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Memories

von

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Escape

„Sind das Erdbeeren?“, fragte Toru und blickte interessiert zur Seite, wo Taka auf dem Beifahrersitz neben ihm saß. Das Armaturenbrett glänzte noch so sauber, als sei der Wagen gerade erst gekauft worden, was so nicht ganz richtig war. Der eigentliche Kauf lag bereits einige Wochen zurück (Toru hatte es längst möglich aufgeschoben, sich ein neues Auto zu kaufen), jedoch boten die öffentlichen Verkehrsmittel in Tokio eine so praktische Alternative, dass weder er, noch Taka (der ja sowieso keinen Führerschein besaß) bisher wirklich auf das Auto angewiesen gewesen waren. Demnach roch es in dem schwarze BMW also noch immer so, als sei dieser gerade frisch vom Laufband gekommen.
 

„Oh ja, und Schokoraspeln.“, erklärte Taka und obwohl Toru längst wieder vor sich auf die Straße blickte, war das stolze Grinsen aus der Stimme des Älteren deutlich herauszuhören. „Das würdest du alles wissen, hättest du mir geholfen.“
 

„Der Plan war, dass der Kuchen appetitlich aussieht, erinnerst du dich?“ Daraufhin lachte Taka kurz auf, ehe Toru weitersprach. „Aber ehrlich, der sieht großartig aus, Masato wird sich riesig freuen.“
 

„Das hoffe ich!“ Eine der wenigen Gelegenheiten, zu welchen Torus Auto tatsächlich genutzt wurde, war es, wenn irgendeine Veranstaltung anstand und am nächsten Tag unabhängig von öffentlichen Verkehrsmitteln entschieden werden wollte, wann man den Nachhauseweg antrat. Eine solche Gelegenheit stellte jetzt die nachträgliche Geburtstagsfeier des coldrain Sängers dar, der ja eigentlich bereits im Dezember ein Jahr älter geworden war. Ob Dezember oder Januar machte unterm Strich aber auch keinen großen Unterschied, zumindest was die Party anging, da die meisten froh waren, dass überhaupt eine stattfand.

Darüber hinaus war die Party eine der wenigen Gelegenheiten, zu welchen Toru und Taka gemeinsam antraten. Es herrschte kein Streit, man grüßte einander und hielt Smalltalk, aber am Ende des Tages lebte man doch irgendwie aneinander vorbei, ohne zu wissen, was den anderen in letzter Zeit wirklich bewegt hatte. Es tat weh, eigentlich schmerzte es höllisch, aber Toru hatte gelernt sich mit der Situation zu arrangieren, indem er Taka und Takeru einfach möglichst aus dem Weg ging und sich stattdessen mit Arbeit ablenkte, denn eines hatte er die vergangenen Monate verstanden: Egal was passierte und egal was er tat, Toru würde niemals aufhören können, Taka zu lieben. Zumindest nicht in absehbarer Zeit. Vielleicht auch überhaupt nicht.
 

„Hey, ich bin’s.“ Toru unterdrückte ein Seufzen, sowie er verstand, dass Taka nicht mit ihm sprach, sondern gerade seinen Freund angerufen hatte. „Ja, wir sind auf dem Weg, die Vorbereitungen haben doch etwas gedauert…Ja, denke ich auch…Keine Ahnung, dauert aber nicht mehr lange.“ Wenn Toru das die Tage zuvor richtig verstanden hatte, so würde Taka irgendwann nachts mit Takeru zu ihm nach Hause fahren, wohingegen er direkt bei Masato übernachtete, was Taka rein theoretisch auch hätte machen können, aber da wollte wohl jemand Zeit miteinander verbringen. Toru rollte die Augen, Taka war ohnehin abgelenkt. „Nein, versprochen, nicht allzu spät…Ja genau, alles klar…Okay, bis gleich!“ Ein kleines Stoßgebet sandte Toru dann doch an die Götter, da „Ich liebe dich“ oder ähnliches in seiner Anwesenheit nicht gefallen war. Zumindest noch nicht, denn Takeru würde heute Nacht auch auf besagter Party anwesend sein und Toru setzte sein gesamtes Hab und Gut darauf, dass er von ihm und Taka heute noch mehr sehen würde, als ihm lieb war.
 

„Und? Ist er schon da?“, fragte er aus reiner Höflichkeit, da ihm eigentlich nichts gleichgültiger sein könnte, als der Zeitpunkt seines nächsten Aufeinandertreffens mit dem Freund seines Mitbewohners.

„Jap. Er wartet auf uns.“ Wie liebreizend, dachte er.

Es gab Momente, da schämte sich Toru dafür, was für eine Abneigung er gegen Takeru entwickelt hatte, aber am Ende war Missgunst immer noch besser, als wenn er sich, stundenlang die Augen ausheulend, in seinem Bett verkroch. Die Hoffnung, die Tatsache irgendwann akzeptieren zu können, dass der Ältere dabei war, sich ein neues Leben ohne ihn aufzubauen, hatte er lange aufgegeben. Hass war gut, dadurch spürte er wenigstens überhaupt noch was.
 

„Ich wünschte, ich könnte mich an all das erinnern, was Masato erzählt hat, echt jetzt.“, seufzte Taka und Toru warf ihm einen kurzen Blick zu. Vor einigen Wochen hatte sich der blonde Sänger mit Taka getroffen, nachdem er über Bekannte von seinem Unfall erfahren hatte. Die ganze Affäre konnte erstaunlicherweise erfolgreich vor der Öffentlichkeit geheim gehalten werden und so publizierte auch keine einzige Zeitung, dass ONE OK ROCKs Sänger seit jenem Unfall an Amnesie litt. Wieviel Geld wirklich an die Reporter geflossen war, die in jener Nacht am Unfallort anwesend gewesen waren, wollte sich Toru gar nicht ausmalen.

Obgleich Masato ein enger Freund von ihnen war, hatte er nicht zum kleinen Kreis gehört, der von ihrer Beziehung gewusst hatte und so war das Gespräch, welches er, Toru und Taka an dem Nachmittag geführt hatten auch frei von potentiellen Fallen gewesen.
 

„Verständlich.“ Rückblickend glaubte Toru, dass es fast ausschließlich Masato gewesen war, der dort in ihrem Wohnzimmer geredet hatte, während Taka ihm wie gebannt an den Lippen gehangen hatte. Dieser war wahrscheinlich mehr als froh gewesen, endlich jemandem begegnet zu sein, der völlig von sich aus einzelne Puzzlestücke in seinem Kopf wieder zusammensetzte.
 

Es hatte sich viel getan über die letzten Wochen, eigentlich sogar Monate. Taka bekam keine Panikattacken mehr, er beherrschte mittlerweile Techniken sich selbst zu beruhigen, bevor es soweit kommen konnte und auch die meisten seiner Ängste hatte er ablegen können und ob Toru der Gedanke gefiel oder nicht, so war ein großer Teil dieses Fortschritts wohl Takeru zuzuschreiben. Auch hatte Taka sein Talent in der Küche stückweise wiedererlangt (sehr zu Tomoyas Freude) sowie viele neue Gesichter kennengelernt. „Neu“ war in diesem Sinne als „neu für Taka“ zu verstehen, da die meisten von ihnen alte Bekannte der Band waren. In diesen Kreis fiel auch Masato. Taka hatte jetzt einen Job, ein sicheres Umfeld und war in einer Beziehung und es war offensichtlich, dass er mittlerweile wieder mit beiden Beinen im Leben stand und nicht mehr länger von seiner Amnesie beeinträchtigt wurde. Und obwohl Toru alle gegebenen Umstände missfielen, obwohl das Wissen, unter welchen Einflüssen Taka an diesen Punkt gelangt war, überaus schmerzhaft war, so war er doch glücklich, seinen Sänger wieder so zu sehen. Schließlich liebte er ihn noch immer.
 

„Im Kühlschrank steht übrigens noch Auflauf, falls du morgen ein fettiges Kateressen brauchst.“ Toru schmunzelte auf die Worte des Älteren hin.

„Es war ehrlich gesagt nicht der Plan, mich abzuschießen, aber danke dir.“

„Oh mein Gott, sieht der lecker aus!“ Masato strahlte bis über beide Ohren, als er Taka und Toru die Tür aufgemacht und Taka ihm unverzüglich mit einem „Happy belated birthday!“ den Kuchen unter die Nase gehalten hatte. Schon auf dem Vorhof war die laute Musik aus dem Haus zu vernehmen und Toru war froh, dass der Halbamerikaner keine direkten Nachbarn hatte, da die Party wohl andernfalls ein jähes Ende finden würde. „Hast du den gemacht?“ Sein Bier unbekümmert auf dem gefliesten Boden im Flur abstellend, nahm Masato den Kuchen entgegen und bestaunte die schnörkelige Aufschrift.
 

