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Der Weg aus dem Kampf

Wenn Träume Berge versetzen
von

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Schuld

Kapitel 72

Schuld
 

Mimoun nahm endlich die Hände wieder runter, die er schützend über seinen Kopf gehalten hatte, nachdem er von purer Muskelkraft zu Boden geschmettert wurde. Eher geistesabwesend nickte er dem Mann zu, murmelte irgendetwas von „Ist, glaub ich, grad besser so.“ und erhob sich auf die Füße. Wie aus weiter Ferne und als ginge es ihn nichts an, ließ er seinen Blick über das Schlachtfeld wandern. Mimoun hatte noch Glück gehabt, da er dicht hinter dem Drachen gestanden hatte. Ein weiterer Geflügelter war von dem schmalen Schwanzende getroffen wurde, das weitaus mehr Kraft und Geschwindigkeit beim Aufprall besessen hatte. Er rührte sich nicht mehr. Der zweite stemmte sich mühsam in die Höhe und spuckte Blut. Das kurz aufkeimende Entsetzen in Mimouns Bewusstsein wurde schnell besänftigt, als er mit der ihm gerade eigenen Ruhe erkannte, dass der Mann sich nur auf die Lippe gebissen hatte.

Er erkannte Keithlyn, die haltlos schluchzte. Sie hockte auf dem Boden nicht weit von ihm entfernt und umklammerte ihren Arm, der unnatürlich verdreht wirkte. Als Lulanivilay zum Angriff übergegangen war, hatte sie sich nicht festgehalten, sondern versucht aus seiner Reichweite zu verschwinden, und war von den riesigen Schwingen getroffen und zu Boden gedrückt worden.

Aber die einprägsamste Verletzung der ihn Umgebenden, war die Wunde in Lulanivilays Brust. Dieses dunkle Rot auf den grünen Schuppen bannte seinen Blick. Mimoun sah das Blut fließen und ihm wurde kalt. Entsetzlich kalt. „Dhaôma wird mir das nie verzeihen.“, flüsterte er mehr zu sich selbst und plötzlich schlug der Schrecken wirklich zu. Nur mit äußerster Anstrengung schaffte er es, das Zittern, das ihn befiel, nicht zu deutlich werden zu lassen.

„Bringt meine Kameraden bitte hierher.“, bat er den jungen Magier und trat neben Radarr. So viele Beleidigungen, eine zutreffender als die andere, lagen ihm auf der Zunge, doch er sprach nichts aus. Dies gerade war die deutlichste Demonstration dessen gewesen, was geschah, wenn er seine Zunge nicht im Zaum hielt. „Dhaôma hat es mir erklärt. Ich weiß, dass dieses Wort eine üble Beschimpfung für euch ist, obwohl es früher ein gebräuchlicher Begriff für Magier im Allgemeinen gewesen ist. Es tut mir Leid, dass du dich davon verletzt gefühlt hast. Aber Lulanivilay kann nur diese Sprache. Ist es dir nicht aufgefallen? Dass er unsere Namen übersetzt? Er kann es nicht anders.“

Ohne einen weiteren Blick wandte Mimoun sich um und versuchte die nun größere Anzahl an Verletzten irgendwie möglichst schonend so unterzubringen, dass sie bequem und ohne weitere Schäden von hier weg kamen.
 

Ihnen wurde von den Magiern geholfen. Es fanden sich zum Glück genug Mutige, die sich noch einmal in die Nähe dieses grünen Ungeheuers wagten, um die Hanebito in die Körbe zu setzen, alles unter den furiosen Blicken Lulanivilays, dessen Anspannung nur noch an seinem Schwanz wirklich deutlich war.

Genahn tröstete unterdessen Keithlyn. Er redete leise auf sie ein, während er ihr sagte, dass er ihren Arm jetzt schienen würde, damit sich Dhaôma darum kümmern konnte, der vermutlich zuerst seinen Drachen retten musste. Ein Ruck, ein leiser Laut, dann fügten sich die Knochen knirschend wieder zusammen. Sie weinte stärker, gab aber keinen Ton von sich. Das hier war nichts im Vergleich zu den Schmerzen, die sie damals erlitten hatte. Vorsichtig wickelte er ein Lederband um seinen Dolch und ihren Arm, um die Knochen zu stabilisieren.

„Du bist ein tapferes Kind.“, lobte Genahn sie. „Na los, er wird dich sicher nicht noch einmal abwerfen. Und ihr solltet euch beeilen, damit er nicht verblutet, bevor ihr bei dem Heiler ankommt.“ Damit half er ihr auf den Drachenrücken. „Mimoun.“, rief der Berater nach dem Schwarzhaarigen aus. „Ich hoffe, dass das unsere Friedensverhandlungen nicht negativ beeinflusst. Ich denke, sie alle hier haben genug von den Kämpfen.“
 

Angesprochener duckte sich ein wenig. „Das hier habe ich zu verschulden.“, erwiderte er leise und kaum hörbar. „Es wird keine Rachehandlungen von unserer Seite her nach sich ziehen, ihr habt mein Wort darauf.“

Langsam schritt er um Lulanivilay herum und begutachtete noch einmal die sichere Unterbringung von zumindest drei der Bewusstlosen. Einer musste von Keithlyn zusätzlich noch gehalten werden, da nur jeweils einer in die Körbe passte. Den vierten nahmen Mimoun und der Letzte in ihre Mitte.

„Warte nicht auf uns. Flieg zu Dhaôma. Beeil dich.“, bat der Geflügelten seinen schuppigen Freund und wandte sich noch einmal abschließend an die Magier. „Verzeiht bitte dieses Chaos. Es lag nicht in meiner Absicht etwas Derartiges heraufzubeschwören. Lebt wohl.“ Eine Antwort wartete er gar nicht erst ab. Ein kurzes Nicken und gemeinsam stießen sie sich ab, folgten dem Drachen in immer größer werdendem Abstand.
 

Dhaôma wurde wenig später von einem Stupsen mit einer großen grünen Schnauze geweckt. Das aufgeregte Gequassel um ihn herum machte weiterschlafen auch nicht einfacher, also setzte er sich auf.

„Ich habe Schmerzen. Hilf mir.“

Noch nie zuvor hatte Lulanivilay so etwas gesagt. Es löste so etwas wie Schock und nachfolgende Panik in Dhaôma aus. „Wo?“ Er registrierte im nächsten Moment Keithlyn, die weinte, die Hanebito, die alle nicht ansprechbar waren und dann Lulanivilays Wunde. Er blutete. „Was ist passiert?“, rief er, sprang auf und stürzte hinüber. „Vilay, das sieht furchtbar aus!“ Fahrig zerrte er an dem Geschirr, ließ es aber dann sein, als er merkte, dass er es mitsamt seiner Last eh nicht alleine herunterbekommen würde. „Rai! Hilf mir!“

Mehrere waren sofort zur Stelle, überwanden ihre Scheu vor der seltsamen Stimmung des Drachens und luden ihre Kameraden aus. Währenddessen ließ Dhaôma soviel seiner noch verbliebenen Kraft in den Drachen fließen, wie er konnte. Warum mussten solche schlimmen Verletzungen immer dann passieren, wenn er mit seiner Kraft am Ende war?

„Leg dich hin.“, verlangte er sanft, als endlich das Geschirr von ihm abgenommen worden war. „Was ist mit Mimoun? Ist er auch verletzt?“ In ihm schwelte Angst. Was, wenn er tot war? Was, wenn er von den Magiern getötet worden war, weil er…

„Himmel kommt nach. Er ist zu langsam.“ Der Drache seufzte und legte stöhnend den Kopf auf den Boden. Während sich die Wunde langsam immer weiter schloss, verschwand auch die Anspannung aus dem Körper.

„Du hast viel Blut verloren.“, bemerkte Dhaôma. „Ein Glück, dass du rechtzeitig wieder hier warst. Du hättest genauso gut verbluten können.“

„Mimoun ist wieder da!“, rief ihm Aylen zu und nun entspannte sich langsam auch Dhaôma wieder. Er lächelte.

