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Eiskalte Blicke

von

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Erwachen

Eigentlich erinnerte sich Seto Kaiba nie an das, was er nachts träumte. Er hatte auch nie darüber nachgedacht, da es ihm nicht wichtig genug erschien und er zumal keine Zeit mit diesem esoterischen Quatsch vergeuden würde.
 

Als er und Mokuba noch im Heim gelebt hatten, hatte er viel geträumt, – nicht nur, wenn er schlief – doch nachdem sie adoptiert wurden und in ein neues Zuhause umgezogen waren, wurden die Nächte immer kürzer und Träumen wurde zu einer langsam verblassenden Erinnerung, die Kaiba wie alles Vergangene abgeschüttelt und verdrängt hatte.
 

Mit dem Einzug in die Kaiba-Villa kamen die Schlafprobleme, dass sie in den vergangen Jahren zu einer gewohnten Begleiterscheinung geworden waren, die für Kaiba jedoch keine Auswirkungen auf seine Leistungen hatten. Natürlich wusste er, worauf sein Schlafmangel zurückzuführen war: er arbeitete zu viel und verbrachte selbst seine freie Zeit mit Geschäften oder dem Weiterentwickeln seiner holographischen Erfindungen.
 

Eigentlich wollte der junge Firmenchef auch keine Zeit zum Ausspannen haben. Freizeit bedeutete für Seto Kaiba, an Leistungen abzubauen. Solch ein Gedanke kam für ihn gar nicht in Frage, darum saß er lieber hinter einem seiner Schreibtische und arbeitete.
 

Doch diese Nacht träumte Kaiba – noch nie war ihm ein Traum so stark und intensiv im Gedächtnis geblieben: Er stand am Waldweg und schaute sich nach allen Seiten um – hektisch suchten seine Augen nach etwas.

„Seto!“, drang aus dem Wald die Stimme seines kleinen Bruders.

„Wo bist du, Mokuba“, schallte es von dem Älteren zurück.

„Hilf mir, großer Bruder“, rief Mokuba, dass Seto für Sekunden das Herz stillstand. Mit ausgestreckten Armen rannte er in den Wald, immer wieder nach seinem kleinen Bruder rufend, dessen Stimme sich mit jedem Mal weiter von ihm entfernte. Aber Seto rannte weiter, keuchte und schrie „Wo bist du?“ bis er merkte, dass keine Antwort mehr kam. Wie erstarrt blieb er stehen und sah mit leerem Blick durch die Bäume hindurch. Hinter einer Eiche trat eine zierliche Gestalt hervor, deren Körper von langen blau-weißen Haaren umrahmt wurde. Kaori – seine blau-weißhaarige Schönheit – kam langsam auf ihn zu, wie eine Waldnymphe schwebte sie leichtfüßig über den moosigen Boden. Sie trug das Kleid von ihrer ersten Begegnung.

„Wo ist er?“, fragte Seto, als die blau-weißhaarige Schönheit direkt vor ihm stand. Ein eiskalter Blick begegnete ihm. Als sie keine Antwort gab, packte er sie bei den Schultern: „Wo ist er“, schrie er und schüttelte sie als könnte er ihr dadurch die Worte aus dem Mund heraustreiben. Die bleiche Schönheit drehte ihren Köpf und deutete stumm nach links. Seto tat es ihr gleich und blickte in einen grellen weißen Lichtstrahl. Blinzelnd erkannte er die Umrisse zweier großer blau-weißer Flügel, die sich in sanften Schwingen auf und ab bewegten, dass eine sanfte Brise über sein Gesicht wehte, wie eine Liebkosung sein Haar streichelte und den Herzschlag im gleichmäßigen Takt weiter schlagen ließ.
 

