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Yours to keep.

[Vivian & Theon]
von

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5. Kapitel - Yours to keep.


 

Vivian
 


 

Ein paar wenige Tage hatten genügt, um alles zu verändern.

Wahrscheinlich war es für einen Außenstehen nicht offensichtlich, wie sich das Verhältnis zwischen mir und Theon gewandelt hatte, aber ich spürte stets diese Spannung zwischen uns, wann immer wir uns gegenüberstanden. Ich wusste, dass sie die Fortsetzung diesen großen, überwältigenden Gefühls sein musste, welches während des Videodrehs über mich hineingebrochen war. Und all diese Dinge, die sich in letzter Zeit zwischen uns ereignet hatten waren ein Relikt meiner tiefen Zuneigung, die ich für Theon empfand.

Irgendwann beschloss ich, diesem Großen doch einen Namen zu geben, denn ich hatte es lange genug in mir pulsieren gespürt.

Ich taufte es Liebe. Ja, es fühlte sich richtig an. Richtig und sehr, sehr warm.

Aber leider waren die Schwierigkeiten mit dieser Erkenntnis noch längst nicht ausgestanden. Ich haderte mit mir, wehrte mich gar gegen diese Gefühle, denn mein Leben hatte mir als heterosexueller Mann deutlich besser gefallen. Besser, weil es in geregelten Bahnen verlief, keine Überraschungen und Wirrungen für mich bereithielt. Diese Empfindungen zerstörten das ganze Bild, das ich von mir hatte. Als hätte ein höhnischer Mensch meinem Spiegelbild einen Schnauzbart verpasst. Das in Verbindung mit dem Prozess meiner Scheidung war nicht sonderlich angenehm. Nur manchmal, wenn ich locker ließ und mich nicht dagegen wehrte, dann war es auch ein bisschen schön. Dann wollte ich einfach nur in Theons Nähe sein, ihn am liebsten wieder küssen und über nichts und niemanden mehr nachdenken müssen. Wahrscheinlich hätte ich es tun sollen, denn ich wusste mit ziemlicher Sicherheit, dass Theon diese Gefühle mit mir teilte. Dass er mich auch liebte, es schon lange vor diesem besonderen Moment getan hatte. Und trotzdem konnte ich nicht so einfach auf ihn zugehen. Ich hoffte, er würde den ersten Schritt tun und dass mein Hirn endlich einmal aufhörte, sich selbst für sein Denken zu verurteilen.
 

Liina sollte noch die ganze restliche Woche bei uns bleiben, ich hatte es mit Katra in einem kühlen, sachlichen Ton geregelt. Ihr war anzumerken, dass sie nicht sonderlich begeistert darüber war, ihre Tochter in einen reinen Männerhaushalt zu geben, aber da wir beide uns nach wie vor das Sorgerecht teilten, musste sie sie wohl oder übel in meine Obhut geben. Außerdem vermittelte die Kleine unmissverständlich, dass sie die gemeinsame Zeit mit mir genoss, denn ich verwöhnte sie zugegebenermaßen ziemlich und teilte kleine Geheimnisse mit ihr. Mama sollte nichts von den Süßigkeiten wissen, die sie von mir und manchmal auch von Theon bekam, wenn sie beim Geschirrabtrocknen half. Oh, und sie liebte diese Geheimnisse, versiegelte ihre Lippen stets mit einem imaginären Reißverschluss.

Ja, Geheimnisse waren wirklich eine schöne Sache. Doch wenn man sie mit niemandem teilte und lange für sich behielt, dann konnte man genauso gut daran zerbrechen.
 

Es gab Tage, an denen schafften wir Liina gemeinsam in den Kindergarten, unternahmen am Vormittag etwas unter Männern und holten meine Tochter schließlich auch gemeinschaftlich wieder ab.

