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Babylon-6 - 03

Gegenangriff
von

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Der Flüchtling

 G´Rykas Augen funkelten wie flüssiges Feuer, als sie aus dem Maschinenraum des ehemaligen Prototypen eines schnellen Angriffskreuzers kam. Ehemalig deshalb, weil G´Ryka, die lange Zeit für die Regierung der Narn gearbeitet hatte, es verstanden hatte den Verantwortlichen im Kha´Ri Glauben zu machen, dass dieses neue Typenschiff - eines von sieben Testschiffen - eine Fehlkonstruktion sei die für das Militär der Narn absolut ungeeignet wären.

Wütend deswegen, weil der Chefingenieur des Schiffes sich alle Mühe gab dies mehr als glaubhaft unter Beweis zu stellen - obwohl die Fakten ganz andere waren. G´Ryka wusste, dass dieser leichte Angriffskreuzer ein tödliches Instrument sein würde wenn es nur die richtige Besatzung bekam. Doch davon war die NE´VAR momentan so weit entfernt wie ihr vorläufiges Ziel, die Transferstation LOOKOUT.

Ihr Vater hatte ihr den guten Rat gegeben zuerst einmal dorthin zu reisen, sollte sie nicht weiterwissen. Auf dem Weg zur Kommandozentrale des über 500 Meter langen Angriffskreuzers, der von zwei überschweren Ionenstrahl-Triebwerken angetrieben wurde die eigentlich einem Raumschiff mit wesentlich größerer Zelle zugestanden hätten, versuchte sich die hochgewachsene Narn wieder etwas zu beruhigen.

Dasselbe, wie für die Triebwerke, traf auf die beiden vorderen Plasmakanonen zu, die es im Notfall mit Kreuzern aufnehmen konnten die doppelt so groß waren. Im Gegensatz zu früheren Versionen ähnlicher Schiffe, besaß dieser Leichte Kreuzer künstliche Gravitation - eine Meisterleistung der Ingenieure die dieses Schiff entwickelt hatten.

Bei diesem Gedanken grinste die Narn verschlagen, wobei sie ihrem Vater verblüffend ähnelte. Durch ihre Machenschaften hatte sie es erreicht, dass man ihr dieses Raumschiff - eigentlich zum Verschrotten gedacht - überlassen hatte. Angeblich waren die Waffensysteme untauglich, doch auch das war eine gezielte Desinformation an den Kha´Ri gewesen. Einige Helfershelfer hatte die Systeme lediglich funktionsunfähig gemacht. Mittlerweile funktionierten diese Systeme wieder einwandfrei und so wäre es wenig ratsam gewesen der NE´VAR und ihrer Besatzung in die Quere zu kommen.

Zudem hatte sie nur drei der sechs FRAZI-Jäger, die zur ursprünglichen Bestückung des Kreuzers gehörten, wieder dem Depot zugeführt - die Frachtpapiere hatte sie geschickt manipuliert, so dass man dort der Meinung war, dass alle sechs Raumjäger wieder den Weg zurück zum Depot gefunden hätten.

Als die, trotz ihres bereits etwas vorgerückten Alters, athletisch gebaute Narn, in ihrer blutroten Robe die von einem Gürtel um den schlanken Hüften gerafft wurde, was ihre schlanke Figur zusätzlich betonte, in den Hauptgang einbog ballte sie die Hände zu Fäusten. Enttäuscht vom Kha´Ri, der in ihren Augen im letzten Jahrzehnt korrupt geworden war, hatte sie keinerlei Hemmungen gehabt sich dieses Schiff zu erschwindeln. Sie hatte lange und aufopfernd für das Regime gearbeitet - und sie war der Meinung, dass man ihr dafür etwas schuldete.

Schon vor einem Jahr hatte sie erkannt, dass ihre Arbeit von Mitgliedern des Kha´Ri gezielt diskreditiert wurde. Vermutlich war sie mit ihren kritischen Fragen und ihrer energischen Art und Weise einigen wichtigen Leuten innerhalb des inneren Kreises unbequem geworden. Schließlich, nachdem sich G´Ryka klargemacht hatte wohin dies führen musste, hatte sie begonnen für ihre eigenen Ziele und Vorhaben zu arbeiten - und dieses Kampfschiff war eines davon.

Um die unlauteren Elemente im Kha´Ri bekämpfen zu können würde sie Geld benötigen. Viel Geld. Denn Geld bedeutete auch auf Narn Macht. Und sie brauchte diese Mittel schnell denn in wenigen Jahren schon würde es vermutlich zu spät sein, sprich: Der neue Kha´Ri würde zu fest im Sattel sitzen um mittelfristig etwas gegen ihn auszurichten. Sie hatte es nie beweisen oder durch begründete Verdachtsmomente untermauern können, doch ihr Instinkt sagte ihr, dass der Kha´Ri von Elementen angeleitet wurde, die sie nicht kannte und deren Drahtzieher keine Narn sein konnten. Aber sie wusste weder wo sie nach solchen Elementen suchen musste, noch wer sie waren, oder welche Ziele sie verfolgten. Aber sie war sich sicher, dass es diese Elemente gab und so mussten sie auch zu finden sein. Irgendwo...

Die Narn, der man ihr wirkliches Alter von bereits mehr als fünfzig Erdjahren kaum ansah, näherte sich dem Schott des Kommandoraums. Dabei wurde ihr bewusst, wie schwer es werden würde, auch nur eine halbwegs vernünftige Besatzung für dieses Schiff zu finden. Momentan bestand die Besatzung gerade mal aus einem guten Dutzend Männern und Frauen, von denen nur die Hälfte von ihrer Heimatwelt stammten. Die Anderen hatte sie auf dem Flug, weg vom Machtbereich der Narn, auf verschiedenen Welten der blockfreien Völker aufgelesen - darunter sogar eine Gaim, der sie eben den Marsch geblasen hatte. Und da hieß es diese Insektoiden besäßen ein besonderes technisches Talent...

Am Schott zur Kommandozentrale angekommen blieb die Narn stehen und atmete tief durch. Das Feuer in ihren glutroten Augen wirkte nun eher gefährlich denn wütend und ein unvoreingenommener Beobachter hätte ihr Alter in diesem Moment auf bestenfalls Mitte bis Ende Dreißig geschätzt. Sie glaubte nicht, dass man auf LOOKOUT wusste wer ihr Vater gewesen war, und sie selbst würde es keinem auf die neugierige Nase binden. Er hatte vor mehr als einem Jahrzehnt bereits sein wichtigstes Shon´Kar – seinen Blutschwur Londo Mollari betreffend – erfüllt und er war selbst dabei ums Leben gekommen; seinerzeit auf Centauri-Prime.

G´Ryka hoffte inständig, dass er dabei seinen Seelenfrieden gefunden hatte. Er hatte gerade noch die Fertigstellung von LOOKOUT miterlebt vor seinem Tod.

Die Narn schüttelte diese Gedanken ab und rief sich innerlich zur Ordnung. Je weniger sie demnächst auf der Transferstation der Erd-Allianz auffiel desto besser für sie. Sie war guten Mutes auf dieser Station genau den Schlag Leute zu finden, den sie suchte. In dieser Hinsicht ähnelte LOOKOUT verblüffend der legendären Station BABYLON-5, die es seit kurz vor Indienststellung dieser Transferstation nicht mehr gab.

Das Funkeln ihrer Augen wurde um eine Spur intensiver, als sie ihre Hand auf den Öffnungskontakt legte, und gleich nachdem sich das Schott geöffnet hatte in die Zentrale eintrat.

Hier, im funktionell aussehenden Nervenzentrum des Raumschiffes, das kleiner war, als man es bei einem Raumschiff dieser Größe vermuten würde, waren ganze vier Lebewesen dabei, die Instrumente zu überwachen und gegebenenfalls einzugreifen. Für gewöhnlich verliefen Flüge durch den Hyperraum ziemlich ruhig, um nicht zu sagen langweilig. Nur wenige Eingaben waren zu tätigen bis das Raumschiff sein Ziel erreichte und in den Normalraum wechseln würden.

G´Ryka blickte auf den Hauptbildschirm im Frontbereich der in zwei Stufen angeordneten Bedienelemente und geriet beim Anblick des Hyperraums ins Sinnieren. Ungeachtet seiner Herkunft, ungeachtet welcher Abstammung, das ewige und unendliche Universum wirkte auf fast alle Wesen gleich ehrfurchtgebietend. Zumindest solange man sich im Normalraum aufhielt und nicht, so wie die NE´VAR momentan, im Hyperraum.

