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REM-SLEEP Disorder

So lange bis er aufhört zu existieren
von

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On my Own

Die Stille im Wageninneren war regelrecht greifbar.

Gleichzeitig raubte sie Eren die nötige Luft zum Atmen, gab ihm das Gefühl zu ersticken je länger er schweigend neben dem Senior Inspector saß, dessen Gesicht zur Straße gewandt war.

Vorsichtig wagte er es den Älteren aus dem Augenwinkel zu betrachten, der den Wagen auf Autopilot gestellt hatte und somit mit regem Desinteresse den üppigen Verkehr verfolgte. Entweder bemerkte der Ältere seinen forschenden Blick nicht oder er ignorierte ihn schlichtweg. Eren konnte sich vorstellen, dass sein Gegenüber sich damit abgefunden hatte auf Grund seines vernarbten Gesichtes ständig beobachtet und angestarrt zu werden – Doch genau diese entstellte Gesichtshälfte war nun von Eren abgewandt und er glaubte in diesem Augenblick die Möglichkeit zu haben, die wahre Persönlichkeit zu betrachten.
 

„Stimmt es, dass Jean ein Inspector war?“, fragte Eren nach einer Ewigkeit in die Stille hinein, nur um diese zu durchbrechen.

„Hat er dir das also erzählt?“

„Nein, Petra hatte nur eine Andeutung gemacht.“

Eren seufzte innerlich. Aus irgendeinem Grund hatte er bereits damit gerechnet, dass sein Vorgesetzter ihm keine ehrliche Antwort geben würde. Doch gleichzeitig musste der Jüngere auch daran denken, wie er an diese Tatsache überhaupt gelangt war und sein Herz vollzog einen nervösen Sprung in seiner Brust. Mittlerweile zweifelte er daran, dass sie ihren Fund lange genug vor Marco geheim halten konnten, zumindest nicht so lange wie Jean es sich anscheinend wünschte. Eren fragte sich noch immer, warum es scheinbar derartig wichtig war den Senior Inspector zu belügen.
 

„Tja, anscheinend verplaudert sie sich immer noch gerne“, sagte Marco eher zu sich selbst und verzog angewidert seinen Mund, als hätte er mit einmal einen bitteren Geschmack auf der Zunge.

Eren wusste nicht, was er darauf antworten sollte, also schwieg er.

„Aber, ja, es stimmt. Und er war ein großartiger noch dazu—“

Eren schaute von seinen Händen wieder auf. Die Verwirrung war ihm ins Gesicht geschrieben. „Und was ist dann passiert?“

Aus Marcos Kehle drang ein Lachen, das amüsierter nicht hätte sein können.

„Menschen verändern sich nun einmal, Eren. Du glaubst, sie seien deine Freunde, aber letzten Endes kannst du ihnen nur vor den Kopf schauen.“
 

---
 

Die gesamte Autofahrt über hatten sie kein weiteres Wort mehr mit einander gewechselt.

Unablässig hatte Eren den Transporter im Seitenspiegel beobachtet, der dicht hinter ihnen gewesen war, gefolgt von einem regelrechten Rattenschwanz aus unzähligen Sicherheitsdrohnen.

Als sie die Brücke des Highways passierten, der als Schnellstraße quer durch die Stadt führte, konnte Eren einen Blick auf das Hauptgebäude des [style type="italic"]Ministry of Welfare's Public Safety Bureau[/style] werfen. Auch von dem Fenster im Zimmer des Waisenhauses aus, das er seit seiner frühen Kindheit sein zu Hause genannt hatte, hatte er dieses Gebäude sehen können. Seit er denken konnte, war dies ein Mahnmal für seine Zukunft gewesen.

Er hatte alles dafür getan um dort eines Tages einen Fuß fassen zu können. Es war nicht der Mord an seinen Eltern gewesen, der ihn dazu getrieben hatte, sein Leben dafür zu geben, um die Sicherheit in dieser Stadt zu gewährleisten — Vielmehr war die Begegnung mit einem Mann dieser exekutiven Einrichtung des Sybil Systems gewesen, wodurch er diesen Weg für sich selbst gewählt hatte. Eren konnte sich nicht mehr sein Gesicht oder seinen Namen ins Gedächtnis rufen, doch er würde wohl nie die „01“ auf der Jacke des Inspectors vergessen.
 

