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Last Farewell

von

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Big Apple

Als Seunghyun nach stundenlangem Flug aus dem Fenster sah, erblickte er unter sich die Lichter jener Stadt, nach der ein Teil von ihm sich seit seinem ersten Besuch hier immer gesehnt hatte. Eine unglaublich intensive Vorfreude ergriff ihn und ließ es in seinem Bauch kribbeln, vertrieb die Müdigkeit aus seinen Gliedern. Zum ersten Mal seit Tagen fühlte er sich wieder richtig lebendig. Er hatte bereits von Seoul aus ein Hotelzimmer für die ersten Nächte gebucht. Es war nicht leicht gewesen, so kurzfristig ein Zimmer zu finden, und er hatte einen stattlichen Preis zahlen müssen, doch das war es ihm wert. Hier könnte er vielleicht vergessen, was vorgefallen war, und sich eine neue Existenz aufbauen – ganz unabhängig von Big Bang und YG Entertainment.
 

Eine gute Stunde später trat Seunghyun, mit seiner Tasche über der Schulter und einem Regenschirm in der Hand, aus dem Flughafengebäude hinaus auf die Straße. Es hatte angefangen zu regnen. Den Schirm hatte der Rapper in einem der unzähligen Läden in der Flughafenhalle erstanden, nachdem er einen Blick durch die Glasfront nach draußen geworfen hatte. Nun stand er auf dem verregneten Gehsteig und winkte eines der Taxis zu sich, die am Flughafen warteten. Um ihn herum herrschte trotz später Stunde noch reges Treiben. Doch das war auch einer der Gründe, warum er diese Weltmetropole so sehr liebte. Schick gekleidete, junge Pärchen gingen an ihm vorbei, gefolgt von hochbetagten Damen und gehetzten Geschäftsmännern. Hier, in diesen Straßen, mischten sich verschiedene Herkünfte und verschiedene Lebenswege zu einem einzigen, pulsierenden Strom von Menschen. Eines der Taxis hielt vor ihm an. Er öffnete die Tür und wuchtete sich und seine Tasche auf den abgewetzten Lederrücksitz. Der korpulente, südländisch wirkende Mann am Steuer drehte sich zu ihm um. „Wohin soll's gehen?“, fragte er gut gelaunt. Seunghyun zog den Zettel mit der Adresse des Hotels aus seiner Manteltasche und reichte ihn herüber. Der Fahrer überflog die Adresse und seine Augen weiteten sich kurz, als er den Namen darauf las. Er hatte nicht oft einen Fahrgast, der in eines der besten Hotels der Stadt gefahren werden wollte, und hoffte bereits auf ein stattliches Trinkgeld. „Okay, mir soll es recht sein“, murmelte er nur und setzte seinen Wagen in Bewegung. Während der Fahrt bemerkte Seunghyun, wie er durch den Rückspiegel immer wieder mit neugierigen Blicken bedacht wurde, doch er ging nicht weiter darauf ein – bis der Fahrer zum obligatorischen Smalltalk ansetzte. „Zum ersten Mal hier?“, wollte er wissen. Seunghyun sah aus dem Fenster auf die beleuchteten Straßen.

„Nein“, antwortete er in leicht gebrochenem Englisch. „Ich war schon öfter hier.“

„Woher kommen Sie? Ihr Englisch ist nicht schlecht, Mann.“

„Ist das von Bedeutung? Jetzt bin ich hier und das ist das Einzige, was mich im Moment interessiert...“, knurrte der Rapper. Es war ihm mehr als unlieb, hier irgendjemandem mehr von sich zu verraten, als nötig. Jedenfalls vorerst.

Der Taxifahrer verdrehte kaum merklich die Augen. Noch so ein eingebildeter Schnösel, er hatte es doch gleich gewusst. „Nein, Mann, ist nicht so wichtig“, entgegnete er. „Sie sehen nun mal einfach nicht aus wie ein gewöhnlicher Kerl, da bin ich neugierig geworden.“ Als der Fahrer in den Rückspiegel blickte, sah er seinen Fahrgast kurz grinsen. Fast schon unheimlich, wenn man dank der Sonnenbrille die Augen nicht im Blick hatte.

