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Der Weg aus dem Kampf

Wenn Träume Berge versetzen
von

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Verantwortung eines Anführers

Also nun extra noch mal für unsere beiden Hauptleser Kuromikan und Zebran: Die Diskussion über edle Kleidung.

Enjoy

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Kapitel 73

Verantwortung des Anführers
 

Die Jagdgruppe hatte kaum genügend gefangen, um alle wirklich satt zu bekommen. Zwischen den Bäumen war es nicht so einfach, Wild zu sehen, aber es dann auch zu ergreifen, bevor es im Gestrüpp verschwand, war richtig schwer. Und ihre Pfeile blieben nur allzu oft in den Ästen über den Tieren stecken. Es war einfach zum Haare ausreißen gewesen. Sie hatten keine Übung mit bewaldeten Gebieten.

Lulanivilay wandte sich daraufhin ab. Er hatte so geduldig gewartet! Aber wenn diese Menschen so unfähig waren, dann würde er sich selbst etwas fangen. Nicht wenige sahen ihm erstaunt nach, als er mit eng an den Körper gezogenen Flügeln durch die Bäume brach, immer schön am Fluss entlang.

Als Juuro das Fleisch fertig gegrillt hatte, waren alle Verletzten mit Salben und Heilkräutern versorgt. Selbst Mimoun hatte Dhaôma eingerieben. Die Stimmung wurde bei weitem besser, nachdem klar war, dass ihre Strafe sich später entscheiden würde. Kaley war wütend, aber ihr Verhalten am Vortag hatte sich tatsächlich fürs Erste als richtig erwiesen, also war er gewillt, die Bestrafung auf Zeiten zu verschieben, wo man eben nicht mit Angriffen rechnen musste. Asam dagegen kümmerte sich nicht darum, ob und wer bestraft werden musste. Er interessierte sich für die Menschen und ihre Meinungen. Erst befragte er Aylen und ihre treuen Beschützer, danach einige aus der Fraktion, die noch immer kämpfen wollten. Keithlyn wurde in ein sehr lustig anmutendes Gespräch verwickelt und tatsächlich hielt sie sich daran, Dhaômas Behandlung unerwähnt zu lassen.

Dann kam Lulanivilay zurück. In seinen Pranken hingen einerseits anderthalb Waldschafe, andererseits Genahn, der wie immer über das ganze Gesicht lachte, weil ihn die Situation alle paar Augenblicke wieder in eine Mischung aus Verzweiflung und Amüsement schickte. Beinahe sanft wurde er fallen gelassen, als Dhaôma auch schon auf ihn zu rannte.

„Er hatte sich verlaufen.“, war die kurz angebundene Erklärung, bevor der große Drache begann, seine Beute zu verschlingen.

Der Magier rappelte sich hoch und klopfte sich den Staub von den Kleidern. „Ich habe wohl das Pech, immer auf ihn zu stoßen. Ohne Geschirr ist es echt unmöglich, auf seinem Rücken zu bleiben, wenn er läuft.“

„Nicht unmöglich, aber es bedarf einer Menge Übung.“, stimmte ihm Dhaôma schmunzelnd zu. „Also treffen wir uns nicht, sondern Ihr kommt uns besuchen. Habt Ihr Hunger? Es ist noch Fleisch da.“

„Genahn!“ Keithlyn flog dem überraschten Mann in die Arme. Er fing sie geschickt auf, dabei hatte sie es eindeutig darauf angelegt, ihn umzuwerfen. „Du bist wieder da! Kommst du, um deinen Dolch abzuholen?“

„Hey, was ist das? Dein Arm ist noch nicht wieder heile?“ Sein Blick huschte kurz zu Dhaôma, dann lauschte er ihrer Erklärung, dass andere schlimmer verletzt waren als sie und sie warten würde, um Dhaôma nicht zu schaden. Still nahm er zur Kenntnis, dass Dhaôma sich gestern wohl wirklich übernommen hatte. Kein Wunder, wenn er erst dieses Chaos verursacht und dann auch noch den Drachen geheilt hatte. Dazu die Blumen und Verteidigung, den Stillstand der Luft… Wenn er so mächtig wäre, würde er auch sein Glück versuchen, um Drachen zu finden. Ihm gefiel Lulanivilay und das Fliegen.

Freundlich setzte er sie wieder ab und begrüßte die Geflügelten, die er gestern schon kennen gelernt hatte. „Im Grund komme ich, um euch zu sagen, was in meinem Lager gerade passiert. Ihr werdet erstaunt sein. Dhaôma, Ihr habt viele Anhänger gewonnen mit Eurer unheimlichen Präsentation von Macht.“

„Ai?“ Der Braunhaarige war sich nicht sicher, ob das jetzt positiv oder negativ war.

„Des Weiteren bitten sie Mimoun, etwas zu tragen, was ein wenig auffälliger ist als die Alltagskleidung der Hanebito, damit sie ihn als Drachenreiter identifizieren können. Ihre Vorschläge waren rote Kleider, ein Kopftuch oder Seidenkleider. Also wurde mir aufgetragen, sowohl Euch, Dhaôma, als auch ihm welche mitzubringen.“ Feist präsentierte er einen kleinen Rucksack. Er zwinkerte dem Magier zu. „Wir können nicht verantworten, dass Ihr herumlauft wie ein Bettler.“

„Habt Dank, Genahn.“ Erleichtert nahm Dhaôma den Rucksack entgegen. In der letzten Nacht war es schon ein wenig frisch gewesen, so ganz ohne Oberteil und Kuschelpartner. Außerdem fühlte er sich auch nicht wohl, unter so vielen Menschen halbnackt herumzulaufen.

„Komm, du wolltest etwas essen!“ Keithlyn zerrte an Genahns Arm und dieser ließ sich lachend mitziehen. Ihn schienen die misstrauischen Blicke nicht zu stören. Bei den Halblingen am Feuer angekommen, trafen auch Kaley und Asam ein. Der einäugige Koloss schien wie ein riesiger wachsamer Schatten über seinen Anführer zu wachen.

„Mein Name ist Asam Maral.“, begrüßte der blonde junge Mann den Gast höflich. „Es freut mich, Euch kennen zu lernen.“

„Maral? Anführer? Ihr seid reichlich jung.“ Genahn maß Asam aufmerksam und seufzte dann. „Ah, Charisma und Fürsorglichkeit, dazu stille Weisheit und unterschwellige Härte. Ihr gefallt mir, Maral.“

„Asam ist in Ordnung.“ Die beiden sahen sich an, dann grinsten sie plötzlich gleichzeitig. „Also seid Ihr derjenige, der jetzt die Magierarmee anführt. Ist der Bruder Dhaômas etwa doch gestorben?“

„Nein, nein. Aber unsere Heiler haben Schwierigkeiten, seine Wunden zu verschließen. Er ist noch nicht bei Bewusstsein.“ Und weil Dhaôma geschockt aussah, fügte er hinzu: „Ein paar Kratzer und Verletzungen an den Ohren. Vermutlich eine Erschütterung des Gehirns. Aber obwohl das normalerweise nicht lange dauern würde, diese Leiden zu beseitigen, sprechen sie nicht auf Magie an.“

„Ist das so?“ Beunruhigt kaute der junge Mann auf seiner Unterlippe. So etwas hatte er noch nie gehört. „Vielleicht sollte ich es selbst mal versuchen…“, murmelte er gedankenverloren.

„Ja, macht das, Dhaôma. Sobald sich die Lage gefestigt hat, denn vorher würde er die Gespräche womöglich nur verkomplizieren.“

„Seid Ihr nicht ein wenig zu offenherzig mit Eurer Meinung über Euren Anführer?“, fragte Asam, was lachend abgewunken wurde.

„Nein, nein. Ich habe Recht. Radarr ist mein Freund. Es widerstrebt mir, ihn leiden zu sehen, aber wenn ich ehrlich bin, möchte ich auch, dass der Krieg vorbei ist, dann kann meine Schwester vielleicht endlich mit ihm glücklich werden.“

„Ihr seid…“ Dhaômas Augen wurden groß.

