Zum Inhalt der Seite

Mädchen mit der Gitarre

~ギターを持った少女~
von

Vorwort zu diesem Kapitel:
Zu diesem Kap gibt es wieder ein Lied und zwar Am I Wrong von Nico & Vinz.

Viel Spaß beim Lesen! Komplett anzeigen

.
.
.
.
.
.
.
.
.
.

Seite 1 / 1   Schriftgröße:   [xx]   [xx]   [xx]

Neun

Izumi beschließt, die besten ihrer gecoverten Songs aufzunehmen und zu einem Album zusammenzufassen. Nach der Schule trifft sie Koi und Jiro und zu dritt fahren sie zum kleinen Tonstudio, das jeweils für einige Stunden gemietet werden kann. Auf dem Weg besprechen sie einen Song, an dem Koi über die letzten Tage gearbeitet hat. Izumi versucht ihn zu überzeugen, mehr Struktur in den Aufbau zu bringen, einen Refrain mit einer mitreißenden Melodie und klarem Rhythmus.

"Gerade damit wollte ich etwas Neues probieren. Ich denke, es hat funktioniert."

Jiro nickt. "Ja, der rote Faden ist zwar schwer zu sehen, aber die immer neuen Schichten verleihen dem Ganzen eine hypnotische Wirkung. Später werfe ich ein paar Synthesizer drüber, damit das noch besser klingt."

Izumi seufzt. Sie kann die beiden nicht umstimmen, aber die Band gehört ja nicht ihr.

Bei ihrer Ankunft tritt Izumi zum Tresen, um zu zahlen. Aber die Jungen marschieren direkt zum Studio, dessen Tür sich unter Kois Klopfen öffnet. Vor ihnen steht ein Fels von einem Mann, sogar größer als Koi, die Haut so schwarz wie Kaffee, das freundliche Lächeln weiß in seinem Gesicht. Er begrüßt sie in fließendem Japanisch. "Da seid ihr ja! Los, kommt rein!"

Koi wendet sich zu Izumi. "Das ist Henri. Er ist vor Jahren aus Frankreich ausgewandert und hierhergekommen. Barkeeper in Aoyama und der beste Trommler, den ich kenne."

"Dieser Junge ... Er kann nur so reden, weil er selbst was drauf hat! Yoroshiku na!" Lachend schüttelt Henri Izumis Hand.

"Aber er ist ja schwarz!", ruft Izumi aus, bevor sie errötend die Hand vor den Mund schlägt. Für einen Moment hat die Verwirrung sie überwältigt.

Koi lacht nur. "Ach, deshalb hört sich seine Stimme anders an."

Jiro hat die Tür hinter ihnen zugezogen. Bald wird klar, dass sie eine kleine Überraschung für Izumi geplant haben. Henri und Jiro verteilen sich in der kleinen Box von einem Studio, bereiten ihre Instrumente vor und warten auf das Zeichen des Sängers. Kois schlanke Finger schlagen eine Saite an, dann die zweite. Seine dunklen Gläser spiegeln das elektrische Licht, als er den Kopf hebt und zu summen beginnt. Mit einem Schlag fallen Gitarre und Henris Trommel ein.

 

Am I wrong?

Thinking out the box from where I stand

Am I wrong?

Saying that I choose another way

 

Unwillkürlich hält Izumi den Atem an und sinkt tiefer in das zerschlissene Sofa. Dieser Song, den sie noch nie gehört hat, ist anders als die Musik der Sleepwalkers. Henris schwarze Hände schlagen seine Trommel fest wie zwei Mülltonnendeckel und sein Beat durchdringt die ganze Melodie wie ein Herzschlag. Kois samtene Stimme schwebt darüber wie eine weiße Möwe im Sommerhimmel, getragen vom Wind und der Botschaft, die er verbreitet.

Mit jedem Wort, das seine Lippen verlässt, erbebt Izumi.

 

So am I wrong?

For thinking that we could be something for real?

Now am I wrong?

For trying to reach the things that I can't see

 

Sie kann den Blick nicht von ihm wenden, ihm, der in seiner ewigen Dunkelheit die Hand nach ihr ausstreckt.