Schließlich war er froh, als er den merkwürdigen jungen Mann vor dem feinen Hotel absetzen konnte. Er bekam, wie erwartet, ein sattes Trinkgeld und bedankte sich überschwänglich. Die nächste durchzechte Nacht wäre damit schon mal sichergestellt. „Schönen Abend noch!“, rief er hinter dem Kerl her, der nun in Richtung Hoteleingang stiefelte. Er drehte sich nicht einmal mehr zu ihm um. Eingebildeter Schnösel, er hatte es ja gesagt...
 

Die Schiebetür öffnete sich automatisch und Seunghyun trat durch sie hindurch in die hell erleuchtete Lobby des Hotels. An den grauen Wänden wanden sich aus großen Töpfen Kletterpflanzen empor. Von der hohen Decke hin ein großer Kristallglaskronleuchter hinab, dessen Licht sich auf dem polierten, schwarzen Marmorboden spiegelte. Hinter dem Rezeptionstresen saß ein junges, blondes Ding. Die Haare reichten ihr gerade bis über die Ohren, das Gesicht war eindeutig einmal zu viel geschminkt. Ihren schlanken Körper hatte sie in ein enges, schwarzes Kostüm gezwängt. Wie geschmacklos für ein angeblich so hochklassiges Hotel, schoss es Seunghyun durch den Kopf, als er auf sie zuging und vor dem Tresen stehen blieb. Die junge Dame strahlte ihn an. „Guten Abend, Sir! Haben sie reserviert?“ Er nickte. „Choi Seunghyun“ Ihre dünnen Finger huschten über die Tastatur, dann strahlte sie wieder. „Also gut, Mr. Seunghyun...-“ „Choi“, unterbrach er sie. Ihr Lächeln erstarb und sie sah ihn verständnislos an. Er verdrehte die Augen. Warum hatte er nicht daran gedacht? „Choi ist der Nachname. Tut mir Leid, hab's wohl aus Gewohnheit... falsch angegeben am Telefon.“ Sie lächelte wieder. „Entschuldigen Sie, Mr. Choi“, flötete sie und nahm eine Chipkarte aus einer Schublade hinter sich, um sie über den Tresen zu schieben. „Sie haben Zimmer 412. Der Lift befindet sich dort hinten, gleich neben der Treppe. Brauchen Sie Hilfe mit Ihrem Gepäck?“ „Danke, ich komme klar“, murmelte er und nahm den Schlüssel an sich, bevor er die Lobby durchquerte und den Aufzugknopf drückte. Die Empfangsdame sah ihm verträumt nach, doch das bemerkte er nicht. Auf der Etagenanzeige erschien die „11“. Es dauerte eine ganze Weile, bis der Aufzug im Erdgeschoss angekommen war und seine Türen geräuschlos öffnete. Im Fahrstuhl drückte Seunghyun die „4“ und wartete ab. Als die Türen sich wieder aufschoben, erstreckte sich vor ihm ein langer, breiter Korridor, passend zur Lobby mit schwarzem Teppich ausgelegt. Er schlenderte an den Türen vorbei.

401...402...403...

