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Mesmerize Me!

The Play of Snake and Lion
von

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Sams Reise

„Wenn Rache unmoralisch ist und verboten gehört, müsste jeder Richter sein Amt niederlegen.“
 

Unbekannt
 

Die Tage vergingen und nachdem der Tod von Shen und Araphel in ganz Boston die Runde gemacht hatte, gab es neue Kämpfe um die frei gewordenen Posten der Nummer eins und zwei der Unterwelt. Dabei trat insbesondere eine junge Frau, die den Namen Evangeline Whitmore trug und die als einziger weiblicher Mafiaboss für großes Aufsehen erregte. Wer sie gesehen hatte, beschrieb sie als der Inbegriff einer Femme fatale. Schön und gefährlich zugleich. Nachdem die Mason-Familie zerfallen war, riss sie sich kurzerhand sämtliche Schwarzmarktgeschäfte unter den Nagel und auch am Glücksspiel schien sie geschäftlich sehr interessiert zu sein. Man sah sie, wenn überhaupt, immer in Begleitung zweier Bodyguards. Wahre Monstren mit Armen so dick wie Baumstämmen. Sie war die Tochter eines Drogenbosses, der großen Einfluss in diesem Milieu besaß. Auch in Chinatown tat sich etwas, als nämlich ein Chinese namens Kim Long ins Gespräch kam und man vermutete zunächst, dass er die Führung der Triade übernehmen würde. Aber durch die unzähligen Festnahmen und Razzien durch die Polizei und das FBI bekam die chinesische Mafia kaum noch ein Bein auf den Boden. Was Sam betraf, so versuchte er wieder seiner Arbeit nachzugehen, doch es fiel ihm schwer, nach allem wieder Kraft zu finden, um wieder in seine Arbeit als Detektiv zurückzukehren. Das alles weckte so viele Erinnerungen an die Zeit, die er mit Araphel verbracht hatte. Inzwischen ging es ihm ein klein wenig besser, zumindest vegetierte er nicht mehr gänzlich vor sich hin, doch es gab für ihn Ungereimtheiten, die ihm nicht aus den Kopf gingen. Er konnte es sich partout nicht vorstellen, dass Araphel sich einfach eine Kugel durch den Kopf schießen würde, nachdem er Shen erschossen hatte. Das passte einfach nicht zu ihm. Er war ein Kämpfer gewesen und er hätte niemals so ein Ende ausgewählt, weil es einfach nicht seine Art war, einen so feigen Tod zu sterben. Viel eher hätte Sam es ihm zugetraut, dass er bereitwillig in den Flammen verbrannt wäre. Auch sonst war er sich sicher gewesen, dass er Araphel zwar hatte am Boden liegen sehen, aber er konnte sich nicht erinnern, auch Blut gesehen zu haben. Schön und gut, seine Augen waren durch den vielen Rauch nicht in der Lage gewesen, alles zu sehen und sie hatten auch ziemlich getränt, aber er hatte definitiv kein Blut gesehen! Dieser Gedanke wurde zur fixen Idee bei ihm und er begann diesen Gedanken weiterzuführen und fragte sich schließlich eines: wie leicht war es, Dokumente beim Zahnarzt zu manipulieren? Die Leichen waren bis zur Unkenntlichkeit verbrannt, selbst eine DNA-Analyse war unmöglich gewesen, lediglich über die Gebissanalyse hatte man feststellen können, wer die Toten waren. Aber war es denn nicht möglich, dass man die Dokumente manipuliert oder vertauscht hatte und ein Fehler vorlag? Sam begann immer mehr zu zweifeln, denn es gab in seinen Augen einfach zu viele Ungereimtheiten. Und so begann er schließlich weiter nachzuforschen. Nachdem er Agent Kazan, der einen wesentlich kulanteren Eindruck machte als seine Partnerin, ein wenig bearbeitet hatte, hatte er schließlich sämtliche Tatortfotos in seiner Wohnung, die er sich an die Wand klebte und sammelte dazu alles, was er an Informationen hatte. Zwar sprach wirklich alles dafür, dass Araphel tot war, aber er konnte es einfach nicht akzeptieren. Dieses eine kleine Detail, dass der Mafiaboss sich selbst erschossen hatte, passte in seinen Augen einfach nicht. Die Waffe hatte man gefunden. Es war eine Walther PPS Police 9mm x 19, eine beliebte Polizeiwaffe mit maximal acht Schuss. Sam begann zu rechnen. An Shens Leiche waren fünf Stellen gefunden worden, wo er angeschossen worden war. Dann wären also drei Kugeln übrig geblieben. Zwei weitere Einschusslöcher hatte man an zwei Fässern gefunden, in denen offenbar Benzin gewesen war. Gemäß der Vermutung, Araphel hätte also acht Schuss gehabt und mehr nicht, dann hätte er also noch einen Schuss übrig gehabt. Sam ging alles ausnahmslos durch und versuchte angestrengt, die letzte Kugel zu finden, die Araphel abgefeuert hatte. Er war sich sicher, dass Araphel nicht bloß einmal auf Shen geschossen und dann gleich getroffen hätte. Nein, dazu war dieses Monster viel zu flink gewesen, selbst mit dem lädierten Knie.