Manchmal entwarfen wir während der Zeit zu zweit neue Kompositionen, schrieben gemeinsame Lieder und waren insgesamt ziemlich kreativ, ein andermal brauchten wir einfach eine kleine Auszeit und zogen uns deswegen in Theons eigene kleine Sauna zurück, die an sein Schlafzimmer grenzte. Dort verbrachten wir ein paar Minuten, schlossen aber jedes Mal eine Wette ab, wer es am längsten aushalten würde. Meist ging ich als Sieger hervor, was Theon auch nach Wochen noch wurmte, aber er lief eben schnell rot an und glänzte vor Schweiß am ganzen Körper. Dass mir daraufhin nicht ebenfalls übermäßig heiß wurde, grenzte an ein Wunder. Denn der Anblick seines nackten Oberkörpers ließ mich ganz und gar nicht kalt. Dass Theon eine sehr attraktive Figur besaß und die Tätowierungen die Anziehungskraft noch weiter in die Höhe schraubten, war längst kein Geheimnis mehr. Aber dass mein eigener Körper darauf zu reagieren begann, das war neu. Und es wurde mit jedem Mal heftiger.
 

Dennoch saßen wir auch heute wieder nur mit einem weißen Handtuch um die Hüften auf den Holzleisten und genossen die schwelende Hitze.

Liina war wie immer im Kindergarten und so brauchten wir uns nicht sorgen, dass sie uns plötzlich beim Saunieren stören könnte. Alles war ruhig und entspannt, wir unterhielten uns nur sporadisch und ich hatte Zeit, mich ganz auf dieses wohlige Ziehen zwischen meinen Beinen zu konzentrieren.

Mittlerweile genügte schon die Gewissheit, einen im Grunde nackten Theon neben mir sitzen zu haben, der Anblick seines Oberkörpers trieb es allerdings auf die Spitze. Zum Glück war das Handtuch ziemlich weit, sodass ich meine beginnende Erregung auch heute wieder irgendwie verbergen konnte. Und dabei zweifelte ich an Theons Gefühlen. Wenn er meine Liebe tatsächlich erwiderte, wieso blieb er dann so locker in der Gegenwart des Objektes seiner Begierde, welches keine Kleidung am Leib trug? Konnte er sich tatsächlich so gut beherrschen, seinen Körper kontrollieren oder war ich zu sehr mit mir selbst beschäftigt, um seine Erregung zu bemerken?

Um mich abzulenken, begann ich hier und da ein zugegebenermaßen ziemlich unsinniges Gespräch, welches nicht nur Theon, sondern auch mich manchmal in Verlegenheit bringen konnte. Heute war es besonders schlimm. Aber mit so einem erhitzten Hirn fiel das Denken nun mal sehr schwer.
 

"Wie lange ist nun eigentlich deine letzte Beziehung her? Ein Jahr, anderthalb?"

Theon schnaubte. Dachte nach. Und ich kam mir schon jetzt ziemlich doof vor.

"Ein Jahr, glaub ich", lieferte er mir seine Antwort, klang so ruhig wie eh und je. Mit einem Seitenblick auf ihn konnte ich auch nicht feststellen, ob sein roter Kopf von der Hitze oder dem leichten Anflug von Scham rührte, den ich verursacht hatte. Im Augenblick interessierten mich ohnehin die kleinen Wassertröpfchen stärker, die über sein Gesicht rannen und die, die ich an seinem Körper entdeckte, als ich meinen Blick zaghaft und zugleich begierig tiefer hinabwandern ließ. Es war das erste Mal, dass ich Erregung beim Anblick eines Mannes empfand, und als Theon mir plötzlich sein Gesicht zuwandte und mich fragend anschaute, verdrückte ich mir meine Gefühle schnell. Dass er sich dabei allerdings mit der Hand seine blonden Haare nach hinten strich, machte es meinen Trieben nicht gerade einfach, sich tief in den hintersten Windungen meines Gehirnes zu verbergen.

Klartext: Die ganze Szene trieb mich beinahe in den Wahnsinn.
 

"Und sehnst du dich nicht manchmal wieder nach einer Beziehung? Ich meine, du bist ja schon ziemlich lange Single..."