„Toru wird’s wohl kaum gewesen sein.“, antwortete Taka und hätte er damit nicht zu 100% Recht, so wäre Toru jetzt vermutlich eingeschnappt gewesen. So aber schob er sich an dem Sänger vorbei in Masatos Haus, nachdem dieser beiseitegetreten war. Masato war bekannt für seine Hausparties, allerdings war es bereits einige Zeit her, dass er das letzte Mal eine gefeiert hatte und der Anzahl der sich im Treppenhaus drängelnden Menschen nach zu urteilen, ging Toru davon aus, dass sich die Summe der Bekannten des Sängers in dieser Zeitspanne wohl mindestens verdreifacht hatte.
 

„Ach du scheiße, von wem ist der denn?“ Sich durch die Menge kämpfend, hatte Ryo, coldrains Bassist, sie erreicht und blickte Masato nun über die Schulter. Der schwarze Beanie saß bereits mehr als schief auf seinem Kopf und Toru fragte sich unweigerlich, wie viel Bier der Mann wohl schon gehabt hatte, es war schließlich gerade mal 23:00 Uhr.

„Von Taka.“, antwortete Masato ihm etwas verspätet und winkte in Richtung Taka, der seine Jacke neben Torus an die Garderobe hängte.

„Kein Scheiß?!“

„Uhm, ja. Also nein, kein Scheiß, der ist von mir.“ Würde Toru es nicht besser wissen, so würde er fast behaupten, dass das wilde Erscheinungsbild des Bassisten Taka ein Stückweit einschüchterte. Irgendwo verständlich, Ryo war ihm seit dem Unfall vielleicht höchsten dreimal kurz begegnet und mit all den Tattoos und Piercings mochte er im ersten Moment wirklich etwas bedrohlich wirken. Doch wirklich nur im ersten Moment. „Kraaaass, wann schneiden wir den an?“

„Finger weg!“, mahnte Masato und schob Ryo beiseite, der den Kuchen wohl, seinem Blick nach zu urteilen, am liebsten an Ort und Stelle mit den Fingern gegessen hätte. „Das machen wir später, jetzt gerade ist hier zu viel los, da würde der womöglich noch kaputt gehen.“

„Kannst ihn auch morgen essen oder so.“, lächelte Taka und machte ein paar Leuten Platz, die an ihm vorbei nach draußen wollten, um eine zu rauchen. Keines der Gesichter kam Toru bekannt vor.

„Oh nein, der wird heute noch angeschnitten! Oder zumindest im Laufe der Party, das Heute ist ja nicht mehr lang.“ Masato strahlte noch immer wie ein Honigkuchenpferd und musterte einmal mehr die braune Schokoladenglasur mit den vielen Erdbeeren. „Vielen Dank, Taka, ehrlich!“
 

„Hey! Da seid ihr ja endlich!“ Mit jeweils einem weißen Plastikbecher in jeder Hand steuerte Ryota auf sie zu und drückte Toru einen von diesen in die Hand, noch ehe er überhaupt zum Stillstand kam. „Gin Tonic mit Himbeere, mein Freund!“, lachte er, legte seinem Freund einen Arm um die Schulter und stieß mit seinem Becher so heftig an den des anderen, dass der halbe Inhalt des rosanen Getränks auf dem Boden verteilt wurde.
 

„Alter, wie viel hattest du schon?“, murmelte Toru, leerte aber den Rest seines Getränkes ohne weitere Umschweife, da er bereits sagen konnte, dass dies eine lange Nacht würde.

Laut lachte Ryo und hob seine Flasche Bier in die Luft. „Er ist mein Trinkpartner für die Nacht!“
 

„Dann will ich lieber ganz weit weg sein von euch.“ Sich aus dem Griff Ryotas befreiend, bekam Toru gerade noch rechtzeitig mit, wie eine weitere bekannte Person um die Ecke bog und es im Flur merklich immer enger wurde.

„‚Dauer aber nicht mehr lange‘, sagte er vor einer halben Stunde.“ Toru unterdrückte ein Seufzen, sowie Takeru sich zwischen Ryota und ihn stellte. Er trug seine Haare im Nacken in einem Zopf und sah im generellen Erscheinungsbild mindestens doppelt so frisch aus wie Toru, geradezu das sprühende Leben. Das lag wahrscheinlich daran, dass er die Nacht nüchtern bleiben würde.
 

„Toru hat sich verfahren.“
 

„Uh, stopp! Halt! Das lag daran, dass du mir den falschen Weg gesagt hast!“, verteidigte sich dieser prompt und musste schon im nächsten Moment Ryota davon abhalten, ihm ein weiteres Getränk in die Hand zu drücken.

Es war schon einige Zeit her, dass Toru das letzte Mal bei Masato gewesen war und Taka hatte überaus überzeugend gewirkt mit der Karte in der Hand, sodass er seinen Anweisungen einfach Folge geleistet hatte, bis sie irgendwann bemerkt hatten, dass sie im Kreis gefahren waren.

„Selbst schuld, was vertraust du auch jemandem mit Amnesie.“ „Wisst ihr was,“, unterbrach Masato ihre Debatte. „Ich bringe den Kuchen in die Küche und dann kommt ihr erstmal mit rein und wir stoßen richtig an.“
 

Auf dem Weg zurück zum Sofa wurde Toru circa ein dutzend Mal von irgendwelchen Personen angesprochen, die meinten ihn zu kennen, wohingegen er nur die wenigsten Gesichter irgendeinem Namen zuordnen konnte. Die Lichter waren gedimmt und der Großteil der hier versammelten Menschen war bereits ordentlich angetrunken, für sie hätte er sonst wer sein können. Noch häufiger wurde er jedoch auf den paar Metern angerempelt, sodass er seinen Becher hochhalten und sein Bestes geben musste, sein Getränk nicht zu verschütten, als er sich seinen Weg durch die Menge suchte.

„Wenn du wüsstest mit was für Leibeskräften ich deinen Platz hier verteidigen musste.“, merkte Tomoya an, als sich Toru wieder neben ihm niederließ. Seit ungefähr einer Stunde besetzten sie nunmehr gemeinsam mit zwei weiteren Personen, die Toru nicht kannte, das große Sofa in Masatos Wohnzimmer. Toru und Tomoya gehörten eher der ruhigen Sorte Partygängern an, sodass sie dem Getümmel um sie herum zwar gerne zusahen, aber nicht zwangsläufig das Bedürfnis verspürten mitzutanzen. Toru war dem Lärm mittlerweile schon so lange ausgesetzt gewesen, dass er einen penetranten Tinnitus bemerkte, wann immer er auf die Terrasse trat, um sich eine Zigarette anzuzünden und er wollte gar nicht wissen, wie oft er an diesem Abend bereits Menschen deswegen unnötig angebrüllt hatte.
 

„Ich schätze dir das hoch an.“ Toru sah sich im Raum um, nachdem er mit Tomoya angestoßen hatte. Ryo und Ryota waren bereits einige Minuten nachdem Masato sie einigen Leuten vorgestellt hatte wieder verschwunden und auch coldrains Sänger selbst hatte sich vor einiger Zeit wieder aufgemacht, um nach den anderen Gästen zu schauen.

„Wo sind unsere Turteltäubchen?“ Der bittere Ton in Torus Stimme machte sich bemerkbar, was wohl am Alkohol lag. Wer auch immer für die Mischen verantwortlich war, der Person sollte ein Orden verliehen werden.
 

„Wollten tanzen gehen.“, antwortete Tomoya und nippte an seiner Flasche. „Wie geht es dir damit mittlerweile?“ Toru unterdrückte ein Stöhnen, da er hier und jetzt wirklich nicht in der Stimmung war, über seine Gefühle bezüglich Takas Beziehung zu reden. Sicherlich behauptete er stets, dass er glücklich für den Älteren sei, doch jeder, der Augen im Kopf hatte, sah, dass es ihm damit gar miserabel ging. Also nein, es ging ihm damit nicht gut. „Ganz okay.“ Tat es nicht wirklich, aber damit war das Thema für sie, zumindest für den Moment, vom Tisch.
 

