Zum Inhalt der Seite

Brüder

Brother Hood (Robin Hood (BBC))
von

.
.
.
.
.
.
.
.
.
.

Seite 1 / 1   Schriftgröße:   [xx]   [xx]   [xx]


 

.o°O°o. _____________________________ .o°O°o..O.o°

°o.O¯¯¯¯¯¯¯¯¯¯¯¯¯¯¯¯¯¯¯¯¯¯¯¯¯¯¯¯ O.o° °o.O.

Brother Hood - Brüder

Teil 03

Autor:

TwilightDeviant

Übersetzer:

Lady Gisborne

P16

Inhalt:

Guy und Robin haben den Kampf gegen den Sheriff und die Zerstörung von Nottingham Castle überlebt, aber die Wunden, die sie davongetragen haben, bleiben dennoch nicht ohne Folgen…

Warnung:

[AU] [H/C]

Disclaimer:

Bei dieser Geschichte handelt es sich um eine autorisierte Übersetzung von TwilightDeviants englischer Originalstory Brother Hood. Alle bekannten Charaktere und Orte in dieser Geschichte gehören selbstverständlich der BBC bzw. Tigeraspect und der Inhalt ist frei erfunden. Ich verdiene mit dieser Story kein Geld, sondern schreibe nur aus Spaß an der Freude. ^^

Link zur Originalstory:

(http://archiveofourown.org/works/1369813/chapters/2864251)

http://archiveofourown.org/works/1369813/chapters/2864251 (http://archiveofourown.org/works/1369813/chapters/2864251)

Anmerkung:

Wie einige von euch vielleicht bemerken werden, habe ich mich bei der Übersetzung dieser Story ausdruckstechnisch etwas vom Original entfernt, was in diesem Fall aber beabsichtigt war. Zwar bemühe ich mich, wenn ich Geschichten übersetze, so nah wie möglich am Original zu bleiben, aber mir ist auch und vor allem wichtig, einen flüssigen und sinnvollen deutschen Text zu schreiben und die erwähnten Abweichungen habe ich in diesem Fall vorgenommen, weil ich hoffe, dass die Geschichte für euch dann „flüssiger“ ist und ihr mehr Spaß beim Lesen habt. ^^

.o°O°o. _____________________________ .o°O°o..O.o°

°o.O¯¯¯¯¯¯¯¯¯¯¯¯¯¯¯¯¯¯¯¯¯¯¯¯¯¯¯¯ O.o° °o.O.

Eines Morgens, als gerade die ersten Sonnenstrahlen durch den Nebel und die kahlen Wipfel der Bäume krochen, wurde Archer von dem leichten Kitzeln einer Feder geweckt, die seine Ohrmuschel streifte. Mit einem Ruck saß er aufrecht im Bett und das ihn so lästig ärgernde Ding, an dessen anderem Ende Robin hing und ihn frech angrinste.
 

„Zieh dich an“, sagte er und ließ die Feder los. Archer, der insgeheim dachte, dass es noch viele andere Möglichkeiten gegeben hätte, um ihn zu wecken, warf die Feder fort, die sie langsam zu Boden fiel, während sich Robins Lächeln bei diesem Anblick vertiefte. „Wir machen unseren Rundgang.“
 

„Ich würde lieber hierbleiben, wenn es dir nichts ausmacht“, gab Archer zurück und ließ sich beinah ebenso heftig, wie er sich zuvor aufgerichtet hatte, zurück in die Laken fallen.
 

„Das macht mir sehr wohl etwas aus“, entgegnete Robin, während er durch den Raum ging und begann die verschiedensten Dinge aufzuheben, unter denen sich ein Hemd, Archers Weste und sein Schwert befanden. „Ich möchte, dass du die Gegend hier kennenlernst und außerdem“, bei diesen Worten warf er Archer seine Hose zu, „was würdest du sonst den ganzen Tag lang tun?“
 

„Zuerst einmal weiterschlafen.“ Archer schimpfte und knurrte zwar, quälte sich jedoch aller Widerworte zum Trotz aus dem Bett und begann, sich anzuziehen, denn im Gegensatz zu der Eintönigkeit und Langeweile, die ihm das Herrenhaus zu bieten hatte,  versprach ein Tag an der frischen Luft wenigstens etwas Abwechslung.
 

Gleich darauf sank seine Stimmung jedoch wieder spürbar, als Robin ihm eröffnete, dass sie sich nicht zu Pferd auf den Weg machen würden, was an der Unwegsamkeit des Geländes an einigen Stellen liegen mochte oder auch daran, dass es auf diese Weise einfacher war, die Menschen zu grüßen, denen sie begegneten. Was der wirklich Grund für seine Entscheidung war, konnte Archer nicht mit Sicherheit sagen, denn er schlief nach wie vor halb und hörte seinem Bruder daher kaum zu, als er diesem müde folgte.
 

Beide trugen jeweils ein Schwert und einen Bogen bei sich, hofften aber im Stillen, dass sie ihre Waffen nicht brauchen würden.
 

Archer war überrascht zu sehen, dass sie beide nicht als einzige unterwegs waren, denn auf ihrem Weg durch das Dorf trafen sie mehrere Leute, von denen sich die meisten damit zufriedengaben, ihnen lediglich zuzuwinken, doch eine Frau, die mit ihren Kindern unterwegs war, hielt die beiden an.
 

„Robin“, rief sie ihnen zu. „Robin Hood.“
 

Abrupt bliebe Robin stehen und seine zuckenden Finger verrieten seine innere Anspannung, aber als er sich zu der Frau umwandte, bemühte er sich um ein aufrichtiges Lächeln. „Bitte“, entgegnete er, „kein Wort mehr von dieser ganzen Hood-Geschichte. Nun bin ich Robin, einfach nur Robin. Oder Robin of Locksley, wenn Euch das lieber ist.“
 

Die Frau entschuldigte sich vielmals, doch Archer hörte es kaum, denn seine ganze Aufmerksamkeit galt seinem Bruder und dem verkrampften Lächeln, dass dieser verzweifelt aufrecht zu erhalten versuchte. Es war ein aufgesetztes Lächeln, das aus ebendiesem Grund nicht zu ihm passte.
 

Sie gab den beiden zwei Stücke Wurst, die vom Frühstück ihrer Familie übriggeblieben waren und ihnen mehr zusagten als das Stück Brot, mit dem sie das Haus verlassen hatten.
 

Als sie weitergingen und das Dorf schließlich hinter sich ließen, machte sich Archer sofort gierig über seinen Anteil her, während Robin von seinem Stück nur kleine Bissen nahm.
 