Ich war ein Idiot, weil ich weiterhin auf diesem Thema herumritt. Aber wahrscheinlich hoffte ich einfach nur, das Gespräch in diese eine gewisse Richtung zu lenken. Dass er mir sagte, dass er ebenfalls Interesse an mir hatte. Doch das blieb aus. Theon war einfach zu schüchtern, um diesen Schritt zu gehen. Schließlich hatte ich ihm meine Zuneigung noch nicht wirklich eindeutig präsentiert.

"Es ist gut so, wie es ist, glaube ich", kam es schließlich von dem anderen, es klang endgültig. "Ich bin viel zu gewählt, um mir die erstbeste Frau zu schnappen."

"Oh ja, das kenne ich nur zu gut", erwiderte ich amüsiert, reckte mich ein bisschen, hielt aber schnell inne, als sich meine Erregung in Form einer Beule leicht unter dem Handtuch abzeichnete. "Aber du kannst ja auch Ansprüche stellen, schließlich bist du ein klasse Typ. Nett, charmant, höflich, verdammt gut aussehend..."

"Danke gleichfalls", schmunzelte mir Theon daraufhin entgegen und da war es wieder.

Dieses Funkeln in seinen eisblauen Augen, welches ich genauso an dem Abend auf der Couch gesehen hatte. Während er mir sein Lied widmete.

Es konnte einfach nicht anders sein. Er liebte mich auch. Ich wusste, dass ich etwas tun musste, kam mir aber zugleich so hilflos vor. Hatte keine Ahnung, wie ich es anstellen sollte. Das Schicksal allerdings stellte sich hinter mich und verschaffte mir eine Gelegenheit, die ich beim Schopfe packen musste.
 

Heute war ich derjenige, der der Hitze als Erster entkommen wollte. Ich hielt Tag um Tag kürzer aus, wahrscheinlich lag das auch an diesem Brennen, welches von meiner Psyche ausging und sich in meinem Inneren ausbreitete. In jener Sekunde, als er meinen Blick eingefangen hatte, schien das Feuer komplett zu explodieren. Ich musste weg.

Doch just in diesem Moment, in dem ich meinen Hintern erhob, schien auch Theon in Aufbruchsstimmung geraten zu sein. Wir hielten gleichsam in der Bewegung inne, schauten uns stumm an, bis er das Schweigen schließlich mit einem Grinsen entschärfte.

"Zwei Dumme, ein Gedanke", meinte er belustigt. "Und wer geht jetzt zuerst?"

In mir arbeitete es. Kurz nur. Ganz kurz. Dann gingen meine Gedanken in ein dumpfes Pochen über. Das wohlige Gefühl. Die Erregung, die nicht zog, sondern eher dem weichen Schlag von Schmetterlingsflügeln glich. Ich kannte sie, sie suchte mich in letzter Zeit öfter heim. Besonders dann, wenn sich eine intime Nähe zwischen uns aufzubauen drohte.
 

Meist hatte ich lange genug in der Wärme ausgeharrt, damit Theon in Ruhe seine kalte Dusche beenden konnte. Ich hatte die Sauna erst verlassen, als er bereits vollständig angezogen durch das Schlafzimmer tappte und nur noch seine feuchten Haare von unserer Wellnesseinlage zeugten. Nun aber sollte das nicht funktionieren. Und ich musste meinen Vorschlag schnell äußern, bevor ich riskierte, dass er oder ich einen Schwächeanfall erlitt.

"Lass uns einfach zusammen gehen", hörte ich mich sagen, ein flaues Gefühl kroch durch meine Eingeweide, doch ich konnte meine Worte nicht mehr zurücknehmen.
 

Ohne Einspruch einzulegen verließ Theon letztlich nach mir die Saunakabine, stand dann aber ratlos und nass glänzend im Raum und warf fragende Blicke in Richtung des Badezimmers, welches sich ebenfalls von seinem Schlafzimmer abzweigte.

"Dusche, ich, du?", fasste er sich kurz und besagtes flaues Gefühl schlug komplett über mir zusammen.

"Ich denke, sie ist groß genug für uns beide."
 

