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The Heart Collector

von

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Kapitel 10: Der König von Bergedorf

Im warmen Sonnenlicht, das durch die klare Fensterscheibe fiel, tanzten tausende Staubflocken wie winzige Blumenkränze durch die Luft. Das Licht durchbrach den unsichtbaren Schleier jedoch mühelos. Kaum hatte sich das Licht im ganzen Raum ausgebreitet, tasteten die Strahlen schon nach einem neuen Opfer, das sie mit ihrem Leuchten zur Weißglut bringen konnten.
 

Dieses Opfer fanden sie in Maxime Ravanello. Nachdem sein Besuch vor einer Weile nach Hause gegangen war, war er vor Müdigkeit wieder eingeschlafen. Auf einmal hatte es Marcel sehr eilig gehabt und bevor Maxime noch eine weitere Frage zu der Gestalt im Wald stellen konnte, war er schon aus dem Zimmer verschwunden. Dieser miese und störrische Bengel hatte ihm keinen einzigen Hinweis auf das Wesen gegeben. Alles Schleimen und Argumentieren hatte keinen Sinn gehabt. Dabei wusste Marcel doch ganz genau, was das für eine Gestalt war und nun musste Maxime sogar so tun, als wäre nie etwas passiert.
 

In diesem Augenblick ertönte ein kurzes Pochen an der Türe. „Ja bitte?“, rief Maxime laut.
 

Als das Holz auf die Seite schwang, stand Scarlett im Türrahmen. In den Händen trug das sie ein Tablett mit einer dampfenden Porzellanschüssel. Maxime konnte ihre Augen in der Dunkelheit nicht erkennen, doch er wusste, dass ihr Blick auf ihn gerichtet war.
 

„Hast du Hunger?“, fragte Scarlett und stand mit zwei großen Schritten am Bett. Als sie den Kopf schief legte und lächelte, funkelten ihre Himbeerfarbenden Augen. „Ich habe dir etwas zu essen gemacht. Das ist zwar nur eine Dosensuppe, aber das ist besser als nichts.“
 

„Da hast du recht. Danke.“ Maxime beugte sich nach vorne und nahm das Tablett entgegen. „Ist das hier demnächst Programm? Kochst du ab jetzt immer für uns?“
 

„Hn! Ich versuche es zu mindestens. Eigentlich macht kochen sogar Spaß und ich kann mich dabei ein bisschen von der Schule ablenken.“ Scarlett atmete theatralisch durch die Nase aus und machte eine wegwerfende Bewegung mit der Hand. „Aber sag´ mir lieber, wie es dir geht. Hast du dich mittlerweile von deinem Schwächeanfall erholt?“
 

Stöhnend rollte sich Maxime auf die Seite. Er blinzelte gegen das Licht und tastete mit den Fingern nach seinem Handy, welches hoffentlich irgendwo in der Nähe lag. Kurz schaute er auf den Display und überprüfte die Uhrzeit. 17.25 Uhr. „Hey, es ist schon fast Abend. Wieso habt ihr mich solange schlafen lassen?! Oh Mann, morgen früh bin ich wieder total gerädert.“
 

„Weil du es nötig hattest.“
 

„Ich habe es auch nötig, in der Nacht zu schlafen.“
 

„Hör´ auf zu jammern! Sei lieber froh dass es dir gut geht!“, grummelte Scarlett unwirsch.
 

Maxime nickte zögerlich und nahm einen Schluck Suppe in den Mund. Ja, er konnte wirklich froh sein, dass es ihm gut ging. Wäre Marcel nicht zufällig im Wald gewesen, hätte er wirklich schlechte Karten gehabt...
 

„Übrigens... heute Morgen ist ein Brief für dich angekommen“, sagte Scarlett plötzlich und riss Maxime damit aus seinen Gedankengängen. Sie zog ein kleines Kuvert aus ihrer Hosentasche und reichte ihn ihrem Gegenüber. „Nur dein Name stand auf dem Umschlag, seine eigene Adresse hat der Absender komischerweise nicht angegeben.“
 

Neugierig nahm Maxime den Umschlag entgegen, legte seinen Löffel auf das Tablett und betrachtete den Brief von allen Seiten. Er sah aus wie ein gewöhnlicher Brief; klein, quadratisch und leicht. Und er war tatsächlich an ihn adressiert. Auf der Rückseite stand in klaren, geraden Linien sein Name geschrieben. Nur Maxime, mehr nicht.
 

„Los. Mach ihn auf!“, drängte Scarlett neugierig und rutschte etwas näher zum Bett. „Wer weiß, was da drin ist! Das kann alles Mögliche sein. Vielleicht... ist das ein Liebesbrief von einem schüchternen Verehrer?“
 

„Halt die Klappe!“, schoss Maxime bitter zurück. „Was geht dich das überhaupt an? Raus hier!“
 

„Vergiss es! Ohne mich hättest du diesen Brief nie in die Finger bekommen.“ Knurrend griff Scarlett nach dem Brief, da sie ihn wahrscheinlich selbst öffnen wollte, aber Maxime war schneller und streckte seinen Arm in die Höhe. „Hör´ auf mit den Spielchen! Mach endlich den verdammten Brief auf, oder es war das letzte Mal, dass ich etwas für dich aus Yukikos Klauen gerettet habe.“
 

Die Blondhaarige summte zustimmend, als Maxime den Umschlag mit dem Stiel seines Löffels öffnete und zwei Papierstreifen zum Vorschein kamen. „Yukiko hat den Umschlag heute Morgen im Briefkasten gefunden, und hätte ihn höchstwahrscheinlich in den Müll geworfen, wenn ich nicht dazwischen gegangen wäre.... Oh Gott, jetzt erzähl´ schon endlich was da steht. Ich platze gleich!“
 

Doch Maxime blieb stumm und zeigte lediglich einen der beiden Papierstreifen. Es war ein Zeitungsausschnitt aus dem Wochenblatt. Sofort begann Scarlett zu lesen, stutze nach wenigen Sekunden jedoch und runzelte irritiert die Stirn.
 

„Das ist ein Artikel aus der letzten Wochenzeitung“, murmelte sie leise und untersuchte das Geschriebene noch mal genauer. „Ich glaube ich schiele: Das ist ein Artikel über den Brand in der Grundschule! Warum schickt uns das jemand?“
 

„Das kann ich dir sagen“, sagte Maxime mit Grabstimme. Ohne zu zögern, drehte er den zweiten Papierstreifen um und las die nächsten 4 Wörter laut vor. „IHR.SEID. DIE.NÄCHSTEN!“ Er hielt kurz die Luft an und gab Scarlett damit Gelegenheit, um das gerade gehörte zu verdauen. Ganz wie er erwartet hatte, wurde das Mädchen so blass wie eine Wand und riss die Augen auf. „Das ist kein gewöhnlicher Brief, Scarlett. Das ist eine Drohung. Jemand will uns Einschüchtern und mürbe machen.“
 

Scarlett brauchte einen Moment um sich von ihrer Starre zu befreien und sprang in der nächsten Sekunde auf die Füße. Drohend fletschte sie ihre Zähne und schlug die Faust auf arme Bettkante. „Verdammt! Ich hätte es wissen müssen. Das ist sicher eine Drohung von dem unbekannten Mann, der uns letztens von der Straße aus beobachtet hat! Jetzt will er ernst machen!“
 

*xXx*
 

Einige Tage später hatte Maxime die Kreatur im Wald und den ominösen Brief schon wieder vergessen; im Augenblick gab es wichtigere Dinge zu erledigen...
 