Fast am Ende des Ganges lag sein Zimmer. Er zog die Karte durch den Scanner und öffnete die helle Holztür. Auch hier waren die Wände mit grauen Tapeten versehen und der Boden war dunkel gehalten. An der Fensterfront stand ein großzügig geschnittenes Bett mit dunkelblauer Bettwäsche. Er legte seine Tasche neben dem großen, hellen Holzschrank ab und ging in das wirklich erstklassig ausgestattete Marmorbad. Es war bereits vorgeheizt worden und er zog sich aus, um unter die ebenerdige Dusche zu steigen. Als das heiße Wasser auf seinen Körper traf und an ihm hinab rann, vergaß er die Strapazen der letzten Zeit und das schlechte Wetter, das ihn hier empfangen hatte. Die warmen Wasserstrahlen hatten etwas Beruhigendes und ihr Rauschen schien ihm süße Versprechen ins Ohr zu raunen. Ein warmes Kribbeln durchfuhr seinen Körper, als Jiyong wieder in seinen Gedanken auftauchte. Ihm hätte diese Dusche sicherlich gefallen und Seunghyun hätte sie nicht allein genießen müssen. Das hübsche Gesicht des Jüngeren war so furchtbar präsent vor seinem inneren Auge, dass es ihn schmerzte. Er versuchte, nicht daran zu denken, wie es den anderen seit seinem Abschied ergehen mochte. Er wusste, wie zerbrechlich Jiyong sein konnte. Doch war er nicht selbst Schuld an dem, was passiert war? Hatte er es nicht verdient, allein gelassen zu werden? Seunghyun nickte still und stellte das Wasser ab, bevor er eines der flauschigen Hotelhandtücher von der Wandhalterung angelte, um seinen Körper zu trocknen. Die getragenen Sachen stopfte er zurück in die Tasche und zog dafür eine Jogginghose und ein Shirt für die Nacht heraus. Sein Blick fiel auf die Fenster. Er bemerkte erst jetzt, dass dort eine Tür auf einen kleinen Balkon hinausführte. Seunghyun zog sich seinen Mantel über und griff noch einmal in die Reisetasche, um die Zigarettenschachtel und ein Feuerzeug herauszuziehen. Dann zog er die Tür auf und trat hinaus auf den Balkon. Der Regen hatte nachgelassen, doch unter ihm auf den nassen Straßen spiegelten sich noch immer die Lichter. Von hier aus hatte er einen guten Blick über die Stadt, die sich fast bis in die Unendlichkeit zu erstrecken schien. Er steckte sich eine Zigarette an und ließ den Rest zusammen mit dem Feuerzeug wieder in der Manteltasche verschwinden. Während er genüsslich an der Zigarette zog und den Rauch in die kühle Nachtluft hinaus blies, ließ er den Blick schweifen. Der „Big Apple“ lag ihm zu Füßen. Endlich war er angekommen.
 

„Was tust du da?“

Yongbae lehnte in der Zimmertür und beobachtete Jiyong, der wie ein Besessener Fotos und jegliche Andenken an Seunghyun in einen großen Umzugskarton stopfte. Er hatte sogar das Bett des Rappers abgezogen und die Bettwäsche dazu geschmissen. „Er ist weg, das habe ich dir doch gesagt!“, murrte der Leader vor sich hin. „Aha.“ Yongbae hob die Augenbrauen. „Und was hast du mit dem ganzen Kram vor?“ „Spende ich“, schnauzte Jiyong schnippisch zurück. Himmel, der Bandleader war einfacher gewesen, als er deprimiert in seinem Kämmerchen gehockt hatte. Seit dem Fund von Seunghyuns Brief war er wie ausgewechselt – aggressiv und unausstehlich. Yongbae glaubte gern, dass Fotos von seinem Leader und Seunghyun sich in dieser Zeit gut verkaufen würden. Trotzdem würde er seinen Kollegen fesseln müssen, wenn dieser versuchte, mit dem Beweismaterial das Haus zu verlassen. Er verschränkte die Arme vor der Brust. „Hör mal, Jiyong, es ist jetzt eine Woche vergangen, in der wir nichts getan haben. Wir müssen irgendetwas unternehmen. Als ich mein Handy eingeschaltet habe, hatte ich zwanzig Nachrichten von Präsident Yang auf der Mailbox. Die letzten beinhalteten fast schon Morddrohungen, wenn wir ihn nicht zurückrufen sollten.“ Jiyong stoppte kurz in seiner Arbeit. Er hatte ein weiteres Foto in der Hand, das er nun nachdenklich betrachtete. „Ruf ihn an“, sagte er schließlich. „Sag ihm, Seunghyun ist gegangen. Er wird wissen, was zu tun ist.“ Seufzend nickte Yongbae und verließ das Zimmer in Richtung Wohnzimmer, wo Daesung und Seungri TV schauten. Irgendeine dieser fürchterlichen Seifenopern. Wie kamen sie nur auf so einen Mist? Er ging zum Fernseher und drückte den Aus-Knopf. „Heey!“, protestierten die Jüngeren wie aus einem Munde. „Was soll denn das, Yongbae?“ „Regt euch ab. Wir müssen telefonieren. Präsident Yang wartet auf einen Anruf.“ Seungri sah ihn entsetzt an und Daesung sprang bereits vom Sofa hoch, um einen Fluchtversuch zu starten. Doch Yongbae war schneller und packte unsanft seinen Oberarm. „Hinsetzen, Dae“, verlangte er nachdrücklich. „Ich werde ihn nicht allein anrufen. Bei einem so wichtigen Gespräch sollten wir alle dabei sein, findest du nicht auch?“ Daesung stöhnte und ließ sich wieder auf die Couch fallen. „Warum Jiyong nicht?“, wollte er wissen. Yongbae nahm dicht neben ihm Platz und suchte die Nummer ihres Chefs aus der Kontaktliste heraus. „Weil ich dann nicht für eure Sicherheit garantieren kann“, erklärte er nebenbei trocken und schaltete den Lautsprecher des Handys an, bevor er es vor ihnen auf den Glastisch legte. Einige Signaltöne verstrichen und in dem Raum herrschte angespannte Stille, während die drei Sänger beinahe schon ängstlich das Handy betrachteten. Schließlich klickte es in der Leitung und die aufgebrachte Stimme des Präsidenten erklang.