„Vilay. Ich lasse euch nie wieder alleine zu den Magiern gehen. Versprochen. Ich werde in Zukunft besser auf euch aufpassen.“

„Es ist nicht deine Schuld. Fangzahn war zornig und hat angegriffen. Ich habe ihn zurechtgewiesen. Er ist noch am Leben.“

„Fangzahn? Du meinst… Radarr?“ Besorgnis zeigte sich in seinem Gesicht. „Du meinst, er war das?“

„Er trägt eine mächtige Waffe.“

„Das Drachentöterschwert.“ Die Stirn des Braunhaarigen kräuselte sich. „Das wird er mir büßen!“ Endlich war die Wunde geschlossen und erleichtert ließ er seinen Kopf gegen die nun geschlossene, noch empfindliche Schuppenhaut sinken. Am liebsten würde er einfach wieder einschlafen, so schwach, wie er sich jetzt fühlte. Er hatte sich an diesem Tag definitiv übernommen. „Ich bin froh, dass du das überlebt hast.“

„Geh zu Himmel, damit du ruhiger wirst.“, murmelte der Drache. „Ich will schlafen.“

Lächelnd stand Dhaôma auf. Das war der Hauptgrund, warum er nicht schon längst schlief. „Danke.“ Weich streichelte er über die warme Nase, dann machte er sich auf den Weg zu seinem Geliebten.
 

Vorsichtig wurde auch der letzte bewusstlose Geflügelte in die sorgenvoll ausgestreckten Hände seiner Kameraden übergeben. Bevor Mimoun reagieren konnte, wurde sein Helfer gepackt und verschwand in der Menge und auch er selbst spürte plötzlich fachkundige Hände, die ihn schnell und vorsichtig aus seiner Rüstung schälten und ihn nach Verletzungen absuchten.

„Es geht mir gut.“, wehrte er ab, als etwas zu aufdringlich auf seinen geprellten Rippen herumgedrückt wurde. So miserabel die Rüstung seines Empfindens nach war, so hatte sie es doch geschafft, ihn vor dem Gröbsten zu bewahren.

Als seine Freunde merkten, dass er tatsächlich seine Stimme wieder gefunden zu haben schien, bestürmten sie ihm mit Fragen. Was war passiert? Wer war verantwortlich? Die noch immer existierenden Feinde der Magier nutzten ihre Chance, um gegen die zwischen den Bäumen versteckten Bastarde zu wettern und die Stimmung Richtung Angriff kippen zu lassen.

„Genug.“, donnerte Mimoun in einer Lautstärke, die ihn selbst erstaunte und die seine ohnehin noch schmerzenden Rippen protestierend aufschreien ließ. „Sie sind die Letzten, bei denen die Schuld für das Geschehene zu suchen ist. Im Gegenteil. Sie hatten unsere Freunde gefunden und versorgt, lange bevor es zu diesem Unglück kam.“ Kurz umriss er die Ereignisse inmitten der Magierarmee, seine Provokation gegen Radarr und Lulanivilays ungeschickter Schlichtungsversuch. Welches Wort es war, das den Heerführer dermaßen in Rage versetzt hatte, verschwieg er, um gewissen Querköpfen keine Möglichkeiten in die Hände zu spielen. Mimoun erklärte nur, dass es ein Wort gab, das im Laufe der Jahre seine Bedeutung geändert hatte.

Sein Blick glitt über die unruhig wogende Masse um ihn herum und entdeckte Dhaôma, der sich ihm näherte. Furcht wallte in ihm hoch und gaukelte ihm vor, Anflüge von Wut auf dem Gesicht seines Freundes zu erkennen. Unbewusst wich er einen Schritt zurück, schrumpfte ein wenig in sich zusammen und wartete mit angehaltenem Atem und auf den Boden gerichtetem Blick auf das zu erwartende Donnerwetter.
 

Mimouns Stimme war laut genug gewesen, dass auch Dhaôma verstanden hatte, was sich zugetragen hatte. Lulanivilays Schilderung der Dinge war karg gewesen wie immer. Warum nur sah Mimoun aus, als hätte er alles falsch gemacht? „Gut, dass du nicht gestorben bist.“ Endlich stand er vor ihm, streichelte über die zerschrammte Wange. Sonst wäre es nur ein winziger Moment, bis das geheilt wäre, aber es ging nicht mehr. Selbst diese Geste war anstrengend. „Mimoun, Kopf hoch. Ich werde euch nicht mehr allein zu ihnen lassen, bevor wirklich Frieden herrscht. Das war furchtbar leichtsinnig von mir, darauf zu vertrauen, mein Bruder könnte sich in nur einem einzigen Tag ändern. Eigentlich hätte ich es mir denken können.“

„Keithlyn ist verletzt, Dhaôma. Kannst du sie heilen?“

Mitleidig schüttelte der Braunhaarige den Kopf und lächelte entschuldigen. „Tut mir Leid. Erst morgen wieder. Ich fürchte, ich werde ohnmächtig, wenn ich es auch nur versuche.“

Sofort schüttelte Keithlyn den Kopf. „Ist schon gut. Ich kann das ertragen. Und Genahn hat es auch geschient. Es tut kaum noch weh, wenn ich es nicht bewege.“, versicherte sie ihm stürmisch.

Es entlockte Dhaôma wieder ein Lächeln. Und an die anderen Hanebito gewandt sagte er: „Es tut mir Leid, dass Vilay euch verletzt hat. Sobald ich die Möglichkeit habe, werde ich das wieder gut machen und die Verletzungen heilen.“ Und mit einem Blick auf die Blitzopfer fügte er hinzu: „Ich hoffe nur, dass es dann nicht schon zu spät ist.“
 

„Bis morgen halten sie durch.“, erwiderte Aylen zuversichtlich. „Wir sind nicht so schnell unterzukriegen.“ Aufmunternd hakte sie sich bei ihm ein.

Derweil glitten Mimouns Gedanken in anderen Bahnen. Dhaôma wollte nicht, dass er sich Sorgen machte. Als wäre das sein Problem. Als wenn er Angst vor diesem Aufschneider haben müsste. Radarr war zu dicht dran gewesen, hatte nicht einmal daran gedacht Magie einzusetzen. Mimoun hätte ihn ohne Probleme töten können, wenn er das Bedürfnis dazu gehabt hätte. Nein. Das war das Letzte, worum er sich Sorgen machen würde.

Wort- und beinahe lautlos entzog er sich den sanften Fingern und wühlte sich rückwärts durch die Geflügelten, entfernte sich von Dhaôma. Er schob sich aus der Masse und ohne über seinen Weg nachzudenken, führten ihn seine Schritte zu Lulanivilay. Unsicher ließ er sich vor dem schlafenden Ungetüm auf die Knie sinken und berührte sanft die gerade erst verheilte Wunde. Auch dass Keithlyn und seine anderen Begleiter verletzt worden waren, waren Folgen seiner unbedachten Worte gewesen. Hatte er sich zu sicher gefühlt? Weil Genahn anwesend gewesen war? Und warum hatte er nicht bedacht, dass der große Freund müde gewesen war? Da mochte dieser Verzögerungen und Streitigkeiten noch weniger als sonst.

„Es tut mir Leid.“, flüsterte er fast unhörbar und lehnte seinen Kopf gegen den grün geschuppten Hals. Mochte Kaley so oft behaupten wie er wollte, dass der junge Drachenreiter zu weich war. Mimoun würde wohl nie damit fertig werden, seine Freunde an seiner statt bluten zu sehen.
 

„Es war ein langer Tag.“, tröstete Aylen, als sie Dhaômas Verspannung bemerkte. Auch sie sah, wie Mimoun sich zurückzog. „Lass es ihn verarbeiten. Ihr könnt morgen über alles sprechen.“ Zaghaft nickend stimmte der Magier ihr zu, dann ließ er den Kopf hängen, dass sie lachte. „Kein Trost? Auch er braucht mal ein bisschen Zeit für sich. Gerade nach so einer Geschichte.“

„Ich habe nicht einmal verstanden, warum er mich so ansieht, als würde ich ihn gleich schlagen wollen.“, murmelte Dhaôma und fuhr sich über das Gesicht. Er war wirklich verflucht müde, aber wie sollte er mit dieser Ungewissheit schlafen?