Schnaubend ließen sich Charlotte und Maxime am Nachmittag in der Küche von Frau Kirschbaum auf ihre Plätze sinken, und streckten ihre steifen Glieder in die Länge.
 

„So, der Aufsatz für Deutsch ist fertig“, krächzte Charlotte erschöpft.
 

„Erdkunde auch“, brummte Maxime zurück und trank einen großen Schluck von der eisgekühlten Cola, die ihm seine Freundin über den Tisch schob. „Dir fehlt noch Physik und Französisch, oder?“
 

„Bitte, erinnere mich nicht daran...“
 

Erneut stießen die Kinder ein tiefes Seufzen aus und Charlottes Mutter, die gerade am Herd stand und das Mittagessen zubereitete, schenkte ihnen einen fragenden Blick. „Was ist denn los? Warum schimpft ihr so? Habt ihr so viele Hausaufgaben?“
 

Es hatte alles vor 3 Tagen begonnen. Plötzlich erinnerten sich die Lehrer wieder daran, dass in einem Monat die Sommerferien begannen und für viele das Jahresende vor der Türe stand. Offenbar fehlten einigen Schülern aber immer noch irgendwelche wichtigen Noten, daher veranlassten die Lehrkräfte eine Menge Hausaufgaben, Präsentationen und Klausuren um diese Lücken noch irgendwie zu füllen. Alle Klassen waren gleichermaßen von dieser „Krankheit“ betroffen. Besonders Charlottes Lehrer brummten den Jungen und Mädchen einen Berg an Aufgaben auf, da ihre Schützlinge nach den Ferien endlich in die Oberstufe kamen und sie sie so gut wie möglich vorbereiten wollten, sehr zum Leidwesen der Betroffenen.
 

Für heute hatten Maxime und Charlotte ihre Arbeiten zwar erledigt, aber dafür war auch der gesamte Nachmittag drauf gegangen. Wahrscheinlich war heute der heißeste Tag des bisherigen Jahres gewesen, und die drei Freunde hatten den halben Tag in Charlottes Zimmer gesessen, und Hausaufgaben gemacht. Ihren tollen Ausflug zum Baggersee konnten die Kinder demnach vergessen.
 

„Lasst euch nicht unterkriegen“, meinte Frau Kirschbaum, eine schlanke, schöne Frau um die 30, und lächelte die beiden Freunde aufmunternd an. „Ich fand die Schule früher auch schrecklich, aber heute weiß ich, dass es die beste Zeit meines Lebens war. Sobald ihr in der Ausbildung seid oder einen Job habt, wünscht ihr euch euer altes Leben als Schüler zurück. Das kann ich euch versprechen.“
 

Maxime nickte und erwiderte das Lächeln der hübschen Frau. Raphael und er waren gern gesehene Gäste in diesem Haus. Auch wenn sie niemals als Schwiegersöhne infrage kämen, behandelten sie Charlottes Eltern immer wie ihre eigenen Kinder. Insgeheim waren Herr Kirschbaum und Frau Kirschbaum sogar sehr froh darüber, dass ihre Tochter in den vergangenen Jahren so gute Freunde wie sie gefunden hatte. Früher wurde das Mädchen in der Grundschule wegen ihrer Schüchternheit oft gehänselt und von den anderen Kindern ausgegrenzt. Heute schaute sie noch nicht mal mehr jemand schief an, wenn Raphael daneben stand.
 

Charlotte lebte in einer fünfköpfigen Familie und besaß eine ältere Schwester und einen jüngeren Bruder. Obwohl sie von allen Kindern das Vernünftigste war und es sogar bis auf das städtische Gymnasium geschafft hatte, behandelten ihre Eltern sie immer noch wie ein kleines Mädchen.

Ihr jüngerer Bruder, der gerade mal 11 Jahre alt war, schlich seiner großen Schwester schon heute hinterher, wenn sie des Abends mit Raphael und Maxime in die Disko ging.
 

Als ob es ein geheimes Stichwort gewesen wäre, sprang just in diesem Moment die Küchentüre auf und Charlottes Bruder kam mit einer kurzen Sporthose bekleidet in die Küche gestürmt. „Mama!“, knurrte der Junge vorwurfsvoll. „Warum hast du mir nicht Bescheid gesagt? Ich habe doch jetzt ein wichtiges Fußballspiel!“
 

„Mama hat ganze 10 Minuten an deiner Türe gerüttelt und gerufen. Aber von dir kam keine Antwort!“, antwortete Charlotte stellvertretend für die Angesprochene und warf dem Jungen einen mahnenden Seitenblick zu. „Und jetzt setz dich auf deine 4 Buchstaben, Tamino. Du bist jetzt sowieso schon eine Stunde zu spät, da ist das Spiel auch schon so gut wie vorbei.“
 

Tamino fletschte die Zähne. „Das weiß ich auch, vielen Dank für dein Verständnis, Schwesterherz.“ Damit ließ er sich neben Maxime auf einen Stuhl sinken und schenkte diesem ein zerknirschtes Lächeln. „Na, ist Charlotte auch immer so freundlich in der Schule, oder nur hier Zuhause?“
 

Dieser grinste leicht und schnipste den Jungen vor die Stirn. „Vorsicht Bürschchen, deine Schwester ist bei uns eine gefürchtete Schlägerbraut. Wenn Raphael oder ich von irgendjemanden blöd angemacht werden, hat er schon ihre Faust im Gesicht!“
 

Auch wenn das eine riesengroße Lüge war, erwiderte Charlotte nichts und lächelte nur heimlich. Sie war alles andere als eine, wie hatte Maxime so schön gesagt?, „Schlägerbraut.“
 

Gegen 15.30 Uhr fand dann endlich auch das letzte Mitglied der Freundesclique seinen Weg in die Küche. Vor lauter Frust hatte sich Raphael nach dem Lernen in Charlottes Bett gelegt und war vor 2 Stunden eingeschlafen. Egal, was auch immer seine besten Freunde vorhin versucht hatten, um ihn aufzuwecken, es klappte nicht!
 

