Zum Inhalt der Seite

Memories

von

.
.
.
.
.
.
.
.
.
.

Seite 1 / 1   Schriftgröße:   [xx]   [xx]   [xx]

Old New Life

Toru lag alleine im Wohnzimmer und zappte durch die Fernsehsender auf der Suche nach etwas, womit er sich die Zeit vertreiben könne, während Taka noch unterwegs war.
 

„Taka, das ist Blödsinn, selbstverständlich komme ich mit, du brauchst doch nicht alles alleine machen.“, hatte Toru gemeint.
 

„Nichts da, du bleibst daheim und ruhst dich aus! Außerdem ist es nur Einkaufen, da bist du erfahrungsgemäß sowieso keine große Hilfe. Wenn du unbedingt etwas erledigen möchtest, um dich nicht ganz nutzlos zu fühlen, kannst du schon mal anfangen die Wäsche zu machen.“, hatte Taka daraufhin entgegnet und da es ohnehin sinnlos war, sich mit dem kleinen Energiebündel auf eine Diskussion einzulassen, hatte Toru kleinbeigegeben und lag nun, produktiv wie eh und je, auf der Couch und sah einem Schuldenberater auf irgendeinem Privatsender dabei zu, wie er einer fünfköpfigen Familie aus der Patsche half. Eigentlich hatte er sich vorgenommen, sofort alles zu erledigen, was im Haushalt noch zu erledigen war, um dem Älteren zu beweisen, dass er doch nicht ganz unnütz war, doch sobald der Lockenkopf aus der Tür raus war, überkam Toru eine solche Lustlosigkeit, dass er sich vor den Fernseher verkrümelt hatte, anstatt auch nur daran zu denken, sich der Wäsche, oder anderen grundlegenden Aufgaben im Haushalt zu widmen.

Er seufzte und fuhr sich mit der Hand durchs Gesicht, spürte, wie ihn dunkle Bartstoppeln in der Handfläche kratzen. Du lässt dich gehen, dachte er.
 

Toru spielte mit dem Gedanken einfach die Augen zu schließen und zu schlafen, Taka würde ihm das Nichtnachkommen seiner häuslichen Aufhaben sowieso verzeihen, vermutlich würde er ihm alles verzeihen in Anbetracht seines nicht zu übersehenden, miserablen Zustandes, als ihn das Klingeln seines Smartphones die Augen wieder aufschlagen ließ.

Der Blonde würde lügen, würde er behaupten, dass es ihm nichts ausmache aufzustehen, um ins Esszimmer zu gehen, wo er sein iPhone zuvor abgelegt hatte, jedoch war Toru irgendwo über jede Ablenkung dankbar, selbst wenn es nur sein Vertragspartner war, der ihn via SMS darüber informierte, dass sein Datenvolumen abgelaufen war.
 

Von: Ryota

Bin mit Tomoya in der Stadt und haben gerade Taka in Begleitung von Takeru getroffen. Bist du okay? Willst du reden?
 

Wenige Sekunden starrte Toru auf die schwarz geschriebenen Zeichen, atmete einige Male tief durch. Das war wirklich nicht die Art von Ablenkung, die er haben wollte. Im Gegenteil. Musste Takeru den Lockenkopf jetzt selbst beim Wocheneinkauf begleiten? Konnte Taka das nicht alleine machen? Wieso durfte Takeru ihn begleiten, aber er nicht? Weil der Brünette es auf die zweite Base geschafft hatte? Gratulation, meinen Glückwunsch.

Frustriert und gröber als nötig legte der Blonde das iPhone wieder auf der Tischplatte ab. Es beunruhigte ihn zu merken, dass sich die Gefühle in ihm in etwas anderes gewandelt hatten. Wo zuvor noch Trauer in ihm war, hatte sich nun ein Empfinden breit gemacht, welches Toru wohl als Eifersucht oder Wut betiteln konnte. Er mochte diese Seite an sich nicht, er wusste, dass weder Taka noch Takeru Schuld an der herrschenden Situation hatten und es daher auch nicht verdienten, dass Toru nun einen solchen Groll gegen sie hegte, jedoch war alles besser, als sich permanent im Bett zu verkriechen, um sich die Augen auszuheulen. Zumindest temporär.
 