Erens Blick wanderte neugierig von einer Seite zur anderen, während sie den langen Flur hinunter gingen. Immer wieder stieß er fast mit einer Drohe oder einem Carrier zusammen, doch die Büros und Meeting Räume, die er hinter den Glasscheiben erkennen konnte, waren zu spannend.

Für einen Moment lang konnte er die kreisenden Fragen in seinem Kopf vergessen, sowie die Bilder des Mordfundes, denn die Aufregung wurde in seinem Körper immer größer. Das Herz in seiner Brust begann zu flattern, nebenbei versuchte er mit dem schwarzhaarigen Inspector Schritt zu halten und stolperte dabei mehrfach fast über seine eigenen Füße.

Nie hätte Eren es sich träumen lassen, eines Tages das Innere dieses respekteinflößenden Gebäudes zu Gesicht zu bekommen. Durch die unzähligen Gänge und Räume kam es ihm vor, als wäre es hier drinnen wesentlich größer. Doch der Schein mochte trügen. Von außen betrachtet erinnerte ihn die pechschwarze Fassade des Hauptverwaltungsgebäudes an den Lauf eines Gewehres, der aus dem Boden herausragte. Selbst wenn er am Haupteingang stand und hinauf schaute, war es gänzlich unmöglich nur mit dem bloßen Auge die Anzahl der Etagen zu zählen.

Eren hatte das Gefühl, es würde lange dauern, bis er sich die alltäglichen Arbeitswege eingeprägt hatte. Wiederum fiel ihm nebenbei auf, dass die wichtigsten Räume durch farbliche Markierungen an den Wänden gekennzeichnet waren; aber dennoch fühlte er sich in den endlosen Fluren verloren.
 

„Wie viele Devisions gibt es hier eigentlich?“, fragte Eren beiläufig. Aus dem Augenwinkel konnte er sehen, wie Marco etwas belustigt lächelte.

„Ab Dreißig habe ich aufgehört zu zählen“, antwortete ihm der Senior Inspector. Petra holte mit einmal in schnellen Schritten auf, ging dabei nun direkt neben Eren.

„Also ich glaube, ich habe mal jemanden mit einer Hundert auf der Jacke gesehen.“ Auch Mike gab wohl seine Zustimmung für diese Aussage, denn er schnaubte leise. Eren schaute kurz über die Schulter und betrachtete den Hünen, den er noch nicht ganz einschätzen konnte.

Bisher hatte der Hochgewachsene noch kein einziges Wort gesagt und trotzdem machte er auf Eren einen völlig friedfertigen Eindruck. Als dieser jedoch einen Laut von sich gab, der fast dem gequälten Winseln eines Hundes gleichkam, weiteten sich seine Augen und er löste seinen Blick von dem Enforcer. Erst jetzt bemerkte er, dass Marco und die Anderen angespannter waren.
 

Ein Schatten legte sich über das Gesicht des Senior Inspectors.
 

Anscheinend blieb sein Drang zum Stehen bleiben nicht unentdeckt, denn Eren spürte einen unsanften Stoß in seinem Rücken, der ihn vorwärts stolpern ließ.

„Geh einfach weiter—“, zischte ihm Jean von hinten, ohne ihm die Option für eine Gegenfrage zu bieten.

Inmitten des Flures stand ein Mann, der nicht minder kleiner war als Mike. Die harschen Gesichtszüge und das raubtierhafte Glitzern in den Augen, machten es Eren unmöglich das genaue Alter einzuschätzen. Seine Körperhaltung war zwar lässig, aber trotzdem versprühte er eine gewisse, dunkle Dominanz, die Erens Magen schmerzend zusammen krampfen ließ. Er wusste nicht warum, doch er hatte das Gefühl dieses Gesicht schon einmal irgendwo gesehen zu haben. Sachte bewegte er seinen Kopf, um diesen Gedanken abzuschütteln. Bestimmt war er das schon einmal. Wenn man es nicht wusste, begegnete man in der Stadt immer irgendeinmal Inspector oder Enforcer. Doch meistens, bevor man sie wirklich als solche erkannte, wurden die Passanten aus der Umgebung schnellst möglichst evakuiert, wenn der Stresslevel einen Areals zu steigen drohte. Letzten Endes bedeutete es allerdings nicht, dass er diesem Mann, der sie lediglich betrachtete während sie näher kamen, schon einmal irgendwo gesehen hatte.