Nachdem die beiden den Waldrand erreicht und dort mit ihren Füßen eine Weile in dem toten, spröden Laub gewühlt hatten, zog Robin eine Karte von Sherwood aus seiner Tasche, um Archer zu zeigen, wo sie waren und wo sich die wichtigsten Dörfer befanden. Gerade folgten sie einem langen Pfad, der nach Clun führte und erreichten das Dorf kurz vor Mittag.
 

Dort wurden sie einmal mehr mit lautem Jubel und aller sonstigen Pracht begrüßt, die die Bauern nur aufbringen konnten. Sie rühmten Robin Hood, den es jedoch, wie sie gleich darauf erfuhren, überhaupt nicht mehr gab. Erneut bestand Robin darauf, einfach nur Robin oder Robin of Locksley genannt zu werden und berichtigte jeden einzelnen der Dorfbewohner darin, wie sie ihn ansprachen. Obwohl sie nicht ganz verstanden, was er damit meinte, gingen sie auf seine Forderung ein, doch einfältig, wie sie waren, würden sie diese ohnehin bald wieder vergessen haben und ihn versehentlich Robin Hood nennen. Archer wusste, dass sie es nicht absichtlich, sondern nur aus Gewohnheit taten, doch irgendetwas an dieser Anrede schien seinen Bruder furchtbar zu ärgern.
 

Die Menschen erzählten ihnen wie glücklich sie seit einem Monat waren und wie fröhlich ihr Leben ohne Gesetze zur Regelung der Steuern geworden war. Robin brachte es nicht über sich, ihre Freude zu zerstören indem er ihnen sagte, dass die Dinge nicht für immer so bleiben würden.
 

Als Clun schließlich wieder verließen, waren sie mit einem schweren Paket beladen, das ihr Mittagessen enthielt und Archer konnte sich einen Scherz darüber, dass die Dorfbewohner anscheinend entschlossen waren, sie zu mästen, nicht verkneifen. Robin lachte daraufhin leise und führte ihn zurück in den Wald.
 

Die beiden Brüder waren unverkennbar auf dem Weg zum früheren Camp der Outlaws, doch bevor sie auch nur in dessen Nähe gelangten wurde Robin merklich langsamer, stolperte immer wieder über seine eigenen Füße und seine tiefen, keuchenden Atemzüge verrieten, dass er schon eine ganze Weile darum kämpfte, weiterzugehen.
 

„Ich weiß einfach nicht, was mit mir los ist“, japste er und stützte sich an einem Baum ab. „Früher habe ich dieselbe Entfernung jeden Tag zurückgelegt, ohne müde zu werden und manchmal sogar mehrmals an einem Tag.“
 

Archer erwiderte nichts, reichte ihm jedoch einen Wasserschlauch, aus dem Robin einen langen Schluck nahm, bevor er erneut kurze, schnaufende Atemzüge ausstieß und schließlich einen Hustenanfall bekam. Es war ein trockener Husten ohne jeden Auswurf, der ihn innerlich zerriss, bis seine Kehle wund war und seine Brust schmerzte.
 

„Ich glaube, du hast dich einfach nur übernommen“, entgegnete Archer und gab ihm ein Zeichen, dass er sich hinsetzen und ausruhen sollte. „Vergiss nicht, dass du fast gestorben wärst.“
 

Robin ließ sich zu Boden sinken und fuhr mit einer Hand durch sein Haar, bevor er sie zu einer schmerzhaften Faust ballte, als der Husten zurückkehrte, der tief aus seiner Brust kam und so laut durch den Wald hallte, wie das Jaulen eines sterbenden Hundes. Da er nicht wusste, was er sonst tun konnte, gab Archer ihm noch mehr Wasser und etwas Brot.
 

Kurz darauf ließ der Husten wieder nach und als sich beide sicher waren, dass er endgültig vorüber war, schlug Archer vor, dass sie einfach dort sitzenbleiben und zu Mittag essen sollten.
 

„Also gibt es nun keinen Robin Hood mehr?“ fragte er seinen Bruder wenig später gleichgültig, während er auf einem Stück Schweinefleisch herumkaute.
 

„Nein“, antwortete Robin und warf einen abgekauten Knochen fort, an dem noch ein paar Fleischreste hingen, über die sich bald hungrige Tiere hermachen würden. „Robin Hood gibt es nicht mehr. Er starb vor einem Jahr im Heiligen Land und wurde von einem Mönch aus der Leere des Todes zurückgeholt, wenn gleich er niemals wieder ganz derselbe war. Im vergangenen Monat hat ihn eine einstürzende Burg endgültig zerstört, ihn und alles, das er jemals war, alles wogegen er jemals gekämpft hat.“ Er atmete tief durch und war erleichtert, als er nicht sofort wieder in einen bellenden Hustenanfall ausbrach. „Robin Hood ruht endlich in Frieden.“
 

Archer, der ihn aufmerksam beobachtete, bemerkte den entrückten Blick seines Bruders und auch einen Ausdruck unendlicher Müdigkeit, die sich nach wirklicher Erlösung sehnte, auf seinem Gesicht. Seine Gedanken zu erraten, stellte für Archer keine Herausforderung dar. „Du wünscht dir, dass dich das Gift umgebracht hätte“, vermutete er.
 

„Ich bin müde“, erwiderte Robin und ebendieses Gefühl schwang auch in seiner Stimme mit. Er streckte eine Hand aus und krümmte seine Finger, als könnte er es in seiner Faust zerdrücken und auf diese Weise für immer loswerden. „Ich habe so viel gegeben und sogar noch mehr verloren, mehr als ein Mensch jemals verlieren sollte. Wann wird das aufhören? Wann kann ich mein Schicksal in die Hände eines anderen legen, der an meiner Stelle diese Bürde und dieses Elend trägt? Wo ist mein Lohn für alle guten Taten? Wo ist…?“ Seine Stimme versagte und er ballte seine Faust noch fester zusammen, als ihm eine Mischung aus Schluchzen und bitterem Lachen entfuhr. „Wo ist meine Begnadigung?“
 

Archer fielen keine weisen Worte ein, kein kluger Rat, den er ihm hätte geben können, um seinen Blickwinkel zu verändern und ihn seine Leben wieder als freundlich, gütig und unbeschadet sehen zu lassen. Langsam streckte er seine Hand aus und klopfte Robin auf die Schulter. Du bist genauso schlimm wie er, wie Guy, nicht wahr? Du verbirgst es nur besser.“
 

Erneut lachte Robin auf, ein leises, durch die Nase ausgeatmetes Geräusch, das von dem Anflug eines Grinsens begleitet wurde. „Wie fühlst du dich dabei“, fragte er, „zu wissen, dass deine Brüder derartig erschöpft davon sind, einfach nur zu leben?“
 