„Vielleicht denkt er, dass es seine Schuld war, dass sie alle verletzt sind. Vielleicht ist es auch so, weil er zu dem geflogen ist, der so sehr gegen den Frieden ist, dass er gleich zweimal am Tag Streit mit euch Drachenreitern gesucht hat.“

„Es ist nicht seine Schuld. Nicht nur.“ Wieder rieb sich Dhaôma über die Augen. „Zum Streiten gehören immer zwei. Und Radarr war schon immer streitsüchtig.“

Lachend strich sie ihm durch das zause Haar. „Du bist wirklich der einzige Mensch, den ich kenne, der immer schlichtet. Du gehst jetzt zu Vilay und legst dich hin. Du musst einfach schlafen. Mit einem wachen Geist sehen Probleme schon nicht mehr so schlimm aus.“

Widerspruchslos nickte Dhaôma und ließ sich von ihr in die Richtung schieben, in der der Drache seinen Platz beanspruchte. Er sah Mimoun dort sitzen, vor seinem Drachenfreund, ein Schatten in der Dunkelheit, aber er erkannte ihn trotzdem. Aber Mimoun wollte offenbar nicht bei ihm sein oder mit ihm reden. Er sollte ihn alleine nachdenken lassen, hatte Aylen gesagt. Sie hatte so oft Recht mit ihren Ratschlägen. Ohne sein Zutun lenkten ihn seine Füße in den Wald, wo er sehr schnell einen Baum fand, den er im Halbdunkel für bequem hielt. Er hatte das schon lange nicht mehr getan, hoffentlich fiel er nicht herunter. In einer Astgabel zusammengerollt gab er sich einem sehr unruhigen Schlaf hin.
 

Schwach aber spürbar drang der regelmäßige Puls durch die dicken Schuppen und berührte die rauen Finger, die an dem Hals des Drachen ruhten. Die Ohren des im Vergleich viel kleineren Wesens lauschten jedem der leisen Atemzüge. Diese beiden Sinneseindrücke vermittelten Mimoun immer wieder, dass alles in Ordnung war, dass der Freund noch lebte. Dennoch wühlte tief in ihm die Angst, sah er vor seinem inneren Auge das Blut Lulanivilays und Keithlyns Tränen. Ah. Ja. Bei ihr musste er sich auch noch entschuldigen. Er hatte sie in Gefahr gebracht. Dabei hätte Mimoun es besser wissen müssen, hätte wissen müssen, wie heikel die Situation vor Ort trotz aller Bemühungen noch immer gewesen war. Sie hätte nie und nimmer mitkommen dürfen.

Hätte, hätte, hätte. Mimoun krallte seine Fingernägel in seine Kopfhaut, um die sich im Kreis drehenden Gedanken zu stoppen. Wie lange hockte er schon hier und dachte dasselbe? Es änderte nichts an dem, was geschehen war. Er würde mit dieser Schuld leben müssen, ob es ihm gefiel oder nicht. Das Einzige, was ihm blieb, war die Möglichkeit sich bei den Betreffenden zu entschuldigen und Radarr nur noch mit äußerster Vorsicht zu begegnen.

Entschlossen sah Mimoun auf, nur um seinen Gesichtsausdruck wenige Sekunden später in Verblüffung zu ändern. Es war tiefste Nacht. Wie lange hockte er schon hier? Die Krieger um ihn herum lagen bereits bis auf wenige Wachen im Gras ausgestreckt und schliefen. Es brannten keine Feuer und durch das kaum vorhandene Mondlicht hoben sie sich nur als undeutliche Schemen vom Untergrund ab. Nur Keithlyn konnte man durch ihre helle Hautfarbe deutlicher erkennen. Zu ihr führte ihn nun sein Weg. Das Mädchen schlief unruhig. Juuro lag direkt neben ihr und hielt sie umschlungen, damit sie sich nicht zu sehr bewegte und sich den Arm vielleicht doch noch mehr verletzte. Vorsichtig strich er ihr über die Haare. Sie seufzte kurz, nahm aber sonst keine Notiz von seiner Anwesenheit. Das war gut. Sollte sie schlafen.

Kurz sah Mimoun noch bei den anderen Verletzten vorbei. Direkt bei ihnen befanden sich ebenfalls zwei Wachen, die den Zustand der fünf genauestens im Auge behielten. Meistens jedenfalls. Jetzt maßen sie den Neuankömmling mit undeutbaren Blicken, unter denen er sich schnell unwohl zu fühlen begann. Man musste ihm seine Gefühle wohl trotz der Dunkelheit angesehen haben, denn sie schüttelten den Kopf und er glaubte sogar die Bezeichnung Volltrottel zu vernehmen. Es steigerte seine Irritation um Einiges, es wurde aber nicht weiter darauf eingegangen. Kurz setzte man ihn über ihren Zustand in Kenntnis und scheuchte den Drachenreiter dann weg, damit die Verletzten Ruhe fanden.

Langsam schlich Mimoun wieder zu Lulanivilay zurück. Er wusste, dass Dhaôma nicht auf seiner Seite des Drachens geschlafen hatte, als er sich zu seinem kleinen Rundgang aufgemacht hatte. Als er nun um den großen Freund herum ging, konnte er den Magier aber auch an keiner anderen Stelle finden. Eisiger Schrecken durchfuhr ihn. Aus eigener Erfahrung wusste er, dass man am liebsten bei einem Freund war, wenn dieser verletzt war. Dhaôma dürfte es dabei nicht anders gehen. Hatte Mimoun ihn etwa mit seiner Anwesenheit vertrieben? War er etwa wütend, weil der Geflügelte vorhin gegangen war? Nahm er es deswegen sogar in Kauf, nicht einmal bei Lulanivilay zu sein?

Unruhig sah Mimoun sich um, konnte den Geliebten aber nirgends entdecken. Er hatte ihn auch nicht bei den Halblingen gesehen, soweit konnte er sich noch dran erinnern. Sonst hatte er nicht darauf geachtet. Warum auch? Wie selbstverständlich war er davon ausgegangen, dass der Magier bei seinem Drachen schlief.

Frustriert ließ er sich gegen Lulanivilays Flanke sinken und vergrub den Kopf in seinen Händen. Und er wünschte sich, diesen Tag komplett rückgängig machen zu können. Kurz huschte ein Lächeln über sein Gesicht. Nicht ganz. Genahn war schon in Ordnung.

Erst kurz vor Sonnenaufgang forderte sein Körper endlich sein Recht. Halb an Lulanivilay gelehnt, Tyiasur in seinem Schoss schlief er in sehr unbequemer Haltung ein.
 

Sobald die ersten Sonnenstrahlen durch das lichte Blätterdach glitzerten, wurde das Lager wieder lebendig. Natürlich waren alle irgendwie erschöpft, aber das wog zu gering. Sie hatten einen aufregenden, nervenaufreibenden Tag hinter sich gehabt, davor einen Kräfte zehrenden Flug von mehreren Wochen, seitdem Keithlyn sie erreicht hatte, dann war es ziemlich spät geworden Dank der Suche nach ihren verletzten Kameraden. Dementsprechend schnell fanden alle von Dunkelheit in geistige Klarheit. Man wollte wissen, wie man an diesem Tag weiter verfahren sollte. Und weil man das ja nicht ohne die Drachenreiter entscheiden konnte, ohne sich den inzwischen ziemlich gefürchteten Zorn zuzuziehen, mussten sie wohl oder übel warten, bis diese wach waren. Mimoun hatte man gleich gesehen. Er schlief bei dem Drachen, der geduldig stillhielt, damit sein Freund nicht gestört wurde. Tyiasur war ebenfalls wach. Er tobte durch die Fluten des Flusses, um sich sein Frühstück zu fangen. Und der Magier – war weg. Unruhe wallte durch die Geflügelten, ausgehend von den Besorgten, die um die Verletzten fürchteten. Wo konnte der Braunhaarige hingegangen sein?

Xaira wagte sich leise zu Lulanivilay, um ihn zu fragen.

„Im Wald.“, war die desinteressierte Antwort.

Achselzuckend kehrte sie zurück. Sollte man ihn suchen gehen? Vielleicht brauchte er bei irgendetwas Hilfe. Man entschied, dass einige losziehen sollten, um Dhaôma zu suchen. Die Geflügelten selbst hielten sich vornehm zurück, denn auszuschwärmen konnte von den Magiern als Angriff gewertet werden und durch das dichte Gestrüpp konnten sie mit ihren Flügeln nicht gehen. Wenig später war es Volta, der den Magier fand. Ratlos holte er seine Freunde, die mit dieser Situation auch ein bisschen überfordert waren. Vor ihnen, drei Meter über dem Erdboden, erhob sich eine riesige Kugel aus unterschiedlichsten wehrhaften Pflanzen. Wie ein Kokon, der den Bewohner vor Gefahren beschützen sollte. Sie riefen nach Dhaôma, aber es kam keine Antwort. Die Lösung war einfach: Mimoun musste her. Oder Tyiasur, damit er diese verfluchte Magie stoppte.
 