Schweigend gingen sie an dem Mann vorbei; Eren spürte, wie sein Blick auf der Gruppe lastete, aber er traute sich nicht ihn lange anzusehen. Lediglich Marco konnte man ansehen, wie dieser sich wieder zu entspannen schien, als sie an dem Fremden vorbei gegangen waren.
 

„Wie mir zur Ohren gekommen ist, wurde dein Antrag für einen Platz im Therapiezentrum mal wieder abgelehnt?“

„Das geht dich nichts an, Smith“, entgegnete Marco mit schneidendem Unterton, ohne sich dabei zu dem Inspector der Devision 2 herum zu drehen. Der Anflug eines weitaus dunklen, amüsierten Lachens drang aus Erwin hervor, bevor er die Arme vor der Brust verschränkte.

„Dann ist es also wahr?“ Erwins Augenwinkel kräuselten sich, lächelte dabei weiterhin in sich hinein. „Wann gibst du die Hoffnung endlich auf, Marco? Klammerst du dich etwa noch immer an deine Hirngespinste?“
 

Therapiezentrum?
 

Erens Blick wanderte zwischen den Beiden umher. Ohne verstehen zu können worüber sie sprachen, witterte er die Spannung, die zwischen den beiden Männern die Luft elektrisierte.

Unauffällig schaute er zu Armin herüber, der seine Hände in den Jackentaschen vergraben hatte und dem Ganzen lediglich teilnahmslos zuschaute oder mit dem Blick eine Drohne verfolgte, die ihren Weg durch die Gruppe suchte. Eren fragte sich, wie der Blonde nur so ruhig bleiben konnte.

„Was ist das für eine Patientenakte?“ Ohne auf das Thema weiter einzugehen, deutete Marco mit dem Kopf auf die hellbraune Akte, die Erwin unter seinem Arm geklemmt hielt und Eren zuvor nicht aufgefallen war. Der hochgewachsene Inspector hob eine Augenbraue und schaute an sich hinunter, während er demonstrativ den Unwissenden spielte. Kurz darauf überzog sich sein Gesicht mit einem boshaften Schmunzeln.

„Ich muss doch sehen, wie es der Überlebenden meines letzten Falls mit ihrer Therapie voran schafft“, antwortete Erwin und gab sich nicht einmal die Mühe seinen sarkastischen Tonfall zu verstecken.

„Seit wann besitzt du so etwas wie Anteilnahme?“

„Marco, es reicht“, drängte Jean warnend und fasste seinen Vorgesetzten an der Schulter, mit dem Versuch ihn weg zuziehen, doch Marco schüttelte ihn beiläufig ab.

„Mit welchem Recht beleidigst du mich.“ Erwin überwand mit wenigen kurzen Schritten die Distanz zwischen ihnen und drückte den Anderen gegen die Wand, nachdem er ihn harsch am Kragen gepackt hatte. Eren konnte sehen, dass Marco einen kleinen Moment lang Mühe hatte den Blickkontakt aufrecht zu erhalten, als Erwin sich vor ihm zu seiner vollen Größe aufbaute.

Gerade als Marco seinen Mund öffnete und etwas sagen wollte, durchbrach Armin mit einem simplen Schnalzen seiner Zunge die bedrohliche Stille, die sich zwischen den beiden Rivalen aufgebaut hatte.
 

Elegant schaute Armin, der sich unbemerkt zur Gruppe gesellt hatte, von seinem Wristcom auf und deutete mit dem Daumen den Flur hinunter.

„Wir sollten gehen, Sir. Hanji hat unsere Analyse fertiggestellt“, sagte er zu Erwin gewandt; spielte geschickt über die ganze Situation hinweg.

Eren konnte den Stich in seiner Brust zunächst nicht zu ordnen, doch ihm wurde klar, dass er in diesem Augenblick seinen besten und wohl einzigen Freund nicht mehr wieder erkannte, der sich mit vollkommenem Desinteresse zum Gehen abwandte.

Er hatte ihn seit einer gefühlten Ewigkeit nicht mehr gesehen, aber nun war es ihm als stünde er einem völlig anderen Menschen gegenüber.
 

Erwins Gemüt verwandelte sich von einer Sekunde auf die andere in das genaue Gegenteil. Trotzdem ließ er nur langsam von Marco wieder ab, dessen Blick sich nicht von dem Älteren abwandte. Der freundliche Tonfall, mit welchem er sich von den Anderen verabschiedete, bescherte Eren einen kalten Schauer, der ihm wie tausend Ameisen über die Schultern hinab lief und ihn zusammen zucken ließ.