Lautstark gähnend trat Raphael durch die Türe und ließ sich von der anderen Seite neben Maxime in die Sitzecke gleiten. Mit kleinen, schläfrigen Augen schaute er in die Runde. „Guten Morgen alle miteinander... Boor, ist das hier unten hell! Ekelhaft.“
 

„Mein Lieber, hast du schon mal auf die Uhr geschaut? Es ist schon gleich Abend, und du willst mir erzählen, dass du immer noch müde bist?“ Frau Kirschbaum grinste, während sie dem blonden Jungen eine große Tasse mit heißem Kaffee vor die Nase setzte.
 

Raphael zuckte mit der Schulter, trank aber dankbar einen gierigen Schluck von der schwarzen Brühe. „Trotzdem hätte ich noch länger schlafen können.“ Danach warf er einen Blick zu seiner besten Freundin. „Haben wir heute noch etwas vor?“
 

„Ach, ich habe keine Ahnung. Mal schauen, vielleicht gehe ich gleich noch ein bisschen lernen. In meiner Klasse steht bald wieder eine Matheklausur an. Und wenn ich schon alleine das Wort „Trigonometrische Funktionen“ höre, könnte ich anfangen zu heulen. Dieses bescheuerte Thema macht mich total fertig, ich kann mir das einfach nicht merken."
 

„Ohne mich.“, sagte Raphael ernst.
 

„Und auch ohne mich!“, schloss sich Maxime sofort an.
 

*xXx*
 

Der schwarze Asphalt flimmerte in der Sonne wie eine Wasserlache. Als am Himmel eine dicke Wolke auftauchte, atmeten die 3 Freunde erleichtert auf und kurbelten rasch ihre Fenster herunter, da sie den aufkommenden Wind als angenehme Kühlung benutzen wollten.
 

„Ich sterbe“, stöhnte Raphael theatralisch und lehnte seinen Oberkörper so weit nach hinten, wie es die Rückenlehne seines Sitzes zuließ. „Diese Hitze... Ich vertrage keine Wärme. Erst recht nicht, wenn ich 7 Stunden in der Schule hängen soll und mir den Arsch platt sitzen muss!“
 

Von hinten kam ein tiefes Seufzen und Charlotte lehnte ihr Gesicht mit geschlossenen Lidern gegen die kühle Fensterscheibe. „Uns geht es auch nicht besser, jetzt reiß ´dich mal ein bisschen mehr zusammen“, brummte sie erschöpft.
 

Die letzten, angenehmen Tage des Monat Mais waren viel zu schnell vergangen. Es war Donnerstagmorgen, im Schatten lagen die Temperaturen jetzt schon bei 25 Grad, und Maximes Herz tat immer noch schrecklich weh, wenn er an den Sonntag mit Marcel im Wald zurückdachte.
 

So langsam wurden ihm die Geschehnisse der vergangenen Wochen zu viel. Maxime hatte das Gefühl, dass einige Dinge etwas miteinander zu tun haben könnten, aber die Antwort lag verborgen hinter einem Schleier aus Unwissenheit und Angst.
 

...Daimon und Avalon in der Gasse... Marcel... der Kerl in der Diskothek... der andere Kerl vor ihrem Haus.... das Wesen aus dem Wald... wieder Marcel... und schließlich der seltsame Brief von Sonntagmorgen....
 

„Am Samstag hat der neue Tierpark in Hamburg seinen ersten Eröffnungstag. Das heißt, es gibt Ermäßigung auf die Eintrittskarten und gratis Verpflegung für uns Minderjährige. Na, habt ihr beiden Lust darauf?“
 

„Wenn´s bis dahin geschneit hat, können wir gerne hingehen.“ Charlotte zog undamenhaft die Nase hoch und starrte wieder aus dem Fenster.
 

Währenddessen beugte sich Maxime auf die Seite und schenkte seinem Sitznachbarn einen vielsagenden Blick. „Ignoriere sie einfach. Die hat sicher ihre Periode bekommen und ist deswegen so zickig... Lass uns das wie richtige Männer überstehen und so tun, als ob wir von nichts eine Ahnung hätten.“
 

„Oh, der Frauenversteher hat gesprochen!“, scherzte Raphael, nickte aber gleichzeitig und schob seine Sonnenbrille zurecht. „Und was sagst du? Tierpark ja oder nein? Vielleicht treffen wir einen Tierpfleger, den wir zu den Vorfällen im Wald befragen können. Das ist doch eine gute Idee, oder? Er weiß ganz bestimmt, welche Raubtiere sich in dieser Gegend rum treiben, und ob einer von ihnen als Täter infrage kommen könnte. Dann wäre die Geschichte mit den toten Rehen und Wildschweinen sicher bald Vergangenheit. Und wir reich...“
 

Seufzend verschränkte Maxime die Arme vor seiner Brust und wich den Blick des Anderen aus.
 

Natürlich hatte er Marcels Bitte befolgt und niemanden etwas von der düsteren Kreatur im Wald erzählt, auch nicht seinen besten Freunden. Besonders wohl fühlte er sich in dieser Lage nicht. Er hasste es, wenn er Raphael und Charlotte solche wichtigen Ereignisse verschweigen musste. Im Laufe der Jahre hatte er zwar immer wieder kleinere Geheimnisse vor ihnen gehabt, aber keines war so bedeutend gewesen wie dieses.
 

Darum beschloss Maxime, dass es das Beste wäre, vorerst nicht mehr über den Tierpark zu sprechen. Ein weiteres Rätsel glaubte er, nicht zu verkraften.

Also stimmte er Raphaels Vorschlag für Samstag einfach zu und ließ das Thema dann stillschweigend unter den Teppich fallen. Was er sich damit wieder für ein dickes Problem angelacht hatte, konnte Maxime heute natürlich noch nicht ahnen...
 

*xXx*
 

Die Wolken eines Sommergewitters grollten am Himmel. The Haunted Mansion sah dunkel und bedrückend aus, wie es da so still und einsam auf seinem Hügel stand - fast wie das alte, gespenstische Herrenhaus, das die 3 Teenager vor einigen Tagen im Wald entdeckt hatten.
 

Noch am gleichen Tag hatte Maxime am Nachmittag zu Hause eine Krisensitzung einberufen. Aber im Moment sah die Lage leider schlecht für ihn aus...
 

Die Stirn in Falten gelegt, stützte Yukiko ihre Wange mit einer Hand ab. Gelangweilt verdrehte sie die Augen und schaute kurz in Scarletts Richtung, bevor sie wieder nach Maxime sah.
 

„So so“, murmelte die Japanerin gedehnt und funkelte den Jungen ihr gegenüber skeptisch an. „Du möchtest also deine Freunde am Wochenende in diesem Haus übernachten lassen? Das ist ja wirklich eine schöne Idee von dir, aber leider gegen die Regeln. Wir dürfen keine fremden Leute einladen, ohne vorher dem Heim Bescheid zu geben.“ Yukiko schüttelte ihren Kopf und legte ein gemeines Grinsen auf ihre rot bemalten Lippen. „Wenn deinen kleinen Freunden innerhalb dieser Mauern etwas zustößt, wird die Schuld auf das Heim zurückfallen, und wenn wir Pech haben, wird das Re-Sozialisierungsprogramm abgebrochen. Dann müssen wir wieder nach Hause und in unsere alten Unterkünfte zurück. Darauf habe ich keine Lust. Ich lebe gerne in diesem Haus.“
 

Maxime knetete wütend seine Hände. Obwohl es in der Küche brütend warm war, lief ihm bei ihren Worten ein eiskalter Schauer über den Rücken.
 