„Ich fühle gar nichts dabei“, antwortete Archer aufrichtig und hob die Schultern. „Sollte ich das?“
 

„Nein“, erwiderte Robin mit einem zögerlichen Kopfschütteln. „Nein, du musst überhaupt nichts fühlen oder tun, das du nicht willst.“
 

Archer nickte und war dankbar für die Antwort, dankbar dafür, dass Robin ihn verstand und wusste es ihm nicht leichtfiel, Mitgefühl für seine Mitmenschen aufzubringen. „Komm schon“ sagte Archer, stand auf und hielt ihm seine Hand in einer stummen Aufforderung entgegen. „Du brauchst jetzt vor allem Ruhe und machst heute ganz bestimmt keinen Rundgang mehr.“
 

Robin schaute zuerst auf die Hand seines Bruders, dann in sein Gesicht und schien für einen Moment widersprechen zu wollen, bevor er schließlich zustimmend nickte und die dargebotene Hand ergriff.
 

Sobald er wieder aufrecht stand, legte er seinem jüngeren Bruder einen Arm um die Schultern, zog ihn an sich und drückte einen kurzen Kuss auf sein verfilztes Haar. Archer schob ihn gutmütig von sich, ließ seinen Arm jedoch für eine Weile auf der Schulter seines Bruders liegen, während sie zurück nach Hause gingen.
 

O°O°O°O°O°O°O°O°O

Eines Abends, als die in den Wintermonaten für gewöhnlich sehr schnell anbrechende Dämmerung längst hereingebrochen brach, stiegen Archer und Robin von ihren Pferden und führten sie anschließend auf einen Pfad, der an der Außenwand des Herrenhauses entlangführte. Robin hatte an diesem Tag beschlossen, einen letzten Jagdausflug  zu unternehmen, bevor das Jahr zu Ende ging, um die Menschen auf seinen Ländereien mit so viel frischem Fleisch, wie er nur finden konnte, zu versorgen und indem er seine Einladung mit der Herausforderung, zu sehen, wer das meiste Wild erlegen konnte verwob, hatte er auch Archer überreden können, ihn zu begleiten. Zwar hatte Robin die Anzahl der erlegten Tiere nicht wirklich mitgezählt, doch gerade deshalb widersprach er Archer auch nicht, als dieser felsenfest behauptete, dass Robin ihren kleinen Wettstreit verloren hatte.
 

Aller Anstrengung und des allumfassenden Todes von Tieren und auch Pflanzen, der sie in den vergangen Stunden umgeben hatte, zum Trotz, fühlten sich beide seltsam rastlos, als hätte ihnen dieser Ausflug neues Leben eingehaucht.
 

Archer, der sich nur noch darauf freute, sich im Haus an das warme Feuer setzen zu können, war dankbar, als ein junger Stallbursche ihnen beiden die Pferde abnahm und ihn so vor dieser Aufgabe bewahrte.
 

Der große Kamin stand so wunderbar einnehmend in dem großen Raum, dass die elende Gestalt, die in seiner Nähe lag und den Schein des Feuers entweder förmlich aufzusaugen oder ihren eigenen dunklen Schatten zu erschaffen schien, um das Licht zu vertreiben, beinah hätte übersehen werden können.
 

Wie immer lag Guy auf seinem schmalen Bett, wobei er seinen Blick der Treppe zugewandte hatte, sodass der Schatten, der in diesem Winkel auf sein Gesicht fiel, den dichten Stoppelbart, der dort inzwischen gewachsen war, fast vollkommen verbarg. Aus einem ihm unerklärlichen Pflichtgefühl heraus hatte Archer ihn nicht nur überredet, sich gelegentlich zu rasieren, sondern ihn auch dabei geholfen, wenn er die Zeit dazu hatte und Guy in der richtigen Stimmung war, doch es kam allzu selten vor, dass diese beiden Voraussetzungen gegeben waren.
 

„Gisborne“, grüßte ihn Robin matt, während er sich mühsam durch den Raum schleppte und sich auf seinem Weg seiner Stiefel und seines Umhangs entledigte, doch er bekam keine Antwort. „Was hast du heute gemacht?“ Guy blieb weiterhin stumm, woraufhin Robins Augen verschmitzt oder auch voller Ungeduld aufblitzten und Archer verrieten, dass sein Bruder irgendetwas im Schilde führte, da er vielleicht mit ihrer Jagd an diesem Tag unzufrieden war oder gerade von diesem Erlebnis getrieben wurde. Hätte er sich etwas wünschen können, so hätte Archer lediglich darum gebeten, dass die friedliche Gleichgültigkeit, die sich zwischen den dreien eingestellt hatte, auch weiterhin andauern möge, doch augenscheinlich teilte Robin diesen Wunsch nicht.
 

„Was hast du heute getan?“ fragte Robin noch einmal langsam, wobei er sich dem schweigsamen Mann noch weiter näherte, bis er dicht neben dem Bett stand.
 

„Lass ihn in Ruhe“, mischte sich Archer beinah flehend ein, denn wenn Guy damit zufrieden war, langsam dahinzuschwinden, dann war er durchaus damit zufrieden, es geschehen zu lassen. Schließlich konnte er seinen Bruder nicht zwingen, sich dem Leben, seinem Leben wieder zuzuwenden. „Robin, komm hierher und wärme dich am Feuer.“
 

Robin wandte sich von Guy ab, wobei sein Kopf und sein kalter, zorniger Blick der Bewegung seines Körpers nur zögerlich folgten und ging zum Kamin hinüber. Dort angekommen hielt er seine Hände nah an die Flammen und rieb die flackernde, knisternde Wärme des Feuers in seine vor Kälte fast tauben Finger. Archer tat für kurze Zeit dasselbe, bevor sich beide in die Stühle sinken ließen, die in nächster Nähe standen.
 

„Willst du nicht etwas näher herankommen, Gisborne?“ Fragte Robin in einem erneuten Versuch, Guy mit seinem Spott zum Sprechen zu bewegen, doch dieser zog lediglich einer der vielen Decken, mit denen er zugedeckt war, fester um seine Schultern.
 

„Das Abendessen müsste bald fertig sein“, fuhr Robin ungerührt fort, als würde zwischen ihnen tatsächlich eine alltägliche, belanglose Unterhaltung stattfinden.
 

