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Mädchen mit der Gitarre

~ギターを持った少女~
von

Vorwort zu diesem Kapitel:
Hierzu gibt es wieder einen Song, Kuon no Kawa von Alan. Dies ist ein eher ruhiges Kapitel, aber ich hoffe, ihr könnt erkennen, dass es auf eine spannende Wendung zusteuert. Die wird sich im nächsten Kap ereignen, also unbedingt dranbleiben. ;)

Übrigens habe ich die Charakterbeschreibungen auf den neuesten Stand gebracht. Ab sofort ist Henri dort auch vertreten! Komplett anzeigen

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Zwölf

Izumi lehnt sich an Kois Schulter und nimmt die Aussicht auf die endlosen blauen Weiten des Pazifiks in sich auf. Der Wind zerrt an dem weißen Kleid, das ihr gerade zu den Knien reicht, und zerzaust ihre Frisur, aber sie kümmert sich nicht darum. Der Wald aus weißen Masten im Hafen von Atami und dahinter das blaue Meer sind viel zu schön, um vor den Gezeiten zu flüchten.

"Danke, dass du mit mir hierher gekommen bist."

Trotz der Hitze, etwas getrübt durch eine frische Brise, legt Koi einen Arm um sie. "Den kleinen Urlaub hast du dir verdient."

Izumi lächelt. Ihrem Plan folgend sind sie in aller Früh aufgestanden und zum Bahnhof gefahren, um den Tokaido-Express nach Atami[1] zu nehmen. In kaum zwei Stunden haben sie Tokyo hinter sich gelassen und einen reizenden Ferienort betreten. Gegenüber des Bahnhofsgebäudes hat sie ein düsterer Felsen begrüßt, aus dem siedend heißes Wasser geströmt ist.

"Schade, dass wir uns kein Ryokan[2] leisten können."

Koi beugt sich ein wenig herab, um einen Kuss auf ihren Scheitel zu drücken. "Dafür lade ich dich auf einen Kaffee ein."

Damit bringt er Izumi zum Lachen. Sie wirft einen letzten Blick auf den Hafen, bevor sie sich auf die Suche nach einem Café begeben. "Es ist wirklich schön hier."

Kois Hand findet die ihre wie von selbst. Auch er lächelt hinter seiner Sonnenbrille. "Es riecht nach Meer. Das Rauschen der Wellen ist überall."

"Schreib doch einen Song darüber."

Für eine Weile amüsieren sie sich damit, das beste der Cafés am Wasser auszuwählen. Letztendlich gibt Izumi es auf, für die hübscheste Einrichtung zu sprechen, und vertraut darauf, dass Kois Nase den besten Kaffee aufspürt. Mit dem Ergebnis ist sie mehr als zufrieden.

Die Pappbecher mit dem blauen Logo in Händen, kehren sie zurück zum Hafenbecken und folgen dem großen Halbkreis der Promenade. Izumi hakt sich bei Koi unter, damit er Kaffee und Stock gleichzeitig halten kann. Sie schlendern zwischen anderen Paaren dicht am Wasser dahin und atmen die salzige Luft tief ein. Wenn Izumi den Kopf zur Stadt dreht, mischt sich der Geruch nach Schwefel darunter, der mit den heißen Quellen aus der Erde aufsteigt.

Sie reden über das Casting, das bereits eine Woche zurückliegt, aber angesichts der blendenden Sonne über den trägen Wellen treten Izumis Sorgen bald in den Hintergrund. Auf der anderen Seite des Halbkreises biegen sie ab und spazieren einen Pier entlang, der in das Meer hineinragt. Riesige gekrümmte Pfeiler neigen sich über sie.

Izumi bleibt einen Moment stehen, um das Schild zu lesen. "Moon Terrace. Der Brunnen an der Spitze ist ein Ort, an dem sich Paare ihre Liebe gestehen."

Koi schiebt grinsend seine Brille hoch. "Klingt vielversprechend."