Hier, so überlegte die Narn, fanden die meisten Raumfahrenden Lebewesen ganz andere Worte für das Universum, als da waren: Chaotisch, Bedrohlich, Unwirklich.

Jedoch wirkte er auf Wesen, die sich länger mit diesem Kontinuum befassten, auch auf eine gewisse Weise erhaben und geradezu ästhetisch. Um nicht zu behaupten ätherisch.

G´Ryka lächelte ironisch bei diesen Überlegungen. Bis zu einem gewissen Grad hatte sie die Angewohnheit ins Philosophieren zu geraten von ihrem Vater geerbt – so wie seine Eloquenz. Wenn auch nicht in vollem Umfang. Genügend jedenfalls um sich im Kha´Ri lange Zeit behaupten zu können, so wie auch er. Doch diese Zeit lag nun endgültig hinter ihr. Irgendetwas hatte sich im höchsten Gremium der Narn signifikant verändert, und sie, G´Ryka, würde schon sehr bald herausfinden warum. Immerhin war sie die Tochter ihres Vaters und auch er hätte keine Ruhe gegeben, um diesem Mysterium, das sie nun umgab, auf den Grund zu gehen. Sie spürte dabei einen schweren, unheimlich gefährlichen Hauch, der sie unsichtbar zu umgeben schien. Eine neue Macht sammelte seine Kräfte und holte zu einem Schlag aus, das fühlte G´Ryka beinahe körperlich. Doch noch konnte sie nicht sagen um wen es sich handelte, oder aus welcher Richtung der erste Schlag erfolgen würde. Dass dieser erste Schlag bereits ausgeführt worden war ahnte die Narn dabei zu diesem Zeitpunkt noch nicht.

 
 

* * *

 

Eireene Connally schlug die Augen auf, atmete tief durch und blickte sich dann gehetzt um. Ihr Blick wanderte suchend von Rechts nach Links. Kisten, Fässer und Frachtcontainer war jedoch das einzige was sie erkennen konnte. Keine Spur von irgendwelchen Verfolgern oder den Mördern an ihren Kameraden. Doch der blonden Frau in der mitgenommenen Uniform eines Lieutenants der Erd-Allianz war sich nicht sicher, ob diese Verbrecher ihre Spur wirklich verloren hatten.

Ungemütlich ist es hier nicht, dachte Eireene und rieb die Hände an einander. Aber verdammt noch mal viel zu kalt.

Es war dunkel, dreckig und verlassen dazu, doch Letzteres war der blonden Frau gerade recht. Im Grunde konnte sie, angesichts der Fährnisse die hinter ihr lagen, froh sein, dass sie überhaupt noch lebte. Denn bereits das war schon so etwas wie ein kleines Wunder.

Dumpf vor sich hin grübelnd strich sich die zierliche Frau eine Strähne ihrer schulterlangen Haare aus dem Gesicht hinter das rechte Ohr und berührte dabei versehentlich die frische Wunde an ihrer Schläfe. Augenblicklich zuckte sie zusammen und stöhnte unterdrückt auf.

Verdammtes Piratengesindel!

Sie horchte diesen Gedanken nach, die ihr durch den Kopf jagten und sie lachte lautlos und verzweifelt auf. Was sie erlebt hatte das konnte, je länger sie darüber nachdachte, kaum das Werk von typischen Piraten sein. Unbekannte, unter ihnen Telepathen, hatten sieben betagte Kreuzer der ALPHA-KLASSE gekapert. Betagt aus der Sicht der Erd-Allianz und ihrer neueren hochmodernen Einheiten – in den Händen verbrecherischer Wesen aber nicht zu unterschätzen. Sie war gefoltert worden, physisch sowie psychisch, und zwar durch Menschen. Ein hagerer Telepath hatte ihr Bewusstsein beinahe auseinander gerissen und in jedem Winkel ihres Gedächtnisses nach den Informationen gesucht, von denen dieser Verbrecher angenommen hatte sie würde über diese verfügen. Doch sie hatte rein gar nichts gewusst was diesen verbrecherischen Piraten und Mördern weitergeholfen hätte. Zum Glück. Genau deshalb hatte ihr Peiniger auch irgendwann von ihr abgelassen. Später hatte sie fliehen, und mit Hilfe zweier Kameraden, die nun vermutlich tot waren, den Kreuzer, an Bord eines ausgedienten Shuttles welches an Bord der KLOTHO verblieben war, fliehen können. Gerade noch, bevor das Schiff, zusammen mit allen anderen überfallenen Kreuzern, in den Hyperraum wechselte.

Vier Tage lang war die blonde Frau mit Unterlicht durch das All geflogen bis sie, beinahe völlig entkräftet, in dem Sternensystem mit der Kolonie der Brakiri angekommen war. Von dort aus schmuggelte sie sich, nachdem sie sich auf einem belebten Markt etwas Essen und Fruchtsaft gestohlen hatte, schließlich als Blinder Passagier in dieses altersschwache Transportraumschiff, auf dem Weg zu einer irdischen Transferstation im Vrintana-System. Sie war müde und sie zitterte erbärmlich, und irgendwann wurde ihr geschwächter Körper von einer gnädigen Ohnmacht erlöst die sie für die nächsten Stunden wenigstens etwas zur Ruhe kommen ließ.

 
 

* * *

 

G´Ryka saß im Pilotensessel jenes alten Drazi-Landungsbootes, das man baulich so verändert und zudem auf klapperig getrimmt hatte, dass man es nicht mehr ohne weiteres als solches identifizieren konnte, und wartete im Haupthangar auf die Startfreigaben. Nach fast zwei Wochen hatten sie es schließlich doch in das Vrintana-System geschafft.

„Raumfenster öffnet sich in wenigen Zeiteinheiten direkt über Vrintana-7“, meldete die Drazi-Pilotin der NE´VAR, von den Steuerkontrollen der Kreuzer-Brücke. Der Pilotin behagte ihre momentane Aufgabe nur wenig, was G´Ryka am Klang ihrer Stimme erkannt hätte, wäre ihr dieser Umstand nicht längst bewusst gewesen.

G´Ryka verstand dies, denn die Drazi hatte bis vor kurzer Zeit doch nur Erfahrung mit kleineren Transportschiffen gehabt. So wurde jeder Hyperraumsprung - zumindest war das G´Rykas Ansicht - zu einem Risikoeinsatz. Auch was die Navigation betraf, denn dasselbe traf auf jenen Narn mittleren Alters zu, der diese Aufgabe momentan ausübte. Bisher war es gutgegangen.

Die Kommandantin des Kreuzers rief sich ins Gedächtnis, was sie über das Sternensystem wusste, dass die Transferstation LOOKOUT beherbergte.

Der siebte Planet, den sie nun bald erreichen würden war, ebenso wie der sechste, ein Gasriese. In einem mittleren Abstand von knapp 500.000.000 Kilometern umlief er den gelben Hauptreihenstern vom Typ G-5. Da die Bahn des vierten Planeten extrem ellipsoid verlief, war er momentan jedoch nur etwa 387.000.000 Kilometer von seiner Sonne entfernt. Zudem näherte sich der dritte Planet, jener in dessen Orbit LOOKOUT errichtet worden war, der nächsten Annäherung. Ideal also, um unbemerkt im Ortungsschatten des Gasriesen in den Normalraum einzutauchen. Kurz vorher würde G´Ryka den Kreuzer verlassen und ganz offiziell durch das Sprungtor, am LaGrange-Punkt L-5, dicht bei LOOKOUT, vor der Station aufkreuzen und, als Händlerin getarnt um Andockerlaubnis bitten.

Gleich darauf meldete sich die Stimme der jungen Drazi.

„Kommandantin: Noch zwanzig Sekunden. Ausschleusen Ihres Beibootes in fünf... vier... drei... zwei... eins... JETZT!“

G´Ryka startete das Beiboot und schoss hinaus in das rötliche Wabbern des Hyperraums. Kurze Zeit später verschwand die NE´VAR planmäßig von den Anzeigen ihrer Instrumente. In Gedanken grimmig nickend nahm G´Ryka Kurs auf das Sprungtor, dass sie in weniger als einer Minute erreichen würde. Was würde sie auf der Station erwarten?

Ein Summton riss die Narn aus ihren abschweifenden Gedankengängen. Das Shuttleschiff hatte sein Ziel erreicht und G´Ryka gab, beinahe wie in Trance, eine Codereihenfolge ein um das Hyperraumsprungtor zu aktivieren. Vor dem Schiff bildete sich ein bläulich glühender Hyperraum-Vortex, in dessen Zentrum ein gähnendes, schwarzes Loch sichtbar wurde - ein sichtbarer Ausschnitt des normalen Weltraums, in den hinein der Hyperraum das kleine Schiff gleich ausspeien würde.