 

But that's just how I feel

That's just how I feel

That's just how I feel

Trying to reach the things that I can't see

 

Gerührt saugt sie jedes Wort auf, das von seinen Lippen fällt. Der Text erhält eine doppelte Bedeutung, weil es Koi ist, der ihn singt. Der Beat wummert noch stärker und durchdringt jede Faser ihres Körpers. Die Meinungsverschiedenheit, die sie noch vor einer halben Stunde über seinen Musikstil hatten, liegt bereits weit hinter ihr.

Er hat einen Song nach ihrem Geschmack und nur für sie geschrieben. Zweifellos hat er auch auf eine Gelegenheit gewartet, mit Henri gemeinsam Musik zu machen. Das Lächeln, mit dem der große Schwarze ihn betrachtet, verrät es. Aber darüber hinaus hat Koi einen Song geschrieben, der zu ihr passt und wie eine Laterne auf ihrem Weg leuchtet. Er sagt, dass sie nach den Sternen greifen muss. Wenn sie es nicht tut, beleidigt sie ihr Talent und alles, was sie bereits aufgebaut hat.

 

If you tell me I'm wrong, wrong

I don't wanna be right, right

If you tell me I'm wrong, wrong

I don't wanna be right!

 

Am Ende muss Izumi die Feuchtigkeit wegblinzeln, die ihr in die Augen steigen. Warum ist er der einzige, der ihr Herz je zu Tränen rührt? Henris Handflächen schlagen die Trommel immer schneller, seine Stimme unterstützt Koi weich aus dem Hintergrund. Kois Gitarre singt. Jede Saite, die er anschlägt, hallt kristallklar im Studio wider.

 

So am I wrong?

For thinking that we could be something for real

Now am I wrong?

For trying to reach the things that I can't see

 

Ein letztes Mal der Refrain, ein letzter Schlag, bevor alles verstummt.

Die anderen wenden sich höflich ab, als Izumi über Kabel und Amps steigt, um Koi zu umarmen. "Danke", haucht sie in sein Ohr. Er drückt sie an sich. Mit einem Arm holt er Carmen zwischen ihnen hervor, um sie auf den Boden zu legen. Kurz darauf zieht er Izumi auf seinen Schoß und findet ihre Lippen.

Danach sitzen sie eine Weile schweigend da. "Du weißt, was ich dir damit sagen will, oder?"

Izumi nickt gegen seine Schulter.

"Tu, was du willst. Wenn sogar ich es schaffe, wirst du es auf jeden Fall schaffen."

Sie schüttelt den Kopf angesichts des Humors, den er wieder gegen sich selbst richtet. "Sag das nicht, Dummkopf."

Nur sein leises Lachen antwortet ihr. Noch ein Moment verstreicht, bis er aufsteht und Izumi von seinen Knien rutscht. Henri und Jiro haben bereits ihr Equipment zusammengepackt. Bei der Tür verabschieden sie sich. Koi bedankt sich bei Henri, der ihm zur Antwort nur fröhlich auf die Schulter klopft. "Jederzeit wieder!"

Als sie alleine im Studio sind, packt Izumi ihre eigene Gitarre aus. Einen Moment lang bewundert sie Fridays vollendete Schwärze und die Eleganz der perlmutternen Verzierungen. "Wie hast du Henri eigentlich kennengelernt?"

Koi hat es sich am Sofa gemütlich gemacht. Ab und zu streichen seine Finger prüfend über die Saiten seiner Telecaster als wollte er sich vergewissern, dass sie noch genauso klingt wie einen Moment zuvor. "Als wir uns nicht gesehen haben ... Naja, an manchen Abenden bin ich in Bars abgehangen. Henri war der Barkeeper und wir sind ins Gespräch gekommen. Am Ende haben wir geredet, bis die Sonne aufging."

Izumi beobachtet, wie er auf Carmen hinablächelt. "Er ist wirklich ein genialer Trommler."

"Ja. Wenn er Zeit hat, jammen wir zusammen."

"Meinst du, ich darf mal mitmachen?" Jam - seit Koi in jenem Club YUIs gleichnamigen Song für sie gespielt hat, ist Izumi von dem Wort fasziniert. Sie hat noch nie versucht, Rhythmen Melodien zu improvisieren.

Koi zögert nur einen Moment. "Ich geb dir seine Mailadresse."

Danach neigt Izumi sich über Friday, um sie mit ehrfürchtigen Bewegungen zu stimmen. Koi ist nur gekommen, um ihrer Musik zu lauschen und ihre Fehler ans Licht zu ziehen. Während sie mit Mikros und Schaltpulten hantiert, sitzt er gemütlich am Sofa und gibt mehr oder weniger hilfreiche Kommentare ab.