Immer mehr steigerte er sich in seine Idee hinein, dass da etwas nicht ganz mit rechten Dingen zugelaufen war. Es gab irgendwo ein kleines, aber feines Detail, was die Polizei übersehen haben musste. Sie kannten Araphel nicht, er hätte sich niemals erschossen. Er sprach mit Morphius und Dr. Heian darüber, aber diese hielten sich zurück, da sie Sorge hatten, Sam könnte sich falsche Hoffnungen machen. Sie selbst wussten nicht so recht, was sie darüber denken sollten. Natürlich hatte es sie verwundert, dass Araphel sich einfach erschoss, aber andererseits hatte für den Mafiaboss bereits festgestanden, dass er sterben würde. Wenn er weitergelebt hätte, dann hätte er die Vendetta der Yanjingshe nicht abwenden können. Es sprach einiges dafür und auch einiges dagegen, so war der Tatbestand.

Schließlich bekam er Besuch. Es war Morphius, der inzwischen seinen Decknamen abgelegt hatte und sich wieder bei seinem richtigen Namen Makoto nennen ließ. Er hatte seine kleine Tochter Kaguya bei sich. Ein zweijähriges kleines Mädchen mit schwarzem Haar, großen schwarzen Augen und einem hübschen blauen Kleidchen. Sie hatte ihre kleinen Fingerchen in die Hose ihres Vaters gekrallt, um sich an ihm festzuhalten.

„Tagchen, Sam“, grüßte der 30-jährige, der eine Tüte bei sich hatte. „Sorry, dass ich die Kleine mitbringen musste, aber Yu-chan ist nach San Francisco geflogen, um dort eine Wohnung zu besichtigen und ich muss halt auf sie aufpassen.“

„Ist doch kein Drama, kommt doch rein.“

Sam führte die beiden ins Wohnzimmer. Für Makoto machte er einen Kaffee, die kleine Kaguya brauchte nichts, da ihr Vater vorsorglich ihr Lieblingsgetränk eingepackt hatte. Es war glücklicherweise nicht ganz so chaotisch, nachdem Sam mal wieder aufgeräumt hatte. Trotzdem lagen noch ein paar Fotos herum, die er schnell wegräumte, denn sie waren für das kleine Mädchen überhaupt nicht geeignet.

