte lange Sekunden, bis er seinen Atem wieder aus den Lungen ließ, erst da bemerkte, dass er sie überhaupt angehalten hatte. So etwas Verrücktes. Wo kam nur dieses pubertäre Verhalten her?

Er warf den Umschlag und die Karte auf die Kommode und ging mit seinem Kaffee auf seine Couch, nippte hin und wieder an dem bitteren Getränk, während er sich durch das frühmorgendliche Fernsehprogramm zappte. Gott! Wie konnte man sich so etwas nur antun? Warum hatte er gleich noch einmal einen Fernseher? Er wusste es nicht mehr, vermutete aber, dass er damit einen Platz schaffen wollte, auf dem der Staub sich sammeln konnte. Schnaufend stellte er die Tasse ab und zog sein Handy hervor. Unwirsch sah er auf die drei eingespeicherten Nummern ohne Namen. Er wusste, wer zu welcher Nummer gehörte und hatte darum keine Namen eingetragen. Vielleicht sollte er Omi mal anrufen? Er hatte lange nichts mehr von dem Kleinen gehört. Ran stutzte. Der ‚Kleine‘ war schon längst erwachsen. Und war Ran es nicht, der ihn immer ermutigt hatte, dass er kein Kind mehr war? Vielleicht sollte er sich auch mal nach Ken erkundigen? Bei ihrem letzten Treffen hatte der Brünette nicht besonders gut ausgesehen.

Ran zögerte. Er wusste es nicht, blieb irgendwie immer wieder bei Yojis Nummer hängen. Aber warum? Hatte er etwa ein so gesteigertes Bedürfnis mit dem Mann zu reden, mit dem er geschlafen hatte? Über den Mann, mit dem er gerade erst geschlafen hatte?

„So ein Blödsinn“, murrte er zu sich selbst und legte das Telefon ab, faltete die Hände und stützte sich auf seine Knie. Was war nur los mit ihm? Seit wann war er so furchtbar sentimental? Im nächsten Moment schaltete er die Anlage von Omi an und lehnte sich zurück, beobachtete, wie der Tag vor seinem Fenster langsam grau wurde. Hin und wieder huschte sein Blick auf die Kommode und wieder zurück, bis er es irgendwann nicht mehr aushielt und die Karte holte. Sie faszinierte ihn. Es waren nur Zahlen, kaum wirklich für eine aussagekräftige Schriftprobe geeignet. Eventuell wusste sein Unbekannter von diesem Umstand und hatte es deswegen gewagt. Sein Mundwinkel zuckte. Möglicherweise war das auch ein Spiel? Spielte der Fremde hier mit ihm Räuber und Garndarme? Die Idee gefiel Ran auf eine seltsame Weise. Dann war der Mann vielleicht gar nicht schüchtern, sondern verspielt. Okay. Er konnte auch fürchterlich paranoid sein, aber das hoffte er nicht. Hätte er es sonst riskiert, ihn ohne Augenbinde zu treffen? Eher nicht.

„Es war ein Test“, murmelte er. Ein Test, um sein Vertrauen zu stärken oder diese Liaison sofort zu beenden. Hätte Ran das Licht betätigt, wäre wohl alles aus gewesen. Bei dem Gedanken liefen Ran kalte Schauer über den Rücken. Vor lauter Zärtlichkeiten hatte er den Ernst der Lage völlig ignoriert. Warum musste der Mann ihm auch so zart und beruhigend den Nacken streicheln? Da war er so furchtbar empfindlich. Auch der Kuss bei ihrem ersten Treffen hatte ihn davor bewahrt, auszuflippen. Alles hatte sich so natürlich zusammengefügt. Fast als wären sie für einander ...
 

Ruckartig stand Ran auf und griff nach dem Telefon. Er schrieb Yoji eine Nachricht, wagte nicht, anzurufen. Sicher war seine Stimme in diesem Moment nur ein Schatten ihrer Selbst und Yoji kannte ihn zu lange und zu gut, um das zu überhören. Und dann? Dann musste Ran Dinge erklären, die vollkommen lächerlich waren. Dafür kannte er Yoji zu gut. Er würde sich damit selbst lächerlich machen. Auf gar keinen Fall. Etwas Ehre hatte er noch im Leib, auch wenn er von seinem Freund Almosen hatte annehmen müssen. Aber auf gar keinen Fall würde er den Detektiv tiefer in die Geschichte einweihen. Er wusste ja jetzt schon viel zu viel, und Ran konnte sich vorstellen, wie der Blonde reagieren würde.