„So ist es. Wir sind so etwas ähnliches wie verwandt.“ Lachend klopfte der dunkelhaarige Mann Dhaôma auf die Schulter. „Penny ist meine Schwester. Meine jüngste, im Übrigen, ich habe noch zwei andere.“

„Penny en Voka en Gemmon.“, flüsterte Dhaôma, dann lachte er leise. „Es hätte mir klar sein müssen.“

„Ja, sicher. Wo Ihr sie schon so oft gesehen habt, dass sie nicht einmal zu sagen wusste, wie Ihr ausseht.“ Genahn schüttelte den Kopf. „Macht Euch nichts draus.“

„Aber dann… Genahn, vielleicht sollten wir in diesem Falle die Förmlichkeiten fallen lassen. Außer natürlich, Ihr besteht darauf, so wie Mutter, dann…“

„Nein, nein, ich freue mich. Ab heute also Du, einverstanden?“ Dhaôma nickte, dann wandte sich Genahn wieder an Asam. „Wie ich bereits sagte: Ich bin hier, um die Lage zu erklären. Werdet Ihr mich anhören?“

„Natürlich. Setzt Euch.“

Und während Juuro Wasser und geröstetes Fleisch brachte, erzählte Genahn ein wenig unglücklich, dass es drei Fraktionen unter den Soldaten gab. Jene, die schon lange die Schnauze voll hatten, jene, die ihre Fahne in den Wind hängten, und diejenigen, die steif und fest behaupteten, dass der Angriff auf ihren Anführer eine neue Kriegserklärung war.

„Ich hätte ihn doch essen sollen.“, flutete Lulanivilays Stimme zu ihnen herüber und Dhaôma starrte ihn entsetzt an. Bei allen, die den Drachen nicht so gut kannten, löste es ein mehr oder weniger unsicheres Lachen aus. Diese Aussage konnte nur als Witz gedacht sein.
 

„Das ist ein Witz.“ Die Worte waren mit solch einer Inbrunst und Überzeugung gesprochen, dass sich die Aufmerksamkeit der Anwesenden von Lulanivilay zu Mimoun wandte. Dieser hatte sich bisher eher im Hintergrund gehalten, nur mit halbem Ohr gelauscht und aus purer Neugierde den Rucksack an sich gebracht und geplündert. Hey. War sowieso zum Teil für ihn gedacht. Aber was er daraus hervorgezogen hatte, widerstrebte ihm. Gut. Er hatte so etwas schon einmal tragen dürfen, ganz zu Anfang seiner Freundschaft mit Dhaôma, aber auch damals hatte er schnell wieder auf seine robustere Lederkleidung umgestellt. Nun hielt er den tiefblauen Stoff in die Höhe und sah fragend Genahn an. Bevor jemand etwas einwenden konnte, fuhr er fort: „Das Einzige, das in Ordnung ist, ist die Farbe.“ Er drehte das Hemd herum und präsentierte den Rücken. „Bisschen unpraktisch, wenn man mit Flügeln ausgestattet ist.“ Mimoun drehte es wieder herum und griff einen der Ärmel, präsentierte ihn. Er Ignorierte gekonnt den grinsenden Drachen auf seiner Schulter. „Mit den langen Ärmeln würde ich überall hängen bleiben und das Beste kommt zum Schluss:“ Nun hielt er das Kleidungsstück direkt an seine Brust und sah an sich herab. „Ein bisschen groß und lang. Darin sehe ich aus, als würde ich ein Kleid tragen.“ Das Gelächter um ihn herum bestätigte seine Behauptung. Ordnungsgemäß legte er das Oberteil wieder zusammen. „Danke für das Angebot und guter Einwand, aber nein, danke.“
 

„Ich könnte es für dich umnähen.“, schlug Xaira vor. Auch ihr standen Lachtränen in den Augen. „Hier und da ein wenig kürzen, Rücken frei machen und dergleichen. Für den Sommer ist das das Beste, das du tragen kannst. Auch wenn euer Leder leicht ist, Seide wird es niemals übertreffen.“
 

„Das würde dir so passen, oder?“, zischte Mimoun ungehalten. War ja klar, dass von ihrer Seite keine wirkliche Hilfe zu erwarten war. Er schob das verhinderte Kleid wieder in den Rucksack zurück. Ihm widerstrebte es nachzusehen, was sich noch darin verbergen mochte.

„Hier. Such dir was aus.“ Damit hielt er Dhaôma den Rucksack hin.

Aylen war schneller. Sie hatte sich von hinten an ihn herangepirscht und fischte über seine Schulter hinweg das Hemd wieder heraus. „Ich kenne seine Größe.“, unheilte sie und winkte bezeichnend zu Xaira. Und damit war sie aus seiner Reichweite, bevor er herumfahren und das Hemd wieder in seinen Besitz bringen konnte. Seine Rippen verboten es ihm, ihr genauso schnell zu folgen.
 

Dhaôma verstand Mimoun einerseits, andererseits hatte ihm das Hemd gefallen. Es entsprach eben genau der Mode, die Magiermänner trugen. Ob Mimoun früher auch gedacht hatte, er sei ein Mädchen, weil er diese Art Kleider trug? Die Kinder hatten so etwas gesagt. Seufzend erhob er sich. „Ich gehe mich umziehen.“, teilte er ihnen mit, bevor er zu Lulanivilay ging. Alles war besser als diese Lumpen.

Dachte er. Bis er das in der Hand hielt, was sie sich für ihn ausgesucht hatten. Die Hose war ja normal, weit genug und die Beine konnte er umkrempeln, aber das Oberteil? „Genahn, ist das dein Ernst?“, rief er mit angedeuteter Verzweiflung in der Stimme und der Mann sprang erfreut auf.

„Bin gleich wieder da.“, grinste er zwinkernd, dann stromerte er zu Dhaôma, der ihn unglücklich empfing.

„Ich weiß nicht einmal, wie man so was anzieht. Ich bin doch kein königlicher Berater! Konnten es keine normalen Sachen sein?“

„Oh, wir haben es einstimmig beschlossen. Wir stellen es uns sehr eindrucksvoll vor, wenn du mit den weiten Gewändern fliegst. Außerdem stehen sie dir bestimmt.“

„Aber sie sind zu groß.“

„Nicht zu ändern. Radarr ist nun mal ein wenig muskulöser und größer als du.“

„Das sind Radarrs Kleider? Er wird sicher wütend werden, wenn ich sie einfach so nehme.“

„Es wird sich in Grenzen halten, da ihm dieses Gewand eh nicht mehr richtig passt.“, zuckte Genahn mit den Schultern. „Komm, ich helfe dir.“

Finster zogen sich die schmalen Augenbrauen zusammen. „Klasse. Damit kann ich mich dann überhaupt nicht mehr richtig bewegen.“

„Ist das deine einzige Sorge? Keine Angst, sie werden dir stehen. Da, erst das Hemd.“ Und während Dhaôma sich das weiße Seidenhemd über den Kopf zog, hielt er lachend den langen Mantel auf und ließ Dhaôma hineinschlüpfen. Dann band er ihm die Schärpe um, wie es sich gehörte. „Zum Glück bist du auch recht groß, so trittst du unten zumindest nicht drauf. So, lass dich mal ansehen.“

Unglücklich hob Dhaôma die Arme. Er fühlte sich in diesem Gewand nicht wohl. Es hatte weite Ärmel bis über die die Handgelenke, einen weiten, langen Rock, der vorne offen und hinten bis kurz vor den Hintern geschlitzt war, dazu ein Revers und war aus hellblauer Seide gemacht. Dazu war es über und über dunkelblau und weiß schneekristallartig bestickt. Ein Hinweis auf Radarrs stärkste Magie. „Sie werden mich wegen Hochverrat töten.“, jammerte er.

„Ach was. Du bist ein Drachenreiter. Dir steht die höchste Ehre zu, also kannst du auch angemessene Kleider tragen. Allerdings bin ich der Meinung, dass grün und gelb besser geeignet wären, da deine stärkste Kraft die Pflanzen sind, wie ich zu behaupten wage. Und jetzt komm. Ich wette, sie sterben da drüben vor Neugier.“

Seufzend zuckte Dhaôma mit den Schultern, bevor er Genahn folgte. „Wahrscheinlich werden sie lachen. Ich bin für solche Kleider nicht geschaffen. Das ist, als würde ich Prinz spielen.“

„Eher Prinzessin…“, murmelte Genahn, aber zu leise, als dass Dhaôma es hören konnte. Der Drachenreiter trug die ungeschnittenen Haare offen wie eine Frau. Innerlich amüsierte er sich königlich.
 

