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Nana

Die Tropfen klopften gegen das Glas, während wir in Religion erfuhren, dass Jesus uns liebte. Ich sah ihm zu, wie er Wien von Zigarettenstummeln und Erbrochenenem reinigte, anstatt aufzupassen. Eine der wenigen Gemeinsamkeiten, die Hannah und ich hatten. Nur hatte sie die Szenen gerne beschrieben. Ich war zu müde dafür, und das würde sich die nächsten Tage nicht ändern. Simon, Jesaia und ich hatten seit der Nacht mit dem LSD keine Drogen genommen, aber heute hatte Jesaia etwas Haschisch bekommen, und ich war das erste Mal bei ihm eingeladen,, in ein paar Stunden. Wenn der Juniregen vorbei war.
 

Mein Geburtstag vor ein paar Tagen war relativ ereignislos verlaufen. Ein Glas Wein mit meinen Eltern, die mir schlicht Geld überwiesen hatten, und mir erlaubt hatten, das Haus für Feiern zu nutzen. Ich hätte fast gelacht, am Abend war ich mit Marie auf der Terrasse gesessen, und hatte den Rest des Weins getrunken. Den nächsten Nachmittag verbrachte ich Kuchen essend mit Jarov, der mir siebzehn schmale Lederarmbänder geschenkt hatte, und mittlerweile dauerhaft bei unserer Großmutter wohnte. Da ich wieder single und ein Jahr älter, sowie „hoffentlich vernünftiger“ war, war ich bei ihr vorerst geduldet, sie hatte mir sogar einen Gutschein für Kleidung geschenkt, den ich „bitter nötig“ hatte, da sie von meinem neuen Kleidungsstil und dem schwarten T-Shirt mit etlichen, kleinen Löchern nicht begeistert war. Dennoch schloss sie mich in die Arme. Jarov erzählte mir später, dass er meinen Stil schon immer toll fand, aber jetzt noch mehr.

Jarov und ich hatten uns so viel zu erzählen, dass es uns gar nicht auffiel, wie schnell die Zeit verging. Meine Großmutter bot dann an, ich könnte die Nacht in ihrem zweiten Gästezimmer verbringen, und ich spielte mit Jarov und meinen Großeltern den ganzen Abend Monopoly. Während Nana versuchte, Jarov zu bettfertig zu machen, der unbedingt noch aufbleiben wollte, stopfte sich mein Großvater eine Pfeife mit englischem Tabak, eine Gewohnheit, die er noch aus Zeiten hatte, bevor er nach Wien gezogen war. Ich blieb bei ihm. Er hatte in den letzten Jahren mehr und mehr aufgehört, zu sprechen, aber ich mochte seine ruhige Ausstrahlung, also blieb ich sitzen, anstatt Jarov dazu zu bringen, dass er vielleicht doch lieber schlafen ging.

„Deine Gran war auch so, weißt du?“, sagte er dann, zu niemandem bestimmten, aber ich war die einzige Person im Raum, aber schon fast überrascht, seine Stimme zu hören. Ich hatte schon fast vergessen, wie sie klang, so selten benutzte er sie. Im Alltag überließ er Nana, meiner Großmutter, das Reden, und verständigte sich sonst mit viel Geduld und Handzeichen. Auf die Frage hin, warum er nicht mehr sprach, zuckte er mit den Schultern, und zeigte, dass er schon so viel gesagt hatte, bei dem niemand zugehört hatte, dass er dem müde geworden war. In dem Moment waren wir uns näher gewesen als je zu vor.

Wir. Hannah und er. Aber ich begann, mehr und mehr wie sie zu werden, zu denken, zu reden. Sogar mein Deutsch hatte sich verhärtet.

Ich sah meinen Großvater an, und legte fragend den Kopf zur Seite. Erinnerungen bescheinigten mir, dass wir oft so kommunizierten, anstatt unsere Zungen, Stimmbänder und Lippen zu verwenden.

„Sie war so anders, sie hatte wenige Freundinnen, sie war zu klug. Deswegen hat auch sie studiert, und nicht ich.“ Er kicherte amüsiert, meine Großmutter war Ärztin gewesen, erst in Leeds, dann in Argentinien, wo mein Vater meine Mutter kennen gelernt hatte, dann irgendwann in Wien.