„Haben sich Takas Eltern eigentlich schon mal wieder gemeldet?“
 

„Nein, die sind noch auf Weltreise.“ Wenn es nach Toru ging, so könnte das Paar Moriuchi auch noch einige Monate länger in der Weltgeschichte herumreisen, denn ihnen zu erklären, warum die Hochzeit, von der besonders Takas Mutter bereits seit Jahren schwärmte, nun doch nicht geplant werden müsse, war keine Aufgabe, der sich Toru gewachsen fühlte. Zumindest noch nicht. Dass er seinen nunmehr Ex-Schwiegereltern in spe mit derartigen Themen im Hinterkopf das nächste Mal gegenübertreten würde, war auch definitiv nichts, worüber er abends im Bett nachdachte.

„Ah, achso. Naja, dann können zumindest die Konflikte hier unabhängig von äußeren Einflüssen gelöst werden.“ Fast unabhängig von äußeren Einflüssen, denn wie auf Stichwort betraten Taka und Takeru die Tanzfläche und das auch noch perfekt in Torus Sichtfeld. Taka hatte sein Hemd irgendwann im Laufe des Abends um die Hüften gebunden und bewegte sich jetzt in schwarzem T-Shirt und schwarzer Skinny Jeans zum Takt der Musik .
 

„Oh Gott.“ Dankbar nach der nächsten Mische greifend, die ihm ein Fremder unter die Nase hielt, wandte Toru seinen Blick ab. In dem Becher war vermutlich irgendwas mit Wodka gewesen, genau konnte er das nicht sagen, denn jetzt war er bereits schon wieder leer und still seufzend stellte Toru den Plastikbecher zu den anderen auf den Tisch. Er spürte Tomoyas Blick auf sich, besonders als er wieder aufsah, weil er es doch nicht lassen konnte, zu Taka zu schauen, als dieser dort zwischen all den Menschen tanzte, als hätte er nie etwas anderes gemacht. Taka bewegte seine Hüften in einer Art und Weise, wie man sie ihm eigentlich hätte verbieten sollen, fuhr sich mit den Händen durch die dicken locken und wann immer er das tat, wurde ein Stück seines Bauches enthüllt, wenn sein Shirt etwas hochrutschte. Er lächelte, grinste, lachte, hatte seine Augen geschlossen und genoss wie der Bass durch seinen Körper fuhr und Toru fühlte seinen Magen zusammenkrampfen, als Takeru Teil dieses Anblicks wurde, seine Hände um Takas Taille schlang und ihn näher zog.
 

„Toru, vielleicht sollten wir gehen.“ Takas Hände legten sich in Takerus Nacken und er lächelte zu ihm auf und Toru hörte nichts mehr, hörte den Bass und die Stimmen um sich herum nicht mehr, als sich Taka auf die Zehenspitzen stellte und Takeru küsste. Und sie bewegten sich noch immer zu der Musik, die Toru nicht mehr wahrnahm, bewegten ihre Körper miteinander, aneinander. Und Toru sah sich selbst dort auf der Tanzfläche stehen mit Taka ihm Arm, dem er süße Worte ins Ohr flüstern würde, dessen Hals er küssen würde, mit dem er die ganze Nacht durchtanzen würde, wenn er denn die Chance dazu bekäme. Der Kuss hielt noch immer an und Toru spürte das Bedürfnis sich zu übergeben.
 

„Toru, komm, wir gehen raus.“ Wie aus einer Hypnose zurückgeholt sah Toru zu Tomoya, hörte mit einem Mal wieder die laute Musik und die ganzen Leute um sich herum. Er spürte seinen schnellen Puls in den Ohren und merkte erst jetzt, dass er zitterte. Wahrscheinlich vor Wut und Frustration, hätte er bereits mehr getrunken, wäre er vermutlich schnurstracks auf Takeru zugelaufen und hätte ihm eine blutige Nase verpasst. „Nein, ist okay, bleib du hier, ich gehe ne Runde.“ Frische Luft zu schnappen war vermutlich die beste Idee, das würde Torus Kopf auch wieder etwas frei machen, allerdings wollte er gerade lieber ein wenig alleine sein, weswegen Tomoya ihn durch besorge Augen hindurch ansah.
 

„Bist du sicher?“
 

„Ja, keine Sorge.“ Sowie Toru aufgestanden war, hatte sich sofort ein Typ mit roten Haaren, auf dessen Schoß ein Mädchen Platz nahm, neben Tomoya gesetzt. Der Drummer hatte vorhin nicht übertrieben, das hier waren definitiv die begehrtesten Plätze. Toru war schon auf halbem Weg aus dem Raum raus, als sein Blick nochmals auf Taka und Takeru fiel. Sie küssten sich noch immer, oder schon wieder, und Taka lächelte in den Kuss, ließ sich von Takeru im Takt der Musik führen, genauso wie er es mit Taka den einen Nachmittag in ihrem Wohnzimmer getan hatte. Toru verspürte ein wohlbekanntes Stechen in seiner Brust und realisierte, dass ein Spaziergang wohl kaum die Lösung seiner Probleme sein würde, er würde ihn nicht mal kurzweilig vergessen lassen.

Alkohol allerdings konnte das.
 

Es war kurz nach drei, als Taka bemerkte, dass er allmählich müde wurde. Er und Takeru saßen seit einiger Zeit gemeinsam mit zwei weiteren Personen (wohl Bekannte Takerus, doch Taka hatte die Namen bereits wieder vergessen) auf dem Bett im Gästezimmer und sahen den übrigen Versammelten im Raum dabei zu, wie sie auf dem Boden Bierpong spielten. Die vorherigen Runden hatte Taka noch mitgespielt, doch mittlerweile merkte er, wie seine Lider immer schwerer wurden. Abgesehen davon wollte er nicht sturzbetrunken neben seinem völlig nüchternen Freund sein, da das wohl zwangsläufig zu peinlichen Situationen führen würde.
 

„Sollen wir gleich fahren?“ Von dem Getümmel auf dem Boden aufsehend, blickte Taka zu Takeru hoch, an dessen Schulter er lehnte.
 

„Ja, ich denke, wenn wir uns vor vier auf den Weg machen, ist das ne ganz gute Zeit.“ Er spürte, wie der andere einen Kuss auf seinen Scheitel setzte und kicherte leise. „Ich bringe unsere Getränke schon mal runter, wollte ohnehin nochmal nach den anderen schauen.“ Etwas wackelig stand Taka auf, merkte erst jetzt, dass er wohl doch etwas mehr getrunken hatte, als vermutet.
 

„Ich komme dann gleich nach.“, antwortete Takeru, der seit geraumer Zeit in ein Gespräch mit einem seiner Bekannten (Ken…Kenji…oder so ähnlich) vertieft war, welchem Taka zwischendurch mit halbem Ohr zugehört hatte.

Im Treppenhaus tummelten sich noch immer allerhand Leute und Taka war erstmals dankbar für seinen kleinen Körper, da es nicht allzu schwer war, sich seinen Weg durch eben diese zu navigieren. Das gerade spielende Lied hatte Taka bereits auch schon mehrmals in dieser Nacht gehört und er war erstaunt zu sehen, dass noch immer ziemlich genauso viele Leute zu tanzen schienen, als wie vor Stunden zuvor.
 

„Taka, wo hast du gesteckt!“ Eine bekannte Stimme ließ ihn herumfahren und er blickte in das breit grinsende Gesicht Ryotas, der mittlerweile kein Shirt mehr trug. Wo, wann und wie er dies verloren oder auch ausgezogen hatte, war allerdings kein Detail, an dem Taka zu sehr interessiert war.
 

Er lachte und blickte auf die leeren Flaschen in seiner Hand. „Wir waren oben, wo wart ihr?“

„Überall!“, lallte Ryota. „Wir haben dich gesucht, weißt du?“ „Wir?“

„Alle!“ Taka rollte die Augen, musste aber abermals lachen. Dass Ryota gerne über die Stränge schlug, war kein Geheimnis, eigentlich war das schon immer so gewesen. Wieder drängten sich Leute an ihnen vorbei und er erinnerte sich daran, was er eigentlich vorhatte.
 

„Wo seid ihr jetzt, dann komme ich gleich mal vorbei. Möchte nur ein paar leere Flaschen wegbringen.“ Als fürchte er, Ryota würde seine Worte nicht verstehen, hielt Taka die leeren Bierflaschen in die Luft und der Bassist strich wich wissend über den Bart. „Terrasse. Wir haben Ryo fast so weit, dass er in den Pool geht.“ Tomoya war hinter Ryota aufgetaucht und hielt Taka, sowie er ihn sah, ein Getränk unter die Nase, welches dieser jedoch ablehnte. Die Vorstellung, dass coldrains Bassist bei diesen eisigen Temperaturen in den Pool ging, ließ Taka erschaudern, da er nicht davon ausging, dass Masato das Wasser zu dieser Jahreszeit temperierte.
 