Das Gejohle war groß und nicht nur einer ließ sich zu einem anzüglichen Pfiff hinreißen. Diese Reaktionen beendeten Mimouns langsame, aber beharrliche Verfolgung der beiden Frauen. Was er sah, ließ ihn sie sogar völlig vergessen. Er bemerkte nicht einmal, dass Aylen sich ihm näherte, fluchtbereit die Flügel gespannt, und am Rande seines Gesichtsfeldes winkte.

„Sehr gut. Den können wir vergessen.“ Grob nahm sie hinter ihrem Jugendfreund stehend Maß von ihm und zog sich dann völlig mit Xaira zurück.

Mimoun starrte derweil noch immer unentwegt Dhaôma an. Dass er nicht mitbekam, was hinter oder neben ihm vor sich ging, bedeutete nicht, dass er nicht sah, was um seinen Geliebten herum geschah. So entging ihm keinesfalls, dass sich Asam dreist vorwagte und dem jungen Magier breit grinsend und mit vollendeter Verbeugung einen Kuss auf die Hand drückte. Schneller als ihm gut tat, war Mimoun dort und schlang einen Arm um den Hals des Ratsmitgliedes. „Flirtest du etwa gerade vor meinen Augen mit meinem Süßen?“ Mimoun wusste selbst nicht so genau, warum er anscheinend eifersüchtig auf jemanden reagierte, von dem er wusste, dass keine Gefahr von ihm ausging.
 

„Ja.“, gab Asam lapidar zu. „Du musst zugeben, er sieht hinreißend aus. Solche Gewänder gibt es bei uns schon Ewigkeiten nicht mehr, aber ich bin sicher, mehr als eine unserer Damen würde so etwas gerne tragen. Ah, ich würde Leoni zu gerne eines geben. Sie würde sich mit Sicherheit freuen.“ Grinsend piekte er Mimoun in die Wange, während Dhaômas Wangen flammend rot waren. Er schämte sich, weil sie alle sagten, er sähe wie ein Mädchen aus.

„Toll gemacht, Genahn. Jetzt ist auch das letzte bisschen Respekt den Bach runter gegangen, weil du der Meinung warst, ich bräuchte Sonderrechte.“ Er löste den Gürtel. „Nimm ihn wieder mit und gib ihn zurück. Das Hemd und die Hose reichen mir.“

„Vergiss es. Ich will sehen, wie sie flattern, wenn du fliegst.“

„Das interessiert mich nicht! Er ist unpraktisch. Die Ärmel werden im Essen hängen, der Mantel schleift im Staub. Ein Patient und er ist voller Blut.“

Genahn grinste. „Na und? Bis dahin habe ich einen Mantel, der auf dich zugeschnitten ist, dann kannst du ihn wechseln.“

Das Gelächter um sie herum brandete in einem Tohuwabohu aus, als einige Zustimmung riefen. Der seltsame Kleidergeschmack des Magiers war bei allen bekannt, das sollte sich nicht ändern. Immerhin waren sie daran gewöhnt. Als Dhaôma auch den Mantel ausziehen wollte, hinderte ihn Volta daran.

„Du wirst damit Eindruck bei den Magiern machen.“, gab er zu bedenken. „Sie kennen die Bedeutung dieser Roben.“

„Ich mache genug Eindruck bei denen mit euch und Lulanivilay und Mimoun an meiner Seite.“ Langsam wurde er wütend. „Lass mich los, ich gehe zu Aylen. Sie soll mir Mimouns Hemd geben.“ Ruppig drückte er Volta den Mantel mit einem gemurmelten „Trag du ihn doch!“ in die Hand.

Und Genahn grinste immer noch. So schade. Es hatte ihm vorbildlich gestanden.
 

„Das Hemd.“ Nun fiel ihm wieder siedend heiß ein, was ihm durch Dhaômas Anblick entfallen war. „Ich fürchte, da kommst du zu spät. Unsere beiden Damen...“ Er sprach das Wort wie eine Beleidigung aus. „...haben es in die Finger gekriegt und sind damit auf und davon. Außerdem war es selbst mir ein wenig zu groß. Da dürftest du doch da drin verschwinden.“ Mimoun war dennoch begeistert von der Tatsache, dass sein Freund den Mantel nicht mehr trug. So kamen die Spinner um sie herum nicht auf den Gedanken, Dhaôma anzuflirten und sei es nur zum Spaß. Er wollte der Einzige sein, der seinen Liebsten so sah.

Und bevor Mimoun es völlig vergaß, verpasste er dem noch immer in seinem Arm hängenden Asam einen Rippenstüber für seine Frechheiten.
 

Das würden sie ja sehen. Besser zu groß als lächerlich. Wortlos machte er sich auf die Suche.

Asam lachte immer noch. Zum Glück war Mimoun nicht wirklich sauer geworden, sonst hätte das vielleicht wehgetan, aber so konnte er es ablachen. „Volta, gib mir das bitte.“ Unsicher wurde ihm der Mantel gereicht und Asam sah ihn sich genau an. „Wisst Ihr, Genahn, Eure Idee hatte schon was für sich. Ihn in feinere Gewänder zu hüllen, hätte sicherlich einen einschlägigen Erfolg, aber hätten es nicht ein wenig männlichere sein können? Ich glaube nämlich, er ist ernsthaft beleidigt.“

„Das sind Kleider für einen Mann. Es sind Radarrs. Und es ist eine Art Ehrengewand für sehr hochrangige Magier.“

„Echt?“ Ungläubig betrachtete der Blonde das Gewand noch mal. „Für mich sah er darin aus wie eine Schneebraut.“

Das die ganze Zeit unterdrückte Lachen brach sich Bahn und Genahn grinste. „Er hat aber auch weibische Gesichtszüge.“

„Nicht wahr? Wisst Ihr, mein Neffe hat ihn anfangs auch für eine Frau gehalten.“ Und schon sprudelten die Ereignisse von jenem Abend aus ihm heraus und die beiden Anführer, die sich eigentlich über einen Lösungsweg aus dem Krieg beraten sollten, verloren sich in Anekdoten aus ihrer Vergangenheit. Die umstehenden Geflügelten lauschten hingebungsvoll. Wann bekam man schon mal so private Geschichten aus dem Leben der Höchsten und Seltsamsten zu hören.
 

Mimoun hielt sich mit der Auskunft, dass jedes Kind Dhaôma anfangs für eine Frau gehalten hatte, zurück. Er musste ja nicht noch Öl ins Feuer gießen, auch wenn das Thema der sich jetzt anbahnenden Unterhaltung nicht anwesend war.

Die beiden verloren sich in ihren Erzählungen und der Drachenreiter zog sich zurück, da er einen Großteil der Geschichten schon kannte. Er hatte noch immer Schlaf nachzuholen und das würde er jetzt tun. Es bedurfte seiner Anleitung oder Einmischung nicht, damit sich hier Friedensverhandlungen in Gang setzen konnten.

Suchend sah er sich nach einer geeigneten Stelle um, aber schlussendlich entschied er sich für das Naheliegendste. Er ging zu Lulanivilay und streckte sich auf dem Boden aus. Es dauerte nicht lange und er schlief tief und fest. Vom restlichen Tag und dem Trubel um ihn herum bekam er nichts mehr mit. Dafür sorgte vor allem Tyiasur, der über seinen Freund wachte und Störfaktoren fernhielt. Erst zum Abendessen holte er Mimoun sanft aus seinen Träumen. Als dieser sich umsah, entdeckte er Genahn, der noch immer in Gespräche vertieft war. Mimoun runzelte die Stirn. Wenn er sich bereits auf dem Hinweg, den er nicht einmal selber zu Fuß zurückgelegt hatte, verlaufen hatte, würde es auf dem Rückweg sicher nicht besser werden. Nicht um die Uhrzeit. Darauf machte er dann auch die Anwesenden aufmerksam, nachdem er zu ihnen hinüber geschlendert war.
 

Dhaôma saß inzwischen ohne den Mantel in den zu großen Unterkleidern zwischen allen. Genahn hatte geschimpft, dass er hier nicht im Unterhemd herumlaufen konnte, aber ein einziger Blick hatte ihn verstummen lassen. Er versprach, einfachere Kleider zu besorgen und betonte noch einmal, dass es wirklich schade war, dass er den Mantel nicht wollte.

