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Bruderliebe

von

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Carstens Tod nahm mich mehr mit, als ich es mir in den kühnsten Träumen hätte je vorstellen können. Von da an lief alles, wie in einem schlechten Film ab, und die Beerdigung war noch so lange hin.

Eine Woche, wie sollte ich die überstehen?

Ausgebrannt und betäubt nahm ich kaum meine Umwelt wahr. Ich wurde ungerecht den Menschen gegenüber, die versuchten, mich zu trösten – oder aufzubauen, um mein Leben ohne Carsten weiter leben zu können. Aber jeder noch so gut gemeinte Rat prallte an mir ab. Wie ein Fels in einer Brandung, an dem alles zerschellte, ließ ich keinen mehr an mich heran. Auch Inge und ihr Mann, die täglich nach mir sahen, drangen nicht zu mir durch, so sehr sie es versuchten. Die beiden bemühten sich wirklich, doch ich konnte und wollte es nicht zulassen. Ich stieß sie immer weiter weg von mir, wurde regelrecht aggressiv. Aber nicht nur das, auch zu Basta verhielt ich mich nicht fair und kümmerte mich nicht mehr richtig um ihn. Ich ging zum Schluss nicht mal mehr mit ihm Gassi, ließ ihn lieber auf dem Grundstück sein Geschäft verrichten. Ich wusste, ich tat ihm unrecht. Wenn er mich mit seinen traurigen Augen anschaute, konnte man meinen, er wüsste, wie schlecht es mir wahrhaftig ging. So sehr ich den Hund liebte, ich konnte mich einfach nicht dazu aufraffen, mich um ihn zu kümmern. Wie auch? Ich schaffte es nicht mal, mich um mich selbst zu kümmern und hatte sogar die Beerdigung Inge überlassen. Inge und Carstens Eltern.

Inge sah diesem Zustand wegen Basta nicht mehr lange zu und nahm ihn eines Tages mit, mit der Begründung, wenn es mir besser gehen würde und ich mich endlich um ihn kümmern könnte, dann würde sie ihn mir zurückgeben. In dem Falle war ich ihr dankbar, auch wenn ich es so offen nicht zeigen konnte.

Nicht einmal der Vierbeiner hatte mich trösten können. Und als Basta weg war, nahm ich die Ruhe, die nun wirklich im Haus herrschte, teilnahmslos hin, versank weiter im Selbstmitleid. Ich hasste die Welt dafür, dass man mir das Liebste auf Erden genommen hatte und das ließ ich an allen aus. Wie durch einen Nebelschleier dachte ich an die Zeit zurück, in der wir glücklich waren. Aber anstatt mich damit zu trösten, dass wir aneinander gefunden hatten, wurde der Schmerz dadurch schlimmer, die Sehnsucht nach ihm von Tag zu Tag unerträglicher.

Tagsüber hielt ich es kaum noch aus und die Einsamkeit nahm mich mehr mit, als ich mir eingestehen wollte.

An den Abenden betrank ich mich und rauchte nebenher wie ein Schlot, ich hatte wieder mit dem Laster angefangen. Und morgens, nachdem ich aufgestanden war, wo auch immer, meistens war es auf dem Boden des Wohnzimmers neben der Bar, trank ich einfach die Reste vom Vortag weiter, bis der Tag seiner Beerdigung kam. Der Tag, vor dem ich mich am meisten gefürchtet hatte.

Nun war es so weit. Ich schämte mich, dass ich selbst das nicht geschafft hatte, für ihn zu organisieren. Inge machte mir zwar keine Vorwürfe, aber wie seine Eltern über mich dachten, wollte ich mir nicht ausmalen. Gesagt hatten sie nichts.

Und dennoch. Das hatte Carsten nicht verdient. Doch konnte ich nicht anders, als mich weiter im Selbstmitleid zu baden.

Verkatert, schwarz gekleidet, und mit großer Sonnenbrille, um die geröteten Augen zu verdecken, nahm ich an der Beerdigung teil. Inge und Peter hatten mich zuhause abgeholt. Ich sah aus wie eine Leiche und fühlte mich auch danach. Carstens Ex-Frau hatte sich neben mich gestellt. Vielleicht spürte sie meine Hilflosigkeit. Daneben stand Carstens Onkel, Ben. Ein ruhiger Pensionär, wie Carsten immer sagte, ich kannte ihn kaum.

Da Carsten sich eine Baumbeerdigung gewünscht hatte, lief das Zeremonielle anders ab, als es bei den üblichen Beerdigungen war. Während wir alle um den Sarg herum standen, schwieg ich, redete mit keinem ein Wort, als man mir Beileid wünschte. Stumm schüttelte ich jedem die Hand. Ich konnte nicht anders, denn jedes Wort, egal wie banal es klingen mochte, war für mich zu viel, der Schmerz wäre unerträglich geworden, versuchte Contenance zu waren. Das einzig Tröstliche war, dass es wirklich eine völlig andere Beerdigung war, und man eher Carstens Lebensgeschichte erfuhr, anstatt nur von Gott und Jesus zu reden, um den Leuten klar zu machen, dass er jetzt im Himmel wäre. Nein, so eine war das nicht.