Die Karte landete auf dem Couchtisch und Ran schnappte sich den Scheck und seinen Mantel und verschwand aus der Wohnung. Sein erster Halt war die Agentur, damit er seiner Chefin Bericht erstatten und sie gleichzeitig beruhigen konnte. Kunde 379 war bei ihm gut aufgehoben. Er wusste, was er tat und was von ihm erwartet wurde. Und ja! Er wusste, auf was er sich da einließ. Anschließend besuchte er das Geldinstitut, ließ den Scheck einbuchen und holte ein wenig Geld. Immerhin musste er noch ein Versprechen einlösen.

Das Blumengeschäft seiner Wahl war das, in dem er seine letzte Probearbeit absolviert hatte. Er kam in das Geschäft und stockte. Ein nur allzubekannter brauner Schopf war hinter dem Tresen beschäftigt und Ran konnte nicht anders, als zu lächeln.

„Ken“, meinte er leise und genoss den erschrockenen Blick, der ihm entgegengeworfen wurde. Zu gern wäre er zum Spaß in seine alte Rolle gegangen und hätte den Kalten gemimt, aber dafür freute er sich zu sehr, wie gut der Jüngere aussah.

„Du bist Florist“, stellte er unnötiger weise fest und Ken war noch immer ganz starr, ehe er ein schiefes Lächeln aufsetzte. „Erinnerst du dich noch an unser erstes Treffen? Da kam ich auch in zivil und du standest im Laden“, wollte er wissen und sah sich zwischen den ganzen gut duftenden Blumen um. Ein Lachen erklang.

„Ich hab dir ordentlich eine reingehauen“, kam es amüsiert und auch ein wenig stolz von dem Brünetten und Ran nickte leicht.

„Ich weiß, das ist eher Omis Ding aber ...“ Damit fand sich Ran in einer festen Umarmung wieder, die er vor lauter Schreck nicht einmal erwiderte.

„Es tut so gut dich zu sehen Ay ... ähm ... Ich meine Ran.“

„Ich bin überrascht dich hier zu sehen. Wie kommts?“, fragte er, als die Besitzerin den Laden betrat und überrascht auf die zwei Männer sah.

„Schön Sie zu sehen, Herr Fujimiya“, meinte sie und lächelte leicht. Ran erwiderte den Gruß und wandte sich dann wieder Ken zu.

„Schön, dass du wieder als Florist arbeiten kannst.“ Ken nickte eifrig. Ganz offensichtlich ging es ihm schon viel besser.

„Herr Hidaka macht eine Umschulung bei mir und ich hoffe, er bleibt danach“, wurde Ran aufgeklärt, dann bestellte er einen großen Strauß.

„Für Aya-chan?“, hörte er Ken flüstern und lächelte nur knapp als Antwort.

„Es ist ein Versprechen, dass ich einlösen muss.“ Damit war alles gesagt und Ran bezahlte den Strauß, ehe er ging und seinen letzten und schwersten Weg für heute antrat.

„Hallo Schwesterchen“, wisperte er, ehe er die Blumen niederlegte. Wie so oft hockte er sich vor den Stein und strich sacht darüber. So oft hatte er ihr mit dieser Geste eine Strähne aus dem Gesicht gestrichen. Etwas, dass er wohl für immer vermissen würde. Jetzt konnte er ihr in Gedanken endlich alles erzählen. Endlich war er soweit, ihr seine Wahrheit zu sagen. Die Wahrheit über ihn. Die Wahrheit darüber, was aus ihrem lieben, unschuldigen Bruder geworden war. Mit allem was er war, hoffte er, sie würde ihm vergeben. Auf Verständnis hatte er nie zu hoffen gewagt. So oft hatte er sich selbst nicht verstanden.

Die letzten zehn Jahre konnte niemand je wieder von seiner Seele wischen. Sie waren ein wunder Punkt, der wohl niemals heilen würde. Wie konnte er auch? Wer sollte ihn schon in den Arm nehmen, um ihm zu vergeben? Wer sollte etwas tun, dass Ran nicht bereit war für sich selbst zu tun?