An: Ryota

Ich bin so okay, wie ich aktuell sein kann. Gerade will ich lieber alleine sein, aber ich komme drauf zurück. Danke.
 

Seufzend fuhr sich Toru durchs Gesicht und spürte erneut die Stoppeln an seinen Wangen. Ein gebrochenes Herz rechtfertigte nicht die Vernachlässigung körperlicher Hygiene, beschloss er.
 

Die Dusche tat gut. Das erste Mal seit Tagen fühlte der Blonde sich wieder verhältnismäßig frisch und ausgeglichen. Die Augen, die ihn aus dem Spiegel heraus anblickten, sahen nicht mehr angeschwollen und gerötet aus und dank der Rasur entsprach Toru nun auch wieder äußerlich seinem Alter. Zwar hatte die Dusche seinen dunklen Haaransatz nicht wegzaubern können (er würde wohl oder übel in den kommenden Wochen wieder nachfärben müssen), jedoch verhalf sie ihm zu neuer Motivation, endlich das zu tun, worum Taka ihn gebeten hatte.

Leise The Catalyst summend, machte Toru sich daran in der Wohnung aufzuräumen, obgleich das eigentlich nur hieß, dass er seine eigenen Hinterlassenschaften wieder an den Ort brachte, an den sie ursprünglich gehörten. Mit Taka als Mitbewohner war herrschendes Chaos eigentlich so gut wie unmöglich, wofür Toru schon immer mehr als dankbar gewesen war, da man ihn nicht wirklich als eine ordnungsbewusste Person bezeichnen konnte.

Behutsam fuhr Toru mit dem Staubtuch über eine eingerahmte Collage, welche Taka einst aus ausgeschnittenen Bildern zusammengesetzt hatte. Die Diskussion, ob dieses eigenwillige Kunstwerk wirklich eine ihrer Wände würde zieren dürfen, hatte sich über Wochen gezogen und letztendlich hatte der kleine Lockenkopf nur gewonnen, weil Toru im Gegenzug seine Leoprint-Kissenbezüge behalten durfte.

Gedankenverloren sah sich Toru in der Wohnung um und begriff, wie chaotisch eingerichtet diese wohl auf Taka wirken musste. Er hatte ja keine Ahnung, welche Bedeutung hinter dem betreffenden Möbelstück lag und welche Vorgeschichte all das hatte, was sich in diesen paar Räumen über die Jahre ihrer Freundschaft und schließlich Beziehung angehäuft hatte. Schwer seufzend (er tat dies in letzter Zeit viel zu oft), legte der Gitarrist das Tuch beiseite, wo er doch die zurückkehrende Schwere in seiner Brust bemerkte, und ging ins Bad, wo sich der Wäschekorb noch immer nach seiner Aufmerksamkeit sehnte.
 

Das Radio in der Küche spielte Amy Winehouse und durch die Wand abgedämpft vernahm Toru den Text von Back To Black, während er Weiß- und Buntwäsche sortierte. Durch das Fenster schien die Sonne, die bereits hoch am Himmel stand, in den Raum und ließ die weißen Fliesen geradezu erleuchten, sodass sie den Gitarristen schon beinahe blendeten. Routiniert legte er die Kleidung in den entsprechenden Korb. Seit er und Taka zusammengezogen waren, war die Wäsche mitsamt Bügeln zu seiner Aufgabe geworden, da der Ältere sich im Gegenzug um ihre tägliche Ernährung kümmerte. Bittersüß schmeckte Toru die Erkenntnis, dass sie wenigstens das beibehalten hatten, wie seine Finger über den grauen Stoff eines Pullovers in seinem Schoß glitten. Er gehörte Taka. Die Tatsache, dass er damals der Auslöser des Kaufs gewesen war, derjenige, der Taka auf ihn aufmerksam gemacht hatte, weckte in Toru das Bedürfnis, das Kleidungsstück so schnell wie möglich in die hinterste Ecke des vor ihm aufgestellten Korbes zu stecken, doch er zögerte. Das Material unter seinen Fingern fühlte sich nicht fremd an, im Gegenteil, eher als hätte er es seither tagtäglich berührt. Es war kein besonderer Stoff, gewöhnliche Baumwolle, und doch war sich Toru sicher, er hätte ihn unter hundert anderen dem kleinen Lockenkopf zuordnen können.