„Yongbae?“ „Ja“, entgegnete dieser bemüht ruhig. „Daesung und Seungri hören mit. Es tut mir Leid, dass niemand von uns reagiert hat, aber...“ Man ließ ihn nicht ausreden. „Was zur Hölle ist bei euch los?!“, fuhr Yang dazwischen. „Mir flattern seit Tagen laufend Pressemeldungen über angebliche Affären ins Büro, ich schwimme in ihnen wie in meinem verdammten Geld! Und von euch kam nicht einmal ein Lebenszeichen!“ Den jungen Männern stellten sich die Nackenhaare auf. Sie hatten ihren Chef schon einige Male wütend erlebt, doch so schlimm wie jetzt war es nie gewesen. „Es – es tut mir Leid. Seunghyun ist verschwunden...“, stammelte Yongbae. Einen Moment herrschte Stille. „Bitte WAS?!“ Es war verwunderlich, dass das Handy nicht vom Tisch flog, und Seungri presste erschrocken die Hände auf die Ohren. Yongbae griff über Daesung hinweg und legte seine Hand beruhigend auf den Oberschenkel des Jüngsten und antwortete ruhig. „Er ist gegangen. Wir wissen nicht, wohin – und ob er wiederkommen wird. Ich glaube es allerdings nicht. Die Affäre hat wirklich stattgefunden, wenn man Jiyong Glauben schenken darf. Er ist völlig aufgewühlt. Das sind wir alle. Wir wissen nicht, was wir tun sollen. Sagen Sie es uns, bitte.“ Wieder herrschte Stille. Dieses Mal schien sie sich in die Unendlichkeit zu ziehen. Am anderen Ende der Leitung hörte man den Präsidenten von YG Entertainment schwer atmen. „Sir?“, hakte Yongbae nach einer Weile nach. „Ja“, kam die Antwort, glücklicherweise wieder in dem gewohnten, nüchternen Tonfall. „Hört mir gut zu. Es wird morgen eine Pressekonferenz geben. Hier, in der Vorhalle von YG Entertainment. Seid um zehn Uhr hier, keine Minute später. Ihr werdet erklären, dass die Gerüchte nicht wahr sind, egal ob es nun stimmt oder nicht. Nehmt Jiyong auf jeden Fall mit. Ich reiße ihm den Kopf ab, wenn er es vergeigt. Erklärt, dass Seunghyun die Band verlassen hat, um seine Karriere als Schauspieler weiter zu verfolgen. Dass Big Bang vorübergehend aus vier Mitgliedern besteht, ihr aber nach einem neuen Rapper suchen werdet, der zu euch passt. Hast du das alles verstanden, Yongbae?“ Der Angesprochene nickte, bis ihm klar wurde, dass Yang ihn ja nicht sehen konnte. „Ja“, sagte er schnell. „Ich – wir werden Sie nicht enttäuschen, Sir.“ Der Tonfall des Präsidenten wurde weicher, fast schon väterlich. „Gut, Yongbae. Ich verlasse mich auf euch. Wenn ihr das tut, was ich euch sage, werden wir es gemeinsam schaffen. Ich sehe euch morgen um zehn.“ Bevor einer der Drei etwas erwidern konnte, klickte es erneut und die Verbindung war getrennt. Man hatte sie mit dieser Herausforderung allein gelassen. Yongbae lehnte sich auf der Couch zurück und atmete tief durch. „Wie sollen wir Jiyong dazu bringen, da mitzuziehen?“, meldete sich Seungri schüchtern zu Wort. „Ich meine – er wird niemals zugeben, dass Seunghyun weg ist. Geschweige denn, dass er zulassen wird, dass ein neuer Rapper Big Bang beitritt...“ Daesung nickte nur wortlos. Ihm graute schon jetzt vor dem morgigen Tag. Yongbae sah die beiden an und lächelte schwach. „Ich fürchte, irgendwie müssen wir es ihm gleich möglichst schonend beibringen. Wir können ihn wohl kaum fesseln und knebeln, um ihn so mitzuschleifen. Wir machen das alle zusammen. Ich werde niemanden allein lassen.“
 