G´Rykas Shuttle hielt darauf zu und wurde beim Passieren des bläulichen Tunnels signifikant verzögert, wovon die Narn nicht das Geringste spürte, da innerhalb des Tunnels noch immer nicht die physikalischen Gesetzmäßigkeiten des Normaluniversums galten.

Die Narn starrte wenig später, mit brennendem Blick, durch die gepanzerte Cockpitscheibe, auf die Andocksektionen der Station, die in diesem Abstand wie ein Kinderkreisel aussah. Beeindruckend war sie zweifellos wenn auch längst nicht so imposant wie BABYLON-5 damals, als die Station noch existierte, auf anfliegende Besucher gewirkt hatte.

Eine unpersönlich klingende, menschliche Stimme ertönte aus den Lautsprechern der Konsole, kurz nachdem sie um Einflugerlaubnis gebeten hatte. G´Ryka vermutete anhand des sonoren Klanges, dass es sich bei ihrem Besitzer um einen Mann handelte.

„Hier LOOKOUT-Kontrolle: Reihen sie sich bitte in die Warteschleife ein. Wir sagen Ihnen Bescheid, wenn sie zum Einflug in einen der unteren Stationshangars freigegeben werden. Danke.“

G´Ryka bestätigte und gestattete sich ein genervtes Seufzen angesichts der sichtbaren Ansammlung von Raumschiffen vor der Station. Es würde vermutlich einige Zeit dauern, bis ihr Shuttle einem der Hangars zugewiesen werden würde.

 
 

* * *

 

Ein lautes Rumpeln ließ Eireene Connally aufschrecken. Sie hatte sich auf dem Boden zusammengekauert. Wie lange sie dort ohnmächtig gelegen hatte konnte sie nicht sagen und auch ob sie währenddessen geträumt hatte war ihr nicht bewusst. Ihr kam es nicht so vor.

Noch etwas benommen versuchte sie wieder vollkommen zu sich zu kommen, und sich, noch etwas wackelig auf den Beinen, zu erheben. Kaum aufgestanden lenkte die junge Frau ihre Schritte zu einem der kleinen Fenster im hinteren Teil des Frachtraumes. Der Blick hinaus war, während der Zeit des Fluges die Eireene wach verbracht hatte, ihre einzige Abwechslung gewesen. Obwohl man das rotglühende Chaos des Hyperraums nicht wirklich als Abwechslung bezeichnen konnte, war es doch immerhin etwas gewesen.

Kaum am Fenster angelangt schnürte das was sie dort sah ihr die Kehle zu. Stahl - überall. Andere Schiffe, Lichter und Personen überall um sie herum.

Eireene Connally unterdrückte ein panisches Schreien, als ihr klar wurde was das alles zu bedeuten hatte. Panik entdeckt zu werden, von der Crew des Schiffes, stieg in ihr auf. Hastig huschte sie zwischen einigen Kisten hindurch und fiel fast hin als sie versuchte sich zu verstecken. Hinter einem Stapel Transportkisten gekauert atmete Eireene erst einmal tief durch und spähte um die Ecke. Sie hatte immerhin LOOKOUT erreicht - jetzt stellte sich nur noch die Frage, wie sie unerkannt, und möglichst auch unbemerkt, auf die Station gelangen konnte. Sie hatte Zeit gehabt zu überlegen, während ihrer abenteuerlichen Odyssee, und ihr war klar geworden, dass ein Überfall, wie der auf sieben Kreuzer der Erdstreitkräfte die zur Demontage überführt werden sollten, nicht ohne Informanten in hohen Positionen durchgeführt werden konnte. Wem konnte sie also trauen, und wem nicht?

Irgendwie musste sie es schaffen unbemerkt auf die Station zu kommen, wenn sie überleben wollte, dessen war sie sicher, auch wenn sie nur einen groben Plan von dem hatte, was danach passieren und wie es dann weitergehen sollte. Langsam formte sich in den Gedanken der jungen Frau ein Plan. Er war risikoreich aber mit sehr viel Glück und einer guten Portion Unverfrorenheit würde er vielleicht klappen.

Sie eilte in Richtung Ausgang. Ihre heruntergekommene Kleidung versteckte sie unter einem langen, schwarzen Kapuzenumhang, den sie irgendwo entwendet hatte. Ihre blonden Haare band sie dabei hastig nach Hinten und verbarg sie unter der weiten Kapuze. Sie schlich hinter einigen Frachtkisten geduckt in Richtung Schott. Kaum hatte sich der Zugang geöffnet warf sie einen schnellen Blick durch die Öffnung und huschte dann unauffällig hindurch, als sie für einen Moment unbeobachtet war. Dabei bemerkte sie nicht, dass eine Narn, die gerade dabei war die Sicherheitssperre zu durchschreiten, ihr Tun sehr interessiert beobachtete.

 
 

* * *

 

G´Ryka stellte ironisch fest, dass die Bürokratie auf LOOKOUT schon mal wie erwartet funktionierte. Eine geschlagene halbe Stunde hatte sie der zuständige Operations-Offizier von LOOKOUT warten lassen, bevor er ihr Einflugerlaubnis gab. Einerseits stellte diese halbe Stunde ihre Geduld auf eine harte Probe - andererseits war es nicht ungünstig zu einem Zeitpunkt zu erscheinen, wo hier verstärkter Frachterverkehr herrschte. Um so weniger aufdringliche Fragen würde man ihr hier auf der Station stellen.

Nachdem sie sich in den Strom der verschiedensten Wesen eingereiht hatte, die beim Betreten der Station kontrolliert wurden, schritt sie langsam auf die Sicherheitsbeamten zu. Ihre ID-Card wurde problemlos anerkannt. Sie wurde lediglich von dem menschlichen Beamten freundlich darauf hingewiesen, dass ihre Identicard ein Update vertragen könne.

Noch während sie die Karte von dem jungen Beamten zurück bekam fiel ihr etwas auf, ohne zunächst sagen zu können was es genau gewesen war. Vielleicht war es etwas, dass sie aus den Augenwinkeln beobachtet hatte, also blickte sie nun forschend über den breiten Gang hinweg zum Ausgang der nächsten Andockrampe. Offensichtlich gingen die Beamten dort recht lässig zu Werke, denn, im Gegensatz zu ihr, fiel beiden nicht auf, dass ihnen eine unauffällige verhüllte Gestalt gerade entwischt war. Die Person war scheinbar darum bemüht unbemerkt auf die Station zu gelangen, und in G´Ryka erwachte ein seltsames Interesse daran, warum. Möglicherweise nur deswegen, weil auch sie selbst nicht gerade erpicht auf ungeteilte Aufmerksamkeit war.

Sie dankte dem Beamten flüchtig und bog dann schnell in den Gang ein, um der verhüllten Gestalt, die einen recht schlanken Eindruck auf sie machte, zu folgen. G´Ryka wusste nicht zu sagen warum, aber irgendeine innere Stimme riet ihr dazu.

Währenddessen lief Eireene Connally, ahnungslos, dass sie die Aufmerksamkeit einer Narn erregt hatte, einen, von der Andockbucht wegführenden, weniger zentralen Korridor der Station entlang. Obwohl ihr Gang eher an den schleichenden Gang eines Raubtieres erinnerte als an einen normalen, menschlichen Schritt. Als sie sich nach einigen Minuten sicher war, dass ihr kein Mitglied des Sicherheitspersonals gefolgt war, wurde Eireene zusehends langsamer. Mit einer schnellen Handbewegung langte sie in die Tasche ihres Mantels und holte eine silbern glänzende Flasche hervor, öffnete den Verschluss und nahm einen großen Schluck. Die kalte, klare Flüssigkeit brannte leicht in ihrer Kehle. Sie hatte auch diese Flasche irgendwo im Frachtraum des Schiffes, das sie hergebracht hatte, aufgetrieben und nicht gefragt was ihr Inhalt war. Sie hatte etwas trinken müssen. Im Gehen strich sich die Blondine ihre zerschlissene Kleidung grade und steckte die Flasche zurück in die Seitentasche.

Schnelle Schritten hinter ihr ließen Eireene aufmerksam werden. Mit ungutem Gefühl in der Magengrube drehte sie sich um und bemerkte, dass sie wohl schon seit einiger Zeit verfolgt wurde. Sie erkannte das scharf-geschnittene Gesicht einer Narn. Die kräftig gebaute, außerirdische Frau, deren Alter Eireene Connally auf etwa Ende Dreißig bis Mitte Vierzig, nach irdischer Zeitrechnung, schätzte, war ebenfalls stehen geblieben, vielleicht drei Meter von Eireene entfernt, und musterte sie mit offensichtlichem Interesse.

