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Ich bin müde

Die Rückkehr
von

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Ich bin müde

Die Sonne empfing die Helden in ihren frisch polierten Rüstungen noch vor den ersten Bauernkindern, die hin- und hergerissen zwischen Neugier und Scheu die heimkehrenden Ritter beobachteten. Gil lächelte einem Mädchen zu, das sich bis auf 50 Meter heranwagte. Es starrte ihn an. Dann besann sie sich scheinbar, schlug die Augen nieder, machte einen hastigen Knicks und rannte schnell zu ihren Freunden zurück. Das Lächeln hatte Gil Kraft gekostet, aber jetzt breitete es sich von selbst auf seinem Gesicht aus. Ein gutes Gefühl, nach Hause zu kommen.

Genau dafür machte er all das: Damit Kinder wie dieses Mädchen Ritter nur als Kuriositäten aus Märchen und Geschichten kannten. Ritter waren Helden. Sie zogen aus, um Bedrohungen aller Art zurückzuschlagen, und kehrten irgendwann siegreich zurück. Das Lächeln wurde wieder schmerzhaft und Gil versuchte, sich mit dem Panzerhandschuh die Schläfen zu reiben. Ein hoffnungsloses Unterfangen. Wie viele waren ausgezogen und kehrten nun nicht mehr zurück... Auch die Ritter, die sie geschlagen hatten, sahen ihre Lieben nicht wieder.

"Erlaucht?"

Gil sah mit erhobener Augenbraue zu Theo zurück. Nach Wochen, in denen er ihn mit seinem verhassten Spitznamen 'Bertl' aufgezogen hatte, war diese förmliche Anrede völlig fehl am Platz. Darüber konnten auch die herausgeputzten schillernden Rüstungen nicht hinwegtäuschen. Alamiert senkte Gil den Panzerhandschuh und nahm den Zügel wieder auf. Tatsächlich, ihnen kam eine Ehrengarde entgegen. Möge das Schauspiel beginnen.

Um Theo zu zeigen, dass er verstanden hatte, wollte er ihm mit der korrekten Anrede für seinen Stand antworten. Gil hatte den Mund schon geöffnet, zog aber die Brauen zusammen und drehte sich schließlich im Sattel um. "Theoderich von Asch, ...Freiherr?"

Theo musste sich sichtlich bemühen, nicht lauthals loszulachen. Sein Gesicht war der nahenden Ehrengarde zugewandt, er musste ernst bleiben. Aber allein die Tatsache, dass ihm danach war, hob Gils Laune. Sie waren wieder zu Hause. Theo brachte seine Mundwinkel wieder unter Kontrolle. "Edler."

"Ach." Gil drehte sich wieder dem Empfangskommitee entgegen. Das hätte er jetzt nicht erwartet. Warum hatte er das nicht gewusst? Ja richtig. Sie hatten sich ja erst auf diesem Kriegszug kennengelernt. Zu einem Zeitpunkt, wo jedem Ränge längst gleichgültig waren. Die Familie von Schloss Asch war ihm nicht geläufig, also hatte er auch den Titel nicht im Kopf. Sie hatten zwar oft von ihren Familien und ihrer Heimat gesprochen, aber formelle Details waren gewiss nicht von Belang erschienen. Das könnte sich in den nächsten Tagen auf der 'Bühne' rächen.
 

Die Ehrengarde war nun nah genug, um ihre Gesichter erkennen zu können. Die Verwirrung darin war nicht zu übersehen. Gil konnte fast schon die Hirne kochen sehen. Ob einer von ihnen wohl wusste, wer er war? Besonders bedeutend war er auf der politischen Bühne nie gewesen. Aber natürlich konnte ein Herold, der etwas auf sich hielt, den Heerführer der königlichen Armee nicht nach seinem Namen fragen.

"Erlaucht, Eure Rückkehr wurde sehnlichst erwartet. Willkommen zu Hause!" Mit einer gekonnten Verbeugung zu Pferde rundete er die knappe Begrüßung ab. Ein Unbekannter wie Gil war wohl keine weiteren Anstrengungen wert.

"Habt Dank für den freundlichen Empfang." Gil übersah den hochnäsigen Herold geflissentlich und musterte dessen Eskorte. Alternde Recken und Kinder. Die Stadtgarde befand sich nicht gerade auf dem Höhepunkt ihrer Stärke. Was war passiert?

