Sieben Männer und ein Rätsel
Akatsuki
Für einen Außenstehenden, der die Erlaubnis bekäme, an einer Sitzung der Organisation teilzunehmen, gäbe es viele Anlässe, sich zu wundern.
Sieben Gestalten hockten in kreisförmiger Anordnung auf dem schmutzigen Boden einer Höhle und starrten alle einvernehmlich in dieselbe Richtung, nämlich in die des hinteren Teils, der vom flackernden Licht der Kerze nicht erhellt wurde.
Anhand ihrer Kleidung waren sie nicht zu unterscheiden, schwarze Kapuzenpullis mit einem wolkenförmigen Symbol und gleichfarbige Hosen schienen eine Art Uniform darzustellen.
Jemand räusperte sich, ein Geräusch, was unangenehm laut von den Wänden widerhallte.
„Ich hasse es zu warten.“
Dieser Kommentar kam aus dem Mund eines Mannes, der mehr als einen halben Kopf kürzer war als die anderen. Man hätte ihn für ein Kind halten können, besäße er nicht die autoritäre, tiefe Stimme eines Erwachsenen.
„Wenn er nicht gleich hier auftaucht, jage ich irgendetwas in die Luft“, pflichtete ihm sein Sitznachbar bei, dessen blonde Haare unter der Kapuze hervorlugten.
Gerade setzte derjenige, der zuerst gesprochen hatte, zu einer spöttischen Bemerkung an, da erfüllte ein scharfes Zischen die Höhle. Die Köpfe wandten sich in Richtung desjenigen, der es ausgestoßen hatte. „Er kommt“, erklärte der Mann bloß und setzte die Kapuze ab, als sich das achte Mitglied der Gruppe in den Kreis einfügte.
Nacheinander taten es die anderen ihm gleich.
Zum Vorscheinen kamen die unterschiedlichsten Mienenspiele und Frisuren, nur das Antlitz desjenigen blieb bedeckt, der als Anführer behandelt wurde. Zusätzlich zu dem verhüllenden Kleidungsstück trug dieser nämlich noch eine Gesichtsbedeckung aus Plastik, welche eine Theatermaske mit einer traurigen Grimasse inklusive skizzierter Träne darstellte.
Er ließ sich beinahe provozierend viel Zeit, bis er das Wort ergriff, worauf alle anderen schon mehr oder weniger geduldig warteten.
„Es wird langsam Zeit, dass wir zu größeren Aktionen übergehen“, begann der Mann mit einer rauchigen Stimme und legte die Hände übereinander in den Schoß.
„Ich habe dieses Treffen einberufen, um euch anzukündigen, dass ich für uns als nächstes Ziel etwas Interessantes auserkoren habe.“
Hätte man sich so dicht an ihn herangetraut, dass die Nasenspitzen nur noch wenige Zentimeter voneinander entfernt gewesen wären, könnte man nun im warmen Schein der Kerze die dunklen Augen in den Löchern funkeln sehen, die in der Maske freigelassen wurden.
Man konnte weder etwas über seine Frisur aussagen, die gänzlich von dem Stoff verdeckt wurde, noch stach seine Statur in irgendeiner Art und Weise hervor. Den anderen Mitgliedern schien seine Geheimniskrämerei um seine Gestalt nichts auszumachen, denn sie konzentrierten sich erst vollkommen auf ihn, als er etwas Ungewöhnliches in Aussicht stellte.
„Wir werden uns für die nächsten zwei Wochen mit der Planung einer Entführung beschäftigen“, erklärte er schließlich ohne jegliche Gefühlsregung oder Betonung, als spräche er über etwas rein Theoretisches wie die Funktionen einer Waschmaschine.
Ehe ein Raunen durch die Reihen gehen konnte, fuhr er schon etwas lauter fort:
„Kakuzu, ich gehe mal davon aus, dass deine letzte Kopfgeldjagd wieder etwas mehr Geld in die Kassen gespült hat…?“
Der Mann ließ das Ende des Satzes fragend in der Luft hängen, damit der Angesprochene sogleich einspringen konnte.