Marco stieß einen rauen Ton aus, als er sich von der Wand löste und mit ein paar wenigen Handgriffen seine verrutschte Kleidung sortierte.

„Du darfst ihn nicht ständig herausfordern. Ansonsten wird er nie aufhören dich zu provozieren“, gab Jean mit einem Seufzen von sich, doch Marco schüttelte nur mit dem Kopf.

„Ich weiß!“ Marcos Antwort klang gepresst. Eren konnte spüren, dass der Ältere in Wirklichkeit etwas ganz anderes sagen wollte. „Hey, Mike! Mike—“ Der Senior Inspector hob seine rechte Hand und schnipste mehrfach, um den Enforcer aus der Trance zu wecken, in welcher der Hüne in die Richtung starrte in welcher Erwin zuvor verschwunden war. Obwohl es die behandschuhten Finger waren, die bei dem wiederholten Schnipsen, gegeneinander trafen, konnte Eren darunter einen leisen, metallischen Ton vernehmen.
 

Fragend zogen sich seine Brauen zusammen, doch er verkniff sich die Worte, die in ihm aufkamen. Jetzt war nicht der passende Zeitpunkt dafür seiner Neugierde wieder ein Stück freien Lauf zu lassen, obwohl er wenigstens einen groben Überblick darüber bekommen wollte, was gerade geschehen war.
 

„Eren, wir gehen!“ Marcos barscher Tonfall war dabei nicht zu überhören.

Der Junge blinzelte mehrere Male, spürte dann eine gewisse Hektik in sich aufkommen.

„Sir, dürfte ich mich kurz mit Jemandem treffen?“

„Und mit wem?“, der Schwarzhaarige gab ein leises Seufzen von sich, „Marco reicht völlig—“

„Der Junge, der eben hier war—“

„Ein Freund von dir?“

Eren stutzte. Er konnte es nicht fassen mit was für einem Talent sein Vorgesetzter es schaffte, stets ins Schwarze zu treffen; doch was sollte er auch anderes erwarten von jemandem, der ein Inspector war und eine wohl geübte Spürnase besaß.

Allerdings traf ihn das Wort [style type="italic"]Freund[/style] tiefer, als ihm lieb war. Seine Hände ballten sich vor Nervosität zu Fäusten bis er spürte, wie sich die Nägel in seine Haut gruben. Zögernd bejahte er die Frage mit einem Nicken.
 

---
 

„Kannst du mir erklären, was das vorhin sollte?“

Eren fand nicht die Kraft von seinem Kaffee aufzuschauen, den er wärmend zwischen seinen Händen hielt. Erst jetzt spürte er, wie der fehlende Schlaf an ihm zerrte, und durch all die offenen Fragen, die in ihm verzweifelt nach einer Antwort gierten, stand sein Kopf kurz vor dem Zerbersten.

„Wie meinst du das?“, entgegnete Armin, der nervös auf seinem Stuhl herum rutschte. Der Ältere, der ihm zuvor plötzlich so fremd vorgekommen war, schien nun völlig wieder der Alte zu sein. Seit sie sich kannten bewunderte Eren ihn für seine Wissbegierde und sein Können, doch Armin schien stets etwas auszustrahlen, als zweifelte dieser permanent an seinen eigenen Fähigkeiten.

„Die Beiden gehen sich fast an die Gurgel und du tust so, als sei nichts passiert!“

Armin seufzte, während seine Hand nervös an seinem Wristcom nestelte.

„Das machen sie immer“, sagte er, doch Eren glaubte ihm nicht.
 

Für ihn war das kein normaler Streit gewesen oder eine Meinungsverschiedenheit, die man unter Kollegen gerne mal haben konnte, sondern vielmehr etwas wesentlich größeres, das er sich selbst nicht beschreiben konnte.
 