Nahe der Spitze des Moon Deck rasten sie auf einer Holzbank, umgeben von grünen Büschen. Wann immer Izumi einen Blick auf das blaue Meer wirft, treiben ihr die Lichtreflexe Tränen in die Augen. Deshalb pflückt sie kurzerhand die Sonnenbrille von Kois Nase, um sie selbst aufzusetzen. Der angenehme Schatten, der sich über die Welt legt, lässt sie aufseufzen. "Viel besser."

Koi lächelt. Unter der hellen Sonne wirkt er blass.

Izumi trinkt ihren Kaffee und beobachtet die anderen Pärchen, die händchenhaltend vorbeikommen. Manche sind jung wie sie, manche in mittleren Jahren und manche so alt wie ihre Großeltern. Ohne es zu merken beginnt sie, eine Melodie zu summen, die ihr beim Anblick der friedlichen Sommerszene in den Sinn kommt.

"Den Song kenne ich nicht ..."

Blinzelnd erinnert sich Izumi an den Ursprung der kleinen Melodie. "Der ist von Alan, einer tibetischen Sängerin. Sie lebt aber in Japan und singt auf Japanisch."

"Interessant."

"In dem Song geht es zwar um einen Fluss, aber das alles erinnert mich trotzdem daran." Izumi trinkt noch einen Schluck, bevor sie in Gedanken die ersten Takte durchläuft und bei der ersten Strophe zu singen beginnt.

 

Mou soko ni wa kaze no ne ga hibiki

Sou daremo ga arata na tane wo maku

Inishie no uta wo kataru kabe no ato ni

 

Koi lehnt sich zurück und schließt die Augen, ein mildes Lächeln auf den Lippen. Seine Wimpern zeichnen federleichte Schatten auf seine Wangen. Izumi wendet den Blick nicht von ihm während sie halblaut weitersingt.

 

Namida no mukou he mata hikari wa sasu kara

Daiga no nagare ni kono kokoro wo azukete

Mizu ni mau tsuki no you ni tatoe subete ga yometemo

Haruka na michi ikiteyukou ...

 

Leise haucht sie die letzten Worte und blinzelt überrascht, als vereinzelt Applaus erklingt.

Koi setzt sich auf und nimmt ihr Gesicht zwischen seine Hände. Seine Lippen schmecken nach Kaffee, der salzigen Luft, die sie umgibt, und seiner grenzenlosen Zuneigung zu ihr.

"Ich glaube, der Brunnen ist dort vorne", murmelt Izumi, als er sie freigibt.

Er lächelt gegen ihre Lippen. "Viel zu weit."

Wieder murmelt er das Wort, das wie ein Trommelschlag in Izumi pulsiert, wenn sie mit ihm zusammen ist. Auch sie haucht es gegen seine heißen Lippen, ein Versprechen, das in den Ringen steckt, die sie tragen, in ihren Augen und seinem sanften Lächeln, das keinen Zweifel zulässt. Ein Versprechen, das sie an diesem Ort und genau zu dieser Zeit mit der ganzen Welt teilen.

Die Passanten, die eben noch applaudiert haben, werfen ihnen jetzt missbilligende Blicke zu. Japaner küssen sich nicht in der Öffentlichkeit.

Später erlaubt Koi ihr, ihn zu führen. Er lässt den Blindenstock im Gürtel stecken, damit er einen Arm um sie legen und die andere Hand mit ihrer verflechten kann. Eng umschlungen schlendern sie über die Promenade zurück zum Bahnhof.

"Meinst du, wir schaffen, wovon du gesungen hast?", fragt er abrupt.

Izumi braucht einen Moment, um sich zu erinnern. Ihr Nicken überträgt sich auf seinen Arm. "Ja, ich glaube, wir schaffen es. Haben wir uns nicht eben an diesem alten Brunnen unsere Liebe gestanden? Das soll Glück bringen."

Er lacht auf. "Natürlich! Warum mache ich mir überhaupt Gedanken?"

Sie hebt den Kopf, um seine Züge mit zärtlichen Blicken nachzuziehen. "Im Ernst. Zusammen sind wir allmächtig."