Es war schwierig. Nur langsam fand Mimoun aus seinem Schlaf heraus. Er fühlte sich zerschlagen, jeder Muskel tat ihm weh und eigentlich wollte er nichts lieber, als weiterschlafen. Warum also war er wach? Erneut hörte er das Geräusch, das in seinen traumlosen Schlaf gedrungen war. Sein Name, wie er nach einem kurzen Moment feststellte. Nur Sekundenbruchteile später rüttelte jemand sacht an seiner Schulter. Doch diese leichte Berührung hatte ausgereicht, ihn vor Schmerz aufstöhnen zu lassen und endgültig aus den Fesseln des Schlafes zu reißen. Die störende Hand verschwand blitzschnell wieder, ebenso der Halt in seinem Rücken, als Lulanivilay sich erhob und streckte. Mimoun war wohl doch noch nicht ganz wach, denn er fand sich in der Waagerechten wieder.

„Na los. Steh endlich auf, Schlafmütze. Die Sonne ist längst aufgegangen.“ Trotz ihres etwas harschen Tonfalls konnte Xaira den Ausdruck von Sorge nicht völlig aus ihrem Gesicht verbannen.

Eine Hand schützend auf seine Rippen gelegt, setzte sich Mimoun auf und ließ seinen Blick in die Runde schweifen.

„Dhaôma ist nicht da.“ Verwundert schaute Mimoun noch immer wortlos zu ihr auf. Erst auf ihre Worte hin wurde ihm bewusst, dass er tatsächlich nur nach seinem Magier Ausschau gehalten hatte. „Komm endlich. Wenn der nicht endlich auftaucht, werden deine Leute nie wieder völlig gesund.“

Mimoun verstand immer weniger, aber für entsprechende Fragen ließ sie ihm keine Zeit und mit Antworten hielt sie sich gar nicht erst auf. Die Frau erhob sich und strebte zielsicher dem Waldrand zu. Mit irritiert gerunzelter Stirn folgte der Drachenreiter ihr nach einigen Sekunden. Tyiasur, nass und mit einem Fisch in den Klauen, wickelte sich um den Hals seines Reiters. Der kleine Drache hatte sich schon zum Großteil aus den Gedanken der Anwesenden die Geschehnisse des vergangenen Abends geholt, als er die unruhige Stimmung gespürt hatte. Nun holte er sich auch die letzten Puzzleteile zusammen. Sanft stieß er seine Schnauze gegen das Kinn seines Reiters, um ihn aufzumuntern, so wie er es als Jungtier getan hatte, als er noch nicht sprechen durfte. Es zauberte tatsächlich ein Lächeln auf die Züge des Geflügelten.

Xaira verschwand zwischen den Bäumen, nachdem sie sich mit einem kurzen Blick über die Schultern davon überzeugt hatte, dass Mimoun ihr tatsächlich folgte. Missgelaunt zischte dieser als er vor der Pflanzenwand stand. Dennoch folgte er ihr. Nur um wenig später erstaunt zu pfeifen, als er das Gebilde sah. Zwar verstand er, warum Dhaôma nicht da gewesen war, aber nicht, wie er hier helfen sollte. Und warum hatte sich Dhaôma ausgerechnet hierher verzogen, anstatt zumindest bei den Halblingen oder bei den anderen Freunden zu schlafen, wenn er schon nicht Mimoun in seiner Nähe haben wollte?

„Also. Was sollen wir tun?“, riss Volta ihn aus seinen Betrachtungen und Überlegungen. Kurz sah Mimoun zu ihm hinüber und wandte sich der ihm gerade wortlos übertragenen Aufgabe zu. Tief seufzte er auf.

„Am besten aus dem Weg gehen.“, antwortete der Drachenreiter und flatterte ein wenig, um Höhe zu gewinnen. Tyiasur blieb bei den Halblingen zurück und es bedurfte keiner Anweisung, damit er Dhaômas Magie zum Versiegen brachte.

„Dhaôma?“, rief Mimoun hinauf, nur um kurz darauf von Volta zu erfahren, dass man das auf die Art auch schon probiert hatte. Ein Blick und Tyiasur löste den Magiebann wieder, um den Ruf seines Freundes direkt in die Träume Dhaômas zu schicken.
 

Als Dhaôma aufwachte, erschrak er nicht schlecht. Er hatte etwas anderes zu sehen erwartet, als er Mimouns Stimme gehört hatte, nicht einen Urwald aus scharfen Blättern und Dornen um ein weiches Mooskissen. Er konnte nicht einmal hinausgucken. Uh, wie war das nur passiert?

Müde streckte er sich. Von draußen hörte er Stimmen. Seinen Namen und ein paar abfällige Bemerkungen über seine streunende Magie. Seufzend rieb er sich das Gesicht. Mimoun. Ob er jetzt bereit war, zu reden? Ob er jetzt davon Abstand genommen hatte, Angst vor ihm zu haben?

Erst dachte er daran, die Höhle, die er unbewusst geschaffen hatte, auszulöschen, aber dann schüttelte er innerlich den Kopf. Er sollte Kraft sparen. Es waren so viele verletzt. Ein kleiner Ausgang musste reichen.

Ein paar Augenblicke später streckte er die Füße durch ein Loch und ließ sich fallen. Geschickt fing er sich ab. Vor ihm standen die Halblinge, über ihm schwebte Mimoun. „Guten Morgen.“, grüßte er freundlich. „Tut mir Leid, dass ich so lange geschlafen habe. Ich mache mich sofort an die Arbeit.“
 

Mimoun ließ sich ebenfalls Kräfte sparend fallen. Er war noch immer ein wenig unsicher, versuchte es aber mit einem Lächeln zu überspielen. Auch dass sein Körper ihm den Aufprall auf den Boden gerade ein wenig übel nahm, versuchte er sich nicht anmerken zu lassen. Wenn Dhaôma ihm sonst alles verzieh, deswegen würde er sicher ein wenig ungehalten werden. Mimoun war aber der Überzeugung, dass zuerst diejenigen versorgt werden sollten, die es nötiger hatten.

„Guten Morgen.“, erwiderte er die Begrüßung. „Dann schauen wir, wie es mit Frühstück und Verpflegung im Allgemeinen aussieht.“ Damit ergriff er Volta bei den Schultern, drehte ihn herum und schob den verblüfften jungen Mann vor sich her, bevor Dhaôma auf die Idee kommen konnte, ihn zuerst zu heilen.
 

Der braunhaarige junge Mann sah Mimoun nach und das fröhliche Lächeln auf seinem Gesicht verschwamm. Neben ihm seufzte Xaira, dann hakte sie ihn unter.

„Hattest du gestern genügend Kraft, um Lulanivilay vollständig wieder hinzuflicken?“, fragte sie und er schüttelte den Kopf.

„Er muss warten. Die Blitzopfer sind Priorität.“

Wie weise. Xaira zog ihn mit sich. Er sah nicht so aus, als hätte er schon sehr viel von seiner Kraft zurückbekommen. Vermutlich nahm ihm Mimoun mit seinem Verhalten noch ein wenig mehr von seiner üblichen Fröhlichkeit. Männer waren so dumm.

Sie erreichten das Lager und kurz hingen Dhaômas Augen an Mimoun, der sich um eine Jagd zu kümmern begann. Letztlich wandte er sich ab und strebte den Verletzten zu. Wie erwartet konnte er nicht viel tun. Seine Kraft war zurück, aber bei weitem nicht genug, um sie alle vollständig zu heilen. Er stabilisierte sie nur ein wenig mehr, suchte nach der Magie, die schon auf sie gewirkt hatte. Nicht einmal für Keithlyn reichte es. Sie machte gute Miene zum bösen Spiel und lachte es weg. Immerhin konnte er ihr eine vernünftige Schienung angedeihen lassen. Den Dolch Genahns, den er genutzt hatte, vertraute er ihr an. Sie sollte ihn ihm zurückgeben.
 

Es war Tyiasur, der verhinderte, dass Mimoun der Jagdgesellschaft vorstand. „Ich passe auf, dass es zu keinen Zwischenfällen mit Magiern kommt, und du redest mit Dhaôma.“, bestimmte der Wasserdrache und schlang sich um Einels Hals. Unsicher und auch irgendwie stolz hob dieser die Hände, um sie unverrichteter Dinge wieder sinken zu lassen. Er wagte es nicht, das kleine Schuppentier zu berühren. Einen Widerspruch Mimouns ließ Tyiasur nicht aufkommen, würgte ihn schon nach dem ersten Wort ab und befahl den Abflug. Völlig fassungslos blieb Mimoun zurück. Was bitte war mit seinem Drachen los? Er hielt sich doch sonst immer im Hintergrund und führte erst Recht nicht das Kommando.