„Ist gut, ich komme gleich.“ Sich an seinen Freunden vorbeischiebend, machte sich Taka auf den Weg in die Küche, wo er sich wohl auch ein Glas Wasser nehmen würde, jedoch ließen ihn zwei Personen kurz vor der Abzweigung innehalten und beinahe hätte er die Flaschen in seiner Hand zu Boden fallen lassen.

Die Frau hatte lange brünette Haare und stand mit dem Rücken zu Taka, weswegen er ihr Gesicht nicht erkennen konnte, allerdings ging er ohnehin nicht davon aus, dass er sie kannte, da ihr ganzes Erscheinungsbild keine Erinnerung in ihm weckte – nicht, dass das etwas heißen sollte.

Taka hatte in dieser Nacht bereits einige Küsse miterlebt, das hier war schließlich eine Party, was ihn an der sich darbietenden Szene jedoch festhielt war weniger die Tatsache, dass sich jemand küsste, sondern vielmehr wer sich da küsste, denn die andere Person, jene, die die Frau so eng umschlungen hielt, war niemand anderes als Toru.

Er schluckte und wagte es für einige Sekunden nicht mal zu atmen. Konnte es möglich sein, dass dies die Frau war, die Toru einst solchen Kummer bereitet hatte? Die wegen der er so viele Tränen vergossen hatte? Oder nur eine weitere Bekanntschaft, die Toru die Langeweile vertrieb? Taka mochte den Anblick nicht, noch weniger die ganzen Spekulationen in seinem Kopf und irgendwas in seiner Brust zog sich zusammen, doch die Augen abwenden konnte er auch nicht, als Torus Hand über den Rücken der Frau fuhr, immer tiefer, bis sie sich schließlich voneinander lösten und er fast erleichtert aufatmete. Es wurden einige Worte gewechselt, ehe die Frau um die Ecke verschwand und Toru mit roten Wangen und geschwollenen Lippen zurückließ.
 

„Wer war das?“, fragte Taka, als er an Toru herantrat, nachdem er sicher gegangen war, dass die Frau verschwunden war. „Hm?“ Als hätte Toru ihn jetzt erst bemerkt drehte er sich zu ihm um. „Das? Uhm…keine Ahnung ehrlich gesagt.“ Taka zog die Augenbrauen zusammen. Toru stank nach Alkohol und auch seine geleierte Art zu sprechen ließ darauf schließen, dass der Gitarrist in dieser Nacht definitiv bereits mehr gehabt hatte als nur den einen oder anderen Shot.
 

„Also war sie nicht das Date?“ Taka wusste nicht, ob es überhaupt Sinn ergab, Toru in dieser Verfassung über sowas auszufragen, da man wohl von Glück reden konnte, dass dieser überhaupt noch wusste, wer er war, so taumelnd wie er vor dem Sänger stand.
 

„Was für’n Date?“ Toru hob eine Augenbraue, kam aber scheinbar wenige Augenblicke später selbst auf die Lösung. „Ah, ahh!“ Er lachte und griff nach seinem Getränk, welches er wohl zuvor auf der Kommode neben sich abgestellt hatte. „Du bis‘ ja witzig!“ Und du bist sturzbetrunken, dachte Taka.

„Also ist die Sache nicht mehr aktuell? Ich meine, ich hab da nicht mehr viel von gehört…“
 

„Is‘ sehr aktuell.“, lallte Toru und trank seinen Becher in wenigen Schlucken leer. Er mochte zwar betrunken sein, aber daran erinnern, dass jenes „Date“ einst ein Synonym für die Unerreichbarkeit Takas gewesen war, konnte er sich schon noch. Nur war wohl seine Zunge durch den Alkohol ordentlich gelockert worden. „Sehr aktuell.“
 

„Hattest du nicht vorgehabt, um sie zu kämpfen oder so ähnlich?“ In welche Richtung diese Konversation auch immer zu gehen schien, Taka glaubte nicht, dass sie ihm gefiel, besonders nicht, als Toru ihn durch verschleierte Augen mit einem Blick ansah, den er nicht deuten konnte. Noch weniger deuten konnte er jedoch das Verhalten des Jüngeren. Liebeskummer wegen einer Person zu haben, sich aber permanent mit anderen zu treffen, wirkte auf Taka nicht wirklich so, als würde Toru es ernst meinen. Vielleicht versuchte der Blond auf diesem Wege aber auch über jene Person hinwegzukommen, sicher war sich Taka nicht.
 

„Lass das ma‘ meine Sorge sein, ja?“
 

„Ich sage ja nur, dass du dich lieber um dieses Mädchen bemühen solltest, anstatt dich mit anderen abzulenken, wenn es dir wirklich ernst ist.“ Wieder lachte Toru und Taka spürte Frustration in sich aufsteigen, es wirkte nicht so, als würde Toru ihn auch nur im Ansatz ernst nehmen.
 

„Danke für die Ratschläge, Freud, aber ich komm‘ klar, damit du’s weißt.“ Taka bereute seine folgenden Worte schon in der Sekunde nachdem er sie ausgesprochen hatte, doch war er durch Toru in dem Augenblick so verletzt gewesen, dass er nicht weiter über seine Artikulation nachgedacht hatte.
 

„Okay, weißt du was, Casanova? Mach was du willst, ich bin jedenfalls froh, nicht deine Freundin sein zu müssen.“ Ohne ein weiteres Wort schob sich Taka an dem Jüngeren vorbei in die Küche, um endlich seinem ursprünglichen Plan nachzugehen und das Leergut in eine der Kisten zu stellen. Sein Blick fiel auf den Tresen, wo sein Kuchen einige Stunden zuvor unter tosendem Beifall von Masato angeschnitten wurde. Von dem Kuchen selbst waren lediglich noch einige Krümel übrig geblieben und Taka dachte schmunzelnd an all die Komplimente, die er für ihn geerntet hatte.
 

Auf der Terrasse war es in der Tat kalt und Taka war froh, seine Jacke mitgenommen zu haben, obwohl der Anblick von Ryo und Ryota, die in T-Shirt oder gar komplett oberkörperfrei im Garten Masatos saßen, genügte, um ihm einen Schauer nach dem nächsten über den Rücken zu jagen. Er war nur froh, dass coldrains Bassist selbst im betrunkenen Zustand noch schlau genug war, zu wissen, dass es keine gute Idee sein würde, bei diesen Temperaturen in den Pool zu gehen.
 

„Hast du Hunger?“, fragte Masato und hielt ihm einen Teller mit gegrilltem Fleisch unter die Nase. Die Idee eines mitternächtlichen BBQs war in der ursprünglichen Planung der Party von Tomoyas gekommen und hinsichtlich der ganzen Leute, die mittlerweile definitiv etwas zwischen die Zähne brauchten, ein brillianter Vorschlag gewesen.
 

„Takeru und ich wollten ungefähr um vier fahren.“, sagte Taka, was nicht wirklich eine Antwort auf die Frage des anderen gewesen war, weswegen er den Teller mitsamt des Fleisches mit einem dankenden Nicken entgegennahm.
 

„Ah, okay, sag dann rechtzeitig bescheid, dass ich euch noch vernünftig verabschieden kann.“ Masato reichte Taka den Ketchup, ehe dieser nochmals nickte. „Sag mal, wie geht es dir mittlerweile eigentlich? So mit allem?“ Trotz des hörbaren Basses der Musikanlage war es auf der Terrasse deutlich ruhiger als im Haus, was vermutlich der Grund dafür war, dass der coldrain Sänger das Gespräch mit Taka gerade jetzt suchte. Taka blinzelte einige Male, da er wirklich nicht damit gerechnet hatte, hier und heute über so etwas zu sprechen.
 

„Mir geht’s gut, würde ich sagen.“
 

„Auch mit der Amnesie?“
 

„Hm, ja.“ Hinter ihnen lachte Ryota laut auf, doch Taka beschloss, dass er gar nicht wissen wollte, was da wieder von statten ging. „Ich meine sie schränkt mich kaum noch ein, der Großteil dessen, was passiert ist, wurde mir ja erzählt.“

„Das ist gut. Toru meinte, du seist zu Anfang völlig verschreckt gewesen, davon merke ich zumindest zum Glück nichts mehr.“, lächelte Masato und füllte sich auch ein Stück Fleisch auf einen Teller, ehe er sich zu Taka setzte.
 