Er lächelt. "Was für eine Vorstellung!"

Im Zug, der sie zurück nach Tokyo bringt, schläft er ein, den Kopf auf ihrem Schoß. Izumi streichelt gedankenverloren seine wirre schwarze Mähne und denkt über seine Worte nach. Es ist das erste Mal, dass er Zweifel ausgesprochen hat. Langsam, aber sicher kriechen Veränderungen in ihr gemeinsames Leben, die Izumi nicht aufhalten kann.

Sie verbietet sich, an die Zukunft zu denken.

 

 

Izumi zuckt heftig zusammen, als das schrille Klingeln sie aus nebligen Tagträumen reißt. Friday rutscht von ihrem Knie. Hastig greift sie nach dem Hals der Gitarre, um sie neben sich auf das Sofa zu betten, bevor sie ihr Handy aufklappt. Eine Mail von Sawako.

Dreißig Minuten später betritt sie das Café in Shibuya, das sie bereits mehrmals mit Sawako besucht hat. Der rote Trenchcoat ihrer Freundin sticht Izumi sofort ins Auge.

Als sie sich nähert, steht Sawako auf und sinkt in eine tiefe Verbeugung. "Es tut mir so leid, Izumi! Nach unserem letzten Treffen habe ich nachgedacht. Ich war gestresst und wusste nicht, was ich tun sollte, aber ich wollte dich nicht beleidigen!"

Izumi berührt verlegen ihre Schulter. "Äh ... Komm, setz dich erst mal hin. Und erzähl alles der Reihe nach, ja?"

Später sitzen sie einander gegenüber, zwei Tassen Kaffee zwischen ihnen am Tisch, und Sawako formuliert langsam die Worte, die in ihr brennen. "Weißt du, eigentlich verstehe ich meine Eltern sehr gut. Sie wollen nur, dass ich eine gute Ausbildung bekomme, damit ich ein gutes Leben habe. Ihre Fantasie reicht nicht sehr weit." Ein verlegenes Lächeln zuckt über ihre Lippen.

Izumi dreht die Kaffeetasse zwischen ihren Händen. "Hast du dich denn entschieden?"

Sawako zögert kurz, bevor sie nickt. "Ich werde zur Aufnahmeprüfung gehen. Aber ich werde auch die Company nicht aufgeben. Noch nicht."

Izumi schenkt ihrer Freundin ein zaghaftes Lächeln. "Hört sich nach einer guten Entscheidung an. Die Frage nach dem Tanzen kannst du später beantworten."

"Genau. Wenn mir alles zu stressig wird, denke ich darüber nach."

"Sehr unwahrscheinlich." Izumi grinst, als sie an Jiros und Takas Erzählungen über ihre Unis denkt. Nach den Aufnahmeprüfungen ist das Studium praktisch ein Spaziergang im Park.

Sawako erwidert das Grinsen und lehnt sich verschwörerisch vor. "Tut mir leid, ja? Vergessen wir, was ich letztens gesagt hab. Wie geht es dir?"

Izumi nimmt einen Schluck Kaffee, um die Spannung zu heben. Die kalte Flüssigkeit gleitet ihre Kehle hinab wie eine Handvoll Eiswürfel. "Letzte Woche war ich beim Casting von Suny."

Sawako stößt einen Laut der Begeisterung aus, der einige erschrockene Blicke auf sich zieht. "Wie war es denn? Ich will alles wissen!"

Grinsend lehnt Izumi sich vor und sie stecken die Köpfe zusammen. "Naja, ich hab mein Bestes gegeben. Koi hat mich begleitet und ein Mann aus der Jury hat ihn erkannt ... als den Sänger der Sleepwalkers. Er meinte, dass sie in einer gewissen Szene sehr bekannt wären."

Sawako kichert. "So ein Zufall! Du bist praktisch mit einem Star zusammen!"

Izumi hebt zweifelnd die Augenbrauen. "Ich wäre lieber selbst einer. Er hat ausgesehen wie ein Rapper."

"Der Mann aus der Jury?"