Als hätten die Bediensteten nur auf ihr Stichwort gewartet, erklang in diesem Moment ein leises Klappern und Klirren, als Teller und Besteck auf dem hölzernen Tisch abgestellt wurden. Archer stand auf, um Guy seinen Teller wie üblich an sein Bett zu bringen, wurde jedoch sofort zurückgehalten, als Robin grob seinen Arm ergriff.
 

„Setzt du dich zu uns an den Tisch, Guy?“ Als erste wirkliche Antwort an diesem Abend knurrte der Angesprochene jedoch nur abweisend, woraufhin Robin so abrupt aufstand, dass er beinah seinen Stuhl umstieß und auf das schmale Bett zuging. „Ich denke, ich habe dir nun lange genug erlaubt, in Selbstmitleid zu versinken.“
 

„Du hast mir überhaupt nichts zu erlauben“, entgegnete Guy, endlich sein Schweigen brechend. „Und ich schulde dir sogar noch weniger als das.“
 

Diese Worte schien Robin alles andere als gerne zu hören, denn sofort verzogen sich seine Lippen zu einer schmalen Linie, während er sichtlich verärgert die Stirn in alten legte. „Am liebsten würde ich jetzt sagen dass du, wenn du nicht am Tisch isst, überhaupt nichts zu essen bekommst, aber das wäre dir wahrscheinlich sogar lieber, nicht wahr?“ Bei diesen Worten klang seine Stimme hart und streng. „Also komm schon.“
 

Bevor einer der Anwesenden die Gelegenheit hatte, seine Absicht zu durchschauen, beugte sich Robin hinunter, schlug die Decken zurück, die den bettlägerigen Mann umhüllten und warf sie fort. „Was machst du da?“ knurrte Guy, erhielt auf seine Frage jedoch keine Antwort. Stattdessen ergriff Robin einen seiner Arme und legte ihn sich um die Schultern.
 

„Robin!“ So gut er es vermochte, hob er Guy vom Bett auf, wobei sich seine Finger und seine Schulter in den Bauch und die Brust des Dunkelhaarigen gruben, sodass Robin insgeheim erleichtert war, dass inzwischen genügend Zeit vergangen war und er sich keine Sorgen mehr um Guys Wunden machen musste.
 

„Lass mich los!“ schrie Guy empört. „Lass ich runter!“ Zornig schlug er nach Robin, was in Verbindung mit seinem Gewicht beinah dazu führte, dass sie beide, einer auf dem anderen, zu Boden fielen.
 

Wild entschlossen zog Robin den anderen Mann trotz seiner wild um sich schlagenden Arme und seiner nutzlosen Beine durch den Raum und weder Guys Schreie noch Archers Flehen um einen ruhigen, entspannten Abend konnte ihn von seinem Vorhaben abbringen. Als er den hochgewachsenen Mann schließlich in einen Stuhl am Tisch sinken ließ, musste er einige Male tief durchatmen, bevor er den Stuhl mit einem lauten Knarren nach vorne schob, denn er fühlte sich von der ihm abverlangten Anstrengung seltsam außer Atem.
 

Nachdem er wieder zu Atem gekommen war, beugte er sich vor, bis sein Gesicht nur noch ungefähr eine Handbreit von Guys Gesicht entfernt war, doch dieser starrte weiterhin mit ausdruckslosem Gesicht geradeaus und nur seine Blicken verrieten, welch heftiger Sturm in ihm tobte.
 

„Iss“, befahl Robin, „lies oder schreib irgendetwas, zünde das Haus an, es ist mir egal!“ Sein Zorn war in diesem Moment so greifbar wie ein Dämon, der wutentbrannt hinter ihm aufragte, ihn antrieb und ihn ermutigte, dieses Leben, dem er das seine verdankte, zu retten und zu bewahren. „Tu einfach…irgendetwas!" rief er aus.
 

„Bring mich zurück in mein Bett“, grollte Guy mit fest zusammengebissenen Zähnen.
 

„Nein“, lehnte Robin trotzig ab.
 

„Robin!“ schrie er zornig, bevor er seine Faust mit einemlauten Krachen auf dem Tisch aufschlagen ließ. „Bring mich zurück!“ Seine Worte hätten flehend geklungen, wären sie nicht von ungezügelter Wut durchtränkt gewesen.
 

Wütend und verzweifelt zugleich richtete sich Robin wieder auf und betrachtete Guy von Kopf bis Fuß. All sein Wohlwollen und alle seine Versuche, einem Mann zu helfen, der keine Hilfe annehmen wollte und einen Mann zu retten, der sich nur den eigenen Tod wünschte, waren kaltherzig zurück gewiesen worden und bald war er am Ende seiner Geduld angelangt.
 

„Du willst in dein Bett zurück?“ fragte er langsam, mit einem drohenden Unterton in der Stimme. „Also gut.“ Er zog den Stuhl ein Stück vom Tisch zurück und stellte seinen Fuß auf die Sitzfläche, bevor er gleich darauf sowohl ihn als auch den darin sitzenden Mann mit einem groben Tritt zu Boden stieß, wo Guy gleich einem reglosen Haufen liegenblieb. „Dann kriech doch zurück. Wenigstens hast du dann irgendetwas vollbracht.“
 

Archer ging Robin so schnell er konnte aus dem Weg, als dieser an ihm vorbei und die Treppe hinaufstürmte und als kurz darauf die Tür seines Schlafgemachs zugeschlagen wurde, musste er einsehen, dass der Abend nicht mehr zu retten war.
 

Die Dienerschaft, die weder Robins Grausamkeit mitansehen noch Guy zuliebe in das Geschehen eingreifen wollte, hatte bereits die Flucht ergriffen, als das erste schroffe Wort fiel, sodass Archer nun allein im Raum war. Eine Weile beobachtete er seinen Bruder, der jämmerlich auf dem Boden ausgestreckt lag und wartete mit einem Anflug von Hoffnung darauf, dass er sich bewegte. Zwar war er mit Robins liebevoller Strenge nicht unbedingt einverstanden, aber ein deutlich spürbarer Teil von ihm hegte den starken Wunsch, dass Guy sich aufrichtete und den Versuch unternahm, über den Boden zu kriechen, dass er auf diese Weise wenigstens versuchte, zu seinem Bett zu gelangen.
 

Doch Guy tat nichts dergleichen.
 

Eine gefühlte Ewigkeit lag er vollkommen reglos auf dem Boden, bis sich Archer schließlich bückte, um ihm aufzuhelfen. Als hätte er die ganze Zeit auf eine solche Geste gewartet, schlang sein Bruder sofort die Arme um ihn und nahm die Hilfe, von der er gewusst hatte, dass sie ihm angeboten werden würde, nur allzu bereitwillig an.
 