Als sie alle Songs aufgenommen hat, ist er eingeschlafen. Izumi schleicht hinaus, um für weitere zwei Stunden zu zahlen und eine Dose grünen Tee aus dem Getränkeautomaten zu ziehen. Zurück an seiner Seite nimmt sie ihm die Sonnenbrille ab und versenkt sich seufzend in den Anblick seines Gesichts. Im Schlaf wirken seine Züge noch weicher und harmonischer. Sie hätte ihn für sechzehn gehalten, hätte sie es nicht besser gewusst.

Später merkt sie, dass sie die schwierige Entscheidung wohl dort, an der Seite ihres schlafenden Freundes im Tonstudio, getroffen haben muss.

 

 

 

Anfang Februar bereitet sich die ganze Schule auf die Jahresendprüfungen vor. Kozue ist ruhig und gut organisiert wie immer, Sawako schwankt zwischen zuversichtlich und panisch. Izumi, die bereits ihre Noten ahnt, kümmert sich wenig um die anderen. Solange sie im Klassenzimmer sitzt, träumt sie vor sich hin, nickt ein oder kritzelt einzelne Zeilen in ihre Hefte, die sich für Songs eignen. Sawako spricht sie ausnahmsweise nicht darauf an, um ihr Zeit zum Nachdenken zu geben.

Sie weiß nicht, dass Izumi sich bereits entschieden hat. Izumi selbst merkt nach und nach, dass sie sich nicht mehr anstrengt, um den Sprung in die nächste Klasse zu schaffen. Zwar liegt nur die dritte und letzte Klasse der Oberschule vor ihr, aber für sie ist jeder Moment, in dem sie Musik machen kann, ein unbezahlbarer Schatz.

Sie schreibt die Prüfungen, um ihre Mutter zufriedenzustellen. Entgegen aller Vernunft hofft sie, dass diese ihre Entscheidung auf diese Art weniger heftig zurückweisen wird. Trotzdem sieht sie dem unvermeidlichen Sturm mit klopfendem Herzen entgegen. Nach den letzten Prüfungen ruft sie Koi an, um seine Stimme sagen zu hören, dass alles gut gehen wird.

Fast fünf Minuten steht sie an der Ecke, bevor sie in ihre Straße einbiegt und das Haus betritt. An dem Tag setzen sie sich zu dritt an den Mittagstisch, eine Seltenheit. Ihre Mutter hat früher Feierabend gemacht, um das Zeugnis ihrer Tochter zu sehen. Bei dem Anblick der niedrigen Punktzahlen verdüstert sich ihre Miene. Mit einem Knall landen die Blätter am Tisch. "Izumi, was hat das zu bedeuten?"

Ihr Vater zieht das Zeugnis unter den Fingern seiner Frau hervor, überfliegt es und seufzt.

Izumi zwingt sich, aufrecht zu sitzen und nicht das Gesicht zu verziehen. "Ich werde nicht mehr zur Schule gehen."

Die dunklen Augen, die den ihren so ähnlich sind, verengen sich zu gefährlichen Schlitzen. "Was? Das kann nicht dein Ernst sein."

Izumi schluckt. "Doch, das ist es. Ich werde Sängerin."

Ihre Mutter greift sich an die Stirn und ihr Vater seufzt ein zweites Mal. "Hast du dir das auch gut überlegt? Wenn du nur dem Vorbild deines Freundes folgen willst, wirst du irgendwann erkennen, dass du einen großen Fehler gemacht hast."

Sie nickt. "Ich weiß und ich habe es mir gut überlegt." Natürlich hätte sie nie herausgefunden, wie sehr sie den Klang der Gitarre liebt oder die Ekstase auf einer Bühne, wenn sie Koi nicht begegnet wäre. Aber er ist nur ein Teil dieser Welt, die sie für sich entdeckt hat. Endlich sieht sie klar.

Wie erwartet stemmt sich ihre Mutter mit aller Kraft dagegen. "Das ist inakzeptabel. Du wirst das dritte Schuljahr auch noch absolvieren!"

Izumi senkt wortlos den Blick. Sie hat bereits geantwortet.