Warum war dieses Wesen ihr gefolgt? War sie Eireene überhaupt gefolgt oder war das alles nur Zufall? Zu viele unbeantwortete Fragen hatten die sprunghafte Blondine schon als Kind verwirrt. Vielleicht sollte ich einfach nur hier stehen bleiben und abwarten? dachte sie.

Für einen langen Moment standen die beiden so unterschiedlichen Frauen fast regungslos da und starrten einander an. Doch dann siegte Eireenes Paranoia der letzten Tage über ihre Ratio. Sie machte plötzlich auf dem Absatz kehrt und lief schnurstracks in die entgegengesetzte Richtung davon. Dabei suchte Eireene nach einer Lösung, denn auf einen Kampf einlassen wollte sie sich nicht mit der Unbekannten, da ihr durchaus klar war, dass diese ihr körperlich überlegen war, und einfach weiter rennen konnte sie auch nicht.

Mit ihrer Verfolgerin auf den Fersen bog sie um eine Ecke und erschrak, denn am Ende dieses Ganges erspähte sie eine Gruppe von Sicherheitsoffizieren.

Sich endgültig von ihrer Ratio verabschiedend schrie die Blondine plötzlich aus Leibeskräften um Hilfe.

Aufmerksam werdend drehten sich die vier Männer in Eireene Connallys Richtung.

Sie rannte schnell auf die etwas verdutzt wirkenden Männer zu. „Hilfe! Bitte, helfen sie mir, diese Narn verfolgt mich!“

Kaum bei den Männern angekommen tat die junge Frau ihr Bestes um möglichst hilflos zu erscheinen, wobei sie erneut schrie: „Hilfe! Sicherheit! Diese Frau stellt mir nach!“

Das ängstliche Zittern in ihrer Stimme hörte sich geradezu verblüffend real an. So real, dass ihr das Sicherheitspersonal die Rolle der armen Überfallenen sofort abnahm.

Innerhalb kürzester Frist hatten sich drei der vier Männer um die, etwas überrascht dreinblickende, Narn gescharrt.

G´Ryka hob beschwichtigend ihre Hände und erklärte, dass sie überhaupt nichts getan hatte, um eine solche Reaktion der Blondine herauszufordern.

„Stellvertretender Chef der Sicherheit Craig Hiller“, stellte sich indessen der Mann bei Eireene Connally vor.

Ein Lächeln kam über Eireenes Lippen.

„Ich bin froh, dass Sie zufällig in der Nähe waren“, flüsterte die Blondine leise, wobei sie um den Oberkörper des Mannes herum der Narn einen kurzen, hämischen Blick zuwarf. „Halten sie diese Stalkerin bitte von mir fern.“

„Wir kümmern uns darum“, versprach Hiller ernst und wandte sich zu der Narn, was Eireene Connally die Gelegenheit verschaffte unauffällig in der Menge unterzutauchen. Das letzte was sie mitbekam war, dass sich Hiller zu der Narn begab und sie dazu aufforderte, ihm und seinen Leuten zu folgen.

Im Grunde tat der Blondine diese Narn leid. Vielleicht wollte sie ihr wirklich gar nichts Böses, und nun steckte sie in diesem Schlamassel, nur wegen ihr. Momentan war jedoch nicht der richtige Zeitpunkt für uneingeschränkte Nächstenliebe und außerdem hatte sie das ja nicht aus böser Absicht getan, sondern aus reiner Selbsterhaltung – das redete sie sich zumindest ein während sie schnell diesen Ort hinter sich ließ.

 
 

* * *

 

Der Mensch in der Uniform des Sicherheitschefs von LOOKOUT verdrehte die Augen und musterte die Narn vor ihm mit grimmiger Miene. „Also noch einmal, Miss G´Ryka. Was genau wollen Sie?“

G´Rykas Augen funkelten in einem gefährlich wirkenden Feuer, während sie schnippisch erwiderte: „Von Ihnen?“

Chief Rory Ogalvie Christopher Kilkennan, von seinen Freunden oft nur Rock genannt, beugte sich etwas vor und hielt dem Blick der attraktiven Narn stand. Er hatte von seinem ehemaligen Chef gelernt, dass die meisten Wesen dadurch nervös wurden. Früher hätte sich Kilkennan dies niemals getraut, gerade zu der Zeit nicht, als er noch Alkohol- und Drogen-Abhängiger gewesen war. Doch mittlerweile hatte er diese Phase seines Lebens weit hinter sich gelassen. Zwar glaubte Rory Kilkennan, aufgrund seiner Vergangenheit immer noch, dass er nicht sehr gebildet war, aber er wusste gleichzeitig, dass er einen messerscharfen Verstand besaß. Besonders wenn es um seine Arbeit als Sicherheitsoffizier ging - und dieser Verstand sagte ihm nun, dass diese Narn nicht aus purem Vergnügen auf der Station war. Aber das waren wohl die wenigsten Personen auf LOOKOUT.

Als es dem, in Irland geborenen, Chef der Stationssicherheit zu bunt wurde, beugte er sich noch etwas weiter vor und meinte ernst: „Hören Sie, Miss G´Ryka: Mir ist bewusst, dass ich Ihnen letztlich nichts beweisen kann, denn dann hätte ich Sie längst in eine Zelle geworfen. Also sagen Sie mir schon, was Sie von der jungen Frau wollten, ist das klar?“

Auch G´Ryka beugte sich etwas über den Tisch, so dass sich ihre Nasenspitze nur noch eine Handbreit von der des Menschen befand.

„Ich sagte Ihnen bereits, dass diese Person völlig wirr anfing zu schreien. Offensichtlich war sie nicht ganz bei sich, und wenn Ihr Stellvertreter wichtigeres zu tun gehabt hätte, als sich gleich auf mich zu stürzen, dann hätte er wohl denselben Schluss gezogen. Vielleicht hat sie aber auch noch nie zuvor eine Narn gesehen.“

G´Ryka behielt bewusst für sich, dass die Unbekannte durch das Kontrollnetz der Sicherheit an Bord geschlüpft war. Es würde sicherlich einen Grund dafür geben, und mehr denn je war die Narn entschlossen den Grund dafür herauszufinden.

Sicherheitschef Rory Kilkennan durchschaute einerseits die fadenscheinige Erklärung der Narnfrau, aber er konnte sie andererseits auch nicht widerlegen. Darum seufzte er schwach und entspannte sich bevor er ermahnend zu ihr sagte: „Sie können gehen, G´Ryka. Aber hüten Sie sich davor, heute noch mehr Fremde zu erschrecken, sonst sperre ich Sie am Ende doch noch ein.“

„Ich bedanke mich“, antwortete G´Ryka sarkastisch. Dann erhob sie sich geschmeidig von ihrem Stuhl und marschierte mit grimmiger Miene zum Ausgang hinaus. Erst als sie den Bereich der Sicherheitszentrale hinter sich gelassen hatte, verlangsamte sie ihre Schritte. Dabei überlegte sie, dass das Verhalten der jungen Frau, die ihr dieses Verhör eingebrockt hatte schon ziemlich seltsam war. Da war für einen Moment dieser gehetzte Ausdruck in ihrem Blick gewesen, der bei ihr fast so etwas wie Mitleid geweckt hatte. Dann aber rief sie sich diesen unerhört hämischen Blick im Gang wieder in Erinnerung und ihr Temperament begann erneut zu kochen.

Mit einem der zahlreichen Lifts fuhr G´Ryka in den Freizeitsektor. Es wurde Zeit sich um ein angemessenes Quartier zu bemühen. Und danach würde sie den Haupthandelsplatz der Station aufsuchen. Ihr Vater hatte ihr von diesem Ort erzählt und sie wahr neugierig ihn mit eigenen Augen zu sehen.

Die Narn lächelte grimmig und ballte dabei die Hände zu Fäusten. Und danach würde sie sich auf die Suche nach einer ganz bestimmten Person machen. Wie hatte ihr Vater so oft gesagt: Man sieht sich immer öfter als nur einmal im Leben…

 
 

* * *

 

Der Fremde an der Bar schien sie erst in dem Moment bemerkt zu haben, als sie unauffällig neben ihn getreten war. Als er das Glas in seiner Hand fallen ließ und sie dabei erschrocken musterte fragte sich G´Ryka, was bei den Märtyrern sie sich zuschulden kommen lassen hatte, dass jedes Wesen plötzlich nervös zu werden schien, sobald sie auftauchte.