Ich sah die Masse an Leuten, die versammelt um den Mann standen, der zum Schluss für Carsten die Hauptrede halten sollte. Sven, ein Theologe und guter alter Freund von ihm. Mit leer gefegten Kopf lauschte ich den Worten, konnte sie aber nicht aufnehmen, sondern sah mich stattdessen um, wer alles zu der Beerdigung gekommen war. Das schien mir wichtiger, als diese Rede, die monoton dahinplätscherte.

So viele Menschen, du bist wirklich geliebt worden!

Auf einmal spürte ich, wie ich angestarrt wurde. Als ich registrierte, wer noch da war, begann für mich erneut die Hölle auf Erden. Darian!

Meine Augen erfassten diese Person vor mir, dazwischen war Carstens Sarg. Völlig fassungslos starrte ich auf meinen Bruder, der neben Miguel stand. Wieso war er hier? Wieso waren beide gekommen?

Mein Herz wollte stehen bleiben und nicht mehr weiter schlagen. Meine Beine drohten einzuknicken. In meinem sowieso schon leer gefegten Kopf, der noch immer dröhnte, weil er den tagelangen Alkoholkonsum verarbeiten musste, kam eine beinahe Ohnmacht hinzu. Der Anblick meines Bruders verschwamm unter einem Tränenschleier. Wie gut, dass ich nicht geschminkt war, so verschmierte mir keine Wimperntusche und dennoch liefen mir die Tränen. Ich drehte den Kopf weg, wankte bedrohlich, verlor das Gleichgewicht. Sofort spürte ich, wie ich rechts und links am Arm gestützt wurde. Der Schwindel nahm zu und ich war dankbar für die schnelle Hilfe.

„Es geht gleich wieder vorbei“, murmelte ich wenig überzeugend, was mit einem Seufzen quittiert wurde.

„Jaden“, flüsterte Inge mir zu. „Reiß dich zusammen. Bitte! Es ist für uns alle nicht einfach.“ Sie hatte mich nun fürsorglich in den Arm genommen und ich hing schlaff an ihrem Körper, schniefte, während Carstens Onkel mich losgelassen hatte. Ich musste weiter gegen den Schwindel und Tränenfluss kämpfen, schloss daher kurz die Augen. Als ich die Lider öffnete, schaute ich sofort in die Richtung, in der ich Darian und Miguel hatte stehen sehen, doch der Platz war leer. Ich blinzelte mir die Tränen aus den Augen und konnte mir meine Fata Morgana nicht erklären, sah mich weiterhin suchend um. Hab ich ihn mir eingebildet? Beide?

„Suchst du jemanden?“ Inges Hand lag warm auf meiner linken Schulter gebettet und nahm an Gewicht zu, so kam es mir jedenfalls vor. Eher unbewusst als abweisend nahm ich sie von der Schulter und Carstens Ex-Frau sah mich schon beinahe entschuldigend an.

„Hast du den Mann eben nicht gesehen, der neben Sven und Miguel gestanden hat?“, murmelte ich ihr leise ins Ohr, damit man uns nicht direkt hören konnte. Innerlich bebte ich, fühlte, wie mein Blut durch die Adern rauschte, zumindest bildete ich mir das ein, während ich abermals auf den leeren Fleck starrte, in der Hoffnung, er würde wie der Heilige Geist wieder erscheinen. Doch der Platz neben dem Theologen blieb leer. So sehr ich mich umsah, Darian blieb mit Miguel verschwunden und ich bekam immer mehr den Eindruck, ihn mir in meiner Fantasie eingebildet zu haben. Wurde ich verrückt?

„Welchen Mann?“, fragte sie besorgt. Da fiel mir ein, dass Inge nichts von meinem Bruder wissen konnte, es sei denn, er hatte sich ihnen auf der Hochzeit vorgestellt. Wenn es so gewesen wäre, war ich dann nie darauf angesprochen worden. Ich antwortete nur mit einem Kopfschütteln und winkte ab. Mein Kreislauf stabilisierte sich.

Die Beerdigung, ich überstand sie, doch eher wie in einem Film. Ich war da, und doch nicht. Nahm alles wahr, aber nur durch einen Schleier. Die Rede, die der Theologe hielt, wurde emotionaler. Ich selbst konnte keinen Ton dazu beitragen. Und es wurde schlimmer, als ich sah, wie man seinen Sarg wegtrug, weil alles für die Verbrennung vorbereitet wurde. Da sackte ich endgültig in mich zusammen und ließ laut meinen Tränen freien Lauf.

„Du fehlst mir“, flüsterte ich tränenreich.

 

©Randy D. Avies 2012 



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Kommentare zu diesem Kapitel (1)

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Von:  Veri
2015-09-02T08:02:13+00:00 02.09.2015 10:02
Ich pack das :(((((((((
Dramen sind was tolles, aber so traurig :(


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