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Der Untergang der Familie Crouch

von

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Verloren

Mein lieber Sohn,
 

ich hoffe, Du hast nicht vergessen, welch hohe Position ich inzwischen im Ministerium bekleide.

Deshalb, und auch für meinen weiteren Werdegang ist es von äußerster Wichtigkeit, dass meine Familie - also Dich eingeschlossen - und ich selbst nicht nur ein tadelloses Benehmen, sondern darüber hinaus hervorragende Leistungen an den Tag legen.

Für Dich bedeutet das natürlich, dass Du Deine Bemühungen im Unterricht verdoppeln, wenn nicht verdreifachen musst und in allen Prüfungen überdurchschnittliche Noten eine Notwendigkeit darstellen.

Du darfst Dich in Hogwarts auf keinen Fall durch sportliche oder soziale Aktivitäten vom Lernen abhalten lassen.

Gute Zensuren werden auf Dich und natürlich auf mich ein gutes Licht werfen. Wenn Du also tust, was ich Dir auftrage, steht Dir eine glänzende Zukunft bevor!

Du weißt, was ich von Dir erwarte.
 

Dein Vater,

Bartemius Crouch Snr.
 

Barty wimmerte.
 

Der kleine Junge fühlte sich dumpf und leer. Schweigend faltete er das Pergament zusammen und steckte es ordentlich in ein Fach seiner ledernen Schultasche. Um ihn herum hörte er das ausgelassene Lachen seiner Mitschüler, die sich über ihre Morgenpost unterhielten oder aufgeregt von der kommenden Quidditchsaison sprachen.

Er war kein Teil davon. Er würde auch nie ein Teil davon sein dürfen, rief sich Barty mit einem dicken Kloß in Erinnerung und verließ einsam und allein den Frühstückstisch.
 

Verzweifelt presste Barty sich gegen die schimmelige Wand. Seine Hände verloren den Halt und rutschten unter ihm weg. Der Schmerz der flüchtig, auf seinem Handballen aufflammte, als er die Haut auf dem rauen Boden aufschürfte, war nichts im Vergleich zu der unerträglichen Panik, die ihn befallen hatte.

Seine Atmung wurde schneller. Alles verkrampfte sich. Er konnte nicht mehr aufhören zu denken. Wollte aufhören zu denken. Konnte die Stimmen nicht mehr ertragen.

„Nicht“, krächzte Barty. „N-nein. Nich. Ich hab nicht-“

Die steinerne Wand bohrte sich schmerzhaft in seinen Rücken, als der Junge vergeblich versuchte, noch weiter von seiner Zellentür wegzurücken. Hinter ihr erhob sich der rasselnde Atem seiner Wachen. Es dürstete sie nach seinem Leid, er wusste das. Tränen der Verzweiflung rannen über sein Gesicht. Er konnte gar nichts mehr sehen, er konnte nicht mehr klar denken. Sein brennender Wunsch, dem allem zu entfliehen, wurde von eisigen Klauen gepackt.
 

„Er ist fort.“
 

Panische Laute entschlüpften Bartys trockenen Lippen. Mit einem Mal erstarrten seine Glieder, als hätte das Eis, das von seinem Inneren Besitz ergriffen hatte, nun auch seinen Körper gefroren. Seine dunkelumschatteten Augen waren weit aufgerissen, der flache Atem beschleunigte sich.
 

„Er ist fort.“
 

Er war fort. Seine Welt war ein Witz. Seine Welt war ein Nichts, zusammengebrochen. So nutzlos. Immer schon gewesen. Immer schon gewesen. Was hatte er auch anderes erwartet? Dummer kleiner Barty…

Wie konnte das sein?

Wie konnte das möglich sein?

Es war ein Albtraum. Ein einziger Albtraum. Es war eine Lüge.
 

„Ich bin unschuldig!“
 

Seine Stimme gellte durch die leeren Gänge Askabans und verlor sich ungehört in dem Wehklagen der anderen Gefangenen. Niemand schenkte ihm Beachtung. Jeder war mit sich selbst beschäftigt.