Unschlüssig stand er noch einige Minuten da, sah den sich entfernenden Schatten hinterher, und streunte zu Dhaôma hinüber, als er sich endlich überwunden hatte. Aber was sollte er sagen?

„Man hat mich anscheinend ausgesetzt.“, rettete er sich in ein verlegenes Lachen und kratzte sich in einer linkischen Geste hinter dem Ohr.
 

Kurz sah Dhaôma auf, dann nickte er. „Du hast andere Dinge zu tun.“, murmelte er. „Und sie brauchen etwas, woran sie ihre Kräfte abreagieren können.“ Dann schwieg er wieder, rieb Kampfer in seiner kleinen Holzschale zu einem grünen Matsch, wie er es seit geraumer Zeit tat. Zwei Geflügelte halfen ihm dabei. Sie hatten schon ordentlich etwas zusammen.
 

Es war als hätte man ihn mit eisigem Wasser übergossen. Dhaôma war wirklich wütend, sonst wäre er nicht so kurz angebunden oder würde ihn so nebensächlich behandeln. Er hatte es doch gewusst, er hatte sich doch darauf eingestellt. Warum schmerzte es dann trotzdem so?

Langsam wich er einige Schritte zurück. Tyiasur hatte von ihm verlangt, dass er mit Dhaôma redete, aber wie sollte er, wenn dieser anscheinend nicht reden wollte?

„Ich habe gehandelt, ohne nachzudenken. Es lag nicht in meiner Absicht, dass Vilay so schwer verletzt wurde. Es tut mir Leid.“ Kurz verneigte er sich und wandte sich zum Gehen.
 

„Wer hat gesagt, dass es deine Schuld ist?“, wollte Dhaôma wissen und hielt in seiner Bewegung inne. Gerade jetzt hielt er sich so stark zurück, dass er beinahe weinte. Er sah, dass Mimoun verletzt war, auch wenn dieser es ihm nicht zeigte. Das tat ihm weh. Und nun entschuldigte er sich bei ihm, ohne zu bleiben. Wollte wieder gehen. Willentlich entspannte er seine Hände, die sich um die Schüssel krampfen wollten. Aylen hatte es ihm gesagt; er musste warten, bis Mimoun mit ihm reden wollte, nicht wahr?
 

„Niemand.“, seufzte Mimoun, der stehen geblieben war, sich aber nicht umdrehte. „Das ist auch nicht nötig. Ich weiß es auch so.“
 

„Ah.“ Betrübt ließ Dhaôma seinen Kopf hängen. „Ist okay.“ Er wollte diese Entschuldigung eigentlich nicht annehmen, aber er konnte sich nicht stoppen. Mit Mimoun zu streiten war das schlimmste, das ihm passieren konnte. Wenn er das vermeiden konnte, würde er das tun. Vor allem, wenn es so etwas Belangloses war, das sie trennte.
 

Okay? „Nichts ist okay!“, rief Mimoun aufgebracht und wirbelte herum. Nur am Rande bemerkte er die beiden Gestalten, die plötzlich höchst konzentriert ihre Arbeit verrichteten. „Durch mich hättest du beinahe deinen Drachen verloren, deinen Traum, deine Freiheit! Wie kannst du das mit einem einfachen ‚ist okay’ abtun?“
 

Zitternd stellte er die Schale ab, ballte die Hände zu Fäusten. „Was hast du damit zu tun? Vilay ist alt genug, um auf sich selbst Acht zu geben! Er ist stark genug. Was könntest du alleine gegen so viele schon ausrichten? Was kannst du dafür, wenn Radarr das Drachentötetschwert bei sich trägt? Gegen diese Waffe könntest du nichts unternehmen, selbst wenn du kämpfen würdest! Nicht einmal Vilay konnte das voraussehen, also tu nicht so, als hättest du es vorher gewusst und nur daneben gestanden und zugesehen! Du hast es Radarr nicht befohlen, also hör auf, dir die Schuld zu geben. Und hör auf, so zu tun, als würde ich dich aussetzen oder schlagen deswegen! Wenn du unbedingt eine Standpauke hören willst, dann lass sie dir von jemand anderem geben!“
 

„Radarr war bereits bei meinem Anblick ziemlich ungehalten.“ Mimouns Gesicht verzehrte sich vor Trauer, als er sich an die Momente zurück erinnerte. „Er machte mir Vorwürfe, dass ich dich deiner Familie weggenommen hätte. Anstatt die Angelegenheit ruhig zu regeln, habe ich ihm geradeheraus gesagt, dass er die Schuld daran in seinem eigenen Verhalten suchen sollte. Ich habe ihn provoziert. Ich trage die Schuld daran, dass Lulanivilay versuchen musste, schlichtend einzugreifen, ob du es nun sehen willst oder nicht. Eine kurze Standpauke und dann die Entschuldigung annehmen. Das würde mir mehr helfen, als ein lapidares ‚ist okay’.“ Er wandte sich wieder ab. „Aber du hast Recht. Vielleicht bist du in dem Punkt wirklich nicht der richtige Ansprechpartner.“
 

„Nein, bin ich nicht.“, antwortete Dhaôma leise, dann nahm er die Schale wieder auf und rührte weiter darin herum. Gerade jetzt brauchte er all seine Kraft, um nicht zu weinen.
 

Seine letzte Hoffnung auf einen Widerspruch war mit diesen Worten dahin. Er drehte sich nicht noch einmal um, richtete nicht noch einmal das Wort an Dhaôma, sondern ging einfach. Obwohl, einfach war es nicht. Mimoun brauchte all seine Kraft und Konzentration, um nicht hier auf der Stelle ins Gras zu sinken, überwältigt von den Schmerzen, die in seiner Seele tobten. Warum war es immer so schwierig, sich mit Dhaôma auszusprechen? Wieso ging dieser jeder noch so kleinen Konfrontation aus dem Weg?

Sein Blick fiel auf Lulanivilay. Nach dem Gespräch mit dessen Reiter gab er den Versuch schon von vornherein auf. Dazu war er ihm zu ähnlich. Auch bei ihm würde er nicht das finden, was er gerade brauchte. Als Keithlyn seinen Blick bemerkte, winkte sie mit einem Lächeln zu ihm herüber, was Mimoun einen zusätzlichen Stich versetzte. Auch sie schien es ihm nicht sonderlich nachzutragen. Was war nur los mit den Leuten in seiner Umgebung? Waren seine Bedürfnisse etwa so unmöglich, so undurchführbar?

Mimoun wandte sich völlig von den Leuten ab und zog sich ans Flussufer zurück, entfernt von allen. Stöhnend ließ er sich ins Gras sinken und legte einen Arm über das Gesicht. Tief und zittrig holte er Atem und konnte doch nicht verhindern, dass eine einzelne Träne gut verborgen vor den anderen über seine Wange rann.
 

Die Stimmung, die Mimoun zurückließ, machte die Männer fertig, die den Kampfer stampften. Viele andere hatten sich bereits zurückgezogen. Sie hatten das ja schon öfter mal erlebt, dass zwischen den beiden irgendwas unausgesprochen war, aber so schlimm noch nie. Es war so einfach für sie zu sehen. Dass Dhaôma darunter litt, dass Mimoun sich fertig machte, für etwas, das er nicht hätte ändern können. Dass Mimoun im Grunde einfach eine Umarmung brauchte, die ihm sagte, dass ihm verziehen worden war. Diese beiden standen sich einfach selbst im Weg.

Xaira raufte sich die Haare. Sie war kurz davor, Mimoun selbst die Standpauke zu geben, als sich unerwarteter Weise der Drache erhob. Mit schwerfälligen Schritten schlurfte Lulanivilay zu dem Schwarzhaarigen. Er wirkte nicht so, als würde er Schmerzen haben, einfach, als wäre er zu faul, seine Pranken hochzuheben. Letztlich ließ er sich neben Mimoun fallen.

„Du bist dumm, Himmel.“, meinte er. „Und du tust ihm weh. Ich mag das nicht. Hör auf damit.“
 

Unauffällig wischte der Arm die Tränenspur fort, als er heruntergenommen wurde. Widerspruchslos nickte Mimoun. Er wusste selbst, dass er sich dumm benahm, aber es fiel ihm derzeit so schwer, sich anders zu verhalten. Mit traurigem Blick maß er den großen Freund, setzte sich endlich auf und berührte die frische Haut, die die furchtbare Wunde verbarg.

