Tag 1: Montag
Sanjis Stirn lehnte an der Glasscheibe des Zugfensters. Das Klackern der Räder auf den Schienen und das Brummen des Zuges vibrierten durch seine Stirn in seinen Körper hinein, der leichte Schmerz des immer wieder leichten Aufschlagens war willkommen. Er war so ein Idiot! Die Messe war nun zu Ende und er würde diesem Mugen nie wieder über den Weg laufen und auch keinen weiteren Reiskeks mit ihm teilen. Vermutlich würde er ihn nicht einmal auf der Straße erkennen ohne das Kostüm. Das war doch zum Haare raufen. Dieses verschmitzte Grinsen ging Sanji einfach nicht aus dem Kopf.
Er wollte ihn wieder sehen. „Idiot. Idiot. Idiot“, murmelte er vor sich her und verfluchte sich selbst. Wie konnte er ihn nur wiederfinden? Vielleicht Animexx? Es war doch im Grunde jeder Animefan in diesem Land dort angemeldet. Hatte er denn eine andere Wahl?
Sanji kniff die Augen zusammen und wünschte sich, bald Zuhause an seinem Laptop zu sitzen. Er musste so schnell wie möglich Mugen finden …
Nach vier Stunden Zugfahrt und einem einstündigen Aufenthalt zwischendurch fiel Sanji am Abend auf sein Bett. Endlich zuhause. Er atmete tief durch und machte sich einen Plan: erst die Reisetasche ausräumen, die Messeeinkäufe auspacken und auf Schäden überprüfen und dann Mugen suchen. Noch einmal atmete er tief durch, zog seine Jacke aus und öffnete den Reißverschluss seiner Reisetasche: Kissen, Manga, Manga, Manga, Postkarten, Manga, Hemden, Hosen, Figur … Nur vier Tage Messe und doch war seine Reisetasche bis oben hin gefüllt. Erfolgreiches Wochenende.
Noch erfolgreicher, wenn er ihn fände …
Er schob noch kurzes Kochen in seinen Plan ein. Mit Essen im Magen konnte er besser denken. Sanji zündete sich eine Zigarette an, während sein Laptop hochfuhr und sich der Browser aufbaute. Eingeloggte und schon konnte die Suche – oh, eine ENS. Richtig, Nami.
Er krempelte seine Ärmel hoch und schrieb ihr von den Abenteuern auf der Messe und natürlich, dass er an ihr Mitbringsel gedacht hatte. Als ob er ihr etwas abschlagen oder sie enttäuschen könnte. Gleich am nächsten Tag würde er es losschicken, versprach er und setzte ein paar Herzchen an den Satz. Seine Nachricht schloss er mit den Worten:
So… Ich glaube, das war das Wichtige oder Interessante.Cosplays. Sein einziger Anhaltspunkt war das Cosplay. Richtig, seine Kamera! Diese hätte er nun fast vergessen und mit wenigen Handgriffen lag die Speicherkarte im Slot seines Laptops und der Ordner mit den Messebildern sprang auf seinem Monitor auf. Wo war denn nun Mugen … Gefunden! Das Selfie.Ich werde dann jetzt erstmal den Mugen von der LBM stalken gehen. Animexx ist da genauso praktisch wie Facebook ;)
Unwillkürlich lächelte Sanji und ließ das Foto offen.
Zurück zu Animexx und den Cosplays. Sanji gab in das Suchfeld „Mugen“ ein, wählte den Charakter und schon war die Seite über und über mit Fotos von Mugens. Jetzt musste er nur noch den richtigen finden. Ein bisschen kam er sich wie ein Detektiv vor. Offensichtlich konnte er alle weiblichen Mugens ausschließen, solch eine tiefe Stimme konnte ein Mädchen nicht so einfach imitieren. Nein, sein Mugen war ganz offensichtlich männlich gewesen, ansonsten wäre Sanjis Flirtmodus vermutlich auch von ganz alleine angesprungen. Dann könnte er sich jetzt diese Quälerei sparen.