„Irgendwie ist es schon komisch, dass ihr bald wegzieht“, seufzte Sam und nahm auf dem Sessel Platz. Makoto nahm seine Tochter auf den Schoß, die sich ihrerseits mit einer Stoffpuppe beschäftigte. „Ich meine, wir sind ja alle recht zusammengewachsen und nun…“

„Ja ich weiß, aber… manche Dinge ändern sich halt und nach den ganzen Dingen, die geschehen sind, glaube ich nicht, dass Boston der beste Ort für unsere Tochter ist. In San Francisco wollen wir dann einen Neuanfang machen, eventuell mal heiraten und ein Leben als Familie beginnen. Araphel hatte uns vor unserem Rausschmiss aus der Villa Geld hinterlassen, damit wir uns in San Francisco ein neues Leben aufbauen können. Yu-chan arbeitet schon daran, dass er Arbeit findet. Sein größter Traum ist es ja, Kinderarzt zu werden.“

„Kinderarzt?“ fragte Sam erstaunt.

„Ja, er ist total verrückt nach Kindern.“

„Merkt man ihm gar nicht so an. Er kommt immer so kühl und distanziert rüber.“

„Ach der tut nur so. Er ist ein waschechter Tsundere und wirkt zwar ruppig, aber er ist ein absoluter Romantiker und liebt kleine Kinder über alles. Darum habe ich ja damals alles versucht, damit wir ein Kind bekommen. Und jetzt haben wir unsere kleine Kaguya, nicht wahr?“

Das Mädchen lachte, als Makoto sie scherzhaft zu kitzeln begann. Inzwischen war dieser Blick, der immer etwas von einem mürrischen Stubenkater hatte, gewichen und Makoto wirkte im Allgemeinen befreiter als sonst. Wahrscheinlich weil die Aussicht auf ein besseres und sorgloseres Leben ihm Hoffnung gab.

„Ich war vorhin übrigens im Krankenhaus“, fuhr der Informant fort. „Bonnie liegt nach wie vor im Koma und die Chancen stehen nicht zum Besten, dass sie so schnell wieder aufwacht. Aber Harvey ist inzwischen überm Berg. Als ich ihm erzählt habe, dass alles vorbei ist, war er wahnsinnig erleichtert und Agent James war auch schon im Krankenhaus, um ihn zu besuchen. Er wird wohl nächsten Monat aus dem Krankenhaus entlassen und Chris ist immer noch ziemlich am heulen, dass man echt glauben könnte, Harvey hätte das Zeitliche gesegnet. Und wie geht es dir?“

„Ich arbeite immer noch an meinem Fall. Ich bin mir sicher, dass ich irgendetwas übersehen habe.“

„Sam…“, seufzte Makoto und schüttelte den Kopf, doch der Detektiv wollte sich nicht beirren lassen.

„Was, wenn Araphel seinen Tod nur vorgetäuscht hat und gar nicht verbrannt ist? Ich bin mir sicher, dass er sich gar nicht in den Kopf schießen konnte. Dazu hatte er nicht genug Kugeln.“

„Er hätte das Magazin wieder auffüllen können.“

„Aber als ich ihn da liegen sah, habe ich weder sein Gesicht deutlich genug gesehen, noch war da irgendwo Blut!“

„Es war alles voller Feuer und Rauch gewesen und die Polizei konnte ihn anhand der Zahnabdrücke identifizieren.“

„Wenn man die Dokumente beim Zahnarzt manipuliert, kann man auf diese Weise seinen Tod vortäuschen. Ich bin mir sicher, dass da irgendeine Ungereimtheit ist. Nenne es ein Gefühl von mir, aber etwas stimmt da einfach nicht.“

Makoto sah ihn ein wenig besorgt an, sagte aber nichts mehr dazu. Stattdessen trank er seinen Kaffee aus, setzte seine Tochter ab und stand auf. Dabei stellte er Sam die Tüte auf den Tisch.