„Jawohl, da haben Sie Recht“, antwortete der mit Abstand Älteste der Runde, der sein spärliches Haar unter einer Art Haube verbarg.
„Gut. Deidara, ich möchte, dass du zwei Bomben mit der höchsten Sprengkraft baust, zu der du in der Lage bist. Lass dir von Kakuzu das nötige Geld geben, um die Materialen zu besorgen. Du weißt, an welchen Händler du dich zu wenden hast.“
Der junge Mann, der sich bereits zuvor über den Wunsch nach Explosionen geäußert hatte, rieb sich voller Vorfreude die Hände. „Kein Problem. Ich werde es ordentlich krachen lassen.“
„Euch anderen werde ich später in Einzelgesprächen die Details erläutern“, fuhr der Anführer fort, der offenbar weder positiven noch negativen Reaktionen irgendeine Bedeutung beimaß und sich stattdessen an die Person wandte, die ihm am nächsten saß.
Es handelte sich um die einzige Frau der Runde, die eigentlich viel zu sanft und zurückhaltend wirkte, um bei einer Versammlung von Attentätern dabei zu sein. Ein paar Strähnen ihrer extravaganten blauen Haare, die ihr bis zu den Schultern fielen, wurden von einer Blüte zusammengehalten. Diese hätte ihr etwas Kindliches verleihen können, wären da nicht die reifen Gesichtszüge gewesen, die sie grundsätzlich gelangweilt aussehen ließen.
„Du weißt, was du zu tun hast“, meinte der maskierte Mann nur und nickte ihr bedeutungsvoll zu.
Ohne ein weiteres Wort zu verlieren, erhob sich die Frau und huschte in Richtung des Ausgangs der Höhle.
„Wo will Konan hin?“, erkundigte sich ein Mitglied mit entschieden zu viel Gel im Haar und beinahe violett leuchtenden Augen, von denen man nicht sagen konnte, ob der Eindruck aufgrund Kontaktlinsen zustande kam oder natürlichen Ursprungs war.
„Das hat mit dir nichts zu tun, Hidan“, fertigte der Anführer ihn ab und neigte leicht den Kopf, während er seine behandschuhten Finger betrachtete. „Du bekommst eine andere Aufgabe.“
Nach einer kurzen Pause, in der man nur das entfernte Tröpfeln des Regens hören konnte, griff er in seine Manteltasche und holte zwei laminierte Fotos heraus, der er mit einem lässigen Schwung in die Mitte warf. Mit einem leisen Geräusch landeten sie auf dem erdigen Boden.
„Wer ist das?“, fragte Deidara und beäugte den Mann und die Frau älteren Jahrgangs, die darauf zu sehen waren. Die anderen hielten sich zurück und hoben höchstens unaufällig die Augenbrauen.
„Homura Mitokado und Koharu Utatane. Die engsten Berater des Präsidenten und unsere Entführungsopfer.“
Sakura
Es kam ausgesprochen selten vor, dass sie nicht schlafen konnte, doch diese Nacht war es wieder einmal so weit.
Abwechselnd hatte sie die Decke vom Bett heruntergestrampelt und sich wieder hineingemummelt, doch sie konnte einfach keine bequeme Lage finden, die es ihr ermöglichen würde, endlich einzuschlummern.
Als ihr Handy drei Uhr morgens anzeigte, gab sie schließlich auf und beschloss, die Zeit dann wenigstens für etwas Nützliches zu gebrauchen.
Sie knipste ihre Schreibtischlampe an und zog sich einen bequemen Stuhl heran, um die Unterlagen noch einmal genauer durchzusehen, die ihr am vergangenen Tag ausgehändigt worden waren.
Die Akten enthielten nicht viele Informationen, lediglich Bilder, Namen und Alter der Personen, aber bereits über dieses Material wunderte Sakura sich. Wie war die Polizei daran herangekommen?