Toru wusste, dass er eine Grenze überschreiten würde, als sich ein Gedanke in seinem Kopf formte und er wusste, dass es um ihn geschehen war, als er diesen in die Tat umsetzte und seine Nase in dem grauen Stoff vergrub.

Der Geruch des Rasierwassers war Toru viel zu vertraut, Taka benutzte es schließlich so gut wie jeden Tag, frisch wie Zitronengras und weckte Erinnerungen in ihm, die er sich eigentlich nicht mehr hatte bewusst machen wollen. Wahrscheinlich sollte es sich dafür schämen, die Nase in die getragenen Sachen seines Freundes zu stecken, doch er konnte sich nicht zurückhalten. All die Gerüche waren viel zu vertraut, erinnerten ihn an so viele Augenblicke der Zweisamkeit, als dass er sich selbst diese Gelegenheit hätte verweigern können.

Das Gefühl von Takas Haut unter seinen Lippen war mit einem Mal viel zu präsent, um es zu verdrängen, dem Geruch geschuldet, den er auch stets dann wahrgenommen hatte, wenn er seinen Kopf im Nacken des Sängers vergraben hatte, während sie süße Liebe machten. Taka würde seine Arme um seinen Hals geschlungen, vielleicht auch Halt suchend seine Finger in seine Oberarme gekrallt haben, hätte gespürt, wie sich Torus Muskeln dort regten, bei jeder Bewegung, jedem Stoß des Blonden, auf dem ein Keuchen, vielleicht ein Stöhnen folgte. Toru hätte ihn unterhalb seines Ohres geküsst, weil er wusste, wie empfindlich der Sänger dort war, hätte ihm süßes Wirrwarr in dieses geflüstert, bis Taka den Kopf zu ihm gedreht hätte, seinen Lippen mit den eigenen entgegengekommen wäre, ihn geküsst hätte, ohne Koordination, zu eigenommen von sich selbst, von dem, was Toru in ihm auslöste und Toru hätte jede Sekunde genossen, hätte Taka alles gegeben, hätte ihn unter sich seinen eigenen Namen vergessen lassen, hätte ihn unter jeder Berührung zu Wachs werden lassen, bis er nur noch ein einziges Nervenbündel gewesen und mit dem Namen des Blonden auf der Zunge gekommen wäre.

Toru war so eingenommen von seinen eigenen Gedanken, dass er nicht bemerkte, wie er damit begonnen hatte, sich selbst durch den dünnen Stoff seiner Jogginghose zu massieren und selbst als er sich dieser Tatsache bewusst wurde, war er bereits viel zu weit aufs Meer seiner Vorstellung herausgetrieben, als dass er hätte zurückkehren können. Das Überschreiten der imaginären Grenze war vergessen, jegliche moralischen Prinzipien waren über Bord geworfen, lediglich das Bild Takas hinter seinen verschlossenen Augen, die Erinnerungen an das Gefühl unter seinen Fingern, wann immer er den Älteren berührt hatte, so gegenwärtig als lägen sie erst Stunden in der Vergangenheit, lenkten Torus Denken und Handeln.

In seinen Ohren klang Takas Stimme, wie er seinen Namen flüsterte. Rau und atemlos, völlig dem hingegeben, was Toru ihm gab und Toru wurde heiß, spürte, wie warm seine Wangen wurden, wie wund und taub sich seine Lippe mittlerweile anfühlte, dadurch, dass er ununterbrochen auf sie biss. Der graue Stoff vor seinem Gesicht dämpfte sein Stöhnen, dämpfte Takas Namen, der hilflos über seine Lippen stolperte und von den Wänden widerhallte und Toru hätte sich schämen sollen, hätte sich schämen sollen, in der Abwesenheit seines Freundes unterdrückten Gelüsten nachzukommen, sich vergangenen Sex wieder präsent zu machen, obwohl Taka für ihn unerreichbar geworden war.
 