"Wozu haben wir all die Jahre Schulgeld für dich bezahlt? Wozu die Exkursionen, die Schulbücher und den ganzen Rest? Weißt du überhaupt, was du dir selbst damit antust? Izumi, hier geht es um deine Zukunft!" Eine Spur von Panik schleicht sich in den stahlharten Tonfall.

"Gerade deshalb will ich jeden Moment nutzen, um Musik zu machen." Fast flüstert sie. Wut, Sturheit und sogar Gewalt hat sie erwartet, aber nicht diese Zeichen der Verzweiflung. Izumi hat ihre Mutter noch nie am Ende ihres Lateins gesehen.

Da springt ihr Vater ein. "Izumi, ich verstehe, was du meinst. Trotzdem glaube ich, dass du diese Entscheidung später bereuen wirst. Wir können einfach nicht zulassen, dass du dein Leben ruinierst, verstehst du?"

Er, der Schriftsteller, wählt diese Worte gegen sie. Die letzte Hoffnung, in diesem Haus akzeptiert zu werden, schwindet. Als sie die Wahrheit erkennt, steht Izumi mit einem Ruck auf und verlässt das Wohnzimmer. In ihrem Zimmer holt sie die große Reisetasche aus dem Schrank, wirft die Kleider hinein, die in ihrem Zimmer verstreut sind, und zieht den Reißverschluss zu. Sie wirft sich die Tasche zusammen mit Friday über die Schulter, bevor sie die Treppe wieder hinunter stapft.

Als sie den ersten Schuh überstreift, tritt ihre Mutter in den Gang. "Wohin gehst du?"

"Hinaus." Sie schlüpft in den zweiten Schuh.

"Mit dem Gepäck? Hast du nicht zu lernen? Ich warne dich ..."

In dem Moment kocht etwas in Izumi hoch, das sie schwer beschreiben kann. "Zum letzten Mal, ich werde nicht mehr lernen! So bin ich eben!"

Ihre Mutter starrt sie an.

Verlegen wendet Izumi sich ab, schultert den Gitarrenkoffer und greift nach der Reisetasche. "Sayonara[1]."

Den ganzen Weg durch das Wohnviertel und im Bus dreht sich ein Song in Izumis Kopf, an dessen Titel sie sich nicht erinnern kann. Sie steigt bei der Schule aus und geht das letzte Stück zu Fuß. Schließlich drückt sie die Klingel.

Als sie Koi in seinen Jeans und dem ausgeleierten schwarzen Pulli sieht, seufzt sie vor Erleichterung auf. Er neigt den Kopf. "Izumi?"

"Ja, ich bin's."

"Was ist passiert? Warst du nicht zuhause?"

"Ich war dort und bin wieder gegangen." Bei seinem Anblick sickert die verbissene Kraft, die sie aus ihrem Haus und zu ihm geführt hat, langsam aus ihren Gliedern. Die Reisetasche landet mit einem Plopp auf dem Boden. Sie macht einen Schritt und lehnt die Stirn an seine Schulter, dankbar für seine Arme, die sie halten.

"Haben sie dich vor die Tür gesetzt?" Er klingt ungläubig.

"Nein. Ich hab es nicht mehr ausgehalten. Darf ich bei dir bleiben?"

"Immer." Seine Hand streicht über ihren Rücken als wollte er ein kleines Kind beruhigen.

Aber mit dieser kleinen Berührung flößt er ihr bereits neuen Mut ein. "Danke."

 

 

 

Als sie aufwacht, ist sie alleine. Unter ihrer Hand erahnt sie ein wenig Restwärme, wo er gelegen ist, und muss lächeln. Sie streckt sich genüsslich und bleibt einen Moment liegen, um das Gefühl der absoluten Freiheit zu kosten. Der erste Tag des Lebens, das sie von vorne bis hinten selbst bestimmt, hat begonnen.

Sie streift kurzerhand die Kleider über, die oben in ihrer Reisetasche liegen, bevor sie dem Duft frischen Kaffees ins Wohnzimmer folgt. Der niedrige Tisch ist bereits voll mit Frühstück nach englischer Art, Toast, Butter, Speck und einer Kanne Kaffee. Als sie sich auf die Tatami setzt, kommt Koi mit zwei Tassen aus der Küche. Der Anblick seines nackten Oberkörpers bringt sie zum Lächeln. "Ohayou[2]."