„Du gehst wieder?“ fragte der Detektiv überrascht. Hierauf erklärte der Informant ihn, dass er mit Kaguya noch zum Arzt musste. Dabei fügte er noch hinzu „Das ist übrigens für dich. Als Yu-chan und ich in der Villa unsere letzten Sachen abholen waren, kam Victor zu Besuch und meinte, das wäre von seinem Vater. Es ist für dich. Offenbar hatte der Alte wohl Gefallen an dir gefunden und wollte dir eine Aufmerksamkeit schicken, hatte es aber wohl nicht mehr schaffen können. Ich dachte, ich bringe es dir eben vorbei.“

„Äh danke, Makoto. Grüß den Doc von mir, ja?“

Hier stutzte der 30-jährige, als er das hörte. Sam hatte Dr. Heian nie „Doc“ genannt. Die einzige Person, die das je getan hatte, war… Christine. Und das gab ihm nur noch mehr Anlass zur Sorge.

„Sam… machst du dir immer noch Vorwürfe wegen Christine?“

Der Detektiv schüttelte den Kopf und erhob sich, um Makoto zur Tür zu begleiten. Seine eisblauen Augen hatten etwas Melancholisches angenommen, was in der letzten Zeit öfter bei ihm zu sehen war.

„Nein, aber ohne sie wäre ich wahrscheinlich jetzt nicht hier. Sie hat mir das Leben gerettet und sie war die beste Freundin, die man sich wünschen kann. Ich möchte halt nicht vergessen, wer sie für mich und für alle anderen war, deshalb möchte ich ihr Andenken auch in Ehren halten. Den Fury habe ich in meiner Garage sicher untergebracht und ich denke mir halt: wenn ich wenigstens etwas von ihr weiterleben lassen kann, dann verschwindet sie auch nicht endgültig aus dieser Welt.“

„Ja, da hast du wohl Recht. Und ich bin mir sicher, sie wäre sehr stolz darauf, wenn sie wüsste, dass wir leben und es uns gut geht. Na dann… man sieht sich. Yu-chan und ich werden uns auf jeden Fall melden.“
 