Toru unterdrückte sein Stöhnen nicht, als sich sein Körper anspannte und er in seinen Shorts kam. Takas Pullover fiel zu Boden, sowie er seinen Zweck erfüllt hatte und der Blonde lehnte sich atemlos gegen die Badewanne, wartete, bis sich sowohl sein Puls, als auch seine Atmung normalisiert hatten. Mit einem Mal war es ruhig im Bad, die Ekstase war vorübergezogen und die zähe, herrschende Einsamkeit machte sich wieder bemerkbar. Toru blinzelte einige Male, musterte seine Umgebung. Noch immer standen die Wäschekörbe vor ihm, gefüllt mit Kleidung, die er längst hätte in die Waschmaschine geben können. Die weißen Fliesen des Badezimmers leuchteten unter der in den Raum scheinenden Sonne und blendeten Toru, der an sich herabsah und sich nunmehr nicht nur körperlich dreckig fühlte, sondern auch auf einer viel tiefer gehenden Ebene. Der Stoff des grauen Pullovers unter seinen Fingern war weich und Toru spielte mit dem Gedanken, diesen einfach in den nächsten Müllcontainer zu schmeißen und am besten, dachte er, er spränge gleich hinterher.
 


 

Toru wusste nicht, wie viel Zeit vergangen war, als er hörte, wie ein Schlüssel im Schloss der Wohnungstür umgedreht wurde und kurz darauf Schritte und raschelndes Plastik (vermutlich das Abstellen der Einkäufe) in der Wohnung zu vernehmen waren.
 

„Toru? Ich bin wieder da!“ Über den Rand seiner Brille spähte der Blonde in Richtung Flur, wo er vage die Umrisse der schwarzen Jacke des Älteren ausmachen konnte, sowie dieser sich seine Schuhe auszog. Das graue MacBook summte leise auf dem Tisch vor Toru, wo dieser sich daran gesetzt hatte, Mails zu beantworten, die er schon viel zu lange ignoriert hatte. Das Gute am Leben eines Künstlers war es, dass man sich seine Arbeitszeiten praktisch selbst einteilen konnte, sowie keine Touren oder Pressetermine anstanden, jedoch verlangte das Management, ebenso wie diverse weitere ihrer Vorgesetzten zumindest Auskunft darüber, wann wohl wieder damit gerechnet werden konnte, dass Geld in die Kassen gespielt würde. Bisher hatte Toru den Unfall und sein Traumata (welches man ihm seitens ihres Labels zugeschrieben hatte) als Vorwand dafür genutzt, derartigen organisatorischen Dingen aus dem Weg zu gehen, aber dass er sich früher oder später allerdings an eine Erklärung hatte setzen müssen, war abzusehen gewesen.
 

„Bin im Esszimmer.“, antwortete Toru und sah wieder auf den Display seines Laptops auf dem noch diverse Nachrichten beantwortet werden wollten. Unter anderem eine Mail des Vermieters von Takas alter Wohnung. Die Vorstellung an eben diese, beziehungsweise für welches Opfer Taka sie damals verlassen hatte, löste in Toru ein Unwohlsein aus und so scrollte er lieber weiter. Morgen war auch noch ein Tag an dem er eine Antwort verfassen konnte.

Ein angestrengtes Stöhnen ließ ihn abermals aufblicken und er beobachtete Taka, wie er diverse Tüten auf den Arbeitsflächen der Küche abstellte.

„Du hättest mich um Hilfe bitten können.“
 

„Quatsch.“ Sofort winkte Taka ab und begann die Einkäufe in die entsprechenden Schränke zu räumen. Kurz beobachtete der Gitarrist ihn dabei, wandte seinen Blick dann aber wieder ab. Eine leise Stimme wisperte Toru, dass er eine Konversation beginnen sollte, Taka fragen sollte, wie sein Tag war, ob er jemanden getroffen hat (obwohl Toru wirklich nicht an Takeru erinnert werden wollte), vielleicht sogar Fragmente von Erinnerungen zurück gekommen waren (was Toru beim besten Willen nicht glaubte), doch eine andere, lautere, erinnerte ihn an das, was einige Stunden zuvor in der verlassenen Wohnung geschehen war und des noch immer vorhandenen Scharmes wegen starrte Toru weiter starr in seinen E-Mail-Eingang, als läge dort die Antwort auf all seine Fragen.
 