„Es tut mir Leid.“ Mimoun lehnte sich vor und verbarg das Gesicht an der breiten, schuppigen Brust. „Es tut mir so Leid.“
 

„Du hast mich nicht gestochen. Und so war es besser. Freiheit wäre traurig gewesen, wenn du gestorben wärst. Vielleicht wären alle anderen auch gestorben.“ Die goldenen Augen folgten den glitzernden Fischen im Wasser, als wäre er an dem Gespräch absolut nicht interessiert. „Das Schwert ist zu kurz für mich. Mit einem Stich kann er mich nicht töten.“
 

„Und ich wäre traurig gewesen, wenn du gestorben wärst. Ich hätte es mir nie verzeihen können, Dhaôma seinen Drachen zu nehmen. Und ich habe gesehen, wie schwer du verletzt wurdest. Ich habe gesehen, wie stark du geblutet hast. Auch wenn es nur ein Stich war. Es hätte dich getötet, wäre Dhaôma nicht gewesen.“, begehrte Mimoun auf, noch immer ohne aufzusehen.
 

„Aber Freiheit war da.“ Die Schwanzspitze schlug auf das Wasser und nachlässig griff Lulanivilay nach dem Fisch, den er getroffen hatte. „Gut und schlecht. Ich hätte ihn wirklich gerne gegessen.“
 

Irritiert blinzelte der Geflügelte und schaute zwischen dem Drachen und seiner Beute hin und her. „Den Fisch oder Radarr?“, wollte er wissen.
 

Der Fisch verschwand in dem großen Maul. Es war nicht einmal genug, um Mimoun satt zu bekommen, aber darum ging es auch nicht. Es ging um den Geschmack. „Fangzahn. Er macht zu viel Radau.“
 

Mimoun kicherte leise. „An dem hättest du dir bloß den Magen verdorben.“ Sein Blick glitt zurück zu dem chaotischen Haufen, der eigentlich die Armee der Geflügelten darstellen sollte. Radarr war nicht der Einzige, der Radau machte. „Ah. Um zu vermeiden, dass man dich noch einmal angreift, solltest du sie nicht mehr als Jagmarr anreden. Ich verstehe zwar nicht wie und warum, aber dieses Wort ist zu einer Beleidigung für sie geworden.“
 

„Wie dumm.“ Fast schien es, als würde er schmollen. „Sie verleugnen, was sie sind.“ Lulanivilay tauchte die Nase ins Wasser und trank, dann blies er Luft aus den Nüstern, dass es brodelte. „Die sollen sich beeilen. Ich hab Hunger.“
 

Welch schlichtes Gemüt, schmunzelte Mimoun. „Niemand ist so schnell wie du. Gib ihnen noch ein wenig Zeit. Außerdem müssen sie ja auch dich satt kriegen. Da wird das noch eine ganze Weile dauern. Also gedulde dich.“ Seufzend lehnte sich der Geflügelte wieder gegen Lulanivilay und schloss die Augen. Dieses Gespräch war nicht das gewesen, was er sich gewünscht hatte, und doch hatte der große Grüne es geschafft, sein aufgewühltes Inneres zumindest im Ansatz zu beruhigen, einfach durch seine unnachahmlich ausgeglichene Art.
 

„Sie brauchen mehr Training.“, murrte Lulanivilay indifferent.

„Da gebe ich dem Großen Recht.“, mischte sich eine Stimme ein, die jedem auf diesem Platz nur allzu bekannt war und von den meisten gefürchtet wurde. Er hatte laut genug gesprochen, dass auch diejenigen, die ihn nicht hatten ankommen sehen, jetzt wussten, dass er da war. Kaley stand da, die Arme vor der Brust verschränkt, wie immer ein Berg stolz getragener, narbenverzierter Muskeln.

„Du auch, Beschützer. Deine Schultern und Knie zittern.“

Kaum fünf Meter entfernt begann Aylen zu kichern, die ihren Meister hatte begrüßen wollen. Sie konnte es kaum unterdrücken. Musste sie auch nicht. Asams Lachen übertönte sowieso alles.
 

Kaley. Asam. Was machten diese beiden denn hier? Der Weg nur zu zweit hierher war gefährlich. Aber zugleich erfüllte Mimoun der Anblick dieser beiden so ungleichen Gestalten mit einer unendlichen Erleichterung. Er hatte sich als Drachenreiter niemandem unterzuordnen, dennoch hatte er das Gefühl, dass die ganze Last und Verantwortung nicht mehr auf seinen Schultern lastete.

Mimoun hatte nicht die Kraft, sich zu erheben, um die beiden Ratsmitglieder gebührend zu empfangen. Mit einem bezeichnenden Fingerzeig auf seine Knie rettete er sich in ein äußerst missglücktes Lächeln, das seine wahren Gefühle nicht verbergen konnte.
 

Das Gesicht Kaleys war recht säuerlich, was fast alle zur Kenntnis nahmen. Schnell wandten sich die Glücklichen, denen Dhaôma welche gegeben hatte, wieder ihren Aufgaben zu, andere sahen sich schnell um, ob sie etwas fanden.

Asam ließ sich schließlich einfach fallen. „Ah, ich dachte wirklich, ich wäre der einzige, der erschöpft ist. Schön zu wissen, dass es nicht nur mir so geht.“ Völlig erledigt streckte er alle Viere von sich. „Was musstet ihr so weit fliegen? Ihr habt hier absolut nichts zu suchen!“ Der Vorwurf war so leidend vorgetragen, dass kaum einer es ernst nehmen wollte, aber dass der Anführer persönlich hier war und ihnen auch noch den Grund gesagt hatte, verschaffte ihnen dann doch ein mulmiges Gefühl, das Amüsement im Keim erstickte. Tja, warum waren sie doch gleich noch mal hier?

„Asam, Kaley.“ Dhaôma war aufgestanden, nachdem es sonst irgendwie niemand für angebracht hielt, etwas zu sagen. Er freute sich, diese beiden zu sehen. Langsam kam er zu ihnen herüber.

„Ah, Magier!“ Kaley steuerte direkt auf ihn zu. „Ist etwas vorgefallen, während wir nicht da waren, oder sind wir noch rechtzeitig?“

Braune Augen trafen auf das eine blaue, das dem Veteran noch geblieben war, dann lächelte er. „Es ist alles unter Kontrolle. Wir hatten ein bisschen Chaos gestern und einige sind verletzt, aber keiner ist gestorben. So, wie die Dinge zur Zeit liegen, ist Frieden vielleicht selbst mit den Soldaten der Magier möglich. Sie schienen gestern gar nicht so abgeneigt, darüber nachzudenken.“ Weich zwinkerte er dem Mann zu, bevor er sich neben Asam hockte und ihm seinen Wasserschlauch anbot. Dankbar nahm der blonde Mann den Segen an. „Genahn hat versprochen, dass wir uns heute noch einmal treffen, um darüber zu sprechen, wie die Stimmung bei den einzelnen Parteien ist.“ Kurz wurde sein Lächeln traurig, bevor er vergnügt dabei zusah, wie Asam das Wasser gierig verschlang. Auch Kaley bekam Wasser. Aylen war aufmerksam wie immer, wenn es darum ging, ihren Meister gnädig zu stimmen. „Gerade jetzt sind einige Männer unterwegs, um etwas zu essen aufzutreiben.“

„Ah, ist das denn in Ordnung, in Magiergebiet zu jagen?“

„Sie werden nicht so leichtsinnig sein, es so nahe bei den Magiern zu machen.“, schaltete sich einer der Anführer der Armee ein.

Kaley schickte ihm einen vernichtenden Blick. „Ihr solltet nicht mal hier sein!“, fauchte er. „Da ist es egal, wie vorsichtig sie sind!“

„Bitte.“, fiel Dhaôma in die Standpauke ein und sein Blick war so flehend, dass Kaley unwillig schnaubte. „Kein Streit jetzt. Sie haben einen großen Fortschritt gemacht, als sie sich gestern gegen den Kampf entschieden haben, obwohl sie so viel haben mit ansehen müssen. Wenn man das bedenkt, dann ist es gut, dass sie hier waren, denn sie haben den Magiern anschaulich gezeigt, welchen Weg sie gehen wollen. Ich bin sicher, das hat viele beeindruckt.“

Seufzend hockte sich Kaley neben seinen Anführer und Dhaôma und trank auch endlich. „Fein. Ich höre mir die Geschichte an, dann entscheide ich, welche Strafe angemessen ist oder nicht. Immerhin haben sie gegen einen direkten Befehl verstoßen.“

„Ja.“, nickte Dhaôma. Er war zufrieden mit dieser Herangehensweise.

„Entschuldigung?“ Eine dünne Stimme meldete sich zu Wort. Und als die beiden Ratsmitglieder aufsahen, stand Keithlyn neben ihnen.