Sie nickt. "Er hatte einen Nasenring."

Während Sawako sich bereits Dates in Clubs ausmalt und überlegt, wie Izumi ihn ihr vorstellen könnte, verdüstern sich ihre Gedanken. Sie trinkt Kaffee und starrt gedankenverloren aus dem Fenster, bis ihre Freundin sie in die Gegenwart zurückholt. "Izumi, was ist los?"

Sie braucht einen Moment, um ihre Gedanken zu ordnen. Dann zuckt sie mit den Schultern. "Ich weiß nicht. Mit Koi ... fühlt es sich nicht mehr an wie früher. Nach dem Vorspielen waren wir für einen Tag in Atami. Alles war wie immer, aber irgendwie trotzdem anders."

Sawako runzelt die Stirn. "Kannst du es nicht besser ausdrücken?"

"Hm ... In letzter Zeit kritisiert er öfter meinen Musikstil. Er hält nicht viel von Pop. Gleichzeitig behauptet er, dass er meine Musik eigentlich mag, nur nicht die Industrie, die dahinter steckt. Aber genau in dieser Szene will ich ja mitspielen! Ich will, dass möglichst viele Menschen hören, wovon ich singe!"

Ihre Freundin ist eine Weile lang still. "Klingt schwierig." Sie trinkt einen Schluck Kaffee. "Aber er sollte dich auf keinen Fall von dem Weg abhalten, den du gewählt hast. Das Recht hat er nicht."

Izumi nickt. "Das Recht hat niemand. Er war es ja, der mich immer unterstützt hat. Ich weiß nicht ..." Seufzend fährt sie sich mit der Hand durchs Haar. "Vielleicht mache ich mir zu viel Sorgen. In Atami war es wirklich schön."

Sawako lächelt. "Gut zu hören. Vielleicht ist es am besten, abzuwarten."

"Ja."

Sie stützt das Kinn in die Handfläche und lässt den Blick aus dem Fenster schweifen. Unmengen von Leuten schlendern, marschieren oder eilen dort unten vorbei. Sawako seufzt. "Muss schön sein, einen Freund wie ihn zu haben ..."

 

 

 

Als der Anruf kommt, sitzt Izumi kerzengerade im Bett. "Ja ... ja ... Ich verstehe." Heftig blinzelnd versucht sie, sich die langen Zahlenfolgen der Adresse einzuprägen. "Natürlich werde ich da sein ... Hontou ni arigatou gozaimasu[3]!"

Sie kann nicht aufhören, sich zu verbeugen, bis die Frau am anderen Ende auflegt. Danach sitzt sie da, unfähig, auch nur einen Finger zu rühren. Koi bewegt sich neben ihr und tastet über die Decke, bis seine Fingerspitzen an ihre Hüfte stoßen. "Was ist los?"

Sie schluckt mehrmals, aber die Worte lassen sie im Stich.

Er umfasst ihr Handgelenk. "Izumi, wer war das?"

Endlich setzt sich etwas in Bewegung. "... Jemand von Suny."

Koi scheint den Atem anzuhalten. Als sie nicht fortfährt, tut er es. "Sie wollen dich, richtig?"

Etwas in seiner Stimme klingt anders, aber Izumi ist noch zu überrascht, um den Gedanken weiter zu verfolgen. Sie kann nur nicken. Er spürt die Bewegung über ihren Arm und setzt sich auf, um sie fest zu umarmen. "Omedetou[4]", murmelt er in ihr zerzaustes Haar.

Seine Körperwärme holt sie endgültig in die Gegenwart zurück. Ein ungläubiges Lachen entringt sich ihrer Kehle. "Danke."

Als sie sich lösen, ergreift Koi ihre Hände. "Heute müssen wir feiern. Am Abend hab ich Probe, aber bis dahin gehen wir nicht vor die Tür. Wir können Essen bestellen, Konzerte sehen ... was auch immer wir wollen."

Izumi lächelt. "Wunderbare Idee."