„Ich konnte dir nicht einmal ein paar schöne Jahre geben. Du hast das alles gar nicht erleben können. Keinen Sommer, keinen weißen Winter. Ich habe mich so sehr an dich geklammert.“ Es war das Einzige, was er unbedingt aussprechen musste. Er musste hören, wie er es sagte, um es sich selbst zu erklären. Er war besessen gewesen von seiner Rache. Da hatte nichts anderes Platz gehabt. Doch auch, als er bekommen hatte, was er wollte, konnte er nicht loslassen. Er hatte sich verschlossen und wenn er ehrlich war, wollte er es auch bleiben. Die Trauer, der Schmerz. Das alles sollte kein Teil von ihm werden. Doch nach ihrem Tod hatte sich für ihn alles geändert. Er war leer und dieses dunkle Nichts war umhüllt von Wut, Schmerz, Trauer und Hass. Wäre er sich selbst begegnet, er hätte sich nicht wiedererkannt. Das war nicht er. Nicht mehr. Das war nicht seine Natur. Er war zu etwas geworden, dass er niemals sein wollte, und wäre Yoji nicht gewesen ... Er wollte es sich gar nicht ausmalen.

Langsam erhob er sich und ging nach Hause. Sein Körper war träge und kalt. Er wollte nur noch ins Bett und morgen würde er weiter sehen.
 

Als er das nächste Mal die Augen aufschlug, brauchte er ein paar Augenblicke, um zu begreifen, dass sein Handy ihn geweckt hatte.

„Hallo?“, fragte er lahm und rieb sich müde über die Augen.

„Was ist das denn für ne Nachricht?“, hörte er Yoji und setzte sich auf. So kurz nach dem geweckt werden konnte er noch gar nicht klar denken.

„Was?“, fragte er daher und hörte ein Schnaufen.

„Ran, warst du besoffen oder was? Schreibst mir hier eine Nachricht, dass wir ganz dringend reden müssen, dann eine mit ‚vergiss es‘ darin und ich soll jetzt daraus schlau werden? Ich bin wirklich gut in meinem Job, aber das begreife ich nicht. Junge ich mach mir wirklich langsam Sorgen. Ist was mit dem Typen passiert?“ Nun war Ran wirklich wach und erinnerte sich an seine dringlich geschriebene Nachricht und wie er sie revidieren wollte.

„Nein. Es ist alles gut. Ich war ...“ Ja, was war er denn? Verwirrt. Bestimmt. Nervös? Auf jeden Fall! Verunsichert und fühlte sich zu dem Mann, den er gar nicht kannte hingezogen? Er spürte, wie ihm die Hitze in die Wangen kroch. Verdammter Mist.

„Ich habe mich einfach noch nicht an diesen Job gewöhnt“, log er unterkühlt und ging sich durch die Haare.

„Ok. Das kann ich verstehen.“ Yoji war gleich ruhiger geworden. „Aber wenn der Typ irgendein linkes Ding dreht ...“ Er sprach seine Drohung nicht aus, aber Ran verstand und schnaufte ergeben.

„Danke. Aber ich bin schon groß. Ich kann mich selbst verteidigen. In einem Kampf eins gegen eins, hat mich noch kaum einer wirklich schlagen können“, gab Ran zu verstehen und legte sich zurück.

„Er ist wirklich nett und vielleicht ist mir das einfach nicht mehr vertraut und ich suche krampfhaft einen Hacken, der nicht da ist.“

„Tust du das?“

„Ja. Irgendwie schon. Er schickt Emails oder kleine Karten mit den Terminen und ich habe überlegt, ob er irre, gestört oder einfach nur stumm ist. Wer weiß denn, was das für ein Psychopath ist, der mich am Ende des Treffens in eine Tiefkühltruhe packen will. Oder er hatte einen Unfall und kann nicht mehr sprechen. Oder aber das Zimmer ist verwanzt und er ist ein gesuchter Krimineller.“

„Wir waren echt zu lange bei Kritiker. Wenn du ein harmloses und abgesichertes Treffen schon so durchleuchtest.“ Ran gab nur einen verstehenden Laut von sich.

„Yoji. Ich habe echt keine Ahnung, wie lange das noch gut geht“, murmelte er und war froh, dass der Detektiv es als allgemeingültig ansah. Sie waren schon ein ganz schön verkorkster Haufen.



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