Das Essen war amüsant und viele der Hanebito verloren die Scheu vor dem offenherzigen Mann in ihrer Mitte. Er ließ sich einfach durch nichts aus der Ruhe bringen, störte sich nicht an ihren Manieren oder ihren derben Witzen und schien sich mit Asam außerordentlich großartig zu verstehen. Dhaôma hatte versprochen, ihn nach Hause zu bringen, sobald Mimoun wach war, damit dieser nicht durch Lulanivilays Bewegungen gestört wurde. Mittlerweile war klar geworden, dass sein Beraterposten an Radarrs Seite in erster Linie dafür gedacht war, dass er den Anführer von unbedachten Handlungen abhielt. Er besaß keine Angriffsmagie, beherrschte nur den Wind, aber es reichte für eine stabile Verteidigung und effektvolle Auftritte, wie er mit einem Zwinkern hinzufügte. Eine winzige Bewegung mit der Hand und seine Haare bewegten sich leicht, seine Kleider raschelten und ein angenehm süßlicher Geruch stieg allen in die Nase.

Nach dem Essen standen die beiden Magier auf. Lulanivilay stemmte sich ebenfalls hoch, dann flogen sie gemeinsam los. Genahn hatte darauf bestanden, dass sie ohne das Geschirr flogen, weil er sehen wollte, ob es ging. Er war beeindruckt, wie weich der Drache nun flog. Also war es nicht nur Übungssache sondern vor allem Freundlichkeit des Drachens.

Sie landeten ein wenig außerhalb des Lagers der Magier. Kurz überlegte Dhaôma, ob er Radarr helfen sollte, aber gleich zwei Dinge hielten ihn davon ab. Erstens Genahns definitives Nein, zweitens Lulanivilays „Ist nutzlos“.

„Warum ist es nutzlos? Er ist immerhin ein Anführer.“

„Deine Kraft kann ihn nicht erreichen.“

„Meine… Vilay, erklär das.“

„Sein See ist ein Nebel geworden. Der ist überall und lässt deinen Fluss nicht in ihn. Es wird dauern, bis er wieder in den Kreislauf dieser Kräfte zurückkehren kann.“

Als Dhaôma das Verstehen erreichte, wurde er blass. „Du hast ihn… Ai, Vilay, warum?“

„Weil ich ihn nicht essen durfte.“

„Nein, warum? Du hast ihm damit alles genommen, was für ihn wichtig war! Wenn er Pech hat, wird er einer der Sklaven im Schloss!“

„Er wollte Mimoun töten und er hat mich gestochen. Es ist gerecht.“

Dhaômas Hände zitterten, als er vollends begriff was das bedeutete. Sein Drache hatte seinem Bruder die Magie genommen, indem er ihren Zusammenhalt zerstört hatte. Jeder ‚Jagmarr’ hatte so einen Nebel in sich, deshalb gab es solche, die irgendwann wieder zaubern konnten. Wenn die Kraft wieder zu einem See wurde. Außerdem würde es so aussehen, als hätte der Drache den Anführer verflucht. Erst sprach er das Wort, nun wurde Radarr zu einem! Die Magier würden eine Heidenangst vor Lulanivilay bekommen! „Es wäre netter gewesen, du hättest ihn getötet.“, murmelte er.

„Das hätte dich traurig gemacht.“

„Ja, aber das ist so grausam.“

„Dhaôma? Was ist passiert?“ Genahn hatte das für ihn unverständliche Gespräch verfolgt. Irgendetwas war mit seinem Freund passiert. Etwas, das schlimmer war als der Tod.

„Du musst Radarr in Sicherheit bringen. Er ist jetzt einer, der seine Magie nicht mehr nutzen kann, bis er sich erholt. Es tut mir so Leid! Penny wird außer sich sein, wenn sie es erfährt. Und Radarr… Genahn, bitte, gib ihn nicht auf, ja? Er kann wieder normal werden, aber wenn du ihn verrätst, dann holt ihn der Zirkel der geteilten Geister. Und das wäre wirklich fürchterlich!“

Zum ersten Mal seit er ihn kannte, war das Lächeln aus dem Gesicht des dunkelhaarigen Mannes verschwunden. „Ein Jagmarr? Hat der Drache ihn verflucht?“

„Nein. Er hat seine Magie durcheinander gebracht. Es ist… die Kraft muss sich erst wieder ordnen, bevor er sie benutzen kann, aber dazu braucht er Zeit, die er nicht hat, wenn er in die Hände des Zirkels gerät.“ Verzweifelt schüttelte Dhaôma den Kopf, dann rutschte er von Lulanivilays Rücken. „Ich muss ihn mir ansehen, vielleicht…“

Doch Genahn schüttelte den Kopf. „Wenn du das tust, werden sie dir die Schuld dafür geben.“ Vorsichtig strich er dem aufgelösten jungen Mann ein paar Haare aus dem Gesicht. „Ich kümmere mich um ihn. Ich bringe ihn in Sicherheit. Ich hoffe nur wirklich, dass sich damit der Graben zwischen euch nicht noch verbreitert, wenn er erfährt, dass Lulanivilay das verursacht hat.“

„Das…“ Flehend blickte Dhaôma den Drachen an, der mit seiner gewöhnlichen Ruhe den Blick erwiderte. Letztlich ließ er den Kopf hängen. „Bitte, denke nicht, dass Vilay das oft macht. Radarr hat ihn bloß wütend gemacht, deshalb…“

„Ich versteh schon. Ich habe es ja gesehen. Er hat nur beschützt, was ihm wichtig ist.“ Und nach einem kurzen Zögern lächelte Genahn. „Ich werde es keinem sagen. Flieg einfach zurück und vergiss das Ganze. Um deinen Bruder kümmere ich mich.“

Nickend ließ sich Dhaôma auf den Drachenrücken heben, dann startete Lulanivilay.

Als er zu den Hanebito zurückkehrte, hatte sich der Drachenreiter entschieden, seinen eigenen Rat an Mimoun anzunehmen und die Schuld für diese Sache nicht auf sich zu nehmen. Radarr konnte sich selbst heilen, er war nicht tot. Lulanivilay hatte seine Sache gut gemacht und das beschützt, was ihm am wichtigsten war, also gab es nichts, das er ändern konnte oder wollte. Vielleicht war es so sogar das Beste. Wenn er nicht angreifen konnte, dann konnte er auch niemandem mehr schaden.

Mit der Magie, die im Laufe des Tages in ihm gewachsen war, holte er eines der Blitzopfer vollständig aus seinem Koma und heilte die schwelenden Verbrennungen eines anderen. Auch Keithlyns Arm verschaffte er die nötige Stabilität, damit sie die Schienen nicht mehr brauchte. Sie durfte es aber nicht übertreiben, denn geheilt war er noch nicht. Später kehrte er zu Mimoun zurück und schlief recht schnell ein.
 

Durch den Schlaf den Nachmittag über war es diesem ein Leichtes gewesen, wach zu bleiben, bis die Freunde zurück waren. Erst als er sie zurückkehren sah, schwand die leise Beunruhigung, die ihn bis dahin unbewusst erfüllt hatte.

Als Dhaôma dann bei ihm einschlief, war er selbst zu ausgeruht, um weiter zu schlafen. Darum blieb er weiter wach und beteiligte sich von diesem Platz aus an der Wache. Nicht das eine von Nöten gewesen wäre. Die Nacht blieb genauso ruhig, wie die vorhergehende. Von Seiten der Magier drohte ihnen keinerlei Gefahr mehr, dennoch gingen sie noch immer auf Nummer sicher. Erst als die Nacht sich ihrer zweiten Hälfte zuwandte, ließ Mimoun sich zurücksinken und zog seinen Magier in die Arme. Eine Nacht ohne ihn war einsam genug.
 

Der Morgen begann für alle mit militärischer Präzision sehr früh. Kaley war anwesend und duldete keine Verweichlichung. Wieder wurde ein Jagdtrupp los geschickt. Ein anderer Teil durfte sich mit der Jagd nach Fischen beschäftigen. Tyiasur zog es vor zu warten, bis sich die Geflügelten wieder vom Ufer zurückgezogen hatten. So wie die im Wasser herumstocherten, war ihm das für seine eigene Haut zu riskant. Sehnsüchtig sah er auf die Wellen und lehnte sich ein wenig zur Seite, als Mimoun seinen Kopf kraulte. Der Drachenreiter brauchte auch Bewegung, aber solange Dhaôma anwesend war und er selbst nicht völlig ausgeheilt, konnte er sich keiner Jagd anschließen. So blieb ihm nicht viel zu tun, als hier herumzustehen und Tagesplanung zu betreiben.