„Du hast aufgeräumt.“ Es war keine Frage, sondern eine Feststellung, die der Lockenkopf da äußerte und Toru konnte nicht ausmachen, ob er dies wirklich nur als Anmerkung meinte, oder ob es seinerseits ein schlechter Versuch für den Beginn einer Unterhaltung war.
 

„Ja.“, antwortete der Blonde knapp. Stille folgte seinen Worten. Falls es wirklich Takas Intention gewesen war, ein Gespräch anzufangen, hatte Toru spätestens jetzt die Nadel ganz tief in den Ballon gebohrt. Der Sänger seufzte und aus dem Augenwinkel beobachtete Toru, wie Taka sich mit der Hand durch die Haare fuhr, einen feinen Schweißfilm im Nacken. Er schluckte. Räusperte sich.

„Ja, du hattest mich ja drum gebeten. Es fühlt sich nicht richtig an, dich ständig alles aufräumen zu lassen, wo ich es doch bin, der das meiste rumliegen lässt.“
 

„Stimmt.“ Leiste kicherte Taka, doch es hörte sich gekünstelt an. Was auch immer passiert war, es hing in der Luft zwischen ihnen, saß wie ein ungebetener Gast neben Toru am Tisch. Die fröhliche, leichte Stimmung vom Morgen war dahin, was jedoch vorauszusehen war. Es überraschte Toru schon gar nicht mehr.
 

Toru wollte fragen, wie es in der Stadt gewesen war, ob Taka jemanden getroffen hatte. Teils weil er den Kleinen unbedingt erzählen hören wollte, teils weil er wissen wollte, ob er ihm die Wahrheit sagte, würde er auf Takerus Begleitung angesprochen werden. Sein Verhalten war lächerlich, Taka war ein erwachsener Mann und konnte selbst bestimmen mit wem er seine Zeit verbrachte, das wusste Toru. Resigniert seufzend setzte er seine Brille ab und wollte dem Bedürfnis gerade nachgeben, als Taka zu seiner Überraschung selbst zu sprechen begann.
 

„Ich hab Takeru getroffen.“
 

„Oh.“
 

„Ja.“ Die Stille war geradezu erdrückend und Toru fühlte sich, als würde man ihm die Luft abschnüren, als er gegen diese ankämpfte.
 

„Seid ihr zusammen…einkaufen gegangen oder so?“ Taka nickte.
 

„Ja, sind wir. Er hatte mich zuerst zu sich nach Hause eingeladen, aber als ich sagte, dass ich da heute leider keine Zeit hätte, hat er darauf bestanden mich wenigstens beim Einkaufen zu begleiten.“ Takas Mund umspielte ein feines Lächeln und Toru schüttelte das Bedürfnis ab, ihm dieses, mit was für einer Aussage auch immer, zu nehmen. Pärchenzeit, dachte er in einem so missbilligen Ton, dass Toru sich selbst erschrak. Was Takeru sich darunter vorgestellt hatte, Taka zu sich nach Hause einzuladen, konnte Toru sich denken und so war es beinahe eine Genugtuung zu sehen, dass der Lockenkopf hier bei ihm war und nicht bei seinem Freund. Auf dem Karma-O-Meter dürfte er mittlerweile die Stufe „Arschloch“ erreicht haben, doch das scherte den Gitarristen nicht im Geringsten.
 

„Aha. Und? Hattet ihr Spaß?“ Wie sarkastisch die Frage geklungen hatte, wurde Toru erst bewusst, als der Ältere verwirrt die Augenbrauen zusammenzog. Das Lächeln war aus seinem Gesicht verschwunden.
 

„Spaß?“ Die Dose mit eingelegten Tomaten wurde etwas unsanft auf den Tresen abgestellt. „Toru, ich war lediglich einkaufen. Es war kein Date.“ Taka klang bissig und auch wenn Toru es besser wusste, auch wenn er wusste, dass er sich einfach entschuldigen sollte, entgegnete er seinem Freund ebenso schnippisch.
 