Er beugt sich vor, um einen kurzen und süßen Kuss auf ihre Lippen zu hauchen. In seinen farblosen Augen liegt ein seltsames Glitzern. "Glaub mir, von jetzt an wirst du weniger und weniger Zeit haben. Genießen wir diese Momente, die uns bleiben."

Izumi lacht nervös, bevor sie aufsteht und das Zimmer nach sauberen Kleidern durchsucht. "Und ich glaube, du übertreibst."

Als sie einen Blick über die Schulter wirft, sitzt Koi immer noch zwischen den zerwühlten Laken. In seinem leeren Blick spiegeln sich Dinge, die sie nicht erahnen kann. "Wer weiß ..."

Izumi ignoriert seine Worte. Sie hätte ohnehin nicht die richtige Antwort gefunden, um seine hartnäckigen Zweifel zu zerstreuen. Letztendlich zieht sie sich Shorts und ein ausgeleiertes Top über. Koi begnügt sich mit der grauen Jogginghose, bevor er Tee aufsetzt und den niedrigen Tisch im Wohnzimmer deckt. Sie frühstücken Toast und Schinken wie am ersten Morgen nach Izumis Einzug.

Nach Kois Plan legen sie ein Konzert von ONE OK ROCK in den Laptop und kuscheln sich trotz der Hitze am Ledersofa zusammen. Izumi hat sich bei der Wahl der DVD zurückgehalten, um Koi eine Freude zu machen. Entgegen aller Vernunft hofft sie, er vergisst die Zukunft und genießt einfach den Moment, den sie teilen.

Als Taka den Refrain von Mighty Long Fall herausschreit, seufzt Izumi auf. "Feuer!"

Koi lächelt in ihr Haar. "Das Zischen ist gerade so hörbar."

Izumi schmiegt sich an seine nackte Brust und seufzt zufrieden. Für sie ist das Zischen der Feuerwerfer am Rand der Bühne zu leise, aber Kois übermenschlichem Gehör entgeht nichts. Mit einem ekstatischen Lächeln am Gesicht sieht sie den Rest des Konzerts im riesigen Stadion von Yokohama.

Danach essen sie die Pizza, die Izumi bestellt, als spätes Mittagessen. Sie hocken um den niedrigen Tisch auf den Tatami, nur halb angezogen, und lassen sich Zeit. Izumi merkt, wie sehr sie diese Stunden vermisst hat, in denen sie über alles und nichts reden. Sobald sie sich umdreht, rinnt ihr die Zeit durch die Finger.

Sie landen im Bett, weil es gemütlicher ist als das Sofa. Izumi zieht die Vorhänge, die Koi niemals anrührt, halb zu. Danach bettet sie den Kopf auf seinen Arm und nimmt seine andere Hand in ihre. Koi schließt die Augen und atmet ihren Duft tief ein. Izumi sieht ihn an ohne den Blick auch nur einen Moment abzuwenden.

"Du hörst nie auf, mich anzustarren, oder?", murmelt er mit einem halben Lächeln.

"Nie."

Auf einmal wird Koi ernst. "Izumi, wie wird es mit uns weitergehen?"

Sie nagt an ihrer Unterlippe. Die Zweifel sind zurückgekehrt. "Ich weiß nicht. Können wir nicht so weiterleben wie bisher?"

Er seufzt. "Vielleicht, vielleicht auch nicht."

Izumi zieht seine Hand an sich heran und presst die Lippen auf den Ring an seinem Finger. "Erinnerst du dich noch, was ich dir versprochen habe?"

Ein schwaches Lächeln flackert über seine Züge. "Wie könnte ich das vergessen?" Er hält kurz inne. "'Dass ich immer an deiner Seite bleiben werde. Dass ich alles tun werde, um dich glücklich zu machen.' Das war es doch?"

Einen Moment lang ist sie sprachlos. "Ich wünschte, ich hätte dein Gedächtnis."

Da lächelt er richtig. "Wenn es dich betrifft, vergesse ich kein einziges Wort."