„Darum müsst ihr mir auch helfen“, presste er zwischen zusammengebissenen Zähnen hindurch. „Wenn am Samstagabend jemand vom Heim kommt und uns einen Kontrollbesuch abstattet, müsst ihr den Kerl irgendwie loswerden Bitte, ihr beiden seit meine einzige Rettung.“
 

„Nein“, knurrte das lilahaarige Mädchen bestimmend. „Ich werde meinen Kopf ganz sicher nicht für deinen Idiotischen Plan hinhalten. Das kannst du schön alleine machen!“
 

„Sei nicht immer so stur!“ Nun konnte Maxime sich nicht länger zurückhalten und verlor die Nerven. „Ich möchte, dass Raphael am Wochenende bei uns ist! Er ist mutig und nicht auf den Kopf gefallen. Wenn der gruselige Kerl hier am Wochenende vorbei kommt und auf Raphael trifft, wird er sein blaues Wunder erleben!“ Wütend drehte sich Maxime zu Scarlett und schaute ihr auffordernd ins Gesicht. „Jetzt sag´ doch auch mal was! Was sollen wir machen, wenn der irre Kerl wieder kommt und tatsächlich unser Haus anzünden möchte?! Alleine können wir es nicht mit ihm aufnehmen! Aber Raphael ist stärker als wir 3 zusammen. Er ist zäher, wie er aussieht und wird den Typen schon so lange in Schach halten, bis wir die Polizei gerufen haben! Dann sind wir gerettet! Warum willst du das nicht kapieren, Yukiko?! Das ist eine großartige Idee!“
 

Der ernst gemeinte Vorschlag beeindruckte die Halbjapanerin nicht im Geringsten. Eher war das Gegenteil der Fall: ihre Mundwinkel zuckten so heftig als unterdrückte sie ein Lachen. „Du bist doch ganz hysterisch vor Angst!“, zischte Yukiko eisig. „Als ob der Mann wieder kommt und das Haus anzündet, wenn wir zuhause sind. Da ist die Gefahr doch viel zu groß, dass wir ihn auf frischer Tat ertappen. Wenn er seine Drohung wirklich wahr machen möchte, wird er warten, bis wir in der Schule sind. Das ist doch logisch! Denk´ doch erst mal nach, bevor du sprichst.“
 

Es passierte so schnell, das Yukiko noch nicht einmal ansatzweise realisieren konnte, was geschah.
 

Gerade eben hatte sie noch ihre Kaffeetasse in der Hand gehalten und in der nächsten Sekunde war sie verschwunden. Irritiert nahm sie nur einen dumpfen Schmerz auf ihrer Haut wahr und hörte dann das Scheppern von zerbrechendem Porzellan.
 

Okay, jetzt musste sie erst mal eins und eins zusammenzählen: Plötzlich war die Tasse verschwunden, sie spürte wie ihre Hand brannte, dann das Scheppern an der Wand und Maxime... der aussah, als hätte er jemanden gerade eine Ohrfeige verpasst.
 

„Du... hast mich...“, flüsterte Yukiko und drehte den Kopf auf die Seite, damit sie ihren Verdacht bestätigen konnte. Da! Da war sie. Auf den Boden lag ihre Kaffeetasse, zerbrochen und in tausend Scherben über den weißen Fliesenboden verteilt...
 

Yukiko schluckte geräuschlos. „Du hast mich geschlagen“ wiederholte sie leise und spürte wie ihr die Flammen in die Kehle schossen. Mit einen kräftigen Ruck stieß sie ihren Stuhl nach hinten und sprang auf die Beine. „Du Mistkerl! Du hast mich geschlagen!“
 

Langsam erwachte Maxime auf seiner Trance und starrte seine Hand an. Sie schmerzte noch immer von dem Schlag und nun, wo er sich auf sie konzentrierte, bemerkte er auch das warme Kribbeln von Blut in seinen Adern.
 

Was zum Geier war da gerade passiert!? Scheiße! Er hatte Yukiko in einem unachtsamen Moment der Wut die Kaffeetasse aus der Hand geschlagen. Sogar Scarlett saß einfach nur stocksteif da und ließ ihren mit Nudelsuppe gefüllten Löffel in das Englischbuch fallen. Das gemütliche Mittagessen von eben hatte sich von jetzt auf gleich in einen Gladiatorenkampf verwandelt. Zumindest könnte es darauf hinauslaufen, wenn sie nicht dazwischen ging...
 

„Hey Leute...“, sagte sie betont ruhig. „Was auch immer ihr jetzt vorhabt... überlegt es euch gut. Die Konsequenzen könnten bei Weitem Schlimmer ausfallen, als nur eine zerbrochene Tasse...“
 

Yukiko erwiderte nichts und presste ihre Lippen so fest aufeinander, dass sie weiß wurden. Sie sah nicht nur so schön aus wie ein Model, sie besaß auch die passende Größe für diesen Job. Die schlanke Japanerin überragte die Mädchen in ihrer Altersklasse um ein Vielfaches und sogar Maxime als junger Mann musste den Kopf in den Nacken legen, um ihr in die Augen zu schauen.
 

„Ja, da hast du ausnahmsweise Mal recht... Und es wird dem Mistkerl wirklich leidtun heute und hier in dieser Küche zu sein.“,
 

„Yuki! Reiß dich zusammen!“ Scarlett sprang ebenfalls auf die Beine und wirbelte um den Tisch herum. Besänftigend streckte sie ihre Hände und drückte Yukiko behutsam nach hinten. „Es war nicht okay, was Maxime getan, aber das war sicher keine Absicht, oder? Belassen wir es einfach dabei. Was bringt es dir denn, wenn du dich jetzt mit ihm prügelst und zur Strafe vielleicht das Projekt abbrechen musst! Dann hast du genau das erreicht, was du nicht haben möchtest!“
 

Instinktiv wich Maxime einen halben Meter zurück. Oh oh... das sah aber gar nicht gut aus! Die Japanerin explodierte ja gleich vor Wut! Jetzt musste er schnell handeln und irgendwie die Wogen glätten, bevor hier in der Küche nicht nur die Kaffeetassen, sondern auch gleich die Fäuste durch die Luft flogen.
 