Archer zog Guy zurück zu seinem Bett, das noch immer warm war und legte ihn darauf ab, bevor er ihm seine Decken zurückgab. Als Guy sich damit zudeckte, sah er einmal mehr traurig und gebrechlich aus. „Danke“, hauchte er leise.
 

Ein Gefühl der Enttäuschung und Abscheu erwachte mit einem Mal in Archer und ergriff ihn wie ein zu fest gespanntes Seil. Das sollten seine Brüder sein? Ein elender Schatten von einem Mann und ein anderer, der den ersten wie ein Heuchler dafür schalt, wenn er sich nicht gerade demütig um die Bauern kümmerte?
 

Erbärmlich.
 

O°O°O°O°O°O°O°O°O

Auf leisen, nackten Sohlen schlich Archer durch die Flure und Gemächer des Herrenhauses, die nur vom Licht des Mondes erhellt wurden. Den größten Teil des Hauses hatte er bereits durchquert und herausgefunden, dass es nicht sonderlich viele Wertgegenstände enthielt. Als er schließlich vor der Tür stand, die zu Robins Schlafgemach führte, hielt er den Atem an, denn er wusste, wenn es irgendetwas von Wert gab, würde es im Gemach des Hausherren zu finden sein, doch gleichzeitig konnte er sich eines starken, bedrückenden Gefühls nicht erwehren. Ihm war bewusst, dass Robins Gehör von einem jahrelangen Leben im Wald sicher ebenso ausgeprägt war, wie die Listigkeit, die Archer selbst zu Eigen war. Deshalb wog er alle Risiken gegen den möglichen Nutzen seines Vorhabens ab, doch sein innerer Zwist dauerte nur kurze Zeit an, denn wenn er fortgehen wollte, würde er auch die notwendigen Mittel brauchen, um für sich selbst zu sorgen.
 

Zwar war die Tür schwer, aber die Angeln, in denen sie hing, waren stark genug, um sie vollkommen geräuschlos aufschwingen zu lassen. Gleich darauf streckte Archer den Kopf in den Raum und schaute sich wachsam um. Robin lag mit dem Gesicht nach unten auf der Seite, als hätte er sich einfach auf sein Bett fallen lassen und überhaupt nicht vorgehabt einzuschlafen, sondern regelrecht das Bewusstsein verloren.
 

Archer wusste, dass sein Kampf gegen Guys Sturheit an diesem Abend sowohl von seinem Körper als auch von seinem Gewissen seinen Tribut gefordert hatte und konnte sich beinah bildlich vorstellen, wie Robin, von dieser Auseinandersetzung aufgewühlt, unaufhörlich in seinem gemach auf und ab gelaufen war,  bis er schließlich auf sein Bett gefallen und dort vor Erschöpfung fest eingeschlafen war. Diese Tatsache war für Archers Vorhaben nur von Vorteil, da er sich nun so unbemerkt wie ein Geist durch den Raum bewegen konnte.
 

Er entdeckte mehrere Truhen, zu denen er ohne zu zögern hinüberging, doch ihr Inhalt war alles andere als wertvoll, denn wenn sie nicht gänzlich leer waren, enthielten sie nur Dokumente oder Kleidung. Jegliches Gold oder Silber, das sie einmal enthalten haben mochten, war ohne Zweifel längst in die Hände irgendwelcher Bauern geflossen, die es nicht verdienten. Schließlich näherte er sich einer kleinen Truhe, die auf einem Regalbrett stand, doch als er sie öffnete, quietsche sie leise aber vernehmlich in den Angeln. Sofort warf er einen wachsamen Blick auf Robin, doch dieser hatte sich nicht einmal im Schlaf bewegt und augenscheinlich auch nichts gehört.
 

Erneut öffnete Archer vorsichtig den Deckel und dieses Mal wurden ihm seine Mühen endlich mit dem Anblick von Schmuck gelohnt. Die Kiste war randvoll mit Silber, in dem sich das Mondlicht spiegelte und Edelsteinen, die in dem bleichen Licht hell glitzerten. Funkelndes Gold führte ihn mit seiner Schönheit in Versuchung, sodass er schließlich einen Beutel hervorholte und begann, sein Fund dort hineinzufüllen.
 

Obwohl die Zeit drängte, konnte Archer nicht widerstehen und hielt die meisten Stücke ins Licht des Mondes, um sie näher betrachten zu können. Die Mehrheit von ihnen war noch so neu und sah so rein aus, dass er beinah meinte, noch die Hitze der Schmiede an den einzelnen Schmuckstücken  fühlen zu können.
 

Beinah gleichgültig fragte Archer sich, welcher seiner beiden Brüder wohl eine Vorliebe dafür haben mochte, Frauenschmuck wie Halsketten, Ohrringe Ringe und Haarnadeln zu sammeln. Die Sorge, wie er sich auf seiner Reise versorgen sollte, quälte ihn nicht länger, denn die jedes einzelne Stück war nicht nur schön, sondern auch wertvoll.  Solche fein gearbeiteten Kunststücke waren sicher für eine wunderschöne Frau bestimmt gewesen und tief im Innersten kam Archer nicht umhin, sich zu fragen, warum sie niemals in die Hände dieser besagten Frau gelangt waren.
 

Sobald er den gesamten Schmuck in seinem Beutel verstaut hatte, schloss Archer die Truhe wieder und stellte sie auf das Regalbrett zurück, von dem er sie heruntergenommen hatte. Als er sich noch einmal flüchtig in dem Gemach umschaute, entdeckte er einige weitere Stücke, für die nur wohlhabende Menschen eine Verwendung hatten und die sowohl klein genug waren, um in seinen Beutel zu passen, als auch wertvoll genug, um die Mühe, sie mitzunehmen, zu rechtfertigen.
 

Als er das Gemach verließ, stellte Archer erleichtert fest, dass sich die Tür ebenso lautlos schließen wie öffnen ließ. Zielstrebig ging er die Treppe hinunter und setzte sich schließlich auf die unterste Stufe, um sich seine Stiefel anzuziehen. Als er kurz darauf wieder aufstand, er griff er sein Schwert, das an die Seite der Treppe gelehnt worden war, legte es sich um und warf sich anschließend sein Bündel über die Schulter.
 

Auf dem Weg in die Freiheit, die ihm so lange verwehrt geblieben war, durchquerte Archer den Raum und ging hinüber zu der Tür, die nach draußen führte, doch war diese bei weitem nicht so entgegenkommend wie die Tür zu Robins Schlafgemach. Laut quietschend schwang sie auf, aber trotz des Lärms, den er verursacht hatte, war Archer anmaßend genug zu glauben, dass er möglicherweise noch immer unbemerkt geblieben war. Als er schon mit einem Fuß vor der Tür stand, ließ ihn jedoch ein Ruf, der an sein Ohr drang, unvermittelt innehalten.
 