Selbst wenn sie nicht dort gearbeitet hätte, wäre ihr Akatsukis Organisation ein Begriff gewesen. Hin und wieder tauchte die Gruppe in den Abendnachrichten auf, wenn sie wieder einmal aus Protest ein Gebäude gesprengt oder einen Überfall begangen hatten. Niemand konnte sich so recht erklären, worauf die Kriminellen aus waren, doch die Anschläge verfehlten ihre Wirkung nicht. Die Regierung zeigte sich zunehmend beunruhigt und verschärfte die Methoden, sie dranzukriegen. Zwei konnte man fassen, doch da man ihnen aufgrund fehlender Beweislast nichts nachweisen konnte, musste man sie zu allem Unglück wieder laufen lassen.
Sakura seufzte, als sie ein Gesicht näher in den Augenschein nahm. Sie hatte schon geahnt, dass die abgebildete Person keine unbekannte für sie sein würde, noch bevor sie überhaupt den Namen gelesen hatte.
Itachi Uchiha.
Der Grund, weshalb Sasuke seine Blätter aus den Händen geglitten waren.
Es war ihr zwar bekannt, dass Sasukes Bruder als Spitzel von der Polizei eingesetzt wurde, doch ihr war nicht bewusst gewesen, dass er sich ausgerechnet Akatsuki anschließen musste. Natürlich bedrückte es seinen jüngeren Bruder, dass sein letzter lebender Verwandter deswegen seit zwei Jahren nicht mehr zu Hause und er wiederum ganz auf sich allein gestellt war. Itachi wollte er nicht auch noch verlieren, weswegen er sich immer wieder damit beruhigt hatte, dass er wohl in keine gefährliche Gruppe eingeschleust worden war. Zumindest hätte sich Sakura das an seiner Stelle eingeredet. Die Tatsache, dass er nun in den Unterlagen von Akatsuki enthalten war, zerstörte diese Hoffnung natürlich.
Sasuke hatte sich große Mühe gegeben, seinen Zorn herunterzuschlucken. Es nutzte nichts, sich über die vereinbarten Einsätze der Polizei aufzuregen. Er wusste, was auf dem Spiel stand.
Auch Sakura wusste das, dennoch sorgte sie sich um den Gefühlszustand desjenigen, in den sie verliebt war. Er sprach nicht darüber, so wie er es früher schon nicht getan hatte, aber in einem Moment der Unachtsamkeit konnte er nicht verhindern, dass ihm ein verräterischer Ausdruck über das Gesicht huschte.
Mit einem Grummeln im Bauch blätterte sie weiter.
Ein unbestreitbar attraktives Gesicht blickte ihr mürrisch entgegen. Braune Augen, rote Haare und eine jungenhafte Mimik sprachen sie an, doch als ihr Blick auf sein Alter fiel, verschluckte sie sich beinahe an ihrer Spucke. So alt hätte sie diesen Sasori definitiv nicht eingeschätzt.
Die Seiten über Deidara, Kakuzu, Hidan und Nagato überflog sie lediglich. Kurz blieb sie bei Konan hängen und fragte sich, was eine Frau wie sie dazu veranlassen konnte, sich Akatsuki anzuschließen. Außerdem fiel ihr etwas an den drei Piercings auf, die sie im Gesicht trug und sie gefährlicher aussehen ließen, als ihre zarte Gestalt es vermochte. Nachdenklich legte Sakura das zuvor übersprungene Foto Nagatos daneben.
Ohne Zweifel trugen sie ihre Piercings an den gleichen Stellen. Merkwürdig.
Achselzuckend wollte sie sich dem letzten Mitglied zuwenden, doch dann erinnerte sie sich daran, dass keine nennenswerten Daten über ihn existieren, wie das fette Fragezeichen verdeutlichte.
Er war und blieb ein großes Rätsel, das sie zweifellos aufzuklären hatten.
Kurz überlegte das Mädchen, welche ihre Eltern im Nachbarzimmer leise schnarchen hörte, ob sie Sasuke noch eine aufmunternde Nachricht schicken wollte, verwarf die Idee aber gleich wieder. Es war schon spät, sie wollte ihn nicht wecken. Sie sollte lieber noch einmal versuchen, ob sie vielleicht jetzt endlich einschlafen könnte.