Jiyong saß auf dem abgezogenen Bett seines Freundes und betrachtete den vollgepackten Karton zu seinen Füßen. Er quoll mittlerweile beinahe über. Wie merkwürdig, dass die Erinnerungen von über sechs Jahren sich auf so kleinem Raum zusammenpferchen ließen. Fotos von ihnen allen als Trainees, Fotos von der ersten Aftershow-Party, von Geburtstagen und Ausflügen. Auf all diesen Fotos war Seunghyun. Er hatte sich im Laufe der Jahre still und heimlich in Jiyongs Leben geschlichen und war nun nicht mehr hinaus zu denken. Ein Klopfen riss ihn aus seinen Gedanken und er sah auf zur Tür, die in diesem Moment langsam geöffnet wurde. Yongbae, Daesung und Seungri traten nacheinander in den Raum. Auf ihren Gesichtern lag ein merkwürdiger Ausdruck, den er nicht zu deuten wusste. Doch was auch immer er bedeuten mochte – er gefiel ihm gar nicht. „Dürfen wir uns zu dir setzen?“, fragte Daesung und Jiyong nickte. „Ich kann euch wohl kaum davon abhalten, hm?“, antwortete er und zuckte mit den Schultern. Yongbae war der Erste, der sich links von ihm niederließ. Daesung nahm rechts von ihm Platz und Seungri schob sich den Schreibtischstuhl ans Bett heran. „Was ist los? Habt ihr Präsident Yang erreicht?“, fragte Jiyong. Er war sich gar nicht so sicher, ob er die Antwort wirklich hören wollte, doch er wusste, dass er keine Wahl hatte. Seine Freunde erklärten ihm, was Präsident Yang ihnen zu sagen gehabt hatte. Mit jedem gehörten Wort wich die Farbe weiter aus seinem Gesicht. Als Yongbae mit seiner Erklärung geendet hatte und alle ihn hoffnungsvoll ansahen, wusste er nicht recht, was er tun sollte. Das, was Yang verlangte, war in seinen Augen völlig unmöglich. „Lasst mich allein...“, murmelte er schließlich. Daesung wollte protestieren, doch Yongbae brachte ihn mit einer Geste zum Schweigen und bedeutete ihm und Seungri, mit ihm den Raum zu verlassen. An der Tür drehte er sich noch einmal um. „Jiyong... Bitte überleg' es dir gut“, sagte er nur. Jiyong nickte nur. „Ich brauche eine Weile...“ Yongbae stieß hörbar den Atem aus, erwiderte jedoch nichts, bevor er die Tür hinter sich schloss und den Bandleader seinen Gedanken überließ.
 