„Danach hab ich überhaupt nicht gefragt?“ Toru sah, wie Takas Finger zuckten. Ob vor Wut, oder wegen etwas anderem, wusste er nicht. „Ich hab lediglich gefragt, ob du einen netten Tag hattest. Ist doch schön, wenn man seinen Freund trifft, sollte dich doch eigentlich glücklich machen.“
 

„Ja, hat es auch, es war schön Zeit mit ihm zu verbringen, das täte ich gerne öfter.“ Taka hatte wieder angefangen Konserven und Tüten zu verstauen, wandte Toru den Rücken zu. Ja? Oh wie schön, vielleicht solltest du dann gar nicht hier sein, sondern bei ihm? Dich zwingt keiner Zeit mit mir zu verbringen, nur dass du’s weißt. Als wäre die Intensität, mit der der Jüngere zwischen die Schulterblätter des anderen starrte die Voraussetzung dafür, dass Taka seine Gedanken hören konnte, sah er dem Sänger beim Einräumen zu. Das schwarze Oberteil, welches Taka trug, umspielte seine Arme und seinen Oberkörper lächerlich schmeichelhaft und vielleicht sollte Toru ihm einfach aufzählen, wann, wo und zu welchen Gelegenheiten er ihm dieses bereits vom Leib gerissen hatte. Genervt presste der Blonde sich seine Handballen auf die Augen, bis er Sterne sah.
 

„Ich hab auch Tomoya und Ryota getroffen.“ Eigentlich wollte Toru die Hände von den Augen nehmen und Taka allein schon der Höflichkeit wegen anblicken, doch er blieb starr sitzen, wog ab, ob er dem Älteren offenbaren sollte, dass er darüber bereits dank ihres Bassisten in Kenntnis gesetzt worden war, entschied sich jedoch dagegen. Womöglich würde Taka fragen, wieso Toru über sowas benachrichtigt wurde, oder annehmen, man spioniere ihm im Auftrag des Blonden hinterher.
 

„Tatsächlich? Wo?“
 

„Im Nudelhaus. Sie sind gerade reingekommen, als wir gehen wollten.“ Oh, da wurde jemand zum Essen eingeladen.
 

„Also habt ihr euch gar nicht groß unterhalten?“
 

„War nicht nötig.“ Toru war nie sonderlich gut darin gewesen, zwischen den Zeilen zu lesen und so sah er auf, in der Hoffnung, Taka würde ihm den Subtext erläutern. „Den Blick den wir geerntet haben sprach Bände.“
 

„Den Blick den…?“ Kurz verstand der Blonde nicht, doch dann ging ihm eine imaginäre Glühlampe auf, die über seinem Kopf leuchtete. „Taka, das ist Blödsinn.“
 

„Ja? Du hättest sehen sollen, wie sie uns angeguckt haben, das war kein Blödsinn. Und erst recht keine Einbildung.“ Taka war mit Einräumen fertig und fuhr sich abermals durch die wilden Locken, ging zur Kaffeemaschine und drückte die Taste für doppelten Espresso.
 

Selbstverständlich hatte Toru, sowie er von den Neuigkeiten erfahren hatte, Ryota und Tomoya über Takas neuen Beziehungsstand informiert, worauf die beiden alles andere als begeistert reagiert hatten, jedoch nicht aus den Gründen, die der Sänger sich gerade zusammenreimte. Taka und Toru als Paar waren für das Duo so natürlich geworden wie die Luft zum Atmen und dass sie irgendwann heiraten und in ein eigenes Heim ziehen würden, stets eine Selbstverständlichkeit gewesen, daher konnte der Blonde es nachvollziehen, wenn die zwei so reagierten, wenn die Hand des Sängers vor ihren Augen in der eines Mannes, der nicht Toru war, lag. Allerdings hatte sich der Blonde etwas mehr Diskretion gewünscht.
 

„Taka, ich bin mir absolut sicher, dass du das falsch interpretierst, wir reden hier immerhin von Ryota und Tomoya.“
 

„Freundschaften gingen schon wegen viel Banalerem auseinander.“ Offensichtlich resigniert blies Taka auf die schwarze Flüssigkeit in der kleinen Tasse, ehe er vorsichtig daran nippte.
 

