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Shoot my Heart

[Secret Love]
von

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Kou ließ vorsichtig einen Fuß ins Wasser gleiten. Es war wie immer angenehm temperiert – nicht zu kühl und nicht zu heiß. Und so ließ er sich mit einem leisen Seufzer zur Gänze ins Becken gleiten. Ein Onsen im eigenen Haus – was für ein Luxus. Auch wenn Kou nicht einmal der kleine Handtuchhaken neben der Tür gehörte, fühlte sich dieser Gedanke selbstverständlich und richtig an. Es gab keinen Ort auf der Welt, den er mehr sein Zuhause nennen konnte als das Anwesen des Asano Clans.

Es war für Kou eine Art Ritual geworden, nach jedem erfolgreich abgeschlossenem Auftrag ein ausgiebiges Bad zu nehmen. Nicht, um sich das unsichtbare Blut vom Körper zu waschen. Es klebte ohnehin an ihm – und er hatte sich daran gewöhnt. Im Grunde genommen machte es ihm überhaupt nichts aus, Menschen zu töten. Auch wenn er jedes Mal ein wenig vor sich selbst zurückschreckte, wenn er sich bei diesem Gedanken ertappte. So konnte nur jemand denken, der die Menschen aus tiefstem Herzen hasste. Und er hasste die Menschen. Aber konnte man es ihm verdenken?

Kou seufzte noch einmal, als er draußen eine laute Stimme vernahm: „Wo ist Kou?“

„Er sagte, er wolle ein Bad nehmen“, hörte er Midori antworten.

Hastig maß Kou den Abstand zu seinem Handtuch mit den Augen ab. Keine Chance. Also ließ er sich tiefer ins Becken gleiten, bis nur noch sein Kopf zu sehen war.

Nur wenige Lidschläge später wurde die Tür zum Bad aufgestoßen und Kou blickte in das verzerrte Gesicht des Mannes, der ihn vor beinahe zehn Jahren von der Straße aufgelesen hatte: Kazuo Asano. Und in seinen Augen lag ein missbilligender Ausdruck, den Kou nur zu gut kannte.

„Was sollte das vorhin?“, fuhr Asano ihn an und warf die Tür hinter sich zu. Der dumpfe Schlag hallte von den Fliesen des Raumes wieder und Kou musste sich zusammenreißen, um nicht zusammenzuzucken. „Sind deine Schießkünste so miserabel, dass du Angst hattest, statt Narai mich zu treffen?“

„Ich wollte dich einfach nicht in der Nähe haben. Das könnte doch auf dich zurückgefallen“, gab Kou so professionell zurück, wie es in seiner Situation möglich war.

„Steh gefälligst auf, wenn du mit mir redest“, bluffte Asano ihn an.

Kou zögerte einen winzigen Augenblick. Dann kehrte er Asano den Rücken zu, stand auf und trat auf der anderen Seite der Halle aus dem Becken, wo er sich eines der frischen Handtücher vom Stapel nahm und es sich um die Hüfte schlang. Die ganze Zeit über konnte er Asanos scharfen Blick in seinem Rücken spüren. Er atmete tief durch, um sich zu beruhigen, ehe er sich wieder Asano zuwandte und neben ihn trat.

„Es könnte auf dich zurückgefallen“, wiederholte Kou mit ruhiger Stimme.

Asano verschränkte die Arme vor der Brust.

„Selbst die Tokyoer Polizei kann den Einschuss eines Scharfschützengewehrs von dem einer 9mm unterscheiden. Also hör auf zu denken und mach einfach deinen Job“, sagte Asano kalt und Kou neigte respektvoll den Kopf.

Natürlich hatte Asano Recht. Was war bloß in ihn gefahren?

„Woher wusstest du, dass ich da war?“, fragte er, den Kopf noch immer gesenkt.

„Ich habe den Punkt deines Laservisiers auf Narais Stirn gesehen.“

Scharfsinnig wie immer.

Als Kou den Blick wieder hob, setzte sein Herz einen Schlag lang aus. Asano hatte begonnen, sein Hemd aufzuknöpfen. Was hatte das zu bedeuten? Jeder Muskel in Kous Körper spannte sich an. Wie weit war es bis zur Tür? Vier Schritte? Vielleicht fünf. Aber er würde an Asano vorbei müssen.