Wie sollte weiter verfahren werden? Sich mit einer kleinen Armee Geflügelter auf Magiergebiet aufzuhalten, war riskant und kontraproduktiv. Aber wie sollten sie möglichst unbemerkt wieder zurückkehren? Und Keithlyn? Dies hier war nun wirklich kein Ort für ein Kind. Das Problem war nur, dass sie da völlig anderer Meinung zu sein schien.
 

Am Abend waren alle Verletzungen soweit geheilt, dass sie nicht mehr Dhaômas Hilfe benötigten. Für ihn war es gut so, denn die eintönig fleischliche Ernährung machte ihn unzufrieden. Zwar würde er sich bis zum nächsten Morgen gedulden müssen, aber das hielt er schon noch durch. Mimoun und Asam trugen endlich ihren Übungskampf aus, was eine gern gesehene Abwechslung bot. Und langsam aber sicher wurde deutlich, dass sich Kaley ausgerechnet Aylen als persönliche Schülerin ausgesucht hatte. Es war nicht ganz klar, ob das war, weil er sie beschützen wollte, oder weil sie ein herausragendes Können besaß, aber nichts desto trotz forderte er sie jeden Tag hart. Man musste ihr zugestehen, dass sie gut war. Nicht sonderlich stark, aber dafür einfallsreich und wendig.
 

Am nächsten Tag diskutierten die Drachenreiter, Asam und Kaley, was sie am besten mit den Hanebito machen sollten. Irgendwie waren alle der Meinung, dass sie wohl besser zu den fliegenden Inseln zurückkehren sollten, aber obwohl das der offensichtlich beste Weg war, ließ Asam fallen, dass es einige gab, die sich das nicht gefallen lassen würden. Kaley grummelte etwas von sturen Frischlingen, aber beinahe hatte Dhaôma den Eindruck, er würde das nicht ernst meinen.

„Was wäre denn, wenn sie nicht zurückkehren. Dann müssten sie bei uns bleiben, damit wir auf sie aufpassen können, oder?“

„Hältst du das für eine gute Idee, Dhaôma? Wenn ihr noch mehr Menschen bei euch habt, werdet ihr niemals vorankommen.“

Bekümmert nickte der Braunhaarige. Das wusste er. Aber andererseits war es hilfreich gewesen, die Hanebito als Beispiel dabei zu haben, um die Soldaten zu überzeugen. Eine Geflügeltenarmee, die schon vier Tage in Magiergebiet war und noch immer nicht angriff? Etwas Eindeutigeres gab es kaum.

„Asam muss jedenfalls wieder zurück.“, nahm Kaley den Faden wieder auf. „Wir sind nur gekommen, weil man uns sagte, die Armee sei ausgerückt. Ich wollte ihnen den Kopf waschen, was sie hier verloren haben.“

„Ich denke, ich möchte gerne bleiben.“, platzte Asam nachdenklich heraus und stützte sich mit den Händen hinter sich ab. „Es ist so interessant. Die Magier sind wirklich seltsame Wesen. Ich möchte mehr über sie lernen.“

„Das könnt Ihr immer noch, wenn erstmal Frieden herrscht.“, polterte Kaley ihn an. „Wenn Ihr hier sterbt, dann wird es niemals Frieden geben!“

„Ja, das ist wahr. Und ich würde Fiamma und Seren nie wieder sehen. Und Leoni…“ Sein Blick klarte auf. „Ja, beschlossene Sache. Wir fliegen morgen früh zurück.“
 

Ein erleichtertes Seufzen entrang sich seinen Lippen. Mimoun war kurz davor, dem jungen Ratsmitglied Verstand einzuprügeln. Er war Addars einziger Erbe und der zukünftige Anführer der Geflügelten. Sein Platz war nicht an der Front. Auch wenn das nicht der Grund war, aus dem Asam eingelenkt hatte, es war gut so.

„Gut.“ Auch Kaley gab sich damit nun zufrieden und wandte sich an die Drachenreiter. „Und wie sieht euer weiteres Vorgehen aus?“

Mimoun zuckte mit den Schultern. „Eigentlich war nicht einmal geplant, jetzt schon auf Radarr und Anhang zu treffen. Aber Lesley wollte es so. Dadurch sind wir zum Glück ein gutes Stück weiter gekommen. Jetzt bräuchten sie einige Tage, um das Geschehen verarbeiten zu können.“ Mimoun wandte sich Dhaôma zu. „Wolltest du vor oder nach der Auseinandersetzung mit dem Zirkel nach Hause?“
 

Dhaôma lächelte. „Vorher. Dann kann ich noch mit Penny sprechen.“ Er wollte ihr erklären, was passiert war. „Es ist die gleiche Stadt, also ist es nur ein kurzer Abstecher.“ Die Beine anziehend legte er das Kinn auf die Knie. „Vielleicht sollten wir es wagen, jetzt schon dorthin zu gehen. Wir haben jetzt die Armee auf unserer Seite und die Rebellen. Viele Menschen kennen uns schon, obwohl sie uns noch nie gesehen haben. Vielleicht reicht es ja schon mit Vorbereitung. Und wenn es vorbei ist, dann können wir richtig anfangen zu planen, nicht wahr?“
 

Mimoun wandte sich wieder Kaley zu und deutete auf Dhaôma. „Wie er gesagt hat. Unser nächstes Ziel ist die Stadt.“ Mimoun selbst war das einerlei. Dabei gab es einfach keinen perfekten Zeitpunkt. Wenn nicht jetzt, wann dann?

Mimoun runzelte die Stirn und ließ sich Dhaômas letzten Satz noch einmal durch den Kopf gehen. „Wenn es vorbei ist, brauchen wir auch nicht mehr zu planen. Oder hab ich etwas verpasst?“
 

„Dann muss man planen, wie der Frieden bewahrt werden kann.“, belehrte ihn Dhaôma. „Wenn wir einfach Frieden schaffen, indem die Kämpfe enden, und dann unser Leben so leben wie zuvor, dann wird es wieder zu Kämpfen kommen. So etwas Großes wie Frieden muss gefestigt werden, gehegt und gepflegt. Das ist viel mehr Arbeit, als einfach zu sagen, wir legen die Waffen nieder.“

„Das könnt ihr dann aber uns Anführern überlassen, meinst du nicht?“

„Die Magier haben dann keinen Anführer mehr. Den wollen wir ja stürzen.“, wandte der Magier ein, dann seufzte er. „Ich weiß schon, immer ein Schritt nach dem anderen.“
 

„Wie wird das dann eigentlich bei den Magiern sein, wenn kein König mehr vorhanden ist? Wer übernimmt seinen Platz, wer führt die Magier?“, wollte Mimoun neugierig geworden wissen. Selbst wenn jetzt schon ein Nachfolger existieren sollte, wäre das auch nur eine vom Zirkel manipulierte Puppe. Die Magier würden völlig ohne Führung dastehen. Es dürfte Chaos geben. Voll übler Vorahnung verzog Mimoun das Gesicht. Keine schönen Voraussetzungen für einen jungen Frieden.
 

„Das haben sie selbst zu entscheiden.“, zuckte Dhaôma mit den Achseln. „Sie werden schon jemanden finden, dem sie vertrauen.“ Im Grunde interessierte es ihn nicht sonderlich. „Wenn es soweit ist, könnt ihr ihnen ja sagen, wie das bei euch gemacht wird, dann haben sie zumindest schon mal ein Vorbild. So ein Rat hat schon was für sich.“

„Maral! Es sind Magier auf dem Weg hierher!“ Ein junger Geflügelter mit rotbraunem Haar hastete auf die vier zu. „Es sind viele, aber sie tragen keine Rüstungen.“
 

„Dann beruhigt euch.“, verlangte Mimoun scharf, bevor ein anderer das Wort erheben konnte. Neben ihm waren auch Kaley und Asam aufgesprungen. Sie ließen sich die Richtung weisen und sahen den Magiern entgegen.

Sie waren nicht die einzigen. Unruhe machte sich unter den Kriegern breit und war beinahe greifbar. Während sich Asam in Begleitung Kaleys zur Begrüßung ein wenig vor die Lagernden wagte, lief Mimoun durch die Reihen und zerstreute zu offensichtliche Grüppchenbildung, nahm hier und da einen hastig ergriffenen Bogen aus der Hand, zog einen, der sich in die Luft geschwungen hatte, am Fuß wieder herunter.