„Freundschaften gehen…was? Bei aller Liebe, ich glaube du übertreibst ein wenig. Die zwei sind wahrscheinlich einfach nur überrascht zu sehen, dass du jemanden…datest.“ Das letzte Wort brachte der Blonde nur mit Mühe über seine Lippen, es schmeckte noch immer so unendlich sauer, dass er am liebsten die Mundwinkel verzog.
 

„Ja, einen Mann.“ Toru seufze tonlos und sah dem Älteren dabei zu, wie er schweigsam seinen Kaffee trank. In ihm wuchs das Bedürfnis nach einer Zigarette, oder zwei. Vielleicht auch direkt die ganze Schachtel, die Stimmung in der Wohnung war kaum auszuhalten. Erschöpft klappte Toru sein MacBook zu und stand auf. Sein Blick wanderte zu Taka, doch der blickte auf das Smartphone in seiner Hand, schien jemandem zu texten, was Toru daran erinnerte, dass er seinen zwei Bandkollegen definitiv schreiben sollte, was sie angerichtet hatten und dass sie das gefälligst wieder gerade zu biegen hatten. Es reichte, wenn sich Taka von ihm distanzierte, Ryota und Tomoya sollte nicht dasselbe wiederfahren.
 

„Ich hab übrigens die Wäsche gemacht.“, merkte er an, woraufhin Taka nur anerkennend nickte. Ein wenig enttäuscht von der halbherzigen Reaktion des Älteren räumte der Blonde ein paar Order zurück ins Regal und sah auf, als er meinte, die Stimme Takas vernommen zu haben.
 

„Wie bitte?“
 

„Ich fragte, wann wir den restlichen Kram aus meiner Wohnung holen.“
 


 