Sam kehrte wieder ins Wohnzimmer zurück und widmete sich nun der Tüte, die Makoto dagelassen hatte. Nun packte ihn die Neugier und er wollte es wissen. Was hatte der Patriarch ihm denn schicken wollen? Sam holte ein Paket heraus, auf dem das Wort „Zerbrechlich“ stand. Es war gut und gerne einen Kilo schwer und als er es vorsichtig auspackte, entpuppte sich der Inhalt als eine Flasche Rotwein, eingebettet in Schaumstoff, damit sie perfekt lag und nicht zerbrechen konnte. Etwas überrascht runzelte Sam die Stirn und fragte sich, was der Patriarch wohl im Sinn gehabt hatte, ihm eine Flasche Rotwein zu schicken. Nun, vielleicht war es ja eine Art freundschaftliche Geste, weil er mit Araphel zusammen gewesen war und der Patriarch in diesen eine Art Sohn sah. Und wenn sich Sam richtig erinnerte, hatte Sergej ja zur Hälfte italienische Wurzeln. Da sah es einem Italiener doch ähnlich, als Geschenk eine Flasche italienischen Rotwein zu schicken. Wahrscheinlich war es seine Art zu sagen, dass er ihn als wichtigste Person in Araphels Leben akzeptierte und respektierte. Nachdenklich betrachtete Sam die Flasche und bemerkte, dass das Etikett sehr schön war. Es zeigte einen geflügelten schwarzen Löwen, der wahrscheinlich das Zeichen des Weingutes war. So ein ähnliches Motiv kannte Sam, nämlich den Leone d’Oro, der in Venedig beim Filmfestival verliehen wurde. Nun, da ja nichts mehr an Arbeit für heute anstand, beschloss Sam, die Flasche zu öffnen. Diese hatte sogar noch den guten alten herkömmlichen Korken. Eben ein echt italienischer Wein. Aus dem Schrank holte der Detektiv schließlich den Korkenzieher, entkorkte die Flasche und schenkte sich ein Glas Wein ein. Zwar war er kein Weinkenner, aber er musste zugeben, dass der Wein wirklich gut war. Jedenfalls schmeckte er tausend Mal besser als die Weine aus dem Supermarkt. Wahrscheinlich war es eine ziemlich teure Flasche, das hätte er dem Patriarchen noch zugetraut. Als er sich noch ein Glas einschenkte, wanderte sein Blick immer wieder auf das Etikett. Ein seltsamer Gedanke begann sich in ihn zu regen. Konnte es vielleicht sein, dass Sergej etwa so weit gedacht hatte und es tatsächlich möglich war? Sollte er auf sein Gefühl vertrauen? Nun, es gab nur einen Weg, das herauszufinden. Er musste einfach seinem Gefühl nachgehen und sich Gewissheit verschaffen. Also holte Sam seinen Laptop aus dem Schlafzimmer, schaltete ihn an und begann nach einem direkten Flug nach Italien zu suchen. Er hatte Glück. Er konnte ein Ticket für einen Nachtflug nächste Woche buchen und versuchte herauszufinden, wo das Weingut lag, von wo der Wein herstammte. Doch das war nicht ganz einfach und es kostete ihn eine ganze Weile, bis er die Information erhielt, dass es sich um ein Weingut in der Toskana handelte. Schließlich, als er eine Woche später seinen Flug antrat, begann für ihn eine kleine Odyssee. Denn sein Problem war, dass er kein einziges Wort Italienisch sprach und es nicht viele gab, die ihn auch gut verstanden. Manche sprachen zwar Englisch, aber manchmal hatte Sam große Schwierigkeiten, etwas aus diesem gebrochenen Englisch herauszufiltern. Nachdem er eine Nacht in einem billigen Motel verbracht hatte, fuhr er mit dem Zug weiter in die Toskana, wo er sich einen Wagen mietete und im Ort herumfragte. Dabei zeigte er ihnen auch die Flasche mit dem Etikett, auf denen der schwarze Löwe abgebildet war. Aber wie sich schnell herausstellte, konnten die Leute nicht viel damit anfangen. Einige Male wurde er auch in eine völlig falsche Richtung geschickt, weil die Leute sich nicht ganz sicher waren, welches Weingut denn welchen Namen hatte. Es war eine fürchterlich frustrierende Suche und schließlich war Sam von der ganzen Sucherei müde und erschöpft und ging in ein Café, um etwas zu trinken. Er setzte sich auf die Terrasse, da es angenehm warm und sonnig war trotz der Tatsache, dass es bereits Oktober war. Sam bestellte sich einen Espresso, setzte sich und stellte die leere Weinflasche auf dem Tisch ab.

„Warum mache ich das eigentlich?“ fragte er sich laut und seufzte. Er war müde und der Frust steckte ihm in den Knochen. „Die ganze Zeit suche ich dieses gottverdammte Weingut, ohne einen wirklich triftigen Grund dafür zu haben, eine halbe Weltreise zu machen.“

Dabei musste er wohl so laut gewesen sein, dass es die Aufmerksamkeit eines anderen Gastes erregte, der sich neugierig zu ihm umsah.

„Amerikaner?“ erkundigte sich der Gast, der sich als ein etwas kurz geratener Italiener Anfang 30 mit dunkelbraunem Haar und Bart entpuppte, den man fast schon als Schönling bezeichnen konnte.

„Äh, ja“, bestätigte Sam, der ein klein wenig überrumpelt war. Der Italiener lächelte freundlich und reichte ihm die Hand zur Begrüßung und stellte sich als Antonio Giancomelli vor.

„Ich hörte, Sie suchen eine Weingut?“ erkundigte sich Antonio in einem fast schon fehlerfreien Englisch. Hieraufhin ließ er sich die Flasche zeigen, die Sam schon seit Tagen gefühlt 300 Leuten gezeigt hatte, die ihm aber nie so wirklich helfen konnten. Und als Sam ihm davon erzählte, nickte der Italiener verständnisvoll.