„Das stimmt.“ Kurz kaute Taka auf der Innenseite seiner Wangen herum, sowie er daran dachte, wie ängstlich er die ersten Wochen und wie abhängig er von Toru in dieser Zeit gewesen war. Der Gedanke an den Blonden schmerzte irgendwo in seiner Brust, hatte er doch noch nicht vergessen, was er ihm zuletzt an den Kopf geworfen hatte. „Ich denke, das hat viel damit zu tun, dass ich mittlerweile ein sicheres Umfeld habe. Ohne die Menschen, die sich in dieser Zeit um mich gekümmert haben, wäre ich jetzt definitiv nicht so weit, wie ich eben bin.“ Mit jedem Wort, was Takas Mund verließ, fühlte er sich bezüglich der Sache mit Toru noch schlechter. Dieser war immerhin für ihn da gewesen, als er praktisch am Boden gelegen hatte, da war ein klein wenig Rücksicht von Taka, wenn Toru auf seine Art und Weise seinen Herzschmerz zu kompensieren versuchte, doch zu verlangen gewesen. Er würde sich definitiv entschuldigen müssen.
 

„Ich mache mir da ehrlich gesagt gar keine Sorgen, wir sind mit dem Rückhalt voneinander bereits durch so viel Mist gegangen, das wird jetzt auch nicht anders sein.“ Als ermutigende Geste legte Masato seine Hand auf Takas Schulter und drückte sie leicht. Hätte er diese Worte vor einigen Monaten an ihn gerichtet, so hätte Taka sie sehr wahrscheinlich auf jede nur erdenkliche Art und Weise angezweifelt, so aber konnte er vor dem Hintergrund der vergangenen Ereignisse sagen, dass der Halbamerikaner mit dieser Aussage definitiv recht hatte. „Das glaube ich auch, danke.“, antwortete er schließlich und aß sein Stück Fleisch in Ruhe zu Ende. Er wusste nicht wie, aber irgendwie hatte Masato es geschafft die zwei Bassisten ihrer Bands in dieser Zeit dazu zu bringen, sich etwas anzuziehen, da sie sonst womöglich noch eine Lungenentzündung bekämen, und während der Blonde damit gekämpft hatte, die beiden eben davon zu überzeugen, war Taka immer nervöser geworden, da er das mit Toru geklärt haben wollte, bis er sich schließlich dazu entschlossen hatte, seine innere Unruhe im Keim aufzuarbeiten. Als Taka wieder ins Wohnzimmer trat, bemerkte er erstmals, dass die Anzahl der Menschen kleiner geworden war, was ihm sehr entgegenkam, da er sich augenblicklich nach dem Gitarristen seiner Band umsehen konnte, ohne angerempelt zu werden. Weder im Wohnzimmer, noch in der Küche hielt sich Toru auf, oben waren abgesehen von einem der Gästezimmer die restlichen Räume abgeschlossen gewesen und auch das Badezimmer war leer gewesen. Vielleicht war er zum Rauchen auf die Veranda gegangen.

Taka fröstelte es, sowie er zum wiederholten Mal in dieser Nacht nach draußen trat und er rieb sich über die Arme. Die Temperaturen im Januar waren mehr als unangenehm, er war definitiv ein Sommer-Mensch und wollte sich gar nicht ausmalen, wie kalt Ryota und Ryo zuvor wohl eigentlich hätte sein müssen. Zu seiner Überraschung war auf der Veranda niemand, hatte er doch eigentlich mit einer Handvoll Rauchern gerechnet, von denen über die Nacht verteilt hier eigentlich ständig ein Grüppchen anzutreffen gewesen war. Gedämpft spielte hinter ihm im Haus die Musik, als er in den Himmel blickte und die Sterne ansah. Es war eine ruhige Nacht und bisher auch eine fantastische Party gewesen, doch allmählich zog es ihn wirklich ins Bett. Er seufzte und wandte sich schon ab, um wieder ins Haus zu gehen, als er meinte um die Ecke jemanden zu hören.
 

„Toru?“ Dass es sich bei der Gestalt, die dort auf dem Holz saß, tatsächlich um den blonden Gitarristen handelte, erkannte Taka erst auf den zweiten Blick, erschrak ihn doch das generelle Erscheinungsbild von eben diesem ungemein. Toru lehnte an der Hausfassade, eine umgestoßene Flasche Whisky neben ihm, sein Kopf nach vorne gefallen.

„Toru?“, fragte Taka erneut und kniete sich zum Jüngeren herab. Toru antwortete nicht und sowie Taka versuchte ihn zu wecken, bemerkte er, dass seine Wangen eiskalt waren, was kein Wunder war, da er hier draußen seit weiß Gott wie lange nur im T-Shirt saß. Niemand anderes war auf der Veranda, nicht jetzt und vermutlich auch nicht zuvor, niemand hatte den Blonden hier liegen gesehen. Takas Puls ging in die Höhe.
 

„Hey, Toru! Toru, hörst du mich?“ Noch immer reagierte der Angesprochene nicht, auch nicht als Taka begann seinen Körper zu schütteln und erst jetzt bemerkte er den Fleck an Erbrochenem neben Toru, die gelbe Färbung ein starker Kontrast zum dunklen Holz, selbst im fahlen Schein der Lichterkette an der Hausfassade.
 

“Oh nein!” Der Sänger, presste die Augen zusammen, da ihm Adrenalin seines Gleichgewichts zu berauben schien, als er sich panisch wieder in eine aufrechte Position brachte. Toru reagierte nicht, wachte nicht auf.

“Scheiße!” Sich am Geländer festhaltend, taumelte Taka in Richtung Haustür und wahrscheinlich liefen ihm Tränen über die Wangen, er wusste es nicht, spürte es nicht. Seine Brust fühlte sich an als würde sie zerspringen und er zitterte am ganzen Körper. Der Zustand war nicht unbekannt, doch Taka versuchte mit allen Mitteln zu unterdrücken, was sich in ihm anbahnte. “Takeru!!” Doch, es liefen Tränen, es liefen so dicke Tränen, dass es Taka die Sicht verschleierte, orientierungslos und ohne zu wissen was zu tun war, ähnliche wie damals, nach seinem Aufwachen. Sein Atem ging flacher. “Takeru!!” Würde man ihn überhaupt hören, so wie er gerade ins Haus hinein rief, in der Hoffnung, dass mein ihm antwortete?
 

Irgendwo polterte es und Taka betete es war die Treppe, hoffte es war Takeru oder irgendjemand der ihn verstehen würde. “Jemand muss...jemand muss einen Krankenwagen rufen!” Taka schluchzte, spürte seine Beine unter sich nachgeben und ließ sich zu Boden sinken, sein Gleichgewichtssinn hätte vermutlich ohnehin früher oder später kapituliert. “Ruft den Krankenwagen, Toru wacht nicht mehr auf!!”
 

“Taka, was ist? Was ist mit Toru?” Taka sah Takeru durch seine Tränen hindurch nicht, krallte sich lediglich in seinen Pullover, suchte Halt an dem warmen Körper, der sich so lebendig anfühlte im Gegensatz zu Torus, den Taka noch immer unter seinen Fingerkuppen spürte.

“Einen Krankenwagen….bitte ruf einen Krankenwagen, auf der Veranda...er wacht nicht mehr auf, er….” Takas Schnappatmung setzte ein und er war nicht mehr fähig weitere Worte zu bilden. Angst füllte seine Gedanken, Adrenalin schoss durch jede Faser seines Körpers und er bereute es Toru zurückgelassen zu haben, er musste bei ihm sein, jemand musste ihm helfen.
 

“Scheiße, was ist denn hier passiert?” Masato war mit Tomoya in den Flur getreten, sehr wahrscheinlich hatten sie Takas Schreien gehört. Der blonde Sänger wusste nicht wohin er gucken sollte, geschweige denn was er von dem Anblick des völlig aufgelösten Takas zu halten hatte, der mittlerweile einige mehr Menschen angelockt hatte, die sich als Traube um ihn und Takeru versammelten.