„Ich hab das nicht getan“, wimmerte Barty. Seine Finger krallten sich in das verfilzte Haar. Der dünne Körper war zusammengekrümmt und das Kinn irgendwo an den Knien seiner angezogenen Beine vergraben. „Vater, bitte nicht. Bitte, schick mich nicht dorthin. Bitte!“

Sein Flehen wurde von einem dicken Kloß erstickt. Er wollte sich zusammenreißen, doch er konnte nicht. Seine Nerven lagen blank. Mühsam versuchte er aufzustehen. Die Welt um ihn herum war eine stinkende graue Masse. So bedeutungslos … Die Zellentür erhob sich vor ihm mit dem grausamen Versprechen von Freiheit, das durch das kleine mit eisernen Stäben versehen Fenster fiel.

Er spürte, wie sein Körper erneut ein unkontrolliertes Zittern erfasste, wie seine nackten Füße kaum Halt auf dem feuchten, dreckigen Boden finden konnten, wie seine Knie weich wurden, drohten unter ihm nachzugeben. Sie waren weich, weich wie Kesselkuchen.

„Mutter“, krächzte er. Seine Arme streckten sich schwerfällig aus. Es schien eine Ewigkeit zu brauchen, bis sie gegen den Widerstand der dicken Luft angekämpft hatten, weiter vorgedrungen waren und seine Fingerspitzen die raue Oberfläche der verrosteten Gitterstäbe erfühlten. Barty stürzte vor. „Holt mich hier raus. Bitte. BITTE. Ich war’s nicht. Ich war’s nich. Mutter, hilf mir!“

Ein heftiges Schluchzen schüttelte ihn. Sein Inneres wog schwer von einem dicken fetten Klumpen Elend, der sich in seinen Eingeweiden eingenistet hatte, sein Herz zuzog, seine Kehle zuschnürte, ihm den Atem nahm. Barty wusste, wenn er loslassen würde, würde er jeglichen Halt verlieren.
 

Die schrillen Schmerzensschreie klingelten ihm in den Ohren.

„Wo ist er?“

Schreie. Ein männlicher, ein weiblicher. Das bitterliche Weinen eines kleinen Jungen.

„WO IST ER?“

Fort, fort, fort.

Er war fort.

Der Dunkle Lord war fort.

Alles Lügen, dreckige, dreckige Lügen.

Barty glaubte den Halt zu verlieren. Er fiel in tiefe Schwerelosigkeit. Immer weiter und weiter, weil er nicht glauben konnte, was geschah. Er hatte gehofft, Antworten zu finden und diese Blutsverräter enthielten sie ihm! Er verlor sich. Er wusste nicht mehr, was es war, das seinen Verstand vernebelte. Zorn, Verzweiflung, das Gefühl verraten worden zu sein. Er war blind. Alles war schwarz und er fiel.
 

Die Schwäche hatte ihr lähmendes Gift in seine Glieder gefüllt. Alles war bleischwer. Jeder rasselnde Atemzug, schien ihn viel zu viel Kraft zu kosten. Selbst die Augen offen zu halten, war ein Akt, der ihm alles abverlangte. Am schlimmsten war jedoch das trockene Husten, das sich immer wieder einen Weg aus ihm heraus zwang. Jedes Mal schmerzte mehr, jedes Mal war erschöpfender, doch jedes Mal unterlag er hilflos dem Reiz, der seinen ganzen mageren Körper schüttelte. Die einzige Bewegung, zu der er noch in der Lage zu sein schien.
 

Schmerz explodierte in seiner Wange und klingelte ihm in den Ohren. Die Wucht des Schlags hatte ihn zu Boden geworfen. Er hörte das erschrockene Aufkeuchen seiner Mutter, er sah die hervorquellenden Augen seines Vaters, hörte dessen Stimme, die sich vor Zorn überschlug, die immer lauter und lauter wurde, bis sich sein Geschrei in einem bedeutungslosen Getöse verlor.