Auch er lächelt vor sich hin. "Ohayou. Gut geschlafen?"

"Sehr gut."

Er setzt sich neben sie und lehnt sich zu einem Morgenkuss herüber. "Gut. Ich nehme mal an, dass du eine Weile hier bleibst. Da gibt es ein paar Dinge, die du wissen solltest."

Izumi fährt sich durch zerzauste Haarsträhnen und unterdrückt ein Gähnen. "Über das Zusammenleben mit dir?"

"Genau."

Mit einer knappen Geste lädt er sie ein, sich zu bedienen. Als er ihrem Beispiel folgt, beobachtet Izumi fasziniert, wie er sich mit seinem unfehlbaren Sinn seiner Fingerspitzen durch das Frühstück tastet. Er hält seinen Finger in die Kaffeetasse, um nicht zu viel einzuschenken. Nach dem ersten Bissen in Toast und Speck stößt er einen Seufzer aus. "Ich merke es, wenn du das machst."

Hastig wendet Izumi den Blick ab. "Tut mir leid. Ich war nur ..."

"Neugierig?" Seine Mundwinkel zucken. "Ist ja kein Verbrechen."

"Naja ... Schon neugierig, aber nicht nur. Ich sehe dir gern zu."

Koi neigt nachdenklich den Kopf. "Ja? Muss sehr spannend sein."

"Das hab ich nicht gemeint." Izumi zuckt mit den Schultern. Beim ersten Schluck des bitteren Kaffees schneidet sie eine Grimasse und greift nach der Milch. "Jedes Mädchen beobachtet doch den eigenen Freund, oder? Ständig."

Er lacht auf. "Na gut, damit hast du mich überzeugt!"

Grinsend schüttet Izumi Milch in den Kaffee, bevor sie in ihren Toast mit Butter beißt. Warm und knusprig.

Umgeben von den letzten Resten des Frühstücks stützt Koi die Hände auf die Knie und kehrt zum angekündigten Thema zurück. Offenbar plant er, sie auf alles vorzubereiten, um unangenehme Überraschungen zu vermeiden. "Also, Regel Nummer eins. Verschieb keine Möbel und räum nichts um. Wenn es nötig ist, sag Bescheid, damit ich mich zurecht finde."

"Ja." Sein Ernst steckt Izumi an, die sich aufrecht hinsetzt.

"Gleiches gilt für Regale und Schubladen in der Küche und im Bad."

"Die ganze Wohnung." Izumi unterdrückt ein Lächeln. Offenbar bemüht er sich um präzise Angaben.

"Genau." Einen Moment lang denkt er nach. "Ich hab nichts dagegen, dass du dich hier einrichtest, aber lass nichts stehen oder liegen, wo es umfallen oder ich darüber stolpern könnte."

"Verstanden."

"Frag mich, bevor du meinen Laptop benutzt."

Sie blinzelt. Inzwischen hat ein seltsames Gefühl im Bauch den Drang zu lächeln verdrängt. "Koi, ich verstehe, was du mir sagen willst. Du brauchst Ordnung und Struktur. Aber glaub mir, es wird nichts passieren. Wir werden es schaffen, ja?"

Er seufzt und fährt sich mit einer Hand über das Gesicht. "Ja ... Du hast ja Recht. Wahrscheinlich bin ich nervös. Ich hab noch nie mit jemandem zusammengelebt, der nicht Familie ist."

Seine Unsicherheit entlockt Izumi ein kleines Lächeln. Sie ergreift seine Hand und drückt sie. "Keine Angst. Ich bin nicht irgendjemand."

Da zeigt auch Koi ein zaghaftes Lächeln. "Vor einem halben Jahr hättest du noch nicht so geredet. Ich hab das von Anfang an gemerkt, aber du wolltest mir ja nicht glauben."

Izumi lacht auf. "Angeber!"

Nach einer Weile beruhigen sie sich wieder. Izumi würgt einen Schluck kalten Kaffee herunter. Kois Daumen streichelt ihren Handrücken als hätte er ein Eigenleben. "Danke. Ich weiß ja, dass du aufpassen wirst. Wie immer. Aber du kennst mich."

Absurder Stolz wallt in Izumi auf. Es ist wahr, inzwischen kennt sie ihn wie niemand anders. "Ja."