G´Ryka ignorierte ihn und wandte sich ab, um sich einen Drink zu bestellen, als unverhofft eine, ihr nur allzu gut bekannte, Person in ihr Blickfeld geriet. Jedoch fielen ihr dabei gleichzeitig zwei baumlange Brakiri auf, die sich in diesem Augenblick von ihren Barhockern erhoben.

Die Narn erkannte die verräterischen Bewegungen unter ihre Gewänder um sich darüber klar zu werden, dass sie zu irgendwelchen verborgenen Waffen griffen. Zugegeben, sie mochte diese Menschenfrau, die sie in Schwierigkeiten gebracht hatte, nicht sonderlich, aber sie wollte auch nicht, dass sie ermordet wurde. Zumindest nicht bevor sie selbst sie zur Rede gestellt haben würde.

Die Narn erhob sich daher geschmeidig von ihrem Platz, kaum dass sie sich gesetzt hatte, und umrundete langsam den Tresen.

In diesem Moment hatte sie die Menschenfrau erkannt und zwei große, grün-graue Augen blickten sie erschrocken an.

„Sie...!!“, knurrte die Narn, als sie die Frau beinahe erreicht hatte und fixierte Eireene mit ihren rot funkelnden Augen, und der weibliche Lieutenant begann zu ahnen, dass das den Beginn zusätzlicher Schwierigkeiten bedeuten würde.

Währenddessen war die Narn-Frau für einen Moment mit sich selbst uneins, was sie nun tun sollte, als die Blonde auf dem Absatz kehrt machte und versuchte in der Menge unterzutauchen.

Typisch, dachte G´Ryka und warf einen Blick auf das seltsam konturlosen Gesicht der blonden Frau - so empfand wenigstens sie als Narn es. Fliehende Nase, fliehendes Kinn, fliehende Stirn - und wenn man nicht aufpasst, dann haut der Rest auch noch ab.

Bevor die Unbekannte endgültig verschwinden konnte rief sie, beinahe wütend: „Stopp!“ Dabei blickte sie die junge Frau beinahe hypnotisierend an. Die Tatsache verwünschend, dass sich auch einige andere Wesen nun ihr zuwandten, drängelte sie sich zu der jungen Frau und zischte ihr gefährlich leise zu: „Ich möchte mit Ihnen reden - an einem Ort, der weniger öffentlich ist, als dieser hier. Falls sie wieder flüchten wollen, so seien Sie versichert, dass ich weiß wie Sie auf diese Station gelangten. Es sollte Ihnen vorerst genügen zu wissen, dass ich dem Sicherheitsdienst der Station diese Tatsache nicht bekanntgegeben habe.“

Trotz der gedämpften Stimme klangen die Worte der Narn eher wie ein Befehl, denn wie eine Bitte für Eireene Connally. Sie blickte sie in Richtung des Durchgangs, der zu verschiedenen anderen Etablissements dieses Sektors führte. Schließlich nickte sie.

Der Blick der Narn, die nun dicht vor ihr stand, wanderte immer wieder unruhig zwischen ihr und den beiden Brakiri, die gerade in einem der Gänge untertauchten, hin und her.

Die Blonde war zwar nur ungern bereit so schnell die Flagge zu streichen, nur weil diese Narn es ihr befahl. Doch dann erblickte sie an einem der Zugänge eine schwarz gewandete Gestalt, in Begleitung einiger Sicherheitsoffiziere. Sie hatte dabei plötzlich das unbestimmte Gefühl, dass er irgendetwas von ihr wollte, so dass sie kaum eine andere Wahl besaß.

Schnell schlug Eireene ihre Kapuze noch weiter über und neigte den Kopf weg, so dass ihr niemand ins Gesicht schauen konnte. Sie folgte der energischen Narn.

Beide Frauen bahnten sich einen Weg durch die Masse von Leibern fremder Lebewesen. Im Halbdunkel des Ganges, der zu den Außensektoren führte, blieb sie jedoch stehen und die Narn ergriff das Wort, während sie gleichzeitig ihren Oberarm packte.

„Kommen Sie weiter“, mahnte die Narn und blickte sich in alle Richtungen um. Es schien so, als sei ihnen niemand gefolgt, doch die Brakiri waren, nach G´Rykas Geschmack etwas zu schnell aus ihrem Sichtbereich verschwunden. Und das lag nach ihrer Meinung nicht nur daran, dass die Stationssicherheit auf dem Haupthandelsplatz Präsenz gezeigt hatte.

Während die Frau ihr zu ihrer Rechten folgte, sagte G´Ryka zischend zu ihr: „Hören Sie zu: Ich weiß nicht warum sie ohne Kontrolle auf die Station wollten und es interessiert mich auch nicht. Aber sie erwecken den Eindruck, als wären Sie auf der Flucht vor Etwas oder Jemanden. Möglicherweise könnte ich Ihnen einen Ausweg bieten. Momentan bin ich eigentlich auf der Suche nach weiteren Anwärtern für meine Crew. Ich habe ein eigenes Schiff und Sie wären erst einmal in Sicherheit. Sollten Sie entscheiden, dass das Bordleben nichts für Sie ist dann könnte ich Sie immerhin auf einem entfernten Außenposten absetzen wo Sie keiner kennt.“

Sie bogen um die Ecke in Richtung der Andockbuchten. Hier war die Beleuchtung schummerig und nur wenige Wesen hielten sich hier auf. G´Rykas Blick wurde starr, als sie am Ende des Ganges die Brakiri entdeckte, die ihr auf dem Haupthandelsplatz bereits aufgefallen waren. Und sie hatten sich Unterstützung besorgt, denn sieben weitere Männer und Frauen, ausschließlich derselben Spezies, standen bei ihnen.

Noch hatten diese Gestalten sie nicht entdeckt, und G´Ryka deutete nach vorne. „Verdammt, denen sollten wir nicht unbedingt in die Arme laufen, fürchte ich. Das riecht nach Ärger, wie die Menschen so gerne sagen.“

In diesem Moment entdeckte einer der Brakiri sie und alarmierte seine Freunde.

G´Ryka und ihre Begleiterin bemerkten neben breiten Klingen auch Schockstäbe, welche die Brakiri unter ihren Jacken und Umhängen hervorholten, und die Narn fluchte erbittert: „So hatte ich mir den Besuch hier nicht vorgestellt. Los schon – zurück, das müssen Sklavenhändler sein! Wenn die uns einholen, dann wird der Tag ziemlich übel enden, schätze ich!“

Damit rannten die beiden so verschiedenen Frauen eben den Weg zurück, den sie eben erst gekommen waren und bogen in einen unbelebten Seitengang ab, über den die Narn gedachte, zu ihrem Shuttle zu kommen.

 
 

* * *

 

Von neun Bewaffneten verfolgt, an der Seite einer unbekannten Narn geschah etwas mit Lieutenant Eireene Connally. Sie mochte ansonsten ein beherrschtes Wesen haben, aber in Situationen wie dieser siegte ihre Ausbildung als Offizier der Erdstreitkräfte. Unvermittelt blieb sie stehen und wandte sich zu den Verfolgern um. Entschlossen warf sie den Umhang ab und richtete sich zu ihrer vollen Größe auf. Die Angst in ihrem Gesicht wich blanker Wut und Angriffslust. Nicht einmal die blitzenden Messer und die Schockstäbe in den Händen ihrer Verfolger konnten sie jetzt noch beeindrucken.

Eireene Connally hatte eine Ausbildung im waffenlosen Nahkampf genossen. Ihre Bewegungen erfolgten fast mechanisch. Als der erste Verfolger sie erreichte, schwang dieser sein langes Messer in ihre Richtung.

Sie unterlief den Schlag und entwaffnete den Mann.

Die übrigen Angreifer waren überrascht stehengeblieben, hatten sie doch mit einer solchen Gegenwehr nicht gerechnet. Dennoch waren sie immer noch in der Überzahl und Eireene hatte nur die Narn an ihrer Seite. Hinter sich hörte sie die Narn irgendetwas rufen. Gleichzeitig fielen vom Ende des Ganges Schüsse.

Als der erste Schuss krachte nutzte G´Ryka, die bereits wieder bei der Menschenfrau war, den Moment und schickte einen der Angreifer mit einem Fausthieb in die Magengrube zu Boden.

„Komm endlich mit, du Halbwahnsinnige!“, fluchte die Narn erbittert und zerrte die wild gewordene junge Offizierin mit sich. Erst jetzt erkannte sie anhand ihrer Kleidung, dass sie zu den Erdstreitkräften gehörte, was eine ganze Menge neuer Fragen aufwarf. „Verflucht, jetzt haben wir auch noch die Sicherheit der Station am Hals. Einmal an diesem Tag reicht, finde ich!“

Gemeinsam nahmen sie ihre Flucht wieder auf.