Die Sorge wurde von Überraschung erhellt, als Gil ein bekanntes Gesicht entdeckte. "Herzog Johannes von Arn! Es ist eine Ehre, von Eurer königlichen Hoheit höchst persönlich empfangen zu werden." Gil verneigte sich tief vor seinem überrascht aussehenden einstigen Mentor. "General der Stadtgarde, wie Wir sehen. Wir gratulieren." Ja um Himmels Willen! Ein HERZOG zur STADTGARDE abkommandiert! Also entweder war er in Ungnade gefallen oder sein Land war abgebrannt. Aber selbst dann blieb es ein starkes Stück. So konnte man einen Herzog nicht behandeln. Und erst recht keinen wie Hannes.

"Graf Gilbert von Buchenwald. Ich muss gestehen, Euch hätte ich nicht in dieser Position erwartet."

'Ich', nicht 'Wir'? Es schien ihm nicht einmal aufzufallen, dass er von sich nicht in der Mehrzahl gesprochen hatte. Das roch nach Ungnade.

"Nicht dass ich es Euch nicht zugetraut hätte", fügte Hannes rasch hinzu.

Gil zügelte sein ungeduldiges Streitross. "Die Bemühungen Unseres Mentors tragen wohl endlich Früchte, königliche Hoheit."

Hannes erkannte die Frage, die in der Betonung mitschwang. Gil sah es an seinem Blick. Doch bevor er noch mehr daraus lesen konnte, senkte der alte Mann ihn. "Ihr überschätzt meinen Einfluss, Erlaucht. Was meinen Titel angeht... 'Durchlaucht' sollte genügen."

Es hätte nicht viel gefehlt, da wäre Gil die Kinnlade runtergeklappt.

Seine Gesichtszüge schienen ihm genügend entgleist zu sein, dass der alte Recke es bemerkte. Hannes schmunzelte. "Es gibt viel zu erzählen. Wenn Ihr noch keinen Platz zum Übernachten habt, dann kommt doch nach den Feierlichkeiten in mein Haus. Es ist sehr bescheiden, aber es wäre mir eine Ehre."

Moooooooooment.

"...es gibt... wirklich viel zu erzählen." Das Schmunzeln war verschwunden. Hannes wich seinem Blick wieder aus.

Gil spürte, wie sein Gesicht kreidebleich wurde. Erst als er die Panzerhandschuhe leise klimpern hörte, merkte er, dass seine Hände zitterten. Er zwang sie zur Ruhe. "Gewiss." Seine eigene Stimme schien von weit her zu kommen. Ein Teil von ihm war stolz darauf, wie ruhig und gefasst sie klang. Dem Rest von ihm war das völlig gleichgültig. Er wollte Hannes ausfragen, jetzt auf der Stelle. Warum sagte er nicht, dass seine Schwester sich freuen würde? Sie sollte sich immer noch unter der Obhut des Herzogs befinden. Zum Heiraten war Laura noch zu jung. Wo war sie? Und warum brauchte er einen Platz zum Übernachten? Wo war Aurelia? Wo war seine Frau?! Sie wollte in der Villa in der Stadt auf ihn warten! Er sollte keinen Platz zum Übernachten brauchen! Sein Platz war bei Lili und seinem Sohn! Warum sagte ihm Hannes nicht, dass er sich keine Sorgen zu machen brauchte? Warum sah er so betreten weg? Der stolze Herzog!

Gil hörte nicht, was der Herold sagte, dessen Stolz er durch die Unterhaltung verletzt hatte. Es war ihm egal. Theo trieb seine Stute unauffällig an, sodass sie Gils Streitross anstubste, das sich sofort in Bewegung setzte. Vielleicht war es um den Aufbruch gegangen, und das in Bewegung setzen reichte als Antwort. Gil war das gleichgültig. Er versuchte, Hannes' Blick aufzufangen. Der wich ihm erfolgreich aus. Aber er musste ihm doch sagen, dass alles in Ordnung war! Dass Lili in der Villa auf ihn wartete! Dass Leo so groß geworden war, dass Gil ihn nicht wiedererkennen würde! Dass Laura wohlauf war!

Gil war klar, dass Hannes gute Gründe für sein Schweigen haben musste. Aber er hielt es nicht aus. Der Weg zu den Stadttoren schien sich endlos hinzuziehen. Und danach die Parade, die Förmlichkeiten... So lange konnte er nicht warten. Er musste wenigstens wissen, wie es seinem Sohn ging! Er trieb sein Ross zu Hannes. Aber er zögerte. "Leonard...?" Mehr brachte er nicht heraus. Er hatte Angst vor der Antwort.