Er hatte keine Zeit, länger über meinen Vorschlag nachzudenken. Doch ich merkte ihm an, dass er sich in diesem Moment ebenfalls nicht ganz wohl in seiner Haut fühlte. Zögerlich wirkte er, als er die Tür zum Bad öffnete, unsicher, als er mir einen Blick zuwarf. Ich hoffte, dass er spürte, dass ich einmal mehr dasselbe fühlte wie er. Dass sich meine freudige Erregung vermischte mit dieser unheimlichen Angst vor dem Unbekannten. Wir hatten, seitdem wir uns kannten, stets vermieden, uns dem anderen nackt zu zeigen und nun sollte dieses ungeschriebene Gesetz einfach so gebrochen werden. Weil es sich richtig anfühlte. Richtig, aber noch nicht gut. Und selbst als ich noch das Handtuch um die Hüften trug, fühlte ich mich bereits komplett entblößt.
 

Gnadenlos schlug die Kälte der Fliesen gegen meine Fußsohlen. Es gab kein Zurück mehr. Spätestens, als Theon seine Hände um den Knoten des Handtuchs auf seiner Hüfte legte, spürte ich, dass es begann.

Es war wie in einem Film, unwirklich, intensiv, und in seinen Augen schwelte noch immer dieses Zögernde. Ich spürte, wie ich ihm zunickte, als ich es entdeckte, sah, wie er sich langsam aus seinem Handtuch schälte. Wie es Zentimeter für Zentimeter nach unten glitt. Wie es noch nie entdeckte Haut freilegte.

Ich konnte kaum mehr atmen, rang mit geöffneten Lippen nach Luft, besann mich aber ganz schnell und riss mir selbst ein wenig zu hektisch das Handtuch vom Leib, ließ es auf den Boden gleiten.

Sprung ins kalte Wasser. Höchste Intimität. Spannung. Spürbar, alles spürbar.

Und dabei musterte ich ihn. Fühlte den Trieb in mir aufsteigen. Die Begierde, die Lust, die Erregung. Ihm ging es nicht anders, denn er war hart. Stellte gerade fest, dass ich es auch war. Dieses Mal vermochte ich nicht in seinem Blick zu lesen.
 

Erst als das eiskalte Wasser auf mich niederprasselte gab es auch wieder etwas anderes in mir außer diesem gleißenden Feuer.

Grausam riss es mich aus meinem Begehren, doch immer, wenn Theon und ich uns versehentlich berührten, flammte die Glut wieder auf. Haut an Haut.

Er sah gut aus, irre gut, unheimlich gut. Ich wollte ihn. Die Lust hatte mich in Ketten gelegt, ich gestand mir alles ein. Schämte mich nicht mehr. Wollte ihn einfach nur packen und spüren. Egal wie. Hauptsache spüren.

In seinen Blick interpretierte ich nun, dass es ihm nicht anders ging. Während er die Augen schloss und sein Kinn ein wenig nach vorn reckte, rieselte eine erneute Welle der Lust durch mich. Und als er seine Hände behutsam auf meine Hüften legte, stieß ich vor und küsste ihn hart und ungehalten. Einfach so. Machte mir keine Gedanken mehr.

Spürte nur, wie sich dieses Richtig in ein definitives Gut verwandelte, umso bestimmter wir uns anfassten.
 

Doch mein Gehirn lebte noch. Schickte mir plötzlich einen zuckenden Bildfetzen hinter die geschlossenen Augenlider. Er zeigte Liina. Ich erschrak augenblicklich.

"Scheiße, wie spät ist es?", stammelte ich nervös, nachdem ich mich ruckartig von Theon gelöst hatte. Hastig schaute ich mich um, als hätte ich tatsächlich Hoffnungen gehegt, in der Duschkabine eine Uhr zu entdecken.

"Keine Ahnung, zwölf, eins?", murmelte Theon, er schien noch immer nicht wieder ganz in der Realität angekommen zu sein und wirkte auch nicht sonderlich froh darüber, dass ich ihn so jäh aus dem Traumland herausriss.

Ich aber konnte keine Rücksicht mehr darauf nehmen, spurtete aus dem Badezimmer und warf Theons Radiowecker, der auf dem Nachtschrank stand, einen starren Blick zu.

12:48.