Im Vorbeirennen erkannte G´Ryka an einer der Wandtafeln, dass sie sich auf Höhe der Andockrampe-11 befanden. Sie wusste, dass die Andockrampen unter einander verbunden waren. Hoffentlich schafften sie es zu ihrem Schiff. Ansonsten würden sie sich etwas Drastisches einfallen lassen müssen. Einen schweren Diebstahl zum Beispiel, um mit einem gestohlenen Raumschiff diese Station zu verlassen.

Hinter sich hörte die Narn, dass es einen Tumult gab. Offensichtlich war die Sicherheit der Station heftig mit den Brakiri an einander geraten. Nun, das gab ihnen einen kleinen Vorsprung. Hoffentlich würde er reichen.

Während sie rannten erkannte Eireene, dass sie sich durch ihr unüberlegtes Handeln in neue Schwierigkeiten gebracht hatte, und folgte nun wieder bereitwillig der Narn. Zumindest schienen ihre Verfolger jetzt ihrerseits durch die Sicherheitsbeamten abgelenkt zu sein.

Durch die Gänge schrillten die Alarmsirenen ihre misstönende Begleitung zu ihrer Flucht. Eireene kannte sich auf der Station nicht aus, sah jedoch anhand der Schilder, dass sie in Richtung Andockbuchten rannten. Eine letzte Biegung, dort vorne war das große Schleusentor - welches sich in dieser Sekunde mit einem Grollen vor ihren Augen schloss.

Die Narn fluchte etwas in ihrer Sprache denn die Menschenfrau wäre beinahe dagegen gerannt. Kurzentschlossen schob G´Ryka sie zur Seite und kramte ein unscheinbares Werkzeug aus ihrem Gewand. Mit wenigen Handgriffen hatte sie das Schaltpaneel neben dem Tor aufgehebelt und verursachte ebenso geschickt einen Kurzschluss, nun ließ sich das Tor zumindest durch Muskelkraft ein Stück weit öffnen und die zwei so ungleichen Wesen schlüpften hindurch. Vor ihnen im Hangar stand ihr Shuttleschiff.

Eireene Connally kannte diesen Shuttletyp nicht, erkannte jedoch, dass es sich um eine modifizierte Version des ursprünglichen Typs handeln musste. Vermutlich ein Beiboot.

Sie hetzten die Rampe empor ins Innere des Schiffes. Die Blondine sackte er in sich zusammen, als sie im Innern des Shuttles waren. Die linke Hand presste sie auf eine Stelle an ihrer Hüfte, an der sie von einer Klinge getroffen worden war. Die Verletzung war nicht schwer, aber überaus schmerzhaft. Vermutlich hervorgerufen von einem Lähmungsgift.

„Wer sind Sie eigentlich?“, rief sie der Narn schwach zu.

„Mh´L´Hach!“, fluchte G´Ryka lautstark als sie die Verletzung der Frau bemerkte. „Dafür ist später Zeit – zuerst müssen wir weg von hier.“

Jetzt ging es um Sekunden. Der Narn war klar, dass ihnen LOOKOUT-Kontrolle keine Startfreigabe erteilen würde, und deshalb mussten sie einen Ausbruch ohne versuchen.

Die Narn half der Frau in den Sessel des Co-Piloten. Sie blutete, doch im Moment war nicht die Zeit um großartig darauf zu achten.

Kaum im Pilotensitz aktivierte sie die Aggregate ihres Schiffes und verschaffte sich einen schnellen Überblick.

Als das Schiff bereits abhob, krachte eine männliche Stimme aus dem Funkempfänger, die sie dazu aufforderte, das Manöver abzubrechen.

Mit einem schnellen Griff schaltete G´Ryka ab und beschleunigte das Schiff. Einen Moment später fluchte sie erbittert, während die Menschenfrau fast aus dem Co-Pilotensitz glitt.

„Sie schließen das innere Panzerschott dieser Sektion“, erklärte G´Ryka, die nicht einmal Zeit hatte zur Seite zu schauen, kurz ab. Dann konzentrierte sie sich wieder, wobei ihr klar wurde, wie knapp es werden würde. Sie musste das Schiff um 90 Grad rollen und es gab ein schrammendes Geräusch, als sie das sich schließende Panzerschott passierten. Dann lag die Ausflugsöffnung vor ihnen, deren energetische Sperre Gaspartikel im Innern der Station hielt, feste Materie jedoch ungehindert passieren ließ.

Im nächsten Moment schossen sie aus der Station hinaus, und G´Ryka flog eine scharfe Kehre nach rechts. Weiter beschleunigend blickte sie auf die Anzeigen und murmelte: „Sollte mich wundern, wenn es wirklich so einfach ist.“

Sie beschleunigte das Shuttle mit Maximalwerten. Zwei Minuten später fluchte sie erneut und erklärte ihrer unfreiwilligen Co-Pilotin: „Sie schicken uns zwei Starfury-Jäger hinterher.“

Glücklicherweise reichte ihr Vorsprung aus, um die NE´VAR eine halbe Minute vor den Jägern zu erreichen. Bereits zuvor, als das Schiff hinter dem Planeten zum Vorschein kam, hatte sie Kontakt zum Schiff aufgenommen und befohlen ihnen entgegen zu fliegen.

Die Menschenfrau blickte G´Ryka erstaunt an, als sie den Angriffskreuzer entdeckte. Sie beobachtete atemlos, wie die Narn zwischen dem Doppelrumpf in den rötlich illuminierten Fronthangar einflog. Nur unbewusst nahm sie wahr, dass es schwere FRAZI-Jäger im Hangar gab.

Gleich nach ihrem Einflug wendete die NE´VAR und nahm Fahrt auf, und zehn Sekunden, bevor die schwer bewaffneten Jäger der Station in Schussweite kamen, öffnete das Schiff ein Hyperraumfenster um in einem gelb glühenden Wirbel aus Licht im Hyperraum zu verschwinden.

 
 

* * *

 

G´Ryka hatte versucht zu ruhen, viel Schlaf hatte sie allerdings nicht gefunden. Zu viele Dinge gingen ihr im Kopf herum. Sie hatte ursprünglich höchst unauffällig nach LOOKOUT kommen wollen - und dann geriet sie unversehens in eine Schießerei, ein Handgemenge, und konnte sich erst einmal dort nicht mehr blicken lassen. Dabei hätte sie dort wohl die größten Aussichten gehabt, eine Kommandocrew aufzutreiben.

Die Narn stand schließlich auf und beschloss zu duschen.

Während das heiße Wasser über ihren nackten, gefleckten Körper rieselte und sie sich dabei mit einer fango-ähnlichen Masse einrieb, die sich mit dem Wasser verband und zunächst einen bräunlich-grünen Film bildete, dachte sie daran, was sie statt dessen hatte:

Eine Menschenfrau, die in einer zerschlissenen Uniform der Erdallianz herumrannte und nach der Meinung ihres Bordarztes die Anzeichen körperlicher Folter zeigte. Und wohl nicht nur der körperlichen, soweit G´Ryka das in dem Verhalten der Frau feststellen konnte. Noch wusste sie nicht was der blonden Frau widerfahren war, doch das würde sie herausfinden. War sie desertiert? Kam sie aus einem Kampf? Was hatte sie auf der Station zu suchen?

„Wahnsinn!“, entfuhr es G´Ryka, während sie die Masse auch auf ihrem kahlen Kopf verteiltem wobei sie den hinteren Hautknoten, der als erogene Zone galt, sehr vorsichtig behandelte. Es gab nur wenige Nicht-Narn, die wussten, warum Narn selten auf dem Rücken schliefen.

Sie rieb, mit einer Sanftheit, die man einer Narn nicht ohne weiteres zutraute, ihre Brüste ein, deren Fleckenmuster etwas feiner war, als das des restlichen Körpers, wobei sich die Spitzen ihrer fast schwarzen Brustwarzen wohlig kribbelnd aufrichteten.

Während ihre Hände weiter hinunter glitten, überlegte sie, dass sie es mit etwas mehr Ruhe und sorgsamer Suche wohl ein paar fähige Leute auf der Station gefunden hätte. Aber das konnte sie zunächst vergessen, dank der Menschenfrau.

