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„Aber morgen haben wir dann wieder Training?“, wollte Rika wissen.
Wir standen mittlerweile seit geschlagenen zehn Minuten vor der Ampel an der wir uns trennen sollten. Und acht davon hatten wir geschwiegen und die Leute beobachtet. Wir waren beide auf eine Art erschöpft, auf der wir nicht reden wollten, aber uns auch nicht trennen wollten. Seufzend sahen wir uns in die Augen und mussten dann schon wieder grinsen, da wir gerade beides gleichzeitig machten. Ich nickte schließlich, „ja, morgen ist wieder Training, wenn ich mich nicht irre, haben wir am Mittwoch unser nächstes Spiel, aber das ist ja nicht hier, sondern – ich glaube – in Osaka oder so. Wer weiß“, ich zuckte mit den Schultern. „Ach, stimmt.“ Ihr Blick hob sich und sie sah verträumt in den Himmel. Ich ließ meinen Blick durch die Menschenmenge schweifen. Da erblickte ich einen blonden Jungen mit einer Gitarre auf dem Rücken. Schnell schüttelte ich meinen Kopf und sah weg. Aber dann sah ich aus den Augenwinkeln wieder zurück und musste damit kämpfen wieder weg zu sehen.
Es waren mir schon wieder viel zu viele Menschen auf der Straße. Man musste schon wieder allen ausweichen, weil sie sich zu großartig vorkamen, als dass sie einen Schritt zur Seite gehen konnten. Ich verdrehte genervt die Augen und sah zur Seite. Da erkannte ich an einer Ampel einen mir sehr bekannten braunen Haarschopf. Ich ignorierte ihn und lief weiter Nachhause. Ich durfte das jetzt nicht. Es war gefährlich. Vor allem, weil auch noch Rika bei ihr stand, da sollte ich nicht zu ihr treten, wenn es nicht unbedingt nötig war. Auch wenn ich es gerne wollte. Wie gern würde ich zu ihr und mit ihr reden. Meine Lippen auf ihre legen. Meine Hände um sie schlingen. Seufzend versuchte ich die Gedanken aus meinem Kopf zu verbannen.
Ich hatte seinen Blick gesehen. Sie hatten sich gekreuzt, das hatte ich genau gesehen. Und er lief einfach weiter, aber das war wohl das Beste. „Ich mach mich dann mal auf den Heimweg“, sagte ich zu Rika. Sie nickte und wir umarmten uns. „Komm gut nach Hause, liebstes Küken.“ „Du auch Möhrchen.“
Wir liefen in entgegengesetzte Richtungen. Aus meiner Tasche suchte ich meinen MP3-Player und meine Kopfhörer. Ich zog sie mir über und steckte den Stecker in das kleine Gerät. Ich rückte meine Tasche zurecht und machte dann das Gerät an. Eilig sah ich durch meine Interpreten, dann klickte ich auf 'Ed Sheeran' und auf '+'. Sofort setzte die Musik ein. Ich genoss die sanften Töne und schlängelte mich durch die Menge. In letzter Zeit hörte ich mehr ruhige Musik. Ich wusste nicht, weshalb, aber ich brauchte es.
Zuhause angekommen, fand ich auf dem Küchentisch einen Zettel, dass meine Eltern mal wieder unterwegs waren. Seufzend ging ich zum Kühlschrank, war ja in letzter Zeit nichts Neues. Es lag vielleicht daran, dass sie gemerkt hatten, dass ihre Kinder langsam älter wurden und alleine zurecht kamen. Ich fand Rindfleisch und viel Gemüse. So beschloss ich kurzerhand Teriyaki zu machen und danach noch Onigiri, die ich gleich noch für morgen vorbereiten würde.
Zuhause angekommen, sah ich, dass mein Vater bereits Zuhause war. Zwei Boxen vom Lieferanten standen auf dem Tisch und ein Zettel lag daneben. Es war für mich und er war doch noch einmal kurz unterwegs. Ich zuckte mit den Schultern, nahm das Essen und ging in mein Zimmer. Die Gitarre stellte ich an die Wand und dann schaltete ich den Fernseher ein. Ich setzte mich auf das Bett, das D-Terminal neben mich und schaltete durch die Programme, bis ich einen Film entdeckte, den ich sowieso schon länger sehen wollte. Alles steht Kopf. Ich hatte von Tai gehört, dass Mimi ihn lieben sollte. Und ich ihn mir auch anschauen musste.