„Toskana hat viele Weingüter. Leute können sich da nicht gut merken, welche wo sind. Aber diese Weine hier kenne ich. Ist gute Wein hier, sehr gute! Il Leone Nero di Sassetta.“

„Il was?“ fragte Sam verständnislos und Antonio übersetzte es ihm.

„Der schwarze Löwe von Sassetta. Das ist die beste Wein von Toskana. Kleines Weingut, sehr schönes Ort!“

Nun regte sich wieder etwas in dem Detektiv. Wenn Antonio schon so gut davon sprach, musste er offenbar wissen, wo es lag.

„Sie wissen, wo das Weingut ist?“

„Si, meine Onkel Costa arbeitet dort. Es gehörte der Camorra-Famiglia, wurde dann aber verkauft. Die Weingut liegen in Sassetta, ist nicht sehr weit. Liegt fast an Meer. Ich fahre gleich hin, meine Onkel besuchen. Ich Sie gerne mitnehmen, Signore.“

Sam, der sein Glück kaum fassen konnte, nahm das Angebot gerne an und so gingen sie wenig später zu Antonios Wagen und fuhren nach Sassetta. Die Fahrt dauerte knapp eine halbe Stunde und in der Zeit fragte der Italiener natürlich nach, was Sam denn auf dem Weingut wollte. Doch so ganz war sich der Detektiv nicht sicher, was er antworten sollte, denn im Grunde war er einfach nur aus einem Gefühl heraus hierhergereist in der Hoffnung, dass das Unmögliche vielleicht doch möglich war.

„Ich dachte mir, ich könnte dort jemanden finden, den ich vor kurzem verloren habe.“

„Und diese Person sollen auf die Weingut sein?“

„Keine Ahnung. Alles, was ich als Anhaltspunkt habe, ist diese Flasche, die mir von einem Bekannten zugeschickt wurde. Und Sie sagten, das Weingut gehörte der Camorra-Familie?“

„Si“, bestätigte Antonio. „Meine Onkel Costa sagte, die Camorras sind eine sehr große Famiglia. Leben sogar in Amerika.“

„Ja. Ich kannte da jemanden, der hieß Sergej. Er hat mir nach seinem Tod die Weinflasche zuschicken lassen.“

„Ah, il patriarca. Er kam oft mit seiner famiglia nach Sassetta. Meine Onkel mochte ihn sehr. Sagte, er spreche Italienisch wie eine Amerikaner, aber die Leute mochten ihn.“
 

Schließlich erreichten sie das Weingut, nach dem Sam seit Tagen vergeblich gesucht hatte. Es war, wie Antonio sagte, ein kleines Weingut, aber es hatte etwas sehr Heimeliges und Einladendes. Hinter einem Tor stand befand sich das Haus. Es war ein großes Gebäude in einem rustikalen toskanischen Stil mit Fensterläden in einem wunderschönen mediterranen Garten. Ein weiteres Haus stand nicht weit entfernt und dort wurden, wie Antonio erzählte, die Weinfässer gelagert. Teile der Hauswände waren mit Weinreben bewuchert und Sam staunte nicht schlecht. Er hatte ja schon einiges davon gehört, dass die Toskana sehr schöne Orte zu bieten hatte, aber dieses Weingut hatte wirklich etwas Verträumtes und Romantisches.