“Schau mal auf der Veranda, Taka sagt irgendwas sei mit Toru und dass wir einen Krankenwagen rufen sollen.” Obwohl Takeru zu Masato sprach, war es Tomoya, der als erstes aus der Tür heraus stürmte, dicht gefolgt vom Amerikaner und nur wenige Sekunden später hörte man beide Männer laut fluchen. Mittlerweile hatten sich vermutlich die gesamten restlichen Anwesenden im Hausflur Masatos eingefunden, einige waren Tomoya und ihm nach draußen gefolgt, andere diskutierten darüber, wie lange ein Krankenwagen bräuchte und wie groß die Wahrscheinlichkeit war, an einer Alkoholvergiftung zu sterben. Einzelne kommentierten, wie verzweifelt man sein musste, um sich derartig unkontrolliert die Kante zu geben. Taka drehte sich der Magen bei diesen Worten um und hätte Takeru ihn nicht hochgezogen, hätte er sich vermutlich an Ort und Stelle übergeben.
 

Taka kannte die meisten der Anwesenden nicht, oder hatte zumindest keinerlei Erinnerung an sie, doch jeder einzelnen von ihnen, der es wagte, Toru zu verurteilen, ohne zu wissen, was überhaupt vorgefallen war, verdiente einen Schlag ins Gesicht und wäre er nicht in seinem derzeitigen Zustand gewesen, so hätte der Sänger vermutlich keine Sekunde gezögert, einen Kampf anzuzetteln. Die Idee, dass Toru etwas zustoßen könnte, war etwas, was Taka nie in den Sinn gekommen war, doch jetzt, wo der leblose Körper des Gitarristen dort draußen vor der Tür lag, begann er zu verstehen, mit was für Gefühlen dieser nach dem Unfall tagtäglich an seinem Bett gewacht hatte, voller Angst, ihn gehen lassen zu müssen. Torus Anwesenheit war für Taka stets eine Selbstverständlichkeit gewesen, er hatte eine Konstante repräsentiert, die ihn seit ihrem ersten Aufeinandertreffen hatte aufrecht gehen lassen.

Und jetzt, knapp eine Dekade später, war Taka offensichtlich noch immer so abhängig von der Präsenz des Jüngeren, wie am ersten Tag.
 

Sie sprachen nicht mehr miteinander. Taka hatte keine Ahnung, was in den letzten Wochen im Inneren seines Freundes vorgegangen war und was ihn letztendlich dazu getrieben hatte, derartig die Kontrolle zu verlieren. Und er wusste nicht, was mehr weh tat: das Wissen, dass es unausgesprochene Dinge zwischen ihnen gab, die Toru zu einem Fremden für ihn werden ließen, oder die Tatsache, dass er gerade von diesem Mitwissen so abhängig war, abhängig davon war, ein Teil im Leben des Jüngeren zu sein.
 

“Ich muss zu ihm.”, schaffte er zu sagen.
 

“Ich weiß”, antwortete Takeru.

Leise füllte das Autoradio die Stille zwischen ihnen, als Taka stumm aus dem Fenster schaute und das Geschehene revu passieren ließ. Es hatte angefangen zu nieseln und kleine Wassertropfen verwandelten die Glasscheibe in ein Kaleidoskop, wann immer sich das Licht der Laternen am Straßenrand in ihnen verfing. Taka war müde und erschöpft und mehr als alles andere froh, Toru in guten Händen zu wissen.
 

Es war ihm ein Rätsel wie, aber irgendwie hatten Masato und Tomoya es fertig gebracht, den blonden Gitarristen wieder zu Bewusstsein zu bekommen, vermutlich durch eher unsanfte Berührungen im Gesicht, für welche Taka zu zaghaft gewesen wäre. Er war froh gewesen, dass Takeru ihn gestützt hatte, sowie er wieder nach draußen getreten war, denn als sein Blick auf den Torus traf, so wäre er andernfalls wahrscheinlich unter Tränen zusammengebrochen. Toru lag zu seinen Füßen vor ihm, umringt von verschiedenen Personen, die alle mehr oder minder durcheinander redeten, war orientierungslos und reagierte kaum auf das, was Tomoya ihm sagte, doch er war wach, lag nicht mehr leblos auf dem dunklen Holz ohne sich zu rühren. “Woran denkst du?” Aus seinen Gedanken gerissen sah Taka zu Takeru rüber, der seinen Blick auf die Straße gerichtet hatte. Selbstverständlich wusste der Brünette, was ihm durch den Kopf ging, wie konnte Taka das, was Toru zugestoßen war, so schnell vergessen. Es war nicht so, als wären sie noch nie betrunken gewesen, Gott, als hätten sie sich vom Alkohol noch nie übergeben, aber dass Toru, ein erwachsener Mann, derart die Kontrolle über sein Tun verlor, war nichts was einfach so passierte, was einfach als ein Versehen abgestempelt werden konnte, da war sich der Lockenkopf sicher. Doch er wusste nicht, was seinen Freund so weit gebracht haben könnte, egal wie sehr er die vergangenen Wochen in seinem Kopf durchging, suchend nach Indizien.
 

“Das weißt du doch.”, sprach Taka leise, so leise, dass er zunächst fürchtete, seine Stimme wäre im Lied der Playlist des lokalen Radiosenders untergegangen, bis Takeru den Blinker betätigte und auf den Seitenstreifen fuhr, wo er den Motor schließlich abstellte.

Sowie Taka bemerkt hatte, dass Toru wieder unter ihnen weilte, hatte er sich von Takeru gelöst und war neben dem Gitarristen auf die Knie gefallen. Er hatte vorgehabt den Blonden am Kragen zu packen und ihm ins Gesicht zu schreien, was das alles sollte, hatte sich alle möglichen Szenarien ausgemalt, in welchen er seiner Wut und Frustration freien Lauf würde lassen können, doch als Toru dort so verloren vor ihm lag, hatte Taka kein Wort über die Lippen bekommen. Kein Geräusch formte seine Kehle, nichtmal mehr Tränen sammelten sich in seinen Augen. Taka starrte den Jüngeren einfach nur an, verarbeitete, dass der schlimmste Fall, der von einigen hässlichen Mündern prophezeit worden war, nicht eingetreten war, dass sein Freund wach war, bei ihm war, lebte. Seine Hand hatte er auf die Schulter Torus gelegt, hätte ihm am liebsten über die Wange gestrichen, doch er war wie erstarrt, als der andere das Wort an ihn richtete, so leise und durch den Alkohol so undeutlich, dass Taka sofort wusste, er würde der einzige sein, der Torus Stimme vernahm.
 

“Fass mich nicht an, Taka.”
 

“Taka.” Takeru seufzte und Taka hörte deutlich heraus, dass auf seinen Namen etwas Größeres folgen würde. Die Straße, auf der sie sich befanden, war um diese Uhrzeit kaum befahren, Taka hatte in der gesamten Zeit, die Takeru ihr nun schon folgte, vielleicht 2 Autos an ihnen vorbeifahren sehen und so war es völlig still, als sie nun dort auf dem Seitenstreifen standen, denn auch die Musik des Radios war mit dem Umdrehen des Schlüssels verklungen. Taka hörte Takeru neben sich atmen und fragte sich, ob dieser auf eine Antwort seinerseits wartete, denn die hatte er definitiv nicht vorzubringen, wünschte er sich doch einfach nur so schnell wie möglich nach Hause, um sich von den Geschehnissen ablenken zu können, an die er nicht mehr denken wollte.
 

Taka hatte genau gewusst, dass er sich nicht verhört hatte und doch sah er Toru ungläubig an. Masato hatte sich neben ihn gehockt und seine Hand von Torus Schulter geschoben, um den Jüngeren aufsetzen zu können.
 

“Toru? Hörst du mich? Hab ich deine Aufmerksamkeit?” Der Amerikaner schob sich so nah vor Torus Gesicht, dass der andere praktisch keine andere Wahl hatte, als ihn anzusehen und doch wirkte Toru so, als würde er überhaupt nicht bemerken, dass Masato da zu ihm sprach. Sein Kopf fiel gegen die Hausfassade, dann auf seine Brust.
 

“Hey hey hey, wach bleiben!” Ihnen gegenüber hatte sich Ryota gekniet, der wohl auch endlich davon Wind bekommen hatte, was mit seinem Freund passiert war und wenn Taka jetzt Toru so musterte, dann wirkte der Bassist neben ihm absolut nüchtern. Eher unsaft traf Ryotas Hand auf Torus Wange und Takas Magen zog sich beim Anblick dieser rohen Gewalt zusammen, obwohl er wusste, dass all dies nur zu Torus Bestem war. Toru stöhnte und sah auf.
 

“Toru, hör mir zu!” Masato packte das Gesicht des Blonden mit beiden Händen. “Es kommt gleich ein Krankenwagen, der wird dich ins Krankenhaus bringen, ja?” Toru antwortete nicht, aber wenigstens sah er Masato an, was für diesen wohl für den Moment als Reaktion genügte.
 