Später hilft sie Koi, den Tisch abzudecken und bietet an, den Abwasch zu machen. Nach kurzem Zögern nimmt er an und lehnt sich an die Theke, um ihren kleinen Geräuschen und dem fließenden Wasser zu lauschen. "Was hast du heute vor?"

Sie zuckt mit den Schultern. "Weiß nicht. Abhängen, Gitarre spielen. Vielleicht den einen oder anderen Song."

Koi summt nachdenklich vor sich hin. "Nach der Probe lass ich einen Zweitschlüssel für dich machen."

"Wirklich? Danke!"

Er lächelt. Danach zieht er ordentliche Kleidung an, packt sein Instrument ein und verabschiedet sich mit einem süßen Kuss auf die Lippen. Izumi sieht ihm nach, die Hände im Spülbecken. Wieder haben sie eine Stufe erklommen. Sie verhalten sich wie ein Paar, das zusammenlebt.

 

 

 

"Na, ich weiß nicht, ob das eine gute Idee ist. Immerhin ist es das letzte Jahr."

Izumi verdreht die Augen. "Du klingst wie meine Mutter."

Sawako lacht und hakt sich bei ihr unter. Gemeinsam schlendern sie durch die belebten Straßen von Shibuya, eine Insel der Ruhe inmitten des hektischen Treibens. "Tut mir leid. Als ich bei der Company angefangen hab, hatte ich dieselbe Idee. Aber ich war nicht so verrückt, mich meinen Eltern zu widersetzen!"

Izumi schneidet eine Grimasse und trinkt einen Schluck Iced Green Tea aus dem Becher mit dem Starbucks-Logo. "Du warst auch erst fünfzehn."

"Nicht einmal heute würde ich das tun."

Sie seufzt. Sawako ist eine wunderbare Tänzerin, die jedes Mal mit ihrer Ausstrahlung die Bühne erobert, aber sie baut auf den Wert eines Abschlusses. Mit diesem Schritt, den Izumi getan hat, um sich von allen Erwartungen und dem Leistungsdruck der Gesellschaft zu befreien, hat sie den Unterschied zwischen ihnen erkannt. "Komm, reden wir über was anderes. Wie läuft es mit Jiro?"

Da ist es Sawako, die das Gesicht verzieht. "Naja. Er ist ständig bei Proben oder spielt mit seinen Musikprogrammen herum. Selbst wenn ich ihn besuche, bastelt er an Songs oder lernt für die Uni."

Izumi drückt mitfühlend den Arm ihrer Freundin. "Vielleicht hat er Nachprüfungen."

Sawako verengt nachdenklich die Augen. "Davon hat er nichts gesagt."

"Frag ihn doch."

"Ich will ihn nicht stören, aber du hast Recht. Früher oder später locke ich ihn schon von seinen Büchern weg und hinaus in den Ueno-Park!" In einer theatralischen Geste streckt sie den Arm aus und trifft fast einen Passanten im Anzug. Er wirft ihr einen erschrockenen Blick zu, bevor er weiter hastet.

Izumi kichert. "Und wenn du einen Striptease hinlegst?"

Bei der Vorstellung bricht Sawako in Lachen aus. "Natürlich, ein Striptease unter den Kirschbäumen! Unglaublich, was in diesem hübschen Köpfchen steckt."

"Urusai yo![3]"

Nachdem sie sich wieder beruhigt haben, fragt Sawako nach Koi und ihren Plänen. Sie haben bereits ausgemacht, am kommenden Freitag alle zusammen ein Picknick unter der blühenden Kirschblüte im Ueno-Park zu veranstalten. Selbst Henri, der freitags immer arbeitet, hat versprochen, sich irgendwie frei zu nehmen.

Die Frage erinnert Izumi an den Vorschlag, den Koi ihr am Abend zuvor unterbreitet hat. Sie weiß immer noch nicht, wie sie ihm antworten soll. Letztendlich gibt sie es auf, nachdenklich an der Unterlippe zu kauen, und kapituliert vor Sawakos Neugier. "Koi hat mich gefragt, ob ich seine Eltern kennenlernen will."

Sawakos dunkle Augen weiten sich. "Im Ernst?"

Izumi nickt und schlürft Kaffee durch ihren Strohhalm. "Er besucht sie immer nur einmal im Jahr, entweder zu Neujahr oder zur Kirschblüte."

Ihre Freundin hebt die Augenbrauen. "Wieso gerade zu der Zeit? Es sind nicht mal Feiertage."