„Wer bist du?“ Kaley schickte Aylen einen misstrauischen Blick, was sie mit hektischen Gesten weit von sich wies. „Was suchst du hier?“

„Ah, ich bin Keithlyn.“, murmelte sie eingeschüchtert. „Und ich bin Schuld, dass sie alle hier sind.“ Ihre Wangen und spitzen Ohren waren flammendrot.

„Ai, Richtig. Das wollte ich eh noch fragen. Keithlyn, wir hatten doch gesagt, dass wir dich besuchen kommen, wenn alles vorbei ist, damit du die Hanebito kennen lernen kannst. Warum bist du allein gekommen?“

„Ich wollte dabei sein!“, rief sie hastig. „Ihr habt gesagt, dass ich dabei sein kann, wenn ich mit euch mithalten kann, jetzt hab ich euch sogar eingeholt! Ihr könnt nichts mehr dagegen sagen, dass ich hier bin. Ich kann auf mich selbst aufpassen!“

„Sicher.“ Auch Xaira war jetzt angekommen. „Dein Arm ist der beste Beweis dafür, dass du das eben nicht kannst.“

„Aber das war ein Unfall!“, verteidigte sie sich.

„Ja und? Du hättest genauso gut sterben können. Und das alles, weil du unbedingt mit an die Front wolltest. Ein unbedachter Schritt und Lulanivilay hätte dich zertreten wie eine Schabe.“

Sie schmollte und Tränen standen in ihren Augen. Schon wollte sie etwas erwidern, da hob Asam die Hand und setzte sich auf.

„Stopp. Allesamt stopp. Alle, die denken, etwas zu sagen zu haben, kommen her, dann reden wir gesittet. Kind, setz dich. Xaira, du auch. Mimoun, komm bitte auch her. Sonst noch wer?“ Er warf einen fragenden Blick auf den Drachen, der wieder begonnen hatte, kleine Fische zu fangen, aber diese Hoffnung war wohl vergebens. Er war wie immer nicht wirklich interessiert.

Es setzten sich noch drei der Veteranen und Aylen in den Kreis, die der Meinung war, dass Xaira und Keithlyn eine weibliche Unterstützung gebrauchen konnten. Dann übernahm Asam das Heft und führte sie durch die chronologische Erzählung. Aylen und die Veteranen erzählten, wie Keithlyn eines Tages aufgetaucht war und nach den Drachenreitern gefragt hatte. Wie sie auf sie eingeredet hatte, bis sich einige wenige dazu bereit erklärt hatte, sie zu ihnen zu bringen. Als sie dabei erwähnten, was sie alles gesagt hatte, um sie soweit zu bekommen, sträubten sich den meisten die Haare. Sie hatte so viel gelogen und handelte sich dafür gleich mehrere tadelnde Blicke ein. Dann die Ankunft an diesem Ort, erzählt von dem Veteranen, der sich Mimoun in den Weg gestellt hatte. Er machte keinen Hehl daraus, dass er mit der Situation, wie sie sich zugetragen hatte, nicht einverstanden war. Mimouns Überheblichkeit ging ihm gehörig gegen den Strich, aber keiner der beiden Machtinhaber ging darauf ein. Also erzählte als nächstes Aylen mit Mimouns Unterstützung, wie sie die Geflügelten aufgehalten hatten, bevor Xaira darlegte, wie Dhaôma die Magier überzeugt hatte. Sie ließ den Kontrollverlust weg, den er wegen dem Angriff auf Mimoun gehabt hatte, bestand aber auf einer ausführlichen Beschreibung des Verhaltens von Radarr. Dann sollte Mimoun noch einmal erzählen, was bei dem Rettungsflug passiert war, aber diesmal drängte sich Keithlyn vor und erzählte es aus ihrer Sicht. Und sie wiederholte nicht nur die Konversation zwischen den beiden Kontrahenten ziemlich wortgetreu, sondern schilderte auch das, was sie von Lulanivilays Rücken aus gesehen hatte, nämlich die Geste, die Dhaôma machte, wenn er Eis rief, ausgeführt vom Heerführer der Magier. Dass der Drache daraufhin dazwischen gegangen wäre und die Wut über seine Verletzung, wäre nicht verwunderlich gewesen. Sie hielt Mimouns Blick kurz fest, bevor sie erzählte, dass ihr Genahn geholfen hatte, ihren Arm zu verbinden, und dass die Magier ihre Freunde gefunden und versorgt hatten. Sie begann von Genahn zu schwärmen, was ihr von Seiten Asams kurz gestattet wurde, bis er ein ungefähres Bild des Mannes zu haben glaubte. Im Abschluss umriss Dhaôma kurz die Situation im Lager und den Zustand der Verletzten. Sie waren gerade fertig, als die ersten Teilnehmer der Jagdgruppe zurückkehrten, zusammen einen großen Hirsch tragend.
 

Gut. Er wusste jetzt, dass die Angelegenheit dramatischer gewesen war, beabsichtigte Radarr schließlich zu zaubern, das minderte seine Schuld aber nicht. Er seufzte schwer. Nach dem Gespräch mit Lulanivilay kam er sich jetzt ein wenig albern vor, so verbissen um Schuldzuweisungen zu betteln. Jeder hatte seine eigene Ansicht der Dinge und theoretisch befanden sie sich noch immer im Krieg.

Sein Blick wanderte zu den Rückkehrern, konnte Tyiasur aber nicht entdecken. Er blieb wohl bis auch der Letzte sicher zurück war. Ein Lächeln huschte über sein Gesicht, als er an den treuen Freund dachte. Von diesem war ihm aufgetragen worden, sich mit Dhaôma auszusprechen. Zwar hatte er reden gesagt, Mimoun kannte den Blauen mittlerweile aber gut genug. Nun, wo die Aufmerksamkeit nicht mehr in der kleinen Runde lang, rutschte er ein wenig zu seinem Liebsten hinüber und ergriff zögerlich seine Hand.

Mimoun war versucht erneut eine Entschuldigung loszulassen, befürchtete aber, dass Dhaômas Erwiderung darauf ihn wieder in Rage bringen würde. „Danke, dass du es mit einem Trottel wie mir aushältst.“, flüsterte er ihm stattdessen ins Ohr.
 

Bange hatte der Braunhaarige darauf gewartet, was kommen würde, nun holte er Luft, um etwas zu erwidern, aber als er in die grünen Augen sah, stockte er und beschloss, es dabei zu belassen. Wie sollte er ihm je begreiflich machen, dass er inzwischen das gleiche Verhalten an den Tag legte, das er ihm so mühsam ausgetrieben hatte? Weich streichelte er ihm über die Wange, dann lehnte er sich vor und flüsterte ihm ins Ohr: „Es werden noch mehr Situationen kommen wie diese. Versuche einfach, nicht alles auf deine Schultern zu nehmen. Du kannst nicht für alle die Verantwortung übernehmen, nicht wahr?“
 

„Ich sollte als Drachenreiter aber auch die Größe besitzen, für den Frieden einzustehen und nicht stumpfsinnige Idioten – ja, dein Bruder ist einer – noch zusätzlich provozieren, noch dazu, wenn ich in der Unterzahl bin. Wenigstens schaffe ich es, aus Fehlern zu lernen. Beim nächsten Mal wird mir das nicht passieren, versprochen.“ Langsam schlug die Müdigkeit wieder zu. Nach einem anstrengenden Tag und einer nahezu komplett durchwachten Nacht hatte er nur wenige Stunden schlafen können, bevor Xaira ihn geweckt hatte. Seufzend lehnte er sich an Dhaôma an und schloss für einen Moment die Augen. Nur kurz. In Anwesenheit von Ratsmitgliedern ein Nickerchen zu halten, kam Respektlosigkeit ziemlich nahe. Und dafür gäbe es dann wirklich eine Standpauke. Zumindest Kaley würde da wenig Hemmungen haben.
 

„Ist gut.“, lächelte Dhaôma und ließ seine Hand auf der breiten Schulter liegen. Es war gut zu sehen, dass sein Freund sich endlich entspannte. Für ihn kam es Folter gleich, Mimoun sich so zusammenreißen zu sehen.