„Sie sind ohne Rüstung hier. Sie wollen keinen Kampf.“, schärfte er den Männern immer wieder ein. „Also werdet auch ihr ruhig bleiben. Es gibt absolut nichts, was ihr befürchten müsstet.“

Als die Magier schon ganz nah waren, nahm Mimoun den ihm zustehenden Platz ein. Vorne neben Asam und Kaley. Er streckte den Arm aus und Tyiasur nahm auf der Schulter seines Reiters Platz. Ein Zeichen, damit er als das erkannt werden würde, was er war. Ein Drachenreiter. War doch einfach. Er brauchte dafür keine Magierkleider tragen oder sonst ein besonderes Zeichen. Der kleine Blaue machte den Status des Geflügelten mehr als offensichtlich.
 

Dhaôma hatte die hektische Betriebsamkeit angespannt beobachtet, war zu Lulanivilay gegangen und lehnte nun gegen dessen breiter Brust. Sie standen ein wenig abseits auf halber Strecke zwischen den beiden so unterschiedlichen Völkern. Nur der Fluss war noch vor ihnen. Der Drache präsentierte sich locker, selbst seine Flügel waren bequem angelegt, aber die Muskeln unter Dhaômas Rücken arbeiteten.

„Glaubst du, sie greifen an? Sie brauchen keine Rüstungen, um Magie zu wirken.“, murmelte der junge Mann.

„Nein.“, war die ebenso leise Antwort. Es klang beruhigend und Dhaôma lächelte.

„Was meinst du, was meine Aufgabe hier ist? Ich möchte mich da nicht einmischen.“

„Deine Aufgabe wurde von ihnen längst entschieden.“, prophezeite Lulanivilay gleichgültig wie immer und die dolchartigen Krallen seiner linken Pranke bohrten sich beinahe gelangweilt in den Boden. „Sie suchen nach dir.“

„Was?“ Erschrocken über diese hanebüchenen Worte, zerfiel seine zur Schau gestellte Ruhe.

Und tatsächlich. Die Magier blieben gesammelt stehen und sahen sich um. Unter ihnen waren viele der wenigen Frauen, die den Weg eines Soldaten eingeschlagen hatten. Respektvoll begrüßten sie die Hanebito mit Senken ihrer Köpfe. „Wir kommen ohne böse Absichten.“, verkündete einer. „Wir suchen die Drachenreiter. Dhaôma en Finochinu en Regelin und Mimoun äh…“ Der Mann verbeugte sich, eine Faust an seiner Schulter, vor Mimoun. „Verzeiht, dass wir Euren Namen nicht vollständig nennen können. Es wäre uns eine Ehre, würdet Ihr ihn uns mitteilen.“

Ein anderer Mann in weinroter Kleidung und hellem, braunem Haar tippte den Anführer an und zeigte zu Dhaôma hinüber. Dieser reagierte nicht, sondern wartete auf Mimouns Reaktion.
 

Angesprochener wusste nicht, ob er lachen oder weinen sollte. Was mussten diese Magier auch so komplizierte Verhaltensweisen an den Tag legen.

„Bei uns sind solcherlei Anreden nicht üblich, so gesehen ist Mimoun mein vollständiger Name.“ Er lächelte nachsichtig. „Mimoun en Cerel en Rahol müsste ich bei euch heißen.“ Damit sich die Ranghöchsten seines Volkes nicht übergangen fühlen mussten, stellte er auch sie der Reihe nach vor, wenn auch nicht auf die komplizierte Art der Magier.

Anschließend wandte er sich nach einem kurzen versichernden Blick zu Dhaôma wieder den Magiern zu. „Was verschafft uns denn die Ehre eures Besuches?“
 

Geduldig hatte er gewartet, dass Mimoun fertig sprach, hatte höflich jeden vorgestellten begrüßt. Jetzt ging die gesamte Horde Soldaten wie ein Mann auf ein Knie herunter. Die eine Hälfte Mimoun, die andere Dhaôma zugewandt, legten sie die rechte Hand zur Faust geballt an die Schulter und neigten ehrerbietig die Köpfe. „Wir schwören Euch, Mimoun en Cerel en Rahol, und Euch, Dhaôma en Finochinu en Regelin, Ergebenheit und Treue bis in den Tod. Euer Anliegen ist das unsere. Verfügt über uns.“, riefen sie wie aus einem Mund.

„Aiaiai.“ Dhaôma war bei der Aktion zusammengezuckt und hatte das dringende Bedürfnis sich hinter Lulanivilay zu verstecken. Es war ihm egal gewesen, dass er nur Unterkleider trug, aber nun wünschte er sich den Mantel. Er hätte ihn wenigstens bedeckt. Vielleicht hätte er sie vertrieben.

Ganz hinten, hinter allen, sah er einen über beide Ohren grinsenden Genahn. Der würde noch etwas zu hören bekommen. Mit Sicherheit hatte er das gewusst und ihm deshalb diese Kleider ausgesucht. Und trotzdem hatte er ihn nicht gewarnt. Mistkerl!

„Siehst du, sie haben längst für dich entschieden.“, erklang Lulanivilays Stimme in seinem Kopf und er schickte dem Freund einen wütenden Blick.

„Fein.“, murrte er und stieß sich von seinem Freund ab. Mit festen Schritten und geballten Fäusten ging er auf die Magier zu. „Was soll das?“, rief er und in seiner Stimme schwang ein wenig von der unterschwelligen Wut mit, die er empfand. „Was sollen wir mit Untergebenen? Ihr schwört uns Ergebenheit? Was, wenn wir die nicht wollen?“ Seine Füße erreichten das Wasser, aber er stoppte nicht, ging einfach darüber hinweg, während das Wasser unter seinen Füßen zu Eis erstarrte. „Haben wir da nicht wenigstens ein Wörtchen mitzureden?“ Schließlich stand er vor ihnen. „Steht auf.“, forderte er. Und sie taten, was er wollte. In ihren Gesichtern konnte er gemischte Gefühle sehen. Plötzlich tat es Dhaôma Leid, dass er sie so anfuhr. „Weder ich noch Mimoun sind darauf aus, Gefolgsleute zu sammeln. Wenn ihr für unsere Sache kämpft, ist das in Ordnung, aber bitte erhebt uns nicht über euch. Wir sind einfach nur Menschen. Reicht das nicht?“

Unsicherheit hatte die Magier ergriffen. Sie sahen einander an und beinahe furchtvoll zu dem gerade noch so wütenden Drachenreiter. Ein paar versuchten visuell wenigstens bei Mimoun Unterstützung für ihren Entschluss zu finden.
 

Wie vom Donner gerührt hatte Mimoun auf die Knienden gestarrt. Nun rieb er sich mit den Händen über das Gesicht. Sie hatten ihn tatsächlich mit dem ganzen Anhang angesprochen. War das denn zu fassen? Hatte er ihnen nicht gerade verständlich gemacht, dass das für Geflügelte unüblich war?

Energisch schüttelte er den Kopf, um sich dem naheliegendsten Problem zu stellen. Zwar musste er seinem Freund Recht geben, aber das Ganze hätte man auch diplomatisch lösen können.

„Danke.“, begann er schlicht. „Es ist schön zu hören, dass auch ihr endlich Frieden wollt.“ Mimoun wandte sich von einem verhalten grinsenden Asam und einem aufmerksam beobachtenden Kaley ab und flatterte die wenigen Meter auf Dhaôma zu, stellte sich an dessen Seite. Durch die Masse der Geflügelten lief eine leichte Bewegung und man spürte die Spannung weichen. Mit Getuschel hielten sie sich aber zurück. Jeder von ihnen wollte hören, was hier geschah. „Und es ist schön zu wissen, dass ihr uns unterstützen wollt. Aber ich gebe Dhaôma Recht. Wir wollen keine Untergebenen. Wir sind nicht als Anführer geeignet. Solange ihr nicht zu den Waffen greift und davon abseht, Magie zum Kampf zu nutzen, helft ihr uns damit mehr, als es die Menschen in euren Städten vermögen.“
 

Die Unruhe unter den Männern wuchs. Schließlich brach sich die Frage Bahn, die wohl jeden beschäftigte. „Weist ihr uns ab? Vielleicht, weil wir Soldaten sind?“

„Ai. Nein!“ Dhaôma hob erschrocken die Hände, denn das, was er hinter der Frage spürte, war aufwallender Zorn. „Nein, bitte. Wir weisen euch nicht ab. Ihr seid uns willkommen, aber lieber als Freunde als als Untertanen.“

„Was heißt das?“, fragte der, der als erster gesprochen hatte, und endlich schaltete sich Genahn ein.