Er folgte Antonio zum Haupteingang, wo auch schon ein etwas älterer Mann herbeikam, dessen Haare schon zu ergrauen begannen, genauso wie sein Schnauzbart. Der Mann begrüßte Sam mit derselben italienischen Herzlichkeit und empfing Antonio mit einer Umarmung. Der Mann war dem Detektiv schon gleich sehr sympathisch. Er hatte diese Leidenschaft und Herzlichkeit eines typischen Italieners in seinem Blick und unterhielt sich angeregt mit Antonio in seiner Landessprache, sodass Sam kein einziges Wort verstand. Dann aber wandte sich der Antonio zu seinem Begleiter um und erklärte „Das ist meine Onkel Costa.“

Dann wandte er sich wieder seinem Onkel Costa zu und sprach mit ihm wieder auf Italienisch. Da das Wort „Americano“ fiel, ging Sam davon aus, dass Antonio seinem Onkel erklären wollte, wieso er hier war. Costa nickte und wandte sich dann Sam zu.

„Sie wollen unser Weingut besuchen?“ erkundigte er sich und nachdem er kurz überlegt hatte, nickte Sam, zeigte ihm die Flasche und erzählte ihm, dass er sie von Sergej Camorra erhalten hätte. Und allein der Name genügte, damit Costa mit seiner Erzählung begann.

„Die Camorra-Famiglia hat drei Weingüter hier in der Toskana“, erklärte er und Sam bemerkte sofort, dass Costa deutlich besser Englisch sprach als sein Neffe. „Dieses hier wurde aber von der Camorra-Famiglia verkauft. Wollen Sie eine Besichtigung machen?“

„Nicht ganz“, murmelte Sam und überlegte sich, wie er es am besten erklären konnte. „Ich hatte gehofft, hier jemanden zu finden. Sagen Sie, ist vielleicht jemand hier auf dem Weingut mit dem Namen Araphel Mason?“

Hier zog der alte Mann die Augenbrauen zusammen und schien verwirrt zu sein. „Raphael?“ fragte er nach.

„Nein, Araphel“, korrigierte Sam. „Er ist Amerikaner, ungefähr 1,90m groß, schwarze Haare, dunkle Augen und kräftig gebaut.“

Als der alte Mann den Kopf schüttelte und ihm erklärte, dass es hier keinen Mann mit dem Namen Araphel Mason gab, kehrte die Enttäuschung zurück. Es war auch zu schön gewesen, um wahr zu sein. Aber was hatte er denn erwartet? Die Chancen waren doch sowieso gleich null gewesen. Im Grunde war es eine absolute Schnapsidee gewesen, einfach aus einem Impuls heraus nach Italien zu fliegen und durch die halbe Toskana zu fahren und ein Weingut nach dem anderen abzuklappern.

„Es tut mir leid, Signore, aber ich kenne keinen Araphel. Der einzige Amerikaner, den ich hier kenne, ist Signore Liam J. Adams. Ihm gehört das Weingut. Vielleicht kann er Ihnen weiterhelfen. Er müsste noch draußen sein, wir sind nämlich mitten in der Weinlese. Antonio, bringst du ihn bitte zu Signore Liam? Vielleicht kennt er ja die Person, die dieser junge Mann sucht.“

„Mach ich, Onkel.“

Damit gingen sie durch den Garten und betraten das Weingut. Überall standen große Körbe, die mit Weintrauben gefüllt waren und die von Hilfsarbeitern auf kleine Transportwagen geladen wurden, damit sie woanders gepresst und der Saft dann in Fässern gelagert werden konnte. Sie gingen recht weit in das Weingut hinein, bis sie jemanden zwischen den vielen Weinreben fanden. Die Person stand mit den Rücken zu ihnen und trug einen Sonnenhut, ein schlichtes Hemd mit hochgekrempelten Ärmeln. Der Mann mit dem Sonnenhut hatte einen recht muskulösen Körper, der darauf schließen ließ, dass er sportlich aktiv war.

Antonio lief zu ihm hin und sprach ihn auf Italienisch an. Daraufhin sagte der Mann mit dem Sonnenhut etwas in gleicher Sprache zu ihm, woraufhin sich der Italiener verabschiedete. Sam blieb etwas zögerlich stehen, war sich in seinem Herzen noch etwas unsicher, ob seine Reise in einer Sackgasse enden würde oder nicht.