Kou war wie erstarrt, unfähig, den Blick abzuwenden, als Asanos das Hemd zu Boden gleiten ließ und begann, seine Hose zu öffnen.

Der Raum hatte nur zwei winzige Fenster, durch die sich Kou unmöglich zwängen konnte. Körperlich war er Asano unterlegen – und er war völlig unbewaffnet. Das sah nicht gut aus.

„Entspann dich.“

Asanos Stimme zerriss die Stille. Genauso kalt, aber ruhiger als zuvor. Dann ging er an Kou vorbei und ließ sich hinter ihm ins Becken gleiten.

Kou konnte nichts weiter tun, als auf die Stelle zu starren, an der Asano noch bis eben gestanden hatte. War sein Herz gerade noch gefroren gewesen, so begann es nun so heftig zu schlagen, als gälte es das Versäumnis wieder gut zu machen.

„Komm rein, du warst doch noch nicht fertig“, fuhr Asano wie beiläufig fort und endlich gelang es Kou, sich aus seiner Starre zu befreien und sich langsam zu ihm umzudrehen.

Sein Boss hatte sich im Becken entspannt zurück gelehnt und die Augen geschlossen und Kou erhaschte einen Blick auf die Tätowierung, die sich großflächig von seiner rechten Schulter über seinen Oberarm erstreckte: Ein brüllender Tiger mit ausgefahrenen Krallen. Das Wappentier des Asano-Clans.

Noch einmal vergewisserte sich Kou, dass Asanos Augen tatsächlich fest geschlossen waren, ehe er sein Handtuch neben Asanos Hemd und Hose auf den Boden gleiten ließ und zurück ins Wasser stieg. Es war immer noch genauso herrlich wie noch wenige Minuten zuvor. Nur schien es Kou ein wenig heißer geworden zu sein.

Eine ganze Zeit lang konnte er nichts weiter tun, als auf Asanos scharfkantiges Gesicht zu starren. Es mochte grob wirken, doch es war auch auf seine ganz eigene Art und Weise schön. Das Schweigen, das im Raum lag, hüllte sie beide ein und endlich konnte Kou spüren, wie sich seine angespannten Muskeln lösten. Langsam lehnte auch er sich zurück, holte noch einmal tief Luft und schloss dann ebenfalls die Augen.

Es schienen nur wenige Minuten verstrichen zu sein, als Kou die Augen wieder aufschlug – doch Asano war bereits nicht mehr da. Ein seltsam klammes Gefühl krallte sich um sein Herz. War war das nur?

Ein leises Seufzen entrang sich seiner Kehle, während er aus dem Becken stieg und sein Handtuch vom Boden auflas.

Irgendwo in der Ferne konnte er Asanos resolute Stimme hören: „Tee. In meinem Arbeitszimmer.“

Ein leichtes Lächeln kräuselte Kous Lippen. Ja, das klang ganz nach ihm. Und das war einer der vielen Gründe, wieso Kou jeden Tag aufs Neue gerne für ihn arbeitete.
 

***
 

„Herr Asano hat Ihnen einen Tee servieren lassen.“

„Ach ja?“

Kou zog die Augenbrauen hoch. Es war sehr ungewöhnlich, dass Asano ihm zwei Aufträge innerhalb einer Woche erteilte. Also schien es im Tokyoer Untergrund mächtig zu brodeln.

Auf der anderen Seite wusste Kou, dass Asano auch hin und wieder Aufträge seiner Geschäftspartner an ihn weiterleitete – so eine Art kleiner Gefallen unter Freunden, der selbstverständlich immer eine entsprechende Gegenleistung erwartete. Aber niemand stand gern in Asanos Schuld. Deshalb hielten sich die Aufträge von außerhalb in der Regel in Grenzen. Doch das hieß natürlich nicht, dass es nicht doch hin und wieder einmal dazu kam.

