Zum Inhalt der Seite

Er liebt mich, er liebt mich nicht

[Secret Love]
von

.
.
.
.
.
.
.
.
.
.

Seite 1 / 1   Schriftgröße:   [xx]   [xx]   [xx]

Die Woche zog viel zu schnell an Takeda vorüber. Er hätte viel darum gegeben, wenn man ihm vor seinem Treffen mit Hirakawa noch ein wenig Aufschub gewährt hätte, doch die Unterrichtsstunden kamen und gingen, das Kendô-Training begann und endete und ehe Takeda sich versah, war es bereits Freitagabend.

Mutlos schleppte er sich nach dem Kendô-Training in die erste Etage des Wohnheimblocks C hinauf. Er fühlte sich wie ein zu Unrecht Verurteilter auf dem Weg zum Schafrichter.

Ishida hatte es sich bereits mit einer Zeitschrift auf seinem Bett gemütlich gemacht, als Takeda ihr gemeinsames Zimmer betrat. Es schien ihm überflüssig, die Zeit vor seiner Hinrichtung mit einer Begrüßung zu verschwenden, also trat er nur rasch hinüber zu seinem Wandschrank, um sich der Kendô-Ausrüstung zu entledigen.

»Wo ist eigentlich Hirakawas Zimmer?«, fragte er betont beiläufig.

»Was willst du denn von ihm?«, gab Ishida zurück. Offensichtlich war er immer noch in seine Lektüre vertieft. »Er hat dir doch hoffentlich keine Strafarbeit aufgebrummt?«

»Frag einfach nicht«, antwortete Takeda mit schwerer Stimme, schob die Tür zu seinem Wandschrank zu und lehnte sich mit einem leichten Seufzer dagegen.

»Gut, dann frag ich eben nicht«, meinte Ishida nur und schlug eine Seite um. »Zimmer 311, zwei Etagen drüber. Eigentlich solltest du das wissen, der Typ ist schließlich unser Wohnheimsprecher.«

»Wohnheimsprecher, Klassensprecher, künftiger Kendô-Club-Vorsitzender... Bin gespannt, wann er die Schulleitung übernimmt.«

Erst jetzt legte Ishida seine Zeitschrift beiseite und blickte zu Takeda auf, die Stirn in leichte Falten gelegt.

»Also das wird wohl noch drei Jahre dauern. Bis er seinen Schulabschluss gemacht hat«, gab er trocken zurück und grinste dann. »Bist du ein bisschen gefrustet oder so?«

Da Takeda darauf keine passende Antwort in den Sinn kam, zuckte er nur die Achseln.

»Ich muss jetzt los. Wird vielleicht ein bisschen später heute. Ich meine nur, damit du nicht wieder über den ganzen Campus rennst und nach mir suchst.«

Ishidas Grinsen wurde breiter: »Käme mir nie in den Sinn. Viel Spaß bei deinem Date, Prinzessin.«

Ein Augenrollen Takedas war die Antwort, ehe er sich aus dem Zimmer schleppte und den Aufstieg in den dritten Stock begann.

Als Takeda den oberen Treppenabsatz erreichte, stand die Tür zu Hirakawas Zimmer bereits offen. Hirakawa selbst lehnte im Türrahmen und bedachte Takeda mit einem kühlen, prüfenden Blick, ehe er zurück trat, um ihn einzulassen und die Tür hinter ihm zu schließen.

Takeda war so überrascht von dem Anblick des Zimmers, dass er für einen kurzen Augenblick sogar seinen Unmut über dieses unfreiwillige Treffen vergaß. Der Raum war nicht viel größer als sein eigenes Zimmer, allerdings mit nur einem Bett ausgestattet, sodass er viel geräumiger wirkte und Platz für allerlei persönliche Habseligkeiten bot. Dem Bett gegenüber stand ein schlichtes Bücherregal aus hellem Holz, das zum Bersten mit klassischer Literatur gefüllt schien. Außerdem hatte ein kleiner Schreibtisch mit blank polierter Platte unter dem Fenster Platz gefunden. Alles in allem strahlte das Zimmer eine seltsame Mischung aus penibler Ordnung und chaotischer Gemütlichkeit aus.

»Fass bloß nichts an«, zerriss Hirakawas schneidende Stimme die Stille, als er Takedas neugierige Blicke bemerkte.