„Also habt ihr beiden gerade noch so eine riesige Schlacht verhindert.“ Asam war zu ihnen zurückgekommen. In seinen Augen glitzerte es. Er fühlte sich immer ausgeruhter, da wollte er seinen obligatorischen Begrüßungskampf mit Mimoun ausfechten. Gerade auch, weil dieser so schrecklich müde aussah. Vielleicht hatte er da mal eine Chance! Aber gerade, als er sich in Position bringen wollte, schüttelte Dhaôma den Kopf. Nur für einen winzigen Moment gab er dem Bedürfnis nach, Mimoun heilen zu wollen, so dass die Linien auf seinen Wangen leicht bläulich leuchteten, aber er hatte sich für diesen Tag schon so gut wie verausgabt und Mimoun würde böse werden, also zog er die Kraft wieder zurück. Immerhin hatte Asam verstanden.

„Idiot.“ Widerwillig verpasste er dem Schwarzhaarigen eine Kopfnuss.
 

Dieser schrak hoch und blinzelte verblüfft in die Gegend. Irritiert rieb er sich den Kopf und maß Asam mit verständnislosen Blicken. Nur langsam dämmerte ihm, was den Freund so aufgebracht hatte.

„Morgen.“ Mimouns grüne Augen richteten sich für einen Moment auf den jungen Magier und hinter der Stirn begann es zu arbeiten. „Eher übermorgen. Mit geprellten Rippen wäre das kein Spaß.“ Und bevor Dhaôma auf die Idee kommen sollte, ihn heilen zu wollen, hob er die Hand. „Bitte kümmere dich erst um Keithlyn und die anderen. Sie brauchen deine Hilfe nötiger.“
 

„Ich weiß schon.“, antwortete dieser. „Und nächstes Mal werde ich es auch wissen, selbst wenn du mir sagst, dass du verletzt bist.“

Asam sah zwischen den beiden hin und her, dann gab er Mimoun eine zweite Kopfnuss. „Die ist von Leoni. Ich bin sicher, dafür hättest du dir eine gefangen.“
 

Mimoun war sich da auch völlig sicher, das musste Asam aber nicht wissen und so schenkte er dem Freund einen nicht wirklich ernst zu nehmenden bösen Blick.

„Sobald ich wieder fit bin, reden wir noch einmal darüber.“, drohte der Drachenreiter gespielt und wandte sich wieder Dhaôma zu. Mit einem sanften Lächeln drückte er die Hand, die er noch immer festhielt. Er hätte jetzt anfangen können zu diskutieren, wo Kratzer aufhörten und Verletzungen anfingen, aber er kannte den Standpunkt des Magiers. Selbst kleinste Abschürfungen waren für ihn Verletzungen, die sofort behandelt werden mussten. „Ich glaube, mein Ego ist zu groß geworden, schließlich ging ich davon aus, dass ich bei dir oberste Priorität besitze. Oder spätestens an zweiter Stelle komme.“
 

Ein leises Lachen kullerte aus Dhaômas Mund. „Das tust du. Genau deswegen mache ich, was du wünschst. Aber glaube nicht, dass ich dich nicht trotzdem bevorzugen würde, wenn du in Lebensgefahr schweben würdest. Dann ist es mir egal, was andere oder du wünschen.“ Frech streckte er ihm die Zunge heraus, bevor er Anstalten machte, sich zu erheben. „Und weil ich nun mal der Heiler hier bin, werde ich jetzt meinen Pflichten nachkommen und die Behandlung fortsetzen, die ich begonnen habe. Und du bist brav und schonst dich. Immerhin haben wir heute vielleicht noch eine Begegnung mit den Magiern vor uns, falls sie schon dazu bereit sind, mit uns zu reden.“
 

„Würde ich in Lebensgefahr schweben, also wären die Rippen wirklich gebrochen gewesen, hätte ich auch etwas gesagt. Wirklich.“, bekräftigte Mimoun noch einmal, ergriff Dhaômas Hand, schlang einen Arm um dessen Brust und zog ihn wieder zu sich heran. Er ließ die Hand wieder los, suchte den Kopf seines Magiers und zog ihn in einen sanften Kuss. Dhaôma hatte gelacht. Es war also alles wieder in Ordnung. Das Gefühl von Beklemmung wich nun völlig aus seiner Brust, hinterließ nur noch leises, protestierendes Pochen aufgrund der schnellen Bewegung.

„Ich liebe dich.“
 


 

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ich hasse Radarr



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Kommentare zu diesem Kapitel (5)

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Von:  Seelendieb
2015-03-14T15:17:17+00:00 14.03.2015 16:17
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Soooooooooooo... nach genau einer Woche habe ich es geschafft, eine FF komplett durchzulesen - und ich bin stolz auf mich, da ich nebenbei zum Teil 12 Stunden tägl. arbeiten musste.

Einfach nur WOW!

Es gibt da zwei Romane "Das Drachentor" und "Der Widersacher", die sich mit ähnlichen Motiven und Geschichten befassen.

Ich finde deine FF einfach nur der reine Wahnsinn. So feinfühlig, wie du schreibst, der langsame, sanfte Aufbau der Story mit immer wieder Höhepunkten! Mir gefällt die gesamte Storyline. Es ist so fantastisch wie du das alles schreibst. Einfach nur wow! *sprachlos bin*

Ich würde diese FF gerne in einem Roman als buch in ein Regal stellen wollen. Es ist bis jetzt eine sehr schöne Geschichte, die ganz besonders durch die detaillierte Gefühlswelt besticht.

Mein persönlicher Favo ist natürlich der blaue Drache "Pusteblume". Ich finde den kleinen so genial! Wie oft lag ich schon lachend am Boden wegen dem Kleinen!

Richtig genial hattest du beschrieben, wie Kaley versuchte Dhaôma zu trainieren. Genial! *lach*

Alles in allem kann ich einfach nichts weiter zu sagen, außer dass mich die Story mehr als nur gefangen hat und ich einfach nur genieße. Ich habe selten so was schönes gelesen. Die sanfte, weiche und doch so bestimmte Erzählart erinnert mich in ihrer Einfachheit an das Buch "Das Drachentor" von Jenny-Mai Nuyen.

Ich freue mich schon, wenn es weiter geht und ich wurde dich bitten, mir, wenn die FF abgeschlossen ist, die FF als Datei zu schicken, damit ich mir sie ausdrucken kann und in mein Bücherregal stellen kann. Denn sowas wie deine FF lese ich gerne abends im Bett und nicht vorm PC ^.~

Ganz großes Lob! Weiter so.
Antwort von:  Shirokko
15.03.2015 09:35
^^
Ich freue mich sehr, dass sie dir so gut gefällt.
Und merke nebenbei mal an, dass Mimoun und Tyiasur beide von meiner Freundin Tora geschrieben wurden. ^^
Ich spreche es auch mit ihr ab wegen der Datei. (wären dann viele, weil ich das nur in Kapitelformat habe. schneller ginge es, wenn du sie dir hier rauskopierst.)
Antwort von:  Seelendieb
15.03.2015 11:20
Achso verstehe, ok. Dann kopiere ich sie mir heraus :D

Dann großes Lob an Tora. ich finde den Drachen so süüüüüüüüüüüüüüüüß *lach*
Antwort von:  torateh
15.03.2015 18:26
vielen lieben dank für dieses...umfassende kommi ^^ und den kleinen nachtrag

ja. mein würmchen (ich spür schon wieder seine bösen blicke ^^°) hat schon was für sich, aber vilay mit seiner trockenen art trägt auch gut zur unterhaltung bei, wie Mikan gerne anmerkt. toll, dass tyiasur nun auch einen eigenen fan hat ^^
Antwort von:  Seelendieb
15.03.2015 20:00
Villay ist unschlagbar, jup! Ich finde seine Art die Namen zu übersetzen genial. Aber an "Pusteblume" kommt er halt nicht ran :D
Von:  KuroMikan
2015-03-08T23:00:44+00:00 09.03.2015 00:00
Hallö :)

XD vilay ist einfach cool ^^ wird sich nie ändern XDDDD
manchmal sind die beiden echt hohl... naja :)
ich hatte echt ers mal nen totalen schrecken ^^ dacht mir holla ... usw...
armer mimoun -.-° naja solangs wirklich nur die rippen sind is ja alles ok :) ich dacht schon ihr wärt wieder böse gewesen XD

das die beiden hanebito am ende noch dazu kamen fand ich wirklich nett :) hat das ende richtig aufgelockert ^^ und die worte am ende sind toll XD <3

lg Mikan
Antwort von:  torateh
09.03.2015 08:45
wann waren wir je böse????
Antwort von:  KuroMikan
09.03.2015 22:37
echt jetz? XD
Antwort von:  Shirokko
10.03.2015 08:24
*lacht*
Antwort von:  torateh
10.03.2015 08:41
echt! ich bin mir keiner schuld bewusst ^^


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