„Wohin willst du zu dieser späten Stunde?“ Archer hätte schwören mögen, dass Guy die ganze Zeit wach gewesen war, so geistesgegenwärtig klang dessen Stimme.
 

„Ich will nur einen Spaziergang machen, um wieder einen klaren Kopf zu bekommen“, log er. „Was geht es dich an?“
 

Obwohl das Licht den Raum nur spärlich erhellte, konnte Archer erkennen dass sich Guys Augen misstrauisch verengt hatten und ihn nun voller Argwohn musterten. Vielleicht hatte das Mondlicht, das hinter ihm zur Tür hereinfiel, die Umrisse des Schwertes, das an seiner Seite hing und auch die des Bündels, das er trug, beleuchtet und ihn auf diese Weise verraten haben.
 

Guy seufzte schwer. „Als wir herausfanden, dass du möglicherweise zu Unrecht im Kerker sitzt“, begann er leise und nickte in Richtung der Treppe, „hatte ich gehofft, dass du unschuldig warst. Ich wollte daran glauben, dass du ihm ähnlicher bist als mir, auch wenn er ein solches Ärgernis ist.“
 

Sichtlich verstimmt wandte sich Archer nach diesen Worten von der Tür ab und ging einige Schritte auf Guys Bett zu. „Lass mich eines klarstellen: ich bin nicht du und ich bin nicht Robin!“
 

Am helllichten Tag, wenn laute Stimmen durch das Haus hallen durften, hätte er seinem Bruder diese Tatsache so laut er konnte ins Gesicht geschrien. „Ich bin Archer, Sohn von was-weiß-ich-wem und ich bin mein eigener Herr.“
 

„Aber zu welchem Preis?“ hielt Guy eine zweideutige Frage dagegen.
 

„Wie bitte?“ Sichtlich verwirrt trat Archer noch etwas näher zu seinem Bruder.
 

„Anscheinend bist du ein Sklave deines eigenen Wunsches, eine Art Gauner zu sein“, erwiderte Guy spöttisch, doch da er lang ausgestreckt auf dem Bett lag und sich somit in einer sehr verwundbaren Position befand, schwang keine Härte in seiner Stimme mit. „Dafür und natürlich für einen Beutel voller Münzen würdest du jegliche Bindung, die du vielleicht zu anderen Menschen hast, aufgeben.“
 

„Und wenn es so ist?“ hielt Archer dagegen und versuchte nicht einmal zu leugnen, dass er fortging und somit seine Brüder betrog. „Die Mitglieder meiner sogenannten…Familie beherrschen nicht einmal ihr eigenes, erbärmliches Leben. Warum also sollte ich bei euch bleiben?“
 

Auf diese Frage fiel Guy keine Antwort ein und diese Tatsache bestärkte Archer lediglich in dem Gefühl, dass er mit allem, was er sagte, Recht hatte. „Willst du, dass ich bleibe?“ fragte er verächtlich. „Und auf was würde ich mich in diesem Fall einlassen? Soll ich zusammen mit Robin Wache halten und Menschen beschützen, die niemals auch nur irgendetwas für mich getan haben? Oder soll ich dich immer und immer wieder vom Boden aufheben? Was für ein Leben erwartet mich hier?“
 

Guy blieb stumm und Archer war davon überzeugt, aus diesem Streit als Sieger hervorgegangen zu sein, doch aus einem ihm unbekannten Grund ärgerte ihn das nur noch mehr. „Ich gehe jetzt.“ Mit diesen Worten wandte er sich von dem bettlägerigen Mann ab. „Leb wohl, Bruder“, zischte er.
 

Gerade, als er die Tür beinah erreicht hatte, brach Guy jedoch mit harter, kräftiger Stimme sein Schweigen. "Lass den Schmuck hier.“
 

„Was?“ fragte Archer in dem Bemühen, seinem Bruder bezüglich dieser Angelegenheit Ahnungslosigkeit vorzutäuschen.
 

„Ich sagte, dass du ihn hierlassen sollst“, wiederholte Guy streng. „Du würdest doch unter keinen Umständen ohne einen letzten unverschämten Betrug von hier verschwinden und sonst gibt es im ganzen Haus wenig wertvolles, das in dieses Bündel passen würde. Lass“, befahl er ein weiteres Mal, „den Schmuck hier.“
 

„Warum?“
 

„Er gehört dir nicht“, erwiderte der Dunkelhaarige, worauf Archer lediglich ein spöttisches Schnauben ausstieß.
 

„Und ich nehme an, du hast das schöne dazugehörige Kleid. Ist es das?“
 

„Halt den Mund!“ zischte Guy ihm drohend zu und setzte sich in seinem Bett auf, doch seine veränderte Position trug nur wenig dazu bei, das schwache, unbeeindruckende Bild, das er abgab, zu zerstreuen. „Der Schmuck gehörte…“
 

„Wem?“ fragte Archer höhnisch in die darauffolgende Stille. „Der legendären Marian?“ Bei der Erwähnung ihres Namens fuhr Guy zusammen, was Archer jedoch nicht im Geringsten kümmerte. „Wenn ich die Tatsache außer Acht lasse, dass sich Schmuck in deinem Besitz befindet, der Robins verstorbener Gemahlin gehört hat, sage ich dir als nächstes, dass sie ihn nicht vermissen wird.“
 

Verärgert und nicht in der Stimmung für weitere Abschiedsworte wandte sich Archer erneut zum Gehen und sah deshalb nicht, wie sich Guy hinunterbeugte, um ein kurzes Messer unter seinem Bett hervorzuziehen. Geschickt warf er die Waffe, die in Archers Bündel steckenblieb und ein tiefes Loch hineinschnitt.
 

Das Seufzen, das dem jüngeren Mann entkam, während er das Bündel von seinen Schultern auf den Boden gleiten ließ, klang mehr wie ein leises, freudloses Lachen. Er zog das Messer aus dem Stoff, wodurch er den Riss darin jedoch nur noch mehr vergrößerte und ein Loch hinterließ, das gerade groß genug war, um ein ernstliches Hindernis darzustellen.
 

„Gratuliere“, rief er aus. „Du hast es geschafft, mich aufzuhalten. Jetzt muss ich mich nach einem neuen Bündel umsehen.“
 

„Mit diesem Schmuck wirst du das Haus nicht verlassen“, entgegnete Guy streng.
 