Mist. Ich hatte ausgerechnet heute mit Liina um 13:00 Uhr einen Arzttermin, den ich nun nie und nimmer pünktlich wahrnehmen konnte.

Obwohl ohnehin alles zu spät war, machte ich mich schleunigst daran, mir meine Kleidung überzuwerfen, in das Auto zu springen und in den Kindergarten zu kommen.

An Theon dachte ich erst wieder, als ich schon drei Straßen weiter war.
 

Mit einer Gnadenlosigkeit fiel das schlechte Gewissen über mich her.

Ich hatte ihn einfach so stehen gelassen, ohne ein Wort der Entschuldigung, ohne eine Erklärung. Ich schämte mich, wünschte, ich könnte genau jetzt noch einmal umdrehen und das Ganze geraderücken. Doch das ging nicht.

Die Häuserzeilen rasten an mir vorbei, während ich den Kopf einfach nicht mehr freibekam. Da war nicht nur diese plötzliche Flucht aus dieser vertraulichen Szene zwischen Theon und mir, da waren auch die Sequenzen, die sie eingeleitet hatten, der Anflug von Gefühlen, von Kribbeln, von diesem dumpfen Schwelen im Magen. Da war zu viel, um es überhaupt noch fassen zu können.

Unwirklich wirkte es im Nachhinein auf mich. Als wäre es nur ein Traum gewesen oder eine Welt, die hinter einem Tor zu einer anderen Realität lag und stets unerreichbar gewesen war. Ich wusste plötzlich nicht mehr, ob ich es lieber verschlossen gelassen hätte oder ob es gut war, so wie es gekommen war. In mir herrschte nur noch Chaos. Die Erinnerungen an alle Eindrücke gleichzeitig prallten auf mich ein.
 

Vivian, schau auf die Straße.
 

Gerade noch so konnte ich einem Lastwagen ausweichen. Bremsen quietschten. Dann Stille. Nur noch mein stumpfer Herzschlag verblieb.

Als das Adrenalin aus meinen Venen gewichen war, fühlte ich mich auf einmal nur noch schlecht. Schlecht und irgendwie - blockiert. Katras Gesicht tauchte vor meinem geistigen Auge auf. Ihre Stimme kam hinzu. Ihre Stimme, die mir sagte, dass sie einen anderen hatte. Dass sie die Scheidung wollte.

Enttäuschung. Fester schlug ich meine Hände in das Lenkrad. Weiß traten meine Knöchel hervor.

Ich war mir sicher, dass ich Theon liebte. Gleichzeitig hatte ich jedoch keine Ahnung, ob ich mich schon jetzt wieder auf jemand Neues einlassen konnte. Der Schmerz von dem Vergangenen zog in mir noch immer seine Bahnen. Mein Vertrauen in die Menschheit - aufgeweicht. In die Pfütze gefallen.

Obwohl ich Theon so gern vertrauen wollte. Er würde mich nie betrügen, darüber war ich mir im Klaren. Und trotzdem.

Gebranntes Kind scheut das Feuer.

Nein, ich wollte mehr von diesem Feuer. Wollte mich in es fallen lassen, unbedarft, ohne jeden Zweifel. Es war ohnehin unauslöschlich. Ich hatte es gespürt, zum ersten Mal körperlich, und ich hoffte, dass Theon es wieder entfachen wollte.

In meinem Magen hielt die Enge an.

Bestimmt war er sauer. Doch ich wollte das nicht. Wollte das alles einfach nicht.

Warum konnte das Leben nicht einmal einfach sein?
 

Liina stürmte mir bereits entgegen, als ich die Autotür hinter mir zuschlug. Sie erkannte meinen Wagen für gewöhnlich schon aus vielen Metern Entfernung und auch heute schien sie mich bereits vom Fenster aus beobachtet zu haben.

"Papa!", rief sie fröhlich, versuchte dabei übermütig das Tor zu erklimmen, hinter dem der kleine Hof des Kindergartens lag, der mit zahlreichen Spielzeugen ausgestattet war. Ein Stück weit hinter Liina sah ich nun auch die Erzieherin auftauchen, deren Namen ich ständig vergaß. Nur nebenbei vernahm ich, wie sie meine Tochter mit strenger Stimme maßregelte, das Tor nicht als Klettergerüst zu benutzen, woraufhin sie unsicher abstieg, aber als ich schließlich vor ihr stand, hüpfte sie wieder daran empor und nun entdeckte ich auch, dass sie mir etwas entgegenhielt.