Langsam erwachte Kaiba aus seinem Traum. Er schlug die Augen auf; die grelle Mittagssonne schien ihm direkt in die Augen, dass er sie nur mühsam offen halten konnte. Etwas angenehm Kühles fuhr durch seine Haare, massierte seine Kopfhaut, ließ ihn für kurze Zeit entspannen und den Albtraum vergessen. Kaiba ließ es geschehen, bis ihm bewusst wurde, dass er gar nicht mehr schlief, diese Berührungen echt waren. Erst jetzt bemerkte er, dass sein Kopf auf einem Schoß gebettet war, er spürte den samtenen Stoff des Wickelkleides und fuhr augenblicklich hoch.

Kaori
 

Die blau-weißhaarige Schönheit ließ ihre Hände auf den Schoß sinken. Mit stählernen blauen Augen sah sie den jungen Firmenchef an; der eiskalte Blick, den sie letzte Nacht abgelegt hatte, war zurückgekehrt, dass Kaiba das Gefühl hatte, ihn jetzt ums stärker auf seinem Gesicht zu spüren. Die Szenen des Traumes spielten sich in Sekundenschnelle vor seinem geistigen Auge ab. Mit derselben Intensität begegnete er ihrem Blick, packte sie an den Handgelenken und drückte ihren Körper aufs Bett zurück. Kein wenig überrascht hielt sie seinen Blicken stand, als hätte sie nur darauf gewartet von Kaiba dominiert zu werden.
 

„Immer wieder dasselbe mit dir“, sagte er, während seine Augen denen seiner blau-weißhaarigen Schönheit Paroli boten.

Sie erwiderte nichts, wusste aber genau, worauf der junge CEO anspielte. Den Kopf zur Seite drehend, wandte sie ihre Blicke von ihm ab. Kaiba war das nicht genug. Er fasste nach dem goldenen Band, das fest zugeschnürt um ihre Hüften lag, hob ihren Körper an und knotete es mit geschickten Fingern auf. Das Wickelkleid verlor seinen einzigen Halt und öffnete sich ein wenig, dass die eine Hälfte ihres Oberkörpers so weit frei lag, um dem jungen Firmenchef einen schüchternen Einblick zu gewähren. Er schmunzelte und vergaß für einen Moment den ruhelosen Blick seiner bleichen Schönheit, die mit schneller schlagendem Herzen abwartete, wie es weiterginge.

Mit Daumen und Zeigefinger hielt Kaiba das Band an beiden Enden fest und beugte sich langsam zu seiner blau-weißhaarigen Schönheit herunter.

„Kopf gerade halten“, ordnete er an. Dann verband er ihr die Augen, zog das Band stramm und knotete es schließlich fest genug, dass es nicht verrutschen konnte.
 

Genauso wollte er sie haben
 

Wollte sie ihn auch genau so? Der Gedanke kam ihm zum ersten Mal und er schalt sich für diese Frage, die doch eigentlich nicht von Nöten war.

Eigentlich...
 

Und eigentlich wollte sich Kaiba auch nicht an das Geträumte erinnern.

Früher hatten ihn grauenhafte Albträume geplagt, die an die Zeit im Kinderheim erinnerten und ihn tagelang Angst eingejagt hatten, dass er die darauffolgenden Nächte nicht einschlafen wollte. Kaiba wusste genau, dass die Träume ein Teil seines Ichs widerspiegelten (esoterischen Unfug hin oder her), das er durch die Beschäftigung mit seiner Firma erfolgreich verdrängen konnte. Aber was in seinen Träumen geschah, konnte er nicht kontrollieren und so arrangierte er sich damit, spät Nachts heimkehrend in sein Schlafzimmer zu wandern, den Laptop einzuschalten und solange vor dem Bildschirm zu sitzen, bis er irgendwann den Drang verspürte einzuschlafen.
 

Jetzt schien alles anders. Er war in dem Schoß einer wunderschönen, geheimnisvollen Frau aufgewacht, nachdem ihm ein schrecklicher Traum heimgesucht hatte. Kaiba musste an seinen Bruder denken, an Mokuba, der vermutlich in seinem Zimmer saß und Trübsal blies. Er kannte den kleinen Schwarzhaarigen gut genug, um zu wissen, dass die Traurigkeit größere Spuren hinterließ als seine Wut, die ihn stampfend ins Schlafzimmer marschieren und die Tür direkt vor seinem großen Bruder zuknallen ließ.