"Scheint eine Art Familientradition zu sein. Er hat mal erzählt, dass sie sehr alt und steif in solchen Dingen sind. Deshalb können seine Eltern auch nicht akzeptieren, dass er Musik macht. Er hat auch einen jüngeren Bruder, aber über den hat er nicht viel gesagt."

Auf einmal starrt Sawako sie mit glänzenden Augen an. "Wenn du ihn triffst, könntest du ihm wohl meine Mailadresse geben?"

Izumi lacht auf und zerrt an ihrem Arm. "Auf keinen Fall."

Die übertrieben beleidigte Miene, die Sawako aufsetzt, bringt sie wieder zum Grinsen. "Wenn er nett ist, wirst du ihn früher oder später kennenlernen. Immerhin bist du auch mit Jiro zusammen gekommen."

Als sie seinen Namen erwähnt, wird Sawako schlagartig ernst. So ernst, dass Izumi sich hastig bemüht, das Thema zu wechseln. "Wie auch immer, er hat mich zu seinem Familienbesuch eingeladen! Zwar hat er sie noch nicht um Erlaubnis gefragt, aber es sieht so aus als wäre das kein großes Problem."

Sawako schenkt ihr ein breites Lächeln. "Willst du gehen?"

Izumi zuckt mit den Schultern. "Ich weiß doch gar nicht, was sie von mir erwarten! Was ich anziehen, was ich sagen soll und was nicht. Was, wenn sie mich nicht mögen? Meine Eltern waren schon schlimm genug und die sind überhaupt nicht traditionell!"

Ihre Freundin saugt kurz an ihrem Strohhalm, bevor sie Izumi an sich zieht und fest drückt. "Es wird schon gut gehen. Wenn du so bist wie immer, kann dich niemand kritisieren. Zeig ihnen, was dir wichtig ist."

"Koi."

Sawako nickt. "Offensichtlich. Wenn ich das merke, werden sie es auch merken." Sie bringt ein wenig Abstand zwischen sie und fährt mit einer Hand durch Izumis Haar. Die Geste erinnert sie an Kois zärtliche Berührungen, aber nur vage. "Kopf hoch! Du bist jetzt ein großes Mädchen."

Das bringt Izumi zum Lachen. "Bin ich größer als du, weil ich die Schule geschmissen hab?"

Sawako zuckt mit den Schultern. Sie versteht, dass Izumi keine andere Wahl hatte, um ihren Weg zu verfolgen, aber sie ist zu intelligent, um sie zu beneiden. Auf einmal überkommt Izumi warme Dankbarkeit, sie zur besten Freundin zu haben. "Sawako?"

"Ja?"

Sie grinst. "Du bist echt nett!"

Ihre Freundin zieht eine Grimasse, aber gleichzeitig kann sie das Lachen nicht unterdrücken. "Was soll das jetzt? Ich bin nicht nett!"

"Doch, bist du. Deshalb hab ich dich so gern."

Sawako seufzt, immer noch belustigt. "Du bist heute echt seltsam."

 

 

 

[1] Jap. Abschiedsfloskel, uU. dramatisch als "Leb wohl". Hier eher im Kontrast zum beim Verlassen des eigenen Zuhauses üblichen Ittekimasu (wörtl. Ich gehe, aber ich komme wieder).

 

[2] Jap. Guten Morgen (informell).

 

[3] Jap. Sei still, halt die Klappe (wörtl. laut).


Nachwort zu diesem Kapitel:
An dieser Stelle möchte ich anmerken, dass ich es unter keinen Umständen für eine gute Idee halte, die Schule vor dem Abschluss abzubrechen. Egal ob in Japan, Deutschland oder sonstwo, ein Schulabschluss ist sehr viel wert und eröffnet Möglichkeiten, die man sich zu dem Zeitpunkt noch gar nicht vorstellen kann. Daher rate ich euch dringend davon ab, es wie Izumi zu machen! ;)

Wie immer freue ich mich über Kommentare, Kritik und andere Meinungen! Komplett anzeigen

Fanfic-Anzeigeoptionen

Kommentare zu diesem Kapitel (0)

Kommentar schreiben
Bitte keine Beleidigungen oder Flames! Falls Ihr Kritik habt, formuliert sie bitte konstruktiv.

Noch keine Kommentare



Zurück