"Das hab ich vom Lauri gekriegt!", krähte sie, den roten, glatten Gegenstand wild herumschwenkend, bis ich mir erst einmal leise lachend Eintritt verschaffte.

Ich spürte, wie es mir nun schon viel besser ging, nur aufgrund der Fröhlichkeit meiner hübschen Tochter.
 

"Hier, Papa!", fuhr Liina wenige Sekunden später lautstark fort. "Das ist ein Herz."

"Ein Herz?", hakte ich ganz erstaunt nach und nahm es nun in meine eigenen Hände, um es von allen Seiten zu mustern, ganz wie es die stolze Liina verlangte.

"Lauri hatte heute Geburtstag, nicht wahr, Liina, und da habt ihr alle so ein Herz gekriegt", erklärte die Erzieherin beiläufig, aber das interessierte mich schon längst nicht mehr. Nachdem Liina mir deutlich gemacht hatte, dass sie das Herz nun an mich weiterverschenken wollte, kam mir eine Idee.

Kitschig war sie, ohne Zweifel, aber vielleicht ja auch ganz süß.

Mit neuer Hoffnung ließ ich das glänzende, rote Herz in meiner Hosentasche verschwinden, nahm Liina an die Hand und gemeinsam machten wir uns auf den Weg zum Auto, um so schnell wie möglich erst zum Arzt zu fahren; vielleicht hatte er ja trotzdem noch Zeit für uns, auch wenn die Kirchturmuhr bereits halb Eins schlug. Erst dann sollte es nach Hause gehen und ich wurde schon bei dem Gedanken daran leicht von Nervosität durchflutet.
 

Doch es war umsonst. Theon war bei unserem Eintreffen nicht da. Vielleicht kaufte er gerade ein, einen Zettel hatte er jedenfalls nicht hinterlassen.

Am Abend hatte er sich allerdings noch immer nicht zu Hause blicken lassen. Beunruhigt wählte ich seine Nummer, um mich mit einem kurzen Anruf über seinen Verbleib zu informieren. Die Angst, dass ihm etwas passiert sein könnte, nahm zwar ab, als ich seine Stimme am anderen Ende der Leitung hörte, aber aufgrund seiner Reserviertheit vermutete ich tatsächlich, ihn mit meiner Aktion nicht gerade begeistert zu haben.

Er wollte mir nicht genau sagen, wo er rumhing. Aber anhand der konfusen Geräusche, die im Hintergrund waberten, schloss ich auf eine Kneipe.

Super, jetzt schoss er sich ab, nur weil ich so ein Idiot war. Wenn ich wenigstens nun den Mund aufbekommen hätte, um mich zu entschuldigen, aber nein, ich Trottel hatte plötzlich das Handy in der Hand und starrte auf das Display. Aufgelegt.
 

In der kommenden Nacht hatte ich Probleme, in einen tiefen Schlaf zu fallen. Dauernd erwachte ich, spürte, wie meine Zunge am Gaumen klebte und schlich an die fünf Mal in die Küche, um mir ein Glas Wasser einzuschenken. Dabei warf ich ständig der Tür zu Theons Schlafzimmer fragende Blicke zu. Ob er schon da war? Oder sich noch immer in den Clubs herumtrieb, sich volllaufen ließ, was doch eigentlich mein Part war? Ich hatte keine Ahnung, hatte bisher keine Geräusche gehört.

Erst gegen Fünf vernahm ich Schritte in der Küche. Natürlich rührte ich mich nicht von der Stelle, blieb im Bett liegen, bis wieder alles ruhig war. Erst dann machte ich mich erneut auf zum Kühlschrank und trank im Dunklen ein weiteres Glas Wasser leer.