Ängstlich verharrte Barty auf dem Boden und wartete. Nickte und wartete, während ihm stumme Tränen die Wange hinabliefen. Er durfte nicht … er hatte was falsch gemacht … wie konnte er? Eine Enttäuschung. Das war er. Eine einzige Enttäuschung.
 

Barty konnte sie spüren. Es waren mehr geworden. Wie gierige Aasgeier sammelten sie sich vor seiner Zellentür und labten sich an seinem nichtendenden Leid. Doch ihr rasselnder Atem verursachte ihm keine Gänsehaut mehr, ebenso wenig wie ihre bloße Präsenz ihn mit Panik füllte.

Er war abgestumpft, siechte dahin. Schien das Denken und Fühlen verlernt zu haben, in dem immer währenden Albtraum seiner Vergangenheit.

Krankheit hatte sich in ihn genistet und raubte ihn das letzte bisschen Kraft. Jeder Atemzug fiel schwerer, mit jedem Atemzug schien ihn etwas mehr seines Lebens zu verlassen, bis nur noch eine eiskalte Hülle zurückblieb.

Dabei war der Boden gar nicht mehr so kalt, der Wind nicht mehr so bitterlich. Nein, das Eis befand in seinem Inneren und beraubte ihn jeglicher Wärme.

Der Gedanke zu schreien war in weite Ferne gerückt. Erschien Barty fast genauso unsinnig, wie sich zu bewegen. Dumpf stierte er ins Leere. Ganz selten noch regte sich sein schwächender Überlebenstrieb und brachte ihn dazu, immerhin die Flüssigkeit zu trinken, die sich in den schmutzigen Unebenheiten seines feuchten Gefängnisses sammelte. Sie war voll von Schmutz und Krankheit.
 

„Ich habe keinen Sohn!“ „Er ist fort.“ „Ich habe keinen Sohn!“„Ich habe „Er ist fort.“ keinen Sohn!“ „Eine Enttäuschung!“„Ich habe …“
 

Regungslos lag Barty da und lauschte den ewigen Stimmen, den nie verstummenden Stimmen. Den Schreien und Lauten und Worten, die trotz aller Leere nicht ihre Bedeutung verlieren wollten.
 

„Es wird alles gut, Barty.“
 

Den Schreien, den Worten, den Grausamkeiten. Den Hämmern von Fäusten, die verzweifelt gegen ihre Zellentür schlugen. Dem Rasseln eines Schlüssels, den Schritten, dem Schluchzen.
 

„Es wird alles gut“, flüsterte eine zittrige Stimme schwach. Trockene Fingerspitzen strichen fahrig über Bartys ausgemergeltes Gesicht und hinterließen eine Spur der Wärme. Etwas Nasses tropfte auf seine Wange und brachte Bartys Lider zum Flattern. Aus halbgeschlossenen Augen sah er zu der Gestalt, die sich über ihn gebeugt hatte. Sie gab ihm das Gefühl von Geborgenheit — etwas, das er geglaubt hatte, nie wieder zu spüren.

„Mutter?“ Sein Wort war bloß ein heiseres Krächzen. Er war kaum in der Lage die Silben richtig zu formen.

„Sch“, schluchzte Mrs Crouch nur und drückte ihn an sich.

Voller Verwunderung versuchte Barty zu erfassen, was geschah. Versuchte wieder zu denken, versuchte das Gefühl von der inneren Wärme zu begreifen, die ihn mit einem Mal erfüllte. So viel Wärme!

Barty versuchte sich zu regen. Doch er schaffte es kaum. Seine Glieder schmerzten. Jegliche Energie schien aus ihm heraus gesaugt worden zu sein.

Plötzlich packten ihn starke Hände bei den Schultern und zogen ihn unsanft auf die wackligen Beine. Viel zu schnell. Barty schwindelte. Schwarze Punkte tanzten einen wilden Tanz auf seinem Blickfeld und drohten es zu verschlingen. Er glaubte ihnen zu folgen, zu fallen, in die tiefe Schwärze.