Immer noch in Gedanken machte sich Kou zum Blauen Salon auf, wo tatsächlich eine Tasse Tee auf ihn wartete. Mit gerunzelter Stirn hob er das Porzellan an seine Nase und roch an der gelblichen Flüssigkeit. Schon wieder Grüntee, wie langweilig. Als Kou daraufhin einen großen Schluck aus der Tasse nahm, hätte er den Tee beinahe wieder ausgespuckt.

Matcha mit Zucker. Wer zur Hölle trank denn Matcha mit Zucker? Ein Kind?

Völlig perplex riss Kou den Zettel, der wie üblich zwischen Tasse und Untertasse eingeklemmt gewesen war, heraus. Haruki Inoue.

Ohne den Tee auszutrinken, kehrte er in die Eingangshalle zurück, den zerknüllten Zettel in der linken Hand verborgen. Dort traf er auf Midori, die gerade dabei war, auf der Galerie den Boden zu wischen.

„Hey, Midori. Ist Asano in seinem Arbeitszimmer?“, rief er ihr zu, ehe er begann, die Treppe zu ihr hinauf zu steigen.

„Es tut mir sehr Leid, aber Herr Asano ist schon seit gestern Abend außer Haus“, gab Midori zurück und verbeugte sich tief.

Wie sich Kou wünschte, sie würde das lassen. Er hatte den Respekt, den sie ihm zollte, nicht verdient. Doch im Augenblick hatte er andere Sorgen.

„Seit gestern Abend? Wie hat er mir dann den Tee servieren lassen?“, fragte er mit gerunzelter Stirn.

„Er hat ihn bereits gestern Abend bei mir in Auftrag gegeben“, gab Midori höflich zurück und lächelte leicht.

Asano war in letzter Zeit ungewöhnlich selten hier gewesen. Kou wusste, dass er noch einige andere Wohnungen in der Stadt unterhielt: Ein Penthouse in Shinjuku und eine Kellerwohnung in Shinjuku zum Beispiel – und wer wusste wie viele andere. Aber im Allgemeinen bevorzugte er den Komfort und die Ruhe des Anwesens hier am Stadtrand.

Während Kou darüber nachdachte, beschlich ihn ein eigenartiges Gefühl. Was, wenn irgendetwas nicht in Ordnung war, wenn Asano in Schwierigkeiten steckte?

Doch er zwang sich den Gedanken abzuschütteln. Er musste sich darauf konzentrieren, seine Arbeit zu erledigen. Das war das wichtigste. Also verabschiedete er sich von Midori und ging hinüber in die kleine, hauseigene Bibliothek, deren Computer er für seine Recherchen zu nutzen pflegte.

„Haruki Inoue. Wollen wir doch mal sehen.“

In nur wenigen Augenblicken hatte sich Kou in die polizeiliche Personendatenbank eingehackt. Wahrscheinlich würden diese Idioten nie rauskriegen, dass ihre Datenbank angezapft wurde. Die Sicherheitsvorkehrungen waren jedenfalls erbärmlich wie immer.

Doch die Suche nach Haruki Inoue ergab keine Treffer. Perplex starrte Kou auf den Bildschirm und schüttelte den Kopf. Das war völlig unmöglich. Vielleicht hatte die Tokyoer Polizei doch endlich eine bessere Firewall eingerichtet, die seine Anfrage abgeblockt hatte. Spaßeshalber versuchte Kou es noch einmal mit seiner letzten Zielperson: Ryota Narai. Sofort erschien das rundliche Gesicht des Toten auf dem Schirm.

Das kann jawohl nicht wahr sein, fluchte Kou in Gedanken. Es gab keinen Haruki Inoue. Und wenn doch war er jedenfalls nicht in Tokyo registriert. Vielleicht sollte er seine Suche ausweiten. Aber dann würde er auf eine halbe Millionen Menschen mit diesem Namen stoßen, die alle seine gesuchte Zielperson sein konnten – oder eben auch gerade nicht. Vielleicht hatte dieser Inoue geheiratet und einen anderen Namen angenommen. Oder er war nur zu Besuch in der Stadt. Die Möglichkeiten waren endlos. Vielleicht war der Zucker im Tee ein Hinweis gewesen. Doch was sollte er bedeuten?

Mit einem Seufzer lehnte sich Kou in seinem Stuhl zurück. Das würde heute eine lange Nacht werden.



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