Er fasste den Entschluss, nachdem er die blau-weißhaarige Schönheit zur Tür begleitet hätte, seinen kleinen Bruder aufzusuchen und die Missverständnisse aus dem Weg zu räumen (obwohl er noch keine Idee hatte, wie er es anstellen sollte).
 

Kaiba und die blau-weißhaarige Schönheit standen wieder in der Eingangshalle. Sie hatten auf dem Weg dorthin kein einziges Wort miteinander gewechselt. Dem jungen Firmenchef, dem es sonst nicht an Schlagfertigkeit fehlte, wusste einfach nicht, was er sagen könnte.
 

Was Kaiba wissen wollte, brachte er einfach nicht über die Lippen; viele offene Fragen, von denen er nicht wusste, wie er sie stellen sollte.
 

„Wie verabschiedet man sich richtig?“, hauchte Kaori, die ihn mit einem Funkeln in den Augen betrachtete, als durchforschte sie das Innerste seiner Gedanken. Kaiba zuckte mit den Schultern.

„Nun“, begann er und erwiderte ihren Blick, der ihr verbieten sollte, weiter in seinem Kopf einzudringen, „ich kläre am liebsten erst den geschäftlichen Teil.“

„Das habe ich gemerkt.“
 

Er zückte aus der Innentasche seines Mantels einen Scheck mitsamt Kugelschreiber heraus.

„Drei Tage – das macht sechs Millionen“, murmelte er und kritzelte die entsprechende Summe auf das vorgefertigte Stück Papier. Dann unterzeichnete er mit geschwungenen Buchstaben und hielt ihr den ausgestellten Scheck hin. Sie nahm ihn zwischen ihre schmalen Finger, faltete ihn zur Hälfte und wandte sich anschließend wieder dem jungen Firmenchef zu. Dieser sah drehte sich um und deutete auf die Eingangstür.

„Ein Wagen steht am Eingangstor für dich bereit. Roland wird dich zum Tor begleiten.“

Sie nickte. „Dann auf Wiedersehen...Kaiba.“

„Bestimmt“, entgegnete er, dabei beobachtete er, wie seine blau-weißhaarige Schönheit aus der Tür schritt. Sie drehte sich kein einziges Mal um, und der mächtige Firmenchef fragte sich, warum es ihn nicht kalt ließ.

Schließlich schloss Raphael die Tür, die blau-weißhaarige Schönheit war verschwunden.
 

„Ist sie gegangen?“ Die Stimme hinter Kaiba erschreckte ihn, dass er kurz zusammenzuckte.

„Mokuba“ Kaiba drehte sich zu seinem kleinen Bruder um. Sofort fielen dem Größeren die tiefen Augenränder auf, die den kleinen Schwarzhaarigen wie ein Schluck Wasser aussehen ließen.

„Mokuba, ich-“, setzte Seto an und wurde von seinem kleinen Bruder unterbrochen.

„Ist schon gut, Seto.“ Ein tiefes Seufzen drang aus dessen Kehle. „Ich hätte nicht so wütend auf dich sein dürfen. Schließlich geht es mich nichts an, mit wem du dich triffst.“

Der Ältere schüttelte den Kopf. „Denk nicht so was, kleiner Bruder.“ Er kniete sich vor dem Schwarzhaarigen, der mit hängendem Kopf vor ihm stand.