„Hör mir zu, ja?“, bat er leise. „Es tut mir wirklich leid, dass ich deine Tasse kaputt gemacht habe. Wenn du möchtest kann ich sie dir ersetzen. Aber wir sollten jetzt auf Scarlett hören, und einen Schlussstrich ziehen! Lass uns lieber über das kommende Wochenende nachdenken!“
 

Kopfschüttelnd begann Yukiko zu lachen. Aber es war kein gewöhnliches und fröhliches Lachen, sondern ein kaltes und gemeines, welches Maxime sofort eine dicke Gänsehaut auf die Arme zauberte. „Du sagst „es tut mir leid“ und meinst, dass das schon reicht? Meinst du, es geht mir um diese blöde Tasse? Nein! Das blöde Ding habe ich schon lange vergessen. Aber was ich nicht vergessen werde, ist, dass du mich geschlagen hast, und dafür kannst du dich wohl nicht entschuldigen, was? Na gut, ich habe dich vielleicht provoziert, aber das war es auch schon. Ich habe dich noch nie angefasst!“
 

„Aber...“
 

Auch Scarlett schluckte hörbar und ihre Augen huschten von Unsicherheit erfüllt zwischen ihren beiden Mitbewohnern hin und her. Es war das erste Mal, dass Maxime so etwas wie Besorgnis in ihrem Blick entdeckte – und diese Besorgnis galt offenbar nicht Yukiko, sondern tatsächlich seiner Person! Dieses Gefühl verstärkte sich nur noch mehr, als sie sich wieder auf ihren Stuhl setzte und seufzend ausatmete. Ihre Hand, mit der sie den Löffel erneut anheben wollte, zitterte so heftig, dass sie sie wieder sinken lassen musste.
 

„Das reicht jetzt. Das ist mir alles zu blöd!“, zischte sie leise und schon nach kurzer Zeit veränderte sich Scarletts Miene ein zweites Mal. „Ich hasse die ständigen Streitereien in diesem Haus! Damit vergiftet ihr die ganze Atmosphäre. Mittlerweile ist es doch kein Wunder mehr, dass wir immer noch zu dritt sind, obwohl hier eigentlich sechs Kinder wohnen sollten. Die Beamten vom Jugendamt haben bemerkt, dass wir nicht in der Lage sind, wie gewöhnliche Menschen miteinander zu leben. Wir sind in ihren Augen unfähig. Deshalb wollen sie auch keine neuen Teilnehmer zu uns schicken. Und ihr zwei unterstützt dieses Bild mit eurem albernen Gezanke auch noch. Vielen Dank!“
 

Dann begann Scarlett plötzlich, leise zu schluchzen. Ihre schönen, pinken Augen erstrahlten in einem verdächtigen Glanz und ehe sich ihre Mitbewohner versahen, war sie auch schon aufgesprungen und aus der Küche gerannt.
 

„Wunderbar, jetzt haben wir sie endgültig vertrieben“, knurrte Yukiko sarkastisch.
 

Laut polternd stürmte Scarlett in die erste Wohnetage hoch und beiden anderen schauten ihr mit einem besorgten Ausdruck im Gesicht hinterher.
 

„Und das alles wegen so einer Kinderkacke.“, zischte Maxime verächtlich.
 

„Oh! Du meinst wohl eher, wegen deinem idiotischen Vorschlag!“
 

Wütend starrten Yukiko und Maxime einander an. Niemand war in der Lage etwas zu sagen oder auch nur zu wissen, was als Nächstes passierte. Ganz egal wie freundlich die attraktive Frau zu Scarlett oder zu anderen Menschen war, sie hasste Maxime aus tiefster Seele und ließ ihn dieses Gefühl bei jeder Gelegenheit spüren.
 

„Mir ist der Appetit vergangen. Ich gehe auch!“
 

Yukiko gab sich keine Mühe um den Streit zu bereinigen und verschwand im Hausflur. Ein paar Sekunden hörte Maxime sie noch schimpfen und fluchen, dann wurde die Wohnungstüre aufgerissen und gleich darauf wieder zugeschlagen.
 

Seufzend stand Maxime auf und räumte das schmutzige Geschirr in die Spülmaschine.
 

Alle drei Tage half Yukiko für ein paar Stunden in einem kleinen Café aus, und stockte damit ihr mageres Taschengeld auf. Das einzig Gute daran war, dass Maxime sie dadurch nicht so oft ertragen musste. Aber er fand es ziemlich gemein, dass Yukiko ihre niedergeschlagene beste Freundin einfach alleine zurück ließ. Wenn es Raphael oder Charlotte schlecht ging, würde er alles tun, um sie wieder aufzumuntern.
 

Maxime biss die Zähne zusammen und knurrte wie ein schlechtgelaunter Pitbull. Er ärgerte sich noch ein bisschen über Yukiko und ihre herablassende Art, doch es hatte keinen Sinn, sich darüber zu beschweren. Sie war eben eine Diva und würde sich niemals ändern!
 

Nachdem er am Abend ein entspannendes Schaumbad genommen hatte, fühlte sich Maxime schon gleich besser und wieder ausgeglichen. Lässig zog er sein knallrotes Haarband fester und warf sich seinen langen, geflochtenen Pferdeschwanz über die Schulter nach hinten. Danach fischte er einen kleinen, Schaumgummi überzogenen Knopf aus seinem Bademantel hervor. Er war durch ein Kabel mit seinem Mp3-Player verbunden und versorgte Maxime die ganze Zeit über mit Musik, während er gemütlich in sein Zimmer tapste und sich draußen auf seinem kleinen Balkon niederließ.
 

Seufzend streckte der Junge seine müden Glieder. Ach, wie herrlich es hier draußen doch war! Auch wenn dicke Gewitterwolken wie hungrige Aasgeier ihre Runden am Horizont drehten, war die Luft immer noch angenehm warm.
 

Die sanften Klänge der Musik ließen ihn genießerisch die Augen schließen und in das weiche Kissen seines Liegestuhls sinken. Maxime träumte von warmen Händen und von süßen Typen mit muskulösen Körpern. Er schien nicht zu merken, dass sich ein feines Grinsen auf seine Züge geschlichen hatte, doch die Berührungen wurden von Sekunde zu Sekunde immer realer. So real, bis er irgendwann wirklich glaubte, eine warme Hand auf seiner Schulter zu spüren. Irgendwie war das Gefühl aber anders, als erwartet. Die Hand streichelte ihn nicht sanft. Die Hand bohrte ihre spitzen Fingernägel erbarmungslos und mit Nachdruck in seine Haut.
 

Schockiert riss Maxime die Augen auf und blickte zielgenau in zwei schimmernde Bernsteine.

Ihm gegenüber, auf dem schmalen Geländer des Balkons, saß ganz lässig ein junger Mann, welcher dem verdutzten Jungen ein breites Lächeln schenkte. Er hatte etwas längere dunkelbraune Haare, die ihm ungehindert in das attraktive Gesicht fielen.
 

„Jo!“, grüßte der Fremde freundlich.
 

Unfähig, das Gesehene zu begreifen, blieb Maxime erst mal still sitzen und starrte den späten Besucher einfach nur entgeistert an. Es dauerte ein paar Sekunden, bis er den ersten Schrecken verdaut hatte.
 