„Glaub mir“, fuhr Armin fort und ertränkte das flache Zittern in seiner Stimme mit einem Schluck Kaffee, „Ich kenne sie jetzt schon ein Jahr lang und das ist wirklich ganz normal. Du solltest es nicht zu sehr hinterfragen, Eren. Das wird dich hier nicht weiter bringen oder dich nur in Dinge verstricken, von denen du lieber nichts wissen willst.“

Eren stieß entnervt die Luft aus und schaute seinem Freund zum ersten Mal seit Beginn ihres Gesprächs ins Gesicht. „Das habe ich schon mitbekommen. Neugierde ist hier anscheinend nicht wirklich gefragt, was?“

„Nein, absolut nicht.“
 

Die direkte Antwort des Blonden irritierte ihn mehr, als er wahrhaben wollte.

Armin war einer der neugierigsten Leute, die er kannte. An der Akademie hatte der Ältere ihm oft von seinen Plänen erzählt und hatte alles dafür gegeben, um seinen Horizont zu erweitern. Nicht selten hatte Eren ihn deswegen schlafend in der Bibliothek vorgefunden, doch jetzt musste er feststellen, dass Armin ihm bisher nicht eine einzige Frage gestellt hatte. Früher war es normal gewesen, dass der Blond ihn förmlich mit Worten durchlöcherte, aber nun saß er ihm gegenüber und hinterließ einen vollkommen distanzierten Eindruck.

Ein Wiedersehen hatte er sich anders vorgestellt.

Kurz nachdem er Armin die Ergebnisse seiner Abschlussprüfungen zugeteilt hatte, waren viele aufgeregt verfasste Briefe von dem Älteren bei ihm eingetroffen. Mit unzähligen Worten und Formulierungen hatte er ihm geschrieben, wie sehr er sich darauf freute, endlich mit ihm zusammen arbeiten zu können.

Eren hatte angenommen, sie würden sich einander in die Arme fallen, wenn sie sich trafen. Doch stattdessen saßen sie auf einer Aussichtsplattform der mittleren Etagen und führten ein Gespräch, das befremdlicher nicht hätte sein können - umgeben von einem kühlen Wind und den Geräuschen der wohl nie schlafenden Stadt, die sich hinter der Brüstung unter ihnen erstreckte.
 

„Haben die dir irgendeine Gehirnwäsche verpasst? Verdammt nochmal! So kenn ich dich gar nicht!“, brach es aus Eren hervor, der mit der flachen Hand auf den Tisch schlug, sodass sich auf seiner Haut ein feuriges Brennen direkt ausbreitete. Um ihn zu beruhigen, hob Armin in einer kleinen Geste seine Hände und lächelte ihn nervös an.

„Glaub mir, das habe ich auch auf die harte Tour lernen müssen. Man gewöhnt sich irgendwann daran, dass jeder hier ein wenig seltsam ist… Ich meine… Eren, mal ehrlich. Wir arbeiten hier mit Kriminellen zusammen! Da ist es doch wohl normal, wenn man nicht gerade sein Privatleben ausplaudern möchte, oder?“

„Das nennst du arbeiten?“, stieß Eren mit Nachdruck aus und konnte sich nicht mehr auf dem Stuhl halten, als Armin auch noch mit den Schultern zuckte. „Hör zu, ich habe noch keine Ahnung was ich hier überhaupt machen soll, finde dann heute Morgen eine Leiche und einer der Enforcer zwingt mich auch noch es vor Marco geheim zu halten. Findest du das etwa lustig?“

„Geheim halten—was? Moment, sag das nochmal!“ Von einer unbestimmten Neugierde gepackt, lehnte sich Armin über den Tisch, die Ellenbogen aufgestützt. Die Augen des Blonden waren weit geöffnet, als habe er selbst gerade den schrecklichen Fund gemacht, von dem Eren ihm soeben berichtet hatte.
 

Seufzend ließ sich Eren zurück auf den Stuhl fallen, von welchem er in seinem Gefühlsausbruch halb aufgestanden war. Mit einer Hand rieb er sich die Stirn, die wie im Arbeitsakt zweier Schmiede, verloren zwischen Taktgeber und Vorschlaghammer, pochte.

„Ich habe das ungute Gefühl, diese Leiche hatte irgendetwas mit Marco zu tun. Jean will nicht, dass ich etwas darüber erzähle. Meine Güte, Armin… Ich kann ihn doch nicht anlügen!“ Doch der Angesprochene war mit einmal kreidebleich. Eren musste zweimal hinsehen, um sich sicher zu sein, dass er sich das blutleere Gesicht nicht einzubilden. „Armin?“

„Jean hat Recht!“, brach es aus dem Älteren hervor, nachdem er sich wie im Schock von seinen Gedanken wieder gelöst hatte.