Ein spitzer Schrei drang an seine Ohren. Der Griff, der ihn festhielt, war stärker geworden, schmerzte.

Benommen zwang sich Barty die Augen aufzureißen, zu sehen und blickte in das verbitterte Antlitz seines Vaters. Nun war er sich sicher, dass das alles nur ein grausamer Scherz sein konnte. Vielleicht fühlte sich so das Sterben an? Das Sterben in Askaban, das ihm ein letztes Mal das entriss, wonach er sich so sehr sehnte.

Ein Lächeln verzerrte seine aufgerissenen Lippen. Das war’s! Das musste es sein.

Dann spürte Barty, wie sich zierliche Finger vorsichtig auf seine eingefallenen Wangen legten und ihn sanft dazu brachten, den Kopf zu drehen. Barty starrte in das todkranke Gesicht seiner Mutter.

„Ich liebe dich“, flüsterte sie. Stumme Tränen tropften von ihrem spitzen Kinn.

Ein plötzlicher Schmerz durchzuckte Barty auf seiner Kopfhaut.

Er wollte etwas sagen, wollte begreifen. Doch selbst fürs Denken schien er zu schwach.

„Geh nicht.“

Es dauerte, bis ihm klar war, dass die flehentlichen Worte seinen ausgetrockneten Lippen entsprungen waren, dass seine Mutter vor ihm zurückwich. Ihr trauriges Gesicht trug ein aufmunterndes Lächeln, das Lächeln, das sie ihm so oft geschenkt hatte, das er nicht missen wollte. In ihrer zittrigen Hand befand sich eine kleine Phiole.

„Alles wird gut“, hauchte sie mit erstickter Stimme.

Barty verstand nicht. Das bloße Konzept dieses Satzes schien unmöglich. Er wollte sich zu Wort melden, sich zur Tat bewegen, doch da drückte sich eine kalte Öffnung gegen seinen Mund. Instinktiv begann er zu trinken. Sein dehydrierter Körper schrie nach jedem Tropfen Flüssigkeit. Er bemerkte kaum, was es war, das seine Kehle hinablief, die zähe Konsistenz, den widerlichen Nachgeschmack.

Erst der brennende Schmerz, der kurz darauf in seinen Gliedern einsetzte, brachte Erkenntnis, dass etwas nicht stimmte. Seine Knochen mussten Feuer gefangen haben. Barty glaubte zu schrumpfen, alles in ihm zog sich zusammen, beraubte ihn all seiner Kraft.

Sein Gesichtsfeld verschleierte. Dumpf meinte er sich selbst sehen zu können, der ihn aus mitfühlenden Augen anstarrte. Dann verschluckte die imposante Gestalt seines Vaters das Bild. Diesmal griff dessen starke Hand nach seinem Arm, ganz so als wollte er sich einhaken. Er gab ihm Halt.

Barty wollte verstehen. Wollte sehen, aber die Schwäche forderte unnachgiebig ihren Tribut. Seine Gedanken waren wirr und sein Blick verlor sich wieder in Dunkelheit, während unaufhörlich die Frage in seinem Schädel widerhallte, was geschah. Was geschah? Was sollte das? Was passierte mit ihm?

War das er? War das…

Da endlich erfüllte betäubende Leere seinen Kopf. Weich wie Watte drang sie in ihn ein, breitete sich in seinen Gedanken aus und nahm ihm die Last all dieser verwirrenden Fragen. Er musste einfach nur folgen.
 

„Es wird alles gut“, hatte seine Mutter gesagt.


Nachwort zu diesem Kapitel:
Anmerkung: Der Wortlaut von Crouch Seniors Brief entspringt nicht meiner Feder, sondern wurde von einem Mitglied der „Magical Mischief Makers“ verfasst. Ich war lediglich so frei, ihn zu übernehmen und ein, zwei Formulierungen auszubessern. Leider habe ich nie in Erfahrung bringen können, wer genau es war, der mir mit diesem tollen Brief einen so fantastischen Einstieg für den Charakter ermöglicht hat. Komplett anzeigen

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