Er konnte sich wirklich in den Hintern beißen, ihn nicht nach seinem Namen oder der Handynummer gefragt zu haben. Wie blöd konnte jemand sein?
Sanji seufzte wieder leise und besah sich ein Mugen-Cosplay nach dem anderen an, öffnete jene in einem Reiter, die es vielleicht sein konnten. Die Darstellung in der Übersichtsliste war doch recht klein, um wirklich jemanden zu erkennen; jemanden, den er im Grunde gar nicht kannte. Aber er wollte ihn unbedingt kennenlernen!
Eine halbe Stunde später war er sich sicher, den richtigen Mugen gefunden zu haben. Sein Animexx-Name war InfiniteMugen. Offensichtlich ein weit größerer Samurai Champloo-Fan als ursprünglich angenommen, eine gute Eigenschaft, befand Sanji. Das Profil allerdings war recht spartanisch eingerichtet, aber immerhin mit realem Namen: Roronoa Zoro, 22 Jahre alt. Er im Mugen-Cosplay war natürlich sein Profilbild, es stand ihm aber auch einfach verdammt gut. Sanji kam nicht umhin, das Foto einen langen Moment zu lang anzusehen. Als er das merkte, räusperte er sich und murmelte „Nett, sehr … nett.“
Trotzdem durfte er seine Mission nicht aus den Augen verlieren und öffnete das Gästebuch. Was schrieb er denn nun? Eindeutig sollte es sein, immerhin wusste Mugen (Zoro) gar nicht, wer er war – Sanji hatte ganz vergessen, sich vorzustellen. Aber unverbindlich musste es sein, er durfte nicht aufdringlich wirken. Freundlich natürlich, ein bisschen witzig dazu. Außerdem musste es gute Möglichkeiten für eine Antwort bieten. Sanji saß eine ganze Weile vor dem Textfeld, tippte, löschte, grübelte, grübelte noch mehr und tippte und löschte wie ein Weltmeister. Am Ende war ihm doch ein ansprechender Text gelungen:
Ha, gefunden! Stalken ist eine Supersache ;)Bestimmt dreißig Mal las sich Sanji den Text durch, dann schickte er ihn ab. Nun hieß es: abwarten. Wieder zündete er sich eine Zigarette an und inhalierte tief. Dann fiel ihm auf: „Verdammt, ich hab mich schon wieder nicht vorgestellt. Mann ey!“ Wie strunzdoof war er eigentlich? Das passierte ihm doch sonst nicht. Für gewöhnlich hielt sich Sanji für einen manierlichen Menschen, sich einem Fremden vorzustellen, mit dem man Kontakt hatte oder wünschte, war das mindeste. Er schüttelte über sich selbst den Kopf.
Danke nochmal für den Reiskeks und das Selfie. N Kumpel erklärte mir: "Man soll ja nichts von Fremden annehmen, aber bei Mugen ist's okay."
War ja mächtig viel los, nicht wahr? Ich hoffe, du und Fuu hattet noch einen schönen Samstag bzw. eine schöne Con ganz insgesamt.
Und du hast ja nicht nur Mugen im Cosplay-Repertoire, sondern auch noch Kiyomasa Senji und Zaraki Kenpachi und Grimmjow (ich ahne einen Bleach-Fan auf deiner Seite ;) ), ist total genial. Vor allem Senji und Grimmjow find ich einfach klasse, in den Cosplays hätte ich dich auch fotografiert, garantiert.
Beste Grüße.
Ablenkung. Genau, ablenken schien ihm gerade eine gute Sache. Da waren immerhin noch Mangas, die er in seine Sammlung einpflegen musste und …
Oh, eine ENS. Schon? Ach, von Nami:
Ach... hat Mugen dir den Mexx-Nick verraten? Hoffe dein Stalking war erfolgreich und spannend ;PSanji schmunzelte und verschob die Antwort auf den nächsten Tag. Heute wollte er Animexx nicht mehr sehen. Es würde ihn doch nur daran erinnern, wie dämlich er sich benahm. Das war nur irgendein Typ, nicht mehr und nicht weniger.
Sanji ahnte, Zoro war anders …