„Was—?“

„Ich sagte, er hat Recht. Marco sollte das lieber nicht sehen—“

Dieses Mal war es Eren, der sich wieder von seinem Stuhl erhob und weit über die Tischplatte lehnte. Mit festem Griff schlossen sich seine Finger um den Krawattenknoten des Anderen, den er daran nah zu sich zog.
 

„Sag mir endlich was hier gespielt wird!“, grollte Eren leise. Er konnte fühlen, dass er kurz davor stand vollends die Nerven zu verlieren. Ihm kam es vor, als wären die Zusammenhänge und Dispute zwischen den Mitarbeitern hier von weitaus größerer Tragweite als die Mörder und Vergewaltiger, die dort draußen noch unentdeckt herumliefen. Eren schaute forschend in die Augen seines Gegenübers, um dort die ersten Anzeichen für eine ehrliche Antwort entdecken zu können, doch stattdessen fand er etwas anderes. Da war er wieder… dieser Ausdruck.

Kalt, berechnend.

Eren machte es Angst diesen Ausdruck bei jemandem zu sehen, den er einen Freund nannte.
 

„Egal, wie gut man sie zu kennen scheint—“
 

Kontinuierlich musste er an Marcos Worte denken, die er im Auto zu ihm gesagt hatte. Sie wollten ihm einfach nicht mehr aus dem Kopf gehen.
 

„—Man weiß nicht, ob in ihnen ein Krimineller steckt oder nicht.“
 

Als würde er damit eine stumme Warnung aussprechen, legte sich Armins Hand um Erens Handgelenk. Der Griff des Braunhaarigen blieb beständig.
 

„Jeder von uns hat das Potential dazu.“
 

„Eren—“ Armins Stimme war bestimmt.
 

„Auch Freunde können sich dir abwenden.“
 

„Es ist dein erster Tag. Du bist müde, hattest einen schrecklichen Fall und bist verwirrt von den ganzen neuen Eindrücken. Du musst erst einmal zur Ruhe kommen. Denke über das Wesentliche nach, nicht über einen sinnlosen Machtkampf, verstanden?“
 

Langsam lösten sich Erens Finger von der Krawatte, die er so fest umschlossen gehalten hatte, dass seine Knöchel weißlich hervor getreten waren. Sein Körper reagierte wie von selbst, als er zur Bestätigung sachte nickte und sich wieder auf den Stuhl gleiten ließ.

Armin stieß ein leises Räuspern aus, löste sich dabei aus der unbequemen Haltung und richtete sich wieder auf. Er schenkte Eren ein Lächeln – Eines von dieser Sorte, das den Jüngeren durch viele traurige Zeiten damals auf der Akademie geholfen hatte, doch Eren hatte auf einmal nicht den Ansporn es zu erwidern.
 

Mit wenigen Worten verabschiedete sich der Blonde von ihm, entschuldigte sich dafür, dass die Arbeit ihn wieder rief und er nicht länger hier bleiben konnte.

„Ach, bevor ich es vergesse.“ Armin blieb stehen und wandte sich wieder zu Eren herum, richtete sich dabei die verrutschte Krawatte. „Einen guten Tipp bezüglich Senior Inspector Bodt kann ich dir wohl doch geben… Vielleicht auch mehr eine Art Warnung, ich weiß es nicht…“
 

Fragend neigte Eren seinen Kopf zur Seite. Eine Warnung?
 

„Sollte er während der Arbeit einschlafen“, der Blonde holte etwas zittrig Luft, „Weck ihn sofort wieder auf.“

Als er das hörte, waren seine Gedanken wie weggewaschen. Armin war schon halb aus der Tür verschwunden, bevor Eren sich wieder sammelte.

„Armin, warte—“

„Was denn jetzt noch?“, genervt wandte sich der Angesprochene ein letztes Mal zu ihm, hob dabei sein Handgelenk, wodurch das Wristcom unter seinem Ärmel hervorrutschte und Eren symbolisierte, dass es für ihn wirklich dringend war zu gehen.

„Wie hoch ist dein Crime Coefficient?“ Eren brachte die Frage kaum über seine Lippen.

„Etwas über siebzig. Warum?“

Die Worte durchschnitten sein Innerstes wie Stacheldraht.

„Nur so.“
 

Er war gestiegen.



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