“Wie viel hat er getrunken?”, wandte sich Ryota an Taka und dieser brauchte einen Augenblick um zu verstehen, dass man gerade mit ihm gesprochen hatte. Der Anblick Torus machte ihn sprachlos, schnürte ihm geradezu die Kehle zu.
 

“Ich weiß es nicht, ehrlich. Ich hab keine Ahnung. Irgendwann war er weg und ich bei Takeru, ich...keine Ahnung.” Taka wischte sich übers Gesicht, durch die Augen, die noch immer nicht nass waren. Vielleicht wegen des Schocks. Vielleicht weil er vorher schon alle übrigen Tränen vergossen hatte. Ryota griff nach der leeren Flasche Whisky, die noch immer neben Toru lag und reichte sie Masato.
 

“Hat er die getrunken?”
 

“Wahrscheinlich. Und noch mehr, er hatte ständig was in der Hand.”
 

“Wir müssen über Toru reden.” Taka hatte befürchtet, dass Takeru das Thema früher oder später ansprechen würde, dass sie jedoch um halb 5 in der Früh, auf dem Seitenstreifen einer Landstraße stehend und vor dem Hintergrund aktueller Geschehnisse darüber reden würden, hatte sich Taka im Traum nicht ausgemalt.
 

“Okay.” Er war müde, so unendlich müde und erschöpft.
 

“Du weißt, dass ich ihn mag, ich meine ich bin ja auch mit ihm befreundet.” Taka erkannte Takeru kaum, lediglich das Licht einer in einiger Entfernung stehenden Laterne ließ ihn Umrisse erkennen. “Es ist nur...ich hab schon seit längerem das Gefühl, dass er dich mit seinen Problemen belastet. Vielleicht nicht verbal, ich weiß ja, dass ihr kaum redet, das hast du ja erzählt, aber du bist sensibel, du merkst sofort, wenn etwas mit ihm nicht stimmt und dass das der Fall ist, ist ja wohl ziemlich offensichtlich.” Takeru hatte nicht Unrecht mit seinen Worten, oft reichte ein Blick Torus, oder gar dessen Erscheinungsbild und Taka würde sich wieder Sorgen machen. Er hatte Toru darauf angesprochen, etliche Male, aber der Jüngere sprach nicht über das, was ihn wie ein Schatten verfolgte, egal wie hartnäckig Taka war. Und nicht zu wissen, was mit seinem Freund war, nur sehen zu können, wie er, wann immer er von der Arbeit kam, erschöpft und still in seinem Zimmer verschwand, setzte Taka mehr zu, als ihm wohl bisher bewusst gewesen war.
 

“Ich weiß nicht, was mit ihm ist.”, antwortete Taka und sah wieder aus dem Fenster. Der Regen war stärker geworden und irgendwie empfand er es als beruhigend irgendwo im Nirgendwo in einem Auto zu sitzen, fernab von all den Trubel und den Problemen.
 

“Ja, ich weiß.” Takeru griff nach seiner Hand und Taka sah wieder zu ihm. Er sah im fahlen Licht die zusammengezogenen Augenbrauen des anderen, die darunter sitzenden großen braunen Augen, die ihn voller Sorge anblickten.
 

“Versteh mich nicht falsch, ich will nicht sagen, dass du den Kontakt zu ihm abbrechen solltest, auf keinen Fall, aber du bist mir wichtig und es tut weh zu sehen, wie sehr du unter dieser Situation leidest, daher denke ich, dass es vielleicht besser ist, wenn du etwas Abstand zu Toru nimmst.” Es war nicht so, als hätte Taka nie daran gedacht auszuziehen und an manchen Tagen hatte er wirklich bereut, dass er den Mietvertrag seiner alten Wohnung gekündigt hatte. Er mochte Toru und er mochte es auch mit ihm zusammenzuwohnen, aber es war wie Takeru sagte: den Gitarristen Tag für Tag niedergeschlagen zu sehen, ohne, dass er mit ihm über seine Probleme sprach, zerrte unendlich an den Kraftressourcen des Lockenkopfes.
 

“Ich kann nicht einfach ausziehen, Takeru.”, sagte er und drückte die Hand des anderen. “Du hast recht, mit allem was du sagst, das möchte ich gar nicht anzweifeln, aber ich kann nicht einfach ausziehen, besonders jetzt nicht.”
 

‘Fass mich nicht an, Taka.’ Hatte noch immer in Takas Kopf widergehallt, als er dabei zugesehen hatte, wie Toru von Sanitätern in den Krankenwagen gehievt wurde. Völlig perplex hatte er daneben gestanden und sich absolut fehl am Platz gefühlt, so, als sei dies alles nur ein Traum, aus dem er bald erwachen würde. Oder zumindest hatte er sich das gewünscht. “Alkoholvergiftung.”, sagte Ryota, der sich zusammen mit Tomoya neben ihn stellte. “Der Typ hat sich völlig unkontrolliert abgefüllt. 3,8 Promille, ist das zu glauben? Scheiße.” Schweigend sah Taka dem Krankenwagen hinterher, der Masatos Grundstück nun verließ und fühlte sich irgendwie unwohl in der Stille, die nun um sie herum herrschte. Toru würde über Nacht im Krankenhaus bleiben, das war das erste, was ihm die Sanitäter sagen konnte, sowie sie Toru untersucht hatten. “Warum...warum hat er das gemacht?”, fragte Taka und wandte sich zu seinen zwei Bandkollegen.
 

“Ja, gute Frage!” Ryota war sauer, so viel war offensichtlich. Sauer und noch immer betrunken. “Keine Ahnung man, keine Ahnung was mit ihm los ist und warum er den Scheiß abzieht, den er abzieht! Ich verstehe ihn nicht, keiner versteht ihn!” “Wir sind genauso ahnungslos wie du, Taka.”, antwortete ihm Tomoya schließlich, nachdem offensichtlich wurde, dass vom fluchenden Ryota keine konstruktive Antwort mehr zu erwarten war. “Toru ist nicht die Art von Person, die oft und gerne über ihre Gefühle spricht, daher wird es leider nicht helfen, wenn wir weiterhin hartnäckig nachfragen, fürchte ich.” Taka nickte und sah nochmals Richtung Ausfahrt, wo der Krankenwagen Minuten zuvor verschwunden war. Toru sprach nicht. Fraß alles in sich hinein, bis er dem Schmerz nicht mehr standhalten konnte. Man durfte ihn nicht alleine lassen, jemand musste bei ihm sein, Taka musste bei ihm sein. Taka konnte nicht sagen warum, aber irgendwo tief in ihm drin hatte er das Gefühl, dass er den Blonden bereits in so viel mehr Situationen alleine gelassen hatte, in denen er an seiner Seite hätte sein sollen, als ihm bewusst war.
 

“Hey.” Er spürte eine Hand auf seiner Schulter und sah in Takerus liebevoll lächelndes Gesicht, als dieser zwischen ihn und Tomoya getreten war. “Lass uns fahren.”
 

Der Regen wurde stärker, prasselte kontinuierlich auf das Autodach und die Windschutzscheibe. “Aber du siehst doch selbst wie sehr dich das belastet, Toru ist ein erwachsener Mann, er-”
 

“Er war auch für mich da, als ich jemanden brauchte.” Es war nicht Takas Art Takeru zu unterbrechen, aber gerade hatte er das Gefühl, Toru um alles in der Welt verteidigen zu müssen. “Er war da, als ich nach dem Unfall aufgewacht bin und er war da, als ich meine Panikattacken hatte. Er stand mir zur Seite, wann immer ich unsicher war und Hilfe brauchte und nicht einen Moment, nicht eine Sekunde, hat er sich beschwert. Nicht ein Mal hat er mir das Gefühl gegeben, eine Last für ihn zu sein.” Taka drückte Takerus Hand so fest, dass er meinte, für den anderen müsse es definitiv schmerzhaft sein.
 