Hannes sagte nichts. Er trieb sein Pferd an, um den gebührenden Abstand einer Eskorte zu wahren.

Das war schlimmer als jede Antwort, die sich Gil in seiner Sorge ausgemalt hatte. Das durfte nicht sein. Er war es, der der Gefahr entgegengeritten war! Um dessen Leben man hatte bangen müssen! Lili und Leo waren in der sicheren Heimat zurückgeblieben! Gut behütet! In Sicherheit! Das einzige was passieren musste, damit sie sich wiedersahen, war, dass Gil lebend zurückkam! Und diesen Teil der Vereinbarung hatte er eingehalten!!

Gils Streitross fiel wieder zu Theos Stute zurück. Am Rande seines Bewusstseins registrierte er den besorgten und mitfühlenden Blick seines Freundes. Mitfühlend. Es gab nichts, weswegen er Theo Leid tun müsste. Es war alles in Ordnung. Lili wartete auf ihn. Er würde sie auf dem Balkon sehen, oder irgendwo auf den Straßen, gleich bei der Parade. Mit Leo an der Hand. Sie würden ihm zuwinken. Vielleicht würde sich Leo von ihr losreißen und herkommen. Dann würde Gil ihn zu sich auf sein Ross heben und sie ritten gemeinsam zum königlichen Palast. Vater und Sohn. Ja. Darauf konnte man neidisch sein. Mitleid war nicht angebracht. Völlig fehl am Platz.
 

Die Parade war prächtig, wie immer. Der klägliche Haufen Deserteure, den Gil mit Mühe und Not nach Hause hatte retten können, wurde als siegreiches Heer empfangen. Wie immer. Ritter kehrten schließlich immer siegreich zurück. Sie würden es einen 'schmerzhaften Sieg' nennen. Großherzog Pius habe mit seiner letzten Schlacht den Rückzug des restlichen Heeres gedeckt. Ja, das hörte sich doch besser an als 'der größenwahnsinnige Säufer ist komplett übergeschnappt und hat das gesamte Heer in eine offensichtliche Todesfalle geführt, aus der es kein Entrinnen gab, es sei denn, man hat sich vorher aus dem Staub gemacht'.

Gil hätte nicht mehr sagen können, wie er die Situation damals wieder unter Kontrolle hatte bringen können. Er war nur seinem Instinkt gefolgt. Zu der Zeit war er mit Leib und Seele Soldat, da war kein Platz für mehr. Mechanisch hatte er sein Handwerk ausgeführt und das Beste aus der misslichen Lage gemacht. Der einzig menschliche Gedanke, der ihm geblieben war, war: 'Ich muss nach Hause'. Das war alles. Nach Hause zu seiner Frau und seinem Sohn. Zurück zu einer Zeit, in der alles noch in Ordnung war. Ohne diesen Gedanken hätte er es nie geschafft, sich immer wieder aufzuraffen. Immer wieder aufzustehen, den Männern Mut machen und auch in ihnen die Hoffnung wecken, nach Hause zurückkehren zu können. Und er hatte es geschafft. Es waren nicht viele übrig geblieben, aber sie waren zu Hause. Zu Hause bei seiner Frau und seinem Sohn. Seinem persönlichen letzten Rest Menschlichkeit. Seinem Antrieb, dem es zu verdanken war, dass sie nicht in alle Winde zerstreut und jeder für sich gejagt, aufgespürt und getötet worden war. In gewisser Weise hatten Aurelia und Leonard all diese Männer gerettet. Inklusive ihm selbst.

Und jetzt waren sie nicht da.

Immer wieder wies er den Gedanken von sich. Sie waren bestimmt hinter der nächsten Ecke. Vielleicht hatte er sie übersehen, in der jubelnden Menge. Ja, das musste es sein.

Die Parade war prachtvoll, wie immer. Sie war der Abschluss des Kriegszuges, das Signal für die Ritter, dass es überstanden war. Dass sie heimgekehrt waren. Dass sie in ihren Alltag zurückkehren konnten. Sie waren besiegt, aber sie waren zu Hause. Im Winter wurde kein Krieg geführt. Die Normalität konnte wieder einkehren. Dies war das letzte große Fest, bei dem sie alle zusammen waren. Alle, die es geschafft hatten. Dann würden sie sich von ihren Waffenbrüdern trennen und zu ihrer eigenen Familie zurückkehren. Zu ihrer 'anderen' Familie. So wie Gil zu seiner Frau und seinem Sohn zurückkehren würde. Es war vorbei. Alles war wieder gut.