Erneut brandete Wut auf diese Frau in ihr auf. Nach einer Weile jedoch mahnte sie sich zur Ordnung. Irgendetwas von dem was diese Frau erlebt hatte schien mit größeren Ereignissen zusammenzuhängen, da war sich die Narn fast sicher. Vielleicht war es gut erst einmal das Gespräch abzuwarten, das sie mit der Blondine zu führen gedachte sobald sie wieder aus ihrer momentanen Bewusstlosigkeit erwachte. Zumindest war die Tatsache, dass man sie nun offiziell suchen würde - daran zweifelte G´Ryka nicht - ein Vorteil. Es würde ihr kaum etwas Anderes übrig bleiben als sich ihr anzuvertrauen und die Wahrheit zu sagen. Vielleicht konnte sie selbst dadurch noch etwas aus ihrer misslichen Lage machen. Grübelnd überlegte G´Ryka wer einem Lieutenant der EA derart zugesetzt hatte und warum. Was wusste diese blonde Frau oder was hatte sie gesehen oder erlebt, das nicht allgemein bekannt werden sollte?

Nachdem der grün-braune Film sich auflöste und kleine Bläschen zu werfen begann, wusch G´Ryka ihn von ihrem Körper, wobei nicht nur sämtliche Verunreinigungen der Hautporen vom Körper gespült, sondern auch ein angenehmer, wenn auch für andere Humanoide etwas herber Duft freigesetzt wurde. Ihre Hände bewegten sich dabei zum Schluss an ihren langen Beinen, mit den durchtrainierten Fesseln, und den etwas blasser gefleckten Füßen hinunter.

Eine Weile blieb sie noch unter dem heißen Wasser stehen und schloss sinnend die Augen, bevor sie das Wasser abdrehte und die Trockenvorrichtung aktivierte. Eine leichte Ultraschallmassage unterstützte dabei die anregende Wirkung der Masse, die sie beim Duschen benutzt hatte. Mit federnden Schritten verließ sie die Nasszelle und schritt zum Wohnbereich.

Nachdem sie eine dunkelbraune Lederhose, gleichfarbige Stiefel und ein schwarzes, dehnbares Lederhemd angezogen hatte, das sich eng um ihre fraulichen Formen schmiegte, warf sie sich eine leichte Lederjacke mit hochgestelltem Kragen über, die etwa denselben Farbton, wie Schuhe und Hose besaß und machte sich dann auf den Weg zum Lazarett. Sie wollte gerne dabei sein, wenn ihre Patientin erwachte, und sie unter vier Augen sprechen. Sie hatte den unbestimmten Eindruck, dass sie dabei neue Erkenntnisse gewinnen würde. Man würde sehen.

Als sie die Krankenstation erreichte war außer der Menschenfrau nur der Bordarzt, ein Narn der auf den Namen Va´Kar hörte, anwesend. G´Ryka gab ihm einen Wink, damit er sie beide allein ließ. Sie musterte die Frau im Bett und setzte sich zu ihr. Es dauerte jedoch noch eine geraume Weile, bis die Frau erwachte und die Augen aufschlug.

Als Eireene Connally aus ihrer Bewusstlosigkeit erwachte blickte sie direkt in das gefleckte Gesicht jener Narn die sie nur allzu gut in Erinnerung hatte und die sie mit ernster Miene ansah. Für einen Moment lang ging der blonden Frau die sarkastische Frage durch den Sinn, ob Narn überhaupt zu einem anderen Gesichtsausdruck fähig waren. Dann überfiel sie wieder die Erinnerungen an die Tage ihrer Flucht. Ein wenig orientierungslos blickte sie sich um und fragte leise: „Wo bin ich?“

G´Ryka verdrehte kurz die Augen. „Warum fragen Menschen immerzu?“

Sie räusperte sich und meinte dann: „Um Ihre Fragen zu minimieren: Sie befinden sich auf einem Narn-Kreuzer der TH´NOR-KLASSE. Er gehört mir, könnte man sagen, und eigentlich war ich auf LOOKOUT um eine Kommandocrew anzuheuern. Wir mussten, dank einer etwas sehr merkwürdigen Menschenfrau, ziemlich überstürzt von der Station verschwinden, wie sie sicherlich noch wissen werden, nicht wahr?“

Die Narn-Frau beugte sich etwas nach vorne und machte ein ernstes Gesicht. „Nun, die gute Nachricht ist, dass wir, mehr oder weniger, wohlbehalten auf der NE´VAR angekommen sind - die schlechte ist: Durch unseren überstürzten Aufbruch von der Station und den Verwicklungen dort, werden wir vermutlich von der Erd-Allianz gesucht.“

G´Ryka bemerkte den drängenden Ausdruck in den Augen der Frau und fügte beruhigend hinzu: „Das muss uns nicht weiter kümmern, und...“

Eireene Connally unterbrach die Narn und meinte drängend: „Es tut mir leid dass Sie in diese Angelegenheit hinein gezogen wurden, aber ich konnte es auf der Station nicht riskieren erkannt zu werden. Hören Sie – es ist möglicherweise eine Verschwörung auf Regierungsebene der Erd-Allianz im Gange und ich muss mich dringend mit einem Offizier einer ganz bestimmten Einheit treffen. Dazu müssen Sie mich in die Nähe eines Raumsektors bringen, der sich etwa einhundertfünfzig Lichtjahre entfernt befindet.“

Die Narn blickte erstaunt über das eben gehörte. Dann verlangte sie: „Erzählen Sie mehr.“

„In Ordnung, aber aus dienstlichen Gründen darf ich Ihnen gewisse Details nicht preisgeben. Mein Name ist Eireene Connally. Ich bin First-Lieutenant der Erd-Allianz und war zuletzt auf dem Kreuzer EAS KLOTHO stationiert. Der alten KLOTHO, die ich, unter dem Kommando von Commander Jason Hrrurfuhruhurr, als Teil einer Überführungscrew, zusammen mit sechs weiteren Kreuzern der ALPHA-KLASSE, zur Demontage ins Sonnensystem bringen sollte. Wir wurden auf dem Weg dorthin von einer uns unbekannten Macht überfallen. Mir gelang die Flucht, um von diesem Überfall berichten zu können. Was aus meinen Kameraden und den Schiffen geworden ist, das weiß ich nicht. Nur dass die Unbekannten Menschen sind und Telepathen in ihren Reihen haben. Sie haben mich auf physische und psychische Art gefoltert um mich zu brechen, doch ich wusste nichts von dem, was sie interessierte.“

Ein gefährliches Feuer begann in G´Rykas roten Augen zu leuchten. Was sie soeben erfahren hatte passte zu dem unbehaglichen Gefühl, das sie selbst schon seit geraumer Zeit nicht mehr loslassen wollte.

Die Narn nickte nachdenklich und erklärte ihrerseits: „Zunächst sollten Sie wissen, dass ich auf meiner Heimatwelt zum Zweiten Kreis gehört, und lange Jahre für den Kha´Ri gearbeitet habe. Dabei bin ich, im Laufe der Zeit, einigen Leuten des Ersten Kreises, welche die Regierungsspitze stellt, unbequem geworden, ohne es zunächst bemerkt zu haben. Doch dann, vor einigen Monaten, habe ich erkannt, dass meine Arbeit von Mitgliedern des Kha´Ri gezielt diskreditiert wird. Mir fielen zuvor Unregelmäßigkeiten im Finanz-Haushalt, besonders beim Militärbudget auf, und ich begann kritische Fragen zu stellen. Oftmals mit einigem Nachdruck. Schließlich realisierte ich wohin diese Kampagne gegen mich führen würde und ich begann, meine eigenen Ziele zu verfolgen, solange es sich machen ließ. Auf diese Weise kam ich zu einem Angriffskreuzer der neuen TH´NOR-KLASSE. Doch um die unlauteren Elemente im Kha´Ri bekämpfen zu können, werde ich mehr benötigen, als nur ein Kampfschiff und ein paar Jäger - nämlich Geld. Viel Geld, dass ich unmöglich nur mit Handel verdienen kann. Und ich brauche diese Mittel schnell, denn in wenigen Jahren schon wird es vermutlich zu spät sein, sprich: Der neue Kha´Ri wird zu fest im Sattel sitzen, um mittelfristig gegen ihn etwas auszurichten zu können. Und nach Ihren Worten vermute ich fast, dass die von Ihnen erwähnte Verschwörung weitreichender sein könnte, als wir beide es im Moment ahnen.“

Die Narn sah, dass die Menschenfrau noch nicht ganz wusste, worauf sie eigentlich hinaus wollte. Kein Wunder, denn bisher hatte sie sich noch keiner Person anvertraut.