„Wie...Wie, in drei Teufels Namen, kommst du hier hoch?“, stieß Maxime keuchend hervor, und riss sich in der gleichen Bewegung die Kopfhörer aus den Ohren.
 

Die Sonne schien hinter den Gewitterwolken verschwunden zu sein. Die großen, alten Eichen, die rund um das Mehrfamilienhaus wuchsen, spendeten zusätzlich Schatten und bestärkten das beklemmende Gefühl, welches sich langsam in Maximes Herz ausbreitete. Sein Zimmer befand sich im zweiten Stockwerk, der Balkon war mehr als 11 Meter von der Erde entfernt. Wie um alles in der Welt war der Mann hier hochgekommen? Nirgendwo stand eine Leiter oder etwas Ähnliches.
 

„Ich bin geklettert“, erklärte der Mann zugleich, der wohl Gedankenlesen konnte. „Na, dein Gedächtnis scheint aber nicht mehr das Beste zu sein. Du erkennst mich wohl nicht wieder!“ Leichtfüßig sprang der Kerl von dem Geländer, schlug die Hacken zusammen und deutete eine kleine Verbeugung an. „Entschuldigen Sie meine aufdringlichen Worte, aber darf ich Ihnen sagen, dass Sie selbst in einem lumpigen Bademantel immer noch umwerfend aussehen?“
 

Bei dieser Bemerkung fiel Maxime alles wieder ein. Schlagartig erschien der letzte Abend in der Disco vor seinen Augen und jetzt wurde ihm klar, woher er diesen Satz kannte. Vor ihm stand der unheimliche Mann, der ihn an jenem Ort in die Ecke gedrängt hatte.
 

Der braunhaarige Schönling setzte sich auf einen kleinen Plastiktisch und ließ seine goldgelben Augen über das Anwesen gleiten. Schließlich drehte er sich wieder zu Maxime und ein weiteres Grinsen verzerrte seine attraktiven Züge. „Hey, du sagst ja gar nichts mehr. Habe ich dir Angst gemacht? Dabei wollte ich dieses Mal doch gar keinen Ärger machen... Oh, aber da fällt mir doch gerade ein, dass ich mich bis jetzt noch nicht vorgestellt habe!“
 

Rasch stand der Mann wieder auf seinen Beinen. Er drückte die linke Hand in einer alten Geste auf die Brust und schob die andere von seinem Körper weg. „Mein Name ist Nathan, und ich bin der Besitzer dieser Stadt. Bergedorf ist mein Revier und ihr Menschen seit mein geliebtes und geschätztes Volk. Es ist mir eine Ehre, dich kennenzulernen.“
 

Doch Maxime empfand alles andere als Freude. Viel lieber würde er diesen eigenartigen Kerl mit einem gezielten Tritt von seinem Balkon befördern! Er fand Nathan unheimlicher als alle anderen Dinge, die er bis jetzt erlebt hatte. Daimon, Avalon und die Kreatur im Wald konnte er wenigstens noch in eine geeignete Schublade einsortieren, aber an Nathan zerbrach alles, was irgendwie einen logischen Hintergrund besaß. Der Kerl war Irre! Am Sonntagmorgen musste er ihm nach Hause gefolgt sein, wenn er wusste, wo er wohnte!
 

„Warum bist du hierhergekommen? Wenn du keinen Ärger möchtest, weiß ich nicht, was du hier zu suchen hast...“
 

„Weil ich sehen wollte, ob du meine Botschaft an die Nemesis-Göre weiter gegeben hast, aber deine Erinnerungen geben mir schon die Antwort auf diese Frage. Bis jetzt hast du ihr noch nichts erzählt. Das ist schade, denn jetzt muss ich dir wohl oder übel wehtun. Es ist nicht einfach, den richtigen Weg zwischen Nachsicht und Strenge zu finden. Leider wirst du nun die Konsequenzen für deine Ungehorsamkeit zu spüren kriegen..“
 

Innerhalb von wenigen Sekunden war Maxime hochgesprungen und hatte sich hinter einen großen Blumentopf versteckt. Nathan sah im ersten Augenblick ein wenig verdutzt aus, lachte aber leise über die Flucht und winkte lässig mit der Hand ab.
 

Trotz aller Schnelligkeit stand der ältere Mann einen Wimpernschlag später vor Maxime und packte den verstörten Jungen grob am Arm. Er grinste so bösartig, dass es Maxime augenblicklich schlecht wurde. Nathan wusste anscheinend ganz genau, was er wollte; er stieß sein Opfer mit einen kurzen Schlag auf die Schulter zurück in das Schlafzimmer.
 

Maxime stolperte haltlos über herumliegende Bücher und wollte sich aus Nathans Gewalt befreien, doch der hübsche Mann war leider stärker, als er aussah. In seinen schlanken Händen steckte so viel Kraft, dass die Fensterscheibe einen kleinen Riss bekam, als er die Balkontüre knallend hinter sich zu schlug.
 

„Was wird das hier!?“ fauchte Maxime verunsichert. „Lass mich los. Wenn du nicht bei drei aus diesem Zimmer verschwunden bist, werde ich mich vergessen und dir das blöde Feixen aus dem Gesicht prügeln. Ich habe den schwarzen Gürtel in Kung-fu!“
 

Nathans goldene Augen glänzten wie Eis. Unbeeindruckt bugsierte er Maxime weiter durch das Zimmer und schubste ihn schließlich mit den Rücken voran in das große Bett. Spätestens an dieser Stelle hatte der Junge verstanden, was hier gespielt wurde...
 

„Vielleicht kannst du mich nicht mit Kampfsport in die Flucht schlagen, aber gegen ein bisschen Matratzensport sage ich nie nein.“ Mit der Zunge fuhr sich Nathan über die karamellfarbende Unterlippe und musterte den rosahaarigen Jungen mit einem hungrigen Blick. „Du bist doch sicher keine Jungfrau mehr, oder? Es nervt mich nämlich, wenn ich eine habe und immer Rücksicht auf ihre Bedürfnisse nehmen muss. Aber bei dir sieht das wohl anders aus. Ich glaube, du magst es, wenn man dich auf die harte Tour nimmt.“
 

Ein scharfes Knurren rollte über Maximes Lippen. Als Nathan seinen Oberkörper senkte und breitbeinig auf das Bett kletterte, fühlte sich sein Innerstes wie Eis an. Frech grinste ihn der Mann von herab an, und schon alleine für diese gemeine Geste hätte ihn Maxime erwürgen können.
 

„Jetzt lächel´ doch auch mal, Kleiner. Warum bist du so zimperlich? Als ich dich am Wochenende in der Disko angesprochen habe, warst du auch nicht so zurückhaltend.“ Ohne auf die Antwort zu warten, hob Nathan seine Hand und fuhr mit den Fingerspitzen über den flauschigen Stoff des Bademantels. Ein zufriedenes Schnurren brummte in seine Kehle, anscheinend gefiel Nathan die Aussicht von da oben.
 