Normalerweise hatte das eine beruhigende Wirkung auf ihn. Er war schon in zwei anderen Kriegszügen mitgeritten. Immer war diese Parade der Schlussstrich unter den Mühen, dem Töten und dem Sterben.
 

Aber nicht heute.

Heute waren sie nicht da.

Sein zu Hause war nicht hier.

Es war nicht vorbei.
 

Er war nicht zu Hause.



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Kommentare zu diesem Kapitel (2)

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Von:  konohayuki
2014-01-25T20:43:33+00:00 25.01.2014 21:43
~Kommentarfieber~

Huhu,

es scheint, als hätte Gil doch noch einmal Glück gehabt. Zumindest hat er es nach Hause geschafft.

>Das roch nach Ungnade.<
So ist das, wenn man aus dem Krieg zurückkommt. Dinge ändern sich. Was da wohl passiert sein mag? Scheint in jedem Fall etwas komplizierter zu sein. Und viel zu erzählen gibt es sicherlich.

>Dass Lili in der Villa auf ihn wartete! Dass Leo so groß geworden war, dass Gil ihn nicht wiedererkennen würde! Dass Laura wohlauf war!<
Uiui, das klingt gar nicht gut. Das er da kein Wort drüber verliert, der Hannes.

Das Ende ist wirklich deprimierend, wie der ganze One-Shot an sich. Man merkt, wie viel Gil es bedeutet hat, nach Hause zu kommen, und die Tatsache das er feststellt, dass er nicht nach Hause zurückkehren kann, weil seine Familie, die ihn angetrieben hat, nicht da ist.

Trotzdem, mir fehlt etwas. Mir fehlt eine Auflösung der Situation, eine Gewissheit darüber, was nun Sache ist. Ich hätte auch gerne noch etwas mehr erfahren darüber, wie sich die Geschichte nun weiterentwickelt und was zwischen dem Ende von "Die Begegnung" und dieser Geschichte hier passiert.
Leider wird dies hier nicht geklärt sondern man bekommt nur einen kurzen Einblick in die Rückkehr.
Schreibtechnisch habe ich nichts zu meckern, dein Stil ist toll, hier habe ich aber das Gefühl, dass du um das Thema herumschleichst und es nur ankratzt. Da hätte ich mir etwas mehr gewünscht.

Liebe Schreibziehergrüße,

konohayuki
Von: abgemeldet
2014-01-21T12:42:05+00:00 21.01.2014 13:42
~ Kommentarfieber ~

Guten Tag,
nein, wie praktisch. "Die Begegnung" habe ich schon gelesen, dann kenne ich ja vielleicht wen aus dieser Geschichte. :)

Ein gutes Gefühl, nach Hause zu kommen.
Ein sehr schön beschriebener Anfang. Keine Ahnung, inwieweit das in der Kurzbeschreibung verlinkte Bild hier einen Einfluss genommen hat (nur die Stimmung oder mehr?), aber das ist auch nicht der Punkt. Der Punkt ist, dass es scheinbar friedlich ist, dass der Kämpfer aufatmen kann, aber dass eine schwere Last auf ihm zu liegen scheint.

Das könnte sich in den nächsten Tagen auf der 'Bühne' rächen.
Der darauf folgende Abschnitt wirkt - zumindest für mich - auf den ersten Block etwas verwirrend. Einerseits hat man die Namen der Charaktere schonmal gehört, andererseits kann man die Person dahinter nicht genau zuordnen. Vielleicht kann ich mich aber auch gerade nicht darauf einlassen oder habe eine entsprechende Stelle überlesen oder nicht richtig registriert.

Und diesen Teil der Vereinbarung hatte er eingehalten!!
Die Verzweiflung kann man in diesem Abschnitt deutlich herauslesen. Es muss sehr viel Kraft kosten, die Ruhe zu bewahren und dem Pferd nicht einfach die Sporen zu geben und persönlich nachzusehen.

An deinem Schreibstil, deinem Ausdruck und deiner Technik habe ich absolut nichts auszusetzen. Es ist ein sehr schöner Text. Das Ende ist ziemlich deprimierend.
Jedenfalls muss ich trotzdem sagen, dass mir das Geschehen ein bisschen zu weit weg ist. Ich möchte danach greifen und kann es nicht. Wie gesagt, wirklich zuordnen kann ich die Protagonisten nicht und eine direkte Aufklärung folgt in diesem Oneshot auch nicht, darum finde ich es etwas schwierig nachzuvollziehen.

Liebe Schreibziehergrüße,
abgemeldet


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