Jiyong stand an diesem Abend noch lang am Fenster und schaute dem Regen zu, der an der Scheibe hinab lief und im Licht der Deckenlampe funkelte. Er legte die Stirn gegen das kühle Glas und schloss die Augen. Ohne Seunghyun kam er sich furchtbar einsam vor. Niemand der anderen hatte ihn je so verstanden, wie Seunghyun es getan hatte. Mit ihm hatte er alle wichtigen Anliegen besprochen, egal, um was es ging. Ihm hatte er als Einzigem seine Liebe zum gleichen Geschlecht anvertraut und Seunghyun hatte ihn angenommen, wie er war. Keine dummen Fragen, kein betroffenes Schweigen. „Okay“, hatte er nur gesagt. „Wer ist der Glückliche?“ Damals war es noch ein Anderer gewesen und Jiyong hatte sich fürchterlich unbehaglich gefühlt, als er mit Seunghyun über ihn sprach. Er hatte sonst niemandem so viel preisgegeben. Seunghyun hatte ihm bei allen seinen Problemen zugehört und dann versucht, sinnvollen Rat zu geben. Dafür war Jiyong ihm immer dankbar gewesen. Nun war sein Freund gegangen und hatte ihn mit all seinen Problemen im Stich gelassen. Er musste wieder lernen, die Sachen allein anzugehen, musste allein für seine Band stark sein und das tun, was richtig war. Doch was war das Richtige? Sollte er mit dieser Pressemitteilung das Schicksal der Band endgültig besiegeln? Big Bang würde es nicht mehr geben, wenn ein anderer in ihre kleine Welt eindrang. Aber würde das wirklich noch etwas ändern? Jiyong beobachtete die Straße vor dem Haus. Sie war menschenleer, bei diesem Wetter wagte sich niemand vor die Tür. Er musste an Seunghyun denken. Er war mitten in der Nacht gegangen. Hatte er überhaupt irgendwo unterkommen können? Jiyong hoffte inständig, dass es ihm gut ging. Seunghyun war nicht an sein Handy gegangen, egal wie oft Jiyong es versucht hatte. Es machte ihn schlichtweg wahnsinnig, so im Ungewissen gelassen zu werden. Noch viel wahnsinniger machte es ihn, diese furchtbaren Schuldgefühle mit sich herum zu schleppen. Sie lasteten auf ihm, als wögen sie Tonnen.

Als Jiyong wieder auf seinen Digitalwecker sah, war es bereits nach Mitternacht. Er hatte seine Entscheidung endlich getroffen. Auf leisen Sohlen verließ er das Zimmer und schlich über den Flur zu Yongbaes Zimmertür. Als er sie leise öffnete, lag wie erwartet bereits alles im Dunkeln. Einen Moment lang überlegte er, ob es nicht doch besser wäre, wieder zurück zu gehen und den Sänger schlafen zu lassen. Doch er wollte mit Yongbae sprechen, bevor er seine Meinung wieder ändern würde. Also schlich er zum Bett und ging daneben in die Hocke. „Yongbae?“ Er schüttelte seinen Kollegen zögerlich an der Schulter. Lediglich ein leises Murren war die Antwort. Noch könnte der Bandleader wieder umkehren. Doch er rüttelte heftiger an der Schulter und wich erschrocken nach hinten zurück, als ihm ein Arm entgegen geflogen kam. Unsanft landete er auf dem Hintern und sah zu Yongbae hinüber, der sich nun im Bett herum wälzte und ihn müde anblinzelte. „Jiyong?“, nuschelte er irritiert. „Was zur Hölle soll denn das? Weißt du, wie spät es ist?“ Jiyong verschränkte die Arme vor der Brust. „Ich hab' mich entschieden und dachte, das wolltest du vielleicht wissen“, entgegnete er. Yongbae stöhnte und zog die Decke wieder hoch bis zum Kinn. „Sprich und verschwinde“, brummte der Ältere von beiden genervt. Jiyong rückte näher ans Bett und blickte den anderen Sänger ernst an. „Ich mache es. Aber glaubt nicht, dass das bedeutet, ich hätte mich mit Seunghyuns Verschwinden abgefunden. Ich werde ihn nicht aufgeben und ich erwarte von euch, dass ihr das auch nicht tut.“ Als Yongbae seinem Leader im Halbdunkel in die braunen Augen sah, wusste er, dass er keine andere Wahl hatte, als zuzustimmen. Jetzt zu erklären, dass Daesung und Seungri vermutlich bereits aufgegeben hatten, hatte keinen Sinn. Entweder würde Jiyong außer sich vor Wut sein, oder er würde wieder in seinem Zimmer verschwinden und dort bleiben – vermutlich für eine sehr lange Zeit. Also nickte Yongbae nur und murmelte ein halbherziges „Gute Nacht“, bevor er sich demonstrativ wieder zur Wand drehte und den Bewegungen des Bandleaders lauschte, bis dieser die Tür wieder hinter sich geschlossen hatte. Als er, so unsanft aus seinen Träumen gerissen, nun wieder allein im Dunkeln lag, begannen die Sorgen wieder an ihm zu fressen. Er wusste nicht, was am nächsten Tag auf der Konferenz geschehen würde, sah sich schon mit Jiyong ringen, der sich weigerte, aus dem Auto zu steigen. Hoffentlich würde dieser verdammte Idiot von einem Rapper wiederkommen. Er hätte ihm nie zugetraut, dass er sie alle einmal im Stich lassen würde. Doch man lernt ja scheinbar immer wieder dazu.
 