Mit klopfendem Herzen rückt Izumi näher, um seine Lippen zu verschließen. Weich und warm. Da ist das gemütliche Nest, in das sie jederzeit zurückkehren kann, das ihr Zuhause ist.

Danach streicht seine freie Hand wieder über ihr Haar, eine vertraute Geste.

Aber Izumi kann seine Worte nicht gleich von sich schieben. "Koi?"

"Ja?"

"Warum haben wir überhaupt so viel Zweifel? Noch ist alles wie immer. Nichts hat sich geändert zwischen uns ... oder?" Sie hasst sich für dieses kleine Wort, das so viel zerstören kann.

Koi braucht einen Moment, um zu antworten. "Ich glaube nicht, aber da ist dieses Gefühl ... als hättest du dich von mir entfernt."

"Ich bin doch hier!" Ihre Finger streicheln seine Wange.

Er schließt die Augen. "Ich weiß." Der traurige Unterton entgeht ihr nicht.

Seine Worte flößen Izumi eine unerklärliche und heftige Angst ein, die in ihre Glieder fährt und sie lähmt. Hastig rückt sie noch näher an Koi und legt die Arme um ihn. Wie an jenem Nachmittag vor so vielen Monaten drückt sie ihn an sich und vergräbt das Gesicht in seinem Haar.

Sie weiß nicht, wann sie einschlafen. Sie wacht auf, als Koi sich aus ihrem Griff windet und zerstreut etwas von "Probe verpasst" murmelt. Während er ordentliche Kleider aus dem Schrank reißt, überzieht und Carmen einpackt, sieht sie ihm vom Bett aus zu.

Er ruft aus dem Wohnzimmer, bevor er geht. "Ittekimasu!"

Izumi antwortet mit schwerem Herzen. "Itterasshai[5]!"

Alleine in der Wohnung, tröstet sie sich mit Friday und reiht nach dem Zufallsprinzip Akkorde aneinander. Irgendwann merkt sie, dass sie sich zu einer schleppenden Melodie formen, und holt ihren Block, um sie aufzuschreiben. Wenn sie nicht weiß, woher ihre Gefühle kommen und wohin sie damit gehen soll, steckt sie in die Musik, was sie nicht aussprechen kann.

Auch das hat Koi ihr gegeben. Vielleicht sein größtes Geschenk.

 

 

 

Izumi trinkt mehr Kaffee als sie jemals zur Prüfungszeit konsumiert hat. Sie ist zu zerstreut, um es zu merken, bis Koi sich beschwert, dass sie schon wieder das Kaffeepulver aufgebraucht hat. Danach läuft sie zum nächsten Konbini[6], um ihr schlechtes Gewissen zu beruhigen.

Sie beansprucht den Großteil des niedrigen Tisches für sich, sobald sie aus dem Studio kommt. In der Bahn holt sie Ohrstöpsel heraus und hört die Arbeit, die sie am Tag geschafft hat, durch. Am Abend und neben dem Frühstück bastelt sie an dem einen oder anderen Detail weiter. Inzwischen ist sie diejenige, die früher die Wohnung verlässt und später zurückkommt. Neben der verbissenen Arbeit an ihren Songs hat der Manager ihr Unterricht in Gesang und Gitarre verschrieben, um ihre Technik zu verbessern.

"Du bist schon gut, sogar ungewöhnlich gut für eine Anfängerin. Aber du darfst nicht nachlassen. Gib dein Bestes!", sagt er bei jeder Gelegenheit.

Izumi hört auf ihn. Ihren Manager. Ab und zu fühlt sie sich immer noch wie in einem langen Traum, aber egal was sie versucht, sie wacht nicht auf. Sie findet nicht einmal Zeit, Koi zu vermissen.

Die Wochenenden sind ihre rettenden Inseln. Koi setzt seine Proben an den Wochentagen an, um so viel Zeit wie möglich mit ihr verbringen zu können. Trotzdem braucht sie den Großteil davon, um Schlaf nachzuholen.