„Pech für dich! Ich stehe nun mal nicht auf adelige Snobs. Also verpiss´ dich.“
 

Maxime rollte sich auf die Seite und wollte Nathan die stützenden Hände wegschlagen, doch diese Bewegten sich keinen Millimeter vom Fleck. Verflucht! Wieso hatte er sich nicht richtig angezogen? Jetzt lag er hier nur in seinen dünnen Bademantel gehüllt und wusste nicht, wie er diesen schrägen Kerl loswerden sollte.
 

„Tja, wohl eher Pech für dich. Mich wirst du erst los, nachdem ich dir das Gehirn aus deinem hübschen Kopf gevögelt habe...“ Nathans Lippen verzogen sich zu einer strengen Linie und seine Stimme hatte mit einen mal einen harten Unterton bekommen. Rasch flog seine Hand wieder nach oben, umfasste Maximes Kinn und zwang ihn hochzuschauen.
 

Unweigerlich erschauderte Maxime. Okay, nicht ganz neidlos musste er zugeben, dass der junge Mann doch nicht so schlecht war, wie vermutet. Und verflucht noch mal, vorher wusste Nathan, dass er bei dominanten Männern so scharf wurde wie eine Rasierklinge?!
 

Auch diese Gedankengänge musste Nathan gelesen haben; sofort erhellte ein Schmunzeln seine Miene. Durch diese Empfindungen ermutigt, senkte er seinen Kopf und drückte Maxime einen heißen Kuss auf den entblößten Hals.
 

Unter anderen Umständen hätte Maxime dem arroganten Arschloch nun die Ohrfeige seines Lebens verpasst, aber sein Körper erstarrte unter der intimen Berührung. Unruhig rutschte er von links nach rechts. Doch alles zappeln und wehren hatte keinen Sinn, Nathans Lippen hatten sich bereits wie eine Saugglocke an seine Haut geheftet. Gleichzeitig ertönte ein dunkles Lachen aus seiner Kehle und die Zähne, die verdammt spitzen Zähne des Mannes, bohrten sich in der nächsten Sekunde in Maximes helles Fleisch.
 

„Oh Gott...“, stöhnte er erregt und verwünschte seinen verräterischen Körper. Maxime bebte. Seine Haut glühte wie Feuer.
 

Dann ging alles plötzlich ganz schnell. Maxime setzte seinen devotesten Blick, zu dem er fähig war, auf und sah Nathan von unten herauf an. Mit seiner Zungenspitze fuhr er leicht über seine geöffneten Lippen und spürte ein erregtes Kribbeln in seinem Lendenbereich. Obwohl bis jetzt noch nicht viel passiert war, war er schon verdammt geil! Aber das war nun mal die Strafe dafür, wenn man in dem besten Alter auf Sex verzichtete; dann machte die Libido, was sie wollte!
 

„Willst du mich noch weiter quälen, oder irgendwann auch ficken?“
 

Maximes Worte klang hart und ordinär, aber es war ein Test, weil er wissen wollte, wer hier eigentlich wen in der Hand hatte. Auch Nathan wirkte nicht mehr ganz so cool wie am Anfang. Unter seiner Jeanshose zeichnete sich ein erregtes und verdammt scharfes Glied ab. Nun wollte er Nathan wirklich haben! Jetzt verabschiedete sich seine Angst und in Maxime erwachte das Raubtier.
 

Nathan staunte nicht schlecht, als sich sein „Opfer“ plötzlich aufbäumte, die langen, rot lackierten Fingernägel in seinen Nacken grub und ihn so heftig an seine Lippen zog, dass er sogar einen kurzen Angstschrei ausstieß. Der Junge war plötzlich wie ausgewechselt. Ehe er sich versah, hatte Maxime seine ganze Kraft zusammengenommen, Schwung geholt und Nathan auf die Seite geworfen. Keine 2 Sekunden später hatte sich das Blatt gewendet. Nun lag Nathan mit den Rücken auf der Matratze und Maxime hockte wie eine Harpyie auf seiner Brust.
 

„Ich bin keine Schlampe, die sich von jedem daher gelaufenen Kerl knallen lässt“, zischte Maxime und seine Pupillen verengten sich zu kleinen Schlitzen. Er sah, wie Nathan die Spucke wegblieb und den Mund auf riss. Diese Gelegenheit nutzte der Junge sofort; geschickt und sehr schnell zwang er Nathan einen weiteren Kuss auf und zerteilte seine Lippen mit einer raschen Bewegung.
 

Als Maxime den Mann nach einigen Sekunden wieder los ließ, keuchte Nathan sichtlich schockiert. „Himmel! Ich dachte, du bist unterwürfig!“
 

Nun grinste der Rosahaarige bösartig und nun war er es, der Nathans Kopf auf die Seite drehte und ihm hart in den Hals biss. Ein paar Sekunden hörte er den Mann bloß die Luft anhalten, dann begann sich Nathans Körper gegen die Schmerzen zu wehren und das nicht gerade sanft. Maxime musste ihn mit seinem Gewicht und seiner ganzen Kraft festhalten. Die Rangelei dauerte mehrere Minuten, offenbar wollte keiner so richtig nachgeben. Am Ende behielt Maxime die Oberhand und Nathan kassierte einen brutalen Schlag auf den Brustkorb.
 

Warum Maxime sich so plötzlich verändert hatte? Nun, er hatte noch nie zu der Sorte von Männern gehört, die ihrem Partner gerne die Führung überließen. Bei allen anderen Dingen ja, da lehnte er sich gerne zurück und genoss, aber nicht beim Sex. Er bestimmte gerne, wo es lang ging und nur sehr wenigen, geeigneten Männern schenkte er das Vergnügen, seinen Arsch zu nehmen. Und im Moment war er so wütend auf diesen eingebildeten Kerl, dass er das auf keinen Fall zulassen würde.
 

Was als ein harmloses Spiel begonnen hatte, verwandelte sich mit dem nächsten Kuss in bitteren Ernst. Inzwischen fand Nathan seine untergeordnete Position gar nicht mehr so schlimm, lächelte fein, und sog Maximes Unterlippe in seinen Mund.
 

„Du hast mich ziemlich überrascht, Süßer. Anscheinend bist du ein kleiner Löwe, kein Kätzchen.“

Zärtlich knabberte Nathan an dem süßen Fleisch und ließ seine Hände unter dem Bademantel verschwinden. Wie er vorhin schon vermutet hatte, fühlte er dort keinen störenden Stoff, sondern nackte, heiße Haut.
 

„Und du bist doch nicht so verrückt, wie ich dachte“, gestand Maxime und keuchte hemmungslos auf. Dass sie nicht alleine waren und Scarlett eine Etage tiefer saß, machte das Ganze noch viel spannender. Mittlerweile hatte sich sein Keuchen in ein richtiges Stöhnen verwandelt. Die kühlen Finger auf seiner erhitzten Haut waren der Oberwahnsinn!
 