„Und was willst du dagegen tun?“ fragte Archer, wobei er dem anderen kaum Beachtung schenkte, sondern lediglich sein Bündel auf dem Tisch ablegte. „Willst du nach Robin rufen?“
 

Guy zögerte kurz, bevor er zustimmend nickte. „Wenn es sein muss.“
 

„Ich warte“, gab Archer daraufhin zurück und hielt in seiner Tätigkeit inne, um den Täuschungsversuch seines Bruders auffliegen zu lassen und wie von ihm erwartet, gab Guy keinen Laut von sich. Da er sich von seinem Bruder nicht im Geringsten bedroht fühlte, ging Archer unbeirrt durch den Raum und schaute leise in verschiedene Truhen und Schränke, bis er schließlich ein brauchbares Bündel fand, mit dem er an den Tisch zurückkehrte, Als er gerade dabei war, seine Habseligkeiten hineinzupacken, ergriff Guy erneut das Wort.
 

„Der Schmuck war für Marian.“ Archer gab nur ein bestätigendes Brummen von sich, wodurch sich Guy jedoch nicht beirren ließ. „Manche Stücke habe ich ihr geschenkt, doch meine Geschenke wurde fast jedes Mal abgewiesen. Andere wiederum habe ich lediglich in der Absicht gekauft, sie ihr zu schenken, doch ich bekam nie die Gelegenheit dazu. Wieder andere…“
 

Er hielt für einen kurzen Moment inne und als er fortfuhr, war seine Stimme wenig mehr als ein kaum hörbares Flüstern. „Wieder andere habe ich nach meiner Rückkehr aus dem Heiligen Land gekauft.“
 

„Nachdem du sie getötet hattest?“ fragte Archer kaltherzig und ohne einen Funken Mitgefühl. Guys einzige Antwort auf diese Frage war ein langsames, träges Nicken.
 

„Ich weiß nicht, ob es für mich inzwischen zur Gewohnheit geworden ist, aber…ich kann nicht damit aufhören und sehe auf den Marktständen immer wieder Dinge, die mich an sie erinnern.“ Bei diesen Worten blickte er auf die Decken hinab, die um seine Taille geschlungen waren und auf seine Hände, die diese schmerzhaft umklammert hatten.
 

„Du hast sie wirklich geliebt.“ Dieses Mal war es keine Frage, denn Archer hatte in dieser Angelegenheit nicht den geringsten Zweifel mehr. Dennoch nickte Guy, als hätte ihm sein Bruder tatsächlich eine Frage gestellt, woraufhin Archer seinen Bruder einen endlos erscheinenden Moment lang abschätzend anschaute.
 

„Hier“, sagte er schließlich und ging mit dem Bündel voller Schmuck auf ihn zu. Mit einem geschickten Griff löste er die Schnur darum und zog sie auseinander, bis die Öffnung groß genug war, um selbst in dem dunklen Raum den größten Teil des Inhaltes preiszugeben. „Ich denke, ich kann dir wenigstens dein Lieblingsstück lassen.“
 

„Du bist zu gütig“, erwiderte Guy in sarkastischem Tonfall, „wenn du mir zurückgibst, was mir ohnehin bereits gehört.“ Seinen höhnischen Worten und seinem spöttischen Tonfall zum Trotz griff er aber dennoch mit einer Hand in das Bündel und wusste augenscheinlich genau, wonach er suchte.
 

„Dieser hier.“ Er hielt einen Ring mit einem schmalen Band hoch, in dessen silberne Blätter grüne und purpurrote Edelsteine eingearbeitet waren.
 

„Gut“, erwiderte Archer und schloss das Bündel wieder, indem er die Schnur fest zusammenzog. „Als Gegenleistung verlange ich nur, dass du mir Robin so lange wie möglich vom Leib hältst.“
 

Guy schüttelte den Kopf. „Er wird dich nicht verfolgen.“
 

„Nicht?“
 

„Immerhin hat er das bisher auch nicht getan, oder?“
 

„Das ist wahr“, stimmte Archer zu, bevor er den gerade erworbenen Schmuck in das Bündel gleiten, das er sich anschließend wieder über die Schulter warf. „Leb wohl, Bruder. Wenn du am Leben bleibst, sehen wir uns vielleicht eines Tages wieder.“
 

„Es ist sehr viel wahrscheinlicher, dass du stirbst“, entgegnete Guy. „Ganz besonders, wenn ich an deine Vorgeschichte denke.“
 

Auf diese durchaus nicht von der Hand zu weisende Behauptung hin nickte Archer zustimmend. „Nun ja, sollte ich eines Tages zurückkehren und dich an demselben Fleck vorfinden, an dem ich dich zurückgelassen habe, dann bin ich schwer enttäuscht.“
 

Guy rollte seine Schultern, um die verkrampften Muskeln zu lockern und ließ sich dann wieder zurück auf das Bett sinken und zeigte so deutlich, dass die Meinung, die Archer von ihm hatte, nur wenig Einfluss auf seine Taten oder seine Motivation hatte. Er hielt einfach nur den kleinen Ring zwischen seinem Daumen und seinem Zeigefinger fest und betrachtete ihn eingehend, bevor er Archer eine sichere Reise wünschte.
 

O°O°O°O°O°O°O°O°O

Beim Frühstück am folgenden Morgen saß Robin allein am Tisch, da Guy auch diese Mahlzeit wie üblich in seinem Bett zu sich nahm. Als er sein Frühstück gerade beendet hatte, kam Robin zu ihm herübergeschlendert, wobei er sich nebenbei immer wieder kleine Kartoffelstücke in den Mund warf. „Archer schläft heute lange“, sagte er, als würden sie sich ungezwungen miteinander unterhalten.
 

Guy hingegen hatte Robin nich nicht vergeben, wie empörend ihn dieser am vergangenen Abend behandelt hatte und war deshalb der Meinung, dass er nicht verpflichtet war, ihm das späte Erscheinen ihres Bruders zu erklären. Was ihn betraf, sollte Robin den Grund dafür ruhig selbst herausfinden.
 

Drei weitere Stunden vergingen, in denen Robin mehr als einmal damit drohte, ihren verschollenen Bruder zu wecken, aber es blieb jedes Mal bei einer Drohung, denn er blieb ging nicht hinauf in das obere Stockwerk, sondern setzte sich stattdessen in einen Stuhl, der sowohl in Guys Nähe als auch nah am Feuer stand, um sich die Berichte über die Situation auf seinen Ländereien anzusehen.
 