Wenigstens wusste ich jetzt, dass er zu Hause war. Trotzdem starrte ich nach wie vor diese verdammte Tür an, die sich als weißliches Rechteck mit weichen Kanten an der gegenüberliegenden Wand erhob.

Ich flößte mir den letzten noch verbliebenen Schluck ein, dann presste ich die Lippen aufeinander und spielte ernsthaft mit einem gewissen Gedanken.

Irgendwann begannen sich meine Beine tatsächlich selbstständig in Bewegung zu setzen. Führten mich auf das weißliche Rechteck zu, bis ich davor zum Stehen kam und ich ohne groß zu zögern meine Hand auf die Klinke legte.

Die Stille der Nacht hob das Knacken viel zu sehr hervor, welches erzeugt wurde, als ich die Tür öffnete. Achtsamer wurde ich, schlich letztlich über das kühle Parkett, bis ich neben dem Bett stand. Ich erklärte mich für verrückt, kletterte aber trotzdem auf die Matratze, nachdem ich den auf dem Rücken liegenden Theon ausgemacht hatte.
 


 

Theon
 


 

Erschrocken war ich. Ganz kurz nur. Dann wich der kühle Blitz einem freudigen Kribbeln.

Ich schlief nicht, konnte es gar nicht, war noch immer hellwach, einerseits aufgrund der aufreibend hellen Lichter des Clubs, andererseits ließ mir Vivian keine Ruhe mehr.

Ja, vielleicht war ich etwas enttäuscht, weil er mich einfach in der Dusche stehen gelassen hatte, aber dass es überhaupt soweit mit uns gekommen war, das überwog alles. In den Club hatte ich mich nur zurückgezogen, weil ich gehofft hatte, die ganze Euphorie dort ungehindert hinauslassen zu können. So nah war ich meinem Ziel gekommen. So nah, wie ich es niemals für möglich gehalten hätte. Kein Wort auf dieser Welt konnte beschreiben, wie ich mich gerade fühlte. Es war nur noch ein Prickeln, ich war pure Energie. Und jetzt, wo Viv auch noch in das Schlafzimmer gekommen war, schwappte eine noch intensivere Welle des Glücks durch meinen Körper. Ich glaubte, wahnsinnig werden zu müssen, als er in das Bett gekrochen kam, sich halb auf mich legte und ganz viele kleine Küsse auf meinem Hals verteilte.

"Vivi...", murmelte ich, klang aber heiser, da ich so lange nicht mehr gesprochen hatte.

Ich spürte anhand seines Atems, der plötzlich stärker auf meine Haut traf, dass er grinste. Dann bedeckte er mich weiterhin mit seinen Küssen, glitt langsam tiefer, bahnte sich seinen Weg in Richtung meines Schlüsselbeines.

"Vivi", kam es erneut von mir, dieses Mal aber fester und ebenfalls mit einem kleinen Lächeln auf den Lippen. Nun erhob ich auch meine Hand, platzierte sie zielgerichtet auf seinem Hinterkopf, ertastete seine kurzen, weichen Haare, dann fuhr ich mit den Fingerspitzen sacht abwärts und berührte seine Wange. Da ich die Augen längst geöffnet hatte, fing ich seinen beharrlichen Blick mühelos auf und spürte den eindringlichen Wunsch, endlich richtig geküsst zu werden. Auf den Mund.

Doch kurz bevor er meine Lippen erreicht hatte, hielt er inne. Zog die Stirn leicht in Falten. Dann erhob er seine Stimme, die ebenfalls recht kratzig von der Nacht klang.

"Sorry wegen gestern...ich wollte dich nicht einfach so stehen lassen. War doof. Aber ich bin eben so erschrocken wegen der Zeit..."

"Ist okay", verzieh ich ihm mit einem gütigen Schmunzeln. "Ich weiß doch, wie zerstreut du manchmal bist..."

Ihm fiel ganz offensichtlich ein Stein vom Herzen. Seine Miene hellte sich auf.

"Ich hatte voll Angst, dass du total sauer auf mich bist...", gestand er mir schließlich. "Cockblocking ist eine ziemlich böse Sache, das weiß ich aus Erfahrung...und gestern, das hat mir natürlich auch nicht gefallen. Ganz und gar nicht."