Eines Sonntagmorgens sitzt sie mit Friday, die längst nicht mehr frei von Fingerabdrücken ist, am Tisch und zupft sich einen Takt nach dem anderen durch einen Song. Zwei Tage zuvor haben ihr Itos Korrekturen noch eingeleuchtet, aber die Begeisterung ist verflogen.

Sie bemerkt nicht, dass Koi aus dem Schlafzimmer auftaucht und in die Küche tappt. Als er eine dampfende Tasse Kaffee auf ihre Notizen stellt, zuckt sie zusammen. Seufzend legt sie Friday weg und streckt sich. "Danke."

Nach kurzem Zögern setzt er sich im Schneidersitz neben sie. "Es ist Sonntagvormittag. An einem Sonntag sollten wir bis Mittag schlafen und den Rest des Tages vertrödeln."

Izumi wirft einen Blick auf den wolkenverhangenen Himmel vor dem Fenster. Regenzeit. "Ich wollte die Korrekturen nochmal überprüfen ..."

"Mach eine Pause." Sein Ton lässt keinen Widerspruch zu.

Gehorsam schiebt sie die schwarze Gitarre von sich und greift nach der Tasse. Nach dem ersten Schluck atmet sie zischend aus.

Koi grinst ein wenig. "Zu heiß?"

"Klappe."

Er lacht. Und stockt. An seinem Schweigen erkennt Izumi, dass er dieselben Gedanken hegt wie sie. Wann haben sie angefangen, es in Gedanken 'die alten Zeiten' zu nennen?

"Das ist nicht richtig", bringt Koi schließlich heraus.

Izumi schüttelt stumm den Kopf.

Aus den Augenwinkeln sieht sie Kois Grimasse und senkt den Kopf. "Gomen ..."

Einen Moment lang herrscht Schweigen. Endlich gibt Izumi sich einen Ruck. "Hast du zugehört, als ich eben den Song gespielt hab?"

Koi zögert lange. "Ja."

"Was sagst du dazu?"

Er seufzt müde. Natürlich hat er gewusst, welche Frage sie stellen wird, und gehofft, sie würde es sich anders überlegen. "Letzte Woche hat er mir besser gefallen. Jetzt klingt er nicht mehr frisch und leicht, sondern wie alles andere, das im Radio gespielt wird. Das bist nicht du, das ist Suny."

Izumi umklammert ihre Tasse als könnte das Ding den Missklang zwischen ihnen beheben. Ihr Herz hämmert gegen ihre Brust, aber sie gibt dem Koffein in ihrem Blut die Schuld. "Hab ich mir gedacht. Ich hab nun mal einen Vertrag, da kann ich nicht mehr nur an mich denken."

"Aber das ist völlig egal!"

Sie sieht auf. Koi blinzelt heftig, bevor er eine Hand hebt und ihre Wange streichelt. "Es ist egal, solange wir hier sind." Kurz presst er die Lippen zusammen. "Oder?"

Und da erkennt sie die Wahrheit. "Du hast Recht." Natürlich hat er Recht. Immerhin sind sie in seiner Wohnung, zusammen und nichts außer ihre eigenen Zweifel können sie trennen. Nichts ist passiert. Erleichterung durchströmt Izumi, als sie Koi fest an sich drückt. Ihre Lippen finden seine blind und kosten den süßen Geschmack aus wie am ersten Tag.

Wie könnte sie nicht jenseits aller Vernunft dankbar sein für seine Gegenwart?

 

 

 

[1]Kleine Hafenstadt im Nordosten der japanischen Präfektur Shizuoka, bei Tokyotern sehr beliebt als Ziel für Tagesausflüge.

[2]Traditionelles japanisches Hotel, meist mit Außenbädern ausgestattet, die von heißen Quellen gespeist werden.

[3]Jap. Vielen herzlichen Dank (höflich).

[4]Jap. Gratuliere (informell).

[5]Jap. Hab eine sichere Reise (übliche Phrase des Abschieds, wenn jemand anders das gemeinsame Heim verlässt).

[6]Jap. Abkürzung für convenience store, Supermärkte, die meist rund um die Uhr geöffnet sind.



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