„Wie süß deine Stimme klingt, wenn du stöhnst.“ Nathan leckte ein letztes Mal über Maximes Lippe und entließ sie dann in die Freiheit. Als er einen Blick nach oben richtete, konnte er ein Grinsen nicht länger unterdrücken. „Machst du das öfters? Gehst du häufig mit wildfremden Männern ins Bett?“
 

„Tzz! Ganz sicher nicht!“ Maxime griff nach Nathans Händen und drückte sie bestimmend in seinen pochenden Schoss. „Spürst du das hier? Ich platze gleich, wenn du mich nicht bald befriedigst. Komm schon, Nathan, ich möchte, dass wir beide gleich eine Menge Spaß miteinander haben.“
 

Das ließ sich Nathan natürlich nicht zwei Mal sagen. Grinsend presste er die Lippen auf Maximes Kinn und murmelte: „Alles, was du willst.“
 

*xXx*
 

Die Luft im Raum war hart und verbraucht. Maxime war erschöpft, aber der Drang nach Sauerstoff war stärker als die Schwäche. Schließlich schwang er seine langen Beine aus dem Bett und torkelte benommen zum Fenster. Rasch zog er es auf und atmete tief die frische kühle Abendluft ein.
 

Was für eine Nacht, schoss es dem Jungen durch den hämmernden Kopf. Schmunzelnd betrachtete seine Arme und zugleich verschwand das Lächeln wieder. Sie waren zerkratzt und von Bissen übersät!
 

„Dieser Mistkerl...“, grummelte Maxime und streichelte seine Haut vorsichtig mit den Fingerspitzen. Sofort zuckte er unter der jähen Berührung zusammen. Von dem Sex mit Nathan war er immer noch ganz aufgewühlt. Eigentlich wollte er die letzten Stunden schon lange geschlafen haben, aber sein Gedankenkarussell drehte sich einfach immer weiter.
 

Nathan. Dieser beschissene Bastard. Der Kerl wollte seine Mitbewohnerin umbringen und Maxime war nichts Besseres in den Sinn gekommen, als mit ihm in die Kiste zu steigen? Im Nachhinein war man bekanntlich immer schlauer. Nun würde Maxime nichts lieber tun, als seinen Kopf gegen die nächstbeste Wand zu schlagen.
 

Wie oft sie miteinander geschlafen hatten? Einmal? Von wegen! Sie hatten es nicht nur einmal getan, Nathan hatte ihm in den vergangen 2 Stunden mehr als 3 Orgasmen beschert. Der Sex war super gewesen, das konnte Maxime beim besten Willen nicht bestreiten, aber solche Sachen sollte man doch nicht mit seinem... Arg!...Feind machen!
 

Langsam taumelte der Rosahaarige zurück zu seinem Bett und ließ sich mit dem Gesicht nach vorne in das Kissen sinken.
 

Igitt. Es roch immer noch nach dem Kerl. Wahrscheinlich musste er es Morgen in den Mülleimer schmeißen. Angewidert schleuderte Maxime das Ding aus seinem Bett und hörte zugleich das leise Rascheln von Papier. Es war ein kleiner Zettel mit einer langen Zahlenreihe, der da gerade auf den Boden segelte.
 

Verflucht... Der Mistkerl hatte auch noch die Dreistigkeit besessen und ihm beim Abschied seine Handynummer in die Hand gedrückt und etwas von einem „nächsten Mal“ gefaselt. Ein langer Kuss auf die Lippen sollte seine Worte wohl unterstreichen, danach war Nathan auch schon mit einem breiten Grinsen im Gesicht verschwunden.
 

Als Maximes Gedanken allmählich ruhiger wurden und er fast in das Traumland eintauchte, drang plötzlich ein scharfes, hohes Piepen an seine Ohren. Mit weit aufgerissenen Augen schoss Maxime in eine aufrichte Position.

Er wusste nicht mehr genau, wo er sein Handy das letzte Mal gesehen hatte, doch plötzlich entdeckte er ein schwaches Leuchten am Fußende des Bettes. Da war das Ding also geblieben! Sofort stützte sich Maxime auf das Höllenteil und ließ die laute Musik verstummen.

Oh Gott! Wenn er Scarlett und Yukiko aufgeweckt hatte, konnte er sich morgen Früh wieder eine Strafpredigt anhören,
 

Eigentlich wollte Maxime sein Handy auf dem direkten Weg im Nachttisch verschwinden lassen, aber dann hielt er plötzlich inne. Nanu? Die Nummer auf dem Display hatte er doch schon mal gesehen!

Noch bevor sich sein Gehirn einen Reim auf die Nummer machen konnte, fing das Ding schon wieder an in voller Lautstärke zu summen. Diesmal war es ein digitales Briefchen, was da vor seinen Augen erschien.
 

Erst dachte er an Raphael, der sich wegen vorletzter Nacht an ihm rächen wollte, oder an Charlotte, die mal wieder einen Albtraum hatte und jemanden zum Reden brauchte. Doch es war keiner von seinen besten Freunden. Als Maxime den Namen am Ende der Nachricht las, blieb sein Herz vor Schreck fast stehen.
 

An Maxime:
 

Denk an meine Worte, Kleiner; sag deiner Mitbewohnerin, dass sie aus Bergedorf verschwinden soll! Möglichst bald. Hier ist nicht der richtige Ort für ein Wesen, wie sie.

Die Kreaturen, die hier leben stehen allesamt unter meinem Befehl und sie verletzen keine Menschen. Ich lasse es nicht länger zu, dass das Nemesis-Weib meine unschuldigen Untertanen tötet.

Aber wenn Sie unbedingt einen Sündenbock haben will, bitteschön! Dann soll sie doch in den Wald gehen. Mit der Dämonenfamilie kann sie sich ruhig anlegen, das juckt mich nicht. Mal sehen wer am Ende noch gradesteht. Die Familie oder deine Freundin? Auf jeden Fall wird das ein interessanter Kampf werden. Es ist schon eine Weile her, dass Lichtgestalten und Schattenkreaturen gegeneinander gekämpft haben...
 

Dein König, Nathan
 

„Wie kommt der Assi an meine Nummer?!“, murmelte Maxime gedankenverloren und las die SMS gleich nochmal. „... Nanu, was für eine Familie?“
 

Aber nein, seine Augen hatten sich nicht vertan. Da stand tatsächlich das Wort >Dämonenfamilie< Okay, ganz ruhig, redete er sich selbst ein, das ist sicher ein Synonym für eine schreckliche Familie, die dort im Wald wohnte.
 

Natürlich war Nathan auch kein richtiger König. Eher ein gestörter Psychopath.
 

Aber die Sache mit den Dämonen klang sonderbar. Und lächerlich! Dämonen waren Fabelwesen! Es gab keine Monster. Nur Angst, und verschiedene Krankheiten, die solche „Monster“ in ihrer Präsenz stärkten.
 

Oder wusste Nathan mehr als er?



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