Ich aß und sah nebenbei den Film an. Irgendwie musste ich dabei an Kari denken, was wohl in ihrem Kopf vorging, wenn sie solche kleinen Männchen in ihrem Kopf hätte? Ich griff nach meinem D-Terminal.
Hey Kari,
gerade läuft ein süßer Film und ich dachte mir nur, dass die Männchen in deinem Kopf süß sein müssten, wenn du welche hättest.
Gruß Matt
Kaum hatte ich es abgeschickt, kam kurze Zeit später eine Antwort.
Männchen?
Hatten wir nicht gesagt, dass wir das erst einmal lassen?
Ich las die Nachricht und verstand erst nach einigen Sekunden, was sie mir sagen wollte. Ich schluckte und wusste nicht, was ich sagen sollte.
Entschuldige, aber ich konnte mich nicht zurück halten. Kari, ich weiß, was wir gesagt hatten, aber es fällt mir schwer. Ich … ich kann das nicht in einer Nachricht schreiben.
Ich zog meine Nase kraus. Ich konnte mir nicht ausweichen. Ich konnte es mir gut reden wie ich wollte.
Matt, denkst du für mich sei es leichter? Denkst du mir würde es gefallen? Das ist ein Riesen-Schlamassel.
Ich drückte auf abschicken. Wieso fing er nur jetzt wieder damit an? Ich hatte das Essen weg stellen müssen, weil mir fast die Tränen gekommen waren. Mir fiel es ja selbst mehr als schwer. Und ich wusste nicht, was ich machen sollte. Ich wollte das Ganze nicht mehr. Dieser verdammte Kuss war daran schuld. Und dann der Alkohol. Ich zog meine Beine an meinen Körper heran und schlang meine Arme darum.
Kari, es ist alles meine Schuld, es tut mir Leid!
Jetzt ist es ja schon passiert, also rückgängig können wir es jetzt auch nicht mehr machen.
Ich seufzte und griff wieder nach dem Teller. Jetzt war es mehr ein Frustessen. Gedankenverloren stocherte ich in meinem Essen herum. Ich schaltete durch die Sender und blieb schließlich bei einer Kochsendung hängen. Es ging um die Europäische Küche. Eigentlich sollte ich das nicht so anschauen. Meine Mutter sollte es sich wohl eher ansehen. Schmunzelnd sah ich den Köche beim hantieren zu. Es war auch noch eine Art Wettstreit.
Mein D-Terminal piepste wieder. Und noch einmal. Ich ignorierte ihn und schon piepste er das dritte und vierte Mal. Ich wollte es nicht lesen, aber ich wusste, dass die Nachrichten von Matt waren. Wie gerne würde ich sie lesen. Wie gerne würde ich ihn neben mir haben. Und wie gerne würde ich von ihm im Arm gehalten werden.
Schnell aß ich auf. Ich wollte jetzt nicht mehr. Ich stellte den Teller in die Spüle und nahm mir zwei Onigiri, ich hatte sie süß zubereitet und aß sie nun als Nachspeise. Dann wollte ich auch schon gar nichts mehr machen. Der Fernseher ging aus und ich lief in mein Zimmer. Eilig zog ich mich um und legte mich ins Bett. Dann griff ich doch wieder zu meinem D-Terminal und atmete tief durch, bevor ich anfing die vier Nachrichten zu lesen.
Ich hoffe, ich hab dir nicht zu viel unnötigen Ballast aufgebrummt.
Weißt du, es war so schwierig. Als ich dich letztens gesehen hatte, ist es über mich gekommen und Sora und ich haben gerade ein paar Probleme. Bzw. habe nur ich gerade ein Problem mit unserer Beziehung. Es ist einfach schwierig gerade.
So sehr ich es auch abstreite, bereue ich die Nacht nicht und nichts täte ich lieber, als sie zu wiederholen. Es hat sich so toll angefühlt, auch wenn es falsch war.
Entschuldige, ich wollte dir das nicht schicken, das ist allein mein Problem.