Obwohl es für ihm sehr schwer fallen würde, wusste er nur zu gut, dass er die Menschen am besten auf Prince Johns unvermeidliche Rückforderung des Landes vorbereiten konnte, wenn er möglichst bald begann, Steuern zu erheben. Er würde milde sein und ihnen nicht mehr abverlangen, als sie entbehren konnten, aber nachdem er ihnen so viele Jahre lang immer etwas gegeben hatte, fühlte es sich für ihn dennoch falsch an, ihnen nun etwas zu nehmen.
 

Als er gerade die geringste Summe berechnet hatte, mit der die Menschen auf seinen Ländereien auskommen konnten, flog unvermittelt die Tür weit auf. Robin und Guy schauten auf, verfluchten den kalten Winde, der hereinwehte und verlangten laut danach, dass die Tür sofort geschlossen wurde. Die hereingekommene Gestalt gehorchte und als sie sich umwandte, stand unerwartet Archer dort und kündigte sich selbst mit dem königlichen Fanfarenstoß an, den er zu verdienen glaubte.
 

Auch wenn Guy es niemals zugegeben hätte, durchströmte ihn beim Anblick seines Bruders ein warmes Gefühl der Erleichterung und Zufriedenheit. Zwar war er nicht wenig überrascht, Archer zu sehen, doch es war eine angenehme Überraschung, wie er sie seit langer Zeit nicht mehr erfahren hatte.
 

Fröstelnd wischte sich Archer einige verirrte Schneeflocken von den Schultern und schaute Guy mit gespielter Strenge an. „Was, habe ich gesagt, wird passieren, wenn ich zurückkomme und du noch immer am selben Fleck bist?“
 

„Was ist denn?“ entgegnete Guy spöttisch. „Habe ich dich enttäuscht?“
 

„In vielerlei Hinsicht“, gab Archer zurück und nahm seinen Umhang ab, den er zusammen mit seinem Bündel zu Boden fallen ließ. „Aber vergiss das jetzt. Ich bin am verhungern.“
 

„Und wo genau bist du gewesen?“ verlangte Robin zu wissen. Er stand auf und schaute zwischen Archer und Guy hin und her, denn er spürte nur zu deutlich, dass ihm gerade etwas sehr Wichtiges entging.
 

„Ich bin spazieren gegangen“, antwortete Archer, worauf Robin sich Guy zuwandte, in der Hoffnung, von ihm eine bessere Antwort zu erhalten, doch der Dunkelhaarige zuckte nur mit den Schultern, denn streng genommen hatte sein Bruder die Wahrheit gesagt.
 

„Ach, ich gebe es auf“, brummte Robin daraufhin gereizt. „Ihr und eure kleinen Geheimnisse. Annie“, rief er, während in Richtung der Küche ging. „Bringst du unserem jungen Master Archer bitte etwas zum Mittagessen?“
 

Sobald er den Raum verlassen hatte, schaute Guy seinen Bruder fragend an. Archer schien zwar fest entschlossen so zu tun, als wäre nichts geschehen, aber Guy teilte seinen Wunsch nicht. „Warum bist du zurückgekommen?“ wollte er wissen.
 

„Ich habe nachgedacht“, begann Archer, bevor einen wachsamen Blick hinter einen Pfeiler warf, um sich davon zu überzeugen, dass Robin sie nicht belauschte. Dennoch trat er sicherheitshalber näher zu seinem Bruder. „Zwar möchte ich die Welt entdecken, aber mir ist bewusst geworden, dass ich dafür noch den Rest meines Lebens Zeit habe und einstweilen wäre es töricht von mir, Schutz, Essen und ein Dach über dem Kopf abzulehnen, selbst wenn ich im Gegenzug dafür mit euch beiden fertigwerden muss.“
 

„Bist du wirklich so einfach zu bestechen?“ fragte Guy mit einem leisen, freudlosen Lachen, worauf sich Archers Gesichtszüge plötzlich verhärteten.
 

„Soweit ich weiß, läufst du erst seit kurzem mit einer großen Zielscheibe auf dem Rücken herum“, entgegnete er ernst. „Wenn du dein ganzes Leben in Armut verbracht hast und ständig auf der Hut sein musstest, reden wir noch einmal darüber, wie billig ein sicheres Heim ist.“
 

Guy wollte Archer in dieser Angelegenheit nicht widersprechen und sagte deshalb nichts, denn wenn das Gefühl, einen Sieg errungen zu haben, seinen Bruder zum Bleiben bewog, sollte es ihm Recht sein. Außerdem verwunderte es ihn weitaus mehr, dass Archer Locksley sein Heim genannt hatte. Er selbst hatte sieben lange Jahre hier gelebt, doch obwohl es nun wieder Robin gehörte, betrachtete er es nach wie vor als sein Heim und ein winziger, unerwünschter und unbeachteter Teil von ihm war vielleicht sogar dankbar dafür, dass Robin ihm erlaubte zu bleiben. Aber zu hören, wie Archer es ein Zuhause, sein Zuhause nannte, gab ihm das Gefühl, eine Familie zu haben, zu der er gehörte. Seit zwanzig Jahren hatte er nicht mehr so empfunden und nach Marians Tod war er davon überzeugt gewesen,  niemals wieder so etwas zu erfahren, aber dieses Gefühl war ihm mehr als willkommen.
 

Als Guy an diesem Abend beim Essen mit am Tisch saß, wurde nicht ein Wort darüber verloren, da die anderen beiden Männer mit Recht vermuteten, dass Guy wahrscheinlich sofort zurück in sein Bett flüchten würde, wenn sie eine falsche Bemerkung machten.
 

Da es auch darüber hinaus nicht viel zu sagen gab, verlief  diese Mahlzeit sehr ruhig und Robin hielt sogar den Mund, als sein Blick auf einen vertrauten Ring am kleinen Finger von Guys linker Hand fiel. Diesen Ringe kannte er nur allzu gut, schließlich hatte er ihn einst von dem benachbarten Finger an Marians Hand genommen.
 

Mit einem Mal stieg ein starkes Verlangen in ihm auf, den Ring an sich zu nehmen und er wollte nichts mehr, als ihn so weit er nur konnte hinaus in den Schnee zu werfen, doch irgendwie gelang es ihm, sich zurückzuhalten.
 

.o°O°o. _____________________________ .o°O°o..O.o°

°o.O¯¯¯¯¯¯¯¯¯¯¯¯¯¯¯¯¯¯¯¯¯¯¯¯¯¯¯¯ O.o° °o.O.
 



Fanfic-Anzeigeoptionen

Kommentare zu diesem Kapitel (0)

Kommentar schreiben
Bitte keine Beleidigungen oder Flames! Falls Ihr Kritik habt, formuliert sie bitte konstruktiv.

Noch keine Kommentare



Zurück