„Ich hörte, du wolltest was von mir wissen?“ fragte der Mann und wandte sich zu ihm um. Und als Sam sein Gesicht sah, da weiteten sich seine eisblauen Augen und für einen Moment vergaß er fast, was er fragen wollte. Beinahe versagte ihm sogar die Stimme, bis er sich dann aber fing und versuchte, etwas zu sagen. Doch als sich seine Augen mit Tränen füllten, da spürte er auch schon, wie sein ganzer Körper unter diesen starken Emotionen, die ihn überwältigten, zu beben begann und es ihm fast unmöglich war, zu sprechen, ohne dass seine Stimme zitterte. Doch gleichzeitig strahlte sein ganzes Gesicht unter den vielen Tränen und ein glückliches Lächeln, das von unsäglicher Freude und Erleichterung zeugte, zeichnete sich auf seine Lippen.

„Ja“, antwortete er. „Weißt du eigentlich, wie verdammt einfach es ist, die Dokumente beim Zahnarzt zu manipulieren und in einer Fabrikhalle eine andere Leiche statt der eigenen verbrennen zu lassen, um die Polizei und das FBI an der Nase herumzuführen? Jeder drittklassige Detektiv würde das durchschauen.“

Der Mann mit dem Sonnenhut schmunzelte, als er das hörte.

„Nein, nicht ganz“, widersprach er mit ruhiger Stimme. „Nur ein ganz bestimmter, von dem ich auch wollte, dass er mich findet.“

Hieraufhin schlossen sie sich in die Arme und als Sam in seinen Armen lag und seinen Tränen freien Lauf ließ, da dachte er sich, dass Liam ein sehr schöner Name war. Denn er bedeutete „der entschlossene Beschützer“. Wirklich ein passender Name, für einen menschlichen Löwen.


Nachwort zu diesem Kapitel:
Wie versprochen gibt es doch noch ein Happy End. Nach einer tagelangen Irrreise hat Sam endlich das Ziel erreicht und gefunden, wonach er gesucht hat. Denn egal wie unmöglich es auch erschien, er hat bis zuletzt nicht die Hoffnung aufgeben wollen.

Ich muss zugeben, ich habe, als ich die letzten Sätze geschrieben habe, selber fast heulen müssen und war selbst zutiefst bewegt. Aber letzten Endes ist es für mich das schönste Happy End, welches ich bisher in meinen Geschichten gehabt habe. Vielleicht weil es auch daran liegt, weil „Mesmerize Me!“ für mich mein bestes Werk ist. Es gab so viele Emotionen, so viel Dramatik und Spannung, Erotik und Momente, in denen man mittrauert, oder vor Freude weinen will. Komplett anzeigen

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Kommentare zu diesem Kapitel (3)

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Von:  Mewney
2016-01-04T10:17:58+00:00 04.01.2016 11:17
Ein tolles Happyend. :-)
Von:  FannyNeko
2015-11-30T23:07:30+00:00 01.12.2015 00:07
gut ich pack meine fackeln und die mistgabel wieder weg, da hast du echt noch mal glück gehabt, obwohl ich von anfang an nicht geglaubt habe das er sich erschossen hat, das passte nicht.

ich bin echt froh das er noch lebt
schones ende
Von:  Sayuri_Hatake
2015-11-30T21:50:18+00:00 30.11.2015 22:50
Holy Shit !
Verdammt nochmal, wie machst du das ?
Wie schaffst du es einen Menschen schon allein in einem Satz so in den Bann zu ziehen, dass man nicht mehr aufhören will mit lesen ?
Ich bin wirklich beeindruckt und habe sogar Freudentränen in den Augen.
Ich danke dir !
Wirklich es war eine tolle Geschichte und ich bin froh über dieses grandiose Ende !
Mach bitte weiter so !
Lg Sayu


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