Toru konnte nicht sagen, wann genau die Stimmung zwischen ihm und Taka begonnen hatte zu kippen. Die Veränderung der Dynamik zwischen ihnen war schleichend, wie ein dritter Mitbewohner, den man zwar nie zu Gesicht bekam, der sich aber merklich immer mehr in der Wohnung ausbreitete. Es begann mit Kleinigkeiten, dass Taka Dinge beim Einkauf vergaß, um die Toru gebeten hatte. Manchmal antwortete er nicht auf Torus Nachrichten, wenn er fragte, wo er denn bliebe, um am nächsten Morgen die Nachricht zu bekommen, dass der Sänger die Nacht bei Takeru verbracht hatte. Es gab Tage, an denen sahen sie sich überhaupt nicht, wenn Toru aus dem Haus musste, bevor Taka von Takeru zurückkam und heimkehrte, als er bereits wieder bei diesem war. Vielleicht war die Renovierung des bislang leer stehenden Raumes der Indikator für die kippende Stimmung gewesen. Regale voll mit vergessenen Unterlagen, diverse Taschen und Koffer und ein Bügelbrett hatten den Möbeln, die ihren Weg aus Takas Wohnung in Torus fanden, weichen müssen, die die Mauer zwischen ihnen von einer Metapher zur Realität werden ließen. Taka hatte jetzt ein eigenes Zimmer, in welchem er an manchen Tagen von morgens bis abends saß. Manchmal spielte er Klavier und Toru hörte aus seinem eigenen Schlafzimmer heraus zu. Lag nur auf dem Bett, starrte an die Decke und stellte sich vor, wie Takas schlanke Finger über die weißen Tasten tanzten, als hätten sie nie etwas anderes gemacht. Manchmal hörte Toru überhaupt nichts von nebenan, nicht mal, wenn er sein Ohr an die Tür lehnte und lauschte und mit dem Gedanken spielte, einfach anzuklopfen, um zu sehen, womit der Ältere seine Zeit verbrachte. Doch er hatte nichts zu sagen. Irgendwann erstellten sie, jeder für sich, eigene Einkaufslisten, wuschen ihre Wäsche selber, kochten ihre eigenen Mahlzeiten, organisierten das eigene Leben unabhängig von dem des anderen. Manchmal kam Toru nach Hause und fand Taka und Takeru aneinander gekuschelt auf dem Sofa vor, wie sie Star Wars oder ähnliche Science Fiction Filme schauten und es schmerzte zu sehen, wie passioniert sie über die Charaktere diskutierten, weil Toru wusste, dass Taka dies mit ihm nie hatte tun können und er bereute sein Desinteresse, wünschte, er hätte dem Sänger damals zugehört, wann immer er, wild mit den Armen gestikulierend, einen Familienstammbaum, oder die hierarchischen Strukturen von irgendwas erklärt hatte und anschließend die Unterlippe vorschob, sowie Toru ihn nur mit hochgezogener Augenbraue beobachtet hatte. An solchen Abenden verkroch sich Toru in den meisten Fällen, ohne überhaupt zu grüßen, in sein Zimmer, lehnte aus dem Fenster und rauchte eine Zigarette nach der anderen. Für Taka hatte er das Rauchen damals aufgegeben und jetzt ohne Taka hatte er wieder damit angefangen, es war also ein fairer Austausch. Toru erwischte sich oft dabei, den ungebetenen Dauergast in ihrer Wohnung, den, den sie nie sahen, der der Grund für die Veränderung zwischen ihnen war, Takeru zu nennen. Das personifizierte Böse, welches wie Gift in den Adern des Sängers floss. Über die Zeit hatte Toru den Wandel der Gefühle in sich mitverfolgen können. Wo zu Anfang Trauer und Verzweiflung in seiner Brust gesessen hatten, empfand er nun Missgunst und Hass, wann immer er Takeru und Taka sah. Er erwischte sich mehr als nur einmal dabei, Taka mit einen zynischen Kommentar zu entgegnen, wenn dieser Takeru irgendwie erwähnte und anstatt sich schlecht zu fühlen und sich zu entschuldigen, empfand der Gitarrist lediglich blanke Gleichgültigkeit. Trockener Sarkasmus war Torus Rettungsring geworden. Die Zeit verging. Aus Tagen wurden Wochen und aus Wochen schließlich Monate. Bunte Blätter fielen zu Boden, ließen kahle Äste zurück, die schließlich von weißen Flocken bedeckt wurden. Toru hatte wieder angefangen Leute zu sehen, auf Dates zu gehen, doch niemand, ob Mann oder Frau, schaffte es, von ihm nach Hause eingeladen zu werden. Irgendein Merkmal würde ihn immer an Taka erinnern, sei es eine ähnliche Haarfarbe, ein Muttermal, welches zufällig an der gleichen Stelle saß, oder ein Lieblingsmusiker, der sich auch in Takas Repertoire befand. Manchmal war Toru betrunken genug, um über vorhandene Ähnlichkeiten hinwegzusehen, in den meisten Fällen jedoch kehrte er mit einer Nummer mehr in seinen Kontakten (die er nie anrufen würde) in seine Wohnung zurück und warf sich dort auf sein Bett, welches für eine Person viel zu groß war. Taka hatte angefangen Songs zu schreiben und zu verkaufen, was Torus Meinung nach verschwendetes Talent war, wenn er abends dem zuhörte, was der Ältere im Zimmer nebenan tat, doch es brachte gutes Geld ein, zumindest mehr, als der Job, den Toru bei einem Sounddesigner angenommen hatte. Oft spielte er mit dem Gedanken zurück nach Osaka zu ziehen, sein altes Leben in Tokio hinter sich zu lassen und neu anzufangen, fernab von all den Dingen, die ihm Tag für Tag zusetzten. Doch er wusste besser als jeder andere, dass dies in der Praxis niemals funktionieren würde. Weihnachten und Neujahr krochen vorbei und Toru bekam Taka an beiden Feiertagen nicht einmal zu Gesicht. Der dritte Mitbewohner war allgegenwärtiger denn je und irgendwann wusste Toru, dass seine Konstanz gewonnen hatte. Das einzige, was von ihm und Taka übrig geblieben war, waren Erinnerungen.



Fanfic-Anzeigeoptionen

Kommentare zu diesem Kapitel (1)

Kommentar schreiben
Bitte keine Beleidigungen oder Flames! Falls Ihr Kritik habt, formuliert sie bitte konstruktiv.
Von:  Sayui
2017-01-29T22:36:08+00:00 29.01.2017 23:36
Yay jetzt sitz ich mitten in der Nacht im Bett und versuche nicht zu weinen. Wahrscheinlich wäre einfach heulen die besser Option. Diese Fanfictiom bringt mich noch um. ^^


Zurück