„Sie hatte es manchmal schwer. Sie will nur das Beste, weißt du... nimm es ihr nicht übel.“

Dann zog er wieder an der Pfeife, und wir saßen ruhig neben einander, die Stille genießend, welche etwas später jäh von Jarov unterbrochen wurde, der sich an mich kuschelte, und erst schlafen gehen wollte, wenn ich es auch tat.

Wir schliefen neben einander im großen Gästebett meiner Gran ein.
 

Der Regen wurde stärker, und ich verfluchte mich dafür, dass ich weder Regenschirm noch Regenjacke dabei hatte, und schon in den paar Metern von der Schule zur Straßenbahn tropfnass werden würde.

Während ich überlegte, ob Marie und ich gleichzeitig aus hatten, ging eine Mitschülerin auf mich zu, die ich kaum kannte, und reichte mir eine Karte.

„Vielleicht hast du ja Lust.“

Ich hielt Hannahs erste Einladung auf eine Feier in den Händen.

Ein Lächeln, ein Nicken. Und die Frage, ob ich vielleicht jemanden mitbringen durfte.

Die Antwort war ja. Doch bevor meine Gedanken zu Marie sprangen, ruhten sie auf Simon und Jesaia. Ich schüttelte den dunklen Kopf. Natürlich, ich verbrachte die meiste Zeit mit den Freunden, aber Marie war noch immer... unauffälliger, als wenn ich auf einmal zwei Upper Class Posh Boys mitnehmen würde. Also nannte ich Maries Namen.

Bereitwillig wurde die Auskunft erteilt, dass sie bereits eingeladen war, und schon gefragt hatte, ob ich sie begleiten konnte. Ich bedankte mich, und ging, ohne mir den Namen des Mädchens gemerkt zu haben. Aber darin war Hannah ohnehin noch nie gut gewesen. Während der Teil meines Gehirns, in dem sich meine alte Persönlichkeit niedergelassen hatte, versuchte, herauszufinden, wie sie hieß, machte sich mein Körper auf den Weg, Marie zu finden, und wenn es dauern würde, bis der Regen abgeklungen war.

Ich hatte kein Glück bei meiner Suche, traf aber Jarov, der, anstatt mich mit dem Schirm zur Straßenbahnhaltestelle zu begleiten, gleich Nana anrief und fragte, ob ich nicht zum Essen kommen könnte, weil ich zur Abwechslung mal wieder alleine war, auch wenn ich wiederholte, dass ich die Kunst des Spaghetti-mit-Paradeissauce-kochen mittlerweile perfektioniert hatte.

Sie willigte ein, auch wenn sie grummelte, dass sie keine Lust hatte, extra vegetarisch zu kochen.

Bei all den Dingen, die ich über Hannah wusste, erfuhr ich erst nach einem Monat in ihrem Leben,dass sie kein Fleisch aß.
 

Jarov und ich fuhren erst mit dem Bus, um dann zur U1 zu gelangen, welche uns zu Nana bringen sollte. Obwohl er schon fast vierzehn war, nahm Jarov meine Hand, während wir auf den Zug warteten. Er kam, und wir setzten uns nebeneinander auf rote Plastiksitze. Der Waggon war relativ leer, Jarov erzählte mir vom Alltag in der Schule, ich sah in die Dunkelheit der Tunnel. Menschen stiegen ein und aus. Einmal dachte ich, Jakob zu sehen, doch die Person, die ihm so ähnelte, war vernarbt und deutlich älter.

Schließlich kamen wir, als wir ausgestiegen waren und noch einmal einen Bus genommen hatten, im Haus meiner Großeltern an. Wir aßen relativ stumm, zumindest mein Großvater und ich, während Jarov und Nana für zwei redeten.

Gegen Abend verabschiedete ich mich, sagte, ich wollte noch mit Marie lernen, woraufhin ich einen misstrauischen Blick von meiner Nana auffing. Mein Großvater brachte mich zur Bushaltestelle, steckte mir einen Geldschein zu. Er kicherte wieder leise, als ich fragend eine Augenbraue hob, und zeichnete eine Flasche in die Luft.

Ich verstand ihn.



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