Wir schwiegen kurz, dann aber ergriff er wieder den Gesprächsfaden. In seinen Augen lag dieses Funkeln, das ihm so etwas Jungenhaftes gab. Wann immer ich es sah musste ich lächeln.

"Jetzt hätten wir Zeit", raunte er, seine Mundwinkel zuckten etwas. "Ich glaube, es ist erst nach Vier...also, wenn du willst..."

"Was meinst du denn?", hakte ich grinsend nach; manchmal musste ich einfach ein wenig fies sein, denn ich wollte nur zu gerne hören, wie er mir es ins Gesicht sagte, was er nun mit mir tun wollte.

"Mit dir schlafen?"

Es war eigentlich keine Frage, aber es klang aus seinem Mund so. Doch das spielte nun keine Rolle mehr.
 

Vivi küsste mich, von ganzem Herzen, es war der Auftakt für eine der schönsten Nächte meines Lebens.

Es sollte niemals mehr enden, sich morgen einfach so fortsetzen - aber auch wenn wir uns so nahe waren, so wusste ich noch immer nicht sicher, ob er meine Gefühle tatsächlich teilte oder ich nur ein bisschen Spaß für ihn war, gar eine bloße Ablenkung von seiner gescheiterten Ehe.
 

Doch ich hätte es besser wissen müssen. Viv war nicht so. Nein, Viv war ganz anders. Er war genau so, wie ich es mir immer vorgestellt hatte.
 

Liina hatten wir am nächsten Tag wie jeden Morgen in den Kindergarten gebracht und bereits auf dem Weg dorthin belästigte ich meine beiden Mitbewohner mit einer Superidee für einen neuen Song. Die Nacht schien mich ziemlich inspiriert zu haben...

Folgerichtig wollte ich, kaum dass ich mit Viv wieder zu Hause war, nach meiner Gitarre greifen, um gleich mit dem Komponieren zu beginnen, aber mich erwartete eine kleine Überraschung, als ich in mein Schlafzimmer ging und meine Gitarre hinter dem Vorhang erblickte.

Zwischen den Saiten klemmte ein kleines, rotes Plastikherz, welches ich verwirrt, aber zugleich schmunzelnd befreite und von allen Seiten betrachtete.

Ich hörte, wie just in diesem Augenblick die Tür hinter mir aufging und Viv den Raum betrat.

"Hehe, guck mal", begann ich zugleich und hielt das Herz in die Höhe, schüttelte etwas amüsiert den Kopf. "Liina ist ja niedlich. Wann sie das wohl hier versteckt hat?"

Ich hatte erwartet, dass Viv nun ebenfalls in gerührtes Gelächter einfiel, aber das blieb aus. Er grinste zwar, aber schien aus irgendeinem Grund peinlich berührt. Oder bildete ich mir das ein?
 

"Das ist nicht von Liina", erklärte er mir schließlich, guckte mich auch an, aber dann wanderte sein Blick wieder über den Boden. "Das ist von mir."

Das saß. Tausend Gedanken prasselten gleichzeitig auf mich hernieder. Ich wusste nicht, welchem ich mich zuerst hingeben sollte. Doch ganz instinktiv trat ich einfach näher an Viv heran, sodass ich ihn mühelos in meine Arme schließen konnte.

"Ich...ich liebe dich", hörte ich mich gegen seinen Hals nuscheln, spürte nun, wie er seine Hände auf meinen Rücken legte und sie unaufhörlich auf und nieder schob.

"Ich liebe dich auch", kam es von ihm und in diesem Moment wusste ich, dass er mich gerade zum glücklichsten Menschen auf der ganzen Welt gemacht hatte.
 

Träume konnten wahr werden, wenn man nur ganz fest daran glaubte. Egal, wie absurd sie schienen.

Die Hoffnung sollte man niemals sterben lassen. Auch nicht, wenn sie bereits im Koma liegt.
 


 

I can´t give you the world

can´t turn hell into heaven

but I can give you all of me

and everything I´ll be

And I deserve

nothing in return

but as long as it will beat

my heart is yours to keep
 



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