„Ich habe euch gesagt, dass das so nichts wird. Sie werden euch an ihrer Seite und für ihre Sache willkommen heißen, auch ohne dass ihr euch ihnen ausliefert.“

„Das ist es!“, rief Dhaôma erfreut. „Wir brauchen keine Armee, sondern Menschen, die mit Worten und Taten überzeugen, ohne weiter zu verletzen oder zu sterben.“

Die Männer sahen ihn an, dann trat plötzlich einer vor, streifte wortlos seine Jacke ab und legte sie dem braunhaarigen jungen Mann um die Schultern, dass dieser augenblicklich hochrot anlief. „Ihr solltet nicht in Unterkleidern vor uns stehen.“

„Aber dass Ihr ohne Mantel dasteht, ist in Ordnung?“, wollte Dhaôma wissen.

„Ich bitte Euch. Ihr würdet mir einen großen Gefallen tun, wenn Ihr sie tragt.“

„Hm.“ Lange betrachtete Dhaôma den Mann, bevor er seine Arme durch die Ärmel steckte und nickte. „In Ordnung. Dafür versprichst du mir aber etwas, ja?“ Und als der Mann erwartungsvoll nickte, fügte er hinzu: „Du setzt dich bei deinen Leuten dafür ein, dass mich keiner mehr so hochgestochen anspricht. Ich bin Dhaôma, ich bin ein Mensch. Du ist völlig in Ordnung.“

Aus seinem Gesicht wich alle Farbe. „Aber das…“

„Okay, Auszeit.“, mischte sich Genahn ein. „Dhaôma, verlang nicht zu viel von ihnen. Lass ihnen ein wenig Zeit.“

„Meinst du?“

„Ja.“ Die Augen des dunkelhaarigen Magiers glitzerten hoch amüsiert.

„In Ordnung.“, seufzte der Braunäugige, gab sich geschlagen. Warum hatte er auch in diese Familie hineingeboren werden müssen? Kurz sah er zu Asam, eindeutig eine Frage an ihn sendend. Die Geste war eindeutig: Mach, was du für richtig hältst. So hob er die Stimme und breitete Aufmerksamkeit heischend die Arme aus. „Magier. Seid uns willkommen. Setzt euch zu uns, damit wir reden können. Immerhin stehen wir jetzt alle auf einer Seite, da wird es Zeit, dass wir uns kennen lernen, nicht wahr?“
 

„Das wird doch nie was.“, seufzte Mimoun, wohlweislich leise genug, dass man genau hinhören musste, um ihn zu verstehen. Warum mussten Magier immer so geschwollen reden und auf ihre Förmlichkeiten beharren? Und warum verstanden sie ein Nein immer sofort als persönlichen Angriff?

Er wandte sich zu seinen Leuten um und machte mit knappen Gesten klar, dass er die Querköpfe im Auge behalten würde.

Anfangs war da die Unsicherheit. Frieden zu predigen war eine Sache, aber jetzt so umzusetzen für viele eine Herausforderung. Es war Keithlyn, die die wenigste Scheu hatte und sich sofort wieder zu Genahn gesellte. Zur Begrüßung präsentierte sie gleich den verheilten Arm und begann den Mann zuzutexten, wie es ihre Art war. Dass sie dabei umringt von Magiern war, störte sie keineswegs.

Asam war der Nächste, der das Flussufer wechselte und damit mit gutem Beispiel voranging. Danach dauerte es nicht mehr lange und andere folgten. Sie setzten alle knapp hinter der Wassergrenze auf und näherten sich weiter zu Fuß den Magiern. Für die Geflügelten war es nun einmal einfacher, den Fluss zu überqueren. Man brachte auch das wenige vorhandene Essen mit, um die ganze Situation ein wenig aufzulockern. Nur wollten keine Gespräche in Gang kommen. Niemand wusste, wo anfangen.

„Ehrlich, Leute.“ Mimoun raufte sich gespielt die Haare. „Ist doch nicht so schwer. Macht was Nützliches und fangt an zu diskutieren, was für die Wahrung des Friedens notwenig ist. Der Rest kommt von allein.“
 

Sowohl Asam als auch Genahn begannen zu lachen. „Du bringst die Reihenfolge völlig durcheinander, Mimoun.“, schüttelte der Magier den Kopf. „Lass uns mal machen.“

„Genau. Geh spielen, während die Erwachsenen Reden.“, frotzelte Asam, dann steckten die beiden mit einigen anderen die Köpfe zusammen. Dhaôma und Mimoun standen ziemlich hilf- und nutzlos dabei und sahen zu, wie nach und nach das Eis brach. Es ging nicht darum, Frieden zu bewahren, sondern was man tun konnte, um Frieden zu erreichen. Die Magier und die Hanebito hatten das gleiche Problem. Unter ihnen gab es noch immer Menschen, die nicht daran glauben wollten, dass es wirklich möglich war, Frieden zu schaffen. Also brauchte man eine Möglichkeit, auch jene davon zu überzeugen, die noch zweifelten.

Immer mehr Menschen fügten sich in die Gruppe der Diskutierenden ein. Längst war nicht mehr wichtig, welchen Rang einer vertrat, wenn er etwas sagte. So viele Vorschläge wurden gemacht, so viele verworfen und zerredet. Für Dhaôma war das das anstrengendste Gespräch, das er je geführt hatte. Zumal er sich da absolut nicht einmischen wollte. Mit seiner kleinen Gruppe und ihrer selbst auferlegten Aufgabe hatte er wahrlich genug zu tun.

Und dann kam ausgerechnet Keithlyn auf die Idee, die alle überzeugte. „Wie wäre es, wenn wir ihnen bildhaft veranschaulichen, dass die beiden Armeen die Waffen niedergelegt haben?“, fragte sie und stand auf, um aus der Masse großer Männer und Frauen herauszuragen. „Das bedeutet, wir sollten alle gemeinsam zum Schloss der Wahren Stimme ziehen. Jeder würde es sofort erkennen, dass kein Kampf zwischen uns stattfindet. Hanebito und Magier, eins in eins, stehen hinter den Drachenreitern und stehen für Frieden ein. Dann hätten wir auch auf jeden Fall genug Stärke, um gegen sie zu bestehen, falls sie sich für einen Angriff entscheiden.“ Sie wirkte in dieser Umgebung mit ihrer hellen Haut und den weißen Haaren fast unwirklich. Ihr Lächeln und ihre Offenheit gegenüber den Magiern waren wie Balsam auf den unsicheren Gemütern. „Seht euch doch an.“, rief sie. „Ihr sitzt hier eh schon alle gemeinsam, esst, trinkt, beratet, was ändert es schon großartig, wenn ihr dieses Verhalten im Gehen an den Tag legt?“

Xairas Augen wurden schmal vor Misstrauen. „Lass mich raten. Diesen Vorschlag bringst du, damit du nicht mit den anderen zu den Inseln zurückmusst.“

„Aber…“

„Ich finde es vernünftig, was sie vorgeschlagen hat.“ Asam lehnte sich ein wenig zurück und schenkte dem Kind ein dankbares Lächeln. „Eine solche Demonstration von Friedensgeist wirkt mit Sicherheit Wunder. Das hat man bei uns auf den Inseln schon gesehen, als wir Dhaôma aufgenommen haben.“ Sein Blick glitt zu Mimoun und Tyiasur. Er vertraute darauf, dass der kleine Drache ihn warnen würde, falls das eine Falle sein würde. „Wenn niemand etwas gegen diesen Vorschlag einzuwenden hat, dann nehmen wir ihn an. Zeigen wir allen, was unser Traum ist.“
 

Schlagartig hob sich Mimouns Hand. Natürlich hatte er etwas dagegen. Mit zwei Armeen beim Schloss aufzutauchen, konnte von vornherein als Bedrohung aufgefasst werden. Außerdem mussten die Magier laufen und würden zu lange für den Weg brauchen. Und gleich noch einmal, da die Geflügelten ebenfalls laufen mussten und er aus eigener Erfahrung wusste, wie anstrengend das für Ungeübte war.