Ernst fuhr sie fort: „Als Diplomatin im auswärtigen Dienst, und später in der Regierung, hatte ich Einblicke in das, was meine Kollegen auf anderen Welten bewegt. So fiel mir auf, dass den Welten der Blockfreien gewaltige Geldbeträge über diverse Bankengruppen verschoben wurden. Das bringt mich zu dem Schluss, dass etwas sehr Großes im Gange ist. Denn irgendwohin müssen die enormen Geldmittel geflossen sein. Und das über längere Zeit. Wenn ich einen Verdacht aussprechen darf, auch wenn es ungeheuerlich klingt: Eine geheime Organisation ist dabei seine Kriegskasse aufzufüllen. Die große Frage ist: Warum? Wer will losschlagen und gegen wen will man losschlagen? Wenn ich auf die Erde blicke, die zusammen mit der ISA momentan der einzig wirklich ernstzunehmende militärischer Machtfaktor ist, neben den Narn, fällt es schwer das Offensichtliche zu übersehen.“

Die Narn verstummte und überließ es nun der jungen Frau, das Gesagte zu verdauen und die Schlüsse daraus zu ziehen.

Eireene Connally sah G´Ryka intensiv in die Augen. Sie war keine Telepathin aber sie hatte gelernt, andere Wesen einzuschätzen. Diese Narn sagte offenbar die Wahrheit, und mehr noch, sie war von ihren Worten überzeugt. Mit einer solchen Kraft, wie sie die Blondine nur selten erlebt hatte in ihrem jungen Leben. Sie beschloss, den Worten ihrer Gastgeberin zu glauben. Daher brauchte sie nicht lange um zu der selben Erkenntnis zu kommen wie die Narn: „Sie reden nicht von den Minbari. Dieses Volk ist ebenfalls ein größerer Machtfaktor in der Galaxis, sowohl was die Anzahl von Schiffen angeht, als auch die Technologie. Warum also sollte es denn nicht gegen die Minbari gehen?

G´Ryka lächelte schwach. „Man legt sich nicht mit einer solchen Großmacht an, ohne zuvor ihre potenziellen Verbündeten ausgeschaltet zu haben. Während sich die Minbari sicherlich heraushalten werden, wenn die Menschen angegriffen werden, würden die Menschen den Minbari zu Hilfe kommen. Das ist ein bemerkenswerter Unterschied.“

„Aber was ist mit der Interstellaren Allianz?“, gab Eireene Connally zu bedenken. „Die würden doch bestimmt ebenfalls mitmischen.“

„Nicht wenn die Erd-Allianz als Aggressor dastehen würde. Was glauben Sie denn, was die Leute vorhaben, welche die Kreuzer gestohlen haben?“

Erschrocken blickte die Blondine in die Augen der Narn. „Sie haben Recht. Wenn mit diesen Kreuzern Überfälle auf andere Völker verübt würden, dann...“

G´Ryka nickte zustimmend.

„Aber warum glauben sie, es würde genügen den Kha´Ri aufzuhalten? Unabhängig davon das mir noch nicht klar ist wie sie das tun wollen? Außer das sie dafür viel Geld brauchen.“

Bei den Worten der Frau nickte die Narn und erklärte dann: „Ich kann es nicht mit allen gleichzeitig aufnehmen, und ich habe nur ein Kampfschiff mit einigen Jägern der FRAZI-KLASSE. Mir bleibt also lediglich eine Partisanentaktik - und muss mich dabei auf eine Partei konzentrieren um mich nicht zu verzetteln. Ich kenne den Kha´Ri und auch seine Schwachstellen. Zudem bin ich im Besitz einiger Computer-Codes meines Volkes und ich kenne die Flugrouten und die Orientierungspunkte, an denen die Handelsschiffe von und nach Narn Positionsbestimmungen vornehmen. Zudem ist das Narn-Regime nach den Minbari und der Erde momentan die drittstärkste Kraft im bekannten Universum, die Allianz nicht mit eingerechnet. Darum konzentriere ich mich auf diesen Bereich.“

Sie blickte die Menschenfrau offen an und überwand sich dann dazu hinzuzufügen: „Noch etwas zu meiner Person: Ich bin G´Ryka, die Tochter des ehemaligen Botschafters G´Kar. Meine Mutter, Da´Kal besitzt noch immer gute Verbindungen zum Ersten Kreis.“

Die Blonde lächelte schwach. „Wenn Sie mich in den Vac´Tar-Sektor fliegen, dann werde ich Verbindung zu Leuten aufnehmen können, von denen ich annehme, dass man ihnen noch uneingeschränkt vertrauen kann, und die erfahren müssen was ich weiß, G´Ryka. Ich will Ihnen dabei nicht verschweigen, dass man Sie möglicherweise in diesem Fall ebenfalls verhören möchte.“

Nachdenklich antwortet G´Ryka nach einer Weile: „Ich bin einverstanden. Aber Ihre Vorgesetzten sollen sich hüten dabei zu weit zu gehen. Ich rechne fest mit Ihrer Fürsprache.“

Die Menschenfrau nickte schwach, zum ersten Mal erleichtert, seit ihrer abenteuerlichen Flucht von der KLOTHO. „Das verspreche ich. Wie genau sind Sie übrigens an ein Kriegsschiff der Narn gekommen?“

G´Ryka grinste hintergründig: „Die NE´VAR ist ein Experimentalkreuzer von 500 Metern Länge. Als ich noch für den Kha´Ri tätig war, sorgte ich dafür, dass dieses Schiff als Fehlkonstruktion eingestuft wurde, aber das Schiff ist alles Andere als das. Es ist, trotz seiner geringen Größe, schwer bewaffnet, besitzt Hypersprungkapazität, und kann es mit Schiffen aufnehmen, die mindestens doppelt so groß sind. Trotzdem ist es sehr schnell und wendig im Unterlichtflug. Außerdem haben wir drei FRAZI-Jäger. Das Beste daran ist: Man überließ mir das Schiff, da es zum Verschrotten vorgesehen war, und die drei Jäger werden dank geschickter Manipulation meinerseits nicht vermisst. Man glaubt auf Narn, dass die NE´VAR gerade mal so fliegt - kurz vor dem Auseinanderfallen - und dass die Waffensysteme nicht funktionieren. Beides ist allerdings nicht der Fall, obwohl mir die Wartung des Antriebs Sorge bereitet und einen fähigen Waffenoffizier brauchen wir auch noch. Abgesehen von ein paar raffinierten Jagdpiloten, die mit den FRAZI´s umzugehen verstehen.“

Während die blonde Frau diese Informationen interessiert aufnahm, erklärte G´Ryka weiter: „Wenn ich Sie mit Ihren Leuten in Kontakt gebracht habe, so werden wir die Heimatwelt der Gaim ansteuern um einige medizinische Güter dort gewinnbringend gegen Duftstoffe und Biogrundstoffe einzutauschen. Danach plane ich, mit dieser Fracht Centauri-Prime anzusteuern, wo sie hohe Gewinne abwerfen wird. Danach brauchen wir noch einige Ersatzteile für den Antrieb und Nachschubgüter, die wir günstig auf dem Mars bekommen hätten, wären Sie nicht gewesen. Das zwingt mich zu einem Umweg zur Heimat der Drazi.“

Eireene Connally musterte die Narn anerkennend: „Die Konfiguration der NE´VAR dürfte damit ungefähr den Schiffen der Whitestar-Flotte entsprechen, Ihnen aber taktisch unterlegen sein, weil hier Vorlonentechnologie fehlt. Dennoch ein gutes Schiff für schnelle Vorstöße.“

Das Gesicht der Narn verzog sich merkwürdig und nur Eingeweihte wussten, dass sie nun schmunzelte. Dann fragte sie: „Könnten Sie das bitte für sich behalten, wenn wir Sie zu ihren Leuten bringen, Lieutenant?“

Die Blondine lächelte: „Natürlich - und entschuldigen Sie bitte mein paranoides Verhalten auf der Station. Ich bedauere, wenn sie dadurch Schwierigkeiten haben.“

G´Ryka nickte verständnisvoll. Es schien eine universelle Geste zu sein, die bei vielen humanoiden Völkern verstanden und benutzt wurde. Beinahe geschwisterlich legte sie kurz ihre gefleckte Hand auf den Oberarm der jungen Frau. „Ruhen Sie sich jetzt etwas aus, wir werden etwa drei Tage brauchen, bis wir den Vac´Tar-Sektor erreichen. Bis dahin wird Sie unser Bordarzt wieder auf die Beine bekommen haben, denke ich.“

Die Narn erhob sich und verließ den Raum mit federnden Schritten.

Eireene Connally blickte ihr nach und Tränen der Erleichterung rannen über ihre Wangen, ohne dass sie es verhindern konnte. Sie war vorerst gerettet.



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