“Aber es ist nicht deine Aufgabe, dich um ihn zu kümmern.” “Nein, nein ist es nicht, natürlich nicht. Toru ist ein erwachsener Mann, du sagtest es selbst, er kann für sich selber sorgen, aber ich möchte für ihn da sein, aus freien Stücken. Ich weiß, dass mich die Situation belastet und weiß auch, wie schwer es manchmal ist, sein Schweigen auszuhalten, aber gerade deswegen möchte ich da sein, damit er irgendwann mit mir redet. Das ist meine Aufgabe als sein Freund und das ist meine Entscheidung.” Takeru sah ihn nur schweigend an und in Taka weckte es ein mulmiges Gefühl, dass er aufgrund der Dunkelheit, den Ausdruck auf dem Gesicht des Jüngeren nicht sehen konnte. Hatte er ihn mit seinen Worten irgendwie verletzt? Taka räusperte sich. “Ich mache mir einfach Sorgen um Toru, ich hab das Gefühl, dass einfach immer jemand bei ihm sein sollte in dieser Zeit und-” Nun war er derjenige, der mitten im Satz unterbrochen wurde, allerdings nicht von Takeru, der ihm verbal ins Wort fiel, sondern von einem Kuss, sodass alles, was Taka geplant hatte zu sagen, für den Moment in die hinterste Ecke seines Kopfes geschoben wurde.
 

Die Finger des Jüngeren strichen ihm sachte über die Wange und Taka seufzte in den liebevollen Kontakt ihrer Lippen. Es war früh am Morgen, er war hundemüde und eigentlich wollte Taka nichts mehr, als sich endlich ins Bett zu legen, doch als sich Takerus Hand unter sein Shirt schob, rückte auch dieses Vorhaben in vorerst unerreichbare Ferne.
 

“Im Auto?”, fragte er in den Kuss und Takeru lachte nur leise, drückte sich gegen Taka, sodass dieser tiefer in den Sitz sank. Der andere roch nach Zigaretten und Bier, obwohl er den ganzen Abend über keines von beiden angerührt hatte und Taka vergrub seine Nase in den dunklen Haaren Takerus, inhalierte neben den Hinterlassenschaften des Abends dessen eigenen Geruch, der ihn immer ungemein beruhigte. Takeru und alles was er tat strahlte Geborgenheit aus, eine Ruhe, die Taka in Watte wickelte und Taka hatte sich bereits mehr als nur einmal dabei erwischt, wie er sich fragte, ob er und der Jüngere nicht vielleicht in einer Seifenblase lebten, die so viel zerbrechlicher war, als ihm bewusst war.
 

“Taka…” Taka seufzte und lehnte seinen Kopf zurück, spürte die kalte Fensterscheibe an seinem Hinterkopf und Takerus heiße Lippen an seinem Hals, wo sie vorsichtig an seiner Haut saugten.

Das was mit Toru geschehen war, hatte diesen Gedanken an besagte Seifenblase in Takas Bewusstsein zurückgeholt. Da war so viel, was außerhalb der heilen Welt stattfand, die er sich mit Takeru errichtet hatte, da waren Dinge, von denen er keine Ahnung hatte, in die er nicht eingeweiht wurde, die aber enorme Wichtigkeit inne hielten. Auf der einen Seite war Takeru, der ihn mit so viel Liebe überschüttete, ihm so viel Zuneigung schenkte, dass Taka meinte, ihm nichtmal die Hälfte davon zurückgeben zu können und auf der anderen Seite war Toru, gepeinigt und gebrochen und in seinem Zustand alles andere als guter Umgang für Taka, der gerade wieder in ein normales Leben gefunden hatte. Und würde Taka rational entscheiden, so hätte er längst der Illusion von seiner und Takerus perfekter Seifenblase nachgegeben. Doch genau das war der Punkt: Toru machte rationale Gedankengänge unmöglich.
 

Taka erschauderte leicht, als Takeru ihm seine Shorts über die Hüften zog. Einerseits wegen der Temperatur im Auto, die aufgrund der abgestellten Heizung nun wieder gesunken war, andererseits aber auch der Erregung wegen, die ein Prickeln durch jede Faser seines Körpers jagte. Vorsichtig wurde er auf Takerus Schoß gezogen und stöhnte gedämpft in die Schulter des Jüngeren, der seine Finger seine Oberschenkel hinauf schob.
 

“Ich weiß du bist müde, also genieß es einfach.”, säuselte Takeru in Takas Ohr und dieser atmete nur zittrig aus, gab sich ganz dem anderen hin.

Toru war der Grund, warum sich Taka nicht einfach komplett in Takerus Arme fallen lassen konnte und das gegen jeden gesunden Menschenverstand, Freundschaft hin oder her. Taka konnte nicht mit seinem Finger auf das deuten, was genau dieses Zögern in ihm verursachte, es war eher eine unterbewusste Blockade, die er nicht überwinden konnte. Er konnte nicht von Toru ablassen, egal, wie sehr er es versuchte. Taka drückte sich Takerus Händen entgegen, stöhnte - und sah Toru vor sich.
 

Toru, wie er bewusstlos auf Masatos Veranda lag, sich nicht rührte und in Taka nicht geahnte Gefühle der Verzweiflung auslöste, sah, wie Toru ihm lächelnd die Wohnungstür öffnete, ihn willkommen hieß, dort, wo er zuhause war. Und Taka sah, wie es Torus Hände waren, die ihm über den Körper fuhren, ihn liebten.
 

Takeru küsste ihn, befriedigte ihn und Taka dachte an Toru. “Takeru, schneller…” Er war angetrunken, todmüde und erschöpft, sein Kopf spielte ihm Streiche, versuchte das heute Gesehene zu verarbeiten. Und Taka sollte sich schämen für seine Fantasien, dafür dass er sich vorstellte, wie es Toru war, der ihn küsste, wie es Toru war, der ihm ins Ohr flüsterte, dass er ihn liebte.
 

Er ließ die Lider fallen, als ein Bild in seinem Kopf entstand. Taka sah in Torus dunkle Augen, sah auf seine Lippen, die ihn nun nicht mehr küssten, sondern anlächelten, dann auf seine Hände, sah einen silbernen Ring, der Torus linken Ringfinger zierte.

Takas Gedanken waren verschwommen, unscharf wie durch eine Brille mit falschen Dioptrien.
 

Es waren nicht mehr er und Takeru, die im Auto saßen, sondern er und Toru. Es war dunkel, Toru saß am Steuer. Die Hände am Lenkrad. Der silberne Ring funkelte im Schein der Laternen. Toru drehte sich zu ihm, seine Lippen bewegten sich, doch Taka verstand ihn durch die Stille hindurch nicht. Taka sah an sich herab. Ein silberner Ring saß auf seinem linken Ringfinger, ähnlich dem Torus. Oder gar gleich?
 

“Toru, wo sind wir?”, fragte Taka, doch der Blonde ging nicht auf seine Frage ein, schien sie nicht mal wahrzunehmen sondern lächelte ihn nur an, ehe er sich vorlehnte und Taka küsste. Das war keine Vorstellung.

Erschrocken löste sich Taka von Takeru, der ihn verwirrt ansah. “Was ist?”, fragte er und Taka wusste nicht, wohin mit sich. Wohin mit seinem Blick, der vorher nicht von Toru hatte ablassen können, wohin mit seinen Händen, die es genossen hatten, von Torus gehalten zu werden und wohin mit sich selbst, denn gerade, hier und jetzt, hatte Taka das Gefühl den Verstand zu verlieren. Noch immer starrte er Takeru an, der mindestens ebenso schockiert aussah, wie Taka sich fühlte. Takeru, der nicht mehr Toru war.
 

“Taka, was ist los?”
 

“Nichts.”, antwortete er schließlich und ließ seine Arme um den Hals des Jüngeren wandern. Es war nicht mehr kalt im Auto und er war auch nicht mehr müde. “Vergiss es, heute Nacht war das alles ein bisschen viel. Mach bitte weiter.” Mit Nachdruck küsste er Takeru, der nicht eine Sekunde zögerte, diesen Kontakt zu erwidern.
 

Würde Taka sich später ins Bett fallen lassen, würden seine Gedanken ohnehin nur um ein und dieselbe Sache kreisen und den Sänger schließlich in den Wahnsinn treiben.
 

Das war keine Vorstellung gewesen.



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Kommentare zu diesem Kapitel (2)

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Bitte keine Beleidigungen oder Flames! Falls Ihr Kritik habt, formuliert sie bitte konstruktiv.
Von:  Yuminewsx3
2018-03-07T15:52:23+00:00 07.03.2018 16:52
Ich liebe dieses Geschichte so sehr 😍 wirst du sie noch weiter schreiben? <3
Von:  Disae
2017-06-22T20:02:47+00:00 22.06.2017 22:02
Das ist die einzige Fan Fiction für die ich mich überhaupt noch einlogge, also danke für's weiterschreiben ^_^
Drama pur, but that's how I like it ;)
Weiter so!!!


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