Bevor diese Geste aber jemand registrieren konnte, schnellte Tyiasur nach vorn, ergriff das Handgelenk und drückte es durch Versteifen des Körpers herunter.

„Sei nicht dumm.“ Mehr nicht. Nur diese wenigen Worte.

Mimoun verschränkte beleidigt die Arme und starrte auf die Menge vor sich und entspannte sich langsam wieder. Er benahm sich wirklich albern. Auch wenn es den Zirkel nicht umstimmen konnte. Eine bessere Demonstration konnte es für die Magier in den Städten einfach nicht geben.

„Jetzt noch die Rebellen mit integrieren und wir haben alle Parteien beisammen.“, seufzte er halblaut und mit einem leicht resignierten Unterton. „Und außerdem haben sie dann ihren Willen bekommen und folgen uns.“
 

Es wurden dann doch noch einige Ideen genannt und wieder verworfen. Am Ende entschied man sich dafür, Keithlyns Vorschlag umzusetzen. Und es wurde deutlich, dass Asam mit dabei sein würde. Sein Argument gegenüber seinen Leuten und Mimoun war: „Wie können wir Frieden erwarten, wenn wir nicht bereit sind, Risiken einzugehen? Wenn ich mich verstecke und in Sicherheit bin, bis alles vorbei ist, können wir auch ein Banner aufspannen: Wir vertrauen euch eben doch nicht. Das ist ganz einfach. Ich bleibe hier.“ Seine Selbstsicherheit und Überzeugung erinnerte viele an Addar und von diesem war bekannt, wie häufig er richtig gelegen hatte, diesem vertraute man.

„Was ist, wenn du stirbst. Was ist mit Leoni?“, fragte jemand.

„Sollte mir etwas passieren, wird es genügend Menschen geben, die sich um die drei kümmern werden.“ Seine Augen huschten kurz zu Mimoun und Dhaôma, dann grinste er breit und voller Tatendrang. „Ihr werdet mich nicht umstimmen. Ich bin dabei, egal, was ihr davon haltet. Wie könnte ich mir ein solches Ereignis entgehen lassen?“ Und nach einem herausfordernden, wenig ernst gemeinten Blick auf die Soldaten und ihre Muskeln fügte er hinzu: „Außerdem kann ein bisschen diplomatisches Geschick auch nicht schaden.“

Genahn war der gleichen Meinung und auch ein paar der Hanebito stimmten ihrem Anführer zu, also holten die Magier eine Karte ihres Landes, um mit deren Hilfe die Route festzulegen, die sie beschreiten wollten. Es würde Wochen dauern, bis sie die Hauptstadt erreichten. Beinahe kam sich Dhaôma in die Zeit zurückversetzt vor, in der er noch auf seine Füße angewiesen gewesen war. Und so wie Mimoun zu jener Zeit würden diesmal viele Hanebito und ein großer Drache darunter leiden, dass die Magier so schrecklich langsam waren.
 

Es wurden noch zwei weitere Tage damit verbracht, zu planen. So vieles wollte besprochen und bedacht werden. Unter anderem der Schutz der Hanebito vor vielleicht revoltierenden Städtern oder angreifenden Uneinsichtigen. In dieser Zeit schlossen sich ihnen noch einige andere Magiersoldaten an, die zu der Einsicht gekommen waren, dass der Krieg vermutlich wirklich vorbei sein würde und ihre Entscheidung keine negativen Auswirkungen auf ihre Karriere oder ihr Leben hätte.

Xaira und Volta waren inzwischen zu einer Art Berater für die beiden Fronten geworden. Juuro hielt sich lieber aus allem raus. Er passte stattdessen auf, dass es keinen Streit zwischen den frisch befriedeten Gruppen gab, der nur allzu oft auszubrechen drohte. Es war eben nicht einfach, zwei so unterschiedliche Lebensstile zu vereinbaren. Seltsamerweise war der sonst so schweigsame Mann wie geschaffen dafür, diese Zwiste mit wenigen Worten zu beenden, ohne dass etwas schlimmeres passierte. Der zweite Schlichter war Lulanivilay, der auf seine Art dafür sorgte, dass keine Handgreiflichkeiten stattfanden. Alles in allem gaben sich alle Mühe, freundlich und verständig zu sein.

Dhaôma verbrachte diese Verzögerung ihrer Reise mit Mimoun und im kritischen Gespräch mit den Halblingen. Immer wieder mussten er und sein geflügelter Freund Rede und Antwort stehen, wenn den Magiern ein bestimmter Teil ihres Vorgehens oder der Reise nicht ganz klar war. An den Abenden wurden auf Asams und Genahns Geheiß hin um große Feuer herum Gesprächsgruppen gebildet, die von den beiden Völkern erzählten. Unterschiedlichste Ansichten und Lebensweisen, Familiensysteme und Erziehungsmethoden wurden dargelegt. Einzige Regel: keiner durfte etwas dagegen sagen. Sie sollten lernen, dass es auch andere Arten gab, ein Leben zu leben, dass nicht nur die eine Art, die sie gewohnt waren, richtig war. Für Dhaôma war das die schönste Zeit, da er mit Mimoun kuscheln konnte und gleichzeitig so viel Neues erfuhr.

Allerdings gab es eine Strömung innerhalb der beiden Völker, die Dhaôma ganz und gar nicht gefiel. Hatte er zuvor bei den Hanebito eine autarke Position innegehabt und bei den Magiern eine, an der man sich orientieren konnte, spürte er, dass es nun anders war. Sie sahen zu ihm auf. Zu ihm und Mimoun. Sie wollten, dass sie ihnen sagten, was sie zu tun hatten, wie sie sich verhalten sollten. Und sowohl Genahn als auch Asam und Kaley machten ihm klar, dass er sich dieser Rolle nicht entziehen konnte. Er war Drachenreiter. Er wollte Frieden. Wenn er es wirklich ernst meinte, dann musste er nutzen, was sich ihm bot. Wenn das bedeutete, dass er vorangehen und die Menschen führen musste, dann musste er das tun, sonst konnte es so wirken, als meine er es nicht wirklich ernst.

„Du kannst dich dem erst entziehen, wenn jemand anderer an deine Stelle getreten ist.“, meinte Xaira, als er sich bei ihr beklagte. Ihr gefiel diese Tendenz mehr, als sie ihm zeigte. Im Grunde hatte sie ohnehin schon damit gerechnet. „Finde dich damit ab.“
 

„Zumindest ist damit gesichert, dass sie keine Dummheiten machen.“, fügte Mimoun hinzu und wandte sich dann wieder der Vorbereitung zu. Die Marschroute stand nun fest. Bei der Anzahl Geflügelter, die dieser Prozession angehörten, war ein direkter Weg durch den Wald kräfte- und nervenzehrender, als gut für die Stimmung war. Der geflügelte Drachenreiter hatte diesen Punkt schon sehr früh in der Planung angemerkt, schließlich hatte er diese Erfahrung selbst zur Genüge gemacht. Sein Volk beherrschte nicht umsonst die Luft.

Ein zweites und schwerwiegenderes Problem war die Verpflegung. Man konnte nach dem Winter schlecht auf die Mithilfe der Städte und Dörfer pochen, die selbst nicht genug hatten, und Dank ihrer Masse war auch nicht damit zu rechnen, dass sie auf große Beute stoßen würden. Dhaômas Macht war zwar groß, aber reichte mit Sicherheit nicht aus, alle zu versorgen. Vielleicht schlossen sich ihnen noch andere an, die Pflanzen wachsen lassen konnten, damit wäre dieses Problem gelöst. Bis dahin mussten sie irgendwie anders durchhalten.

Das kam Lulanivilay gerade recht. Dass er laufen sollte, passte ihm gar nicht. Er konnte also für sie jagen. Flog er einfach ein paar Mal hin und her, während sie sich voranrobbten.
 


 

Heal the world

Make it a better place

For you and for me and the entire human race

There are people dying

If you care enough for the living

Make a better place for you and for me

Create a world

With no fear

Together we'll cry happy tears
 

[Michael Jackson – Heal the world]



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Kommentare zu diesem Kapitel (1)

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Von:  KuroMikan
2015-03-23T20:50:40+00:00 23.03.2015 21:50
Hallö :)

haha zu geil XD scheint aber wohl noch nicht ganz vom tisch zu sein ^^

ist irgendwie schon lustig XDD
morgen gehts ans nächste kapitel :)


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