Takeda allerdings war nicht bereit, sich schon in den ersten fünf Minuten seines Besuchs auf einen Streit einzulassen: »Du wohnst alleine?«

»Sieht so aus, oder?«

Als Takeda nicht antwortete, fügte Hirakawa hinzu: »Als Wohnheimsprecher hat man gewisse Privilegien.«

Tja, es sah ganz danach aus.

Hirakawa ließ sich auf seinem Schreibtischstuhl nieder. Takeda bot er keinen Platz an. Es wäre auch keiner vorhanden gewesen, da der Schreibtischstuhl die einzige Sitzgelegenheit im ganzen Raum war. Offensichtlich bekam Hirakawa nicht häufig Besuch.

»Ich habe bereits eine Liste mit möglichen Aktivitäten für das Sommerfest zusammengestellt«, begann Hirakawa in geschäftlichem Tonfall.

Takeda ließ seinen Blick wieder durch das Zimmer schweifen, während er antwortete: »Und wozu brauchst du mich dann?«

»Für die Formalitäten.«

Takeda trat einen Schritt näher an das Bücherregal heran. Auf dem obersten Brett, zwischen zwei dicken Wälzern von Kafka, hatte er etwas ausgemacht, das ganz und gar nicht zum Rest des sonst so nüchtern eingerichteten Zimmers passen mochte. Es war kein Buch, im Gegenteil. Es handelte es sich um eine hölzerne Spieluhr, auf deren runden Sockel sich ein Pärchen im Tanze ruhte.

Takedas Herz tat einen Hüpfer. Das war einfach nicht möglich.

Von einer Sekunde auf die andere hatte Takeda alles um sich herum vergessen. Er war wieder sechs Jahre alt, sah die grell erleuchteten Reklamen Ginzas vor sich. Sah sein Gesicht, wie es sich in der Schaufensterscheibe des kleinen Antiquariats spiegelte, sah Hirakawas leises Lächeln neben sich, so nah, dass er es hätte berühren können.

Die Stille um ihn her rauschte in Takedas Ohren. Langsam, ganz behutsam, streckte er die Hand nach der Spieluhr aus, wie gebannt von ihrem Anblick. Doch noch ehe seine Fingerspitzen sie berühren konnten, durchschnitt Hirakawas Stimme die Luft, die zerbrochene, kalte Stimme des echten, des heutigen Hirakawas, und durchbrach den Zauber, der Takeda für einen kurzen Augenblick lang in eine andere Zeit versetzt hatte.

»Ich hab doch gesagt, du sollst hier nichts anfassen!«

Ehe Takeda sich versah, war Hirakawa von seinem Stuhl aufgesprungen und hatte Takeda so fest am Unterarm gepackt, dass es schmerzte.

»Das ist doch unsere Spieluhr! Wo hast du die her?«

»Keine Ahnung, wovon du redest.«

»Zerquetschst du mir deswegen gerade den Arm?«

Als hätte er sich verbrannt, ließ Hirakawa von Takeda ab und trat einen Schritt zurück, einen Ausdruck des Entsetzens ins Gesicht geschrieben.

»Wieso hast du mich wirklich hier her bestellt, Hirakawa? Wolltest du sehen, ob ich mich noch erinnere? War das ein Test?«

»Verschwinde«, brachte Hirakawa hervor, den Blick starr auf Takedas Gesicht geheftet und doch schien er ihn nicht anzusehen, durch ihn hindurch zu blicken, als gäbe es da etwas, das nur Hirakawa allein nicht verborgen blieb.

»Du hältst mich fest und sagst, ich soll verschwinden. Du findest es albern, dass ich gekommen bin, um dich zu wieder zu sehen, hast die ganzen Jahre aber unsere Spieluhr aufbewahrt. Was du sagst und was du tust, passt einfach nicht zusammen. Was soll ich davon halten? Wie soll ich mich verhalten? Sag's mir!«

»Raus hier, hab ich gesagt!«

Ehe Takeda wusste, wie ihm geschah, fand er sich auf dem Flur der dritten Etage wieder. Die Tür zu Zimmer 311 schlug mit einem lauten Krachen hinter ihm zu.



Fanfic-Anzeigeoptionen

Kommentare zu diesem Kapitel (0)

Kommentar schreiben
Bitte keine Beleidigungen oder Flames! Falls Ihr Kritik habt, formuliert sie bitte konstruktiv.

Noch keine Kommentare



Zurück