„Es tut mir leid, dass ich dir weh getan habe, Mokuba. Ich wollte nicht, dass du dir Vorwürfe machst. Es ist nur so“, Seto sammelte seinen Gedanken, „Ich wusste nicht, wie ich es dir erzählen sollte. Zur Zeit laufen die Dinge nicht so, wie ich sie geplant hatte – nicht nur in der Firma.“ Er setzte eine Pause ein, weil es ihm sichtlich schwer fiel, die richtigen Worte zu finden. Mokuba merkte die Unsicherheit seines Bruders, die er nur selten bei Seto erlebt hatte und hob den Kopf, dass Seto schließlich weitersprach: „Du bist der einzige, dem ich vertraue, Mokuba. Vergiss' das nicht.“

„Das weiß ich“, murmelte der Kleinere, „in letzter Zeit hast du dich irgendwie verändert, dass ich mich gewundert hatte, warum ich nicht wusste, was der Grund für dein komisches Verhalten ist.“

„Ich weiß ja selbst nicht so genau, was der Grund ist.“

„Hä?!“, blinzelte ihn Mokuba an, „das liegt doch klar auf der Hand.“ Aber Seto hob abwehrend den Arm. „Mokuba, ich habe dir schon gestern klar gemacht, dass sie nicht meine Freundin ist.“ Ein mulmiges Gefühl beschlich ihn, als er das Wort aussprach. Es klang aus seinem Mund unwirklich und fremd.

Mokuba verdrehte spielerisch die Augen. „Ja ja, hab schon verstanden.“ Der kleine Schwarzhaarige begann zu Lächeln, dass Kaiba ganz warm ums Herz wurde, als er in die sanftmütigen Augen seines Bruder blickte.
 

Mokuba war ihm immer das wichtigste im Leben gewesen - und er beabsichtigte, daran nichts zu ändern. Es gab niemandem, dem er mehr Vertrauen schenkte als seinem jüngeren Bruder, der immer auf seiner Seite gestanden hatte; egal, wie schwierig die Zeiten gewesen waren.

Insgeheim bewunderte er den Jüngeren für seine unerschrockene loyale Art, von der Seto wusste, dass sie nicht immer verdient war.
 

Die Muskeln des großen Bruders entspannten sich, als sich – ganz selbstverständlich – die Arme des Jüngeren um ihn schlangen, dass die schwarzen Haare wie ein flauschiges Kissen auf seinem Hals legten. Kaiba erwiderte zaghaft die Umarmung seines kleinen Bruders, da er Berührungen dieser Art nur selten zuließ – eigentlich nur gegenüber Mokuba, dem manchmal das Gefühl ereilte, seinen großen Bruder in die Arme zu schließen.
 

„Seto?“, murmelte der Schwarzhaarige, ohne von seinem älteren Bruder zu lassen, „du brauchst dir keine Gedanken darum machen, warum du dich verändert hast.“ Überrascht sah Seto zu dem Kleineren herunter.

„Ich glaube, es ist ganz gut so, wie es gerade ist. Es wäre nur ganz nett, wenn du mich nicht die ganz ignorieren könntest, wenn ich dich was frage. Auch wenn du vielleicht nichts für deine Tagträume kannst.“ Etwas Neckendes lag in der Stimme seines jüngeren Bruders. Er löste sich von der Umarmung und sah den Älteren mit seinen großen grauen Augen an. „Sag mal“, begann Mokuba und wurde dabei wieder ernst, „erinnerst du dich wirklich nicht daran, dass du schon einmal so durch den Wind warst? Ich meine, so ähnlich.“



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Kommentare zu diesem Kapitel (1)

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Von:  Blaubeere20
2015-04-22T19:37:18+00:00 22.04.2015 21:37
Hi :3

Also, ich denke, Kaiba entwickelt GAAAAAANZ langsam Gefühle für Kaori :D
Ich meine... er hat sich zum ersten Mal vorgestellt, wie SIE ihn gerne hätte.
Und es scheint ihn beschäftigt zu haben, weshalb sie sich kein einziges Mal umgedreht hatte.

Wahrscheinlich fühlt es sich gut für ihn an, nicht ganz so einsam zu sein. Jemanden zu haben, der sich für ihn interessiert. Auf eine ganz spezielle Art und Weise, aber trotzdem.

Bin gespannt, wie es weitergeht!
<3


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