Am nächsten Morgen waren Big Bang's übrig gebliebene Mitglieder allesamt schnell auf den Beinen. Sogar Jiyong, den man sonst förmlich mit Gewalt aus dem Bett zerren musste, saß mit den anderen um acht Uhr fertig angezogen am Frühstückstisch. Er zog ein Gesicht wie sieben Tage Regenwetter und untersuchte skeptisch die Schale mit Müsli, die vor ihm auf dem Tisch stand. „Wer hat das gekauft?“, fragte er schließlich und sah in die Runde. Yongbae verdrehte die Augen. „Ich“, antwortete er trocken. „Du brauchst dich gar nicht zu beschweren, Jiyong. Ich bin hier der Einzige, der dieses Haus in letzter Zeit zum Einkaufen verlässt. Also gibt es das, was ich mag. Punkt. Wenn ihr was anderes wollt, dann geht selbst los.“ Der Bandleader sparte sich den bissigen Kommentar, der auf seiner Zunge brannte, und versuchte brav, das Müsli zu essen, ohne bei jedem Löffel das Gesicht zu verziehen. Daesung und Seungri hatten sich mit Joghurt und Toast beholfen, um dem gruseligen Trockenobst zu entgegen, das da in Jiyongs Schüssel zwischen den Haferflocken schwamm. Nur Jiyong war zu langsam gewesen, sodass Yongbae ihm einfach eine Schale fertig gemacht hatte. Nun ja – Pech gehabt.

Nach dem Frühstück ließ man das Geschirr erst einmal stehen. Die vier jungen Männer hatten sich während des Essens lange darüber beraten, was man wie sagen sollte. Dabei hatte es einige Auseinandersetzungen zwischen Jiyong und den anderen gegeben. Letztendlich hatte man sich aber einigen können. Trotzdem hatten alle, als sie in ihre Jacken schlüpften, ein schlechtes Gefühl. Daesung und Seungri hibbelten herum, wie zwei kleine Kinder. Sogar der sonst so ruhige Yongbae nestelte nervös am Gürtel seines Wollmantels herum, als sie das Haus verließen und in seinen Mercedes stiegen. Allein Jiyong war die ganze Fahrt über schweigsam und sah aus dem Fenster hinaus. An diesem Tag würde er Big Bang den Gnadenstoß verpassen müssen. Und auch, wenn er es sich nicht eingestehen wollte – er hoffte, dass Seunghyun die Pressemitteilung verfolgen würde, wo auch immer er nun war. Vielleicht würde ihm das die Augen öffnen und er würde zurück kommen. Vielleicht würde er ihm sogar das verzeihen, was er ihm angetan hatte....

Das Rasseln des Tiefgaragentores weckte den jungen Mann aus seinen Gedanken. Als er sich umdrehte, sah er gerade noch, wie das schwere Tor den Boden erreichte und den Blick auf die Welt dort draußen komplett verwehrte. Von draußen waren gedämpft die aufgeregten Stimmen dutzender Pressevertreter zu hören, die noch vor dem Gebäude darauf warteten, eingelassen zu werden. Ein flaues Gefühl breitete sich in Jiyongs Bauch aus. Nun gab es wohl kein Zurück mehr für ihn...



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